Der Fall Griechenland

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Der Fall Griechenland
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J. Köper
U. Taraben
Der Fall
Griechenland
Fünf Jahre Krise und Krisenkonkurrenz
Europa rettet sein Geld – die deutsche Führungsmacht ihr imperialistisches Europa-Projekt
GegenStandpunkt

© GegenStandpunkt 2015

© GegenStandpunkt Verlag 2015

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Alle Rechte vorbehalten

ISBN der Druckausgabe: 978-3-929211-15-3

Das Buch ist auch in den Ebook-Format PDF und MOBI erschienen

EPUB ISBN 978-3-929 211-66-5

© GegenStandpunkt 2015

Inhalt

Vorwort

2010

Anmerkungen zu Griechenlands Staatsbankrott13

2011

ESM, Pakt für den Euro, Wirtschaftsregierung etc.:

Die Rettung des Euro steht auf dem Programm29

1. Der Doppelcharakter des Geldes als Kreditzeichen30

2. Der Euro: Gemeinsame Währung konkurrierender Nationen32

3. Eine der Währungsunion würdige Finanzkrise38

4. Europäischer Fortschritt in der Krise: Eine Kredit-Kaution zu Lasten des Schuldners und ein neues Regime der Führungsmächte42

Europäische Kreditgarantien für Griechenlands Schulden42

Ein „Rettungsschirm“ und seine Kautelen44

Zwangsmaßnahmen für ein „gesundes“ Verhältnis von Staatsschulden und Wachstum 46

5. Das Resultat – Ein Stück Krisendurchsetzung 48

Sparen – Wachsen – Konkurrenzfähigkeit

Der Fiskalpakt – Europas Wunderwaffe gegen die Krise51

1. Der „Fiskalpakt“: Diagnose und Rezept – Eingeständnis und Dementi52

2. Der Imperativ „Wachstum“ – ein Rezept, das schon wieder ein Eingeständnis enthält56

3. „Konkurrenzfähigkeit“ – das deutsche Rezept, der paradoxe Stein der Weisen60

2012

Die Krisenkonkurrenz der Euro-Partner

tritt in ihr nächstes Stadium ein65

1. Das Leiden der Krisenstaaten der Euro-Zone: Das Paradox einer Souveränität ohne Geldhoheit66

2. Der Krisenkonkurrenzstandpunkt der solventen Euro-Mächte: Kein Staatshaushalt ohne ‚Disziplin‘, keine Euro-Schulden ohne Anerkennung durchs Finanzkapital67

3. Die Fortschritte der Euro-Krise: Ein bis zum Gehtnichtmehr aufgeschobener Offenbarungseid über Leistung und Lebenslüge der Währungsunion72

4. Der wahre Kern der Krisenpolitik der Euro-Macher gegenüber Griechenland: Der unauflösliche Widerspruch

zwischen Konkurrenz der Nationen und Euro-Kredit76

2015

An Griechenland und seiner Syriza-Regierung

wird ein Exempel statuiert83

1. Der Kampf der Syriza-Regierung um nationale Souveränität und ein ‚solidarisches Europa‘ gegen die Sanierungsimperative aus Brüssel und Berlin 83

2. Deutsche Lektionen über den Gegensatz von Euro-Regime und nationalen Souveränitätsansprüchen 88

3. Der politökonomische Gehalt der deutschen Sanierungsimperative90

4. Deutschlands Kampf um seine Durchsetzung als politische Garantiemacht des Gemeinschaftsgelds und der unauflöslichen Einheit des europäischen Staatenclubs96

5. Der „Fall Griechenland“: ein Exempel deutscher Führungsmacht in Europa99

2015

Die imperialistische Wahrheit der Krise und der „Rettung“ Griechenlands

Ein Hilfsprogramm für Deutschlands Europa-Projekt101

1. Die von Deutschland geschaffene Lage: Eine Sanierungspolitik, die ihr Scheitern voraussieht. Warum gibt es so etwas?101

