Aufzug der Lüste

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Aufzug der Lüste
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Jean Mantin

Aufzug der Lüste

Eine erotische Fantasie


Für Inspiration und Unterstützung danke ich:

Botok, Robert, Ette, Roman und meinen Eltern.

Impressum

© 2016 Jean Mantin

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin,

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-8391-6

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Aufzug der Lüste

Inhalt:

1. Vorschau - ein Textausschnitt

2. Der Traum

3. Eine Nacht mit der Ex-Kollegin

4. Dominant-devotes Blind Date

5. Treffen im Keller

6. Der SM-Ball

1. Vorschau - ein Textausschnitt

„...Sie öffnete die Tür und wir kamen in einen weiteren Raum, der deutlich dunkler war als der bisherige. Es standen hier eine Vielzahl von Sesseln und Sofas herum und daneben standen mehrere Holzkommoden. „Setz dich dort hin“, sagte Keiko zu mir und zeigte auf einen der Sessel. Sie schloss die Tür und ging zu einem anderen Sessel, von dem ich nur die Rückseite sah. Jetzt bemerkte ich, dass dort schon jemand saß. Keiko stand vor der Person, die in dem Sessel saß, ansonsten war es ganz still. Ich hörte ein schweres Atmen. Dieses Atmen konnte nur von der Person sein, vor der Keiko stand. „Ich zeige dir nun, was wir mit Sklavinnen machen, die versucht haben, die Augenbinde abzunehmen. Mei, komm her!“, befahl sie. Ich stand umgehend auf und ging zu dem Sofa, wo Keiko stand. Als ich näher kam, sah ich, dass dort auf dem Sofa eine Frau saß; sie saß dort ganz aufrecht. Sie war angezogen, ihre Brust hob und senkte sich heftig. Sie atmete schwer. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewohnt hatten, erkannte ich, dass sie eine Maske vor den Augen trug und dass ihre Handgelenke an den Lehnen des Sessels gefesselt waren. „Komm näher zu mir, Mei“, forderte mich Keiko auf. „Das ist Misaki, sie kam gestern zu uns und hat während des Balls versucht, ihre Augenbinde abzunehmen.“ Keiko fasste mit beiden Händen nach dem Kopf der Frau in dem Sessel. Sie streichelte ihren Hals, ihre Ohren. Und erst jetzt erkannte ich, dass sie einen Knebel im Mund hatte. Es war eine Art Ring, den sie im Mund hatte und der mit einer breiten Lederschnalle an ihrem Hals befestigt war. Sie atmete schwer und Keiko strich langsam mit ihren Fingern über die Lippen der Frau. Ich sah, dass sich ihre Hände leicht in den Fesseln wanden. „Du bist wunderschön“, sagte Keiko zu der Frau, „schade, dass wir dich jetzt nicht mehr auf den Ball lassen können.“ Sie öffnete langsam die Knöpfe von Misakis Bluse, die immer schwerer atmete. Keiko kniete sich vor sie hin und griff mit ihrer rechten Hand nach dem gefesselten Handgelenk von Misaki. Mit ihrer linken Hand öffnete sie die Bluse von Misaki und entblößte ihre Brüste. Sie waren wunderschön und ihre Brustwarzen waren klar zu erkennen. Ich trat näher hinter Keiko. Ich starrte auf die nackten Füße von Keiko, die mit dem Rücken zu mir vor Misaki kniete und wusste nicht, was ich machen sollte. Sollte ich jetzt schnell zurück in den Vorraum rennen und einfach weglaufen? Ich war wie gelähmt. Keiko streichelte die Brüste von Misaki und berührte mit der einen Hand ihren Mund. Die gefesselte Frau zitterte immer mehr. Ich sah wie Keikos linke Hand nun entlang der Schenkel von Misaki strich. Misaki versuchte...“

