Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa

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Nuklearpolitik und Iran

Damals war die Bundesrepublik Deutschland unter Bundeskanzler Helmut Schmidt unter amerikanischem Beschuss, hatte sie doch die Lieferung von Kernkraftwerken und umfassenden Systemen in Länder auf das Gleis gesetzt, die den Kernwaffensperrvertrag zwar unterzeichnet hatten, aber dennoch zugleich lange Jahre verdeckt oder offen auch nukleare militärische Ambitionen hegten oder, vorsichtig gesagt, zu hegen schienen. Länder wie Brasilien, Argentinien und Iran – und viele andere – standen Schlange, um Kernkraftwerke „Made in Germany“ zu kaufen.

Sie wollten letztlich den gesamten nuklearen Kreislauf beherrschen, von der Urananreicherung über die zivile Nutzung der Kernenergie bis hin zur Wiederaufarbeitung. Und gerade in der Anreicherung wie Wiederaufarbeitung liegen die möglichen Weichenstellungen, Kernwaffen zu entwickeln.

Die Bundesregierung war ernsthaft bemüht, durch Mitarbeit und Anwendung von international erarbeiteten Kontrollmechanismen, den sog. „Nuclear supplier guidelines“, solche Möglichkeiten zu reduzieren, wenn nicht auszuschließen. Und schon damals war ich bestürzt über manche Naivität in dieser hoch sensiblen Materie, nicht zuletzt seitens der Wirtschaft. Der Problemfall war 1977 nicht der Iran, sondern vielmehr Libyen. Allen Ernstes meinte damals eine namhafte deutsche Firma, die Bundesregierung werde ihr den Export ausgerechnet in dieses Land genehmigen!

Apropos Iran – erst über die Jahre habe ich erfahren müssen, dass dessen Wirtschaft und Industrie in sensiblen Bereichen, einschließlich der Nuklearwirtschaft, unter dem Schah nicht nur von Deutschland, sondern vor allem von den Amerikanern und Franzosen, aber auch von den Israelis gefördert worden war. Und „unter dem Tisch“ wussten die Beteiligten schon damals, dass es dem Schah auch um das Potential von Kernwaffen ging! Sie förderten auch insoweit den Iran, ob bewusst oder unbewusst, will ich dahingestellt sein lassen. Und es ist daher wenig verwunderlich, dass gerade die Beziehungen insbesondere zu Israel und den USA mit dem Iran nach 1979 nicht abrupt abrissen und die „Wirtschaft“ mit Duldung seitens der Politik immer wieder Wege für die Umgehung von Embargo-Bestimmungen fand.

Unter dem Titel „Der Feind meines Feindes – Geschichte einer seltsamen Freundschaft“ hat vor einiger Zeit ein deutscher Wissenschaftler anschaulich auf Grundlage öffentlich zugänglicher Quellen dieses komplexe, geschichtlich belastete Verhältnis beschrieben. Ich ahnte nicht, dass die Entwicklung dieser Region und dieses Land mich in Zukunft immer wieder beschäftigen sollte. Heute scheint mir, dass es uns in Deutschland wie in Europa an strategischem Denken und Zugang gegenüber diesem Land wie der Region insgesamt fehlt.

Kernenergie an der deutsch-französischen Grenze

Nuklearpolitik war naturgemäß zugleich auch Innenpolitik. Und in den 70er Jahren begann sich in Deutschland das Ende der Verwendung, zumindest zusätzlicher Nutzung der Kernenergie abzuzeichnen. Es gab in Deutschland in der Bevölkerung im Gegensatz zum Nachbarn Frankreich keine Mehrheit für die Nutzung der Kernenergie. Damals scheiterte im badischen Whyl der letzte geplante Neubau eines Kernkraftwerkes aufgrund anhaltender Demonstrationen.

Man darf nicht vergessen, woher die Demonstranten damals „gefüttert“ und unterstützt wurden: aus dem gegenüberliegenden Elsass, wo es gegen die einzige dortige Kernkraftanlage in Fessenheim und angesichts ihrer regelmäßigen Störanfälligkeit oft genug Proteste gegeben hatte, die aber von der französischen „Obrigkeit“ im Keime erstickt wurden. Auf deutscher Seite war halt vieles leichter.