2. Der Fall Schäuble: Deutschlands Kampf um die politökonomischen Prinzipien einer erfolgreichen Weltwährung104

3. Der Fall Merkel: Kampf um ein supranational integriertes Europa unter deutscher Führung111

4. Der Fall C-Fraktion: Deutscher Europa-Imperialismus als Meinungsstreit116

Ein Fall eigener Art:

Linke Kritik am deutschen Europa-Projekt119

„Die Linke“: Von der internationalen Solidarität zur alternativen Sorge um nationale Souveränität

119

Ignorant, affirmativ, idealistisch, streitlustig: Deutschlands Linke diskutieren über Europa123

© GegenStandpunkt 2015

Vorwort

2010 steht der griechische Staat zum ersten Mal vor dem Bankrott, 2015 erneut. Wie es zu der Dauerpleite des EU-Mitglieds an der südlichen Peripherie Europas hat kommen können, ist für den öffentlichen Sachverstand kein Rätsel. „Über seine Verhältnisse gelebt“ hat das Land, und zwar so gut wie jeder seiner Insassen, und will davon nicht wirklich lassen. Die Bürger zahlen keine Steuern, die Politiker treiben sie auch gar nicht erst ein. Das Geld, das sie zum Regieren brauchen, holen sie mit gefälschten Bilanzen in Brüssel ab, bezahlen damit Rentner, Lehrer und überflüssiges Amtspersonal und halten eine Ökonomie in Gang, die hauptsächlich aus Korruption und dem für Südländer typischen Hang zum Nichtstun besteht –: Ungefähr in der Art soll man sich vorstellen, wie in dem Land 20 Jahre lang vor sich hingewirtschaftet wurde und mehr oder weniger offen immer noch wird.

Der Botschaft erster Teil: Mitten in Europa haben sich dort unten, kunstvoll verschleiert, in Herrschaft und Volk Sitten eingenistet, die so gut wie gegen alles verstoßen, was in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion erlaubt und bei allen anderen Mitgliedern dieser „Euro-Familie“ die Regel ist. Damit ist zweitens klar: Von ungefähr kommt es überhaupt nicht, dass dieser Staat bankrott geht. Da ereilt bloß einen Fremdkörper in der Union der Europäer das gerechte Schicksal, das er mit seinen absonderlichen bis kriminellen Machenschaften herausgefordert hat. Drittens gehen deshalb auch die Konsequenzen in Ordnung, die Deutschland gegen den Widerstand der griechischen Regierungen, insbesondere gegen die uneinsichtige Linke von Syriza, durchsetzt: Mit dem angedrohten Ausschluss aus dem Euro-Verbund, mit einem rigorosen Kreditregime und mit verbindlichen staatlichen Sparvorschriften bringen Schäuble, Merkel & Co. die widerstrebenden Griechen nur zur „Vernunft“ ...

Das ist nicht ganz gerecht. Erstens hat sich in Bezug auf die besonderen Usancen der griechischen Haushaltspolitik in Europa noch nie jemand etwas groß vorgemacht. Sich als machtvoller europäischer Staatenblock eine Nation an der Südperipherie zuzuschlagen und durch die Eingemeindung nach den Regeln des Acquis communautaire politisch haltbar und verlässlich zu machen: Das waren die übergeordneten politischen Gründe, deretwegen auf übertriebene Genauigkeit bei der Prüfung der Maastricht-Tauglichkeit des griechischen Haushalts verzichtet wurde – wie in anderen Ländern, wie man inzwischen erfahren hat, übrigens auch. Zweitens mag es schon sein, dass im Land der Griechen ökonomisch wie politisch manches anders läuft als in anderen Nationen der europäischen Union und in denen der besseren Garnitur schon gleich. Aber dass deswegen Griechenland und seine Krise ein irgendwie un- oder außereuropäischer Sonderfall sind, kann schon deswegen nicht sein, weil Griechenland ja nun unbestreitbar ein Mitglied der europäischen Union ist – und im übrigen nicht das einzige, das mit der Euro-Krise an den Rand des Bankrotts geraten ist.

