Smokeless

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Jean-Peter Braun

Smokeless

Zeitgemäße Betrachtungen eines ex-rauchenden Künstlers

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Inhaltsverzeichnis

Titel

SMOKELESS

Impressum neobooks

SMOKELESS

1. Vorwort

Eines vorweg: ich bin Ex-Raucher. Nein, kein Nicht-Raucher, sondern Ex-Raucher! Sie sind ja auch – zumindest, wenn Sie in Ihrem bisherigen Berufsleben ein wenig Ehrgeiz hatten – Ex-Bundespräsident und kein Nicht-Bundespräsident.

In meinem Hauptberuf allerdings bin ich Musiker. Das heißt, genau genommen sehe ich mich in erster Linie als Mensch – als ein Wesen, das einfach nur so da ist und sein Leben zu genießen versucht, gerne isst, trinkt, wandert, Freunde trifft, seinen Job liebt und den Verlockungen des Daseins nicht immer abgeneigt ist.

Stets tendierte ich dazu, meine Umwelt durch eine leuchtend bunte Farbenbrille zu betrachten, um auf diese Weise den Alltag vor der Gefahr des Ergrauens zu schützen. „Nutze den Tag“ war mein selbstgewähltes Lebensmotto und um diesem hochgesteckten Anspruch nahe zu kommen, suchte ich mir einen guten Freund und ständigen Begleiter, der mich in vielen Lebenslagen an der Hand zu nehmen bereit war: die Zigarette!

Irgendwie ist es schon verrückt: als ich eines Morgens aus einem äußerst misslungenen Traum erwachte, war mein erster Gedanke nicht der an meinen gewohnten Milchkaffee samt Croissant mit Erdbeermarmelade, sondern der plötzlich auftretende Wunsch, meinen treuen Kameraden, die Zigarette, für immer zu verlassen.

So begann ich also, die Welt fortan in rauchende und nichtrauchende Zeitgenossen einzuteilen. Ob Mann oder Frau, dick oder dünn, Schwede oder Argentinier, Sympathieträger oder charmefreier Querulant, jegliche Unterscheidungskriterien schienen sich meiner Wahrnehmung zu entziehen. Mich interessierte nur noch: Glimmstängel oder kein Glimmstängel.

Ich entwickelte die Überzeugung, dass jeder rauchende Mensch, vom Gärtner bis zum Ministerialdirektor, von der Studienrätin bis zur Floristin, mindestens ein einziges Mal in seinem Leben an die gleiche Glaubensschwelle gerät, welche dann in letzter Konsequenz zur Entscheidungsfrage führt: ein Dasein mit Nikotin oder ein Leben in Freiheit, Abhängigkeit oder Selbstbestimmung?

Der Volksmund sagt: „Ehemalige Raucher sind die Schlimmsten“ und hat damit nicht ganz Unrecht. Gemeint ist hierbei das Toleranzverhalten ehemaliger Süchtiger gegenüber dem „anderen Lager“, jenen zu bedauernden Geschöpfen, die sich aufgrund vermeintlich mangelnder Einsicht oder Willensstärke dem Verderb ausliefern.

Liebe Raucher, missionarischer Eifer liegt mir fern und so möchte ich weder Ihr (Raucher-)Gewissen unter Druck setzen, noch moralische Wertungen Ihres Charakters vornehmen. Auch möchte ich keine zusätzlichen Ängste bei Ihnen erzeugen, nur um auf einen eventuellen Gesinnungswechsel Ihrerseits hin zu polemisieren.

Ich weiß, dass es heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit zahlreiche Stop-Smoking-Programme gibt, die zum Teil unter hervorragender fachlicher

Leitung gute Erfolgsquoten präsentieren. Ich bin weder Arzt, noch Psychotherapeut oder sonstiger Experte auf dem Gebiet der Nikotinsucht. Aber

ich bin ein Eingeweihter mit mehr als 20-jähriger Erfahrung als Raucher, von der ich Ihnen im vorliegenden Buch erzählen möchte.

Keine Angst, liebe Leser, ich werde Sie nicht langweilen mit Warnungen oder gutgemeinten Ratschlägen, die Sie sicherlich schon hundertfach um die Ohren gehauen bekommen haben.

In Form kleiner Essays habe ich meine Gedanken und Sichtweisen zum Thema Nichtrauchen zusammengestellt. Sie können diese auch in frei gewählter Reihenfolge lesen.

