Der Turm, der Weg ist das Ziel

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Der Turm, der Weg ist das Ziel
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Der Turm, der Weg ist das Ziel

1  Titel Seite

Der Turm

Der Weg ist das Ziel

Jean la Pierre

Inhaltsangabe:

Prolog

Kapitel 1: Der Weg ist das Ziel

Kapitel 2: Die Ankündigung

Kapitel 3: Die Ankunft

Kapitel 4: Die römische Wasserleitung

Kapitel 5: Recherche

Kapitel 6: Bandgespräch

Kapitel 7: Pietro kommt

Kapitel 8: Das verschwundene Mädchen

Kapitel 9: Gespräch mit einer Mutter

Kapitel 10: Bernfried ist verschwunden

Kapitel 11: Die Suche

Kapitel 12: Das Antiquariat

Epilog

Widmung

Worte des Dankes

Prolog

Der Turm, der Weg ist das Ziel bedeutet für mich zunächst Größe und Macht. Etwas was schwer zugänglich und kaum erreichbar ist. Aber was hat mich dazu bewegt, gerade in der heutigen, modernen Zeit eine solche Thematik aufzugreifen. Menschen sind von jeher so geprägt, dass sie in Situationen der Machtausübung ihr Gegenüber in seiner Willensüberzeugung klein halten wollen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte, dass sie ihr Gegenüber unterdrücken wollen. Eine moderne Unterdrückungsmethode der heutigen Zeit kennen wir alle, Mobbing. Wo heute mehr und mehr die seelische Unterdrückung im Vordergrund steht, fand zu Zeiten der Hexenverfolgung körperliche Gewalt in unterschiedlichsten, zum Teil perversen Formen Anwendung. Eine Thematik, die mich beschäftigt hat und die ich in diesem Mittelrhein Krimi verarbeitet habe. Ich stelle Ihnen zu Beginn der Handlung meine Darsteller einmal vor. Das ist ein Personenkreis, den es tatsächlich in meinem familiären Umfeld so gibt. Die Charaktere habe ich eins zu eins übernommen, die Namen sind Kreationen meiner Fantasie. Sollte sich dennoch jemand in der Handlung wiederfinden, so ist dies als nicht real zu betrachten, sondern als rein fiktiv. Die Orte der Handlung, Rhens, Brey, Spay und Siebenborn gibt es tatsächlich hier im Mittelrheintal. Alles Ortschaften mit Welterbe Charakter. Hier habe ich mit meiner Familie ein Stück Heimat gefunden. Die Hauptpersonen, Achim und Bernfried, sind Menschen, denen Recherche Spaß macht und so durchlaufen sie auch die Handlung, immer wissbegierig Fakten sammeln, damit am Ende ein Ergebnis stehen kann. Ihre Frauen, Francesca und Heiderose unterstützen sie in ihrem Tun und geben beiden den nötigen Rückhalt. Aber was noch viel wichtiger ist, Sie hören den beiden aufmerksam zu. Meine Tochter und Ihre Familie sind ebenfalls ein Teil der Handlung. Die Mundartband, die professionellen Ermittler Schäfer und Vierse sind Gestalten meiner Fantasie. Ebenso die Figur des Pathologen und des Oberstaatsanwalts. Die Bruderschaft gibt es tatsächlich, allerdings unter anderem Namen. Der Bezug der Bruderschaft zur Geschichte ist meinen künstlerischen Gedanken entsprungen. Sollte sich hier jemand gespiegelt sehen, ist dies Zufall und als ein Produkt schriftstellerischer Freiheit zu betrachten. Ich wünsche Ihnen nun viel Freude beim Lesen dieses Krimis.

Jean la Pierre

Kapitel 1

Der Weg ist das Ziel(Konfuzius)

