Schaurige Geschichten aus Berlin

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Huren, Hexen, Zauberer

Eine unabhängige Justiz?

Wer da glaubt, unsere Altvorderen hätten es sich mit der Justiz leichtgemacht, der irrt. Betrachtet man allerdings die Zeit, die einst zwischen der Tat, der Anklage, dem Urteil und dessen Vollstreckung verging, so können wir Späthinteren von so kurzen Zeiträumen nur träumen.

Joachim Nestor belieh 1508 den Rat von Berlin und Cölln mit der oberen und unteren Gerichtsbarkeit, die vorher als Lehen in den Händen von Einzelpersonen gelegen hatte. 1536 mussten die Städte das untere Stadtgericht für 2250 Gulden erneut vom kurfürstlichen Küchenmeister Hans Tempelhof erwerben.

Bei todeswürdigen Verbrechen war es im 16. Jahrhundert üblich, das Urteil vom Schöffenstuhl in Brandenburg sprechen oder zumindest bestätigen zu lassen. Auch als das Berliner Kammergericht zwischen 1617 und 1632 zeitweilig Strafprozesse führte, schickten die überlasteten Räte die Akten gerne nach Brandenburg. Ab 1611 gestattete ein Landtagsabschied, dass in peinlichen Sachen fortan auch das Urteil von der Frankfurter Juristenfakultät geholt werden dürfe – um die Landesuniversität zu fördern!

Natürlich war die Justiz nicht unabhängig. Der Kurfürst musste die Urteile bestätigen und griff häufig genug direkt oder durch seine Räte ein. Als 1624 beispielsweise 13 Soldaten Pferde gestohlen hatten und erklärten, sie hätten keinen Raub begehen wollen, gedachten die Schöffen und Richter, sie nicht ohne klares Geständnis hinrichten zu lassen. Der Dompropst und die Kurfürstin verwandten sich für die Diebe, und Kurfürst Georg Wilhelm begnadigte fünf von ihnen.

Die Strafen waren im Allgemeinen drakonisch. Jedoch verschwanden die mittelalterlichen Gottesurteile allmählich, bei denen die Angeklagten, um ihre Unschuld zu beweisen, furchtbaren Prüfungen ausgesetzt wurden, die sie nur mit der besonderen Gnade Gottes bestehen konnten. In Berlin mussten die Beschuldigten ohne Brandverletzungen ein glühendes Eisen von bestimmtem Gewicht neun Schritte weit tragen, unverletzt einen Ring oder Stein aus einem Kessel siedenden Wassers fischen oder im Zweikampf gegen den Prozessgegner den Sieg davontragen.

Der Todeswürfel

Die häufig überlieferte Berliner Sage vom Todeswürfel verlegt ein solches Gottesurteil noch in die Zeit des Großen Kurfürsten. Da habe in Berlin ein wohlhabender Waffenschmied gelebt, der eine wunderschöne Tochter besaß. Zwei Leibtrabanten des Kurfürsten, Heinrich und Rudolf, entbrannten in Liebe zu der liebreizenden Jungfrau, die sich jedoch anfangs für keinen zu entscheiden vermochte. Erst als der stillere Heinrich durch eine überraschende Erbschaft plötzlich zu Geld gekommen war und er überdies den alten Waffenschmied eines Abends vor den Misshandlungen roher Gesellen zu schützen wusste, wandte sie sich ihm zu. Rudolf, mit heftigerem Charakter, verging fast vor glühender Eifersucht und schlich den beiden auf Schritt und Tritt nach. Als er sie eines Abends beim Abschied am Brunnen belauerte, brachten ihn die Liebkosungen, die das Mädchen Heinrich gewährte, derartig in Wut, dass er mit dem Schwert auf die Ärmste einstach, kaum dass Heinrich verschwunden war.

Man fand das Mädchen in seinem Blut liegend. Der Mordverdacht fiel zwar sofort auf Rudolf, dessen Eifersucht bekannt war, aber auch Heinrich, der noch kurze Zeit zuvor mit dem Mädchen gesprochen hatte, kam als Täter in Frage.

Der unglückliche Vater verlangte vom Kurfürsten die Bestrafung des Verbrechers. Der ließ auch wirklich die beiden Trabanten verhaften. Beide leugneten die Tat entschieden und legten auch auf der Folter kein Geständnis ab. Der Kurfürst wollte deshalb kein Urteil fällen, sondern stellte die Entscheidung Gott anheim. Er befahl, die beiden sollten um ihr Leben würfeln; wer den höheren Wurf tat, sollte als unschuldig gelten.

