Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa

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Jacques Chirac

Der 2019 verstorbene Jacques Chirac war ein ganz anderer Typus eines Politikers. Weitaus offener, spontaner, menschlicher, direkter, ja derber, volkstümlicher, populistischer als Mitterrand. Jacques Chirac war natürlich für Helmut Kohl kein Unbekannter. Die beiden kannten sich aus der europäischen Parteienbewegung und vor allem aus der ersten „Cohabitation“ in Paris von 1986 – 88 mit Jacques Chirac als Premierminister. In allen Bereichen war er immer ein überaus herzlicher, freundschaftlicher, aber nie bequemer Partner.

Er stand Kohl politisch in mancherlei Hinsicht näher, doch er entpuppte sich als ein schwierigerer, zuweilen unberechenbaren Partner, vor allem in Bezug auf die europäische Integration, der er mit einer gewissen inneren Distanz gegenüberstand.

Chirac hatte als Premierminister während der ersten Cohabitation sehen müssen, wie sehr das französische System ihn in die zweite Reihe setzt und vor allem dem Staatspräsidenten die notwendige Freiheit und Absicherung gibt. Er litt spür- und sichtbar darunter, hinzu kam für ihn, den ich oft als menschlich großartigen Politiker erleben durfte, ein gewisses Maß an Misstrauen und Neid. Sein Ehrgeiz war es daher, aus seinem Blickwinkel nur konsequent, Präsident der Republik zu werden und an der Spitze dieser „republikanischen Monarchie“ zu stehen.

Apropos Parteienlandschaft und Cohabitation muss ich an eine Begebenheit denken, die uns damals Ärger mit den Freunden aus der RPR um Jacques Chirac einbrachte. Im Frühjahr 1989 hatte ich den Bundeskanzler zu einem der vielen bilateralen Abstimmungsgespräche in den Elysée begleitet.

Hubert Védrine, der spätere Generalsekretär des Elysée und Außenminister Frankreichs in der Regierung von Lionel Jospin, der in all den Jahren für uns und mich immer ein verlässlicher und vertrauensvoller Freund und Partner war, packte auf Geheiß des Präsidenten das erste Exemplar des geplanten Wahlplakats der französischen Sozialisten für die Europawahl im Juni 1989 aus. Es zeigte unter der Überschrift „für den Frieden“ jenen historischen symbolträchtigen Händedruck von Francois Mitterrand und Kohl in Verdun vom 22. September 1984, freilich von hinten aufgenommen, aber doch unzweideutig erkennbar, wer die beiden Herren auf dem Bild waren....


Helmut Kohl und Francois Mitterrand auf einem französischem Wahlplakat 1989.

Quelle: picture-alliance/ dpa / afp

Sollte Helmut Kohl etwa dem französischen Präsidenten sagen, dass er dieses Plakat, da es für die Wahl des Parti Socialiste warb, für nicht politisch korrekt hielt? Dies gegenüber einem Präsidenten, der genau wusste, was er tat – und sein typisches spitzbübisches Lächeln gegenüber dem Bundeskanzler aufsetzte. Sollte Helmut Kohl wütend den Elysée verlassen, die Freundschaft aufkündigen oder ironisch reagieren? Letzteres tat er – und Hubert Védrine schenkte mir dieses Plakat als Erinnerung. Es hängt heute in meiner Pariser Wohnung und wenn ich es sehe, denke ich mir nur, einem anderen ist bisher kein vergleichbarer Streich eingefallen!

Es bedurfte einiger Zeit und Überzeugungsarbeit, um diese Wunde bei den Konservativen und bei Jacques Chirac selbst zu verheilen. Doch der Umgang mit Chirac blieb auch in der Folge schwierig, auch wenn die Treffen mit ihm immer wieder durch seine Herzlichkeit und Spontaneität gekennzeichnet waren.

Schon vor Beginn des eigentlichen Wahlkampfes Anfang 1995 beobachtete Jacques Chirac alle Bemühungen seines Konkurrenten – und unter Mitterrand noch amtierenden Premierministers – Edouard Balladur um Kohl mit tiefstem Misstrauen. Und dies galt für Kanzler wie auch für mich.