Drittens vor allem ist es ja in Wahrheit so: Europa ruiniert seine „Südschiene“. Von den Führungsmächten der Union als Markt und Schuldner in Anspruch genommen, werden Griechenland und Co. mit ihrer Überschuldung in die Verelendung getrieben. Genauer: in eine Politik der Verelendung, die sich durch zwei Besonderheiten auszeichnet. So richtig verelendet wird das Volk; dabei steht zugleich fest, dass die Staatsgewalt sich dadurch nicht saniert, sondern selber ruiniert. Zu dieser marktwirtschaftlichen Glanzleistung kommt ein demokratisches Highlight dazu: Überlebenshilfen für die öffentliche Gewalt gibt es nur, wenn die Regierung des betreffenden Landes sich vorab verbindlich auf die bedingungslose Anerkennung aller Bedingungen verpflichtet, die die EU-Führung ihr auferlegt.

Natürlich ruiniert Europa seine „Südschiene“ nicht zum Spaß. Die Führungsmächte retten so ihr Geld; genauer: dessen Tauglichkeit als Kommandomittel über Arbeit und Reichtum in Europa und über dessen Grenzen hinaus. Dafür organisieren sie mit noch mehr Schulden „Rettungsschirme“ und „Hilfsprogramme“ für das Vertrauen in die Schulden, die jetzt schon zu viel sind. Als Bürgschaft für die Solidität ihres finanzwirtschaftlichen Kunstwerks verlassen sie sich aber nicht allein auf den Eindruck, den in der Finanzwelt große Zahlen machen. Die Kreation mehrstelliger Milliardensummen aus nichts verknüpfen sie mit der Einführung eines politischen Aufsichtsregimes über die Partnerländer, die ausweislich ihrer minderen Bonität ja wohl verkehrt mit dem guten gemeinsamen Geld gewirtschaftet haben müssen. Die Härte dieses Regimes soll das Vertrauen stiften, das Schulden unbedingt brauchen, damit sie Kredit heißen und als Kapital geschäftsmäßige Verwendung finden.

Die Rechenschaftspflicht, die sich demokratische Machthaber ihren Wählern gegenüber allemal schuldig sind, kommt dabei nicht zu kurz. Die Rettungstat wird dem Volk sogar doppelt erklärt. Einerseits humanitär und entsprechend verlogen: Hilfe und europäische Solidarität müssen sein angesichts der Katastrophe im Süden, auch wenn die selbstverschuldet ist, nämlich ihren Grund allein darin hat, dass da ein Staat auf „unsere“ Kosten gelebt hat. Andererseits unter Verweis auf nationale Kernanliegen: Hilfe muss sein zur Rettung „unseres“ guten Geldes und überhaupt zur Bewahrung der Einheit Europas.

Letzteres ist schon nahe an der Wahrheit, wodurch und von wem Griechenland zum europäischen Sonderfall gemacht wurde, als der das Land seit nunmehr fünf Jahren traktiert wird. Europas Macher retten erstens ihr Geld und zweitens ihr Projekt einer friedlichen Eroberung des Kontinents mit der sachzwanghaften Gewalt des kapitalistischen Reichtums, genauer: Die deutsche Führungsmacht der Union erzwingt von ihren Partnern die Selbstverpflichtung auf die von ihr erlassenen Direktiven einer „vernünftigen“, also ihrer eigenen Geld- und Kreditpolitik. So kommt Europa durch die Krise und wieder ein Stück weiter voran: Deutschland treibt die ökonomische Indienstnahme seiner Partner für die große Sache europäischer Weltmacht und Weltgeltung rücksichtslos weiter, die an den USA Maß und sich deren modernen Imperialismus der Funktionalisierung eigenverantwortlicher Souveräne bis hin zu deren Zerstörung zum Vorbild nimmt.

 

Die vorliegende Broschüre enthält einige redigierte Artikel, in denen die ‚Politische Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt‘ sich während der letzten fünf Jahre um die Erklärung der Euro-Krise und der Krisenkonkurrenz der Euro-Staaten bemüht hat, in deren Zentrum Deutschland steht, das seinerseits Griechenland mit seinem Staatsbankrott in den Mittelpunkt einer „gemeinsamen Krisenbewältigung“ gerückt hat. Die Kapitel analysieren Schritt für Schritt die Etappen des Kampfes, den Deutschland mit seinem Projekt ‚Europa‘ exemplarisch am „Fall Griechenland“ für sein Programm führt, „aus der Krise gestärkt herauszukommen“ – als ökonomische und politische Großmacht in und mit Europa.

