Der bittere Weg Teil 1

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Aus der Reihe: Heroin #1
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Der bittere Weg Teil 1
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Jens Otto Holländer

Der bittere Weg Teil 1

Heroin

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Das Ende vom Anfang

Der Anfang-1989

Eine wunderschöne Frau

Der springende Punkt

Ein herrlicher Tag

Und abends Heroin

Rückblick: Wie ich Friseur wurde

Banyuls sur mer

Neue Pläne

In der Fabrik

Die neue Connection

Der neue Job

Mairegen bringt Segen

Die Hochzeit meines Vaters

Entzug

Schlimmer statt besser

Am Wochenende entgiften…

Die öffentliche Szene

Rückfall

Ein neuer Job

Badekur

Bremen

Nochmal Bremen

Quo vadis

Abwärts

Die letzten Monate in Stuttgart 1993

Impressum neobooks

Vorwort

Der bittere Weg

HEROIN

Ich bin ein Junkie. So werden Menschen mit meiner Krankheit normalerweise genannt. Ich fühle mich jedoch weder dreckig, noch als Müll. Beides meint das Wort Junk.

Kung Fu Tsu sagte, es gäbe drei Wege, um zu klugem Handeln zu gelangen.

Durch Nachdenken: der Edelste.

Durch Nachahmung: der Einfachste.

Durch Erfahrung: der Bitterste. Ihn habe ich gewählt.

Dies ist die Schilderung meiner seit 30 Jahren andauernden Opiat Abhängigkeit.

Opiat Abhängigkeit ist, wie Alkoholismus eine Suchterkrankung, entscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt: man kann die Sucht mit Substituten (Substitut=Ersatz),behandeln und damit leben, denn entgegen aller gängigen Presse, sind ärztlich verabreichte Opiate, in der richtigen Dosierung, weder schädlich, noch gefährlich. Sie machen aber abhängig. Damit beschäftigt sich der zweite Teil des Buches. Ich möchte Drogen, insbesondere Opiate, wie Heroin, Methadon oder Polamidon, weder bagatellisieren, noch bewerben. Aber ich will, ohne Vorurteile zu bedienen, aufzeigen, was eine Opiat Abhängigkeit auch sein kann: eine Art zu leben.

Im Gegensatz zu Opium, Haschisch und LSD, oder auch Alkohol, hat Heroin keine rauschhafte, die Realität verzerrende Wirkung. Man fühlt sich einfach wonnig eingepackt, ist leicht euphorisiert und steht über den Dingen, aber im Grunde kann man ganz nüchtern überlegen, denken und handeln. Heroin hat ganz klar antidepressive Wirkung. Würde der dauerhafte Konsum nicht in die Abhängigkeit führen, wäre Heroin für viele, das Antidepressivum erster Wahl.

Nimmt man Heroin täglich, so braucht man mit der Zeit immer mehr und, wenn man körperlich abhängig ist, muss man l täglich Heroin nehmen. Bis man die ersten Entzugssymptome bekommt, vergehen oft Monate des täglichen Konsums. Gerade dies führt öfter dazu, dass man Heroin unterschätzt, denn zu meiner Zeit grassierten noch das Schlagwort: einmal H und du bist drauf. Nicht jeder, der Heroin probiert, wird abhängig. Doch das Suchtpotential, ist durch die stimmungsaufhellende Wirkung und die Schmerzunterdrückung, sehr hoch. Ich glaube, man braucht eine seelische Disposition, um abhängig zu werden. Ich kenne Menschen, die bei mehreren Gelegenheiten Heroin nahmen und von der Wirkung weder sonderlich beeindruckt waren, noch abhängig wurden. Man sollte es aber tunlichst unterlassen, auszuprobieren, zu welchem Typ man gehört.

In einer Gesellschaft, die ihren Bürgern rigoros vorschreibt, mit was sie sich berauschen dürfen und mit was nicht, hat der Kontakt mit illegalen Drogen zur Folge, dass man sich kriminalisiert, dass die Droge teuer und nie rein ist. Das kann bei Heroin zu gefährlichen Überdosierungen führen. Außerdem verhindert diese Stigmatisierung eine objektive Information, Aufklärung und Beratung, über die jeweilige Substanz. Dies hat bei mir dazu beigetragen, dass ich mir erst viel zu spät Hilfe geholt habe.