Eine Philosophie, die ich schon seit vielen Jahren vertrete. Ich sollte so langsam meine pädagogische Tätigkeit im Bildungsbereich der vorschulischen Erziehung meinem lädierten Knochengerüst anpassen. Im Alter von 57 Jahren fühle ich mich nicht mehr so in der Lage, meine Bewegungsabläufe, so wie ein junger Mensch durchzuführen. Es hakt und beißt an allen Stellen. Bildungsarbeit ist Beziehungsarbeit, da muss ich mich auf die Höhe der Kinder herablassen können. Nur Auge in Auge kann ich Erfolge erzielen. Wenn die Kinder immer zu mir hochschauen müssen, kann keine Vertrauensbasis entstehen. Kinder benötigen Nähe, keine Distanz. Kinder benötigen ausreichend Raum, um vom pädagogischen Personal gesetzte Reize wahrzunehmen und diese auch auszutesten. Von Oben herab ist nicht im Sinne der Erziehung. Ich bin zurzeit ein wenig angeschlagen. Durch arbeitsbedingte Fehlhaltung habe ich seit gut einem drei viertel Jahr starke Schmerzen im linken Hüftbereich. Laut ärztlichen Aussagen ist der Trochanter Muskel in seinem Ansatzpunkt entzündet. Mit betroffen ist ebenfalls der Bereich der unteren Rückenpartie. Wenn ich meinen Schmerzpegel mit Zahlen ausdrücken will, kann ich ein Kreuz, auf einer Skala von null bis Zehn, bei der Zahl acht setzen. Das ist sehr hoch und macht mich mittlerweile sehr mürbe. Nach unserem diesjährigen Sommerurlaub, den wir seit fünf Jahren wieder in Italien, am Gardasee verbrachten, musste ich mich nach zwei Arbeitstagen krankmelden. Mein Körper signalisierte mir: „Ich kann nicht mehr!“ Mein Schmerzpegel hatte sich enorm hochgeschaukelt, aber was für mich noch viel schlimmer war, meine Bewegungsabläufe beim Gehen waren massiv eingeschränkt. Es wurde also Zeit zu Handeln. Ich nahm dieses Zeichen diesmal auch sehr ernst, denn ich hatte keine Lust irgendwann auf einer Intensivstation aufzuwachen. Mit dieser Intention fuhr ich nach Spay zu meinem damaligen Hausarzt. Ich schilderte ihm zum wiederholten Mal meine Problematik mit der Bitte mir endlich zu Helfen. Ich glaube, dass niedergelassen Ärzte manchmal im Bereich der Diagnose überfordert sind, der Praxisbesuch endet meistens ohne Ergebnis. An einem solchen Ort fühle ich mich nicht mehr ernst genommen. Das ist für einen kranken Menschen keine befriedigende Situation. Bis jetzt habe ich einen Arzt immer als Person meines Vertrauens betrachtet. Dieser Bonus schwindet immer mehr. Mein Hausarzt sah natürlich in meinem Fall die „Igelkasse“ klingeln. Anstatt mir Krankengymnastik oder andere therapeutische Maßnahmen zu verordnen, erzählt er mir, dass solche Maßnahmen in meinem Fall nicht geeignet wären. Das hätte auch nichts mit dem Budget, welches er für jeden Patienten zu Verfügung hat, zu tun. Ich glaube, dass er von solchen Ansichten überzeugt ist. Gedanklich hörte ich aus seinen Aussagen heraus ein „Aber“, was auch kurze Zeit später folgte. Er hätte ein ganz neues Schmerztherapiegerät, welches mir mit bestimmter Sicherheit helfen würde. Er hätte schon mehrere Schulungen absolviert, er bekäme das hin. Ich dachte nur: „Gutes Verkaufsgespräch.“ „Und nun der Preis für die Leistung.“ Er ließ nicht lange auf sich warten. „Das Ganze Prozedere kostet dann 35 € für knappe zehn Minuten Behandlungsdauer.