Und nun machen Sie es sich bequem, suchen Sie einen Platz auf, den Sie mögen und an dem Sie entspannen können. Legen Sie zur Untermalung eine CD mit leiser, beruhigender Musik auf. Ich empfehle die Thais Meditation von Massenet, das Adagio aus Bruckners Siebter oder Jazzballaden. Natürlich können Sie auch AC/DC, Harry Belafonte oder Roberto Blanco wählen, dann aber bitte ausgesprochen leise, denn ein bisschen Spaß muss sein – beim Lesen. Wenn Sie wollen, rauchen Sie dabei, denn dies ist kein psychologisches Trainingsprogramm.

Dennoch: wenn auch nur ein einziger Leser dieses Buches die Motivation für ein rauchfreies Leben bekommen hat, freut sich der Autor mit diesem Glücklichen.

Jean-Peter Braun

P.S. Liebe Raucherinnen! Aus Gründen der Einfachheit verwende ich die klassische männliche Form der Anrede. Dies ist keine wissentliche Herabsetzung Ihrer Würde. Danke für Ihr Verständnis.

2. Erste Versuche

Erzählt ein Ex-Raucher von seinen Entwöhnungsversuchen, überkommt ihn schnell das Gefühl von Scham und Minderwertigkeit, wobei er kaum zu unterscheiden weiß, gegenüber wem die Peinlichkeit größer ist: dem Gesprächspartner oder dem eigenen Spiegelbild. Der schonungslos ehrliche Ehemalige fürchtet dabei nichts mehr, als dass sein Gegenüber (und zwar beide!) erhabenen Blickes Unverständnis äußert über die offensichtliche Lächerlichkeit der ersten – gescheiterten – Gehversuche; und das Fatale bei der Sache: der Aufhörwillige hat recht.

Menschen mit Raucherkarriere aber sind den Umgang mit Angst gewohnt und so traue ich mich, Ihnen von meinen Erlebnissen zu berichten.

Mein erster Anlauf war die sogenannte Reduktionsmethode: weniger ist mehr. Bewusster rauchen. Nur noch nach dem Essen, nach der Arbeit, nach dem Sex. Die zwei Belohnungszigaretten, die ich auf meinem Schreibtisch als feierabendliche Ration drapiert hatte, ließen mich täglich mit Tempo 196 km/h nach Hause gleiten, denn ich wurde ja sehnsüchtig erwartet. Aber auch mein Alltagsleben während dieser Phase war rasant, hatte ich doch eine neue, zusätzliche Aufgabe bekommen: Stop Smoking. Nicht nur meine Gedanken an „das Eine“ beanspruchten meine kostbare Zeit, sondern ebenso die Ausführung von Ersatzhandlungen, die von Psychologen gerne mit dem Scheitern des Anliegens gleichgesetzt werden.

Ich beschloss also, die Zigarette zwischendurch abzuschaffen. Es war Samstag Mittag und ich hatte Zeit. Viel Zeit. Die Versuchung, während einer Nachdenkfluppe wie gewohnt das Wochenende zu planen war groß. Doch ich war standhaft und wagte meine erste rauchfreie Autofahrt. Nach einer guten Stunde und ausgiebigsten Nikotinträumen erreichte ich Heidelberg; eine Stadt, der ich es ob ihrer Schönheit zutraute, mir kurzweilige Alternativen zu bieten. Angenehme, warme Sonnenstrahlen, das herrschaftlich dreinblickende Schloss, die freudig fotografierenden, asiatischen Touristen und die Anmut der erhaltenen Altstadtarchitektur ließen mich für Augenblicke alles vergessen. Sogar den Tabak.

Der erste Prüfstein erreichte mich in Form eines gut besuchten Studentencafés. Die junge Juradoktorandin, der Zauselbart am Katzentisch vor der Toilette, die Bedienung, selbst die Sperrmüllstühle und die bordeauxroten Stofflampen schienen zu rauchen. Kann doch nicht so schlimm sein, dachte ich, Millionen

Qualmer können nicht irren; jetzt eine Kippe. Jetzt entspannen. Jetzt fröhlich und unbeschwert dasitzen, in den Raum schauen und Kringel blasen. „Menschen beobachten“ nennen Nikotinrethoriker das.