Mit 16 schnupfte ich erstmalig Heroin. Wenige Minuten nach der Einnahme war mir klar, alles, was ich durch Drogen gesucht hatte, hier war es. Umso vorsichtiger ging ich daher auch mit dem weißen oder meist graubraunen Pulver um. Zehn Jahre lang nahm ich nur alle zwei, drei Monate etwas. Dann entglitt mir die Kontrolle.

Die Zeit meiner Suchterkrankung kann ich rückwirkend in drei Abschnitte aufteilen. Die ersten fünf Jahre, der Weg in die Abhängigkeit waren gewissermaßen die „Lehrjahre“. Eine schmerzhafte Erfahrung, die leicht mit meinem Tod hätte enden können. Dies erzähle ich im ersten Teil. Dann folgten ab 1994 zwölf Jahre unter Substitution, mit Dealen, Beigebrauch, Inhaftierung, Alkohol. Ich nenne sie die „Gesellenjahre“. Ab 2008 gelang es mir recht zügig, mich von Alkohol und Tabak, von Drogen und allen negativen Begleiterscheinungen und Aktivitäten der Sucht zu befreien. Trotz Substitution lebe ich nüchterner, als viele Nichtabhängige. Seit meinem 45. Lebensjahr, verläuft mein Leben einfach nur schön. Ich genieße es ganz bewusst, keinen Stress, keine existentiellen Sorgen zu haben und bei guter Gesundheit zu sein. Nun habe ich die „Meisterwürde“ errungen. Obwohl ich der Sucht eine berufliche Karriere geopfert habe und weit hinter meinen Möglichkeiten geblieben bin, so habe ich aber gelernt, dass die wirklich wichtigen Dinge im Leben, für Geld nicht zu haben sind, und viele schlimme und einsame Zeiten haben es mir ermöglicht, nun zufrieden und bei guter Gesundheit durchs Leben zu gehen und das Leben so anzunehmen, wie ist und zu genießen. Tag für Tag.

Die Vergangenheit? Shit happens.

Hier sind meine Erlebnisse.

Das Ende vom Anfang

Es war brütendheiß. Ich stand am Fenster im Schlafzimmer und wartete auf Anja, die meine Wohnung mieten wollte. Ihre Mutter hatte angerufen und mich auf etwas später vertröstet.

Meine Habseligkeiten, die ich wohl brauchen würde, hatte ich gepackt. Die Wohnung, so gut ich es hin brachte, geputzt. Viel Inventar war nicht mehr drin. Paar Bücher, eine Schrankwand mit Regal, eine kleine Spüle, Kühlschrank, etwas Geschirr, ein großer Karton mit ungeöffneter Post. Eine alte Matratze. Luft.

Nun war ich bereit zur Schlüsselübergabe.

Am kommenden Tag, Montag, sollte meine Entgiftung im Bürgerhospital, Stuttgart, beginnen. Und dann…Therapie.

Aber das war erst Morgen. Paar Stunden blieben mir noch.

Wenn doch die blöde Kuh endlich käme.

Ich hatte Angst vor dem Entzug. Und ich war völlig fertig. Es klingelte.

Mit einem Satz war ich an der Türe und drückte den Türöffner. Er funktionierte noch, oh Wunder. Der Rest der Wohnung war in einem schäbigen Zustand und der völlig abgenutzte Teppichboden, den zu erneuern ich mir beim Einzug vor einem Jahr, vorgenommen hatte, hielt mir täglich vor Augen, wie es um mich und meine Vorsätze stand.

Ich hörte Stimmen. Mit schwerem Gepäck kamen Anja, eine Auszubildende und ihr Begleiter, irgendein Typ, die Treppen hoch.