“ Er würde mindesten zehn Einheiten benötigen. Jetzt wurde es Zeit zu Gehen. Ich sagte ihm, dass ich mir das überlegen müsste und verabschiedete mich. Ich bedankte mich noch bei seinen Helferinnen für die getane Arbeit und fuhr auf direktem Weg nach Hause. Natürlich enttäuscht und auch etwas gefrustet. Um mich etwas abzulenken und mich auch auf andere Gedanken zu bringen, machte ich mir einen schönen Kaffee Crema mit einem kleinen Schuss acht prozentiger Dosenmilch. Mir war zwar in diesem Moment nicht geholfen, aber so konnte ich mir wenigstens Gedanken darüber machen, wie es weitergehen könnte. Am Nachmittag berichtete ich meiner Frau Francesca von meinem Erlebnis. Sie war nicht wirklich begeistert und nachdem ich Ihr die Frage stellte: „Was ich denn jetzt tun soll“, antwortete sie mir ganz spontan: „In Rhens ist das neue Ärztehaus eröffnet worden, versuche dort einen Termin zu bekommen.“ Ich suchte mir mithilfe von Google die Öffnungszeit raus und machte mich auf den Weg. Mit im Gepäck hatte ich alle Befundberichte der letzten drei Jahre. Meine Hoffnung lag darin, dass von den drei dort ansässigen Ärzten einer oder eine sich meiner annimmt. Das Glück schien diesmal auf meiner Seite zu sein. Frau Dr. Friederike Jungblut hatte Zeit. Ganz ohne Termin hatte ich mit einer längeren Wartezeit gerechnet, nach zwanzig Minuten wurde ich bereits aufgerufen. Nach einem sehr langen und intensivem Gespräch, nach Sichtung meiner mitgebrachten Unterlagen und eingehender Untersuchung telefonierte Frau Dr. mit der Schmerzklinik auf der Lahnhöhe, um mich dort therapieren zu lassen. Sie hatte Erfolg und so konnte meine Frau mich zwei Tage später in den Aufnahmebereich der Klinik begleiten. Die Erledigung aller Formalitäten dauerte eine Weile. Nach gut fünfzig Minuten zog ich in ein Zweibettzimmer. Nach eingehender Diagnostik durfte ich dort an zwanzig Tagen ein Programm mit täglich vier bis sechs therapeutische Anwendungen absolvieren. Meine Bewegungsabläufe sind fast wiederhergestellt. Mein Schmerzpegel, wenn ich noch einmal auf die Schmerzskala zugreifen darf, liegt mittlerweile bei ca. fünf bis sechs. Ein noch nicht zufriedenstellender Rahmen. Am Tag der Deutschen Einheit darf ich die Klinik verlassen, dann bin ich vorerst austherapiert. Ich freue mich auf meine Frau, mein Umfeld zu Hause und auf mein Bett. Mein Schlafverhalten war die letzten Tage nicht so besonders, da mein Mitbewohner gerade in der Nacht, der Zeit der Ruhe, anfing Geräusche zu zelebrieren, die einer schweren Kettensäge im Volllastbetrieb ähnelten. Also an Schlaf war trotz Gehörschutz kaum zu denken. Mir schwirren schon ein paar Gedanken durch den Kopf, die ich dringend erledigen möchte, wenn ich wieder zu Hause angekommen bin. Da unser Bürgermeister meine erste Mail, die ich ihm in Bezug auf die Parksituation in Brey geschrieben hatte, nicht beantwortet hat, starte ich einen zweiten Versuch. Dieser Mensch versucht ein Parkleitsystem in unserem Dorf, ohne Rücksicht auf verschiedene örtlich gebundene Situationen zu nehmen, einzurichten. Seine Handlungsweise grenzt an Willkür. Das ärgert natürlich den ein oder anderen Mitbürger. Ein Hinweis auf die STVO im Bereich der Paragrafen 12 „Halten und Parken innerhalb von geschlossenen Ortschaften“ hilft vielleicht die ein oder andere Situation zu entschärfen. Francesca sagte mir, dass ich Post von der Finanzverwaltung erhalten hätte. Ich müsste Unterlagen, Nachweise bezüglich Gesundheitskosten nachreichen. Das ist recht schnell erledigt. Dafür muss ich nicht viel tun, lediglich den Ordner mit der Aufschrift Finanzamt öffnen, die gewünschten Unterlagen herausnehmen, ein Anschreiben formulieren, alles eintüten und zur Post bringen. Das ist in ca. dreißig Minuten erledigt.

