Oh Schreck Aupair

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Oh Schreck Aupair
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Ingeborg Naundorf



Oh Schreck Aupair



4 Kinder und 19 Aupairs - Ratgeberbuch für Eltern





Dieses ebook wurde erstellt bei






Inhaltsverzeichnis





Titel







Inhalt







Mut zum Aupair







Maria aus Tschechien







Juana aus Argentinien







Kitti aus Ungarn







Nino aus Georgien







„Nimm Dir Essen mit, wir fahren nach Brandenburg!“







Sofia aus Ungarn







Liliana aus Polen







Olga aus der Ukraine







Natalia aus der Ukraine







Daria aus der Ukraine







Josefa aus Polen







Veronica aus der Ukraine







Tamuna aus Georgien







Ljudmila aus Russland







Inara aus der Mongolei







Alexandra aus Russland







Attila aus Ungarn







Ruzana aus Armenien







Valentina aus Kolumbien







Anastasia aus der Ukraine







Aupair-Ratgeber







Impressum neobooks







Inhalt






Oh Schreck Aupair







4 Kinder und 19 Aupairs - Ratgeberbuch für Eltern








Ingeborg Naundorf










Impressum





Texte: © Copyright by Ingeborg Naundorf

Umschlag: © Copyright by Ulrike Barth-Musil



Verlag: Ingeborg Naundorf



Hubertusdamm 24a

14480 Potsdam

inge@naundorf.de



Druck: epubli, ein Service der



neopubli GmbH, Berlin



Printed in Germany







Alle Namen wurden aus Datenschutzgründen geändert.






Mut zum Aupair




„Du musst verrückt sein, Deinem Mann ein knackiges junges Mädel ins Haus zu holen! Viele Aupairs angeln sich dann den Familienvater!“ „Ein fremdes Mädchen? In Eurer Vier-Zimmer-Wohnung?“ „Da kannst Du ja morgens nicht mehr nackig ins Bad laufen!“ „Na, da kann ich Dir Geschichten erzählen: die werden immer schwanger, Jungs entdecken ihre Homosexualität… tu Dir das bloß nicht an!“ So in der Art lauten die durchwegs gut gemeinten Kommentare meines Umfelds, als ich mich kurz vor der Jahrtausendwende erstmals dem Thema Entlastung annähere. Unser junges, aber durch die beidseitige Karriere fast nicht mehr vorhandenes Familienleben soll wieder frischen Aufwind bekommen. So beschließen wir, einem Aupair die Gelegenheit zu geben, sich in Deutschland zu verwirklichen. Schließlich ist es echt zu viel verlangt, als Eltern mit Fulltime-Jobs auch noch Haushalt und Kind zu schmeißen. Mit viel Optimismus packe ich das Thema an.




Erst gilt es, die Vorbehalte meines mich liebenden männlichen Gegenparts auszuräumen, der meint, mit einem Aupair hätten wir keine Intimsphäre mehr im eigenen Heim. Da kann ich dagegenhalten: Mit einem Babysitter im Haus haben wir endlich wieder einmal Zeit für uns, mal spontan ins Kino, nicht immer alles planen müssen, Unterstützung im Alltag und auch im Urlaub. Also eher

mehr

 Sphäre im intimen Bereich als bisher. Kinder haben eine zusätzliche Anlaufstelle, wenn Mama und Papa mal schlechte Laune haben. Von den flexiblen Dienstreise-Möglichkeiten mal ganz abgesehen. Und erst der kulturelle Austausch! An meine eigene Aupair-Zeit in Frankreich habe ich noch heute sehr schöne Erinnerungen – und dabei neben einem guten Stück Lebenserfahrung noch durchaus brauchbare Sprachkenntnisse erworben. Also eigentlich gibt es für alle Seiten nur Vorteile, das findet angesichts dieser Argumenteflut nun auch mein Mann. Der einzige, der dem Unternehmen immer noch skeptisch gegenübersteht, ist unser sechsjähriger Sohn Moritz.