Wir stellten uns kurz vor, doch ich hörte gar nicht zu. Auf meine Frage, ob alles geklappt hätte, gab mir Anja 1000 DM Kaution. Zehn knisternde blaue Hunderter. Die Sonne ging auf in meinem düsteren Inneren. Nun hatte ich es sehr eilig. Ich hörte nur mit einem Ohr zu, während wir durch die Wohnung gingen und ich paar Fragen beantwortete.

Dann gab ich ihr meinen Schlüsselbund. Nun hatte ich nicht mal mehr einen eigenen Schlüssel in der Tasche.

Mit ein paar Floskeln und einem erzwungenen Lächeln, schnappte ich mir meine Stoff-Leder-Tasche aus Tunesien und verließ die Bude, in der Hoffnung, dass meine Eile nicht zu komisch wirkte. Aber es war ja auch egal. Zwei Stockwerke runter. Es roch muffig und staubig nach Keller. Ich war froh, dort weg zu kommen.

 

Die Hitze traf mich wie ein Hammerschlag. Es war Hochsommer, Sonntagmittag gegen zwei. Es war unglaublich heiß und im Auto kam man fast um vor Hitze. Ich stieg ein und mir brach augenblicklich der Schweiß aus. Jogi, den ich angerufen hatte, nachdem Anja eingetroffen war, hatte schon dagestanden. Wir düsten Richtung Innenstadt.

Dort kauften wir in den nächsten drei, vier Stunden für 800 Mark Kokain und fuhren dazwischen immer wieder zu ihm, wo wir es uns drückten (Injektion). Immer wenn es aus war- wieder ab in die City. Jogi sagte zu mir, ich sei die reinste Drogenvernichtungsmaschine. Ich saß auf seinem Sofa, nackt bis auf die Shorts, schweißüberströmt, mit zerstochenen blutigen Armen und riesen Pupillen. Ich war kurz vor dem Durchdrehen und fühlte die letzten Sicherungen langsam durchbrennen.

Es war ein Zwang weiter zu machen, immer weiter und weiter. Und wieder die Nadel ins Fleisch, auf der hektischen Suche nach einer Vene und dann die wenigen Sekunden, in denen dich das Koks in die Höhe reißt und dann der unbefriedigende totale Absturz. Mit zusammen gebissenen Zähnen saß ich da, keines Gedankens fähig und voller Frust und Gier nach dem nächsten Kick.

Irgendwann waren dann nur noch 200 Mark übrig. Es war gegen Abend, aber noch lange nicht dunkel und wir fuhren nochmal auf die Szene.

Inzwischen herrschte Hochbetrieb, denn sonntags kamen die Leute erst gegen Abend. Es wimmelte von Vermittlern und jeder wollte Dir seinen Schrott andrehen.

Nach einer Weile des Rumschauens, kaufte ich von einem Mädchen, das ich flüchtig kannte für 160 Mark Heroin, offen aus einem Beutel. Das Zeug sah gut aus und roch vielversprechend. Es war ziemlich dunkel und nach ein paar Sekunden auf der Zunge wurde es bitter. Das sah vielversprechend aus, so musste es sein. Sie warnte uns und meinte, das Zeug sei mordsstark. Jaja, winkte ich ab. Blahblah. Das Mädel sah allerdings völlig breit aus

Es dämmerte nun. Ich verabschiedete mich von Jogi. Er war, wie ich voll drauf. Wir kamen zusammen drauf. Ich gab ihm die Hälfte ab, er hatte schon etliche Male für mich bezahlt. Er ging, als würden wir uns morgen wieder sehen, doch ich ahnte, es war ein Abschied für sehr lange.

Bei einem Weihnachtsessen etliche Jahre später erfuhr ich, dass er vor Jahren an einer Überdosis gestorben war. Kein Unfall. Er wollte nicht mehr.

Nachdem Jogi weg war, schluckte ich die bitteren Gedanken runter und schlenderte vom Rotebühl Platz die Tübinger Straße entlang in Richtung Paulinenbrücke, wo es eine öffentlich Toilette gab. Mir war elend. Der bevorstehende Entzug und die anschließende Therapie lagen mir im Magen.