2. Der Traum

Der Aufzug blieb stehen. Ich hatte es nicht eilig. Dennoch war es mir unangenehm, wenn der Aufzug um diese Uhrzeit in fast jedem Stockwerk anhielt. Ich hatte mich so hingestellt, dass ich niemandem direkt ins Gesicht sehen musste. Mit meinen Armen hielt ich meine Tasche vor dem Bauch fest, mir war warm. Jetzt drängten weitere Gäste in den Aufzug, ich stand mit dem Rücken zur hinteren Aufzugwand, es wurde immer enger. Ich blickte nach links, eine Werbeanzeige für den Wellnessbereich im obersten Stockwerk, ich kannte den Text auswendig. Mein Blick wanderte weiter über die verspiegelten Seitenwände und traf kurz den eines Herrn, der ebenfalls in den Spiegel schaute. Ich merkte, wie ich etwas zuckte, direkter Blickkontakt auf diese enge Distanz hasste ich. Ich starrte nach unten auf meine Schuhe und lauschte der leisen Hintergrundmusik. Niemand sagte etwas. Der Aufzug hielt erneut, Gäste verließen den Aufzug, auch der Herr vor mir. Es wurde erneut voller, ich hielt meine Tasche fest und blickte weiter auf den Boden. Bald musste mein Stockwerk erreicht sein. Ich blickte auf schwarze Ballerinas einer Frau direkt vor mir. Sie hatte wunderschöne Beine, mein Blick wanderte nach oben. Sie hatte die Haare geschickt zusammengebunden, ihr Nacken war unmittelbar vor mir. Sie trug keinen Schmuck, ich sah nur ihre weiße Bluse und ihren Nacken. Ich wagte kaum zu atmen, da ich Angst hatte, sie könne meinen Atem auf ihrem Nacken spüren. Ihr Nacken strahlte eine unheimliche Erotik aus, vornehm, unerreichbar. Ich wagte nicht zur Seite in den Spiegel zu schauen, um ihr Gesicht zu sehen. Ich nahm den Duft frisch gewaschener Haare war. Ich musste schlucken. Der Aufzug hielt erneut und die Frau entschwand dem Gedränge. Ich versuchte zwischen den Personen einen Blick auf Ihr Gesicht zu erhaschen, doch ich sah nur, wie sie sich ihre Handtasche von der Schulter nahm und ihr Kopf sich nach vorne neigte. Sie schien etwas in ihrer Tasche zu suchen. Dann schlossen sich die Aufzugtüren. Nur das Bild ihres grazilen Nackens blieb in meinem Kopf.

Erst als der Aufzug erneut stoppte und sich die Türen gerade wieder schließen wollten, merkte ich, dass ich in der richtigen Etage war. Ich drückte schnell den Öffnen-Knopf, wobei ich einen Gast neben mir etwas wirsch zur Seite drängen musste. Die Frau mit den schwarzen Ballerinas hatte mich verwirrt.

Ich ging den Gang entlang in Richtung meines Zimmers, mir war jetzt nach etwas Alleinsein. Auf dem Gang traf ich Mike, der gerade dabei war, den türkisfarbenen Teppich zu saugen. Ich weiß nicht, ob es sein richtiger Name war, doch hier nannten ihn alle Mike. Mike hatte immer dicke Kopfhörer auf und hörte Goa-Musik. Er nickte mir kurz zu, als ich an ihm vorbeiging und sein Gesicht strahlte wie immer eine innere Zufriedenheit aus, die man nur selten sah. Er schien beim Saugen ganz woanders zu sein, in einer fernen Welt, vielleicht auf einer endlosen Goa-Party bei Sonnenaufgang. Nur der Staubsauger stellte eine reale Verbindung zum Hier und Jetzt dar.

Fraglich war mir nur, wieso der Teppich in diesem Haus jeden Tag gesaugt wurde. Wann immer ich im Hotel unterwegs war, traf ich Mike fast durchwegs an einem anderen Ort im Gebäude. Immer war er gerade dabei, den türkisfarbenen Teppich zu saugen. Dieser Teppich, der alle Flure dieses Gebäudes zierte, verlieh dem Haus einen besonderen Charme. Auf der einen Seite strahlte dieses helle Türkis eine belebende Frische aus. Ein wenig glich es dem hellen Licht an der Cote d'Azur. Die Schwere des Teppichs – man sank fast immer ein wenig ein beim Gehen – gab dem ganzen zudem etwas Edles. Doch auf der anderen Seite gab der Teppich dem Haus auch einen etwas angestaubten Anstrich. Denn auch wenn Mike sich täglich um dieses Mobiliar kümmerte, zahlreiche Brandflecken von Zigarettenasche waren nicht mehr vollkommen wegzubekommen.