Der Gedanke an die wohlverdiente Dinnermarlboro auf der heimischen Couch half mir jedoch gerade noch rechtzeitig, Standhaftigkeit zu bewahren. Auch in

der Eisdiele, die ich nach einem kleinen Einkaufsbummel in der malerischen Fußgängerzone erreicht hatte, hielt diese Zurückhaltung noch ohne größere Verlangensattacken an.

Ich zerstreute mich des weiteren mit ziellosem City-Sightseeing, einer Bootsfahrt auf dem Neckar, etwas Fachsimpelei mit einem Straßenmusiker und der – immer noch nikotinfreien - Abendplanung. Als Gerade-Noch-Raucher wollte ich mir eines der letzten Male den Luxus von Spontaneität gönnen und beschloss kurzerhand, bei einer Gemüsequiche in einer Esskneipe meine Entschlossenheit zu testen; wenn ich erst Nicht-Raucher, sorry, Ex-Raucher wäre, gäbe es nur noch ein Leben in strengen, preußisch festgelegten Tagesabläufen – lieblos, lustlos und langweilig. So meine damalige Überzeugung.

Nun gab es zu dieser Zeit noch keine Trennung zwischen Rauchern und Nichtrauchern in Restaurants, sodass ich ungehemmt über die im Lokal anwesenden Vertreter beider Gattungen sinnieren konnte. Ich kannte die Psyche der einen bis zum Erbrechen, die der anderen wollte ich mir peu à peu erarbeiten.

Ich muss dazu sagen, dass ich mich zeitweise für einen „kritischen“ Raucher hielt. Abgeklärt, wohlwissend, alles im Griff. Als Akademiker war ich es gewohnt, mir über Bücher Zugang zu den Dingen zu verschaffen. Nach der Lektüre zahlreicher Sucht- respektive Nichtraucherratgeber sah ich mich bestens präpariert für meinen neuen Lebensabschnitt. Das theoretische Wissen war da, es fehlte nur noch die Umsetzung in die Praxis. Manchmal allerdings fühlte ich mich dabei wie ein Kritiker – für Musiker ist er der Eunuch der Fachwelt: er weiß wie es geht, kann es aber nicht.

Ich saß also in jener Szenepinte und wartete auf mein Abendessen. Das Pils an meiner Seite machte das Ausharren ohne Zigarette nicht leichter. Als debutierender Wenig-Raucher musste ich den für Raucher so typischen

 

Selbsttäuschungen widerstehen, dem voll automatisierten Verdrängungsprozess, wenn es um die gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums geht.

Was mache ich jetzt am besten mit meinen Händen? Die vegetarische Quiche ist noch nicht da und so spiele ich „Menschen beobachten“. Die brünett gelockte Lucky-Strike-Raucherin schräg gegenüber fällt mir auf. Ich beginne, Bierdeckel zu lesen. Dann zu drehen. Dann neu zu stapeln. Hoffentlich sieht sie mich nicht. Ich befinde mich schließlich inmitten erwachsener Menschen. Jetzt bloß nicht an ihnen herumzupfen. Zum Glück entdecke ich die bereits gelesene Speisekarte. O.k., ich studiere sie von Neuem. Und dann nochmals. Bestimmt schaut sie schon pikiert herüber. Mir wird heiß und Unruhe keimt in mir auf. Ich weiß, dass das harmlose Entzugssymptome sind. Mein Verstand weiß das. Mein Körper auch? Er rebelliert und will sein Ego durchsetzen: jetzt rauchen! Bestimmt bin ich schon rot vor Aufregung. Um mir nichts anmerken zu lassen, rupfe ich an einem der Bierdeckel. Die Brünette muss mich für einen Neurotiker halten. Aber als Raucherin ahnt sie sicherlich, was ich gerade durchmache.

Ich suche meine Rettung, indem ich an das Gute im Schlechten zu glauben wage: Think Positiv! Das war mal große Mode Ende des letzten Jahrtausends. Job verloren? Partner durchgebrannt? Mutter gestorben? Haus abgebrannt? Schlimme Krankheit? Kein Problem. Think Positiv!

Ich erinnere mich an meine späten Teenagerjahre, als ich für den Buddhismus schwärmte. Von einem Zen-Meister lernte ich, dass jegliche Suchtproblematik in einen inneren Kampf mündet, den es mit aller Kraft, unter harmonischer Ausgewogenheit unserer weiblichen und männlichen Elemente zu führen gilt. Ruhig, gelassen und aggressionsfrei solle er sein, um somit seinen inneren Frieden wieder zu erlangen.

