Siana

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Ein Wind, der Buchstaben zu einem Wort knüpft, und eine Feder, die Worte zum Leben erweckt, erschaffen zusammen neue Welten, in denen die Leser abtauchen können. ❤️❤️❤ Allen, die mich auf dem Weg begleitet haben, möchte ich vom Herzen danken. Besonders meinem Mann, der mich immer unterstützt.

Prolog

Kapitel 1 Samstag

Kapitel 2 Sonntag

Kapitel 3 Montag

Kapitel 4 Dienstag

Kapitel 5 Mittwoch

Kapitel 6 Donnerstag

Kapitel 7 Freitag

Kapitel 8 Samstag

Kapitel 9 Sonntag

Kapitel 10 Montag

Kapitel 11 Dienstag

Kapitel 12 Mittwoch

Kapitel 13 Donnerstag

Kapitel 14 Donnerstag Abend

Kapitel 15 Freitag

Kapitel 16 Samstag

Kapitel 17 Sonntag

Kapitel 18 Montag

Kapitel 19 Dienstag

Kapitel 20 Mittwoch

Kapitel 21 Mittwoch Nachmittag

Kapitel 22 Donnerstag

Epilog Ein halbes Jahr später

Siana

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Siana – Das Puzzlestück

Jasmin Windfeder

Erstausgabe

April 2021

© 2021 DerFuchs-Verlag

D-74889 Sinsheim

info@DerFuchs-Verlag.de DerFuchs-Verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk, einschließlich aller Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung liegen beim Verlag. Eine Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ohne Genehmigung des Verlags ist strafbar.

ISBN 978-3- 96713-016-4 (Taschenbuch)

ISBN 978-3- 96713-017-1 (ePub)

Ein Wind, der Buchstaben zu einem Wort knüpft, und eine Feder, die Worte zum Leben erweckt, erschaffen zusammen neue Welten, in denen die Leser abtauchen können. ❤️❤️❤ Allen, die mich auf dem Weg begleitet haben, möchte ich vom Herzen danken. Besonders meinem Mann, der mich immer unterstützt.

Prolog


Die Tür wurde soeben geschlossen. Vor wenigen Augenblicken hielt ich sie noch in den Armen, jetzt sind beide weg. Solange, bis sie sich selbst auf die Suche machen und mich finden.

Seufzend zwinge ich mich, von der Tür wegzugehen, die ich dennoch weiterhin anstarre. Es war meine eigene Entscheidung, an der ich nun nichts mehr ändern kann. Es geht nicht anders.

In der Küche, auf dem Esstisch, liegen noch einige lose Papiere, ein Stift und ein großes Puzzle, in dem zwei kleine Teile fehlen. Die ganze Nacht saß ich hier und schrieb die Briefe, die sie eines Tages wieder zu mir führen sollen. Zumindest hoffe ich das.

Mit dem Puzzle, das ich vor vielen Jahren zusammengesetzt habe, gehe ich erneut in das Büro und hänge es zurück an die Wand hinter dem Schreibtisch. Wehmütig streiche ich über das steigende Pferd. Es ist Aladin Fly, mein erster Hengst.

Kapitel 1

Samstag


Die Lider fallen mir augenblicklich zu, als ich gähne. Mit der einen Hand wische ich über die tränenden Augen, während ich mit der anderen die Zügel festhalte. Was würde ich jetzt dafür geben, zurück in mein Bett zu können. Abermals überkommt mich ein Gähnen. Stattdessen muss ich unter Richards Adleraugen den unerfahrenen Wallach Darcon reiten, dessen Besitzer Großes mit ihm vorhat, weswegen er den Wallach zu uns in den RB-Stall zur Ausbildung gebracht hat. RB steht für Richard Bail, den Eigentümer und gleichzeitig mein Chef.

»Treib ihn endlich an! Gleich fällst du mir vom Pferd«, ruft Richard von der Tribüne.