Das erste Aupair engagieren wir im Herbst 1999 über eine Stellenanzeige in der Süddeutschen Zeitung, da, wo andere ihre Dienstmädchen suchen, nämlich in der Rubrik „Hauspersonal“. „Suchen nettes Aupair für unseren Sohn, 6 Jahre, nach München. Bewerbungen unter…“. Wir greifen zu diesem Mittel, da die Aupair-Anwerbung in den Heimatländern nicht erlaubt ist, teilt uns das Landesarbeitsamt Bayern mit. Allerdings erst,

nachdem

 wir unsere Anzeige in Italien geschaltet haben, aber da wollte uns eh keiner haben. Die Anwerbung im Ausland ist nämlich den Aupair-Agenturen vorbehalten. Können wir verstehen, die wollen ja auch von was leben… (Diese Regelung gilt heute nicht mehr, siehe Ratgeber). Diverse Anrufe bei Aupair-Agenturen schrecken uns aber eher ab. Die Wortwahl lässt uns an Mädchenhandel denken, die Vermittlungsgebühren von mindestens 400 Mark sind uns zu teuer. Anfragen bei Freunden und Bekannten im Ausland führen leider nicht zum gewünschten Erfolg, wir halten wohl in den falschen Ländern Ausschau. England, Spanien, Frankreich, Italien… Fehlanzeige! Keine Chance auf die Aussicht, unser Sohn würde schon in wenigen Jahren mit seinem englischen Aupair perfekt in einer Weltsprache parlieren. Ja, das Leben war wirklich hart ohne Internet!




Auf unsere Anzeige melden sich gleich einige InteressentInnen. Wir stellen bald fest, dass ausschließlich Wechsler buchstäblich auf unserer Matte stehen – diejenigen nämlich, die das Pech hatten, in der falschen Familie zu landen. Also Aupairs, die schon im Lande sind, bereits ein Visum haben, aber nun eine neue Familie suchen. Die drei nun folgenden Vorstellungsgespräche lassen uns die Haare zu Berge stehen. Ein Junge aus Weißrussland (wir suchen schließlich einen Fußball-Partner für Moritz) erzählt von seinem Vater, der nach dem Supergau in Tschernobyl an Krebs erkrankte. Der Familie fehlt das nötige Geld für die Operation, ob wir nicht eine Möglichkeit wüssten… wir vermitteln den Jungen an einen Verein, der sich von München aus um Tschernobyl-Opfer kümmert. Nummer Zwei, ein ganz patentes Mädchen aus der Ukraine, berichtet von unhaltbaren Zuständen in ihrer Familie: Sie teilt sich einen feuchten Kellerraum mit einem zweiten Aupair. Aha, staunen wir, es gibt also offenbar Familien mit Vollzeit-Rundum-24 Stunden-Kinderbetreuung! Bei Regenwetter steht das Wasser knöchelhoch in ihrem Zimmer. Lüften können sie nicht, weil sonst Frösche durchs Kellerfenster reinhüpfen. Ach du liebe Güte. Die Geschichten klingen so dick aufgetragen, dass wir sie kaum glauben können. Die Dritte stammt aus Georgien und muss täglich die Grünwalder Villa ihrer Familie putzen. Mit den Kindern darf sie als Mensch zweiter Klasse nicht sprechen, duschen nur einmal pro Woche und ansonsten lässt sich das Mittagessen ja auch ohne Fleisch und Dessert aushalten. Wir sind fassungslos – was geschieht denn da mit den Aupairs in unserem Land? Es ist uns fast peinlich, dass wir nach all dem trotzdem noch Aupair-Eltern werden wollen.






Maria aus Tschechien




Unsere Wahl fällt schließlich auf Maria aus Tschechien. Sie ist eine ruhige, junge Frau, die mit ihren 24 Jahren schon über die nötige Reife zu verfügen scheint, um unseren Junior verantwortungsvoll zu betreuen. So etwas entscheidet man ja nicht einfach so, da müssen Bauchgefühl und die Umstände stimmen. Schließlich übergeben wir unser Ein und Alles in ihre Obhut. Ein großer Vorteil: Sie kann schon recht gut Deutsch, weil sie schon länger in München lebt und hier einen Freund hat. Wir bringen Maria in unserer gerade leer stehenden Zweitwohnung in der Nachbarschaft unter, so haben wir den Feierabend nach wie vor ganz für uns. Vertrag? Brauchen wir nicht, eine mündliche Absprache muss reichen, wir vertrauen uns ja schließlich gegenseitig. Essensgeld? Möchte sie nicht, sie macht eine Diät. Arbeitszeit? Vereinbaren wir so frei Schnauze, je nach Bedarf. Am 1. September geht’s los.