Mit Argus-Augen betrachtete das politische Paris die Einladung von Balladur zum informellen Treffen in Chamonix im Januar 1995, wenige Wochen bevor er seine Kandidatur offenlegte. Manche gutmeinenden Beobachter meinten, wir hätten eine solche Begegnung vermeiden oder von vorneherein absagen sollen – doch eine Absage hätte für Balladur, aber nicht nur für ihn, einen Affront bedeutet. Wir versuchten daher, den informellen Charakter in den Vordergrund zu stellen. Daher sollte es keine Begegnung mit der Presse geben. Doch Balladurs Pressesprecher sorgte – ohne uns darüber zu informieren – beim Ausflug für den klassischen „Fototermin“! Der Bundeskanzler war, sehr verständlich, wütend – der erste strafende Blick galt mir. Ich verstand ihn, auch wenn ich mich diesmal unschuldig fühlte.

Aber sei es drum! Helmut Kohl musste damit rechnen, dass nicht nur Chirac, sondern eben auch Balladur der Wahlsieger sein konnte – und es war wichtig, die „Präsidentiablen“ in Frankreich näher zu kennen, um ggf. ein Vertrauensverhältnis aufbauen zu können. Ich hielt Kontakt zu beiden Seiten, doch die persönliche Kenntnis und Einschätzung des anderen ist durch nichts zu ersetzen! Dies kostet Mühe und viel Zeit, doch nur so kann ein Verhältnis des Vertrauens entstehen.

Daher war es für den Bundeskanzler wichtig, den Premierminister, der schon zuvor als Finanzminister für Deutschland kein leichter Partner war und mit dem er nur schwer warm wurde, durch ein Treffen ohne Protokoll näher kennen zu lernen. Hatte Balladur doch Maastricht und vor allem die Wirtschafts- und Währungsunion mit eigenen, eher britischen Ideen näher stehenden, aber uns nicht konformen Gedanken begleitet und vor allem eines der größten Projekte um eine enge Zusammenarbeit in der Rüstungspolitik und gemeinsamen Ausrüstung der beiden Armeen 1993 zu Fall gebracht.

So gehörte es im deutsch-französischen Verhältnis auch zur Regel, dass alle „präsidentiablen“ Franzosen vom Bundeskanzler zum informellen Gespräch empfangen wurden, freilich mit Rücksicht auf die „Herrschenden“ mit der Maßgabe „keine Presse, kein Fototermin“.

Und eine ebenfalls ungeschriebene Regel lautete, dass man sich auf Chef-Ebene gegenseitig aus Wahlkämpfen heraushielt. Es war Usus, dass man jeweils zu den Partei- und Wahlkongressen der anderen Seite, die „zweite“ oder „dritte“ Geige entsandte, um den Kanal zur anderen politischen Farbe auf Spitzenebene nicht zu verschließen. Erst in jüngerer Zeit ist dieser nützlichen Praxis leider ein Ende bereitet worden, wie sich gerade bei der Teilnahme von François Hollande beim SPD-Parteitag im Vorwahlkampf 2012 und der anschließenden Weigerung der Bundeskanzlerin, ihn zu empfangen, gezeigt hat. Die Folgen sind bekannt, sie haben jedenfalls zum Teil zu dem wachsenden Misstrauen zwischen Berlin und Paris beigetragen!

Rücksichtnahme auf die Sensibilitäten des anderen war ein Schlüssel der „Philosophie“ und eine der großen Stärken Helmut Kohls in all den Jahren, von einem Partner nie mehr verlangen, als er objektiv aufgrund seiner politischen Grundlagen und Umstände zu leisten vermag – dies galt für Frankreich wie für alle anderen Partner!

In den Monaten vor der Wahl habe ich mich bemüht, den Kontakt mit allen wichtigen Lagern aufrecht zu erhalten. Ich kannte die Protagonisten wie auch ihre wesentlichen Mitarbeiter aus ihrer früheren Funktion in der Regierung. In Abstimmung mit dem Bundeskanzler schaute ich mich in den Hauptquartieren der großen Kandidaten um, wollte mehr über deren Arbeitsweise und Methoden, über deren Wahlkämpfe wissen.

Die früheren Strafverfahren gegen Jacques Chirac und seine Mannschaft wie auch die noch laufenden gegen Edouard Balladur und seine engen Mitarbeiter; die allesamt Fragen aus jener Zeit gelten, müssen erschrecken. Es schien dort immer wieder letztlich auch um die Finanzierung des Wahlkampfes zu gehen, als Mittel wurden dazu „Retro-Kommissionen“ für Staatsgeschäfte mit Drittländern genannt.

Chiracs Mannschaft jedenfalls nahm uns den Ausflug nach Chamonix übel, ließ auch mich das spüren. Erst Pierre Lellouche riskierte es, mich informell in der Schlussphase des Wahlkampfs wieder in das „Hauptquartier“ des Kandidaten Chirac einzuladen. Aus der Sicht mancher in der Pariser Parteizentrale der Gaullisten war ich der „Bösewicht“, der dem Bundeskanzler kategorisch dazu geraten hatte, alle Versuche aus Paris nach gegenseitigen Hilfen in der Wahlkampffinanzierung abzulehnen. Die Versuche schienen mir weder mit den Regeln der deutschen Parteienfinanzierung kompatibel noch auch „ansonsten“ sehr durchdacht.

