Der Schrei des Jaguars

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Kapitel 3
Das Mädchen im Wald

Außer Atem und vor Aufregung zitternd blieben sie am Rande des Waldes hinter den schützenden Urwaldriesen stehen. "Vielleicht können wir zurück. Wir warten ein wenig!", flüsterte Teresa und sah unverwandt mit ihren scharfen Augen zu den Bergen hin. Leider trat das ein, was sie befürchtet hatte: Die Terroristen kamen zurück. Von dem Beobachtungsort der Flüchtenden aus waren sie als winzige bewegliche Figuren zu erkennen. Sie eilten im Laufschritt auf die Chacra zu. Teresa erkannte, dass jedes weitere Zögern verhängnisvoll sein würde, da zwei der Verfolger sich anschickten, in ihre Richtung loszumarschieren. Gloria wischte sich den Schweiß von der Stirn und aus den Augen. "Oh Teresa, was machen wir nun, sie kommen auf uns zu!" "Wir müssen weiter in den Wald, dort werden sie uns sicher nicht suchen. Los, wir müssen uns beeilen!" "Aber Teresa, wie sollen wir hier überleben? Wir waren doch noch nie im Urwald. Abuelito hat uns oft genug erzählt, dass man ihn sehr genau kennen muss, um nicht in ihm umzukommen!", protestierte das Mädchen leise. "Hör zu, ich habe als Kind mit meinen Eltern in der Selva gelebt. Drei Jahre hat dort mein Vater als Händler unsere Familie über Wasser gehalten", erklärte Teresa kurz und zog Gloria, ohne anzuhalten, hinter sich her. "Und danach?" "Sind wir zurück in die Berge. Vater hat das Klima nicht vertragen. Der Arzt hat behauptet, dass in dieser Zeit seine Tuberkulose begonnen hätte, an der er später gestorben ist." Teresa blieb stehen, hob lauschend den Kopf. "Was ist . . . ", hub Gloria zu fragen an. Doch ihre Beschützerin unterbrach sie mit einer Handbewegung. Von Ferne drangen die Stimmen der beiden Männer zu ihnen, bis sie leiser wurden und nicht mehr zu hören waren. Teresas Anspannung ließ nach, sie atmete hörbar auf. Während ihres Lauschens hatten ihre durch die Gefahr geschärften Sinne noch etwas anderes wahrgenommen. Sie meinte das Rauschen von Wasser gehört zu haben, und sie fühlte sich bestätigt, als Gloria flüsterte: "Hier muss ein Fluss in der Nähe sein. Hörst du nichts?" "Doch, meine Süße. Und das ist gut für uns." "Warum?" "Weil ein Fluss Menschen bedeutet. Und wir nicht verdursten werden!" Das leuchtete Gloria ein. Und das erste Mal seit ihrer Flucht machte sich so etwas wie Erleichterung in ihr breit. Der Wald war dunkler, da dichter geworden. Ihr Vorwärtskommen erwies sich als mühselig, doch Teresa schlug zielstrebig die Richtung ein, aus der das Rauschen kam. Nach kurzer Zeit standen sie am Ufer eines kleinen Flusses. Erschöpft ließen sie sich auf einem Stückchen nackter Erde nieder und lehnten sich an einen unwahrscheinlich dicken und hohen Baum. "Meinst du, wir werden bald auf Menschen treffen?", fragte Gloria ängstlich. "Hoffentlich! Ich weiß es nicht!", wollte Teresa erst antworten. Doch das Mädchen tat ihr Leid, und sie nahm sich vor, sich optimistisch zu geben und ihren Schützling mit der Wahrheit über ihre wirkliche Lage zu verschonen. Was half es, wenn Gloria ihre letzte Zuversicht verlor? "Sicherlich. Vielleicht in ein, zwei Tagen. Die Selva-Leute wohnen alle an Flüssen, auch an diesem!", flunkerte Teresa ins Ungewisse hinein. Und das müde Mädchen glaubte ihr. Beide nickten ein. Die Natur forderte ihr Recht auf Schlaf. Doch war ihnen nur eine kurze Ruhe vergönnt. Gloria erwachte mit dem Gefühl, dass ihre Arme geschwollen seien. Sie hatte nämlich den Poncho ausgezogen, zusammengerollt und als eine Art Kopfkissen verwendet. Außerdem hatte sie, dank der schwülen Wärme des Urwaldes, die Ärmel ihrer Bluse hoch gekrempelt. Sie schreckte hoch und kehrte aus dem Reich des Traumes in die feuchte, harte Gegenwart zurück. Ihr Rücken und der Allerwerteste schmerzten, die Arme brannten und ihr Magen knurrte. Es war Nacht