Im Zentrum der Wut

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Aus der Reihe: Leo Schwartz #27
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Im Zentrum der Wut
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Irene Dorfner



Im Zentrum der Wut





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Inhaltsverzeichnis





Titel







ANMERKUNG:







1.







2.







3.







4.







5.







6.







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8.







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10.







11.







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24.







25.







Personenliste







Liebe Leser!







1.







2.







3.







4.







Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:







Über die Autorin Irene Dorfner:







Impressum neobooks







ANMERKUNG:




Jubiläumsausgabe: 5 Jahre Leo Schwartz!!




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© Irene Dorfner 2018



All rights reserved



Lektorat: Felicitas Bernhart, D-84549 Engelsberg




Die Personen und Namen in diesem Thriller sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Auch der Inhalt des Buches ist reine Phantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten zufällig.



Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst






Ich wünsche allen Lesern viel Spaß mit Leo Schwartz & Co.!!



Irene Dorfner




….und jetzt geht es auch schon los:






1.



Das Wochenende in London war für Leo Schwartz viel zu schnell vorbei. Es war höchste Zeit zu gehen, das Taxi wartete bereits. Der Abschied von seiner Freundin Sabine Kofler fiel ihm heute besonders schwer. Am liebsten wäre er geblieben oder hätte sie einfach mit nach Hause genommen, aber das ging nicht. Sabine hatte hier noch einen Job zu erledigen, der sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Mehr, als er oder sie es für möglich gehalten hatten. Sie war Journalistin und nach vielen Jahren Durststrecke hatte sie nach der Reportage im letzten Herbst, bei der sie sich kennengelernt hatten, sehr viel zu tun. Leo gönnte ihr den Erfolg, trotzdem hätte er sie viel lieber bei sich in Deutschland gehabt.



„Soll ich dich nicht doch zum Flughafen begleiten? Dann hätten wir noch eine Stunde gemeinsam“, bettelte Sabine.



„Nein, lieber nicht. Ich hasse Abschiede, besonders an Flughäfen oder Bahnhöfen. Ich werde jetzt einfach in das Taxi steigen und mich nicht mehr umdrehen. Dasselbe erwarte ich von dir, hast du mich verstanden? Du machst dich fertig für deinen nächsten Termin, viel Zeit bleibt dir nicht mehr.“ Leo gab ihr noch einen letzten Kuss und stieg in das Taxi, in dem der Fahrer geduldig wartete. Eine Fahrt zum Flughafen Heathrow war lukrativ, da kam es auf die paar Minuten nicht an. Dann war der Fahrgast eingestiegen und es konnte losgehen.



Leo wollte sich nicht umdrehen, konnte aber nicht anders. Sabine stand am Straßenrand und winkte wie verrückt. Hätte er sie einfach ignorieren sollen? Er winkte zurück, bis er mit dem Taxi außer Sichtweite war.



Leo befand sich in einer Zwickmühle, denn schon lange hatte er genug von seinem Job bei der Mordkommission der Kriminalpolizei. Daran änderte auch die Beförderung vor zwei Wochen zum Hauptkommissar nichts, die ihm vor vier Jahren durch einen unverzeihlichen Fehler aberkannt worden war. Ihm bedeutete diese Beförderung nichts und deshalb sprach er nicht darüber, mit niemandem. Natürlich wusste sein Chef davon, aber ihn hatte er gebeten, darüber zu schweigen.