Oh ja, bitte, was würde ich dafür geben, wenn ich mich einfach auf den Hallenboden legen könnte und nichts mehr tun müsste. Ich nehme allerdings die Zügel auf und drücke sanft meine Schenkel an Darcons Bauch. Er fällt augenblicklich in einen angenehmen Trab. Wieder überrollt mich eine Gähnattacke. Warum musste Mum gestern Abend nur ihren Frust an mir auslassen? Wenn ich gewusst hätte, dass sie ausschließlich ihre Probleme ansprechen wollte, hätte ich den Anruf nicht entgegengenommen. Weil es aber nach dreiundzwanzig Uhr war, dachte ich allen Ernstes, dass meinen Eltern oder meinem kleinen Bruder etwas passiert wäre, dabei musste sie erzählen, dass Finn und seine Freunde den Nachmittagskuchen im Wohnzimmer verteilt hatten und sie bis eben am Putzen war.

Darcons Schnauben holt mich in die Halle zurück. Ich blinzle kurz und treibe ihn nochmals an. Holprig wechselt er in den Galopp.

»Konzentration!«, bellt es sogleich von der Tribüne.

Klar, das musste er natürlich sehen. Ich reite eine Volte, um danach gerade gerichtet auf das Hindernis zuzugaloppieren.

Wenn sich Mum wenigstens nach einigen Minuten verabschiedet hätte, aber nein, sie musste so lange jammern, bis sie sich beruhigt hatte. Nicht einmal mein Versuch, das Telefonat zu beenden, funktionierte, da fing sie gleich wieder damit an, dass ich angeblich nicht zuhören kann. Oh doch, und wie gut ich das kann! Aber nicht, wenn ich am Tag zehn Pferde bewege, ein sehr strenges Springtraining absolviere und dann noch die gesamte Stallarbeit gemacht habe.

Ich höre Richards Stimme und will soeben antworten, als mein Oberkörper gegen etwas knallt. Kurz bin ich wie benebelt, bis mir bewusst wird, dass ich gegen Darcons Hals geprallt bin. Er hat das Hindernis verweigert!

»Siana!«, donnert es quer durch die Halle!

Shit! Das bedeutet Ärger.

»Runter vom Pferd!« Seine Augen funkeln mich wütend an, nachdem er mich erreicht hat. Ein Zeichen, dass man besser nicht widerspricht.

Ich hüpfe wortlos aus dem Sattel.

»Was ist los mit dir?« Er nimmt die Zügel in die Hand, die ich ihm reiche.

»Hab schlecht geschlafen«, brumme ich kleinlaut.

»Na und? Ich schlafe dauernd schlecht und kann mich trotzdem konzentrieren!«

»Du bist es gewohnt.« Ich lächle ihn unschuldig an.

Er knurrt unverständliche Worte, verändert dabei gleichzeitig die Länge der Steigbügel. Ohne mich nochmals zu beachten, schwingt er sich selbst in den Sattel und treibt den jungen Wallach an. Kurz sehe ich den beiden nach. Richard ist im Stall berühmt für seinen mangelhaften Schlaf. Wenn man ihn darauf anspricht, was der Grund ist, kommt nur die Antwort, dass er viele Dinge im Kopf hat. Jessica, eine seiner langjährigen Reitschülerinnen, hatte einmal den Mut, ihm den Rat zu geben, dass er es abklären lassen soll, die Antwort darauf war ein zweiwöchiges Stallverbot.

Es ist kein einfaches Thema. Ich könnte jedoch wetten, dass er nicht halb so autoritär wäre, wenn er genügend Schlaf bekommen würde. Eine gewisse Strenge ist ja nicht verkehrt und kann andere fördern, es sollte aber mit Lob ausgeglichen werden. Das ist bei Richard definitiv nicht der Fall.

Ich mache mich auf den Weg in den Stall. Da mir Richard das Pferd weggeschnappt hat, werde ich ihm wohl das Nächste bereitstellen müssen.

Von der Reithalle der Ranch ist es ein Katzensprung, um zum Stall zu gelangen. Tür auf, zwei Schritte machen und schon steht man in der Stallgasse. Es gibt noch einen weiteren Eingang, vom Parkplatz aus, der wird größtenteils von auswärtigen Reitern benutzt. Links neben der Tür hängt ein schwarzes Brett, auf dem sämtliche Reitschüler, Pferde, Kurse und unser Trainingsplan vermerkt sind.

 

»Willst du Bajan oder soll ich gleich Trojana bereitstellen?«, rufe ich in die Halle, ehe Richard vorbeireitet.

»Trojana.«

Dann scheint der Wallach heute einen freien Tag zu haben. Das wird ihm nach dem gestrigen Springtraining guttun.