Vor der Front der angetretenen Leibtrabanten wurde eine Trommel aufgestellt, dabei stand ein Geistlicher, und unweit davon wartete der Sarg auf den Unterlegenen. Vergeblich forderte Heinrich noch einmal von seinem Kameraden, sich schuldig zu bekennen. Der nahm wortlos die beiden Würfel und warf zwei Sechsen auf das Trommelfell. Damit war Heinrich so gut wie gerichtet. Doch der ließ sich nicht beirren, flehte zu Gott, er möge ein Zeugnis seiner Unschuld ablegen, und warf die Würfel so heftig auf die Trommel, dass der eine in zwei Teile zersprang, die eine Sechs und eine Eins zeigten. Auch der zweite zeigte die Sechs, so dass nun 13 Augen auf der Trommel lagen. Rudolf, von diesem offenbaren Gericht Gottes ergriffen, stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden und leugnete seine Schuld nicht länger. Der Kurfürst verurteilte ihn zu ewigem Gefängnis, um ihm Zeit zur Reue zu lassen, doch er verfiel im Kerker dem Wahnsinn und erhängte sich. Auch Heinrich wurde seines Lebens nicht mehr froh. Er suchte und fand den Tod in der Schlacht. Der zersprungene Todeswürfel aber wurde noch lange in der Kunstkammer des königlichen Schlosses in Berlin aufbewahrt.

Der Kaak

Die Strafen des Stäupens (Züchtigen mit Ruten) und des Prangerstehens im Halseisen an der Schandsäule wurden für Verurteilte, denen Schimpf und Schande angetan werden sollte, gleich unter dem Kaak an der Gerichtslaube des alten Berliner Rathauses vollzogen. Die noch heute vorhandene Kopie des Kaak stellt einen großen Vogel mit Flügeln, Eselsohren und einem verzerrten Menschengesicht dar. Die Gerichtsstube lag über der Durchfahrt zur Ratswaage, darüber befand sich im Dachboden die Folterkammer. Im Keller des Rathauses gab es ein Gefängnis, den sogenannten Krautgarten. Hinrichtungen durch das Schwert fanden jahrhundertelang vor beiden Rathäusern statt, bis sich im Jahre 1694 die Anwohner des Berliner Rathauses wegen der damit verbundenen häufigen Verkehrsstörungen beschwerten. Erst dann wurde das Hochgericht auf den Neuen Markt verlegt.

Die Gerichtslaube, ein Anbau am alten Berliner Rathaus, ist heute gleich zweimal als Rekonstruktion vorhanden. Da sie 1872 dem Neubau des Roten Rathauses im Wege war, versetzte man das offene Gebäude in den Schlosspark Babelsberg. Hundert Jahre später passte es den Bauherren des Nikolaiviertels ins historisierende Konzept, eine Gaststätte in der Poststraße als zweite Kopie der Gerichtslaube zu errichten.

Das Hurenhaus

Mag die Gerichtslaube in alten Zeiten das Ihre zur Unterhaltung der Berliner beigetragen haben – andere Häuser liefen ihr dabei vermutlich den Rang ab, und der Rat hatte auch daran seinen Anteil. Bereits um 1400 wird von einem Freudenhaus berichtet, von dem der Rat jährlich zwei Schock Groschen kassierte. Zwanzig Jahre später ist das Hurenhaus zu Berlin ganz eingerissen und neu aufgebaut worden. Die feilen Dirnen darin durften nicht durch Winkelhurerei auffällig werden, darüber wachte der für sie verantwortliche Scharfrichter. Der hatte um 1580 alle Frauen, die außerhalb des Freudenhauses Unzucht trieben, aus der Stadt zu trommeln. Wo sich das Haus einst befand, weiß der Chronist Schmidt zu berichten:

Die jetzige Rosen-Strasse hat Anfangs die Huren-Strasse geheißen. Das liederliche Frauen-Volck hat der Strasse den Nahmen zuwege gebracht, denn es wurden dieselbigen an einen Karren mit zwey Rädern geschlossen, und mussten den Gassen Unflath in die dazu gemachten Grufften zwischen den Wall und Mauer fahren. Weil hernach einige Hoff-Trompeter anbaueten ward sie die Trompeter Strasse, da aber dieselbigen ausgestorben, die Rosen-Strasse genennet.