Helmut Kohl gab sich in der Folge alle erdenkliche Mühe, um mit Jacques Chirac ein ähnliches Verhältnis zu entwickeln wie zuvor zu François Mitterrand. Nach seiner Wahl standen die Zeichen zunächst in Richtung auf ein noch engeres Verhältnis. Nach seiner Wahl im Mai 1995 hatte er Helmut Kohl zu einem ersten Treffen nicht nach Paris, sondern nach Straßburg eingeladen. Es begann mit einer Überraschung nach der Ankunft in der Straßburger Präfektur, einem Gebäude aus der Zeit der Besetzung des Elsasses durch das Deutsche Reich 1871 – 1918. Der Gang zum Restaurant in der Altstadt war ein „Bad in der Menge“.

Chirac hatte als Überraschung zu Ehren des Kanzlers eine „spontane“ Jubel-Kundgebung der Straßburger und elsässischen RPR-Jugend organisiert, das selbst die polizeiliche Mannschaft um den Präsidenten vor ernste Probleme stellte – sein Personenschützer musste mich an jenem Abend aus der Menge, die Chirac begeistert feierte, in den engen Sträßchen der Altstadt regelrecht befreien!

Und das Abendessen bei „Yvonne“, dem Stammrestaurant von André Bord mit dem gesamten Reichtum der elsässischen Küche sollte Zeichen setzen, die aber nicht lange hielten.

Kohls freundschaftliche Retourkutsche war ein Ausflug in der Pfalz, der mittendrin ein Ziel enthielt, das nur der Fahrer des Bundeskanzlers kannte. Wir wussten, dass Chirac die ersten Monate des Militärdienstes – vor seiner Versetzung nach Algerien – nach seiner Eheschließung in der Pfalz verbracht und dort – wenn ich mich recht erinnere, in Neustadt – gewohnt hatte. Die kleine Kolonne hielt vor dem Haus an – und alleine Bernadette Chirac erkannte sofort das Haus ihrer ersten Ehemonate!

 

Jacques Chirac wollte bald darauf seine Verbundenheit mit Helmut Kohl durch die Verleihung der Ehrenlegion an mich unterstreichen. Er brachte die Auszeichnung als Überraschung zu einem der informellen Treffen in Bonn mit, meinte zum Bundeskanzler, er müsse dazu einige Worte sagen. Er hob zu einer euphorischen Lobesrede an – die der Bundeskanzler nach fünf Minuten recht grob, aber zugleich freundschaftlich stoppte. Er bitte den Präsidenten und Freund nicht weiter zu reden, sonst wisse er nicht, wie er, wenn der Präsident so weiterspreche, mich von dem Baum wieder runterholen könne.

Höhepunkte der Kontroversen mit Chirac waren schließlich 1997/98 die Dispute mit ihm in der Schlussphase zum Euro sei es über den Stabilitätspakt sei es um den ersten Präsidenten der EZB, die untrügliche Zeichen dafür wurden, dass auch das deutsch-französische Verhältnis seine Tiefen hatte oder zwangsläufig haben musste.

Darauf ist im Rahmen der Europa-Politik weiter einzugehen – doch Chirac war ein „Sponti“. Er konnte beinhart verhandeln, anschließend himmel-hoch-jauchzend und freundschaftlich sein.

So hatte er Helmut Kohl früh in seine Absicht eingeweiht, die Wehrpflicht abzuschaffen. Helmut Kohl versuchte in intensiven Gesprächen vergeblich, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Für Jacques Chirac blieb die fehlende Wehrgerechtigkeit im französischen System das ausschlaggebende Argument. Er sah nicht die Chance, dieses Manko zu überwinden. Es gab natürlich ein zweites Argument, das Chirac aber nicht nutzte – das war die nüchterne Kosten-Nutzen-Analyse der Franzosen, der Helmut Kohl bestimmt als kurzsichtig widersprochen hätte.

In ähnlicher Weise war Jacques Chirac bemüht, in Kenntnis der deutschen Sensibilität um das Thema „Nuklear“ dem Bundeskanzler die Hintergründe und Ziele der Wiederaufnahme der französischen Kernwaffenversuche zu erklären. Helmut Kohl verstand die Bedeutung des Themas für Jacques Chirac, hörte interessiert zu, machte eine gute Miene zu dem Spiel...