Eigentlich war ich kein besonderer Fan von Teppichböden – nein ich hasste es sogar, barfuß über Teppich laufen zu müssen –, und trotzdem konnte ich mir die Welt ohne diesen speziellen Teppich gar nicht mehr vorstellen. Und natürlich bewegte ich mich auf diesem auch nie barfuß.

Ich war nur noch ein paar Schritte von meiner Zimmertür entfernt und dachte beim Vorbeigehen an der Tür meines Nachbarn an die Worte von Mike: „Soll ich Ihnen mal was sagen? Ihr Nachbar, der ältere Herr in dem Zimmer rechts neben Ihnen, der läuft den ganzen Tag über nackig im Zimmer herum, ganz nackig, er trägt dabei nur gestreifte Socken und Hausschuhe. Und das auch wenn meine Kollegen bei ihm im Zimmer sauber machen. Krass oder? Er steht dann meistens mit einem Glas Orangensaft vor dem Fenster und schaut den Tauben nach, die draußen umherfliegen. Richtig unheimlich! Wissen Sie was? Es gab schon Kolleginnen von mir, die sich weigerten, bei ihm sauber zu machen. Also Gäste gibt es... Aber von mir haben Sie das nicht, woll!“

Als ich an der Tür meines Nachbarn vorbeiging, versuchte ich auszumachen, ob ich etwas hinter seiner Tür vernehmen konnte. Nein, es war alles still.

Ich stand vor meiner Tür, schaute auf meine Schuhe und auf die Abdrücke, die meine Schritte in dem frisch gesaugten Teppich hinterließen. Ich strich mit dem einen Schuh über einen dieser Abdrücke und versuchte die Spuren zu verwischen. Es war wirklich ein besonderer Teppich.

Ich schloss auf und betrat mein Zimmer. Frische Luft kam mir entgegen, ich hatte das Fenster extra etwas offen gelassen. In den Fluren roch es immer ein wenig muffig, nach frisch gesaugtem Teppich.

Ich stellte den Wasserkocher an und schaltete das Radio an, es lief gerade „Shine on you crazy Diamond“ von Pink Floyd. Ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut von diesem Lied. Ich setzte mich auf mein Bett und starrte auf den Wasserdampf, der aus dem Wasserkocher kam. Ich muss dort lange so gesessen haben, denn erst als das Lied vorbei war, merkte ich, dass das Wasser schon längst gekocht hatte. Ich stand auf und goss mir einen grünen Tee auf.

 

Mir war kalt. Ich hätte das Fenster doch nicht die ganze Zeit offen lassen sollen. Ich stellte die Klimaanlage auf 25 Grad hoch, schloss das Fenster und zog die Gardinen zu. Jetzt mit einer Wärmflasche ins Bette legen, das wäre genau das Richtige, dachte ich. Ich lehnte mich zum Nachttisch herüber, nahm den Hörer ab und drückte auf die „Null“ für den Zimmerservice. „Guten Abend, was kann ich für Sie tun?“, meldete sich eine Stimme mit leicht indischem Akzent.

„Hallo, eine Frage, hätten Sie eine Wärmflasche, die Sie mir bringen könnten?“ „Ja selbstverständlich, was möchten Sie trinken?“

„Nein, ich meine eine W-Ä-R-M-Flasche, zum Aufwärmen im Bett“, versuchte ich verständlich zu machen.

„Ja, gerne bringen wir Ihnen auch etwas Warmes. Möchten Sie vielleicht einen Tee oder einen Kaffee? Welche Zimmernummer haben Sie?“

Ich überlegte kurz, ob ich mit weiteren Erklärungen noch Glück haben würde. „Äh, ach ich habe es mir doch anders überlegt, haben Sie vielen Dank“, sagte ich etwas unschlüssig und legte auf.

Ich entschied mich für eine heiße Dusche und ging ins Badezimmer, nachdem ich den Teebeutel aus meiner Tasse genommen hatte. Im Bad war es zum Glück schön warm und ich genoss die Fußbodenheizung, die ich durch meine Schlappen spürte.

