WeltenRetter

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WeltenRetter
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Inhaltsverzeichnis

Impressum 2

Prolog 3

Kapitel 1 5

Kapitel 2 9

Kapitel 3 14

Kapitel 4 17

Kapitel 5 20

Kapitel 6 25

Kapitel 7 29

Kapitel 8 33

Kapitel 9 37

Kapitel 10 42

Kapitel 11 47

Kapitel 12 51

Kapitel 13 55

Kapitel 14 60

Kapitel 15 65

Kapitel 16 68

Kapitel 17 71

Kapitel 18 75

Kapitel 19 81

Kapitel 20 85

Kapitel 21 88

Kapitel 22 92

Kapitel 23 96

Kapitel 24 100

Kapitel 25 106

Kapitel 26 112

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-956-9

ISBN e-book: 978-3-99107-957-6

Lektorat: Thomas Ladits

Umschlagfoto: Annausova75, Rastan, Vivilweb | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Prolog

„So viel Zeit ist vergangen seit jenem schicksalhaften Tag, an dem ich euch, meine über alles geliebten Kinder, allein lassen musste. So viel Zeit, in der sich das Unheil verbreiten konnte“, seufzte Marisa, als sie ihre Kinder sah.

Zoe und Alfred standen regungslos da, sie kannten die Frau vor ihnen nicht, zu der sie ein alter Mann mit Bart gebracht hatte. Sie strahlte eine Energie aus, die den Kindern unerklärlicherweise sehr bekannt vorkam.

„Erklär uns, was ist mit uns geschehen?“, fragte Zoe den Tränen nahe. Ihr Bruder war über Nacht zu einem Wesen geworden und ihre Kleider, sie waren verschwunden und stattdessen wachte sie in einem langen Gewand auf.

Alfred heulte auf, ein Ton, der durch Mark und Bein ging. Zoe zuckte und sackte plötzlich auf dem Boden in sich zusammen.

„Was hast du getan?!“, schrie Alfred Marisa an.

„Ich habe euch nur angesehen, meine lieben Kinder, ihr seid groß geworden“, sie lächelte ein gequältes Lächeln.

Mit einem lauten Knall flog die Flügeltür des Saals auf, in dem sie sich alle befanden.

Laute Schritte hallten durch den Raum, doch niemand war zu sehen. Alfred erschrak, erst seine Schwester und nun das, das war ihm eindeutig zu skurril.

„Lasst meine Kinder in Ruhe!“, sprach Marisa mit kraftvoller Stimme. Zwei Männer legten ihre Tarnung ab und trugen ein hämisches Grinsen auf den Lippen. Sie hatten es geschafft, Zoe war gefallen, nun konnten sie endlich die Aufgabe erfüllen, die ihnen schon am Tage der Geburt der Zwillinge gegeben wurde. Sie sollten mit allen Waffen kämpfen, kämpfen, um die Verbreitung der Spezies der Mischblüter zu verhindern. Sie würden dafür sorgen, dass die neuen Herrscher verschwanden und die alte Ordnung siegen würde.

Marisa blicke zu Alfred, der nun gar nichts mehr verstand, sie konnte die Panik um seine Schwester in seinen Augen sehen.

„Das sind sie, die, vor denen ich euch euer Leben lang behüten wollte, die Krieger des Todes.“

„Sie sind Teil meiner Armee, den Kriegern des Todes und der Vernichtung“, ertönte eine tiefe Stimme.

Kapitel 1

„Hey Zoe, wir müssen los!“, rief Alfred die Treppe hinauf zu seiner Schwester.

„Jetzt warte doch mal, wir haben doch noch ewig Zeit“, meinte Zoe noch verschlafen.

„Nein, das haben wir nicht, der Bus ist schon bei Tim!“, entgegnete Alfred.

Kaum hatte der Junge seinen Satz beendet, hörte er Zoe schon die Treppe hinunterstürmen.