 

Kapitel 2

Die Ankündigung

Bernfried, der Schwiegervater meiner Tochter Marcella, hat sich aus seinem Heimatort in der Nähe von Garching gemeldet. Er schreibt zurzeit an seiner Biographie und benötigt einen Ortswechsel. Er muss seinem Kopf neues Leben einhauchen, denn nur so kann er seine Gedanken ordnen. Dabei war er gerade mit den Kindern in Andalusien. Seine Frau Heiderose weiß noch nichts von seinem Vorhaben. Heiderose arbeitet als Krankenschwester im Schichtbetrieb. Hier ist also zunächst noch Kommunikation im inneren Familienzirkel angesagt. Aber, er ist sich scheinbar seines Vorhabens sicher. Ich soll ein Hotelzimmer für ca. drei Wochen buchen. Halbpension. Die Auswahl der Unterkunft überlässt er mir. Bernfried möchte hier im schönen Mittelrheintal sein viertes Werk vollenden. Das habe ich noch nicht erzählt, Bernfried ist mittlerweile ein renommierter Autor, der sich im Bereich der Tiefenpsychologie tiefgreifend bewegt. Hierbei nutzt er eine Sprache, die für jeden Menschen verständlich ist. Sein Buch „der Schattenmann“ rangiert unter den Top Ten der renommiertesten regionalen Buchhandlungen im Großraum München. Für Mitte Oktober steht die Buchung. Ich habe den „Alten Posthof“ in Spay ausgewählt. Hier werden beide sich wohlfühlen. In dieser Zeit habe ich mir erlaubt, angesammelte Mehrarbeitszeit abzubauen. So kann ich ihn weitestgehend begleiten. Das Thema seiner Recherche wird die rekonstruierte römische Wasserleitung und seine Entstehungsgeschichte sein. Francesca und Heiderose werden sich mehr den kulinarischen Dingen des täglichen Lebens widmen, inklusive Shopping Erlebnis in Koblenz oder im Outlet Center in Montabaur. Bernfried leidet unter einer manischen Depression, was ihn manchmal etwas aufwühlt und seinen Handlungsabläufen Stress einhaucht. Sein Stress Fass ist fast immer zu 98% gefüllt, eine kleine Aufregung, ein besonderes Erlebnis kann das Fass zum Überlaufen bringen. Aus diesem Grund heraus müssen wir unser Handeln, unsere Bewegungsabläufe immer mit einer meditativen Ruhe ausführen. Ich muss dementsprechend planen und Reizüberflutungen vermeiden. Schließlich soll er die Schönheit unserer Region kennenlernen, ja ich möchte ihm auch genügend Zeit einräumen, damit er alle Eindrücke verarbeiten kann. Bis zu seinem Eintreffen verbleiben mir noch ein paar Tage Zeit. Genau diese Zeit möchte ich mit meinem Enkelsohn Pietro verbringen. Pietro ist mit seinen zweieinhalb Lebensjahren bereits ein ganz aufgewecktes Kerlchen. Marcella steckt Ihr ganzes pädagogisches Lehrerpotenzial in die Erziehung des jungen Mannes. In unserem Garten in Brey steht eine kleine Sandmuschel mit diversen Spielsachen. Hier wird jede Menge gebacken und gekocht. Manchmal muss ich nach dem zehnten Espresso sagen: „Opa hat genug, der kann sonst heute Nacht nicht mehr schlafen!“ Das macht dem kleinen Sternekoch nicht das geringste aus. Wenn Opa keinen Espresso mehr will, ist Oma halt dran. Unser Enkelsohn kommt gerne zu uns. Es war ein hartes Stück Arbeit, diese Beziehungsebene aufzubauen. Die Liebe zu einem kleinen Kind ist nicht kaufbar und auch nicht erzwingbar. Das ist ein Geduldsspiel. Ich muss einem kleinen Jungen, der eine starke Mutterbindung hat, gerade in dem jungen Alter, immer wieder erklären, beziehungsweise sagen, was wir machen wollen oder wo Mama und Papa gerade hingehen müssen oder wollen. Nur so lernt er Situationen zu verstehen. Das ist ein langer Weg, den die Kinder in Ihrem Verselbständigungsprozess durchlaufen. Dieser Weg ist verbunden mit vielen Höhen, Tiefen, Fortschritten und auch Rückschritten. Ein Prozess, der sich auf jeden Fall lohnt. Es ist spannend mit anzusehen, wie ein Kind Entwicklungsschritte vollzieht und welch eine Freude in seiner Gestik und Mimik dabei zu erkennen ist. Wenn Pietros Mama, unsere Tochter Marcella, einen Termin in der hier ortsansässigen Physiopraxis hat, versorgt Oma Francesca den kleinen Mann. Das Ganze funktioniert nur, weil Marcella dem kleinen Pietro Ihr Vorhaben erklärt hat. Pietro hat dieses Prozedere über einen längeren Zeitraum erlernt und mittlerweile auch verstanden. Heute kommt er gern zu Oma und Opa nach Brey. Da sind wir auch ganz stolz drauf. Nicht alle Generationen verstehen diese Vorgehensweise. Die kindliche Ebene ist anders gesteuert als die Ebene, in der ein Erwachsener sich bewegt. Wenn ich das begriffen habe, lässt sich der Umgang mit einem zweieinhalbjährigen Jungen einfacher praktizieren. Ich habe seinerzeit an der Umsetzung des hessischen Bildungsplanes mitgewirkt. Diese Arbeit wurde begleitet durch den renommierten Wissenschaftler Prof. Dr. Dr. Fthenakis, der „die Schaffung von Umwelten und Gelegenheitsstrukturen für frühkindliche Bildungsprozesse als erzieherische Kernaufgabe sieht. Man sollte schon früh Bildungsreize setzten, damit der Grundstock für die zukünftige Bildungsreise gelegt ist. Frontalunterricht ist vorbei, Selbstbildung in dafür geschaffenen Räumen ist angesagt.“ Einen solchen Ort findet Pietro in Brey. Unser aller Enkelsohn ist kein Schoßkind, er liebt die Bewegung und das phantasievolle Spiel. All das und noch viel mehr findet er bei uns. Ich war neulich ganz erstaunt, dass er schon fließend bis zehn zählen kann. Ein Kind, was, ganz lapidar gesagt, einfach nur die Liebe aller Menschen in seinem Umfeld verdient. Fast hätte ich es vergessen, ich muss Bernfried noch eine Buchungsbestätigung zukommen lassen. Ich mach es mir diesmal einfach und nutze das Medium „WhatsApp“- in Männer Schreibweise, kurz, knapp und bündig: „Buchung steht, freue mich auf Euch. Rest vor Ort.“ Liebe Grüße aus dem wunderschönen Mittelrheintal, Achim und Francesca. Somit hat er alle relevanten Informationen und kann in den nächsten Tagen so nach und nach seinen Koffer packen. Ich gehe davon aus, dass er einen Blick auf die Wetterkarte wirft und seine Kleidung dementsprechend auswählt. Er ist ein Mensch, der seinen Schwerpunkt nicht der Mode gewidmet hat. Beim Packen der Koffer wird daher die Zweckmäßigkeit im Vordergrund stehen. Heiderose wird ihn dahingehend wohl etwas unterstützen.