»Du reitest mit Bajan aus. Das weckt dich und er wird etwas geschont.«

Zu früh gefreut.

»Wird gemacht, Chef«, verkünde ich.

Ein lautes Grummeln ertönt. Er hasst es, wenn ich ihn Chef nenne, und das bereitet mir wiederum noch mehr Spaß, es zu sagen.

Ich mache mich grinsend auf den Weg zur Stute. Schnell sind beide Pferde fertig und bereits kurz darauf reite ich mit dem braunen Wallach durch den Wald. An Tagen wie heute liebe ich die Ruhe und bin froh, dass hier kaum andere Menschen anzutreffen sind. Dafür hüpft einem gerne einmal ein Känguru über den Weg, um gleich hinter dem nächsten Bäumen zu verschwinden. In diesen Momenten bin ich erleichtert, wenn ich Bajan unter mir habe. Trojana geht bei jedem Geräusch und jedem Monster in den Büschen in die Luft. In dieser Hinsicht kann man kaum glauben, dass die beiden Vollgeschwister sind. Man nennt beide zwar Ausnahmetalente im Springen, aber charaktermäßig sind sie komplett verschieden. Während Bajan der Ruhige ist, verkörpert Trojana die Impulsive.

Ich schließe die Augen, gebe mich den Bewegungen des Wallaches hin und lausche den verschiedenen Vogellauten. Ich atme tief die Waldluft ein, die leicht nach Eukalyptus duftet, und merke bald darauf, wie ich innerlich ruhiger werde. Ein Ausritt wirkt für mich stets wahre Wunder und ist fast so wertvoll wie eine Stunde Schlaf.

Bajan schnaubt. Ich öffne die Augen, brauche einen kleinen Moment, bis mein Blick klar wird und ich die Bäume um mich herum scharf sehe.

Er schnaubt nochmals, woraufhin ich ihm mit meinen Fingern durch die dunkle Mähne fahre und einige Worte flüstere. Wenn es so weiter geht, ende ich bald wie Richard und leide unter Schlafmangel. Es ist nicht nur der nächtliche Anruf von Mum, der mir den Schlaf geraubt hatte, seit Wochen beschleicht mich ein unruhiges Gefühl, welches ich nicht definieren kann. Doch wahrscheinlich brauche ich nur eine längere Auszeit. Urlaub wäre nicht schlecht.

Zwar passieren zurzeit nur kleinere Fehler und kurz die Augen schließen reicht, um mich wieder zur Vernunft zu bringen, aber der Tag wird kommen, an dem ich mich und andere in Gefahr bringen könnte oder gar schlafend vom Pferd falle. Kurz reibe ich mir über die brennenden Augen. Wenn ich doch nur verstehen könnte, was mich in letzter Zeit derart beschäftigt.

Mein Körper erbebt, als Bajan laut wiehert. Aus der Entfernung ertönt ein anderes Pferd. Ein Zeichen, dass wir bald zurück auf der Ranch sind.

***

Einige Minuten später kommen wir am Stall an. Kaum durchschreiten wir das rustikale Tor, mit je einem aus Holz geschnitzten Pferdekopf, sehe ich das fremde Auto stehen. Ein schwarzer Mercedes. Die meisten unserer Kunden sind wohlhabend, aber keiner von ihnen kommt mit einem Sportwagen auf den Hof. Natürlich sind es teure, große Autos, die locker einen Pferdeanhänger ziehen können.

Wer das wohl ist?

Ich steuere Bajan auf den Stalleingang zu und schwinge mich schwungvoll aus dem Sattel. Der Wallach hebt plötzlich interessiert den Kopf.

»Hi!«

Erschrocken zucke ich zusammen und sehe die Person an, der die Stimme gehört. Es ist ein junger Mann, schätzungsweise in meinem Alter. Sein graues T-Shirt, die dunkle Jeans und die schwarzen Sneakers fallen mir sofort ins Auge. Er passt nicht zu unseren üblichen Kunden und schon gar nicht zu diesem protzigen Auto.

»Hallo!«, kommt meine Begrüßung.

Ich würde ihn gern zurechtweisen, aber er sieht mich entschuldigend an und schenkt mir ein schiefes Grinsen. Das besänftigt mich auf der Stelle.

