Tödliche Geschwister

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Tödliche Geschwister
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Tödliche Geschwister

Psycho-Thriller

Jo Caminos

Hinweis

Wer die Bücher von Richard Laymon oder die Filme von David Lynch nicht mag, sollte dieses Buch besser nicht lesen …

Es werden Szenen expliziter Gewalt dargestellt. Die Sprache ist stellenweise sehr derb und vulgär. Nicht für Leser und Leserinnen unter 16 Jahren.

Die Handlung ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig. Die Geisterstadt Gunhill Shadows, das Casino Residio in Las Vegas, das Experience Resort in Primm und andere Örtlichkeiten sind eine Erfindung des Autors. Gleiches gilt für ein im Roman genanntes Medikament.

Buch

Sheila hat einen schrecklichen Hass auf ihre Mami. Immer wenn sie an sie denkt, muss sie nach dem Messer greifen, denn Mami, das Miststück, war wieder böse und muss bestraft werden!

Eugene hasst seinen Bruder, denn Preston ist ein Arsch. Und auch der Rest der Familie ist nicht besser. Sie müssen weg, je eher, desto besser.

Während eines Kinobesuchs treffen Sheila und Eugene aufeinander. Schnell erkennen sie, wie ähnlich sie sich sind.

Beide wollen spielen. Beide wollen Spaß. Und spielen und Spaß haben, heißt, andere Menschen bis aufs Blut zu quälen. In Gunhill Shadows, einer Geisterstadt in der Mojave, soll sich das Schicksal von Eugene und Sheila erfüllen - und nicht nur ihres.

Sie sind tödliche Geschwister …

Inhaltsverzeichnis

Tödliche Geschwister

Hinweis

Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

Epilog

Impressum

1. Kapitel

„Gehst du heute Abend mit ins Kino? Da läuft irgendein Gruselschocker. Könnte lustig werden“, meinte Sheila. Sie biss herzhaft in ein Truthahnsandwich, das mit einer Extraportion Mayonnaise, würzigem Dressing, viel Salat und klein geschnippelten Gürkchen belegt war. Es war bereits der dritte Snack - innerhalb der letzten Stunde. An die Fettpölsterchen auf ihrer Hüfte wollte Sheila nicht denken, nicht jetzt, überhaupt nicht in den letzten Tagen. Sie war nicht in Stimmung, sich über ihr Aussehen Gedanken zu machen. Sie war fett, würde fett bleiben - Punkt. Etwas Mayonnaise tropfte ihr auf die Hand. Sie schleckte das Dressing genüsslich ab und lächelte verzückt. Bringt mich irgendwann um, das fette Zeug … Scheißegal. Sheila war auf Diät, wieder mal. Zuerst hungerte sie, bis sie sich fast nicht mehr auf den Beinen halten konnte - und kurze Zeit später stopfte sie so lange alles Essbare in sich hinein, bis die alte Schwergewichtsnorm wieder erreicht war. Es war das alte Spiel. Angefangen hatte es in der Kindheit, als ihre Mutter meinte: „Fette Mädchen finden keinen Mann, Sheila, Darling, also hör endlich auf, dich vollzustopfen. Das ist widerlich. Und widerliche fette Mädchen hat niemand lieb …“ Margaux Yannovich-Elba, Sheilas Mutter, war eine sehr gut aussehende Frau, die leider kinderlos geblieben war. Sie hatte ihren letzten Ehemann, wie auch seine drei Vorgänger, zum Teufel gejagt. Vor allem war sie reich - nicht nur einfach reich, sondern so richtig. Irgendwann kam diese reiche, einsame Frau auf den Gedanken, ein Kind zu adoptieren. Kein Baby, denn, wenn Margaux eines nicht ausstehen konnte, dann war das der Gestank voller Windeln - da kam das vierjährige Mädchen aus dem Waisenhaus gerade richtig. Ein süßes Mädchen mit Stupsnase und Sommersprossen, mit langen Zöpfen und großen blauen Augen. Sheila war Margauxs ein und alles. Sie vergötterte dieses Kind, zumindest so lange, bis sich das süße Mädchen in einen ziemlich unansehnlichen Teenager verwandelte.