Bekanntermaßen sind Hortplätze in der bayerischen Landeshauptstadt rar gesät. So zählt es zu Marias Aufgaben, unseren Erstklässler von der Schule abzuholen, zu bekochen und zu bespaßen, bis Mama und Papa von der Arbeit kommen. Schade nur, dass sich Moritz von ihr gar nicht abholen lassen

will

 – an vier von fünf Tagen taucht der Schlingel erst gar nicht vor der Schule auf. Vier Wochen später ist Maria es leid, jeden Nachmittag unser Stadtviertel nach unserem Augenstern abzuscannen. Zumal Moritz sämtliche Schleichwege durch Innenhöfe und Keller kennt, er perfektioniert seine Verfolgungsjagden täglich. Fußball findet sie sowieso doof. Und mit der Arbeitszeit gibt es auch Probleme: sie findet, sie arbeitet zu lange, wir finden, zu kurz. Also kündigt sie schon mal vorsorglich telefonisch am 30. Oktober für den nächsten Monat, soll heißen ab dem nächsten Tag. Ich kann sie ja verstehen. Trotzdem kommt es für uns ein wenig unpassend, zumal ich ein frisches Gipsbein zum ständigen Begleiter habe. Aber macht ja nix, so bleiben wir schön flexibel. Ein echter Reinfall. Moritz behauptet bis heute (er ist jetzt Mitte 20), die war einfach blöd. Lustigerweise finden wir zwei Jahre später in „unserem“ Fotoladen ihre Hochzeitsfotos im Schaufenster. Sie hatte ihren Freund geheiratet, der schon seinerzeit unseren Moritz mit dem Motorrad mitnahm – ohne Helm, versteht sich. Das gesteht er uns aber erst viele Jahre später.

 






Juana aus Argentinien




Stress in der Agentur, die nächste Pressereise steht schon im Kalender und unser hoffnungsfroher Start als Aupair-Familie im Eimer. Wo soll jetzt auf die Schnelle Ersatz her? Wir schalten wieder eine Anzeige in der SZ – und haben Glück, denn Juana aus Argentinien schreibt uns:




Hallo!



Ich bin Juana, 21 Jahre alt, Argentinierin und seit April wohne ich bei einer Familie, aber…ich möchte gerne andere Mutter und freundlichere Leute finden.



Ich bin sympathisch und mag gerne Kontak mit Leute zu haben, liebe alles was Spaß macht, reisen, Sport (Squash, Gymnastik, Schwimmen, Radfahren etc.), humorvolle Leute finden, und auch Musik, Kunst und Literatur. Außerdem mag ich Sprache gerne (englisch, französisch, italienisch). Ich habe Public Relations studiert und bin hier gekommen, weil ich mein Deutsch bessern will, und die europäische Kultur kennenlernen will.



Die Aupair arbeit finde ich toll, wenn man tolle Leute finden kann! Deswegen schaue ich andere möglichkeiten für mich. Ich hoffe mehr Glück haben!



Grüße, Juana



P/D: Wenn ich Fehler habe, bitte ich euer Verständnis.




Das klingt sehr nach einem Mädchen, das zu uns passt. Gleiche Interessen, gleicher Beruf. Wir rufen gleich an und vereinbaren ein Vorstellungsgespräch. Juana hat ohnehin gerade viel Zeit, ihre Familie ist für sechs Wochen nach Italien gefahren, sie soll alleine das Haus hüten. Taschengeld bekommt sie für diese Zeit nicht, sie würde schließlich nicht arbeiten und soll froh sein, wenn die Krankenversicherung weiter bezahlt wird. Essensgeld muss auch nicht sein, die Speisekammer ist ja voll. Juana nützt die Pause zur Umorientierung, denn wenn die Familie erst zurück ist, muss sie sich wieder von den Kindern schlagen lassen. Die Agentur hilft ihr mit dem lapidaren Verweis auf „kulturelle Unterschiede“ auch nicht wirklich weiter - geht ja alles

gar

 nicht!