Ich hatte zwei Jahre zuvor bei meinem ENA-Praktikum an der Regionalpräfektur in Metz die geräuschlose Ingangsetzung der Verfahren zum Bau des Kernkraftwerks Cattenom in Lothringen an der Mosel miterlebt: durch „Aushang“ an den zuständigen örtlichen Stellen. Die Nachbarn Luxemburg und Saarland – das Kraftwerk ist 10 bzw. 20 km von der Grenze entfernt! – wurden sorgfältig ferngehalten und erst nach Jahren immer wieder vorgetragener Proteste immerhin in die Notfallplanung miteinbezogen.

In gewisser Weise sind Fessenheim und Cattenom bis heute Stein des Anstoßes in Deutschland, vor allem in den Grenzregionen. Zusammen mit Tschernobyl und Fukushima haben sie dazu beigetragen, dass die Nuklear-Skepsis in Deutschland zugenommen hat und Frankreich und Deutschland in der Energiepolitik auseinandergedriftet sind.

Ahnen konnte ich damals nicht, dass mich Jahre später als Aufsichtsrat eines deutschen bekannten Energieversorgers – EnBW, Energie Baden-Württemberg – Kernenergie wieder beschäftigen würde und zudem eine alte Bekannte aus dem Elysée in Paris mich dazu einladen wollte, wieder in die Nuklear-Politik einzusteigen. Sie bot mir die Leitung dessen an, was in Deutschland von der Kraftwerk Union, der KWU geblieben war, der ich einst als Praktikant verbunden war. Ich habe, Gott sei Dank, noch rechtzeitig die Falle bemerkt und abgewunken! Sie suchte in Wahrheit, und zwar unter Umgehung und wohl gegen den Willen des deutschen Mitaktionärs Siemens einen deutschen „Abwickler“ oder „Sündenbock“ für das Scheitern nuklearer Zusammenarbeit.

Diese erste Praxiserfahrung im Auswärtigen Amt brachte mich mit zwei Lehrmeistern zusammen, die meinen Weg beeinflussen sollten, einerseits mit Werner Rouget als meinem Referatsleiter, dessen Erinnerungen ich 1997 nach seinem viel zu frühen Tod gemeinsam mit dem Frankreich-Kenner Ernst Weisenfeld herausgegeben habe1, und andererseits mit Hanns-Werner Lautenschlager, dem späteren langjährigen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes; damals war er „noch“ mein Abteilungsleiter.

Erster Aufenthalt in Madrid

Ähnlich spannend waren einige Monate an der Botschaft in Madrid. Vertiefung der spanischen Sprachkenntnisse war die Zielsetzung, doch weitaus interessanter war es, erstmals – und das ohne Verantwortung – eine Botschaft in der Praxis kennen zu lernen und vor allem Spanien auf seinen ersten Schritten Richtung Demokratie nach dem Tode Francos näher zu beobachten.

Dank des von der Botschaft engagierten Sprachlehrers hatten wir die Chance, den ersten Persönlichkeiten dieser jungen Demokratie, auf der rechten wie auf der linken Seite, zu begegnen oder zum Schrecken der Botschaft dank spanischer Studenten aus dem Umkreis der Sozialisten die erste große Demonstration der spanischen KP aus unmittelbarer Nähe mitzuerleben. Die spanische Kommunistische Partei wollte damals den Regierenden zeigen, dass sie unverändert in der Lage ist, Massen zu mobilisieren. Es waren 500.000 Menschen an der Plaza Colon in Madrid und über dem Platz kreiste lange Zeit ein Militär-Hubschrauber. Erst längere Zeit danach wurde bekannt, dass der spanische König die Machtdemonstration der KP „von oben“ beobachtete. Der Botschafter selbst schien entsetzt über eine solche „Naivität“ der Jung-Diplomaten, wir konnten so aber die Stimmung und Herausbildung einer jungen und zugleich wehrhaften Demokratie miterleben.

Es war für mich als jungen Attaché zugleich faszinierend, mit einem Mann der konservativen Rechten, Manuel Fraga Iribarne, über seinen Verfassungsentwurf diskutieren zu dürfen, der (sehr) der Verfassung der V. Republik in Frankreich nachgebildet schien, oder eben mit jungen Sozialisten um Felipe Gonzalez an langen Abenden über den Weg Deutschlands nach dem Kriege und den der deutschen Sozialdemokratie zu disputieren. Ich verstand nicht, wie die deutsche Politik – mit Ausnahme von Willy Brandt – gerade dieses Talent einschätzte. Dieses Land sollte mich auch in der Folge nie mehr loslassen.