Das gesamte Geld war futsch. 1000 Mark weg. Verballert in paar Stunden. Ich war angespannt und fühlte mich ausgebrannt nach dem Kokainexzess und ich erhoffte mir nur noch einen guten Törn von dem Heroin, bevor ich zu meiner Mutter fahren würde, um dort die letzte Nacht zu verbringen. Der Gedanke ihr noch zu begegnen, gab mir den Rest. Bloß kein Psycho mehr heute. Ab morgen würde Schluss sein, es war nun alles egal. Ich war völlig fertig und ich konnte nicht mehr.

Dann war ich da. Ein paar Penner standen an der Treppe zum Klo runter und laberten mich blöde an. Ich schlappte die Treppe zum Scheißhaus hinunter und hoffte, dass es offen war. Es stank etwas nach Pisse und Zigarettenrauch. Es war offen.

Ich trat ein. Im Vorraum war alles voller Scherben, ein Spiegel war zu Bruch gegangen. Drei offene Zellen. Ich holte am Waschbecken Wasser, suchte mir die sauberste Toilette aus und schloss mich ein.

Einen Esslöffel hatte ich dabei. Mit den kleinen gab ich mich nicht ab. Als ich das H auf den Löffel schüttete, erschrak ich, weil es ganz schön viel war. Aber zwei Drucks? Einen für morgen früh? Nein. Lieber einen richtigen Knaller und überhaupt morgen war Feierabend, also gab ich Ascorbinsäure dazu (Vitamin C Pulver), dann Wasser, rührte mit dem Plastikkäppchen der Kanüle das Gemisch um und kochte es langsam und ganz behutsam auf. Ich war nun ganz ruhig. Vielleicht, nein hoffentlich, der allerletzte Druck. Nach einer halben Minute fing die Lösung an zu köcheln, schäumte kurz auf, voila, fertig. Ein köstlicher Duft breitete sich in der Toilette aus. Leicht säuerlich und so, wie gutes Dope beim aufkochen eben riecht. Als ich die cognacfarbene, leicht ölige Flüssigkeit, durch ein Stückchen von einem Zigarettenfilter in die Spritze aufzog, kamen mir nochmal Bedenken.

Ich stellte ein Bein auf die Schüssel, band den Arm ab und stütze ihn auf das Bein. Klopfte auf die die Stelle im Unterarm, wo ich die Vene vermutete. Und dachte: wenn Du wieder aufwachst, dann gehst Du auf Therapie, und wenn nicht, dann ist es auch o.k. Es war ein ganz unsentimentales Gefühl und ich wusste es war mir ernst. Angst vor dem Tod hatte ich nicht, und das Leben konnte nicht schlimmer werden.

Ich stach die Nadel durch die Haut und traf auf Anhieb eine Vene. Als ich ganz vorsichtig den Kolben anzog, schoss das Blut in einer kleinen, wirbelnden Fontäne in die Spritze und mischte sich mit dem Heroingemisch.

Dann drückte ich mir das Zeug mit einer zügigen Bewegung in die Vene.

Eine warme Welle und eine Euphorie, wie ich es lange nicht gehabt hatte, trugen mich weg. Es wurde immer mehr. Mein Kopf wurde heiß und ich rang nach Luft. Ich hatte den Geschmack nach Kaffee im Mund. Mir wurde schwindelig. Ich dachte noch: für dieses Feeling gehe ich durch die Hölle. Eine Hand presste mein Herz zusammen und mir blieb die Luft weg. Der ferne Straßenlärm und das Gelächter der Penner verschwanden. Ich spürte eine Beklemmung in der Brust und Panik stieg in mir auf. Mir wurde siedend heiß und ich dachte, ich muss hier raus. Beim Versuch richtig aufzustehen kam ich auf die Spülung, sah das Wasser rauschen, aber ich hörte nichts. Ich drehte mich zur Türe um und es wurde schwarz.

Ich wurde wieder wach. Das erste, was ich wahrnahm, war der Geschmack von Blut im Mund.

Mein Hemd war halb nass. Neben mir lagen Brille, mein Gürtel, Kippen, der Löffel, die Spritze, Feuerzeug und das leere Briefchen. Der Geldbeutel, mit knapp 40 Mark war auch noch da. Und meine Tasche aus Tunesien.