Kapitel 3

Die Ankunft

Heute Morgen um vier Uhr und dreißig Minuten sind Bernfried und Heiderose in den ICE Richtung Hamburg im Hauptbahnhof in München zugestiegen. Er hat zwei Plätze im Großraumwagen reserviert. München ist ein sogenannter Sackbahnhof. Viele Züge enden dort, Genauso der ICE, der Hamburg als Zielbahnhof hat. Wenn der Zug pünktlich losfährt, kann ich die Beiden um ca. zehn Uhr am Hauptbahnhof in Koblenz an Gleis 4 in Empfang nehmen. Ich habe Bernfried schon lange nicht mehr gesehen, aber das Bild, welches ihn beschreibt, habe ich noch ganz deutlich im Kopf. Er hat die Figur eines in die Jahre gekommenen kubanischen Tabak Farmer, der sein Haupt mit einem Strohhut bedeckt und seinen Körper mit einem Trenchcoat in der Art eines Inspektor Colombo einhüllt. So kann er die ein oder andere Körperunebenheit geschickt kaschieren. Auch Bernfried liebt unseren Enkelsohn Pietro. Er möchte den kleinen Mann möglichst zeitnah besuchen. Diese Treffen müssen wir natürlich mit Marcella koordinieren. Ich denke, dass wir das hinbekommen. Pietro ist in der besonderen Situation Großvater und Großmutter im Überhang zu haben, von väterlicher Seite doppelt und von mütterlicher Seite einfach.