Einblick in eine andere Welt: Arabisch-Kurs in Kairo

Meine Neugierde für die arabische Sprache hatte mir zudem nach einem einjährigen abendlichen „Schnupperkurs“ an der Universität in Bonn einige Monate Intensivkurs an der Botschaft Kairo beschert, den Einblick in eine andere Welt, in ein anderes Denken, in eine andere Kultur. An sich sollte es damals für einige Monate in den Libanon gehen in eine der anerkanntesten Sprachschulen in Shemlan – der aufkommende Bürgerkrieg hatte die Schule aber gezwungen, nach Kairo auszuweichen.

„Total immersion“ nennt man in der Fachsprache einen solchen Kurs – täglich 6 Stunden Sprachunterricht, daneben eine nur sehr lockere Anbindung an die Botschaft, dafür in größerer Intensität der Einblick in das Leben dieser Millionenstadt, im Grunde kulturell weniger arabisch, denn ägyptisch geprägt. Daraus wurde zugleich ein echter, ungeschminkter Einblick in das politische und gesellschaftliche Leben Kairos, einschließlich der religiösen Grundfragen, eine Möglichkeit, die wir als Mitarbeiter der Botschaft nicht in der gleichen Weise erhalten hätten.

Es waren faszinierende Monate in einem sich langsam öffnendem Lande, ein erster Einblick in eine gänzlich andere Welt – ungemein lehrreiche Monate, von denen ich bis in die jüngste Zeit profitieren sollte.

Es war zugleich die Neugierde für diesen geopolitisch und nachbarschaftlich für Europa so wichtigen Raum, die vielleicht mitursächlich für die erste längerfristige Verwendung wurde: Algier, die erste klassische, nicht minder lehrreiche Auslandsverwendung mit dem schwierigen Lernposten Algier als Leiter des Rechts- und Konsular- sowie des Kulturreferats – eine überraschende Postenkombination, die mich zunächst einmal nachdenklich machen musste.

2. Lehrjahre in Algier: 1978–81

August 1978, Ankunft in Algier, eine Hauptstadt im Leerlauf, ja fast in Agonie, Zeit des Ramadan, nicht nur! Ein Land in der Erwartung des Todes seines langjährigen Präsidenten Houari Boumédiène – und parallel wurde anscheinend ohne Ende zwischen den Spitzen der Armee und der Einheitspartei FLN über die Nachfolge verhandelt …

 

Dass das junge Land 15 Jahre nach Erlangung seiner Unabhängigkeit und einem erbitterten Krieg mit seinem Mutterland Frankreich noch nicht im Reinen sein konnte, konnte nicht erstaunen – dass dies heute, über 50 Jahre nach der Unabhängigkeit immer noch nicht der Fall ist, muss indes verwundern.

Dass das Land – oder besser gesagt, die Führer von Armee und der legendären Staatspartei FLN – sich 1978 schwertaten, einen Nachfolger für den langjährigen Präsidenten zu küren, schien noch verständlich. Aber dass das Land 35 Jahre später den kranken Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika – der schon zu meiner Zeit zur Führung gehörte – sanft überreden musste, mangels Einigung über einen Nachfolger wie auch wohl, so bedeuteten mir Insider, mangels Verständigung über die Sicherheitskautelen für seine Familie weiter im Amt zu bleiben, musste zu ernsten Bedenken führen!

Auch nach dem Tode Bouteflikas und der Wahl eines neuen Präsidenten bleibt das Land in einer labilen Lage. Es gelingt der Führung nicht, die Demonstrationen und Rufe nach mehr Demokratie und Gerechtigkeit zu befriedigen. Die Armee als wesentliches herrschendes Führungselement scheut sich vor überfälligen Reformen und Schritten zu mehr Demokratie. Dies in einem Land, das von den Naturschätzen zu den reichsten Ländern der Welt gehört, das aber systembedingt nur schwer vom Fleck kommt.

