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Inhalt

Impressum 2

Zitat 3

Teil 1 4

Teil 2 28

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-795-4

ISBN e-book: 978-3-99107-796-1

Lektorat: Susanne Schilp

Umschlagfoto: Andre Nery | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Zitat

Unsichtbar wird die Dummheit, wenn sie genügend

große Ausmaße angenommen hat.

Bertolt Brecht

Teil 1

Lebenslauf

1980

Firma, CZ

„Du hast Äußerungen von dir gegeben, die nicht im Einklang mit unserer sozialistischen Moral sind und nur den imperialistischen Machenschaften dienen. Deine Dienstreise nach Österreich zur Firma Heizkessel KG ist gestrichen. Deinen Dienstpass, deine Schilling-Diäten und die Reiseerlaubnis wirst du in Prag bei der Strojimport-Vertretung zurückgeben.“

Das war der Befehl des Direktors meiner Firma.

Ich war als Heizungstechniker angestellt, zuständig für den Einsatz mobiler Heizzentralen im nordböhmischen Land. Die Heizcontainer wurden damals in Österreich hergestellt und in die Tschechoslowakei geliefert.

Nachdem der Direktor und sein Vertreter Österreich hatten besuchen dürfen und mit großzügigen Geschenken heimgekommen waren, sollten jetzt die Techniker dort eine Schulung erhalten, da der Betrieb in Tschechien nicht reibungslos gelaufen war. Diese Schulung war nach diesem Gespräch hinfällig.

So machte ich mich auf den Weg nach Prag, um die Dokumente zurückzugeben. „Welcher Spitzel hat mich verpfiffen? Welche weiteren Folgen wird mein loses Maul für mich haben? Welche Repressalien werden auf mich warten bei meiner Rückkehr?“ Das waren meine Gedanken während der Fahrt nach Prag.

Dann aber wurde mir bewusst, dass ich im Besitz gültiger Reisedokumente war, und mein Entschluss wurde immer konkreter: „Ich will nicht mehr zurück. Ich will in einer Demokratie leben und die Freiheiten genießen, die mir bis jetzt verwehrt worden sind!“

Ich fuhr an Prag vorbei Richtung Grenzübergang Wullowitz. An der Grenze gab es keine Probleme, schließlich waren meine Dokumente in Ordnung. Mit dem Herz in der Hose überquerte ich die Grenze und war endlich in Freiheit.

2009

Firma, A

Ich saß wieder einmal einem Vorgesetzten gegenüber und bekam von ihm wieder einmal einen Befehl (Dienstauftrag). Ich sollte eine Ausbildung zur Reha-Fachkraft machen, trotz meiner 24-jährigen Erfahrung als Pädagoge in der Erwachsenenbildung. Diese Gehirnwäsche war für alle unter 58-jährigen Männer und alle 56-jährigen Frauen verpflichtend (das nennt man Gleichberechtigung). Sie bestand aus mehreren Vorträgen über berufliche Rehabilitation, die alle langgedienten Mitarbeiter schon vorher in diversen Seminaren mehrmals absolviert hatten. Zusätzlich gab es ein Zertifikat für Gendermainstreaming. Wer das bis zu diesem Tag nicht begriffen hatte, hätte es nach dieser Zwangsbeglückung auch nicht verstanden. Aber Vorschrift ist Vorschrift!

Wenn man jedoch das System mit all seinen Schwächen und die Dummheit einiger „Führungskräfte“, die nach „Peters Prinzip“ befördert worden sind, kennt, dann kann man sich dagegen dementsprechend wehren.

Pensioniert wurde ich „leider“ ohne diesen „heißbegehrten“ Titel, nur mit meinem – durch Studium erworbenen – akademischen.

Alle anderen Kollegen akzeptierten mit Murren, aber widerstandslos diese Bevormundung.

Was sollte man denn machen?

Bei einigen Diskussionen über die Entstehung des Nationalsozialismus oder anderer totalitärer Systeme äußerten dieselben Kollegen die Meinung, dagegen hätte man etwas tun müssen, man hätte Widerstand leisten sollen.

1952–1958

Kindheit, CZ

Ich wurde am 28. Februar 1952 in einer nordböhmischen Stadt geboren. Meine Eltern hatten unterschiedliche Rhesusfaktoren was damals immer zu Problemen bei der Geburt führte. Ich bekam eine Transfusion und überlebte knapp.

Mein Vater hatte Jus an der Karls-Universität in Prag studiert und arbeitete nach dem 2. Weltkrieg in der Stadtverwaltung. Er verwaltete den Besitz der Deutschen, die hier gelebt hatten – unter ihnen Nazis, die ihre Häuser entweder hatten verlassen müssen oder deportiert worden waren. Er erzählte mir später, wie sich die späteren kommunistischen Führungskräfte bedient und in der Nacht alles gestohlen hatten, was wertvoll und nicht niet- und nagelfest war. Er wurde später auch für diese Diebstähle zur Verantwortung gezogen.