Im Jahre 1603 sandte Kurfürst Joachim Friedrich ein »Mandat an alle Pfarrern, bey Verlust ihres Pfarr Amts auff den Concubinat acht zu haben gegen Unzucht und Hurerey«. Erfolg war dem Papier anscheinend nicht beschieden. Kurfürst Friedrich III., der spätere König, verschärfte 1690 die Strafen gegen die öffentliche Unzucht.

Der Soldatenkönig erließ am 31. März 1718 gar ein »Allgemeines Edict wegen Abstellung des Voll-Sauffens, und daß die Trunckenheit in denen Delictis nicht entschuldigen sondern die Strafe vermehren soll … Weil unter dem Vorwand des Gesundheit-Trinckens ein grosser Mißbrauch vorgehet.«

Gehurt und gesoffen wurde dennoch weiter, Berlin war nicht umsonst eine Stadt der Bierbrauerei und allgemeinen Zecherei, und an feilen Damen fehlte es nicht einmal in der besten Gesellschaft.

1795 wies Berlin mit seinen 173 000 Einwohnern 66 registrierte Bordelle mit 257 polizeilich inskribierten Dirnen auf, streng preußisch geführt nach dem königlichen Lusthaus-Reglement und eingeteilt in drei Klassen. Die Stuben waren nummeriert; das Mobiliar bestand aus einem Feldbett und einem Leuchter!

Bald standen etwa hundert Freudenhäuser mit je fünf bis neun Lustdirnen unter Aufsicht der Polizei. Die Frauen mussten sich regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen unterziehen. Strafen setzte es nur noch, wenn jemand zu Schaden kam oder öffentliches Ärgernis erregte.

Jeder Bordellwirt musste »monatlich für jede Lohnhure, die er hält, sechs Groschen« in die Heilungskasse zahlen. Dafür sollte »jede infizierte Lohnhure sofort in die Charité« eingeliefert werden, und die – 1726 im unbenutzten Pesthaus von 1710 eingerichtet – leistete nach dem Urteil eines Zeitgenossen »mehr für die Dezimierung der Berliner Bevölkerung als die Guillotine in anderen Städten«. Dies vor allem, als sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Berlin die Syphilis seuchenartig ausbreitete.

Hexenverbrennungen

Wie überall in Deutschland ging man in alten Zeiten nicht nur den Dirnen an die Wäsche. Auch im protestantischen Brandenburg fanden Hexenverbrennungen statt, war doch selbst der Doktor Luther der Meinung, Hexen müsse man verbrennen und in solchen Fällen mit der Strafe eilen, ohne auf die Bedenklichkeiten der Juristen zu hören.

 

Der erste Fall einer Bestrafung wegen Zauberei ist aus dem Jahr 1390 überliefert. Eine alte Frau sollte einer anderen zwei Giftbeeren gegeben haben und erlitt deswegen den Tod durch das Feuer. Ein ähnlicher Fall ereignete sich 1423, als ebenfalls eine alte Frau verbrannt wurde. Die Chronik scheint hier lückenhaft, denn angeblich erst 1552 wurde wieder eine Zauberin angeklagt und verbrannt. Als die Flamme des Scheiterhaufens hochschlug, sei ein Reiher darin verschwunden und mit einem Stück vom Pelze (?) der Hingerichteten davongeflogen. Im Jahr darauf verbrannte man zwei »Zauberhuren, weil sie ein gestohlenes Kind zerstückelt und gekocht hätten, um mit dem daraus gewonnenen Zaubermittel Theuerung (!) im Land anzurichten«.

Carions Weissagung

Die Hohenzollern waren besonders abergläubisch. Joachim Nestor hatte für seinen Astrologen Carion eine Sternwarte einrichten lassen und galt selbst als halber Zauberer. Carion weissagte sogar den Namen des Schutzengels des Prinzen Johann: »Bathsitihadel«. Es fand sich keiner, der einen anderen Namen für den Engel kannte.

Zu jener Zeit kursierte eine berühmte Weissagung, im Februar 1524 würde die Welt untergehen. Carion jedoch ermittelte einen Fehler in der Berechnung und prophezeite die Sündflut für den 15. Juli 1525. Es war ein strahlender Sommertag. Der Hofstaat zog dennoch mit Kisten und Kasten auf die höchste Erhebung von Berlin, den heutigen Kreuzberg. Allmählich breitete sich dumpfe Gewitterschwüle aus, und der Himmel bezog sich. Dann jedoch brach die Sonne durch, und die Wolken lösten sich auf. Nachdrücklich forderte die Kurfürstin Elisabeth zur Rückkehr auf. Unter dem Gespött, noch mehr aber unter dem Gemurre der Berliner zog die Kavalkade in die Stadt ein. Als sie auf den Schlossplatz einbog, schoss plötzlich ein Feuerstrahl aus den neuerlich aufgezogenen Wolken.