So retten wir das arme Juana-Kind aus ihrer Not. Wir schließen sie in unser Herz – und einen Aupair-Vertrag nach internationalen Richtlinien. Da schaltet sich ihre Agentur ein. Natürlich nur mit einer Bearbeitungsgebühr von 50 Mark, die zeigen sich da kulant, kriegen wir den nötigen Agenturstempel auf unseren Vertrag. Ohnehin wird uns jetzt erst klar, dass mit einem Aupair ganz schön viel Bürokratie anfällt. Aupair-Vertrag, Krankenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung bei der Unfallkasse, Meldebehörde, fürs Visum auf das Ausländeramt, für die Arbeitsgenehmigung zum Arbeitsamt. Zumindest war das damals noch so. Da gehen schon einige Wochen ins Land, bis wir alles beieinander haben.




Aber Juana hat sich schon gut bei uns eingewöhnt. Mittlerweile sind wir in eine größere Vier-Zimmer-Wohnung gezogen, wo sie ein eigenes Zimmer hat. Mein Mann fand es gar nicht sooo schlimm, sich auf einen Bademantel zu besinnen – er sieht eindeutig die Vorteile, wenn wir uns gemütlich in die Oper begeben ohne uns einen Babysitter organisieren zu müssen. Unser neues Familienmitglied möchte unbedingt sehr gut Deutsch können, wenn sie nach Hause fährt. Ihre Oma ist nämlich gebürtige Deutsche. So lernt sie wie ein Weltmeister, besorgt sich Bücher aus der Bibliothek, besucht einen Sprachkurs in der Volkshochschule. An den Abenden korrigiere ich ihre Übungshefte. Wir spielen stundenlang Würfeln, Rommé oder Tikal (das schenkte uns Juana zu Weihnachten). Und Moritz? Moritz spielt erst einmal Machtspielchen. Aber nicht lange, denn Juana ist so nett zu ihm, dass er bald erkennt, wie toll eine große Schwester sein kann. So kommen wir eines Abends nach Hause und die neue große Schwester massiert ihm die Füße!! Essenstechnisch müssen wir uns an Scheiblettenkäse mit Toast gewöhnen – Juanas Grundnahrungsmittel in jeder Lebenslage. Naja, wir müssen’s ja nicht essen, nur einkaufen.




„Kannst Du bitte die Wäsche aufhängen?“ – „Das mache ich gerne, wenn Du mir zeigst, wie das geht.“ Auweia! Wer wie Juana mit Hauspersonal aufgewachsen ist, fängt bei Null an. Denn was die Arbeit betrifft, so teilt mir Juana bereits in den ersten Tagen mit: „Du kannst mir einen Elefanten in mein Zimmer stellen und ich werde ihn nicht bemerken“. Na gut, wenn ich weiß, dass sie die Arbeit nicht anspringt, so lege ich ihr eben jeden Morgen eine To-Do-Liste auf den Küchentisch. Die Arbeitszeit haben wir fest vereinbart, auf diese Weise kommen wir gut miteinander klar. Meine Agentur ist nur wenige Schritte von unserer Wohnung entfernt, ich bin ja nicht aus der Welt. Und putzen muss sie ja nicht, denn jeden Samstag kommt unsere polnische Perle Edita. Bei dieser Gelegenheit lernen wir erstaunt: Edita hat Abitur und spricht perfekt Spanisch. So freuen sich die beiden jedes Wochenende aufeinander.




Schon nach wenigen Wochen können wir uns Juana aus der Familie nicht mehr wegdenken. Moritz liebt Juana. Denn sie versteht es, jeden Nachmittag geduldig im Monopoly zu verlieren. Nur einmal gibt es richtig Ärger: Im Park verabredet Moritz mit seinem Freund, dass sie in verschiedene Richtungen mit dem Radl abhauen und sich vor Juana verstecken. Sie ruft mich völlig aufgelöst in der Agentur an, seit einer Stunde würde sie Moritz suchen… wir organisieren einen Suchtrupp und Juana redet danach eine geschlagene Woche nicht mehr mit ihrem Schützling. Das zeigt Wirkung – dann doch lieber wieder Monopoly spielen! Und auch Juana liebt Moritz: „Er ist ein ganz besonderes Kind. Bestimmt wird er einmal sehr berühmt und dann kann ich voller Stolz sagen, ich war sein Aupair-Mädchen!“




Im November folgt dann das große Aha-Erlebnis: Der Winter kommt! Juana hat noch nie einen richtigen Winter erlebt. Da sie chronisch pleite ist und sich zum Aupair-Taschengeld immer noch einen Zuschuss von Mama schicken lässt, suchen wir den nächsten Secondhand-Laden auf und erstehen eine warme Jacke und eine Schneehose. Die nächste Überraschung: Schnee und Eis gehen Hand in Hand mit blauem Himmel und Sonnenschein! Das hatte sich Juana ganz anders vorgestellt. Sie dachte an monatelange Schneewolken ohne Sonne. Umso mehr Spaß haben wir als nun vierköpfige Familie bei langen Schlittenfahrten auf der Firstalm.