Ich hatte eine Beule und eine aufgebissene Lippe. Es war vielleicht eine halbe Stunde vergangen. Ich bog die Brille wieder gerade und setzte sie, schmierig wie sie war auf.

Ich war völlig deprimiert. Abwesend suchte ich meinen Kram zusammen, Pumpe und Löffel warf ich weg. Dann machte ich mich auf den halbstündigen Heimweg.

Ich war innerlich wie erstarrt. Jegliche Emotion in mir war erfroren.

Eine Stunde später war ich oben in der Wohnung meiner Mutter, schlich hinauf ins Gästezimmer und pennte sofort ein. Es war eine Etagenwohnung und mein Zimmer war oben auf der Empore.

Gegen Morgen erwachte ich und war mit einem Schlag hellwach. Die Panik traf mich wie ein Hammerschlag. Ich rannte runter zum Klo und musste mich übergeben. Es kam nicht viel und ich würgte vor mich hin. Ich wartete, bis sich meine Magennerven etwas beruhigt hatten und nahm eine dicke Dosis DHC Saft (Dehydrocodein), mit dem damals kurzzeitig substituiert wurde.

Meine Mutter war zum Glück bei der Arbeit. Wie immer hatte sie das Frühstück stehen lassen, obwohl ich nie frühstückte. Ich stellte das Zeug in den Kühlschrank. Dann nahm ich meine Tasche, verließ die Wohnung, warf den Schlüssel in den Briefkasten und holte mir beim Edeka zwei Chantre. Mit diesem Stoff im Gepäck und dann im Bauch, machte ich mich den Hügel hinab auf, in Richtung Hospital. Als mir die Wärme des Alkohols und des Codeins die Glieder und die Psyche streichelten, fühlte ich mich halbwegs als Mensch. Bald war ich an der Pforte. Es war Montag der 2. August 1993.

Der Anfang-1989

Im Grunde fing es ganz banal an.

Es war Montagvormittag, Ende Mai, schon bald Mittag und ich saß, als einziger Gast, draußen im La Concha, am Rande der Stuttgarter Altstadt, auf einem schäbigen Rohrstuhl, bei einer halben Bier. Mein 26. Geburtstag war paar Tage her. Ich hatte tolle Geschenke bekommen, u.a. ein Dartschränkchen mit Scheibe und 6 Dartpfeilen, zwei King Romane, eine gute Pulle Whisky und ein Einmachglas mit dicken Gummibärchen und zwei in Alu gewickelten Fläschchen Valoron N, von einer Freundin, die im Krankenhaus arbeitete! Darüber freute ich mich besonders. Ein halbes Fläschchen und ich war gut drauf.

Es war typisches Ende Mai Wetter. Diesig und schwül warm. Selbst durch die Sonnenbrille sah alles grau aus.

Ich hatte meinen freien Tag und saß seit einer halben Stunde hier, las den Spiegel und bereitete mich innerlich darauf vor, das nächste Bier zu ordern. Gelangweilt starrte ich auf die vorbeiziehenden Passanten und den Autoverkehr der sich über den Wilhelmsplatz quälte.

Wie schon zu oft war ich, in der Hoffnung, es würde etwas Tolles Passieren, hierher gefahren und wie immer war nichts Aufregendes geschehen. Nur meine noch recht neue Vespa, die knallrot dem grauen Wetter trotzte, gab dem Tag Farbe.

Ich vertiefte mich wieder in die Zeitung und zog an meiner Zigarette. Zwei abgesoffene Frauen setzten sich zwei Tische weiter. Eine lange Nacht, stand allzu deutlich in ihre Gesichter geschrieben. Dann hörte ich, wie wieder ein Stuhl verschoben wurde und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sich jemand links von mir hinsetzte. Ich schaute ihn an. Ein dürrer Typ, mit sehr langen und sehr fettigen Haaren, einem Schnauzbart, Lederhose und Shirt. Ich spürte, wie sich mein Magen leicht zusammenzog. Den Typ kannte ich nicht, hatte ihn nie gesehen, aber ich dachte sofort, der weiß was mit Heroin.