Joachim sank betäubt zusammen, der Regen stürzte wie aus Kannen vom Himmel. Als der hohe Herr zu sich kam, lag der Kutscher tot aus dem Wagen herausgeschleudert auf dem unbefestigten Platz. Außer ihm hatte der Blitz vier der acht Pferde erschlagen. »Sunsten hat das Wetter keinen Schaden mehr getan …«, merkt ein Chronist an. Es trifft eben immer die Falschen.

Am zweiten Weihnachtstag desselben Jahres hörte Joachim in der Kirche der schwarzen Brüder vor dem Schloss die Weihnachtspredigt. Der rotgesichtige Mönch auf der Kanzel erging sich in wüsten Drohungen gegen Luther, donnerte mit den Fäusten auf das Holz – und brach vom Schlag gerührt zusammen. Die Kurfürstin Elisabeth zog es vor, bald darauf ins lutherische Sachsen zu entfliehen.

Die letzte preußische Hexe

Ein Edikt des Großen Kurfürsten befahl 1679 den Kriminalrichtern Berlins mit Nachdruck, alle Hexen der Mark zur Verantwortung zu ziehen. Hexenprozesse blühten auf, als sie anderswo bereits abflauten; noch 1692 wurde in Berlin Daniel Krösing wegen ausgestoßener Gotteslästerungen enthauptet.

Erst der Soldatenkönig machte den Hexenprozessen ein Ende. Ein junges Mädchen, Dorothea Steffin, hatte angeblich am Wedding vor den Toren Berlins einen vornehmen jungen Mann in blauem Rock und gestickter Weste kennen und lieben gelernt. Sie traf ihn auf der Langen Brücke in Berlin wieder, schlief wiederum mit ihm und schloss angeblich einen Pakt mit ihm. Er sei der Teufel, erklärte er und ließ sie ein Dokument mit ihrem Blut unterzeichnen.

Im Kalandshof wegen ihres unsittlichen Lebenswandels eingesperrt, gestand die Steffin nach einem Selbstmordversuch ihre Beziehung zum Teufel. Damit wäre ihr Schicksal besiegelt gewesen. Gemäß den modernen Ansichten eines Thomasius wurde sie jedoch von einem Richter und einem Arzt vernommen und begutachtet und wand sich dabei in Krämpfen. Im Prozess konnten sich die Reformisten unter dem Kammergerichtsrat Wagner durchsetzen. Da Friedrich Wilhelm I. sich das Urteil beziehungsweise dessen Bestätigung vorbehalten hatte, wurde der Fall dem Staats- und Kriegsminister Samuel von Cocceji, dem späteren Rechtsreformer und Großkanzler des Alten Fritzen, vorgetragen. Cocceji, wie schon sein Vater ordentlicher Professor der Rechte an der Universität zu Frankfurt an der Oder, entschied, Dorothea Steffin habe am Leben zu bleiben.

Am 10. Dezember 1728 erging das Urteil:

Obwohl es das Ansehen habe, daß die Inquisitin wegen des Bündnisses mit dem Teufel mit dem Feuer oder doch mit dem Schwerte zu strafen sei, zumal sie einen höchst unsittlichen Lebenswandel geführt habe, so könne doch das Bündnis mit dem Teufel auch Effekt der Schwermütigkeit sein … Damit sie aber durch ein liederliches Leben und Versuchen des Selbstmordes nicht ferner in dem Wege des Satans sich verstricken könne, sei sie lebenslänglich in das Spandauer Spinnhaus zu bringen und zu leidlicher weiblicher Arbeit anzuhalten, ihr auch dort Arznei und geistlicher Zuspruch zu erteilen. Von Rechts wegen.