© GegenStandpunkt 2015

2010
Anmerkungen
zu Griechenlands Staatsbankrott
1.

Der Bankrott Griechenlands im Jahr 2010 ist, was das Land selbst betrifft, die Quittung dafür, dass es der EU samt Währungsunion beigetreten und den damit verbundenen Anforderungen an seine Nationalökonomie nachgekommen ist.

Wie jedes Mitglied der europäischen Wirtschaftsunion verknüpft auch Griechenland seinen Beitritt zu diesem Club mit großen Erwartungen in Bezug auf das Fortkommen der eigenen Nation. Man spekuliert darauf, dass das Einbringen des eigenen Standorts in den einheitlichen Binnenmarkt die eigene Ökonomie voranbringt, ihr den Zugang zu den großen europäischen Märkten eröffnet, umgekehrt sie selbst von kapitalkräftigen Investoren als Anlagesphäre für interessant befunden wird. Man setzt darauf, dass sich mit dem Wegfall politischer Schranken in der Konkurrenz der Standorte mehr aus dem eigenen ökonomischen Inventar – Staatsbetriebe, Reedereien, Landwirtschaft – machen lässt, und vor allem darauf, dass dem Land das Kapital schon zufließen wird, das es für seine ins Auge gefasste „Modernisierung“ dringend benötigt. In den eigenen Erwartungen sieht man sich nur bekräftigt durch die Hilfen, die einem zur Herrichtung des Standorts von der Gemeinschaft in Aussicht gestellt werden. Denn dass es den für den Wettbewerb in Europas Wirtschaftsunion überhaupt erst konkurrenzfähig zu machen gilt, ist auch bei deren maßgeblichen Betreibern offiziell anerkannt, also stehen dem Land aus den Fonds für „Kohäsion“, „Strukturwandel“ usw. Mittel zur Kompensation seiner „Rückständigkeit“ zur Verfügung.

So wird mit regelmäßig fließenden Geldern der EU das Mitglied Griechenland modernisiert. Unrentable Staatsbetriebe werden privatisiert, Straßen, Brücken und Flughäfen werden gebaut, weitere Fördermittel finden Verwendung für Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft. An der Infrastruktur fürs kapitalistische Wachstum im Land fehlt es nicht – nur dieses selbst stellt sich nicht so ein, wie die politischen Betreuer des Standorts sich das erhofft hatten. Dem freien Wettbewerb gegen die kapitalkräftige Konkurrenz aus Europas Musterstaaten mit ihren Weltkonzernen und potenten Mittelständlern hält die einheimische Produktion nicht stand; Ausnahmen bestätigen die Regel. Denn Unternehmen, die in Produktivität und Rentabilität in der Union und über deren Grenzen hinaus Maßstäbe setzen, haben alles andere vor als den Kapitalmangel zu beheben, unter dem ihre griechischen Wettbewerber leiden: Sie nutzen ihn gnadenlos zu ihren eigenen Gunsten aus und erobern sich mit überlegener Kapitalgröße den Markt, der ihnen da neu eröffnet wird. Was die Landwirtschaft betrifft, den zweiten Hoffnungsträger, auf den der griechische Staat seine Erfolgsrechnungen gründet, so halten auch da griechische Bauern den Vergleich mit kapitalkräftigeren Konkurrenten aus Spanien und Italien nicht aus, die mit den Fördergeldern der EU ihren Vorsprung bei der produktiven Ausbeutung von Mensch und Natur nur noch mehr vergrößern. Und alle Erwartungen, die Griechenland in eine kapitalistische Erschließung und Ausnutzung der näher benachbarten Märkte hegt, macht der Krieg auf dem Balkan dann auch noch zunichte. So verwaltet der Staat als Mitglied der EU weiter den Mangel an Kapital, an dem sein Standort laboriert. Neben dem, was die Geschäfte mit Handelsschifffahrt und Touristen an Geld ins Land bringen, ist er selbst das einzige ökonomische Subjekt von Gewicht, firmiert als Arbeitgeber, Auftraggeber, Verteiler von Subventionen und avanciert so zur wichtigsten Verdienstquelle seiner Bürger.