Liegt dies an dem Trauma der durch den Kampf gegen den extremen Islamismus verlorenen 90er Jahre oder eben an jenem „historischen“ Kompromiss zwischen Armee und politischer Führung, verkörpert durch die FLN, die sich in Wahrheit überlebt haben scheint, und auf der anderen Seite „gemäßigten“ Islamisten, die ihren Einfluss mehr und mehr ausbreiten? Kritiker werfen dem „Regime“ vor, zum Schaden des Landes die Gesellschaft – vor allem mit der schleichenden Übernahme des Bildungsbereichs – letztlich den Islamisten zu überlassen. Oder spielt nicht doch noch in den Hinterköpfen vieler in Algerien das nach wie vor durch latente Spannungen und Missverständnisse beherrschte Verhältnis zum kolonialen Mutterland Frankreich eine besondere Rolle? Die Ereignisse des Jahres 2019 und die spürbare Angst vor einem demokratischen Wandel haben dies nachdrücklich unterstrichen.

Algier wurde ab August 1978 für mich nicht nur zum idealen Ort gründlicher, unkonventioneller Ausbildung in allen wesentlichen Bereichen der Diplomatie, sondern auch zum Ort der ersten nahen Begegnung mit der deutschen Politik, mit meinem Dienstherrn Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Ich hatte zwei Botschaften im Schnupperkurs erlebt – Kairo und Madrid. Mein Vorgänger war schon nach Bonn zurückversetzt, mein Vertreter – der Pressereferent – stellte mir kurz die Mannschaft vor, verwies auf die wesentlichen Arbeitsbereiche und wünschte mir viel Glück bei der Einarbeitung. Auf „meinen“ ersten Botschafter hatte ich mich etwas vorbereitet. Es war Michael Jovy, bekannt durch den Widerstand gegen das NS-Regime, ein unkonventioneller, recht lockerer Botschafter, der mir alle Freiheit lassen sollte, in Notfällen sei er da.

Konsularalltag

In Algier lernte ich die kleinen und großen täglichen Probleme des Konsularalltags in einem gewiss nicht leichten Umfeld kennen. Da standen täglich bis zu 200 Algerier vor der Tür des Konsulates bei Sonne oder Regen, die um ein Visum nach Deutschland anstanden.

Die Technik war damals lange nicht so weit wie heute und wir Konsuln aus dem heutigen Schengen-Bereich überlegten uns offen, wie wir uns gegenseitig helfen könnten – z.B. um zu vermeiden, dass in einem Land „unerwünschte“ Gäste über den Nachbarn dann doch bei uns oder in Frankreich bzw. Belgien und den Niederlanden einreisen würden. Wir tauschten uns „auf der Arbeitsebene“ aus, führten informell „Warnlisten“ über Problemfälle. Ich händigte den Nachbarn die deutschen Fahndungsbücher der Vorwoche aus. Nicht alle in Bonn mochten diese unkonventionelle Methode der Zusammenarbeit. Ich wurde gerügt, hatte ich doch zwei befreundeten Ländern, die zugleich NATO- und EG-Partner waren, die vorherigen Ausgaben dieses dicken Werkes überlassen, das für die Erteilung von Sichtvermerken unsere Rückversicherung bildete und leider einen besonderen Stempel trug „VS-Nur für den Dienstgebrauch“!

Algerien war zudem Anwalt aller Befreiungsbewegungen, in erster Linie auf dem afrikanischen Kontinent. Und dazu gehörte auch die „Frente Polisario“, politische Bewegung zur „Befreiung der West-Sahara“ von Marokko, offiziell R.A.S.D. genannt – eine Bewegung, die ohne nachhaltige algerische Unterstützung, die in erster Linie aus der Gegnerschaft zum Nachbarn Marokko gegründet war, nie eine internationale Bedeutung erlangt hätte. Die Führung der „Frente Polisario“ war mit algerischen Diplomatenpässen unter Phantasie-Namen, zum Teil ohne Geburtsdatum ausgestattet – nun gut, wir wie auch andere stellten bald fest, wer aus der Spitze konkret dahinter steckte, und wir konnten Bonn wie die anderen Hauptstädte konkret und diskret fragen, ob die Einreise des einen oder anderen erwünscht war.

Hilfe für Deutsche

In der Konsulararbeit ging es aber nicht nur um die Ausstellung von Sichtvermerken, den Visa, zur Einreise nach Deutschland, sondern auch oft genug um das Schicksal von Familien, von deutschen Frauen und Kindern in Not bis schließlich hin zu Deutschen aus der DDR. Es gab damals Tausende von DDR-Deutschen, die in Algerien arbeiteten, von denen eine nicht unerhebliche Zahl in den Westen wollte und die nach Algerien gegangen waren, da sie sich von dort eine leichtere Ausreise erhofft hatten.