Die neue Sittlichkeit

Der weniger geschätzte Gatte der allseits beliebten Königin Luise, der Lady Di der Freiheitskriege, beschloss um 1810, die Straßen Berlins von allen Lusthäusern zu säubern, was natürlich nicht gelang. Fortan konzentrierte sich das unausrottbare Gewerbe im schmuddeligen Viertel Hinter der Königsmauer, also etwa zwischen Bahnhof Alexanderplatz und Fernsehturm, und gelangte dort, der strengen Reglementierung endlich entronnen, zu unerwarteter Blüte. Außerdem boten bald »Frey-Dirnen« überall in der Stadt ihre Dienste an. Als 1846 für die nächsten 140 Jahre der Betrieb von Bordellen verboten wurde, hatte sich das horizontale Gewerbe mit seinen etwa 15 000 Prostituierten längst anderweitig etabliert, und die gestrenge Polizei übersah geflissentlich die »Lasterhöhlen«, in denen die Herren aus höchsten Kreisen verkehrten. Die Berliner Sittenlosigkeit, die Nutten und ihre Luden, erlangte sprichwörtlichen Ruhm, schätzte man doch in den Goldenen Zwanzigern mehr als 25 000 illegale Prostituierte.

Die Szene überdauerte Weltkriege und Inflation und lebte im Nachkriegsberlin neu auf. Offiziell beschränkte sich die Prostitution nun allerdings auf den West-Berliner Frontstadtsumpf. Im Osten gingen die Damen (und ausgewählte Knaben) in höchst geheimer Mission und mit staatlicher Duldung und Anleitung ihren devisenträchtigen Diensten nach, galt es doch, nicht weniger als das sozialistische Vaterland im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit vor dem nimmermüden Klassenfeind zu schützen.

Strafe muss sein

Spandau: Das Zuchthaus und der Juliusturm

Die Festung sowie das Zucht- und Spinnhaus sind untrennbar mit der märkischen Kleinstadt Spandau verknüpft. Heute weiß kaum noch jemand, wo sich das berüchtigte Zuchthaus eigentlich befunden hat. Da werden die Zitadelle mit dem Juliusturm genannt oder sogar das ehemalige Festungsgefängnis an der Wilhelmstraße, das 1987 fünf Wochen nach dem Tod des letzten von den Alliierten verurteilten Kriegsverbrechers abgerissen wurde.

Die Spandauer Chronik berichtet, dass der schaurige Ort mitten in der Altstadt gelegen hat und vormals ein Schloss war, welches sich der italienische Festungsbaumeister Graf Rochus Guerini zu Lynar gebaut hatte. Im Lynarschen Schloss nächtigte der Schwedenkönig Gustav Adolf zweimal. Beim zweiten Mal, unterwegs vom Schlachtfeld bei Lützen ins heimatliche Stockholm, benötigte er kein Bett. In seinem Sarg schlief er bereits den ewigen Schlaf.

Lynars Nachkommen verkauften das Schloss 1686 an den Großen Kurfürsten. Der ließ darin ein Manufaktur- und Spinnhaus einrichten, eine Art früher Justizvollzugsanstalt, wie es sie zeitweise auf der Packinsel in der Spree vor der Südspitze Cöllns gab. In Spandau nahm das mehrfach umgebaute und um ein danebenliegendes Brauhaus erweiterte Gebäude schließlich die gesamte Fläche zwischen Kloster- (heute Carl-Schurz-), Charlotten-, Jüden- und Moritzstraße ein.

Über die Bedingungen in dem gefürchteten Zuchthaus geben zwei beiläufige Bemerkungen in der Spandauer Chronik Auskunft. 1820 wurde der »allgemein beliebte und geachtete Oberinspektor Luft« von einem Strafgefangenen, der wegen eines Streits mit Peitschenhieben bestraft werden sollte, durch zwei gutgezielte Messerstiche getötet. Zehn Jahre später revoltierten die männlichen Gefangenen. »Zur Unterdrückung des Aufruhrs mußten die Wachmannschaften von der Waffe Gebrauch machen, wobei drei Strafgefangene getötet und acht verwundet wurden …«

Der Juliusturm in Spandau ist das älteste im heutigen Berliner Stadtgebiet vorhandene Bauwerk. Seine Verliese dienten von alters her als Gefängnis. Schon um 1400 hieß es bedrohlich: »einen mit dem Julius bestrafen«. Sogar einer der Quitzows – eine unrühmlich bekannte Raubrittersippe aus der Prignitz – soll in dem einstigen Bergfried eingesessen haben. Der blieb von der alten Askanierburg übrig, nachdem 1560 die Zitadelle errichtet worden war. Das Festungsgefängnis befand sich fortan im sogenannten »Kavalier« der Nordwest-Bastion Kronprinz. Dieser Ort war gemeint, wenn die kurfürstliche Order lautete: »Nach Spandow bis zur Beßerung.« Staatsverbrecher wie die schöne Gießerin Anna Sydow, die 1675 im Juliusturm starb, der Flottenadmiral des Großen Kurfürsten, der Staatsminister von Danckelmann und der Turnvater Jahn gehörten zu den unfreiwilligen Insassen.