„Wie, der ist schon bei Tim?“, blaffte Zoe. „Dann wäre der ja nur noch zwei Haltestellen von uns entfernt, das kann nicht sein, ich war noch nie zu spät dran.“

„Es ist aber so, ich hab dich heute Morgen gar nicht wach bekommen!“, pflaumte Alfred sie an. „Jetzt beeil dich, wir müssen echt los.“

Zoe schoss in Windeseile ins Badezimmer, schnappte sich ihre Klamotten, schlüpfte hinein und wiederholte das Spiel mit ihren Schuhen. Zusammen rannten die zwei aus dem Haus, um den Schulbus noch zu bekommen.

Es war bereits Ende Oktober und lange nicht mehr so schön warm wie im Sommer. Zoe und Alfred mochten die Wärme des Sommers viel lieber als die Nässe und Kälte, die Herbst und Winter mit sich brachten.

Die beiden waren mit ihren elf Jahren bereits viel erwachsener als die anderen Kinder aus ihrer Schulklasse. Logisch eigentlich, wenn man einen wichtigen Aspekt kannte, den jedoch nur zwei andere Kinder kannten. Wieso sollten sie den anderen auch auf die Nase binden, dass sie keine Eltern mehr hatten? Sie kamen sehr gut allein zurecht. Klar wussten sie, dass Kinder wie sie normalerweise nicht auf sich allein gestellt waren, sondern eine Mutter und einen Vater hatten, doch woher sollten sie denn wissen, dass sie nicht normal waren?

Zoe und Alfred waren Zwillinge, sie wurden in einem ganz normalen Krankenhaus geboren und wuchsen die ersten fünf Jahre gut behütet bei ihrer Mutter auf. Doch eines Morgens war sie einfach fort und hatte ihren Kindern nichts als einen Brief auf dem Küchentisch zurückgelassen.

Marisa, so hieß ihre Mutter, hatte ihren Kindern sehr früh gelehrt, zu lesen und zu schreiben, sie förderte sie, wo sie nur konnte. Sie musste allein zusehen, wie ihre Zwillinge aufwuchsen, denn einen Vater hatten die beiden nicht, zumindest sagte ihre Mutter ihnen dies stets so. In der Schule jedoch hatten die Kinder bereits mit acht Jahren gelernt, dass dies nicht möglich war, denn jedes Kind hatte eine Mutter und einen Vater. Es hatte sie sehr verletzt, ihre geliebten Kinder im Stich lassen zu müssen, denn sie waren noch so klein gewesen, so hilflos und zerbrechlich. Marisa redete sich dies immer wieder aufs Neue ein, doch je älter ihre Kinder wurden, desto mehr bewiesen sie ihr das Gegenteil. Alfred sah zwar schmächtig aus, denn er war schmal gebaut und eher zurückhaltend, was unter Umständen ein falsches Licht auf ihn warf, dennoch war er stark. Marisa wusste es genau, sie hatte es gesehen, sie wusste genau, welche unsagbaren Kräfte in ihm schlummerten. Auch Zoe war schlank, aber im Gegensatz zu ihrem Bruder war sie groß und hatte ein loses Mundwerk. Zoe sagte sofort, wenn ihr etwas nicht in den Kram passte, Alfred hingegen war eher der stille Beobachter. Aber wer bitte sollte ahnen, dass sie diese Rollen später einmal tauschen würden? Wer hätte auf die Idee kommen können, dass aus groß und charakterstark einmal ein ruhiger und in sich gekehrter Mensch werden würde? Kaum auszudenken, was alles passieren konnte, wenn sie ihre Fähigkeiten im falschen Sinne nutzen würden. Für die zweifache Mutter war es eine Qual gewesen, ihre Kleinen sich selbst überlassen zu müssen, doch was hätte sie tun sollten, sie hatten ihr gedroht.

Die Krieger hatten sie bereits vor der Geburt der Zwillinge aufgesucht und der Rat hatte eine machtvolle und lebensverändernde Entscheidung für sie getroffen. Dies galt dem Schutz aller, doch als Mutter ihre noch kleinen Kinder allein zu lassen, dieser Schritt war Marisa dennoch sehr schwergefallen.