Kapitel 4

Die römische Wasserleitung

Bernfried brauchte heute scheinbar keinen Mittagsschlaf. Er zog es vor, sich um dreizehn Uhr auf den Weg zu machen. Ich hatte ihm die Strecke entlang der Bahnlinie erklärt. Er gab scheinbar in Google maps die Anschrift von mir ein und marschierte per Fußnavigation los. Bereits um vierzehn Uhr klingelte es an meiner Haustür. Mein Kumpel stand in voller Wandermontur vor mir. Ich bat ihn hereinzukommen und mir noch zehn Minuten Zeit zu geben. Auf meine Frage, wo Röschen denn sei, sagte er mir: „Die kommt später nach, die hat ein paar Probleme mit ihren Beinen und zieht eine Fahrt mit dem Bus vor!“ Ich packte noch schnell meinen kleinen Fahrradrucksack. Der war gerade so groß, dass eine Flasche Wasser und zwei Becher darin Platz fanden. Wir marschierten los. Alte Fachwerkbauten ließen Bernfrieds Herz immer höherschlagen. Und so machten wir auf dem Weg zum Sportplatz einen Umweg über den alten Ortskern. Sehr gute, hochwertig restaurierte Bauten fielen uns sofort ins Auge. Bernfried fotografierte die an den Hauswänden angebrachten Tafeln dementsprechend ab. Hier waren die ersten Hinweise auf die Ortsgeschichte von Brey zu finden. Bernfried war begeistert und so setzten wir unseren Weg Richtung Sportplatz fort. Hinter dem Sportlerheim begaben wir uns auf den Waldweg, der zur Straße nach Siebenborn führt. Die Wasserleitung lag nun dicht vor uns. Eine „Römische Wasserleitung“ in dieser Form kannte Bernfried nur aus alten Geschichtsbüchern. So nah dran war er noch nie. Ich gab ihm ein paar Eckdaten, die ich am Tag zuvor mir von der kulturellen Seite der Landesregierung heruntergeladen hatte: „Rund 1,5 km westlich vom Ortskern liegt im bewaldeten Berghang oberhalb des Breyer Bachtals die römische Wasserleitung. Gegen Ende des 2. Weltkrieges wurde zufällig ein Tunnelbau entdeckt und damals von Einheimischen als Schutz vor Luftangriffen aufgesucht. Er wurde aber erst 1954 als eine unterirdisch durch den Schieferfelsen führende Wasserleitung aus römischer Zeit (Aquädukt) erkannt. Die mit großem Aufwand errichtete Tunnel Wasserleitung diente vermutlich zur Wasserversorgung eines großen römischen Gutshofes (Villa Rustica). Seine Grundmauern liegen oberhalb des Rheintales und des heutigen Ortskerns von Brey auf einem flachen Bergsporn. Der trägt heute noch die Flurbezeichnung „Auf Mäuer“. Der genaue Endpunkt der Wasserleitung und auch die Quelle sind allerdings bis heute noch nicht endgültig geklärt. Ihre Gesamtlänge dürfte nach heutiger Einschätzung bei etwa 1600 m liegen.“ Wir befanden uns bei einem Sichtungspunkt, von dem aus wir einen guten Einblick in die Anlage hatten. Bernfried stierte in die Nord-West Öffnung und sagte keinen Ton mehr. Was war los. Hatte ich ihn jetzt schon überfordert? In dem Moment kam aus seinem Mund heraus nur das eine Wort: „Da!“ Ich sagte: „Wie, da?“ Er wurde energischer und zeigte mit dem Zeigefinger der rechten Hand in die Erdöffnung. In dem Loch lag etwas, was mit Laub bedeckt war. Nur einen Fuß konnte ich erkennen. Ich wollte mir ein genaueres Bild von der Situation machen und so öffnete Ich mit meinem Multifunktionswerkzeug das Gitter vor dem Einstieg und ging in den Tunnelgang. Im Bereich des Wasserlaufs blieb ich stehen. Zwei Meter vor mir im Tunnel lag die seltsam gekleidete Gestalt. Bernfried schmiss mir sein Smartphone hinein, damit ich das Ganze dokumentieren konnte. Ich ging wieder raus aus dem Graben. „Da unten liegt höchstwahrscheinlich die Leiche einer jungen Frau, deren Körper sehr schlimm verbogen ist. Die Kleidung, die sie trägt, sieht alt aus. Als ob sie aus einer anderen Zeit stammt. So weit ich erkennen konnte, sind ihre Hände und ihr Gesicht angefressen. Um den Hals trägt Sie einen Schellenkragen. An Ihren Beinen konnte ich auf der rechten Seite eine Beinschraube erkennen“! „Bist Du Dir da sicher?“ fragte Bernfried. „Ich denke schon, wieso fragst Du?