Ich stand nun mit der Teetasse im Bad und kam mir etwas komisch vor, als ich mich so dort im Spiegel stehen sah. Da stehe ich nun mit einer Tasse Tee im Badezimmer, andere sitzen in wichtigen Meetings oder gehen mit ihrem Hund Gassi. Ich hatte keine Verpflichtungen, niemanden, der auf mich wartete.

Ich horchte, ob ich etwas aus dem Nachbarzimmer hören konnte. Denn manchmal hörte man in meinem Badezimmer recht deutlich die Geräusche aus dem Zimmer zu meiner Linken. Die Dame, die dort wohnte, hatte mir einmal gesagt, dass das Zimmer immer für sie reserviert sei und niemals anderweitig vermietet wird. Ich war eines Abends mit ihr an der Bar ins Gespräch gekommen. Es waren an diesem Abend neben dem Kellner nur wir beide an der Theke und wir hatten beide den Drang, einfach mit jemandem zu sprechen. Sie hatte schon einige Gläser Sekt getrunken und sagte mit roten Wangen: „Soll ich Ihnen mal ein Geheimnis verraten?“, und stütze sich auf die Theke. „Ich bin nicht geschäftlich hier, ich habe dieses Zimmer nur, um mich mit Männern zu treffen.“ Dann nahm sie einen Schluck aus ihrem Glas und erwartete irgendeine Reaktion von mir. Wahrscheinlich ein „Weiß denn Ihr Mann davon?“ oder „Und habe ich auch eine Chance bei Ihnen?“, doch ich blickte nur auf die aufgereihten Spirituosen hinter der Bar und nahm ebenfalls einen Schluck aus meinem Glas. „Ist ihre Verabredung heute nicht erschienen?“, fragte ich nach einer Weile. „Ja, woher wissen Sie das?“ Sie blickte mich direkt an und man merkte, wie angetrunken sie schon war. Ich schlug vor, dass wir die Unterhaltung ein andermal fortsetzen sollten und half ihr zum Aufzug. Ich blieb noch etwas an der Bar und bestellte ein weiteres Glas Weißwein.

Erst viele Tage später traf ich sie dann im Flur, wie sie aus dem Zimmer neben meinem kam. Wir nickten uns beide zu und ich war mir gar nicht sicher, ob sie sich daran erinnerte, was sie mir in der Bar erzählt hatte. Seitdem sind alle Geräusche, die ich in meinem Bad aus dem Nebenzimmer höre, immer mit einer besonderen erotischen Spannung beladen. Doch heute war es still nebenan.

Am nächsten Morgen wurde ich von den Sonnenstrahlen wach, die mir ins Gesicht schienen. Ich hatte gestern nach dem Duschen vergessen, die lichtundurchlässigen Gardinen zuzuziehen. Es handelte sich hierbei jedoch nicht um direkte Sonnenstrahlen, es war nur die Sonne, die von den Fenstern des gegenüberliegenden Gebäudes reflektiert wurden. Manchmal traf mich ganz unerwartet ein Lichtstrahl, wenn jemand dort ein Fenster öffnete oder schräg stellte. Auch wenn ich es nun kannte, ich erschrak jedes Mal aufs Neue kurz und fühlte mich ein wenig ertappt.

Ich hatte Durst. Ich schlurfte ins Bad und hielt meinen Mund unter den Wasserkran. Hatte ich etwas zu erledigen heute, überlegte ich. Nein, sonst hätte ich mir den Wecker gestellt. Ich suchte mir ein paar saubere Kleidungsstücke aus dem Haufen, der auf dem Sessel lag und zog mich an. Ich sollte mal wieder meine Wäsche waschen lassen, dachte ich. Ich hatte nur noch einen Satz sauberer Unterwäsche zum Wechseln. Ich rief den Zimmerservice an und wurde sogleich begrüßt mit: „Ah, Hallo Herr Gustafsson, was kann ich für Sie tun?“ Igor war am Apparat, Igor war die gute Seele des Hauses, stets gut gelaunt und diese gute Laune war wirklich echt und nicht nur gespielt. „Hallo Igor, ich muss mal wieder ein paar Sachen waschen lassen, können Sie jemanden vorbeischicken?“ „Herr Gustafsson, Sie können Ihre Wäsche auch selber mit den Münz-Waschmaschinen waschen, wenn Sie sich das Geld sparen möchten und es nicht so eilig haben. Soll ich Ihnen zeigen, wo die Maschinen stehen? Die sind zwar eigentlich nur fürs Personal aber Sie als Dauergast dürfen die auch gerne benutzen.“ Ich freute mich über das Angebot und sagte ihm, dass ich in zehn Minuten in der Lobby wäre. Ich freute mich vor allem deshalb über das Angebot von Igor, weil ich so nicht länger überlegen musste, was ich mir heute vornehmen könnte. Zunächst einmal hatte ich jetzt eine „Verabredung“ mit Igor.