geworden und doch nicht stockfinster, da der Mond voll und rund über den Bäumen und dem Fluss stand. "La Selva" war durchflutet von Geräuschen, die Gloria nicht einzuordnen wusste. War das ein Vogel oder ein anderes Tier, das da geschrien hatte? Und wenn, welches? Sie reckte ihre Arme dem Mond entgegen und erkannte in seinem Licht, dass sie mit kleinen roten Stichen übersät waren. Vorsichtig benetzte sie die brennenden Stellen mit ihrem Speichel. Eine leichte, aber doch spürbare Linderung trat ein. Sie krempelte die Ärmel herunter und schloss sie am Bund. Den Blick auf die tief schlafende Teresa gerichtet, die sich mit ihrem Poncho zugedeckt hatte, nickte sie erneut ein. Der Morgen begann mit einer Überraschung, als Teresa all die Gegenstände auf ihren Poncho legte, die sie bei sich trug. Dazu gehörte ein billiges, aber brauchbares Feuerzeug, ein kleines angerostetes Klappmesserchen, das Teresas kleiner Neffe ihr vor einer Woche als Abschiedsgeschenk in die Tasche geschoben hatte, und eine angebrochene Schachtel ausländischer Zigaretten, für die Teresa eine große Vorliebe hegte. Sie war keine starke Raucherin, aber ab und an genehmigte sie sich eine. Da Dona Isabella und Don Pedro Nichtraucher waren, konsumierte sie ihre Glimmstengel am offenen Fenster ihres kleinen adretten Zimmers oder im Garten. Ihre Dienstherren duldeten es stillschweigend. Gloria erwachte, als Teresa gerade dabei war, Früchte, die Papayas ähnelten, mit dem Klappmesserchen zu zerteilen. Sehr hungrig und wortlos verschlangen sie ihr frugales Frühstück. Mit verklebten Händen und Gesichtern sahen sie sich an, und sie fühlten, dass Obst am Morgen nicht allzu bekömmlich für den ungeübten Magen war. Aber lieber eine leichte Übelkeit als den Hunger ertragen! So unterließ auch Gloria jedes Jammern. Teresa bahnte ihnen mit Hilfe eines langen festen Stockes einen schmalen Pfad am Fluss entlang. Des Öfteren hielt sie schweißüberströmt inne und blieb stehen. Es war nicht abzuschätzen, wie schnell sie voran kamen. Aber Gloria schien es, als bewegten sie sich mit der Geschwindigkeit von Schnecken vorwärts. Erneuter Hunger ließ nicht lange auf sich warten und nagte quälend in ihrem Inneren. Erschöpft und elend sanken sie auf einer kleinen Lichtung, die an das Flussufer grenzte, zu Boden. Gloria blieb stumm, während Teresa sich Gedanken darüber machte, wie sie zu Nahrhafterem kamen als zu Früchten. Da unterbrach der Dschungel schlagartig sein Konzert. Eine unheimliche Stille breitete sich aus, die die beiden aus ihrer Dösigkeit riss und Teresa zu sich überstürzenden Aktivitäten veranlasste. Mit zitternden Händen beeilte sie sich, mit Hilfe ihres roten Plastikfeuerzeuges, ein loderndes Feuer zu entfachen. Gloria ahnte, dass sie in einer ihr unbekannten Gefahr schwebten, und ihr Herz fing heftig an zu pochen. Teresa hatte sich daran erinnert, dass diese plötzliche Stille in der Selva die Nähe eines herumschleichenden Raubtieres ankündigen konnte und dass nur Feuer einen gewissen Schutz bedeuten würde. Gloria kroch dicht neben sie und versuchte mutig ihre Furcht zu verbergen. "Vielleicht ist ein Jaguar in der Nähe. Aber keine Angst, meine Süße, das Feuer beschützt uns!", versuchte Teresa das Mädchen aufzumuntern, das bei dem Wort Jaguar mehr hoffte als glaubte, nicht zwischen den kräftigen Zähnen eines Raubtieres zu enden. Doch genauso schlagartig wie das Dschungelkonzert ausgesetzt hatte, begann es wieder. Aber es dauerte eine Weile, bis die beiden dem Frieden ganz trauten! Gloria schlug vor zu fischen, als sie die dunklen Schatten beobachtete, die flink ihre Bahnen durch das bräunliche Wasser zogen. Teresa befand diese Idee für gut und ging daran, sie in die Praxis umzusetzen. Mit dem Klappmesserchen säbelte sie eine große Anzahl der Wollfransen ihres Ponchos ab und verknotete sie fest. Als Köder wählte sie ein