Wie hätte es auch anders sein sollen, nachdem die Zwillinge auf die weiterführende Schule gekommen waren, so wurden sie direkt getrennt. Sie gingen zwar beide auf die gleiche Schule, in denselben Jahrgang, doch in unterschiedliche Klassen. In ihrer jetzigen Schule wurde es nicht gutgeheißen, wenn Zwillinge oder generell gesagt Geschwisterkinder in der gleichen Klasse waren. Die Lehrer waren paranoid, was das anging, denn sie kannten die speziellen Beziehungen, die besonders Zwillinge zueinander hatten.

 

Besonders im Bezug auf die Klausuren waren die Lehrkräfte skeptisch, denn war diese besondere Bindung mit einem Täuschungsversuch gleichzusetzen? Die Art und Weise, mit der Zwillinge miteinander kommunizierten, war für viele Menschen ein Rätsel, ein Mysterium. Zoe und Alfred teilten die gleichen Lehrer, doch in den vergangenen Wochen, genauer gesagt seit die Schule nach den Ferien wieder gestartet war, fielen den Kindern Veränderungen an ihren Lehrern auf. Ganz speziell zwei von ihnen verhielten sich merkwürdig. Sie beobachteten die Kinder, an manchen Tagen erschien es den beiden sogar so, als würden sie verfolgt.

Doch weder der eine noch der andere verzogen eine Miene und die Kinder waren sich nicht sicher, ob ihnen ihre Fantasie einen Streich spielte.

Marie und Tim, das waren die besten Freunde der Zwillinge, waren auch komisch drauf, das fiel Alfred direkt nach den Ferien auf. Doch beide stritten dies ab, Alfred spinne, da waren sie sich einig und das war absolut unnormal, denn normalerweise stritten beide immer und über alles. Wenn man Tim und Marie nicht besser kannte, so hätte man denken können, dass auch sie Geschwister gewesen wären, denn sie stritten über und auch um jede Kleinigkeit. Sie waren fast schlimmer als Zoe und Alfred. Und sogar das Aussehen der beiden erinnerte an Geschwisterkinder, sie glichen sich äußerlich sogar mehr als Zoe und Alfred.

Zoe neckte Marie immer mit dem Spruch „Was sich liebt, das neckt sich“ oder „Marie und Tim sitzen auf dem Baum, man glaubt es kaum“, doch Marie fand das ganz und gar nicht witzig. Sie mochte den besten Freund des Bruders ihrer besten Freundin nicht, er sei total arrogant und doof, das betonte sie immer wieder. Doch Zoe hätte schwören können, dass Marie dem angeblich so doofen Tim immer wieder mal einen gar nicht so fiesen Blick zuwarf.

Zoe und Marie kannten sich schon sehr lange. Die beiden hatten von klein auf immer zusammen gespielt, denn auch ihre Mütter waren beste Freundinnen aus Kindheitstagen gewesen. Seit die Mädchen laufen konnten, gingen sie durch dick und dünn, egal, wie weit ein Weg war, sie gingen ihn zusammen. Beide hatten sie den Vorschlag eines Tagebuchs abgelehnt, denn sie hatten einander und ihre Köpfe sogen die Informationen, die sie von der anderen bekamen, schlagartig wie ein Schwamm auf. Ihr Speicherplatz schien unendlich, also wozu ein Tagebuch, in das sie eh das hineinschreiben würden, was sie einander erzählten. Außerdem hatte dies einen riesigen Vorteil, denn wenn es um Dinge ging, die ihre Mütter nichts anging, so konnten diese ihre Geheimnisse auch nicht herausfinden.

„Beste Freundinnen fürs Leben.“

„Ja, für immer und ewig.“

Das waren die zwei Sätze, die die Kinder schon sehr früh täglich mehrfach wiederholten, bis zur heutigen Zeit.

Kapitel 2

Zoe schrie.

Sie wachte mitten in der Nacht schweißgebadet auf und atmete schwer. Ihre Augen hatte sie schlagartig aufgerissen. Die blanke Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Zoe hatte einen lauten Knall gehört, bevor sie zur Besinnung kam.