Ja, dachte Sheila. Für einen Moment erschien ihr das Gesicht ihrer Mutter vor ihrem inneren Auge. Sie hörte auf zu kauen. Stimmen. Wieder diese verfluchten Stimmen. Ihr Blick ging ins Leere. Auch du warst widerlich, allerliebste Mami. Später, als ich nicht mehr das hübsche Mädchen war, sondern die fette Tonne. So widerlich zu deinem Kind. Zumindest so lange, bis ich dir dann endlich die Kehle durchgeschnitten habe. Schade, dass du dein blödes Gesicht in jenem Augenblick nicht selbst hast sehen können. Das war wirklich so was von abgedreht!

Stimmen, Gewisper. Lauter, eindringlicher.

„Aber Sheila, Darling, was machst du denn da …?“ Und Blubberblubber quoll dann das Blut aus diesem schnell gesetzten Schnitt an deiner Kehle. Welch eine Verschwendung, dass du kurz zuvor so viel Geld auf der Schönheitsfarm gelassen hast, nicht wahr? Alles für die Katz, allerliebste, böse Mami. Du hast geröchelt und ziemlich komisch geguckt. Und es hat nicht mehr lange gedauert, dann warst du tot. Fast schade, dass es so schnell zu Ende ging. Man kann eben nicht alles haben … Ja, allerliebste Mami, so einfach habe ich dich ins Jenseits befördert, wie einen alten Müllsack, den man schnellstmöglich loswerden will. Ha!

 

Sheilas Blick klärte sich von einem Moment auf den anderen. Sie biss erneut in das Truthahnsandwich und kaute genüsslich vor sich hin.

„Was hast du eben gefragt?“ Sandra, ihre Mitbewohnerin und Fast-Lebenspartnerin, öffnete die Badezimmertür und sah in den Wohnraum des geräumigen Apartments. Vorsichtig betupfte sie ihr langes schwarzes Haar mit einem Handtuch. Nur nicht rubbeln, das gibt Spliss! Sandras Augen wurden groß, als sie feststellte, dass Sheila sich schon wieder einen Snack genehmigte. „Isst du etwa schon wieder? Ich dachte, du willst Diät halten? Wenn du so weitermachst, passt du bald in keine der Jeans mehr rein … Bei deinen engen Shirts sieht man jedes Speckröllchen, also schön ist das nicht …“

Sheila zuckte nur mit den Achseln und mampfte genüsslich weiter vor sich hin. „Nerv nicht! Ich bin fett, na und? Du liebst mich ja sowie so nicht. Ich fragte, ob wir nachher ins Kino gehen sollen. Da läuft ein Gruselschocker.“

Sandra verdrehte die Augen. „Kino, heute? Und ausgerechnet ein Gruselschocker. Pfft … Och, Sheila … Heute ist Freitagabend. Und was ist mit Mickey´s Bar? Angelo und der süße Pjotr haben sich doch für heute Abend angekündigt, das weißt du doch.“

Jetzt war es an Sheila, die Augen zu verdrehen. „Pjotr …, wenn ich den Namen schon höre! Das Bübchen ist doch der Langweiler in Person. Und Angelo nervt mich mit seiner blöden Anmache. Der kriegt es einfach nicht geregelt, dass ich nichts von ihm will. Nein, darauf kann ich verzichten. Aber wenn du unbedingt mit den beiden Nieten abhängen willst … Ich kann auch alleine ins Kino gehen.“

Sandra wusste, was Sache war, wenn Sheila diesen bestimmten Tonfall anschlug: Entweder sie würde schmollen und für den Rest des Wochenendes kein Wort mit ihr wechseln - oder aber sie bekam einen ihrer berüchtigten Wutanfälle, bei dem etliches an Porzellan zu Bruch gehen konnte. Sie sah Sheila nachdenklich an. Ihre Freundin hatte manchmal einen derart komischen Blick, dass einem ganz anders werden konnte. Fast so, als wollte sie einem an die Kehle gehen.