Schwarzenbergs Tod

Abgesehen von seinen schaurigen Stätten hat Spandau auch düstere Geschichte aufzuweisen – beispielsweise die des Grafen Schwarzenberg, von dem viele glaubten, er sei keines natürlichen Todes gestorben. Der verhasste Schwarzenberg war während des Dreißigjährigen Krieges kurfürstlicher Statthalter gewesen und kam beim Amtsantritt des Großen Kurfürsten in Bedrängnis. Zusätzlich verwickelte er sich in eine unlautere Geschichte. Kriegsrat von Zastrow, der als Gast bei ihm weilte, geriet an Schwarzenbergs Tafel mit dessen Kammerjunker von Lehndorff aneinander. Zastrow gab dem Kammerjunker eine Ohrfeige, der griff zum Degen und erstach ihn vor Schwarzenbergs Augen. Mit der heimlichen Hilfe seines Herrn gelang es dem Mörder zu entfliehen.

Schwarzenberg starb drei Wochen später am Schlagfluss. Er wurde einbalsamiert und in der Spandauer Nikolaikirche beigesetzt. Der Abscheu der Berliner, die ihn für einen Verräter in österreichischem Sold hielten, galt ihm noch nach seinem Tode. Es hieß, der junge Kurfürst hätte ihn heimlich verurteilt und hinrichten lassen. Sein später lose im Sarg aufgefundener Schädel schien das zu bestätigen. 1777 ließ der Alte Fritz deshalb die Leiche untersuchen. Doktor Heim befand alle Wirbel für intakt, womit die Hinrichtungsthese zwar widerlegt, aber nicht aus der Welt war.

Die Schließung des Spandauer Zuchthauses

Das Spandauer Zuchthaus wurde 1872 aufgelöst und anschließend weitere 25 Jahre als »Schlosskaserne« genutzt, denn die Festung Spandau war eine Stadt des Militärs und der Kasernen. Die gewaltigen Festungsanlagen westlich der Altstadt wurden erst 1903 aufgelassen.

Fünf Jahre nach der Auflösung des Zuchthauses baute man 1877 das neue, hochsichere Festungsgefängnis an der Wilhelmstraße, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Kriegsverbrechergefängnis zu unseligem Ruhm gelangte. Die NS-Größen Baldur von Schirach, Albert Speer und Rudolf Hess saßen hier unter alliierter Kontrolle ihre verdienten Strafen ab.

Der Juliusturm geriet noch einmal ins Gerede, seit man nach 1871 hinter seinen dicken Mauern den Reichskriegsschatz von 120 Millionen Mark in geprägten Goldstücken aufbewahrte, Teil jener von Frankreich gezahlten »Kriegsentschädigung«, der Preußen den Reichtum der Gründerjahre verdankte. Nach dem nächsten Krieg zahlte man mit dem Gold einen Teil der in Versailles auferlegten Reparationen zurück. Zum Schutz des Goldes im Juliusturm wurde 1882 –88 das heute noch existierende Fort Hahneberg als letzter Festungsneubau in Deutschland errichtet.

Die Berliner Hausvogtei

Nach diesem Ausflug in die bis 1920 selbständige Stadt Spandau wenden wir uns der Berliner Kerkerszene zu. Für die Streitigkeiten zwischen den Hofbediensteten und zwischen Junkern und Bürgern war der kurfürstliche, später königliche Hausvogt zuständig. Seine Hausvogtei befand sich ursprünglich im Schloss. Um 1700 wurde das Arrestlokal des Hofgerichts in die Unterwasserstraße auf dem Werder verlegt. Es war ein schmaler Bau mit rechteckigem Grundriss und kurzer Front zum Werderschen Markt, direkt neben der späteren Münze. Bei deren Erweiterung zog die Hausvogtei 1750 an ihren endgültigen Standort auf der einstigen Bastion III der Festungsanlage, ein Stallgebäude des alten Jägerhofs zwischen der Einmündung der Oberwall- und der Niederwallstraße. Auf zwei Höfen wurden Gefängnisse mit Dunkelzellen eingerichtet. Der Journalist Ernst Dronke hat sie kennengelernt:

 

Blechblenden gehen von der unteren Fensterwand schräg hinauf bis in Fensterhöhe, durch den oben entstandenen Raum fällt das Tageslicht auf eine Stelle des Gemachs eines Quadratfußes, und der Gefangene … sitzt in diesem grausamen Halbdunkel vereinsamt …

Solche Blechblenden waren im sowjetischen Militärgefängnis in der Lichtenberger Magdalenenstraße noch bis 1955 üblich, und im »U-Boot«, dem Stasi-Knast in Hohenschönhausen, litten Hunderte Gefangene bis 1961 unter schlimmeren Bedingungen als in der Hausvogtei.