Fieberhaft überlegte ich und rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Jetzt etwas Heroin, das wäre RIESIG. Seit über einem halben Jahr hatte ich nichts geschnupft. Nur Valoron gab es ab und an, aber schon EWIG keine Schore. Aus Mangel an Gelegenheit. Das wäre echt das Richtige für meinen freien Montag.

Also stand ich auf, ging rein, bestellte ein Bier und zwei Tequilla und rückte beim wieder hinsetzen meinen Stuhl zu ihm hin. Ich bot ihm eine Kippe an. Er nahm sie bereitwillig und ich gab ihm Feuer. Dann sah ich in an und sagte halblaut:

 Ich glaube, wir haben das gleiche Hobby.

Er sah auf, zögerte kurz und fragte

 Suchst Du Gift?

Mein Magen hüpfte, ich bejahte und fragte, ob er was besorgen könne. Er nickte. Die Tequilla und das Bier kamen und wir tranken zusammen.

 Ich heiße Jim und du?

 Freddy. Wenn wir ausgetrunken haben, können wir gleich gehen. Wieviel willst Du?

Ich war tierisch aufgeregt. Ich hatte schon bezahlt und wir gingen los. Die Vespa blieb stehen. Nach knapp 10 Minuten bogen wir in einen Hausgang und betraten eine Altbauwohnung im Erdgeschoß. In einem schmuddeligen Zimmer gab ich ihm 100 Mark und er sagte, es dauere paar Minuten. „Bitte verarsch mich nicht“ flehte ich innerlich.

Er kam und kam nicht wieder. Gerade, als ich dachte, er hätte mich gelinkt, kam er zurück und mir war klar, warum es so lange gedauert hatte, denn er sah völlig knülle aus. Er war erst mal aufs Klo, sich einen Druck machen. Ich war nun total geil auf Heroin. Nichts hätte mich nun mehr abbringen können, Heroin zu nehmen.

Mit der leicht nasalen, schleppenden Stimme, die viele haben, wenn sie dicht sind, entschuldigte er sich, dass es so lange gedauert habe. Er gab mir ein Briefchen. Ich tat sehr erfahren und fragte nach der Qualität. Gleichzeitig sah ich mich nach einem geeigneten Platz um. In der Ecke stand ein emaillierter Kohleofen. Ich wischte den Deckel ab und schüttete vorsichtig ungefähr ein Drittel des Pulvers, auf den schwarzen Lack. Mit dem Rand eines Fünfers zerdrückte ich das Pulver. Es knirschte leise und blieb am Rand hängen. Mit seinem Messerchen kratzte ich es ab. Ich verschloss das Briefchen und steckte es in die Uhrentasche meiner Levis. Dann rollte ich ein Röhrchen aus einem Stück einer Spiegelseite. Vorsichtig beugte ich mich über die zittrig zackige Line und sog es in das rechte Nasenloch.

Nach wenigen Sekunden fing es an zu brennen. Ein Teil rann mir in den Rachen hinab und es schmeckte sehr bitter. Ich zerknüllte das Röhrchen, wir gingen raus auf die Straße und ich verabschiedete mich. Auf dem Weg zurück zum La Concha und meiner Vespa, setzte die Wirkung ein.

In leichten Wellen, die mir durch Kopf und alle Glieder gingen, kam das Heroin. Eine euphorische Stimmung überkam mich. Ich fühlte mich völlig relaxt und absolut zentriert und alles war wunderbar, so wie es war. Ich lächelte vor mich hin und freute mich, auf der Welt zu sein. Der Tag war nicht mehr grau und alles war ok. Ich fühlte mich top. Und ich brauchte niemand.

 

Ohne Vorwarnungen musste ich plötzlich kotzen. Ich schaffte es gerade noch den Kopf zu drehen und ein Schwall Stuttgarter Hofbräu ergoss sich in einem festen Strahl in die Büsche, neben einer Telefonzelle. Dann steckte ich mir eine Zigarette an und ging weiter, als sei nichts geschehen. Ich schwebte zurück zum La Concha und setzte mich wieder an den gleichen Platz. Das Gefühl war überwältigend und die Gewissheit, noch Heroin in der Hosentasche zu haben, versöhnte mich mit allem, was mich am Alltag anödete.