„Fluchthilfe“ oder Hilfe für Deutsche in der Not, wie damit in der Praxis umgehen, wie helfen – und inwieweit ohnmächtig zuschauen? „Nothilfe“, zuweilen mit Risiko, oder wegschauend resignieren – und sich dabei möglichst konform mit den Regeln der Diplomatie zu verhalten? Wir haben damals getan, was wir konnten, und gingen zuweilen an die Grenzen dessen, was diplomatisch noch vertretbar schien. Auf Seiten der Algerier, vor allem bei der Gründergeneration, bestand eher eine Tendenz, gegenüber uns doch im Zweifel ein Auge zuzudrücken. Hans Jürgen Wischnewski, dem legendären Ben Wisch sei gedankt!

Bei meinem Abschiedsbesuch beim Leiter der Konsularabteilung des algerischen Außenministeriums bedeutete mir dieser beim Spaziergang durch den Park, man hätte angesichts unserer Aktivitäten öfters unter Druck der DDR gestanden, der Botschaft wie auch mir persönlich habe man aber nichts nachweisen können – und ich sei ja als Freund des Landes erachtet worden.

Eine Beurteilung, die ich wohl den regelmäßigen Kontakten zu führenden Militärs und dem meiner Frau zu dem Bürgermeister des Vorortes von Algier, in dem wir wohnten, zu verdanken hatte. Sie hatte ihn bei der Suche nach einer gesicherten Wasser-Versorgung kennen gelernt, und er gehörte zur Mannschaft der ersten Stunde der Unabhängigkeit unter Ahmed Ben Bella! Er war politisch in Ungnade gefallen, verfügte aber aufgrund seiner Vergangenheit über eine gewisse „Narrenfreiheit“. Er gehörte zu dem Kreis von Persönlichkeiten, die mir das innere Gefüge Algeriens erklärten und Türen öffneten!

Dieser Schutz galt leider nicht für einen Mitarbeiter im Konsulat, der infolge von Vorhaltungen seitens der DDR als „persona non grata“ das Land verlassen musste – freilich mit einer Frist von einer Woche.

Schutz für Deutsche bedeutete immer wieder größte Flexibilität im Umgang auch mit unseren Gastgebern, die im Reflex deutsch-freundlich, aber in manchen Dingen knüppelhart sein konnten. So „verhafteten“ sie den – aus Österreich stammenden – Vorstandschef eines bekannten deutschen Unternehmens samt seinem Mitarbeiter. Es war aber nicht die Justiz, sondern die allseits gefürchtete „Sécurité militaire“. Anscheinend ging es um „Bestechung“, angeblich einer Gruppe, der dies nicht zustehen sollte. Erst als dies korrigiert worden war, wurde er frei gelassen. Und für seinen Mitarbeiter bildeten meine Frau und unser gerade einjähriger jüngster Sohn bis zur Ausreise den bestmöglichen Schutz: er wich völlig verängstigt im Hotel bis zu seiner Ausreise den beiden nicht von der Seite.

Hilfreich hatte sich damals ein Franzose, offiziell Mitglied der Botschaft, erwiesen. Er sprach mich an der französischen Schule auf dem Parkplatz beim Abholen unserer Kinder an und gab mir regelrecht Handlungsanweisungen, wie ich eingedenk von Erfahrungen der Franzosen schlimmeres verhindern und eine Lösung erreichen könnte. Eine davon war, meinen Botschafter auf schnellst möglichem Wege mit einer Botschaft von Hans Jürgen Wischnewski zu Außenminister Bouteflika zu schicken und ihn um Hilfestellung zu bitten, anders ausgedrückt, auf diese Weise der Führung des Staates klar zu machen: Wir sind an einer Lösung interessiert. Bouteflika gehörte ja als Mitglied des Politbüros der regierenden FLN zum inneren Führungskreis. Erst später erfuhr ich, dass dieser Franzose der Resident des französischen Geheimdienstes war – und es war er, der mir einen Kontakt zum militärischen Sicherheitsdienst, der „Sécurité militaire“, vermittelte, der sich in der Zukunft in schwierigen Lagen als besondere Hilfe erweisen sollte.

Kultur und Presse „Numider und US-Geiseln“

Mein anderes faszinierendes, von vielen Kollegen – und auch von mir lange – unterschätztes Feld war die Kulturarbeit, in Algier im Kern mit einer kleinen deutschen Schule und einem Goethe-Institut, das in einem zensierten Umfeld auf engste Zusammenarbeit mit der Botschaft angewiesen war.