Leo haderte mit seinem Leben. Er war jetzt dreiundfünfzig Jahre alt und ertrug diesen Dreck nicht mehr, mit dem er tagtäglich konfrontiert wurde. Außerdem wurde er langsam allergisch auf die vielen Lügen, die ihm wieder und wieder aufgetischt wurden. Oft sogar mit einem fetten Grinsen der Leute, die damit scheinbar kein Problem hatten. Seit er damals bei der Polizei angefangen hatte, war er immer von seiner Berufswahl überzeugt gewesen, aber seit einigen Wochen zweifelte er daran. War es wirklich richtig gewesen, diesen Weg einzuschlagen? Wäre sein Leben nicht sehr viel ruhiger und sicherer verlaufen, wenn er sich für einen anderen Job entschieden hätte? Seiner Sabine hatte er sich an diesem Wochenende anvertraut, denn sie spürte schon lange, dass etwas nicht stimmte und dass er kurz davor war, alles hinzuschmeißen. Stundenlang hatten sie darüber gesprochen, ohne dass Leo zu einem Entschluss gekommen war. Sabine stand hinter ihm, obwohl sie davon überzeugt war, dass er genau am richtigen Platz war – bei der Kriminalpolizei. Sabine meinte, dass er nur einen erholsamen Urlaub bräuchte, mehr nicht. Ob sie damit richtig lag?



Das Taxi fuhr den inzwischen vertrauten Weg zum Flughafen Heathrow, den er fast schon auswendig kannte. Sabines Job zog sich mehr und mehr in die Länge, was ihm ebenfalls langsam auf die Nerven ging, er aber niemals zugegeben hätte. Wie die temperamentvolle Sabine darauf reagieren würde, konnte er sich lebhaft vorstellen. Nein, auf eine Szene konnte er gerne verzichten. Er gab sich ihr gegenüber als verständnisvollen Partner, der ihr den Rücken stärkte und dem es nach außen hin nichts ausmachte, bereits zum fünften Mal zu ihr nach London zu reisen.



Das Taxi war in Heathrow angekommen. Leo bezahlte, ohne darauf zu achten, wie hoch die Summe in Euro war, was für ihn als Schwabe außergewöhnlich war. Sollte der Typ ihn doch übers Ohr hauen, das war ihm jetzt auch egal. Sonst achtete er normalerweise auf jeden Cent, was ihm oft den Spott der bayerischen Kollegen und Freunde einbrachte.



Gepäck hatte Leo nicht bei sich, deshalb checkte er sofort ein. Das Wenige, das er übers Wochenende brauchte, passte locker ins Handgepäck. In London war es, wie zuhause auch, im Mai seit Tagen ungewöhnlich heiß geworden, weshalb er die Lederjacke auszog und locker über die Schulter hängte.



Die Sicherheitskontrolle war heute abermals völlig überzogen und lächerlich, er musste sogar seine Stiefel und Strümpfe ausziehen. Was sollte er hierin schmuggeln? Ob er dem Mann sagen sollte, dass auch er Polizist war? Was würde das ändern? Der freundliche, aber distanzierte Beamte hatte noch nicht genug gesehen und bat Leo ins angrenzende Zimmer. Was sollte der Scheiß? Musste er sich jetzt auch noch ausziehen?



Der englische Kollege ging wieder und Leo musste lange warten. Dann kam endlich ein Mann um die vierzig ins Zimmer, der in zivil gekleidet war und es nicht für nötig befand, sich vorzustellen. Er nickte nur und nahm wortlos Leos Personalausweis vom Tisch, den er ausgiebig studierte.



„Brieftasche!“, sagte er auf deutsch.



„Können Sie mir sagen, was…?“



„Brieftasche!“, wiederholte der Mann, der Leo dabei abschätzend ansah und dabei auf seinem Oberkörper hängenblieb.



Jetzt bekam Leo so langsam eine Ahnung, worum es ging: Es war das T-Shirt! Darauf war die Queen unvorteilhaft mit dickem Hintern auf einem Motorrad abgebildet, wobei sie den Mittelfinger streckte. Als er das T-Shirt in einem kleinen Laden nahe der Oxford Street entdeckte, fand er das sehr witzig. Aber für den heutigen Tag war das mehr als unangebracht, er hätte sich mehr Gedanken darüber machen sollen. Aber das war nur ein T-Shirt, mehr nicht. Die Engländer waren doch als humorvoll bekannt. Ob der Humor endete, wenn es um die Queen ging? Leo zögerte. Sollte er sich bei dem Mann entschuldigen? Nein, warum sollte er? Er hatte das T-Shirt schließlich in London erstanden und auch bezahlt. Wortlos gab er dem Mann seine Brieftasche. Wieder ließ sich der Mann unendlich viel Zeit. Leo sah nervös auf die Uhr. Wenn das hier so weiterging, verpasste er mit Sicherheit seinen Flug.