Einerseits war ich völlig berauscht, andererseits vollkommen klar. Ich wollte nichts Alkoholisches trinken und keinesfalls etwas kiffen. Nur dasitzen und mich am Rauch einer Zigarette betrinken, denn nichts schmeckt herrlicher, als eine Zigarette unter Opiateinfluss.

Irgendwann setzte ich mich auf meine Vespa und fuhr kreuz und quer durch den Stuttgarter Norden und Westen. Hier lebte ich seit 26 Jahren, fast jede Straße hatte ihre eigenen Erinnerungen, jeder Platz sein eigenes Flair.Eine Fahrt in meine Vergangenheit, soweit ich mich zurück erinnerte. Am Kriegsbergturm an der Aussichtsplatte hielt ich an, rauchte eine weitere Zigarette und besah mir von oben meine Stadt. Geliebt-gehasstes Stuttgart.

Ich kotzte nochmal. Dann fuhr ich heim. Ich stellte die Vespa ab, öffnete das Gartentor und ging die paar Schritte durch den Vorgarten, die Treppe zum Haus hinauf und schloss das Treppenhaus auf. Im ersten Stock wohnte meine Freundin, der das Haus gehörte und im zweiten Stock hatte ich eine kleine Wohnung.

Im Bad betrachtete ich mich im Spiegel. Ich war 26 Jahre alt, kiffte seit 10 Jahren, mäßig aber regelmäßig, rauchte 10-15 Kippen und trank abends drei Halbe. Ich war schlank, mein Gesicht war hager, die Haare struppelig mit blonden Strähnen. Ich hatte eine Freundin, eine Wohnung, einen Arbeitsplatz, ein Sparbuch, ein Auto, eine Vespa und einen Hund.

Und seit heute, hatte ich ein Problem.

Der nächste Tag war Dienstag und somit begann die Arbeitswoche. Ich arbeitete seit der Bundeswehrentlassung vor 10 Monaten in einem Friseurgeschäft im Stuttgarter Osten, als Herrenfriseur, mit zehn anderen Kolleginnen und Kollegen. Ich war der Zweitälteste Geselle, aber von der Ausbildung her der Schlechteste. Fast alles was ich als Friseur konnte, habe ich dort gelernt. Obwohl wir teilweise Akkord arbeiteten, hatten wir trotzdem viel zu lachen und jede Menge Spaß.

So verging die Woche, abends saßen Yvonne und ich im Garten, tranken Bier und Wein, ich kiffte ein Pfeifchen und lebte im Grunde sehr unbeschwert. Trotzdem saß in mir eine tiefe Unzufriedenheit mit meinem beruflichen Werdegang, der diesen Namen eigentlich gar nicht verdiente. Ich hatte die Waldorfschule mit einer schlechten Mittleren Reife Prüfung verlassen. Vom Intellekt her, hätte ich locker das Abi schaffen müssen. Das nagte an mir, aber ich schaffte es auch nicht, weiterführende Pläne zu machen. Da wo andere Menschen Ehrgeiz haben, saß bei mir oft nur geheucheltes Interesse. Die Jagd nach Karriere und Erfolg, fand ich eher lächerlich und nicht erstrebenswert. Ich glaube, bei meinem Hang zu bequemer Büroarbeit, wäre ich als Angestellter oder sogar Beamter in

irgendeinem Amt gut aufgehoben gewesen. Aber dies war nun zu spät. Das glaubte ich zumindest. Und so schnitt ich weiterhin Haare und war froh, wenn endlich 18 Uhr, bzw Samstag 13 Uhr war.

So vergingen die Tage. An Heroin dachte ich nicht. Ich fühlte mich einigermaßen im Lot und war im Großen und Ganzen ausgeglichen. Es war eine Zeit, in der ich spürte, dass mir mein Leben momentan mehr gab als nahm.

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