Nach dem kommunistischen Putsch 1948 wurde er als „bourgeoiser Schädling“ entlarvt und zur Umerziehung zu manueller Arbeit eingeteilt. Dreher, Lagerarbeiter, Betonierer und Schienenverleger bei der Eisenbahn, das war seine Berufslaufbahn in den 50er-Jahren.

Meine Mutter stammte aus einer Bauernfamilie in Südmähren (Großvater war während des Krieges Bürgermeister eines kleinen Dorfes und hat einigen Menschen das Leben gerettet. Später wurde er enteignet).

Mutter studierte auf Lehramt, war aber im Lehrberuf nicht tätig, sondern arbeitete beim Finanzamt. Sie war eigentlich die starke Person in unserer Familie, bodenständig, mit einer großen Portion Hausverstand.

Meine frühesten Erinnerungen an meine Kindheit beziehen sich auf unsere Einzimmerwohnung ohne Heizung, Wasser und WC auf dem Gang. Ich war sehr erfreut, als mein Vater von der Arbeit im Lager zurückkehrte und ein paar angefaulte Orangen mitbrachte. Sie waren damals eine Seltenheit.

Meine Vorschulzeit absolvierte ich im Kindergarten, geprägt von der stalinistischen Ideologie. Später erfuhr ich von meinen Eltern, dass meine Äußerungen, die ich aus dem Kindergarten heimgetragen hatte, sie oft auf die Palme brachten. Sie trauten sich aber nicht, etwas dagegen zu sagen, weil Kinder ja alles Mögliche ausplappern würden.

Im Kindergarten fühlte ich mich ein wenig benachteiligt, vielleicht war unsere Herkunft auch daran schuld, denn die Kindergartentanten waren natürlich ideologisch einwandfrei und ich war ein Kind von Feinden der Arbeiterklasse.

1980

In Freiheit, A

In Österreich angekommen mit einer Tasche und 5000 Schilling und kaum Deutschkenntnissen, war ich am Anfang ein wenig verloren. In einem totalitären System kümmert sich der Staat um alles. Er sagt dir, was du tun musst, wo du hingehen sollst und darfst und wie du dich zu verhalten hast.

Mit Hilfe eines Bekannten gelang es mir, bei der Bezirkshauptmannschaft Linz um politisches Asyl zu bitten.

Viele Leute fragten mich später, wie das am Anfang gewesen sei. Ganz allein ohne soziale Kontakte und Hilfe. Es war deprimierend, weil man nichts zu tun hatte und mit großer Unsicherheit nur wartete, ob der Asylantrag positiv beschieden würde. Es war keine angenehme Zeit.

Im Jänner 1981 bekam ich endlich den positiven Bescheid.

Mit diesem ging ich zum Arbeitsamt und erhielt fünf Firmenadressen, um mich dort vorzustellen.

Bei der ersten Firma – einem Industrieofenbau – wurde ich aufgenommen. Ich könne am folgenden Montag anfangen, mein Gehalt betrage 10000 Schilling brutto. Ich solle mir ein Gehaltskonto bei einer Bank einrichten.

1958–1967

Grundschule, CZ

Ich wurde eingeschult und sozialistisch gebildet. Als lebendiges Kind, heute würde man sagen hyperaktiv, hatte ich oft Probleme mit den Lehrkräften. Die Eintragungen in die Mitteilungshefte waren meistens immer dieselben: „Er stört, er kann nicht ruhig sitzen, er tratscht, er passt nicht auf!“ Meine Mutter verzweifelte oft und erlaubte den Lehrern, mir eine „Watsche zu schmieren“ und bat darum, sie nicht ständig mit Mitteilungen zu bombardieren.

Eine der Ursachen für meine Störaktionen war „die unerträgliche Leichtigkeit des Lernens“. Ich hatte und habe bis heute eine schnelle Auffassungsgabe, und mir waren die ständigen Wiederholungen für die, die schwer von Begriff waren, einfach langweilig. Ich fühlte mich nicht ausgelastet. Besonders in der Mathematik konnte ich nicht verstehen, dass das jemand immer noch nicht kapiert hatte. Der Haupttenor bei den Elternabenden war: „Er ist gut, aber wenn er wollte, könnte er viel besser werden.“ Ich aber dachte mir, solange ich mit Minimaleinsatz nur Einser und ab und zu einen Zweier im Singen oder Malen bekomme, bräuchte ich nicht mehr tun. Es gab wichtigere Sachen, wie Sport und Spiele.

Ich glaube, es war in der 3. Klasse, als wir ein Theaterstück aufführten. „Das böse Atom“ hat es geheißen. Ich wusste nicht, warum ich die Hauptrolle bekommen hatte. Ich trug einen schwarzen Mantel mit einem großen aufgenähten A. Alle anderen Kinder fesselten mich zum Schluss und ich durfte zu friedlichen Zwecken ein Rad drehen. Das böse Atom war besiegt. Ein ideologisches Meisterstück!

 
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