 



„Sie sind Polizist?“



„Ja.“ Leo stellte sich auf eine heftige Auseinandersetzung ein, in der er nicht gedachte, klein beizugeben. Der Typ würde seine Machtposition voll und ganz ausnutzen, das konnte er an dessen Augen sehen. Wie weit würde er gehen?



Aber dazu kam es nicht. Die Situation wurde unterbrochen, denn von draußen drang ein ohrenbetäubender Lärm in den kleinen Raum. Kurz darauf folgte ein weiterer, dumpfer Knall. Männer und Frauen schrien hysterisch durcheinander, was von sehr lauten Zwischenrufen, die sich wie Befehle anhörten, begleitet wurde.



„What the hell….“, rief der Engländer und öffnete die Tür. Fassungslos starrte er nach draußen. Frauen und Männer liefen panisch durcheinander, viele schrien hysterisch.



Dann fielen vereinzelt Schüsse.



Die Männer sahen sich an, beiden waren Schussgeräusche nicht unbekannt. Ein Uniformierter rief dem Mann etwas zu, worauf der sich umdrehte und Leo, der ebenfalls vor die Tür getreten war, wieder unsanft zurückdrängte. Der Engländer schloss die Tür und verriegelte sie zusätzlich. Dann versuchte er, zu telefonieren, was ihm nicht gelang.



„Was ist los?“



„Keine Ahnung. Soweit ich es verstanden habe, gab es einen Anschlag.“



„Und was machen wir dann hier? Sollten nicht wenigstens Sie Ihre Kollegen unterstützen?“



„Wie denn? Ich bin unbewaffnet.“



Erst jetzt bemerkte Leo, dass der Mann tatsächlich keine Waffe trug. Panisch versuchte der Engländer zu telefonieren. Wieder und wieder wählte er verschiedene Nummern.



„Damn! Das Netz scheint überlastet zu sein.“



„Soll ich es versuchen?“



„Ihr Deutschen meint auch, dass ihr alles besser könnt, stimmt’s? Wenn ich kein Netz habe, dann haben Sie auch keins“, maulte der Engländer.



Leo ließ sich nicht provozieren und wählte zunächst Sabines Nummer, auch wenn er wusste, dass sie das Handy nicht eingeschaltet hatte. Dann wählte er die Nummer seines Freundes und Kollegen Hans Hiebler im bayerischen Mühldorf am Inn. Auch hier erreichte er nur die Mailbox. Danach versuchte er es bei seinem Chef Rudolf Krohmer, auch hier nur die Mailbox. Dass die beiden ihre Handys ausgeschaltet hatten, konnte Leo nicht ahnen. Für ihn sah es so aus, als wäre das Netz tatsächlich überlastet.



„Ich sagte doch, dass Telefonate momentan nicht möglich sind!“



Leo steckte das Handy wieder ein.



Während der Engländer auf und ablief, blieb Leo ganz ruhig.



„Was ist los mit Ihnen? Es gab offenbar einen Anschlag und Sie sitzen hier, als würde Sie das nichts angehen“, warf ihm der Engländer vor. „Ihr Deutschen seid wirklich eiskalt.“



„Was bringt es, wenn ich ausflippe und mich aufrege? Haben Sie einen Plan, wie es weitergehen soll? Wir sollten hier nicht nur untätig herumsitzen und warten.“



„Was soll ich für einen Plan haben? Ich sitze hier unbewaffnet und ohne Telefonverbindung mit einem arroganten Deutschen fest. Was denken Sie, was ich tun kann? Ihr Deutschen wisst doch immer alles besser. Raus mit der Sprache: Was schlagen Sie vor?“



„Dass Sie die Deutschen nicht mögen, habe ich verstanden, aber das ändert nichts an der momentanen Lage. Ich habe auch keine Patentlösung, aber wir könnten…“ In diesem Moment klingelte Leos Handy. Beide Männer sahen sich überrascht an.