„Was für ein Gruselschinken läuft denn?“, fragte sie schließlich und hoffte, halbwegs interessiert zu klingen.

Lunatics on Highway 61“, erwiderte Sheila. Ein sarkastisches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Na, noch immer nicht interessiert …?“

Sandras Augen wurden groß. „Etwa der neue Film mit Earl Goldstein - dem Earl Goldstein! Meinem Earl Goldstein!“

Sheila verdrehte die Augen. Sandra bekam sich fast nicht wieder ein. Seit Goldstein die Arztserie auf NBC verlassen hatte und mehrere Erfolge auf der großen Leinwand verbuchen konnte, war sie hoffnungslos in den Schauspieler verliebt.

Sheila grinste breit. „Ja - mit deinem Earl Goldstein. Der Kerl bekommt doch außer Horrorrollen nichts mehr angeboten, Herzchen.“ Sie wusste, dass Sandra es nicht leiden konnte, wenn man Goldstein kritisierte, dabei waren sich die Filmkritiker längst einig, dass dessen Glanzzeit schon lange vorbei war.

Sandra zog eine Schnute. „Earl hatte ein paar Flops, aber das heißt ja noch lange nicht, dass er weg vom Fenster ist. Die anderen Filme waren alle Kassenerfolge. Na ja, fast. Er legt halt Wert auf Qualität, und die liegt leider oft etwas jenseits des Mainstream-Geschmacks. Abgesehen davon: Ich finde ihn halt süß. Der ist so sexy, so … Uhhh, ich weiß auch nicht. Da werde ich ganz kribbelig …“

Sheila seufzte. „Wenn du meinst. Also, was ist nun? Gehen wir ins Kino - oder was …?“

Sandra zögerte einen Moment. Schließlich zuckte sie mit den Achseln. Sie war fast pleite, und wenn ihre Freundin ihr jetzt den Geldhahn abdrehte, könnte es bis Monatsende doch ziemlich knapp werden. „Gut, geh´n wir ins Kino. Wenn ich ehrlich bin, habe ich heute Abend auch keine Lust auf irgendwelche Kerle. Die wollen einen ja doch nur flachlegen. Aber später gehen wir dann noch Pizza essen … Mir knurrt nämlich der Magen.“

„Willst du mich mästen?“ Sheila grinste. Etwas Mayonnaise hing ihr zwischen den Zähnen, aber so etwas hatte sie noch nie gestört.

„Dafür sorgst du schon selber“, meinte Sandra nur. „Was kann ich dafür, dass du immer am Essen bist? Ich habe seit heute Mittag nichts mehr zwischen die Zähne bekommen. Und auf Trockenbrot habe ich echt keine Lust. Ich föhne jetzt meine Haare fertig. Iss du dein Sandwich, und störe mich die nächste halbe Stunde nicht. Nägel muss ich auch noch lackieren.“

„Dann mach dich mal hübsch. Ist bei mir sowieso zwecklos.“ Sheila legte den Rest des angebrochenen Sandwichs achtlos auf den Teller zurück. Sandra hatte die Tür zum Badezimmer hinter sich geschlossen. Der Föhn machte einen Heidenkrach. Sandra sang ziemlich laut und falsch irgendeinen Song. Es klang ziemlich schräg, aber so war Sandra eben. Sheila erhob sich ächzend von der Couch und trat ans Fenster. Ihr Spiegelbild ekelte sie an. Fett, überall Fett … Langsam wurde es draußen dunkel. Es war Zeit, die Zelte hier abzubrechen. Sandra wurde langsam lästig. So etwas konnte Sheila nicht ausstehen. Es war schon einige Zeit her, dass sie jemanden ins Jenseits befördert hatte. Als sie Sandra vor zwei Jahren kennengelernt hatte, war sie der Meinung gewesen, ihren seltsamen Trieb endlich im Griff zu haben, aber offensichtlich hatte sie sich geirrt. Wie auch …, dachte sie, so etwas vergeht nie. Das ist ganz tief in dir drin. Für einen Moment glaubte sie, wieder Stimmen zu hören. Ein Wispern nur. Tue es endlich! Tue es endlich! Sheilas Gesicht glich einer Maske. Vor ihrem inneren Auge erschien Sandra - es war zu der Zeit, als sie sich kennenlernten. Sandra war unglaublich charmant. Ich mag dich, sagte sie irgendwann. Sheila glaubte ihr - damals. Das war vorbei. Sandra war nicht zu trauen. Sie war nur auf sich selbst fixiert, brauchte jemand, der sie aushielt, das war alles.