“ „Das sieht mir nach einer Hinrichtung aus,“ gab er mir zu verstehen. Ich forderte mir noch einmal Bernfrieds Handy und rief die Polizeiinspektion in Boppard an. Es war unsere Pflicht, den Fund der leblosen Person umgehend zu melden. Wahrscheinlich würde die Polizei bei einem solchen Fund mit der ganzen Kavallerie anrücken. Wir hatten nun etwas Zeit. Bernfried und ich begaben uns zum Sportplatz. Die Polizei benötigt mit Bestimmtheit Einweiser, da können wir helfen. In der Zwischenzeit gab ich Francesca unsere Position durch und teilte Ihr mit, dass wir auf die Polizei warten müssen. Weitere Informationen heute Abend. Ich bekam das Bild dieser leblosen Person nicht mehr aus dem Kopf. Vor allem die Kleidung und die Teile, die an ihrem Körper befestigt waren. Ich war mal Teilnehmer bei einem Betriebsausflug nach Freiburg. Jetzt konnte ich mich wieder daran erinnern. Im Zentrum dort besuchten wir ein gut ausgestattetes Hexenmuseum. Dort wurden viele Relikte aus der Zeit der Hexenverfolgung der Öffentlichkeit präsentiert. An diesem Ort konnte man Folterwerkzeuge aus jener Zeit, teils im Originalzustand, teils als Nachbau betrachten. Furchterregende Gerätschaften, die nur für einen Zweck hergestellt wurden: um Menschen zu quälen, zu foltern, um Sie willenlos zu machen. Ein Geständnis war die Erlösung der Pein. Wer gestanden hatte, wurde zügig verurteilt und hingerichtet. Ich hatte guten Kontakt zu Dr. Paul Gerhard, dem Leiter der Gerichtsmedizinischen Abteilung in Koblenz. Ich würde ihn besuchen und mich mit ihm über den Leichenfund unterhalten. Das Ganze durfte nur inoffiziell geschehen, da ich keine Befugnis hatte, als Ermittler tätig zu werden. Ich denke, dass die beiden Mordermittler Kriminalhauptkommissar Jan Schäfer und Oberkommissar Klaus Vierse die Ermittlung durchführen werden. Zwei Persönlichkeiten, die eine sehr hohe Aufklärungsrate vorweisen können. Als leitenden Ermittler, da bin ich mir ziemlich sicher, wird Dr. Hans-Georg Denkhaus eingesetzt werden. Ihn kenne ich auch. Er ist der Staatsanwalt, der für diese Region hier beauftragt ist. Bernfried war ganz erstaunt. „Wieso kennst Du diese Herren?“ Ganz einfach, entgegnete ich ihm: „die haben Ihre Kinder bei mir in der Gruppe, seit ungefähr drei Jahren.“ Ich hatte mein Gespräch mit Bernfried noch nicht ganz beendet, als eine Fahrzeugkolonne auf den Parkplatz vor dem Sportlerheim zum Stehen kam. Allen voran Kriminalhauptkommissar Jan Schäfer. Der kennt sich hier ein wenig aus. Er wohnt in Rhens, sein Sohn spielt hier bei den Bambinis Fußball. Er begrüßte uns recht freundlich und stellte sich vor. Dann wollte er wissen: „Wo?“ Ich antwortete ihm ebenso knapp: „Nord – West Eingang zur Wasserleitung.“ Nachdem er weiter fragte, ob wir drin waren, antwortete ich mit Ja und ergänzte: „Ich habe nichts angefasst, ich war nur im Bereich des Gitters!“ Gemeinsam gingen wir zum Einstieg. Er leuchtete die Fundstelle mit seiner Taschenlampe aus und ging in gebückter Haltung zu der Leiche. Er wollte sich als erster ein Bild vom Fundort machen. So zügig, wie er drin war, kam er wieder raus und ging schnellen Schrittes zehn Meter weiter in den Wald hinein. Scheinbar hat der Anblick des zugerichteten Körpers ihn so schockiert, dass er sich übergeben musste. Als er wieder zu uns kam, hatte sich seine Gesichtsfarbe etwas verändert. Er sah etwas fahl aus und sagte: „Das sieht nicht gut aus und riecht fürchterlich.“ „Das ist jetzt Ihr Part, Dr. Gerhart.“ Der Gerichtsmediziner begab sich mit zwei Kollegen der Spurensicherung hinab in den Graben. Sie sicherten alle Spuren und bargen im Anschluss daran den leblosen Körper. Die beiden Ermittler notierten unsere personenbezogenen Daten und zitierten uns für den darauffolgenden Tag zur Polizeiinspektion nach Koblenz. Nachdem die Polizisten die Situation dokumentiert hatten, gab Dr. Gerhard dem Kriminalhauptkommissar ein Zeichen. Der Bestatter war nun an der Reihe. Mit Unterstützung eines Kollegen der Spurensicherung hievten sie die Frau in einen Zinksarg und trugen diesen durch das unebene Gelände zum Leichenwagen. Im Vorbeigehen fragte ich den Pathologen, ob ich morgen Nachmittag bei Ihm im Kemperhof vorbeischauen könnte. Dr. Gerhard sagte nur kurz: „Siebzehn Uhr.“ Ich nickte ihm zu. So schnell wie der ganze Tross angerückt war, verließen sie die Fundstelle wieder. Wir hatten mittlerweile achtzehn Uhr. Ich fragte Bernfried, ob wir nach Hause gehen sollten, er nickte mir nur noch zu. Dieser Tag sollte eigentlich der Erkundung der näheren Umgebung dienen. Kein Mensch hatte mit einem Leichenfund gerechnet. Bernfried sah mir nachdenklich ins Gesicht und sagte dann leise: „Wer macht so was?“ „Ich weiß es nicht,“ antwortete ich ihm. Wir gingen auf direktem Weg zu mir nach Hause. Francesca und Heiderose lauerten bereits auf uns. Sie wollten natürlich wissen, was los war, wieso wir auf die Polizei warten mussten. Wir zogen unsere mit Erdreich verschmutzten Schuhe vor der Tür aus und gingen in die Küche. Ich bat Francesca, uns einen Schnaps zu holen. Ich nahm zwei große Gläser aus dem Küchenschrank und stellte sie auf den Tisch. Meine Frau kam mit einer Flasche Whiskey und goss jedem zunächst einen Doppelten ein. Sie vermutete schon, dass wir etwas nicht Alltägliches zu Gesicht bekommen hatten. Nachdem wir unsere Gläser geleert hatten und Francesca uns noch einmal nach geschenkt hatte, erzählte ich den beiden Frauen in gekürzter Fassung unser Erlebnis. Francesca und Heiderose waren sichtlich geschockt. Meine Frau äußerte sich dennoch und stelle mir die Frage: „Wieso hier, wir sind doch hier im ländlichen Raum?