„Grüß dich, Leo!“ Die fröhliche Frauenstimme kannte er sehr gut.



„Christine?“ Die vierundsechzigjährige Christine Künstle war schon seit vielen Jahren Leos beste Freundin. Er hatte lange mit ihr während seiner Ulmer Zeit zusammengearbeitet und schätzte sie sehr. Nicht nur als Pathologin, sondern vor allem als Mensch. Der Kontakt riss auch nicht ab, als er nach Bayern strafversetzt wurde, was mit einer Herabsetzung des Dienstgrades einherging. Vor einem Jahr wurde Christine pensioniert, womit sie anfangs ganz schön zu kämpfen hatte. Sie langweilte sich. Dann rappelte sie sich auf und gab Seminare, die sehr gut angenommen wurden. Inzwischen hatte sie Gastprofessuren an zwei Universitäten, die ebenfalls sehr gut besucht waren. Trotzdem hatte sie immer noch zu viel Zeit, mit der sie nichts anzufangen wusste.



„Jetzt staunst du, gell? Da du mich schon seit Monaten sträflich vernachlässigst, habe ich mich mit Gerda verbündet. Wir wollen dich in München abholen. Wann landet dein Flieger?“ Der schwäbische Dialekt und die fröhliche Natürlichkeit der Freundin taten ihm gut. Trotzdem musste er ihr die Wahrheit sagen.



„Ich bin noch am Flughafen Heathrow. Es gab einen Anschlag. Hör zu, ich brauche deine Hilfe.“



Christine wurde aschfahl und setzte sich. Tante Gerda, die sechsundsiebzigjährige Vermieterin und Leos Ersatzmutter hatte die Veränderung bemerkt. Sie spürte sofort, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Sie setzte sich ihr gegenüber und versuchte, irgendetwas von dem Gespräch aufzuschnappen.



„Ich bin hier sicher, mach dir keine Sorgen. Bei mir ist ein englischer Polizist, ich bin also nicht allein. Allerdings sind wir beide unbewaffnet und können nichts tun. Wir brauchen Informationen, was hier passiert ist.“



„Warum ruft der Mann nicht einfach die Dienststelle oder sonstwo an?“



„Er hat kein Netz. Bitte ruf Hans und Krohmer an, die beiden wissen, was zu tun ist.“ Der Engländer reichte Leo einen Zettel zu, auf dem er seine Handynummer notiert hatte. „Notier dir die folgende Handynummer. Die gehört dem Engländer…“ Leo sah den Mann an, dessen Namen er nicht kannte.



„Kevin Sparks.“



„Kevin Sparks“, wiederholte Leo. „Ich werde mein Handy ausschalten, um den Akku zu schonen. Ich werde zu jeder vollen Stunde einschalten. Sparks‘ Handy schalten wir vorsorglich zu jeder halben Stunde ein. Sparks hat momentan kein Netz, was hoffentlich nur ein vorübergehendes Problem ist.“ Kevin nickte zustimmend. Der Deutsche war ruhig und dachte mit, das war sehr gut. Ob er an den Akku des Handys gedacht hätte?



Christine hatte die Handynummer mit zitternden Händen notiert.



„Pass auf dich auf, Leo. Du gehst kein Risiko ein, hast du mich verstanden?“



„Mach ich. Grüß alle von mir.“ Dann legte Leo auf. Er atmete tief durch, während er sein Handy ausschaltete. Hatte er etwas vergessen?



„Gut gemacht“, sagte Kevin Sparks lobend, der ebenfalls das Handy ausschaltete. Sie waren hier vorerst sicher. Aber wie lange noch? Das Warten zerrte an seinen Nerven. Vor allem die Ungewissheit, was eigentlich passiert war, war schier unerträglich. Wäre es nicht seine Pflicht als Polizist gewesen, sich aktiv einzubringen, anstatt sich hier in diesem kleinen Raum zu verschanzen? Für Anschläge gab es eine speziell ausgebildete Einheit, denen er nur im Weg stehen würde. War das so oder schob er diese Annahme nur vor, um sich selbst aus der Gefahrenzone zu bringen? Wenn er doch nur seine Waffe bei sich hätte!