Alfred war vom Schrei seiner Schwester aus dem Bett gefallen und eilte zu ihr. Er riss ihre Schlafzimmertür auf und fragte, was denn passiert sei.

„Ich, ich …“ Zoe zitterte am ganzen Körper und wusste eigentlich gar nicht so genau, warum. Sie stand völlig unter Schock, kaum ansprechbar, fast schon apathisch, und begann die Arme um ihre Knie zu schlingen.

Alfred trat näher an sie heran und versuchte, sie zu beruhigen.

„Zoe, komm runter, es war nur ein Traum.“ So hatte ihre Mutter die Zwillinge als Kleinkinder immer beruhigt, wenn sie in der Nacht aufgewacht waren und vor Angst zu schreien und zu weinen begonnen hatten.

„Alfred, das war kein Traum, mich hat jemand gepackt.“

Zoe deutete auf ihren linken Oberarm. Vorsichtig berührte sie diesen und ein Schmerz zuckte durch ihren Körper. Nun wollte sie es wissen. Was war dort? Sie schob den Ärmel ihres Schlafanzugs hoch und da sahen sie es. Die Zwillinge sahen einander mit geweiteten Augen an, als könnten sie es nicht fassen, was sie sahen.

„Das sieht ja aus wie eine Verbrennung!“, sagte Alfred geschockt.

„Was hat das zu bedeuten, Alfred?“, fragte Zoe mit zittriger Stimme.

„Das weiß ich nicht, aber eins weiß ich, das kommt nicht vom Schlafen oder einem Alptraum.“

„Liebes Tagebuch.

Heute war ein echt schräger Tag. Die Lehrer waren in der Schule richtig seltsam drauf. Andauernd haben sie Zoe und mich beobachtet, es war richtig gruselig. Was hat Zoe nur an sich, dass sie ständig beäugt wurde? Wir kennen uns schon so viele Jahre und das war nie so. Erst seit Beginn des Schuljahres. Alles ist anders, aber ich weiß nicht, ob das gut ist. Ich gönne ihr ja die ganze Aufmerksamkeit, auch wenn ich glaube, dass sie das bewusst gar nicht so mitbekommt. Aber eigentlich müsste es ihr doch auffallen, ich merke es doch auch, die Blicke, sie ruhen auf uns, sie brennen sich in meinen Rücken und das schmerzt. Es ist fast so, als wollten die Lehrer uns, nein ihr, etwas sagen, ohne Worte zu verwenden. Ich verstehe das Ganze zwar noch nicht, aber ich …“

Plötzlich klopfte es an der Tür und Marie erschrak so sehr, dass sie ihre Nachricht versehentlich wieder löschte. Sie und Zoe hatten zwar gesagt, dass ein Tagebuch sinnfrei wäre, doch es gab einfach Dinge, die sie erst erforschen wollte, bevor sie mit ihrer besten Freundin darüber sprach, oder gar mit ihrer Mutter. Daher hielt sie ein virtuelles Tagebuch, welches mit einem Code gesichert war, für einen guten Mittelweg.

Marie klappte den Laptop schnell wieder zu und versteckte ihn unter ihrer Bettdecke. Sich selbst legte sie auch wieder unter die Decke und tat so, als hätte sie noch geschlafen.

„Guten Morgen, mein Engel, es ist Zeit zum Aufstehen“, ertönte die Stimme ihrer Mutter leise im Raum.

„Ich komm ja gleich“, sagte Marie gespielt verschlafen, um die Täuschung aufrecht zu halten.

Ihre Mutter nickte die Aussage ihrer Tochter ab, das tat sie immer, bevor sie den Raum wieder verließ.

„Puh, das war knapp“, dachte Marie laut nach.

Verflixt, schoss es ihr durch den Kopf, der Tagebucheintrag von heute war weg, sie hatte vergessen, ihn abzuspeichern, bevor sie ihn versehentlich gelöscht hatte.

Trotz dessen, dass sie schon einige Minuten wach gewesen war, war Marie doch noch müde und so trottete sie in die Küche, wo ihre Mama schon mit dem Frühstück und einem belegten Brot für die Schule auf sie wartete.