Die hohe Anerkennung der deutschen Archäologen war die Grundlage für die erste große Ausstellung im Ausland, für die sich das Land engagierte: „Die Numider“ im Rheinischen Landesmuseum in Bonn im November 1979.

Daneben war ich in dieser recht kleinen Botschaft Vertreter des Pressereferenten, dessen zweites Standbein die Beobachtung der Innenpolitik war. Und dieser „Nebenjob“ brachte mich zu einem besonderen Erlebnis. Im Januar 1981 hatte sich das Gerücht verdichtet, die in der US-Botschaft in Teheran festgehaltenen 52 Geiseln würden freigelassen, und zwar über Algier nach Deutschland, wo die Amerikaner sie in Empfang nehmen sollten. Folge war die Anwesenheit vieler amerikanischer und europäischer Journalisten, dies in einem Land, das in keiner Weise pressefreundlich war.

Darunter Hanspeter Oschwald, der Algerien für die „dpa“ von Paris mitbetreute und sich zuvor mehrmals umgeschaut hatte. Er entpuppte sich übrigens als einer der besten deutschen Kenner des Vatikans und war für mich in späteren Jahren eine wichtige Quelle zum Verständnis der Gremien der katholischen Kirche.

Nach Tagen vergeblichen Wartens und dem Annähern des algerischen Wochenendes waren wir übereinstimmend der Auffassung, während des Wochenendes werde wohl nichts passieren, er könne nach Paris zurück und ich könnte ihn ja dann, wenn doch notwendig, per „Lockruf“ alarmieren. Nun gut, wir hatten uns kräftig getäuscht – und am Abend des 20. Januar begann das algerische Fernsehen auffällig über die Bemühungen zur Freilassung der Geiseln zu berichten. Und irgendwann kam dann der der politischen Führung und Staatsgästen vorbehaltene Teil des internationalen Flughafens von Algier ins Bild.

Lockruf nach Paris: Es scheint bald loszugehen, bitte viertelstündlich anrufen – und so kommentierte ich in der Nacht am Telefon die Ankunft der 52 Geiseln, deren „Übergabe“ an den stellvertretenden US-Außenminister Warren Christopher – und deren Weiterflug nach Deutschland, was das algerische Fernsehen sorgsam verschwieg oder nicht wissen durfte. Was ich nicht bemerkte, Hanspeter Oschwald schrieb meinen Telefon-Bericht direkt nieder und dieser wurde, selbstverständlich ohne Namensnennung, Grundlage der Eilmeldungen der dpa „aus Algier“. Dies zwei Stunden vor den anderen bekannten internationalen Nachrichtenagenturen, vor allem die Franzosen waren mehr als wütend: Sie hatten wie andere am Flughafen an den wenigen Telefonmöglichkeiten Schlange stehen müssen. Wir waren damals halt noch Teil der „Münzfernsprecher-Generation“, an Mobiltelefon und Internet dachte noch niemand!

Und genauso erstaunlich war es, dass die Algerier und deren „technische Dienste“ diese gut zwei Stunden dauernde telefonische Berichterstattung zu keinem Zeitpunkt störten oder unterbrachen. Wir wussten, dass sie uns abhörten – und ihnen „Mitarbeiter“ aus der DDR als technische Berater hilfreich zur Seite standen. Zuweilen führte dies auch zu skurrilen Folgen, aber diesmal ging es um ein positives Ereignis für das Ansehen des Landes!

 

Meine Frau hatte insofern ein für sie unvergessliches Erlebnis: Sie versuchte nach Deutschland zu telefonieren, was aufgrund der beschränkten Anzahl internationaler Leitungen damals kein leichtes Unterfangen war. Sie wählte immer wieder, kam einfach nicht durch – bis sie auf einmal eine Stimme mit erkennbar sächsischem Unterton hörte: „Warten Sie doch die internationale Tonalität ab“ – das internationale Freizeichen!

Apropos deutsche Rolle bei der Freilassung der Geiseln, damals ahnten wir nicht die besondere Rolle der deutschen Politik in diesem Zusammenhang, sei es von Hans-Dietrich Genscher selbst oder sei es von Gerhard Ritzel, dem damaligen Botschafter in Teheran, der anders als sein Vorgänger die Zeichen der Zeit früh erkannt und Kontakte zu dem neuen Regime angebahnt hatte.