Sandra hatte nur mit ihr gespielt, dessen war sie sich mittlerweile sicher. Ihre Freundin stand nun einmal auf Männer. Da waren alle weiteren Versuche zwecklos, sie bekehren zu wollen. Aber Sandra würde leiden. Ja, das würde sie. Einmal zu oft hatte sie so getan, als wäre sie an ihr - Sheila - interessiert, dabei war es doch immer nur um die Monatsmiete gegangen. Sandra war permanent blank: zu viele Klamotten, zu viel Modeschmuck, zu viel Chaos bei ihren finanziellen Planungen … Ja, die Zeit war gekommen, Sandra Domenico eine Lektion zu erteilen. Heute, nach dem Kino. Oder während der Vorstellung. Oh ja, der Gedanke gefiel Sheila. Während der Vorstellung würde sie Sandra die Kehle durchschneiden. Ganz genüsslich. Guck mal, Schatz - Überraschung … Ein schneller Schnitt im Dunkeln, wenn das Publikum gebannt auf die Leinwand starrte. Danach würde sie sich aufs Klo verdrücken und warten, bis man Sandras Leiche entdeckt hätte. Wenn die ersten Schreie erklangen, würde sie in den Kinosaal zurückrennen und entsetzt schreien, lauter als alle anderen. Man musste ja so tun, als wäre man völlig durch den Wind, wenn der besten Freundin, die Kehle durchgeschnitten worden war, nicht wahr? Wenn alles so lief, wie sie es sich ausmalte, würde sie regelrecht aus den Latschen kippen. „Meine Sandra ist tot. Meine geliebte Sandra! Meine beste Freundin …“ Oh großes Geheul, oh süßer Schmerz.

Sheila griff nach dem Rest des Sandwichs und biss herzhaft hinein. Fett, fetter, am fettesten - na und? Die Vorstellung, jemandem die Kehle durchzuschneiden, machte sie immer so unglaublich hungrig. Wie sollte man da auf Diät bleiben …?

2. Kapitel

„Sheila, Sandra, huhu!“

Die dicke Frau, zu der die Stimme gehörte, schmiegte sich an einen hageren Mann und winkte begeistert. Sie hieß Trish Mulligan, trug ein Designerkostüm, das ihre Rundungen nicht unbedingt vorteilhaft zur Geltung brachte, und war Inhaberin einer gut gehenden Werbeagentur und darüber hinaus eines der geschwätzigsten Weiber der Stadt. Zumindest dachte Sheila so über die Unternehmerin. Sie mochte Trish nicht. Vielleicht lag es daran, dass Sandra ständig bei Trish herumhing und um einen Job bettelte. Sandra hatte irgendwann einmal Grafikdesign studiert - behauptete sie zumindest, allerdings hatte Sheila noch nie ihr Diplom zu Gesicht bekommen.

„Oh Gott, komm, verschwinden wir ins Kino, das ist Trish Mulligan“, drängte Sheila. Sie zog an Sandras Ärmel, doch es war bereits zu spät. Zielstrebig kam die ziemlich rundliche Trish auf sie zu, den hochgewachsenen, etwas knochig wirkenden Mann im Schlepptau.