Als ich in der Lobby ankam, war Igor noch mit Gästen an der Rezeption im Gespräch und deutete mir mit seinem Blick an, dass er noch etwas Zeit benötigen würde und ich kurz warten solle. Ich stand mit meinem Beutel dreckiger Wäsche in der großen Halle und kam mir etwas verloren vor. Neue Gäste strömten durch die Drehtür in das Hotel und gingen zielstrebig auf die Rezeption zu. Es bildete sich eine Schlange vor den Schaltern, denn andere Gäste waren dabei auszuchecken. Ich nahm in einer Sofaecke neben einem älteren Herrn Platz. Ich nickte ihm kurz zu und schlug meine Beine übereinander. Der Herr hatte einen dunklen Mantel an, hielt eine Tageszeitung auf dem Schoß und schien auf seine Frau zu warten, die gerade dabei war, einzuchecken. Er wirkte irgendwie ungeduldig und wollte wahrscheinlich so schnell wie möglich auf sein Zimmer kommen. Uns beiden wurde von einem Angestellten ein Glas Sekt angeboten. Ich nahm ein Glas und war froh, das Glas in der Hand zu halten. So hatte ich etwas, an dem ich mich festhalten konnte. Der ältere Herr ließ sich einen Orangensaft bringen.

Ich blickte den Gästen nach, die durch die Lobby schritten. Alle schienen es eilig zu haben. Die einen wollten schnell auf ihr Zimmer, die anderen mussten einen Zug oder ein Flugzeug erreichen. Eine jüngere Frau zog ihren Trolley mit der einen Hand und zerrte an der anderen ein kleines Kind hinter sich her, welches neugierig den großen Luster an der Decke betrachtete. Es starrte die ganze Zeit nach oben und kam dadurch beim Laufen immer wieder ins Straucheln. Seine Mutter musste es immer wieder kurz vor dem Hinfallen an dem Arm hochreißen. Sie schien sehr genervt zu sein. Die Rollen ihres Trolleys quietschten dabei die ganze Zeit und ich musste schmunzeln. Der ältere Herr neben mir war aufgestanden und stand nun schon zusammen mit seiner Frau vor dem Aufzug. Ein Angestellter des Hotels trug die Koffer des Ehepaars. Das Kind der jungen Frau mit dem Trolley war hingefallen und war nun lauthals am Schreien. Ich nippte an meinem Sekt und betrachtete die Gepäckstücke, die verteilt in der Lobby standen. Mein Blick war fokussiert auf die verschiedenen Rollen der unzähligen Trolleys. Es gab Rollen, die nahezu lautlos über den Boden glitten. Andere waren anscheinend aus so hartem Kunststoff, dass sie selbst auf dem glatten Fliesen der Lobby ein hässliches Geräusch machten. Ich blickte zu Igor, er war noch immer mit neu eintreffenden Gästen im Gespräch. Mich störte es nicht, ich hatte Zeit. Ich nahm mir eins der Magazine, die vor mir auf dem Sofatisch lagen und blätterte etwas darin.