Fruchtstückchen. Wer weiß, vielleicht . . . Sie zeigte Gloria, wie das Feuer in Gang zu halten war, dann hockte sie sich am Ufer nieder, ließ die Knotenleine mit dem Fruchtköder ins Wasser gleiten und wartete geduldig. "Pachamama, gib uns von deinen Gaben ab!", murmelte sie auf Quechua. "Was hast du gesagt?", fragte Gloria, die meinte, Teresa habe sie angesprochen. "Ich habe Mutter Erde nur gebeten, ihren Reichtum mit uns zu teilen." "Ich glaube nicht, dass sie uns hört. Vielleicht sollten wir Señor Jesus bitten uns zu helfen", schlug Gloria unsicher vor. "Gut, bitte ihn! Er hat deinen Vater verändert. Vielleicht sorgt Señor Jesus auch für die Tochter", erwiderte Teresa ganz ernsthaft, obwohl sie den Sohn Gottes für einen der unzähligen katholischen Heiligen hielt und sich wenig von ihm erhoffte. Gloria betete zögernd und ungeübt: "Señor Jesus, Papa hat gesagt, dass du alle Menschen kennst. Wenn das so ist, dann sieh auf uns. Wir haben so schrecklich Hunger – Teresa und ich. Äh . . . sei auch bei Mama. Amen." Glorias Stimme war ganz leise geworden. Sie hatte das erste freie Gebet ihres Lebens gesprochen – zu einem Gott, den sie noch nicht kannte und von dem sie nur sehr ungenaue Vorstellungen hatte. Ihr Vater mochte als gläubiger Mann gestorben sein, aber das half ihr wenig. Denn Mutter und Großvater waren auf oberflächliche Weise religiös und hatten ihr so gut wie keine religiöse Unterweisung angedeihen lassen, obwohl sie sonst auf eine gute Schulbildung und Erziehung Wert legten und alles Erdenkliche für die Förderung ihrer Kleinen taten. Gloria hatte kaum ihr zaghaftes Amen gesprochen, als ein Ruck Teresa fast die Knotenschnur aus den Händen riss. Schnell zog sie ihren Fang an Land – einen mittelgroßen kugeläugigen Fisch. Sie erschlug ihn mit einem Stock und nahm ihn mit Hilfe des Klappmesserchens aus. Ungeübt brieten sie ihn über dem Feuer. Außen leicht angebrannt, innen nicht ganz gar erwies er sich doch als genießbar. Teresa sann bei jedem Bissen darüber nach, ob ihr Angelerfolg ein Zufall war oder ob dieser Señor Jesus doch auf die Gebete der Menschen hörte und sie auch noch beantwortete! Gloria nahm ohne Zweifel Letzteres an und dankte kurz ihrem unsichtbaren Helfer. Etwas gestärkter machten sie sich daran, weiterzugehen. Aber ach, wie mühselig war ihr Vorwärtskommen! Die Insekten plagten sie mehr als zu Anfang, und Teresa suchte gerade einen Weg, sich ihrer zu erwehren, als sie sich ihrer Zigaretten erinnerte. Sie griff nach der Packung und drückte einen der Glimmstengel dem verdutzten Mädchen in die Hand. "Aber Teresa, was soll ich damit?" "Du lernst jetzt rauchen!" Gloria glaubte, sich verhört zu haben. "Was soll ich?" "Rauchen lernen! Das wird dir diese kleinen stechfreudigen Viecher ein wenig vom Leibe halten. Komm, ich zeige dir, wie man das macht!" Gloria sah den Sinn der Sache ein und übte, ohne Beteiligung der Lunge zu paffen. Nach einem größeren und einem kleineren Hustenanfall gelang es ihr recht gut. Die Insekten zeigten sich tatsächlich weniger aufdringlich. Als sie am Abend am Feuer saßen, über dem Teresa ein eidechsenähnliches Tier briet, stieß Gloria einen erschreckten Schrei aus. Zwei Blutegel hatten unbemerkt begonnen, ihr oberhalb des linken Knöchels Blut abzusaugen. An diesem hatte das Mädchen den Kniestrumpf heruntergerollt. Da zeigte ihr Teresa, wofür eine Zigarette im Urwald noch gut sein konnte! Sie drückte das glühende Ende auf den Blutegeln aus, die zu Boden fielen. Es war ihre zweite Nacht, und Teresa schlief unruhig aus Sorge, das Feuer könne erlöschen und sie seien einem herumstreifenden Raubtier ausgeliefert. Der dritte Tag zeigte deutlich, in welchem Maße ihre Kräfte schwanden. Die mangelhafte, nicht ausreichende Ernährung, das schwüle, erdrückende Klima, die große körperliche Anstrengung, der starke seelische Stress, ob sie