Der zehnte Geburtstag von Moritz steht ins Haus. Leider muss ich ausgerechnet zu diesem Termin beruflich nach Indien! Erst ist er ein wenig sauer, weil ich zum ersten Mal, seit er denken kann, an seinem Geburtstag nicht da bin. Aber dann tröstet ihn Juana: Sie bäckt ihm die heiß ersehnte Pokémon-Torte, alles easy. Mein Mann und Juana schmeißen problemlos den Kindergeburtstag. Als ich wieder aus dem Himalaya zurück bin, kriege ich die famose Torte nur noch auf dem Foto zu sehen. Moritz hat mich gar nicht vermisst, den indischen Holzelefanten findet er cool. So einen haben seine Freunde nicht!




Ein echter Nachteil von Wechsel-Aupairs: Das Visum ist kürzer als ein Jahr. So suchen wir nach einem Schlupfloch, damit sie noch ein paar Monate länger bleiben kann, und werden fündig. Offiziell ist Juana drei Monate bei unseren Freunden in der Schweiz zu Besuch, als Touristin darf sie so lange ohne Visum bleiben. So fahren wir für einen Einreisestempel in Juanas Pass bei Nacht und Nebel von München aus über die Schweizer Landesgrenze. Beim Zoll steigt Juana aus, blinkert den Zollbeamten an sie sei auf Europatour und würde Stempel sammeln… alles geht glatt, was sie nicht zuletzt ihrer Schönheit verdankt – und Moritz, der nun doch still hält. Zuvor gab es bei der Hinfahrt nämlich Streit auf der Rückbank und Moritz hatte gedroht, sie beim Zoll zu verpetzen. Zurück fahren wir über Österreich, damit wir an der Grenze nicht so auffallen mit unserer Hin-und-Her-Fahrerei. Todmüde sind wir erst lange nach Mitternacht zurück in München.




Auf diese Weise erlebt Juana noch unsere Hochzeit mit, sie fängt sogar den Brautstrauß. Drei Monate vor der Abreise beschließt sie, eine Diät muss her. Meine österreichische Küche ist ihr doch zu wohl bekommen. Zehn Kilo schwerer kann sie unmöglich nach Hause fliegen, das wäre ihr peinlich. Zum Abschied schenken wir ihr den heiß ersehnten Tandem-Flug mit dem Paragleiter. Selig schwebt unsere Juana hoch über dem Ammersee. Es wird für uns alle ein unvergesslicher, sonnendurchwärmter Herbsttag in bayerischer Traumkulisse. Wenige Tage später steht Juana mit zwei Koffern und drei riesigen Kartons vor mir. Ich mache ihr klar, dass sie für das Übergepäck beim Einchecken am Flughafen ein Vermögen zahlen müsste. Wir packen stundenlang alles um und bringen die Kartons zur Post. (Sie kommen erst Monate später, als wir sie schon verloren glauben, bei ihr in Argentinien an.) Am Flughafen verdrücken wir alle ein paar Tränen. Juana fliegt über London nach Südamerika zurück. Sie ruft uns aus London an, der Münchner Zollbeamte wollte genau wissen, was sie denn in der Schweiz gemacht hätte. Er entließ sie dann mit den Worten, er würde ihr zwar von ihrer Geschichte kein Wort glauben, aber sie solle in Gottes Namen nach Hause fliegen! Glück gehabt, und nicht zur Nachahmung empfohlen.

Nach einigen Jahren Sendepause besteht heute wieder ein sehr netter Emailkontakt nach Argentinien. Juana ist glücklich verheiratet, (siehe oben!) hat zehn Jahre lang an der deutschen Botschaft von Buenos Aires gearbeitet und ist derzeit für eine Klimaschutz-Stiftung mit Projekten in Argentinien und Paraguay unterwegs.