»Ich suche Richard. Weißt du, wo er ist?«

Kurz räuspere ich mich, um meine Sprachlosigkeit wegzubekommen.

»Kommt darauf an, wer das wissen will. Richard ist beschäftigt und duldet kaum eine Ablenkung.«

Ha! Ich habe meine Stimme zurück.

»Mich wird er dulden.« Der hartnäckige Typ, der sich übrigens noch immer nicht vorgestellt hat, sieht mich mit hochgezogenen Brauen an.

»Ach? Und weswegen sollte er bei dir eine Ausnahme machen?«

»Ich bin Kay. Kay Bail!«

»Bail?« Ich runzle die Stirn und beäuge ihn kritisch.

»Ja!« Er sieht mich ebenfalls abschätzend an, da er sich plötzlich nicht mehr ganz so sicher ist, ob ich tatsächlich zur Ranch gehöre. »Ich bin Richards Sohn.«

Ich brauche einen kurzen Moment, bevor ich laut auflache.

»Klar, du und sein Sohn. Wen willst du bitte veräppeln?«

»Ich weiß das Pferde äppeln, aber ich sage dir die Wahrheit.«

Entgeistert betrachte ich ihn. Schwarze Haare, braun leuchtende Augen, muskulös, groß. Außer die Statur erinnert mich nichts an Richard, der braune Haare und grüne Augen hat.

»Keine Ahnung, was du nachts träumst, aber das da«, dabei zeige ich auf seinen Körper, »ist bestimmt nicht sein Sohn. Er hat nämlich keine Kinder.«

»Er muss einem Stallmädchen sicherlich auch nicht alles erzählen. Oder bist du mit ihm verwandt oder gar liiert?« Er sieht mich herausfordernd an, was mich sofort anstachelt.

»Nein, aber ich kenne ihn schon sehr lange.«

»Anscheinend nicht gut genug.« Er grinst mich frech an. »Kannst du mir jetzt bitte sagen, wo er ist?«

Ich schürze die Lippen und zucke mit den Schultern. Mit dem Typen meine Zeit zu verschwenden, sehe ich jetzt doch nicht ein. Falls er sich einen Scherz erlauben will, wird Richard ihn schon an die Luft setzen.

»Vermutlich in der Reithalle!« Mit diesen Worten nehme ich Bajan an den Zügeln und führe ihn in seine Box. Dort sattle ich ihn ab und bürste rasch durch sein Fell. Immer wieder schüttle ich den Kopf. Langsam verunsichert mich das Gespräch. Sein Sohn ... Ob ich Richard doch nicht gut kenne?

Während ich die Reitausrüstung in die Sattelkammer bringe, die direkt neben dem Stall liegt, höre ich Richards Stimme.

»Kay, wie schön, dass du endlich da bist. Hattest du eine gute Fahrt?« Sie kennen sich wohl wirklich. Ob dieser Kay echt die Wahrheit sagt?

»Ja, war kein Problem.«

»Wo sind die anderen?«

»Sollten auch bald da sein. Sie hatten mit dem Verladen etwas Mühe.«

Ich stocke in der Bewegung und spitze die Ohren. Es kommen noch mehr Leute? Na, wunderbar!

Ich marschiere in die Kammer, als Richard auf einmal meinen Namen ruft. Schnell lege ich das Reitzeug auf seinen Platz und gehe zu den beiden Männern.

»Darf ich vorstellen: Das ist Kay, mein Sohn.« Richard strahlt richtig, als er auf den Fremden zeigt.

Ich sehe Kay nur schweigend an, nachdem dieser leise, aber frech meint:

»Ich habe es dir ja gesagt.«

Ich verdrehe daraufhin nur die Augen.

»Du hast nie etwas von einem Sohn erzählt«, sage ich stattdessen an Richard gerichtet.

»Ich weiß. Es ist eine lange Geschichte.« Kurz sieht er gebrochen aus, doch genau so schnell hat er sich wieder gefasst. »Und nein, ich erzähle nichts. Die Vergangenheit soll ruhen.«

Kurz öffne ich den Mund, um ihn erneut zu schließen. Ich würde zu gerne fragen, was das für eine Geschichte ist, aber ich will ihn nicht verärgern. Ich habe mir heute schon genug Fehler geleistet.