1997 wurden wir Zeuge der dritten „Cohabitation“ à la française, eines Präsidenten mit einem Premierminister und einer Regierungsmannschaft aus unterschiedlichen politischen Lagern. Diesmal erstmals für uns ein Präsident der „Rechten“ – wenn dieses Bild auch nur eingeschränkt erlaubt ist – mit einem Premierminister und einer Regierung der „Linken“.

Die Mitsprache bzw. das letzte Wort des Präsidenten beschränkte sich in Ausübung seiner verfassungsmäßigen Vorbehaltsrechte auf die Außen- und Sicherheitspolitik und damit auch auf die Bestellung des Außen- und Verteidigungsministers.

Ich hatte die Chance, während dieser Zeit jederzeit den alten Freund und Weggefährten Hubert Védrine, der Außenminister geworden war, anrufen und mit ihm sprechen zu können. Er erleichterte auch den Zugang zur Mannschaft um Lionel Jospin, dessen zunächst spröde wirkende, nüchterne, abwägende Art der Bundeskanzler bald zunehmend schätzen lernte. Er war in gewisser Weise berechenbarer, verlässlicher als Jacques Chirac.

Das gleiche galt leider weniger für einige Mitarbeiter seines Kabinetts, mit denen ich mich auseinandersetzen musste. In jener Zeit wurde ich „Opfer“ des wohl einzigen Bruchs der Vertraulichkeit im Verhältnis zu den Kabinetten des Präsidenten und Premierministers. Schade, aber wohl in dem „Spektakel“ Politik nicht zu vermeiden! Die Kollegen um Jospin wollten einfach nach außen unterstreichen, dass nicht der Präsident Frankreich alleine führte, sondern dass auch der Premierminister ein Wort mitzureden hatte.

Valéry Giscard d'Estaing

Erwähnen muss ich in dieser Reihe das Verhältnis von Helmut Kohl zu Valéry Giscard d'Estaing. Man konnte es im Grunde sehr klar als ein „Nicht-Verhältnis“ geprägt durch eine „herzliche gegenseitige Abneigung“ charakterisieren. Für Giscard war Helmut Schmidt alles und umgekehrt hielt Kohl Distanz zu ihm.

Chirac suchte ab Anfang seiner Amtszeit 1995 fast krampfhaft eine Aufgabe für Giscard auf europäischer Ebene. Er wollte um jeden Preis vermeiden, ihm eine besondere Aufgabe in Frankreich zu geben, er mache ihm zu Hause nur Schwierigkeiten. Daher das Ziel einer angemessenen Beschäftigung auf europäischer Ebene – und Helmut Kohl schien eingedenk seines Misstrauens gegenüber Giscard taub auf diesem Ohr. Letztlich war es dann Gerhard Schröder, der den Vorschlag Chiracs, „VGE“ mit dem Vorsitz der „EU-Konvention“ zu betrauen, laufen ließ.

Der Zufall wollte es, dass ich ab 2003 in Paris regelmäßig mit ihm zusammentreffen sollte. Er war der Ehrenpräsident des „Comités France-Chine“, des China-Ausschusses des französischen Arbeitgeberverbandes MEDEF und ich gehörte aufgrund meiner Tätigkeit für Veolia zum Vorstand dieses Ausschusses. Ich habe in jenen Jahren von diesem hochgebildeten Präsidenten nicht nur in Sachen China viel gelernt. Wesentlicher Gegenstand unserer Gespräche war immer wieder Europa, auch und gerade während der Konvention. In jener Zeit wurde ich in gewisser Weise zu seinem regelmäßigen „Sparringspartner“ – und immerhin kam ihm dann von Zeit zu Zeit eine respektvolle Bekundung über Helmut Kohl über die Lippen, natürlich immer nach Helmut Schmidt.

„VGE“ ist am 2. Dezember 2020 im Alter von 94 Jahren verstorben. Er hat Frankreich damals grundlegend verändert, modernisiert – ein tragendes Beispiel waren die Rechte der Frau, er legalisierte die Abtreibung, erlaubte der Frau, ein eigenes Bankkonto ohne die Zustimmung des Ehemannes zu eröffnen. Er war zugleich ein Präsident voller Widersprüche, sein Credo lautete: liberal, sozial, europäisch – wichtig für uns Deutsche war sein Engagement für Europa auf Grundlage der deutsch-französischen Zusammenarbeit – Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn zu Recht gewürdigt: Frankreich hat einen Staatsmann verloren, Deutschland einen Freund und wir alle einen großen Europäer!

