Anleitung zur Kindererziehung Anno 1900

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Anleitung zur Kindererziehung Anno 1900
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Isa von der Lütt

Aus dem Leben des Artigen Mariechen und des Unartigen Emil

Ein Anstandsbüchlein

für Kinder

Ein unterhaltsames Büchlein über das feine

Benehmen der Kleinen Welt


Impressum

Umschlaggestaltung: Harald Rockstuhl, Bad Langensalza

Titelbild: Zwei Seelen ein Gedanke! Junge schenkt

seinem Mädchen einen Strauß. 1910

Originaltitel: Aus dem Leben des Artigen Mariechen und des Unartigen Emil. Ein Anstandsbüchlein von Ohm Georg und der Tante Isa (Frau I. v. d. Lütt), Nürnberg: Theo. Stroefer’s Kunstverlag, Nr. 1079.

1. Auflage 2015

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

ISBN: 978 - 3-86777 - 916-6, gedruckte Ausgabe

ISBN: 978 - 3-86777 - 917-3, E-Book[ePub]

ISBN: 978 - 3-86777 - 918-0 E-Book[Mobipocket]

Innenlayout: Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


Inhaber: Harald Rockstuhl

Mitglied des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.

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Inhalt.

Wenn wir nun zusammen einen ganzen Tag durchgehen, wie ihn das artige Mariechen und der unartige Emil verlebt haben, so werdet Ihr wohl am besten selbst einsehen, was fein und unfein ist und welche Regeln zu leiten haben:

Cover

Titel

Impressum

1 Einleitung

2 Das Benehmen gegen die lieben Angehörigen

3 Das Benehmen in der Schule

4 Das Benehmen gegen die Dienstboten

5 Das Benehmen bei Tisch

6 Das Benehmen auf der Straße

7 Das Benehmen im fremden Hause

8 Das Benehmen bei Einladungen

9 Das Benehmen bei Gästen im Hause

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Einleitung.

War das ein Jammer in Mariechens Haus!

Emil, der kleine Vetter, zu längerem Aufenthalt anwesend, benahm sich daheim und vor Fremden so unartig, so abscheulich unfein, daß es wirklich eine Schande war. Mariechen, das artigste Kind der ganzen Stadt, überall bekannt und beliebt wegen seines feinen Benehmens, lief in der Verzweiflung zu Tante Isa.

„Giebt es denn,“ sagte es, „gar kein Büchlein, daraus ungezogene Jungen lernen können, wie sich ein feines, artiges Kind zu benehmen hat? Emils Eltern – seine Mutter ist immer krank, sein Vater auf Reisen – haben sich nicht in der Weise um ihn kümmern können, und acht geben auf das, wie andere Kinder sich benehmen, und auf das, was man ihm sagt, mag er nicht. Aber aus seinen Schulbüchern lernt er leicht und gut, und wenn es nun ein Büchlein gäbe, worin er alles, was zu einem feinen Benehmen gehört, gedruckt lesen und lernen könnte, so wäre ihm und uns geholfen. Weiß du denn keins, liebe Tante Isa?“

Ein solches Büchlein wußte ich nun freilich nicht; weil ich aber den ganzen Jammer begriff und wohl einsah, daß es noch viele Jungen und wohl auch Mädchen geben möge, die sich angewöhnt haben, ungezogen zu sein, und deren Eltern sich nicht damit abgeben können, ihnen ein „feines Benehmen“ beizubringen, so machte ich mich denn daran, für euch „Kleine Welt“ ein Büchlein des „guten Tones“ zusammenzustellen. Den lieben Eltern soll es in ihren großen Mühen der Erziehung Hilfe und Erleichterung gewähren; den artigen Kindern soll es ein Spiegelein sein, in dem sie mit Freude und frischer Aufmunterung und Befestigung ihr Bild erblicken; den unartigen ein Spiegelein, worin sie mit Beschämung und neuen, guten Vorsätzen ihr Bild erkennen.