Marie kaute noch ihr Müsli, als es an der Tür klingelte. Mit noch vollem Mund sprach sie zu ihrer Mutter: „Das muss Zoe sein.“

Aber bevor sie aufspringen und zur Tür rennen konnte, war ihr ihre Mutter zuvorgekommen.

„Guten Morgen, Frau Rayee, ist Marie schon auf? Ich muss dringend mit ihr sprechen“, sprach Zoe bemüht ruhig.

Anja lächelte und bemerkte die Aufregung, die Zoe ausstrahlte. Sie bat sie herein und deutete ihr mit der Hand, dass Marie in der Küche sei.

Zoe war verwundert. Wieso sprach Anja nicht mit ihr, sondern gestikulierte nur, diese Art war ihr an der Mutter ihrer besten Freundin fremd. Dennoch betrat sie mit einem Lächeln die Wohnung und ging zu Marie.

„Ich wusste es!“, sagte Marie mit einem Grinsen.

„Was wusstest du?“, fragte Zoe verwirrt.

„Na, dass du es bist, wer sollte mich sonst beim Frühstück stören? Wer sonst sollte wissen, dass ich genau jetzt zuhause bin?“, sprach Marie weiter.

„Tja, Sherlock Holmes“ Zoe grinste. „Ich bin halt heute in geheimer Mission unterwegs und habe dieses Haus hier observiert, nur um herauszufinden, dass du heute schon wieder deine Lieblings-Cornflakes isst“, witzelte Zoe.

„Haha, wie lustig.“ Marie verdrehte die Augen, bevor sie anfing zu lachen. Zoe stimmte mit ein.

„Also, was verschlägt dich Morgenmuffel Schrägstrich Schlafmütze um 6:20 Uhr zu mir?“

„Das ist geheim, das darf keiner wissen“, flüsterte Zoe Marie plötzlich ins Ohr. Als sie wieder einen Schritt zurückging, legte sie sich den Zeigefinger auf die Lippen, um Marie zu signalisieren, dass sie sie nicht nochmal fragen sollte.

Marie verstand sofort und flüsterte Zoe eine Nachricht ins Ohr:

„Wenn es wirklich keiner wissen darf, dann treffen wir uns heute Abend, wenn es dunkel ist und Mama denkt, dass ich schon schlafe, in meinem Baumhaus.“ Zoe nickte.

„Entschuldigen Sie die frühe Störung, Frau Rayee, es war wirklich wichtig und Dankeschön nochmal, dass Sie mir die Tür aufgemacht haben.“ Zoe lächelte ihr liebstes Lächeln und Anja übernahm dieses auf ihre Lippen, bevor sie diese öffnete und sagte:

„Für dich doch immer, du weißt ja, du und Alfred könnt jederzeit kommen. Es ist so tragisch, was mit Marisa geschehen ist.“ Sie schüttelte den Kopf, es war fast so, als wollte sie sich selbst in die Gegenwart zurückholen.

Zoe sah einen Schatten hinter dem Baum im Garten der Rayees verschwinden. Hatte sie etwa jemand beobachtet? Das Gefühl hatte sie in den letzten Tagen des Öfteren gehabt, aber gesehen hatte sie bislang noch nie jemanden. Erst dachte sie, sie bilde sich das nur ein, doch konnte man sich so oft etwas einbilden?

Es schwirrten ihr so viele Fragen im Kopf herum, viele Fragen, deren Antworten sie noch nicht kannte.

Sie ging durch die Haustür hinaus und winkte Anja und Marie noch einmal zu. Mit ihren Lippen formte sie ein stummes „Danke“, bevor sie sich umdrehte und wieder nachhause lief.

Anja und ihre Mama waren früher, als Zoe noch klein war, beste Freundinnen gewesen, genauso wie Marie und sie heute. Ein Lächeln huschte ihr über die Lippen, als sie an die Zeit zurückdachte, als sie und ihre beste Freundin sich kennengelernt hatten. Es war eine tolle Zeit gewesen, damals, als die Welt für die Zwillinge und ihre Mutter noch in Ordnung gewesen war.