In der Hausvogtei saßen Fritz Reuter, der Attentäter Tschech, von dem noch zu berichten ist, und der preußische Messias und Wunderheiler Rosenfeld. Erst 1891 wurden die Gebäude abgerissen für einen Neubau der Reichsbank. Der heutige Hausvogteiplatz zeigt noch den unregelmäßigen Grundriss der alten Festungsbastion.

Die Berliner Stadtvogtei

Im Kalandshof, der vorher Eigentum der Marienkirche und bis 1540 Sitz der Kalandsbrüder gewesen war, richtete die Stadt 1698 das Stadtgefängnis ein. Der Hof lag nordöstlich der Marienkirche in der Klosterstraße, Ecke Neue Gasse. Die Kalandsbruderschaft war wegen übler Sauferei und ähnlicher Delikte aufgelöst worden.

Knapp hundert Jahre später reichten die finsteren Verliese des Kalandshofs nicht mehr aus. Deshalb bezog die Stadtvogtei 1791 die Hofgebäude am Molkenmarkt 1–2 bis hinunter zur Spree. Im ehemaligen Schwerinschen Palais, das heute noch am Molkenmarkt steht, befand sich seit 1794 auch das Kriminalgericht.

In der Stadtvogtei herrschten Zustände wie in einem Gefängnis der Stalin-Ära. Ernst Dronke kann auch hier als Zeuge gelten:

In einem Gemach liegen oft mehr als zehn Personen zusammen auf dem Fußboden … Auf den Gängen und in den Gemächern herrscht ein pestilenzialischer Geruch, vor welchem selbst die Gefängniswärter bei der Morgeninspektion tiefsten Ekel empfinden. Für die Bedürfnisse der sämtlichen Gefangenen ist ein einziger Nachteimer bestimmt.

Die Stadtvogtei wurde mehrfach erweitert, entsprach aber dem gewaltigen Wachstum der Stadt nicht mehr. Man betrieb deshalb um 1870 Nebenstellen in der Perleberger Straße in Moabit und weit draußen im Osten in Rummelsburg. Der trostlose Bau am Spreeufer vor dem Mühlendamm aber bestimmte lange das Bild Berlins, so wie das neue backsteinerne Polizeipräsidium als größter Bau Berlins seit 1889 den Alexanderplatz dominierte. In den Resten der Stadtvogtei saßen auch nach 1945 noch Häftlinge ein, und die Haftanstalt in der Dircksenstraße neben dem Polizeipräsidium blieb bis Anfang der fünfziger Jahre in Betrieb.

Vater Philipp und die aufblühende Berliner Kerkerszene

Eine weitere berüchtigte Adresse war die Militärarrestanstalt Lindenstraße 36/36 a, »Vater Philipp« genannt, im südlichen Flügel des Kasernenbaus an der Ritterstraße. Dort befanden sich 134 Arrestzellen, zehn Gerichtszimmer und dazu die Wohnung des preußischen Platzmajors von Berlin, den Friedrich Wilhelm III. bei seiner Flucht nach Memel als einzigen Militär samt allen Waffen im Zeughaus in Berlin zurückgelassen hatte. Der Bau wurde 1904 für ein neues Postamt abgerissen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brach in der aus allen Nähten platzenden preußischen Metropole, die 1871 zur Hauptstadt des Deutschen Reiches wurde, ein wahrer Bauboom für Gefängnisse aus. In Moabit entstand in der Lehrter Straße schon 1842–47 ein Gefängnisbau in moderner »philadelphischer« Strahlenform mit drei kreisrunden Spazierhöfen. Er war für die Verbüßung von Zuchthausstrafen bis zu vier Jahren in Einzelhaft gedacht, obwohl die Einzelhaft dem Strafgesetzbuch widersprach. Zu ihrer halbstündigen Freistunde wurden die Gefangenen mit Kapuzen über dem Gesicht in die getrennten Käfige im Hof geführt, ähnlich denen, die hundert Jahre später die Staatssicherheit der DDR für ihre Häftlinge benutzte. Das Zellengefängnis Moabit, wie es offiziell hieß, diente seinem Zweck bis zum Januar 1955, dann zogen 300 Häftlinge – darunter 56 Lebenslängliche – in den für rund eine Million Mark mit 308 Einzelzellen und 2 4 Gemeinschaftszellen für je drei Insassen errichteten Zuchthaus-Neubau nach Tegel.