Nachdem ich also meine Gelassenheit zurück erobert hatte, drückte ich die von der Brünetten geschnorrte Kippe aus, zahlte und kehrte in die Heimat zurück. Mit 198 km/h, denn in meiner Wohnung warteten meine zwei Freunde.

Die Tage danach waren anstrengend. Ich hatte schlechte Laune, pendelte zwischen Enttäuschung und Selbstzweifeln und mogelte mich mit drei bis fünf Zigaretten durch den Tag.

Immerhin, ich hatte meinen Konsum reduziert und hoffte auf bessere Zeiten. Think Positiv.

3. Rauchertypen

Seit jeher neigen die Menschen dazu, sich und ihre Artgenossen zu kategorisieren. So glaubte etwa der Schweizer Theologe Johann Caspar Lavater bereits im 18. Jahrhundert, die Schöpfung der Natur letztgültig entdeckt zu haben, indem er uns in vier Charaktertypen – Sanguiniker, Melancholiker, Phlegmatiker und Choleriker – einteilte. Da mag etwas dran sein, dem Werbestrategen von heute allerdings helfen andere Typisierungen, nämlich die nach der Zugehörigkeit zu Altersgruppen, Berufsständen oder Bildungsschichten. Der Ku Klux Klan hat es da einfacher, er unterscheidet schlicht zwischen schwarz und weiß, so wie es für Teile des Islam lediglich Gläubige und Ungläubige gibt. Die Sumerer immerhin glaubten schon vor 5000 Jahren an die Existenz von sechs verschieden, aus Lehm geformten Menschentypen, während die ayurvedische Lehre sich mit den drei Kontrahenten Vata, Pitta und Kapha begnügt.

Der Drang nach Unterteilung scheint also zum Wesen des Menschen zu gehören. So, wie ein Supermarkt Marmelade von Gewürzmischungen trennt, trachtet unser Gehirn ständig danach, die Bausteine alles Wahrgenommenen in kleine, überschaubare Schubladen zu sortieren, um uns so Halt und Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt zu geben.

Auch der frisch gebackene Ex-Raucher kann sich von diesem Bedürfnis nicht freimachen. Er befindet sich in akuter Entwöhnungsphase, welche die schwierigste auf seinem langen Weg ins nikotinfreie Dasein ist. Daher ist er vorerst zu nichts anderem in der Lage, als seine Mitmenschen nach deren Rauchverhalten zu begutachten.

Aber, liebe Leser, schließen Sie nicht voreilig darauf, dass wir Raucher, Ex-Raucher und Motivierte nur mit Scheuklappen umherlaufen; diese Fixierung ist in diesem Stadium des Aufhörens völlig normal und ungefährlich. Und weil der Neuentschlossene noch etwas unbeholfen auf Partys und Betriebsfeiern umherstelzt, braucht er die Genugtuung, nicht zu den hoffnungslos unverbesserlichen Berufsrauchern zu gehören. Er benötigt nun das Gefühl, einer der Hoffnungsträger zu sein, ein Auserwählter seiner Zunft mit besonderen Fähigkeiten. Die folgende Galerie der Rauchertypen hilft dem Gewillten, sich von anderen Gruppen abzugrenzen, und damit Motivation und Selbstvertrauen zu stärken:

Der Paffer

Mit drei bis vier Zigaretten jährlich gehört der Paffer eigentlich nur bedingt in diese Auflistung, zumal er den Tabakdunst an der Lunge vorbei direkt wieder an die frische Luft pustet. Durch seinen seltenen Griff zur ihm offerierten Zigarette suggeriert er sich, einen exklusiven Moment seines Lebens zu krönen, z.B. den letzten Abend eines Turtelurlaubes am Strand von Barbados oder die freudige Botschaft, Großvaters Hotelkette geerbt zu haben.

Die Gewissheit der Unbedenklichkeit seines Tuns beschert dem Paffer ein stets reines Rauchergewissen, leider aber gelegentlich auch die Missgunst so mancher Schwerstabhängiger.

Der Gelegenheitsraucher

Er ist der wohl Angesehenste der Gattung Raucher. Unter den Aktiven genießt er den Ruf, völlig frei und selbstbestimmt Tabak konsumieren zu können, ohne dass je eine Suchtgefährdung eintreten könnte. Selbst Nichtraucher von Geburt an tolerieren diese Spezies, da sie im Gegensatz zum Rest der Qualmer ein gewisses Maß an Selbstkontrolle vorweisen kann.

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