Das Benehmen gegen die lieben Angehörigen.

Wie lieb und gut war dieses von Mariechen, schon von der ersten Morgenstunde an, da Edith, die erwachsene Schwester, die beiden Kinder weckte.

Die blauen Äuglein aus süßem Schlafe aufschlagend und noch halb traumtrunken die Schwester erkennend, gab es ihr schnell und herzlich den Guten-Morgen-Gruß, welchen Kinder allen Angehörigen und Hausgenossen schulden.

Emil aber, ärgerlich über seinen gestörten Schlummer, schnitt ein abscheuliches Gesicht, stieß mit dem Fuße nach Edith und schrie so unfreundlich als möglich: „Mach’ daß du wegkommst, ich mag noch nicht aufstehen!“

Auch als Mariechen, als erste liebe Pflicht, das Morgengebet sprach und Emil zu gleichem aufforderte, wiederholte er nur seine Ungezogenheiten. Mariechen aber holte sich in dem betenden Aufblick zu Gott, dem Urquell alles Guten, und dem lieben Jesukindlein, auch für das nette Benehmen gegen andere, neue Stärkung und Befestigung.

Ja, ja, meine lieben, kleinen Leutchen, es ist schon so, wenn Ihr auch erstaunt die Köpfchen schüttelt. Nicht nur für das Wichtigste im Leben: für das, was fromm und recht, edel, wahr und tüchtig ist, nein auch für das Kleinere: für das feine, artige Benehmen liegen gerade in den wundervollen Lehren, welche das Christentum über ein liebevolles Zusammenleben giebt, die besten Wegweiser, und eine Hauptlehre desselben, das schöne Wort: „Kindlein, liebet einander“, ist auch hierfür die beste Anweisung.

Denn aus solch echter, christlicher Liebe blühen eben die kleinen Blumen hervor, welche das Leben mit und untereinander lieblich und anmutig gestalten, die das Benehmen so machen, daß man es fein nennt, nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen und zwar in jedem Lebenskreise, bis hinauf zu den Hochschulen feinster Lebensart: den Höfen der Kaiser, Könige, Fürsten.

Ihr werdet dies leicht selbst erkennen, wenn Ihr daraufhin jemand, der bei allen als besonders liebenswürdig und feil gilt, beobachtet. So z. B. die junge Hofdame L., die, kurz zuvor ehe diese Geschichte beginnt, bei Mariechens Mutter zu Besuch war. Wenn sie, ging etwa die Mutter hinter ihr zur Hausthür, schnell zurücktrat und diese vorantreten ließ, ihr die Thüre öffnete, ihr den Schirm aufspannte; wenn sie bei Tisch das Beste zuerst den andern, nicht sich zuwenden wollte, bei Spazierfahrten u. dgl. den besten Platz gern den andern abtrat, mit steter, heiterer Liebenswürdigkeit jedes Mahl und jede Gesellschaft erfreute, wenn sie dem hinkenden Fräulein v. N. zuliebe, ihren Schritt geduldig mäßigte, aus Rücksicht auf das etwas tappige Fräulein X. ein viel einfacheres Gesellschaftsspiel vorschlug, als sie selbst zu spielen liebte, – so waren es immer die oben genannten Eigenschaften der Freundlichkeit, Gefälligkeit, Hilfsbereitschaft, Rücksicht, Selbstvergessenheit, Bescheidenheit, Güte, Nachsicht, die sie dazu leiteten.

Die Anwendung solch schöner Tugenden am rechten Ort und zur rechten Zeit ist das eigentliche Geheimnis des artigen, netten Benehmens wirklich feiner Menschen. Ganz unwillkürlich schon richten sie ihr ganzes Leben danach; Erwachsene sowohl als auch Kinder, wie eben unser liebes Mariechen, das allzeit von schöner Hilfsbereitwilligkeit beseelt, nach beendetem Morgengebet, auch Emil beim Aufstehen half und ihm mühselig seinen Anzug zusammen suchte. Unordentlich war er nämlich zu allem übrigen auch noch und hatte das eine Stück in diese, das andere in jene Ecke geworfen.