„So, jetzt können wir gehen, Herr Gustafsson. Bitte entschuldigen Sie, es war heute wieder sehr viel los an der Rezeption.“ Ich hatte Igor gar nicht kommen gesehen, so vertieft war ich in die Klatschnachrichten der Zeitung. „Aber dafür müssen Sie sich doch nicht entschuldigen, ich habe keine Eile.“ Ich legte das Magazin auf den Tisch der Sofaecke und nickte Igor zu. Igor ging zielstrebig los und ich folgte ihm. Wir gingen wortlos nebeneinander her, ich etwa einen halben Meter hinter ihm. Wir gingen auf dem türkisfarbenen Teppich durch den großen Flur, der das Haupthaus mit dem Seitenflügel verband, wo es einen Shoppingbereich gab und wo verschiedene Restaurants und Bars zu finden waren. Uns kam eine große Gruppe asiatischer Businessmen entgegen, die bereits um diese Uhrzeit angeheitert schienen und freudig ihrer Reiseleiterin folgten.

Igor bog nun in einen Seitengang. Ich musste mich anstrengen, seinem schnellen Schritt folgen zu können. Meine Gedanken waren noch bei den Geschäftsleuten aus Japan oder China. Sie würden wahrscheinlich nur eine Nacht hier im Haus bleiben und dann schon einen anderen Landesteil mit seinen Sehenswürdigkeiten abhaken. Wenn sie wüssten, wie lange ich schon hier bin, würden sie mich wahrscheinlich nur ungläubig anschauen und es als Scherz abtun.

Igor stoppte vor mir und ich wäre ihm fast auf die Füße getreten. „Bitte merken Sie sich diese Tür gegenüber von dem Feuerlöscher. Sonst finden Sie nachher nicht wieder zurück, um die Wäsche abzuholen“, informierte mich Igor und öffnete die Tür. Anscheinend hatte er gemerkt, dass ich in Gedanken war. Der Flur hinter der Tür war nun nicht mehr mit dem türkisfarbenen Teppich ausgelegt. Neonröhren an der Decke spendeten kühles Licht. Das gemütliche Ambiente wich einer eher sterilen Klinik-Atmosphäre. Wir gingen weiter, bogen nach links ab, standen vor einer weiteren Tür und ich folgte Igor eine Treppe hinunter. Die Wände des Treppenhauses waren weiß gekachelt. Mir schien, dass wir drei Stockwerke nach unten gegangen waren, bis wir in dem großen hellen Raum mit zahlreichen Waschmaschinen standen.

„Da wären wir“, sagte Igor und wies auf die Maschinen. „Hier sind die Waschmaschinen, dort die Trockner und das Waschpulver finden Sie hier abgepackt im Regal.“ Er öffnete eine Maschine und begann mir die Tasten zu erklären. Ich blickte um mich und betrachtete die anderen Personen in dem Raum. Neben Igor und mir waren noch eine Handvoll weiterer Personen hier im Keller, alle mit der Wäsche beschäftigt. Es waren alles Angestellte des Hotels und ich kam mir etwas komisch vor hier als Gast. Doch wir wurden nicht weiter beachtet, wahrscheinlich hielt man mich für einen neuen Angestellten, dem gerade alles erklärt wurde.

In der anderen Ecke des Raumes war eine wunderschöne Frau dabei, ihre Wäsche aus der Maschine zu holen und fein säuberlich zusammenzulegen. Als sie mir den Rücken zuwandte, fiel mein Blick auf ihren Nacken. Ja, es war dieselbe Frau, die ich im Aufzug gesehen hatte. Ich war mir ganz sicher.

„Herr Gustafsson, die Bedienung der Waschmaschinen ist also ganz einfach. Brauchen sie noch Hilfe? Sonst würde ich jetzt wieder zurück zur Rezeption gehen“, unterbrach mich Igor und blickte auch kurz zu der Frau in der gegenüberliegenden Ecke des Waschraumes. Er hatte bemerkt, dass ich die Frau anstarrte. „Äh, ja, haben Sie vielen Dank, Igor! Das werde ich schon schaffen“, und stellte meinen Beutel schmutziger Wäsche auf die Waschmaschine. Ich füllte die Maschine mit der Wäsche und nachdem ich die Maschine geschlossen hatte und zu dem Regal mit dem Waschpulver gegangen war, blickte ich erneut in die andere Ecke des Raumes. Die Frau war verschwunden. Ich schaute mich um, doch sie war nicht mehr zu sehen. Es musste noch einen anderen Ausgang geben.