“ Ich antwortete Ihr: „Der Ort eines Verbrechens ist nicht von der Größe der Kommune abhängig, vielmehr von den krankhaften Gedankengängen eines Täters.“ „Wenn er das Bedürfnis hat im Dorf zuzuschlagen, dann tut er das.“ Meine Gedankengänge gingen jedoch in eine ganz andere Richtung. Aussehen und Fundort der Leiche. Wer war die Frau? War das Ulrike Wollmilch? Ihre Kleidung war aus braunen Leinenstoff hergestellt. Um ihre Hüfte war eine aus Sisal geflochtene Kordel gebunden. Ihre Füße waren nackt. Ihr Haar war kurz geschoren. Schellenkragen, Beinschrauben und Daumenschrauben waren Folterwerkzeuge aus der Zeit der Hexenverfolgung. Die tote Frau war mit aller Wahrscheinlichkeit einem Täter zum Opfer gefallen, der sich mit solchen Foltertechniken auskannte. Inwieweit die Frau weitere körperliche Misshandlungen ergehen musste, werden wir morgen Nachmittag von meinem Freund Dr. Paul Gerhard erfahren. Wir müssen vorsichtig sein. Schäfer und Vierse dürfen davon nichts mitbekommen. Zwischenzeitig fuhren Francesca und Heiderose nach Rhens und holten die vorbestellten Döner ab. Kurze Zeit später saßen wir alle am Küchentisch. Ich ging in den Keller und suchte diesmal eine Flasche Rotwein aus meinem Bopparder Bestand. Wir aßen gemeinsam und schwiegen uns eine ganze Zeit lang an. Das Erlebte musste erst einmal verdaut werden. Wir wollten uns Morgen, circa vierzehn Uhr, wieder hier bei uns treffen. Es war noch recht warm draußen und so beschlossen Heiderose und Bernfried den Weg zum Hotel zu Fuß zu gehen. Francesca war müde und ging recht früh zu Bett. Ich war noch hellwach und so nahm ich mir meinen Laptop und gab im Suchfenster bei Google die Worte „Hexenverfolgung in Rhens und Umgebung“ ein. Ich wollte mein Wissen bezüglich dieser Thematik etwas erweitern, wurde auch schnell fündig. Neben mir lag eine Kladde, damit ich mir ein paar Notizen machen konnte. Die Hexenverfolgung in Rhens fand in drei Wellen statt. Beginn dieser grausamen Zeit war das Jahr 1575. Einundsiebzig Jahre später, und zwar am siebten März 1646 ist Margarethe Altenhofen, die damalige Frau des Bürgermeisters, als letztes Opfer benannt. In dieser ganzen Zeit wurden dreiundzwanzig Frauen und drei Männer der Hexenfolter unterzogen. Die Einkerkerung der Personen wurde zum größten Teil im „Scharfen Turm“, einem Teil der mittelalterlichen Stadtmauer, vollzogen. Diesen Teil der Stadtmauer findet man auch heute noch. Er ist direkt am Rhein erbaut worden. Durch die Zeit der Hexenverfolgung erhielt er auch den Namen: „Hexenturm.“ Aber auch das alte Rhenser Rathaus und der früher noch vorhandene Stadtturm über dem Viehtor waren Orte der Folter. Dabei war die ursprüngliche Nutzung des „Scharfen Turms“, der zwischen 1396 und 1418 als Teil der Stadtmauer erbaut wurde, eine ganz andere. Aufgrund seiner Nähe zum Rhein wurde er zunächst als Zollturm genutzt. Das Gebäude umfasst vier Geschosse, die Turmplattform inklusive. Das Kellergeschoss war von außen her nicht begehbar, sondern nur über eine Öffnung im ersten Geschoss. Hier wurden nicht zahlungswillige Schiffer inhaftiert und solange festgehalten, bis ihre Zahlungsmoral sich änderte. Aus diesem Grund heraus hat der Kerker auch die Bezeichnung Angstloch. Der heutige Turm steht unter Denkmalschutz und kann zu gewissen Zeiten, die ich noch erforschen muss, besichtigt werden. Wenn ich das noch richtig im Kopf habe, ist der Turm am Wochenende für Besichtigungen geöffnet. Vielleicht finden wir in diesem Gebäude ja Hinweise auf die gefundene Person im Breyer Wald. Gibt es Bildmaterial, welches das Leben der Menschen im fünfzehnten Jahrhundert darstellt. Finden wir dort alte Folterwerkzeuge, die in Verbindung mit der Leiche zu bringen sind. Wer hat sich für solche Werkzeuge interessiert. Vielleicht kann uns der Turmwart relevante Informationen geben. Unser Wochenendausflug ist geplant. Aber nun wird es langsam Zeit, meinem Körper etwas Ruhe zu gönnen. Bernfried wollte morgen früh so ca. zehn Uhr hier sein. Dann haben wir noch genügend Zeit den PC zu quälen.

 
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