Dabei fand unser liebes Mädchen doch auch noch Zeit schnell Edith, welche das schwere Frühstücksbrett durchs Zimmer trug, beizuspringen und dem eben eintretenden Mütterchen mit innigstem Morgengruß sein Küßchen entgegenzutragen.

Flugs stand es gleich darauf am Waschtisch und ließ den kalten Wasserguß, mit welchem das Kindermädchen es zu überschütten hatte, über sich ergehen unter lustigem Lachen und Scherzen. Denn Mariechen war – das sei all denen gesagt, welche glauben, ein artiges Kind müsse „fad“ und „langweilig“ sein – gleich Freund Oskar ein gar heiteres, lustiges Wesen, bei allen Gespielen beliebt um seines frischen, lebendigen Frohmuts willen.

 

Lachend und scherzend suchte es auch Emil, der, leider muß ich auch dieses eingestehen ein gar großes Schweinchen war und eine heftige Scheu vor dem Wasser hatte, von den Schrecken der Unreinlichkeit zu überzeugen und davon, daß sich diese niemals mit guter Lebensart vertrüge.

Oder meint Ihr, es mache irgend jemanden einen besonders feinen Eindruck wenn Ihr z. B. eine Hand bietet, deren Berührung dem andern sowohl für Hand als Handschuh wenig wünschenswert erscheint?

Ja, gewiß, Reinlichkeit ist ein Haupterfordernis für feine Leute, und an Euch ist es dieselbe den ganzen Tag zu beachten. Am Morgen freilich, da thun wohl alle Kinder etwas dafür, weil sie eben müssen, aber im Laufe des Tages, wo man nicht immer hinter Euch her sein kann und die Reinlichkeit also ausschließlich Eure Sache ist, wie sieht’s denn da aus?

Hoffentlich bei keinem der Leser so, wie bei Emil, der, kaum war er gewaschen, sich wieder beschmutzte und sich, das Gräßlichste, was es an einem feinen Tische giebt, mit beschmierten Händen und greulich schwarzen Fingernägeln an den Frühstückstisch setzte.

War es da ein Wunder, daß die zu Besuch weilende, leidende Tante mit Abscheu die Butterbrödchen zurückwies, die Emil eins nach dem andern um das Größte zu finden mit seinen abscheulichen Händchen berührt hatte?

Daß ihr dann aber der Appetit vollständig verging und sie angewidert das Zimmer verließ, begriffet Ihr auch leicht, wenn Ihr gesehen hättet, wie häßlich Emil sein Frühstück zu sich nahm.

Sogleich am Anfang störte er das Behagen der ganzen Familie rücksichtslos, indem er mit heulendem Geschrei, entgegen aller, Kindern geziemender Genügsamkeit und Bescheidenheit erklärte, er wolle Kaffee – Milch möge er nicht! Erst als der Hunger ihn quälte, verstand er sich dazu. Aber wie nahm er die Milch zu sich! Mit lautem Geräusch, entgegen allen Regeln eines feinen Eßgebarens, schlappte er die Milch in sich hinein. Den Löffel nahm er so voll, die Brocken so groß, daß ihm stets an den Mundwinkeln ein Teil heruntertropfte, was Gesicht und Kleider aufs anmutigste und appetiterregendste verzierte!

Mariechen ärgerte sich erschrecklich und war wie erlöst als die Stunde des Schulganges schlug. Rasch und doch sorglich richtete es sich zusammen, warf nochmals einen prüfenden Blick in die längst fertiggepackte Schultasche und verabschiedete sich vom Mütterchen.

Fröhlich, wenn auch ganz ruhig und artig, ging die kleine Schülerin dahin, ganz erleichtert in dem Gedanken, daß Emil dorthin wenigstens ihr nicht folgen und ihr nicht das richtige

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