Dass Leo ähnlich dachte, ahnte er nicht. Leo war keineswegs so ruhig, wie es den Anschein machte. Er war innerlich völlig aufgewühlt und versuchte angestrengt, etwas von dem Geschrei vor der Tür aufzunehmen.



„Sollten wir die Tür nicht öffnen und Leute aufnehmen?“



„Nein. Dafür gibt es spezielle Räume, die nach den Terroranschlägen im Juli 2005 eingerichtet wurden. Für den Flughafen Heathrow gibt es schon seit Jahren immer wieder Terrorwarnungen, wozu es zum Glück niemals Anschläge gab. Trotzdem sind Spezialeinheiten am Flughafen darauf eingerichtet, falls doch ein Terroranschlag stattfinden sollte. Es gibt die strikte Order, dass wir uns bei einem solchen Fall zurückhalten sollen und die Arbeit der Fachleute nicht behindern sollen. Aber warum erzähle ich Ihnen das eigentlich?“



„Keine Ahnung.“ Leo empfand diese Anweisung als absolut dämlich. Der Raum hier war zwar klein und es gab kein Fenster, trotzdem könnten hier gut und gerne sechs bis sieben Leute Unterschlupf finden. Aber er hatte hier nichts zu sagen und war nur ein ganz gewöhnlicher Tourist, wie es sie täglich tausendfach in London gab.



„Diese verdammten Araber!“, schimpfte Sparks.



„Woher wissen Sie so genau, dass die es waren?“



„Wer denn sonst? Auf der ganzen Welt, vor allem in Europa, gibt es immer wieder Anschläge von Fanatikern, bei denen es sich vorwiegend um Araber handelt. Ich könnte kotzen.“



„Trotzdem wissen wir noch nicht, was passiert ist. Bevor Sie gleich den Arabern oder sonst irgendwem die Schuld zuweisen, sollten wir lieber abwarten. Einer der Gründe, warum dieser Hass niemals aufhört, ist der, dass vorschnell geurteilt wird. Das kotzt mich an.“



„Ach ja? Vielleicht waren es nicht die Araber, sondern die Deutschen. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass die Deutschen in anderen Ländern Unruhe stiften.“



„Oh Mann! Jetzt kommen Sie mir nicht mit den zwei Weltkriegen! Die sind lange her. Ja, das war nicht gut, aber jedes Land hat irgendwo auf der Welt Blödsinn gemacht, die Engländer eingeschlossen.“



Es entstand eine Auseinandersetzung, die sich gewaschen hatte. Leo dachte nicht daran, auch nur einen Hauch nachzugeben. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären sich an die Gurgel gegangen.




Sabine Kofler hatte geduscht und sich fertiggemacht. Sie hatte ein schlechtes Gewissen Leo gegenüber, der sehr viel Verständnis für ihren Job aufbrachte. Sie hätte ihm längst sagen sollen, dass ein Jobangebot für London vorlag, das sie gedachte, anzunehmen. Der Termin heute betraf diesen Job, denn heute würden Einzelheiten besprochen werden. Außer einer guten Bezahlung waren die Bedingungen sehr verlockend. Wäre sie alleine, hätte sie längst unterschrieben, aber sie hatte ihren Verlobten Leo, an den sie denken musste. Ja, er zweifelte an seiner Arbeit und eigentlich hätte sie die Gelegenheit am Schopf packen und ihn in seinen Zweifeln bestärken sollen. Es wäre nur ein kleiner Schritt und sie könnte Leo dazu überreden, zu ihr nach London zu kommen. Aber das brachte sie nicht übers Herz und das wäre ihm gegenüber auch nicht fair, denn daran würde Leo zugrunde gehen. Er war kein Typ für ein Abenteuer in der Fremde, sondern ein bodenständiger Deutscher, der sich in einem fremden Land niemals einleben würde. Außerdem war Leo bei der Polizei genau am richtigen Platz.