Ich könnte über eine Vielzahl von Begegnungen mit anderen Franzosen berichten. Ich greife bewusst René Monory heraus, der Kohl eine Première verschaffte. Der Bundeskanzler war der erste ausländische Staats- und Regierungschef, der im Senat in Paris gesprochen hat. Die Idee zu diesem Unternehmen hatte sein Kabinettchef, Jean-Dominique Giuliani, seit einigen Jahren Präsident der angesehenen Robert-Schuman-Stiftung in Paris. Er trug mir diese Einladung Monorys, 1992–98 Präsident des Senats, vor, und der Bundeskanzler stimmte zu und sprach am 13. Oktober 1993 im Senat.

Jean-Dominique, der einer meiner und unserer besten Freunde in Paris geworden ist, und ich diskutierten die Risiken, vor allem die mögliche Perzeption auf Seiten Mitterrands, seine Mannschaft erhob keine Einwände.

Ich bin überzeugt, wäre die Einladung vom Präsidenten der Nationalversammlung – damals auch in den Händen der Konservativen, hätte der Präsident vielleicht reagiert, so aber letztlich vor dem Hintergrund der besonderen Stellung des Präsidenten des Senats ließ der Elysée die Einladung „laufen“. Im französischen System ist der Präsident des Senats für bestimmte Fälle die Nummer 2 des Staates, der das Amt des Präsident ad interim im Falle der Vakanz des Amtes des Präsidenten oder im Falle dessen Verhinderung ausübt.

Botschafter

Angesichts der permanenten Direktkontakte zwischen Bonn und Paris hatten die beiden Botschafter eine undankbare Aufgabe, in gewisser Weise mussten sie daher ihr Amt neu erfinden, um nicht „mission impossible“ nach Hause zu melden.

In Bonn galt dies zunächst für Serge Boidevaix in der höchst sensiblen Zeit um die Wiedervereinigung. Er wusste damals nicht, dass ich seine, angesichts der verbreiteten Skepsis an der Seine gegenüber Deutschland recht vorsichtig geschriebenen Berichte öfters in Paris lesen durfte – die Kollegen in Paris wollten mehr Sicherheit über die Bonner Intentionen haben. Sein Nachfolger Bertrand Dufourcq blieb nur ein gutes Jahr – der erfahrene Verhandler der äußeren Grundlagen der deutschen Einheit wurde in Paris als Generalsekretär des Außenministeriums, des Quai d'Orsay gebraucht.

Ihm folgte im November 1993 der Straßburger François Scheer, einer der erfahrensten Diplomaten des Quai d'Orsay. Zusammen mit meinem Freund Bernard Kessedjan war er 1992 in der Affäre um den Palästinenser-Führer Georges Habache auf Forderung der damaligen Premierministerin Edith Cresson geopfert worden, 1994 sollte er in Bonn erneut in die Schlagzeilen geraten. Er hatte sich in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten anscheinend kritisch über die Bundesregierung und den Aussenminister geäußert, leider hielt die Quelle nicht dicht, sondern suchte die Schlagzeile! Folge war ein wütender Bundeskanzler, der François Scheer am liebsten sofort nach Paris schicken wollte. Nur, eine Erklärung des Botschafters des engsten Partners zur „persona non grata“ hätte leicht dazu geführt, dass dieser professionelle Bock seines Pressereferenten außer Kontrolle geraten würde. Bundesaußenminister Klaus Kinkel wie auch ich versuchten den Kanzler zu besänftigen und die Affäre tiefer zu hängen. Der Kompromiss bestand am Ende darin, dass er in das Auswärtige Amt „einbestellt“ wurde. François Scheer hielt sich danach gegenüber der Öffentlichkeit sehr zurück, die Gespräche mit diesem kritischen, nach außen ohnehin kühlen Geist habe ich immer geschätzt – er hatte das Glück, wie seine Vorgänger um sich eine exzellente Mannschaft zu wissen. Die Verbindung in das Kanzleramt wurde damals in diskreter, informeller Weise von Claude-France Arnould gehalten, spätere Chefin der Europäischen Verteidigungsagentur EDA und Botschafterin in Belgien. Die französische Schule war „schuld“ an dieser besonderen Schiene. Meine Frau und ich waren mit der Schule dank unserer Kinder, dank der Tätigkeit meiner Frau und meiner Funktion in der Führung durch die Elternschaft eng verbunden. Wir lernten uns auf diese Weise kennen und schätzen. Sie wurde in jenen Jahren zu einer unserer besten Freundinnen und so entstand zugleich ein informeller, effizienter Kanal zwischen der Botschaft und mir.