Solcher Art zwölf Monate lang verwöhnt verbuchen wir Maria als klassischen Fehlstart und haben sie schon fast vergessen… gezwungenermaßen wenden wir uns der weiteren Aupair-Suche zu, wieder per bewährter SZ-Anzeige. Diesmal sind wir ja mit Erfahrung gesegnet und texten schon etwas länger:




Aupair in München: Wir wünschen uns für unseren Sohn, 8 Jahre, Fußballfan, ein liebevolles, sportliches Aupair ab September 2000 für ein Schuljahr. Wir bieten: Familienanschluss, Wohnen im Zentrum (eigenes Zimmer), Taschengeld und übliche Leistungen. Bewerbungen an…






Kitti aus Ungarn




So tritt Kitti in unser Leben – für zweieinhalb gemeinsame Jahre. Unsere Anzeige liest ein Freund ihres Vaters, der öfters in München zu tun hat und uns ihr Bewerbungsschreiben persönlich vorbei bringt. Sie hatte bereits in der Schule Deutschunterricht und möchte zu uns kommen „weil ich auch die Kinder sehr mag und mich gerne mit ihnen beschäftige“. Wir rufen sie in ihrer ungarischen Kleinstadt an und wenige Tage später schreibt sie uns:




Liebe Familie,



Ich habe Euer Telefonanrufen sehr gefreut. Ich möchte mit Euer kennenlernen. Moritzi ist sehr golden und ihr seid sehr sympatisch. Die Bedingungen gefallen mir. Das Beginnenzeit wäre sehr gut für mich, weil ich den ganzen Sommer mit meiner Familie verbringen kann. Habe ich Möglichkeit einer persönlichen Treffung? Ich warte euer Antwortenbrief. Kitti




Wenige Wochen später finden wir uns auf dem Weg zum Münchner Busbahnhof wieder, der an Schäbigkeit kaum zu überbieten ist, um die persönliche Treffung in die Tat umzusetzen. Damals lag der Busbahnhof noch im Norden Münchens – eine triste, geschotterte Piste, ohne Bahnsteige, Mülleimer oder Toiletten, damit alle ankommenden Fernbus-Reisenden gleich wissen, wie es mit dem Willkommen von Ausländern in München bestellt ist. Wir finden das ziemlich peinlich. Gottseidank hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren einiges geändert und heute glänzt München durch einen modernen Busbahnhof.




Kitti hüpft mit einem großen Koffer aus ihrem Bus und verhält sich ziemlich wortkarg. Nach unserer Plaudertasche Juana ist das eine große Umstellung für uns, und es soll die nächsten zwölf Monate so bleiben. Doch in den ersten Wochen sind wir sowieso mit der Aupair-Bürokratie gesegnet:

 






 Visum umschreiben lassen: Aupairs kommen mit einem Visum zur Einreise an, dass nach der Ankunft in Deutschland bei der Ausländerbehörde in das eigentliche Visum umgeschrieben wird, nach einer Bearbeitungsgebühr von zirka 100 Euro



 Mit dem Visum beim Arbeitsamt die Arbeitsgenehmigung beantragen (wird seit 2003 direkt zwischen Ausländerbehörde und Arbeitsamt abgewickelt und entfällt dadurch für die Familie)



 Versicherung abschließen: spezielle Versicherer bieten Komplettpakete für Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherung an. Kosten: zirka 35 Euro pro Monat



 Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr besorgen



 Anmeldung beim Deutschkurs an der Volkshochschule






Moritz und Kitti freunden sich schnell an. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Kitti eine begnadete Köchin ist und sich sehr zu seiner Freude auf kulinarische Feinheiten wie ungarische Palatschinkentorte oder Kirschsuppe spezialisiert hat. Eine wohltuende Abwechslung nach Juana, die es sogar geschafft hat, einfachste Fischstäbchen verkohlen zu lassen. Nach wenigen Wochen stellen wir fest, auch Kitti hält Diät und belastet unsere Finanzen essenstechnisch nur wenig. In Haushaltsdingen hat sie ihrer Vorgängerin einiges voraus und es kehrt eine angenehme Routine ein. Mein Mann und ich gönnen uns nun häufiger einen gemeinsamen Abend und wir nehmen uns vor, einmal pro Jahr ganz alleine ohne Kind wegzufahren.