Auch dem nächsten Angebot, das Griechenland zur Fortsetzung seiner Karriere als EU-Mitglied unterbreitet wird, mag man sich nicht verschließen. Der Beitritt zur europäischen Währungsunion geht zwar einher mit der Preisgabe einer souveränen Verfügung über ein nationales Geld, also den Stoff, um dessen Vermehrung es in einer Nationalökonomie allein geht, damit auch mancher Freiheiten, die ein Staat als Schöpfer und Garant des Geldes der Gesellschaft sich bei der Gestaltung seiner Haushalts- und Schuldenpolitik herausnimmt. Aber im Gegenzug für die Selbstverpflichtung auf die Einhaltung gewisser Kriterien, denen sich der nationale Haushalt im Dienst am supranationalen Anliegen zu unterwerfen hat, für die Stabilität des neuen Geldes zu sorgen,1) winkt immerhin eines: Wenn nur alle Souveräne, die man zum Mitmachen einlädt, sich bei ihrer Verschuldungs- und Standortpolitik diesem stabilitätspolitischen Gemeinschaftsanliegen unterwerfen und sich bei der Bewirtschaftung ihres Standorts das Kontrollregime einer Europäischen Zentralbank gefallen lassen, dann haben sie alle auch dasselbe gute, weil stabile Geld, mit dem sie wirtschaften können. Dieses Programm besticht auch die für den Staatshaushalt Verantwortlichen in Griechenland. Mit einem Schlag sind sie nicht nur alle Probleme mit ihrer notorisch schwachen Landeswährung los, die zwar im Inneren alle Geldfunktionen verrichtet, dabei aber und im Vergleich zu anderen Währungen beständig an Wert verliert. Mit dem Euro eröffnet sich ihnen vor allem auch unmittelbar der Zugang zu der Geschäftssphäre, in der Drachmen eine äußerst marginale Rolle spielen: Als Euro-Standort ist Griechenland für die Geschäfte der großen europäischen Finanzkapitale von gleichem Interesse wie alle anderen auch. Wenn von denen Geschäfte in Euro für lohnend erachtet werden, wird auch aus dem griechischen Zipfel der Euro-Zone eine Geschäftssphäre der Banken und Geldhändler und kommt Kapital ins Land.

Der griechische Staat jedenfalls setzt ganz darauf, dass der Eintritt in die Euro-Zone einschließlich der ihm auferlegten Maßnahmen zur Begrenzung von Inflationsrate, Haushaltsdefizit und Schuldenstand den erwünschten Effekt nach sich zieht und der Kapitalmarkt der EU sich als Finanzquelle für seinen kapitalistischen Fortschritt ausnutzen lässt. Und in einer Hinsicht wird er nicht enttäuscht: Auch griechische Staatsschulden gelangen in den Genuss des Kredits, den der gesamteuropäische Wirtschaftsraum verbürgt, auch in dem Land wachsen die einheimischen Banken, lassen sich ausländische nieder und verdienen an allen Geldgeschäften, die im Standort laufen. Ein Aufschwung im Finanzsektor ist der erste gewichtige Posten, der sich in den griechischen Wachstumsziffern niederschlägt. Ein zweiter ist unter der Rubrik Dienstleistungen zu verzeichnen, die nach einer Welle der Privatisierung und dem erfolgreichen Verkauf von Hafen- und Telefongesellschaften, Raffinerien, Werften, Kasinos und Küstenstreifen an ausländische Investoren eröffnet wird. Ansonsten aber ist, was das Wachstum in der produktiven Abteilung der Ökonomie betrifft, wiederum nur Fehlanzeige zu vermelden. Zur attraktiven Anlagesphäre für ausländisches Kapital, das von dort aus sein Geschäft betreibt und darüber die ökonomische Basis des staatlichen Wirtschaftens mit Geld stärkt, entwickelt sich Griechenland auch unter der Regie des Euro nicht. Vielmehr fangen die großen europäischen Handelsketten mit der gewachsenen zahlungsfähigen Nachfrage nur das an, was ihnen ihr Gewerbe gebietet: Sie nutzen sie mit ihrem konkurrenzlos billigen Angebot für sich aus und erledigen die noch vorhandenen Überbleibsel der traditionellen Kleinbetriebe und Handeltreibenden.