Niemand hatte mit dem plötzlichen Verschwinden von Marisa gerechnet und auch Anja hatte seit jenem Tag nichts mehr von ihr gehört, so wie alle.

Seit Marisa fort war, schien sich die Nachbarschaft verändert zu haben. Die Menschen hielten lange nicht mehr so stark zusammen wie vor ihrem Verschwinden. Oft zogen neue Leute her und genauso schnell, wie sie eingezogen waren, verschwanden sie auch wieder. Kaum einer grüßte den anderen mehr, wenn er ihm auf der Straße begegnete. An manchen Tagen, da spürte Zoe die Traurigkeit der Leute in der Luft hängen. Es war einem unerklärlichen Gefühl verschuldet, welches sie seit einem Jahr verspürte. Es war an ihrem zehnten Geburtstag wie aus dem Nichts gekommen und seither nicht mehr gegangen.

An manchen Tagen war Zoe selbst traurig, sie fühlte sich allein, auch, wenn sie genau wusste, dass sie das nicht war. Sie hatte ihren Bruder, ihre beste Freundin, Anja, die über die Jahre wie eine zweite Mutter für die Zwillinge geworden war und eine Mama, die ihr einst versprochen hatte, dass sie immer auf sie aufpassen würde.

Zoe rannen die Tränen über die Wangen, sie blickte in den Himmel und konnte ihre Trauer am heutigen Tage nicht mehr verbergen, ehrlich gesagt, das wollte sie auch gar nicht mehr.

Kapitel 3

„Herr Bött, bitte ins Sekretariat“, erklang die sanfte Frauenstimme der Direktorin über die Lautsprecher der Schule.

„Na, was wird er wohl angestellt haben?“, fragte Tim in die Klasse, als sein Klassenlehrer den Raum verlassen hatte.

„Er sah nicht danach aus, als wäre etwas vorgefallen“, antwortete ihm eine Klassenkameradin. Clarissa war ihr Name, sie hatte lange, glatte, blonde Haare und smaragdgrüne Augen. Ihr Gesicht war von ein paar wenigen Sommersprossen geziert. Die Jungs der Klasse nahmen sie aber nie für voll, wer blond war, war blöd. Clarissa verletzten die Worte ihrer Mitschüler sehr, denn sie war noch neu auf der Schule und hatte noch keine Freunde.

„Er darf uns doch seine Angst nicht offen zeigen, dann wäre er schwach und kein Mann“, erwiderte ein Junge aus der hinteren Reihe und warf anschließend mit einem Papierball nach Clarissa.

„Stimmt, wie doof muss man denn sein, um zu glauben, dass Lehrer wegen einer Lappalie zur Direx gerufen werden“, warf Tim ein.

„Ich bin nicht doof!“, äußerte sich Clarissa „Ich glaube nur, dass er nicht wegen eigenem Verschulden ausgerufen wurde, sondern wegen Fremdverschulden.“

 

„Jaja, du Klugscheißer, wir haben’s kapiert. Du weißt alles und wir anderen sind dumm!“, rief ein anderer.

„Das stimmt doch gar nicht!“, wehrte sich das Mädchen.

„Nur, weil ich gute Noten schreibe, bin ich weder ein Klugscheißer noch sonst was. Ich, ich hab das einfach im Gefühl und mein Bauchgefühl lässt mich nie im Stich.“ Clarissa wurde kleinlaut, denn sie wusste bereits, als sie die letzten Worte ausgesprochen hatte, dass ihre Mitschüler sie dafür belächeln würden.

Alle begannen zu lachen, alle bis auf einen, Tim.

Clarissa nahm sich ihre Sachen und ging aus dem Raum. Sie wollte nicht, dass die anderen ihre Tränen sahen, sie wollte vor ihren Mitschülern nicht noch schwächer aussehen, als sie es ohnehin schon tat.

Leise ließ sie die Tür zufallen, die anderen Klassen hatten schließlich noch Unterricht und es sollte keiner der Lehrer auf sie aufmerksam werden.