Sie wischte ihr schlechtes Gewissen beiseite und tröstete sich mit Blick auf das nächste Treffen mit Leo, bei dem sie ihm das Jobangebot endlich beichten wollte.



Nur noch eine Stunde bis zu ihrem Termin, das reichte für ein kleines Frühstück. Der Fernseher lief. Als sie begriff, worum es ging, war sie fassungslos. Sie drehte den Ton lauter und hörte wieder und wieder die Informationen rund um die Geschehnisse am Flughafen London Heathrow. Das Wort

Attack

 schockierte sie und sie begann zu zittern. War es möglich, dass Leo bereits abgeflogen war? Sie kontrollierte mehrfach die Uhrzeit. Nein, Leo musste noch am Flughafen sein, es konnte nicht anders sein. Er war inmitten des Geschehens und damit in größter Gefahr. Sie setzte sich, denn ihre Beine versagten ihren Dienst. Sie rückte näher an das Fernsehgerät und suchte auf den wackligen Bildern fieberhaft nach Leo. Das und die neuesten Nachrichten waren jetzt wichtig, der bevorstehende Termin war völlig egal.



Wo war Leo? Ging es ihm gut? Und was war in Heathrow eigentlich wirklich los?






2.




Die beiden Männer rannten so schnell wie möglich. Sie mussten zu ihrem Wagen und dann verschwinden, solange die Straßen noch nicht gesperrt waren. Keiner sagte auch nur ein Wort.



Sam Brown startete mit zitternden Händen den Wagen, dann gab er Gas. Sein Komplize Tom Albert hatte die Tür noch nicht ganz zugezogen, da zeigte der Tacho bereits 40 Meilen.



„Wenn du so weiterfährst, fallen wir auf! Da können wir uns ja auch gleich der Polizei stellen“, schrie Tom in Panik, während er ständig hektisch um sich blickte.



„Halt‘s Maul!“



Sam drückte das Gaspedal durch. Geschickt lenkte er den Wagen durch die Fahrzeuge, die alle zum Flughafen hin oder von diesem weg drängten. Dann ertönte der Alarm.



„Das ging verdammt schnell“, murmelte Sam. Er hatte mit einer Reaktion frühestens nach zehn Minuten gerechnet – bis jetzt waren noch keine sieben Minuten vergangen. Ihm und auch Tom war klar, dass ihre Gesichter auf sämtlichen Überwachungskameras zu sehen waren. Aber das war kein Problem, dafür hatten sie sich Bärte wachsen lassen und Perücken aufgesetzt. Die Kleidung landete im Kamin, sobald sie ihren Unterschlupf erreicht hatten. Außerdem gingen sie wie jeder normale Tourist durch die Menschenmengen. Warum hätte die Polizei auf sie aufmerksam werden sollen?

 



Sam hatte den rückwärtigen Verkehr ständig im Auge. Irgendwann beruhigte er sich, denn er war sicher, dass ihnen niemand folgte. Trotzdem blieb er wachsam. Nach zwanzig Minuten Fahrt verringerte er das Tempo und atmete tief durch. Tom suchte im Radio nach einer Meldung bezüglich des Flughafens, die nicht lange auf sich warten ließ.