Dann schon nach den ersten Wochen naht das unausweichliche Drama, das wir in dieser oder ähnlicher Form in den kommenden Jahren noch häufiger erleben werden: Kitti erhält einen Brief von ihrem Freund zu Hause (Email gab’s ja noch nicht). Er hat sich kurzerhand mit ihrer Nachbarin zusammengetan und gibt Kitti nun den postalischen Laufpass. Wir sind tagelang damit beschäftigt, Taschentücher zu reichen und tröstende Bemerkungen über untreue Männer zu machen. Dieses Muster scheint sich durch (fast) alle Aupairs zu ziehen: Die Mädchen kommen zu uns und hängen sich die Fotos vom Liebsten in ihr Zimmer. Wochen oder Monate später werden sie dann vom Liebeskummer gebeutelt. Es gab da in all den Jahren nur wenige Ausnahmen.




Die meisten Aupairs kommen vom Land und damit aus einfachen Verhältnissen. Unser Elektro-Fuhrpark mit Geschirrspüler, Waschmaschine und Trockner ruft da noch richtig Begeisterung hervor und es empfiehlt sich eine umfassende Einweisung. Das war uns in den ersten Jahren mit Aupairs noch nicht so klar, weshalb sich hier prompt mehrmals der Fehlerteufel einschlich. Kitti ist erst kurze Zeit bei uns, als die Waschmaschine so komische Geräusche macht. Ich rufe den Techniker und er findet das Problem ganz schnell: „Aha, des homma scho, des is wieda a Behabügel!“ Ich verstehe nur Bahnhof und sage: „Das ist wohl ein Teil, das öfters kaputt geht?“ Der Techniker lacht sich in die Ecke und klärt mich über die Tücken von Bügel-BHs auf. Die Bügel können, sofern nicht in einem Wäschenetz gewaschen, aus dem BH rutschen und verhaken sich dann in der Waschmaschine. Meine Gesichtsfarbe wechselt in Dunkelrot, ist das peinlich! Ich trage doch gar keine Bügel-BHs – wohl aber Kitti, wie sich später herausstellt. In unserer Stadtwohnung ist die Waschmaschine direkt neben dem Geschirrspüler in der Küche installiert. So kommt es, dass mich eines Tages ein dringender Anruf von Moritz in der Agentur ereilt: „Mama, Du musst

sofort

 kommen, der Geschirrspüler ist schaumexplodiert! Die ganze Küche ist voller Schaum.“ Na toll, ich stehe kurz vor einer wichtigen Präsentation und kann beim besten Willen nicht weg. Wie konnte das denn passieren? Dieses Problem muss Kitti alleine lösen. Ich rate telefonisch dazu, den Geschirrspüler erst einmal auszuschalten und den Schaum aufzuwischen. Abends klärt sich die Schaumorgie schnell auf. Kitti hatte aus Versehen das Waschpulver für die Waschmaschine statt des Geschirrspülmittels verwendet. Zur Anwendung bei Schaumpartys wärmstens empfohlen, die Schaummenge ist wirklich überzeugend!




Das erste Jahr geht schnell rum. Kitti hat sich sehr gut eingelebt und fragt uns, ob sie noch ein weiteres Jahr bleiben kann. Sie würde gerne noch besser Deutsch können. Wir freuen uns; das große ABER: ein Aupair-Visum ist immer nur für ein Jahr gültig und kann nicht verlängert werden. Ungarn war damals noch nicht in der EU. So kommt es, dass Kitti alle drei Monate nach Hause fährt, um immer wieder ein Touristenvisum zu erhalten. Da sie sehr gut aussieht, kann sie sich den Weg zum Busbahnhof sparen. Denn der ungarische Busfahrer ist ihrem Charme erlegen und holt sie samt Gepäck mit dem Bus direkt vor unserer Haustür ab. Was für ein Service! Mein Mann tut sich etwas schwer mit ihren Reizen: „Ich weiß gar nicht, wo ich hinsehen soll!“ Ihre Push-up-BHs mit weitem Ausschnitt und Stringtangas, die aus den knappen Jeans zu fallen scheinen, sind schon ein echter Hingucker.