„Schaut ihr euch auch Lunatics on Highway 61 an?“ Trish wirkte etwas außer Atem. Sie legte die Hand auf die Brust und seufzte. „Immer diese Rennerei. Ich dachte schon, wir wären zu spät. Ich hasse es, mich durch die Reihen zwängen zu müssen, wenn der Film schon läuft.“ Sie sah mit glänzenden Augen zu dem Mann an ihrer Seite.

„Das ist Eugene. Meine neueste Eroberung - seit einigen Monaten. Sag schön Guten Abend, Eugene!“

Der Mann nickte Sheila und Sandra kurz zu. „Hi …“

Sheila fiel auf, dass Sandra etwas indigniert die Brauen hob.

Die beiden erwiderten den Gruß, kamen aber nicht dazu, weitere Höflichkeitsfloskeln auszutauschen, da Trish wie ein Wasserfall weiterredete. „Also die Kritiken für Lunatics on Highway 61 sind ja megageil. Ich hätte ja nicht gedacht, dass Earl Goldstein noch einmal eine Hauptrolle an Land ziehen würde, nach dem intellektuellen Quatsch, den er da mit den anderen Filmen abgeliefert hat.“ Wieder rang sie nach Atem. „Aber bei Lunatics hatte er wohl den richtigen Riecher. Na ja, er soll ja seinen Agenten gewechselt haben. Was so etwas doch ausmachen kann … Die haben sogar eine Warnung für den Film herausgegeben! Denkt nur! Fast wie damals beim Exorzist. Wer unter Herzproblemen leidet, sollte sich den Film keinesfalls anschauen. Und um die Story gibt es einen Hype wie seinerzeit bei Psycho. Alle Kinobesucher werden gebeten, nichts über die Handlung zu verraten …“ Trish atmete kräftig durch. Ihr Begleiter legte ihr den Arm um die Schulter und lächelte sie an.

„Psycho?“, fragte Sandra.

„Der Film mit der berühmten Duschszene. Bates Motel. Janet Leigh. Hitchcock … Klingelt es jetzt?“, hakte Trish nach, die nicht glauben konnte, dass es jemanden gab, der den Film nicht kannte.

„Ach den alten Schwarzweißschinken meinst du“, begriff Sandra schließlich. „Ich fand den gar nicht so schlimm.“

„Wo habt ihr Plätze?“, fragte Trish übergangslos. Sie schmiegte sich an Eugene, der sie kurz auf das linke Ohr küsste.

„Drittletzte Reihe“, erwiderte Sheila etwas mürrisch. Sie konnte diese blöde Trish nicht leiden. Es war Zeit, hier den Abgang zu machen. Nachher käme Trish noch auf die Idee, vorzuschlagen, nach dem Film etwas gemeinsam unternehmen zu wollen. Das passte ihr überhaupt nicht ins Konzept. Immerhin wollte sie Sandra nachher noch die Kehle durchschneiden. Und dafür brauchte sie keine Zuschauer, zumindest nicht, wenn es geschah. Später, das war etwas anderes …

„Wir sitzen ganz hinten“, meinte Trish. „Da fällt es nicht auf, wenn wir fummeln. Nicht wahr, Eugene, Schätzchen?“ Sie kicherte wie ein Teenager.

Eugene - Schätzchen - erwiderte nichts.

Für einen Moment erschien es Sheila, als hätte sie in seinen Augen etwas all zu Vertrautes bemerkt, ein gewisses Funkeln.

Stimmen, Gewisper. Dunkle Augen, tief und unergründlich.