„Warte“, hallte es leise im Flur hinter ihr. Doch sie drehte sich nicht um, keiner wollte sie an dieser Schule, also konnte sie eh nicht gemeint sein.

„Jetzt bleib doch mal stehen“, hörte sie die Stimme näherkommen. Jetzt lief sie los, sie wollte nicht warten, gar nicht erst auf einen Klassenkameraden, sie mochten sie nicht und daran würde sich nichts ändern.

Ihre Sicht war durch den Fluss ihrer Tränen beeinträchtigt, sodass sie nicht rennen konnte, ohne Gefahr zu laufen, mit einer Wand oder einer anderen Person zusammenzukrachen. Sie blickte sich abermals um, doch sie sah keinen.

Sie lief um die letzte Ecke, bevor sie die Ausgangstür erreichte, da wurde sie gepackt.

Den lauten Schrei unterdrückte sie gekonnt, doch was würde ihr nun drohen? Schläge, weil sie der Stimme keinen Glauben geschenkt hatte, ein Schulverweis, weil sie einfach, ohne triftigen Grund und ohne Erlaubnis, den Unterricht verlassen hatte, oder doch Schlimmeres?

Sie blickte ihren Angreifer an und vermochte kaum, ihren Augen zu trauen. Es war Tim, der sie an der Schulter festhielt. Er schien ganz außer Atem zu sein, aber warum, er war sportlich und hätte keinerlei Mühe gehabt, sie einzuholen.

„Was willst du?“, blaffte sie ihn an.

„Wie, was ich will, ich hab mir Sorgen gemacht, ich meine, ehm …“, stammelte Tim.

Er rieb sich mit der freien Hand den Hinterkopf und überlegte, was er nun sagen sollte.

„Brauchst du nicht, ich komm gut allein zurecht, ich brauche kein geheucheltes Mitleid, von keinem!“ Clarissa befreite sich aus seinem Griff und öffnete die Tür. Die letzten Tränen waren längst versiegt. Nun regierte die Wut über sich selbst in ihr.

„Hey, jetzt warte doch mal!“ Tim lief ihr nach, sich selbst bewusst, dass sie beide riesigen Ärger bekommen würden, aber das war ihm grade herzlich egal. Auf einmal mehr oder weniger Nachsitzen kam es jetzt auch nicht an.

„Lass mich einfach, okay?“

„Und wenn ich das nicht will?“

„Na, dann hast du Pech, ich gehe jetzt heim und wenn du unbedingt willst, dann komm halt mit und warte dann vor verschlossener Tür, die ganze Nacht bis morgen früh.“

Tim bemerkte, dass es nicht der Angriff seiner Klassenkameraden gewesen war, der Clarissa so mitgenommen hatte, doch was sollte er jetzt tun, sie war eindeutig zu aufgewühlt und wollte ihm nicht zuhören.

„Okay, dann bis morgen früh, ich werde da sein.“

Diese Worte warfen Clarissa nun gänzlich aus dem Konzept, sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um.

Geschafft!, dachte er sich und begann ein leichtes Lächeln.

„Du bist ein komischer Kauz, hat dir das mal jemand gesagt?“ Ihr skeptischer Blick traf ihn. Tim winkte ihr und trat dann den Rückweg zur Schule an.

Würde er seine Worte wahr machen?

Wieso war er so nett zu mir?

Auf wessen Seite stand er?

Gehörten seine netten Worte, mit denen er sie scheinbar beschützen wollte, zu einem niederträchtigen Plan?

Diese und noch viele weitere Fragen geisterten Clarissa den Tag über im Kopf herum, sie verstand den Jungen nicht, erst war er einen Tag gemein zu ihr, dann am nächsten nahm er sie in Schutz, ihr Kopf fuhr Karussell.

Zum Glück hatte ihre Mutter ihr die Ausrede mit den Bauchschmerzen geglaubt, so hatte sie nicht mehr zurück in die Schule gemusst und konnte sich nun ganz auf ihre eigenen Probleme konzentrieren, die waren im Moment wichtiger als alles andere.

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