Nach zehn Jahren Euro-Wirtschaft in Griechenland hält der Zentralbankchef bilanzierend Rückschau auf die Vorteile, die dem Land aus seiner Mitgliedschaft in der Währungsunion erwachsen sind, indem er die Nachteile aufzählt, die bei einem Ausstieg aus dieser Union zu gewärtigen seien. Ihm zufolge bewahrt der Euro Griechenland vor

„einem Anstieg der Kosten der Importe und damit der Inflation aufgrund von Abwertungen; einer unglaubwürdigen Geldpolitik, im Vergleich zur Glaubwürdigkeit der Europäischen Zentralbank, und damit einem Anstieg der Inflationserwartungen; der Erwartung weiterer Abwertungen, was zur Erhöhung der Risikoprämien für das Land führen würde; einem Anstieg der Nominalzinsen aufgrund der genannten Faktoren, was zu höheren Kosten des öffentlichen Schuldendienstes führen und die Haushaltsanpassung unterminieren würde, so dass Ressourcen anderen, produktiveren Feldern entzogen würden; ... einer Verschuldung in Euro als ausländischer Währung, so dass jede Abwertung der eigenen Währung gegenüber dem Euro die Schuldenlast erhöhen würde.“ (Financial Times, 22.1.10)

Was der Mann an Vorteilen einer weiteren Mitgliedschaft im Euro-Club aufzählt, sind Symptome der Konkurrenzunfähigkeit der griechischen Nationalökonomie: Wenn bei der Alternative eines neuen eigenen, allein auf die nationale Wirtschaftskraft gegründeten Kreditgelds ausschließlich die Frage von Belang ist, mit welchen Abwertungsraten gegenüber dem derzeit als Landeswährung genutzten Euro zu rechnen wäre, wie viel mehr an Zinsen gezahlt werden müsste, um einer neuen Drachme überhaupt zu irgendeinem Wechselkurs zu verhelfen, und wie unverhältnismäßig viel von einem solchen Geld aufzuwenden wäre, damit die Nation sich noch die Importe kaufen kann, von denen sie lebt: Dann findet in dem Land eine Akkumulation kapitalistischen Reichtums, die dem Volk durch Benutzung einen Lebensunterhalt zukommen lässt und der Nation zu internationaler Zahlungsfähigkeit verhilft, definitiv nicht statt. Wenn bei höheren Zinslasten für den Staatshaushalt der Wegfall unentbehrlicher „Ressourcen“ für kapitalistisch produktive Geschäftsfelder droht, dann gibt es solche produktiven Sektoren nur als staatliches Projekt – also überhaupt nicht. Wenn der Übergang zu einer eigenen Währung die auf Euro lautende Schuldenlast der Nation unabsehbar steigen ließe, dann hat die sich längst in eine Verschuldung hineingewirtschaftet, der ihre Wirtschaftskraft endgültig nicht mehr gewachsen ist. Das ganze Ergebnis der langjährigen Teilnahme am Binnenmarkt und an der Währungsunion ist eine Unmasse Kredit, die das Land sich mit seiner alten Drachme nie hätte leisten können, die es sich als anerkannter Euro-Schuldner doch hat leisten können – und die der nationale Kapitalismus, den das Land damit zustande gebracht hat, in keiner Weise zu rechtfertigen vermag.

An diesem Missverhältnis allein liegt es aber gar nicht, dass der griechische Schuldenberg jetzt unhaltbar geworden ist.