Kitti entdeckt mit ihren Freundinnen das Münchner Nachtleben. Jeden Freitag- und Samstagabend verlässt sie höchst aufgebretzelt das Haus und kommt erst am frühen Morgen wieder. Ein wenig Sorgen machen wir uns schon. „Hast Du über Verhütung mit ihr gesprochen?“ will mein Mann wissen. Schwangerschaften sind durch die Aupair-Versicherung nämlich nicht abgedeckt. (Das ist übrigens heute anders, aber 2001 war das noch so.) Über

unsere

 Verhütung machen wir uns keine Gedanken, schließlich wünschen wir uns ja noch mehrere Kinder.




Natürlich möchte auch Kittis Mutter wissen, ob es ihre Tochter gut getroffen hat, das können wir als Eltern schon nachvollziehen. Und so kommt sie eines Tages zu uns zu Besuch. Kitti zeigt sich schockiert darüber, dass sie sich so jugendlich anzieht und sogar mit ihr in die Disco gehen will. Das ist ja

unmöglich

!! Ganz zufrieden darüber, dass Kitti bei uns gut aufgehoben ist, reist die auf jugendlich getrimmte ungarische Mama wieder ab, nachdem sie eine Nacht mit ihrer Tochter durch die Münchner Klubs gezogen ist.




Eines Morgens wankt Kitti ganz blass aus ihrem Zimmer. Bevor ich noch so was Charmantes wie „Du siehst aber schlecht aus, bleib heute lieber liegen“ sagen kann, sinkt sie ohnmächtig in meine Arme. Hilfe!!! Ich tätschle ihre Wangen: „Kitti, ich kann Dich nicht aufheben, Du bist zu schwer… aufwachen!“ Langsam kommt sie zu sich. Gemeinsam schaffen wir es bis zu ihrem Bett, ich frage sie gleich aus: „Wie geht’s Dir? Hast Du das öfter? Welche Beschwerden?“ Nach und nach kommt ans Licht, dass sie schon seit Wochen heftige Blutungen hat. Ich bin ganz schockiert. Warum sagt sie denn nichts? Im Gespräch stellt sich heraus, sie wollte nicht, dass wir für ihren Arztbesuch zahlen müssen. Aber wir haben doch eine Versicherung! Kitti erklärt mir, dass Ärzte in Ungarn nur gegen Bargeld behandeln. Und trotzdem mit der Krankenversicherung abrechnen. Korruption in Reinkultur. (Bei dieser Gelegenheit erfahre ich, dass sich auch Führerscheine und Universitätsabschlüsse in Ungarn ganz locker gegen Bares erwerben lassen. Und dass es in ihrer Heimatstadt normal ist, dass nachts das Obst oder das Auto aus dem Garten geklaut werden. Man darf seine Sachen dann am nächsten Morgen wieder zurückkaufen.) Nun muss aber dringend ein Arzt her. Kurz darauf betritt eine sehr nette Notärztin ukrainischer Abstammung unsere Wohnung. Sie verwechselt uns erst einmal und denkt, ich wäre das Aupair, was bei Kitti für schlechte Laune sorgt. Schließlich ist sie 15 Jahre jünger als ich, sooo alt möchte sie dann doch nicht aussehen! Die Lage klärt sich schnell, wir werden mit Medikamenten versorgt und Kitti geht es bald wieder besser. Seither informiere ich jedes neue Aupair darüber, wie das deutsche Gesundheitssystem funktioniert. Das brauche ich nicht noch einmal.




In der Agentur ist der Teufel los. Ein Reisetermin jagt den nächsten, neue Mitarbeiter müssen eingestellt werden und wir ziehen in größere Räume, nur 200 Meter von unserer Wohnung entfernt. Dabei hab ich natürlich die Nachwuchsplanung im Blick, ich möchte ja nicht gleich meinen geliebten Beruf loswerden, nur weil wir noch Kinder wollen. Je näher, desto besser ist mein Motto. Zur Büroeinweihungsparty kommen mehr als 100 Gäste und ich trinke den ganzen Abend Apfelschorle in meinem Sektglas, damit keiner merkt, dass ich schwanger bin. Sehen kann man es ja noch nicht. Auch mein Mann nicht. „Schatz, wann hattest Du eigentlich zuletzt Deine Tage?“ dämmert es ihm einige Wochen später im Dunkeln vor dem Einschlafen. „Vor zwei Monaten“. Da geht das Licht ganz schnell wieder an.




Die Schwangerschaft verläuft problemlo

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