„Diese Aasgeier sind wirklich überall“, maulte er und stellte den Ton lauter. Ein Reporter berichtete über die aktuelle Lage am Flughafen Heathrow, wobei diese Informationen sehr vage waren. Es gab nur jede Menge Spekulationen, mehr nicht. „Das übliche Blabla, die wissen nichts.“



„Können sie auch nicht. Bis die herausfinden, was passiert ist, ist der Coup längst durch.“



„Was weißt du eigentlich darüber?“



„Nicht so neugierig, Tom. Wir bekommen jede Menge Kohle quasi für nichts. Die beiden harmlosen Bomben, die jedes Kind basteln könnte, waren ein Kinderspiel für uns. Und sie zu zünden war auch ein Spaziergang. Wir hatten versprochen, keine Fragen zu stellen, und dabei sollte es auch bleiben. Oder möchtest du dich mit diesen Leuten anlegen?“



„Auf keinen Fall! Dieser John hat etwas Unheimliches an sich, das mir eine Gänsehaut bereitet. Und du kennst mich lange genug, Sam, so leicht lasse ich mich nicht einschüchtern. John ist nicht dumm, der hat bestimmt studiert. Die Worte, die er benutzt, sind sorgsam gewählt. Außerdem sind einige darunter, die ich noch nie gehört habe. Nein, John ist ein ganz Schlauer, das habe ich gleich gemerkt. Und ich glaube, dass er keinen Spaß versteht. Du hast Recht, wir sollten einfach das tun, was er angeordnet hat. Wir bleiben in unserem Versteck, bekommen in Kürze die Kohle und bleiben, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Viel Geld für wenig Arbeit, was wollen wir mehr?“



„Meine Rede.“



„Trotzdem würde ich gerne wissen, was hinter dem Ganzen steckt.“




Sam dachte ähnlich, sagte aber nichts mehr dazu. John, von dem er den Nachnamen nicht kannte, hatte ihn in einer Bar angesprochen und ihm diesen Job angeboten. Ihm war sofort klar, dass dieses Riesending eigentlich zu groß für ihn war, aber er konnte der Bezahlung nicht widerstehen. Wie immer war er blank und brauchte das Geld. Viel Geld für wenig Arbeit, wobei das Risiko überschaubar war. Auch wenn er den Sinn dahinter nicht verstand, konnte er den Job nicht ablehnen. Sein Cousin Tom war sofort dabei, als er ihn bat, ihn zu begleiten. Tom war zwar einfach gestrickt, aber auch er war stets pleite und für krumme Geschäfte immer zu haben.



Sam bog in die enge Einfahrt des kleinen, gepflegten Hauses im Londoner Stadtteil Croydon ein, das John angemietet hatte. Der Kühlschrank war voll, ebenso das Vorratsregal. In ihren Unterschlupf würde ihnen in wenigen Stunden die großzügige Bezahlung gebracht werden, wovon sie bereits einen ansehnlichen Anteil erhalten hatten. Danach brauchten sie einfach nur hierbleiben und abwarten, mehr nicht. Sam war nicht unglücklich über diese Regelung, denn seine Wohnung war ihm gekündigt worden und er saß quasi auf der Straße. Hier hatte er nicht nur ausreichend zu essen und zu trinken, einen Fernseher und fließend warmes Wasser, sondern vor allem ein Dach über dem Kopf.



Auch Tom war von dem Unterschlupf begeistert, der sehr viel schöner war, als seine heruntergekommene Bude. Es gab sogar einen riesigen Fernseher, von dem er schon immer geträumt hatte. Ja, hier ließ es sich die nächsten zwei Wochen aushalten, von ihm aus auch gerne länger.




John war sehr zufrieden. Er saß in einem Taxi am Flughafen Heathrow und sah zu, wie die beiden Trottel Sam und Tom wie vereinbart zu ihrem Wagen rannten, den sie genau dort geparkt hatten, wo er es von ihnen verlangt hatte. Die beiden waren für den Job perfekt. Ganz in Ruhe zündete er sich eine Zigarette an, woran sich der Taxifahrer nicht störte. Wie auch? Der saß tot hinter dem Steuer. John konnte keine Zeugen gebrauchen und um diesen unfreundlichen Zeitgenossen war es nicht schade. Es war reiner Zufall, dass es diesen Mann heute traf, es hätte jeden anderen auch treffen können.



John sah auf die Uhr, als der Alarm losging. Respekt! Nur sieben Minuten, damit hatte er nicht gerechnet. Trotzdem machte er sich keine Sorgen. Alles lief bish