»Ich wurde adoptiert. Vor einigen Monaten habe ich das erste Mal mit meinem Vater Kontakt aufgenommen«, übernimmt Kay das Sprechen.

Richard sieht ihn einen Moment strafend an. Oh ja, Kay wird schnell merken, dass man ihm besser nicht widersprechen soll.

»Kannst du bitte noch die Box für ein neues Pferd fertigmachen? Am besten die neben Trojana«, sagt Richard in einem strengen Ton, den er an mich richtet. Auch ein Zeichen, besser zu machen, was er sagt.

Ich nicke und wende mich von ihnen ab.

***

Während ich das Stroh verteile, höre ich eine Autotür. Kurz darauf eine zweite und eine Frauenstimme, die fröhlich »Hallo« ruft. In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich nicht einmal weiß, was für ein Pferd kommt, geschweige denn, wem es gehört. Sonst erzählt mir Richard jedes Detail von Pferd und Besitzer. Er findet es sogar wichtig, mir solche Informationen weiterzugeben, um sich die ersten Gedanken zu machen.

»Bist du fertig?« Richard steht plötzlich an der Tür und schaut sich in der Box um.

»So gut wie, muss nur noch das Heunetz aufhängen.«

»Gut.« Ohne ein weiteres Wort verschwindet er.

Ich sehe ihm kurz nach, bevor ich nach dem Heunetz greife, das ich neben der Box abgelegt habe. Sorgfältig und mit einer gewissen Höhe, hänge ich es an dem vorgesehenen Ring an die Wand. Fertig! Von mir aus kann der Gast einchecken.

Wie aufs Stichwort höre ich Stimmen, gefolgt von Hufgeklapper. Ich überlege kurz, ob ich warten soll, entscheide mich jedoch für das Verschwinden und eile in das Reiterstübchen, um dort einen Kaffee zu trinken.

In der ganzen Hektik ist die Müdigkeit in den Hintergrund gerückt, aber jetzt, da die Arbeit erledigt ist, könnte ich auf der Stelle einschlafen. Den Kopf auf eine Hand abgestützt, sitze ich am Tisch, vor mir die Tasse mit dem heißen Muntermacher. Heute sehne ich mich nur noch nach dem Feierabend und meinem Bett.

»Gute Nacht!«, ertönt Kays Stimme, als ich gerade gähne. Erschrocken sehe ich hoch. »Andere schlafen in der Nacht.«

Er grinst mich frech an, holt dabei ein Glas aus dem Schrank und füllt es mit Wasser.

»Ich normalerweise auch«, murmle ich und nehme einen großen Schluck Kaffee.

»Und warum diesmal nicht?« Er sieht mich neugierig an, nippt dabei an seinem Glas.

»Telefoniert!«

Er lacht laut auf.

»Typisch Frauen. Können sich nie von ihren Freundinnen losreißen.«

»Es war keine Freundin«, antworte ich schnippisch, was Kay anscheinend einen leichten Schlag versetzt.

»Dann sag deinem Freund das nächste Mal, dass er dich schlafen lassen soll.« Erneut lacht er, aber diesmal scheint es nicht die Augen zu erreichen, die mich betrachten.

»Ich wüsste nicht, was es dich angeht, aber es war meine Mutter, die mir ihr Herz ausschütten musste.«

Ohne eine weitere Bemerkung setzt er sich mir gegenüber hin.

»Wie lange musst du noch arbeiten?«, wechselt er das Thema.

Ich sehe kurz auf die Uhr an der Wand.

»Drei Stunden.«

»Die gehen bestimmt schnell vorbei«, meint er und lächelt mich aufmunternd an.

Wahrscheinlich hat er Recht, aber das werden die anstrengendsten Stunden der letzten Monate. Ich muss noch Bonny reiten, danach die Pferde füttern und misten. Doch anstatt zu jammern, nicke ich nur vorsichtig lächelnd.

»Können wir dir etwas helfen? Wegen uns hast du noch ein Pferd mehr. Und, da ich ab heute eine Weile auf dem Hof wohne, ist das ein guter Einstieg.«

Ich ziehe eine Braue hoch.

»Kannst du misten?«

Er nickt.