Die Anzeige der Maschine zeigte noch 23 verbleibende Minuten an. Zurück zum Zimmer zu gehen, lohnte nicht. Also setzte ich mich auf eine gekachelte Stufe gegenüber von den Maschinen und starte auf die sich drehenden Trommeln. Das Geräusch der Klimaanlage war deutlich zu hören, es erinnerte mich an den Innenraum eines Fährschiffs, ganz unten kurz vor dem Autodeck. Ich dachte an eine Reise kurz nach dem Schulabschluss, wo ich Richtung Skandinavien getrampt war und während der Überfahrt auf einer Fähre im Autodeck geblieben war und zusammen mit einer Freundin Rum aus einer Thermosflasche getrunken hatte. Wir fühlten uns damals wahnsinnig mutig so allein im Autodeck unterhalb der Wasserlinie und gingen zwischen den großen Lastwagen umher. Man spürte das Vibrieren des Motors und das Rauschen der Klimaanlage. Wir fanden eine Tür zum Maschinenraum der Fähre, die nicht abgeschlossen war. Wir stiegen eine steile Treppe hinunter, es war wahnsinnig heiß und laut dort unten. Es war niemand zu sehen. Wir fühlten uns wie Agenten auf geheimer Mission. Und der Rum tat sein Weiteres.

 

Mir war heiß als ich aufwachte und ich hatte wahnsinnigen Durst. Ich blickte um mich, ich war in meinem Zimmer. Ja, das waren meine Sachen, die auf dem Tisch standen. Aber wie war ich hierhergekommen, was war passiert? Ich hatte meine Straßenkleidung noch an, nur die Schuhe hatte ich ausgezogen, einer lag auf der Türschwelle zum Bad, der andere vor den Gardinen in der anderen Ecke. Ich blickte auf den elektrischen Wecker neben mir, es war zehn Uhr abends. Doch was hatte ich gemacht? Ich war mit Igor in den Waschraum gegangen, hatte auf meine Wäsche gewartet. Ach ja, auf dem Rückweg bin ich wieder auf die Businessmen gestoßen, die in einem Konferenzraum mit einer Karaoke-Party begannen. Ich war an der offenen Tür stehen geblieben und hatte neugierig auf die Bühne geschaut. Ein älterer Herr – er kam aus Osaka und war Abteilungsleiter der Mitarbeiter, erzählte er mir später in gebrochenem Englisch – bat mich herein und gab mir ein Schälchen Sake in die Hand. Ich wollte nicht unhöflich sein und stieß mit ihm an. Herr Wakasa, so hieß er meine ich, war schon sichtlich in Fahrt und stellte mich anschließend jedem seiner Mitarbeiter einzeln als „Gustafsson-san“ vor. Fast jeder bot mir eine weitere Sake-Schale an und ich stieß mit jedem an. Ich konnte mich erinnern, dass ich irgendwann ziemlich betrunken auf einem Bierkasten neben der Bühne gesessen hatte, die „Stars“ der Karaoke-Party angefeuert habe und alles immer mehr um mich herum verschwamm. Das muss ungefähr zur Mittagszeit gewesen sein. Aber was war danach geschehen? Ich hatte keine Ahnung.

Ich stieg aus dem Bett, zog meine Klamotten aus und schob die Gardinen etwas zur Seite. Draußen war es stockdunkel und der Vollmond war zeitweise zu sehen. Es musste sehr windig sein, die Wolken zogen rasch vor dem Mond vorbei, verdeckten ihn kurz und dann war er wieder ganz zu sehen. Der Mondschein schien bis in mein Zimmer.

Ich ging ins Bad und hielt meinen Kopf unter den Wasserhahn. Der Puls hämmerte in meinem Kopf, meine Haaren stanken nach Zigarettenqualm. Mir machte das Gefühl zu schaffen, überhaupt keine Erinnerung zu haben. Nur diesen verschwommenen Blick aus der Ecke neben der Bühne hatte ich noch im Kopf. Wahrscheinlich war ich irgendwann auf den Boden gekippt. Was hatte ich angestellt, habe ich mich peinlich benommen? Ich legte mich wieder ins Bett und nippte an einer kalten Cola aus der Minibar.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?