Von den 306 in Moabit registrierten Widerstandskämpfern des 20. Juli erlebten nur 35 das Ende der NS-Diktatur. Albrecht Haushofer und 17 weitere politische Häftlinge wurden in der Nacht des 23. April 1945 auf dem heutigen Vorplatz des Hauptbahnhofs von den SS-Wachmannschaften erschossen. Drei Tage später besetzte die Rote Armee das Gefängnis, entließ alle Häftlinge und nahm das verbliebene Wachpersonal fest.

In den Jahren 1868–76 baute die Stadt Berlin das Strafgefängnis Plötzensee. Nach der Reichsjustizreform von 1875 wurde 1877–82 das Kriminalgericht Moabit mit dem dahinterliegenden Untersuchungsgefängnis errichtet. Dieses alte Kriminalgericht brannte im Zweiten Weltkrieg aus und wurde 1953 abgerissen. Seitdem dominiert das strahlenförmig angelegte Untersuchungsgefängnis die Ecke Alt-Moabit/ Rathenower Straße.

Die Statistik weist für das Jahr 1896 für Berlin ohne Köpenick, Spandau und die umliegenden Landgemeinden insgesamt 5006 Gefangene aus – eine Zahl, die der von 2007 sehr nahe kommt. Im Oktober 1898 nahm in der heutigen Seidelstraße in Tegel ein weiteres Gefängnis den Betrieb auf. Bald folgten Gefängnisse auch in den umliegenden, erst 1920 eingemeindeten Stadtteilen, die zum Teil noch heute vorhanden sind. Das Lichtenberger Stadtgefängnis zwischen Alfred- und Magdalenenstraße diente in den NS-Jahren als Frauengefängnis, aus dem im März 1945 zwei als Dachdecker beschäftigte Häftlinge flohen. Der eine hieß Erich Honecker und heiratete wenig später eine ehemalige Gefängnisaufseherin. Aus der sogenannten »Magdalene« machte die sowjetische Militäradministration eines ihrer Speziallager; im ehemaligen Betsaal des Stadtgefängnisses sprach das SMA-Tribunal seine drakonischen Urteile aus. 1953 vermachten die Sowjets den Knast dem gegenüberliegenden Ministerium für Staatssicherheit, das darin bis Ende 1989 eine Untersuchungshaftanstalt und ein Vernehmungszentrum mit speziellen Räumen für auswärtige Besucher und Rechtsbeistände einrichtete. Einige Jahre stand der U-förmige Bau leer, dann wurde er erweitert und dient heute als JVA »Alfred« wieder als Frauengefängnis.

Der Ochsenkopf

Am Rummelsburger See warten noch immer die kargen Ziegelbauten einer bis 1990 genutzten Strafanstalt auf eine sinnvolle Nutzung. Dort entstand 1853 zunächst ein Hilfsstrafgefängnis, 1854–59 dann das Friedrich-Waisenhaus der Stadt Berlin, bevor 1877 die »Städtische Arbeits- und Bewahranstalt« hierher verlegt wurde, der sogenannte Ochsenkopf. Der Ochsenkopf war ursprünglich das Zunftzeichen am ersten Berliner Arbeitshaus von 1742, dem ehemaligen Schlächtergewerkshaus Belle-Alliance-Platz 11. Ab 1758 erhob sich der neuerbaute Ochsenkopf am Alex, ein großes graues Haus in der Alexanderstraße 1–4 mit langgestreckten Fronten zum Alexanderplatz und zur Straße gewandt, das mehrere Höfe umschloss und bis zum Ufer des Spreearms reichte, der hier die Königstadt durchschnitt. Ursprünglich errichtet, um die Haus- und Straßenbettelei zu steuern, wurde es schnell zum Depot der unter Polizeiaufsicht stehenden »liederlichen, sich umher treibenden Dirnen und der zu einer Korrektionsstrafe verurteilten Personen; ein Arbeits- und Aufenthaltshaus außerdem für die Armen und Elenden, Wahn- und Blödsinnigen, Siechen und Kranken«. Erst nach 1863 wurden die städtische Irrenanstalt an der Waisenbrücke und das Siechenhaus in der Neuen Friedrichstraße eingerichtet und die Prostituierten in die Stadtvogtei eingewiesen.

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