»Dann darfst du gerne mit den Boxen beginnen, die leer stehen.«

Ich beobachte ihn. Er trinkt sein Glas aus, stellt es in das Waschbecken und geht. Ob er mir wirklich hilft? Ich nippe weiter an meinem Kaffee. Erst jetzt gehen mir seine Worte durch den Kopf.

›Er wird eine Weile auf dem Hof wohnen.‹

Na, Prost Mahlzeit! Das kann ja heiter werden.

Mit einem Zug leere ich die Tasse, stelle sie ebenfalls ins Waschbecken und gehe zur Tür. Kaum komme ich aus dem Reiterstübchen, höre ich das Gelächter. Neugierig nähere ich mich dem Lärmpegel, der in Richtung Stall immer lauter wird. Ich öffne die Stalltür und bemerke schon bei halbgeöffnetem Tor, was hier für eine Unordnung herrscht. Gerade sehe ich noch, wie eine mir fremde Frau, etwa in meinem Alter, mit der Hand einen halben Strohballen in eine Box wirft und dabei laut auflacht.

»Was ...?«

»Was ist hier los?«, donnert es zur gleichen Zeit aus der Reithalle, bevor ich fragen kann, was die Verrückten dabei geritten hat. »Siana, was soll das?«

»Keine Ahnung, ich komme gerade aus der kleinen Pause. Eigentlich wollte dein Sohn im Stall helfen«, versuche ich mich zu verteidigen, wobei ich recht kleinlaut klinge. Zu kleinlaut für meinen Geschmack.

»Es ist mir egal, wer Schuld hat. Du hast die Verantwortung!«, knurrt er.

Na klar, heute lasse ich wohl kein Fettnäpfchen aus, auch, wenn ich nichts dafür kann.

In der Hoffnung, dass sich Richard um die lärmende Meute kümmert, die bei seiner gebrüllten Frage ruhig geworden ist, sehe ich ihn gespannt an. Der dreht sich jedoch um und verschwindet wieder in der Halle.

 

Klasse!

Genervt gehe ich zur Box, aus der nun Kay den Kopf streckt und mich angrinst.

»Musste das sein?«, frage ich verärgert.

»Kathleen wollte Aufmerksamkeit«, meint nun ein anderer Typ, der sich zu Kay gesellt. Ich hatte ihn zuvor überhaupt nicht bemerkt und auch jetzt beäuge ich Kay, der sogar mit Stroh im Haar gut aussieht.

»Hey!«, kommt es von dieser Kathleen, was mich aus den Gedanken holt. »Wenn ihr mich nicht genervt hättet, hätte ich damit gar nicht angefangen.«

Ich sehe kurz zu, wie sie sich gegenseitig hochziehen und abermals mit etwas Stroh um sich werfen, ehe mir der Geduldsfaden endgültig reißt.

»Es reicht!«, sage ich noch lauter. »Wegen euch habe ich eine Ansage kassiert und die kann ich zur Zeit echt nicht gebrauchen! Ihr räumt sofort das Chaos hier auf und verschwindet danach aus dem Stall!«

Ich bin so sauer, dass keiner von ihnen widerspricht. Die Jungs schlurfen in die Box und machen sie fertig, während diese Kathleen vor der Box wischt. Unterdessen hole ich das Putz- und Reitzeug von Bonny aus der Sattelkammer und stelle es vor ihre Box. Ich schnappe mir das Halfter vom Haken, öffne die Tür einen kleinen Spalt breit und schlüpfe hindurch. Neugierig, wie sie immer ist, kommt die fuchsfarbene Stute auf mich zu, drückt die Nüster an meine Wange und macht ein Grunzgeräusch. Lächelnd streichle ich ihr über den Nasenrücken, danach streife ich vorsichtig das Halfter über Bonnys Ohren.

***

Das Training mit Bonny verläuft zum Glück ohne Probleme und ich bringe sie danach wieder in ihre Box. Wie üblich sattle ich sie ab und bürste über ihr schwitzendes Fell, bevor sie auf die Weide darf. Heute ist es ausnahmsweise kühl, was daran liegt, dass zurzeit Frühling ist, und die Pferde dürfen somit über den Tag raus.

»Hi! Ich wollte mich wegen vorhin entschuldigen.« Kay ist neben Bonny aufgetaucht.