Aber das musste ein Irrtum sein. Er schien sie nachdenklich anzusehen. Sheila runzelte die Stirn. Ein seltsames Gefühl stieg in ihr hoch. Das kann nicht sein!, durchfuhr es sie, ergriff Sandra bei der Hand und wollte sie mit sich ziehen, als Sandra meinte - natürlich musste sie immer so einen Mist sagen - man könne sich nach dem Film ja vielleicht noch auf ein Bier zusammensetzen. Sheila schluckte, doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Gerne hätte sie Sandra jetzt schon in die Mangel genommen. Ein Fäustchen aufs Äuglein - und dann eine fette Rechte voll in den Magen, damit die blöde Schlampe so richtig zum Kotzen kam. Ja, ja, das wäre gut, das wäre schön! Eine Stimme in Sheila frohlockte vor Erregung. Sie konzentrierte sich, musste im Hier und Jetzt bleiben - vorläufig. Noch war es nicht so weit. Aber bald. Oh, mein Messerchen, oh du, mein geliebtes Messerchen …

 

„Gute Idee. Das wollte ich eben auch vorschlagen. Ach, Sandra - wir müssen uns auch noch über deinen Job unterhalten. Ich glaube, ich habe da was Passendes für dich“, meinte Trish, die Eugene einen verliebten Blick schenkte. Im gleichen Augenblick schien sie ihren Vorschlag schon zu bedauern. „Aber Eugene und ich haben nachher noch etwas anderes vor. Wenn ihr wisst, was …“

„Wissen wir“, entgegnete Sheila schnell. „Also dann, viel Spaß und guten Grusel. Man sieht sich …“ Sie zog Sandra von Trish und Eugene weg.

Nur wenige Leute standen vor dem Eingang des Kinos. Obwohl es Freitagabend war, herrschte nur geringer Publikumsverkehr. Auch im Foyer waren nur wenige Kinobesucher zu sehen.

„Das war vorhin nicht nett von dir“, meinte Sandra etwas pikiert, als Sheila ihr kurze Zeit später die Kinokarte reichte. Sie orientierten sich nach rechts. Lunatics on Highway 61 lief in einem der kleineren Kinosäle, offensichtlich war der Film doch nicht der große Erfolg. Sheila grinste innerlich. Vielleicht gab es auch zu viele Menschen mit Herzproblemen … Wäre doch cool, wenn am Ende der Vorstellung lauter Leichen in den Sesseln hängen würden. Sie musste sich eine Notiz machen, nicht, dass sie diese Idee vergaß - das war Stoff für eine der nächsten Kurzgeschichten - oder ein Roman? Man würde sehen. Sie kicherte. Sandra schenkte ihr einen skeptischen Blick. Ich weiß auch nicht, Sheila wird immer seltsamer. Es wird wirklich Zeit, dass ich ausziehe. Langsam wird sie mir unheimlich. Ein ungefähr achtzehnjähriger Hispano kontrollierte die Karten. Er lächelte Sandra zu, doch als er Sheila erblickte, entglitten ihm förmlich die Gesichtszüge. Fette Tonne, konnte Sheila ihn fast denken hören. Ach, Bubi, dir würde ich auch gerne mit dem Messer helfen. Hier ein feiner Schnitt, da noch einer. Vielleicht klappt´s dann mit der Höflichkeit … Was soll´s? Sie würde heute Abend schon noch auf ihre Kosten kommen. Obwohl - Trish und Eugene saßen in der letzten Reihe … Sheila grollte innerlich. Verdammt, vielleicht würde es heute Abend doch nichts damit werden, Sandra ins Jenseits zu befördern.

Nein, nein, nein - du musst sie loswerden, verdammt! Sheilas Blick ging für einen Moment ins Leere. Sie musste an die Augen des hageren Mannes denken, den Trish im Schlepptau hatte: Eugene, Schätzchen …

„Hast du gehört?“, setzte Sandra nach. „Musst du denn immer so garstig sein? Trishs Werbeagentur läuft wie geschmiert. Ich will es mir mit ihr nicht verderben. Du hast es doch mitbekommen! Bei Trish ist ein Job für mich drin. Dann wäre ich wenigstens nicht mehr ständig pleite. Du hältst mich ja an der kurzen Leine …“

„Sicher, ein gut bezahlter Job wäre was Feines für dich, Herzchen …“, entgegnete Sheila lächelnd. Sie war hier, sie war jetzt, sie war klar. Die Stimmen waren verstummt. Sie strich Sandra sanft über die Wange. Aber nicht mehr in diesem Leben …