»Danke!«

Ich finde es toll, dass er sich entschuldigt, aber das bringt mir leider nichts mehr. Den Anschiss habe ich schon kassiert.

»Ist Richard immer so schlecht gelaunt?«, fragt er, als von mir nichts mehr kommt.

»Meistens, ja.«

»Weswegen?«

»Keine Ahnung. Schätze, da er kaum eine Nacht durchschläft, ist er übermüdet«, antworte ich und hebe kurz die Schultern.

Ich spüre seinen Blick auf mir, während ich mich zum Huf bücke, um es anzuheben und auszukratzen.

»Wenn du willst, kann ich nachher gerne mit ihm reden, und ihm klar machen, dass es nicht deine Schuld war.«

Langsam lasse ich Bonnys Huf sinken, bevor ich mich aufrichte und Kay ansehe.

»Das ist lieb von dir, aber es wird nichts bringen. Er hat Recht: Es ist meine Verantwortung, wen ich in den Stall lasse.«

Kay sieht mich schweigend an und nickt dann langsam.

»Werde es trotzdem versuchen.« Mit diesen Worten wendet er sich von mir ab und lässt mich mit Bonny wieder allein.

Ich sehe ihm nach. Wenn ich doch nur wüsste, ob das aufkeimende Gefühl im Bauch von der Müdigkeit herrührt oder wegen ihm ist. Erschöpft streiche ich mit der Hand über mein Gesicht. Das fängt ja gut an! Wenn ich jetzt schon halluziniere, kann es echt noch heiter werden ...

***

Erleichtert setze ich mich kurz auf die Bank vor dem Stall, die uns hauptsächlich zum Aufsteigen dient. Ich habe die Aufgaben für heute alle erledigt und der Stall ist auch sauber. Anscheinend ist Kay mit den anderen weggefahren, denn gesehen habe ich ihn nicht mehr und das Auto seines Kumpels ist nicht zu entdecken. Das neue Pferd habe ich auch noch nicht kennengelernt, sondern nur von Weitem beäugt, da es auf die Weide gebracht wurde. Aus der Entfernung scheint es allerdings schon eine Schönheit zu sein. Wirklich kennenlernen werde ich es erst morgen. Richard meinte vorhin, als ich das Pferd von der Weide holen wollte, dass er das später selbst erledigen will. Dann halt nicht.

Ich erhebe mich gerade von der Bank, um mich in meine Wohnung zurückzuziehen, als das Auto von Kays Kumpel auf den Parkplatz fährt. Diesmal scheinen die Männer allein zu sein. Bevor ich mir Gedanken machen kann, ob ich mich verdrücken soll, ruft Kay meinen Namen und winkt in meine Richtung. Jetzt komme ich nicht mehr so leicht davon. Ich setze mich also erneut hin und warte auf die beiden. Komischerweise breitet sich dieses Gefühl von vorhin abermals aus. Ob ich krank werde?

»Hi! Hast du Feierabend?«, erkundigt sich Kay, als mich die beiden erreicht haben.

»Ja, endlich«, antworte ich. »Das bedeutet, dass ihr euren Kram selbst beseitigen müsst, falls ihr nochmal Flausen im Kopf haben solltet.«

Kay lacht laut auf, während der andere Typ nur kurz grinst.

»Das ist übrigens Phelan. Ihm gehört River.«

»Hi!«, begrüße ich ihn, will erst die Hand ausstrecken, überlege es mir aber im letzten Moment anders. Phelan macht keine Anstalten, mich richtig zu begrüßen, nickt nur und sieht eher genervt aus. Was ist dem denn für eine Laus über die Leber gelaufen?

»River ist bei euch, um zu trainieren und fit für das Springturnier in zwei Wochen zu werden. Ich hoffe, ihr macht das ordentlich!«

Oha! Der Schweiger hat ja ein Mundwerk und was für eines.

»Wir nehmen jedes Pferd und jedes Training sehr ernst«, erwidere ich beleidigt.

»Das hoffe ich.«

Na, das wird ja spaßig!

»Werde mich aber erst morgen darum kümmern.« Nach diesen Worten wünsche ich ihnen knapp einen schönen Abend und eile in Richtung meiner Wohnung. Ich blicke dabei stur geradeaus. Nicht, dass noch jemand auf die Idee kommt, mich aufzuhalten.