jemals auf Menschen treffen würden, und zuletzt die seelischen Nachwirkungen der vergangenen Ereignisse, die sie in den Dschungel getrieben hatten. Nach der dritten Nacht, beziehungsweise dem vierten Tag, verkürzten sich deutlich ihre Marschrouten und verlängerten sich ihre Ruhezeiten. Die erwachsene, abgehärtete und zähe Teresa Uro verfügte über die größeren Kraftreserven. Am siebenten Tag wankte Gloria stumm hinter ihrer Begleiterin her. Ihr Kopf brannte und sie hatte Schwindelgefühle. Die besorgte Teresa gewann den Eindruck, dass Glorias miserabler Zustand auf mehr als auf eine allgemeine Ermüdung zurückzuführen war. Sie befühlte das Gesicht und die Stirn des Mädchens und fand ihren Verdacht bestätigt: es fieberte deutlich und sah sie mit glänzenden, geschwollenen Augen an. Teresa sagte kein Wort, verringerte ihr Marschtempo und sorgte dafür, dass Gloria sich an ihrem Hosengürtel festhielt und von ihr praktisch mitgezogen wurde. An ein schnelleres Vorankommen war nicht mehr zu denken. Am Nachmittag suchte Teresa nach einem geeigneten Lagerplatz. Dort wickelte sie die Fiebernde so gut es eben ging in beide Ponchos ein, entfachte ein prasselndes Feuer und machte sich auf die Suche nach Essbarem. Doch Früchte und Kleingetier hielten sich an diesem unseligen Tag vor ihr versteckt. An Fischen war ohne den Fruchtköder natürlich auch nicht zu denken. Pachamama erwies sich als unbarmherzig geizig. Da erinnerte sie sich an Señor Jesus, der so rasch auf Glorias gestammeltes Gebet geantwortet hatte. Aber Gloria war kaum ansprechbar und konnte ihn nicht bitten! Außerdem, war dieser Señor Jesus nicht ein Gott der Criollos und der Gringos? Teresa hatte so ihre Hemmungen, sich mit ihr unbekannten Göttern anzulegen! Andererseits – was hatte sie noch zu verlieren!? Vorsichtig und furchtsam flehte sie schließlich zu Señor Jesus: "Señor Jesus, Don Juan war einer der Deinen. Hier liegt seine Tochter. Hilf ihr, hilf uns!", schwerfällig wollte sie sich von dem Baumstamm, auf dem sie resigniert hockte, erheben, als dieser durch ihre ungeschickte Bewegung ein Stück verrutschte. Erschrocken sprang sie zur Seite und schrie vor Überraschung auf. Auf der Unterseite des Stammes, die jetzt nach oben gerollt war, wimmelte es von rundlichen, weißen fetten Maden. Teresa wusste aus ihrer Kindheit in der Selva, dass diese zwar nicht jedermanns Geschmack, aber sehr nahrhaft waren. Schnell sammelte sie so viele sie tragen konnte ein. Señor Jesus hatte sie erhört! Teresa konnte es kaum fassen! Also doch kein Gott nur für Criollos und Gringos? Glorias Fieber stieg über Nacht und Teresas Besorgnis wuchs sich zur Verzweiflung aus. Sie mussten schleunigst hier weg! Viele der Insektenstiche an Glorias Armen hatten sich heftig entzündet. Als Teresa sie mit dem kühlenden Flusswasser benetzte und abwusch, schluchzte sie trocken und hoffnungslos in sich hinein. Ihre Tränen tropften dem Mädchen auf das Gesicht, worauf es die Augen aufschlug und sie ohne Erkennen ansah. Jetzt erwies es sich, wie stark das Band der Liebe zwischen dieser zweiten Mutter und ihrer Wahltochter war. Denn Teresa Uro dachte nicht daran, die kranke Gloria ihrem Schicksal zu überlassen und durch Weglaufen die vage Chance wahrzunehmen, doch noch ihr eigenes Leben zu retten. Es war der neunte Tag ihrer Flucht und der zweite, den sie an dieser Lagerstelle verbrachten. Teresa hatte mit dem Gedanken gespielt, sich auf dem Fluss weiter fortzubewegen. Aber das erwies sich als unausführbar. Erstens verstand sie sich nicht darauf, ohne jegliches Werkzeug ein Floß zu bauen. Zweitens wies der Fluss tückische Strömungen und Strudel auf, die nur ein geübter, mit dem Fluss sehr vertrauter Ruderer umfahren konnte. Gloria fieberte unvermindert und Teresa sah der endgültigen Tatsache ins Auge, dass ihrer beider Stunden gezählt waren und ein langsamer, qualvoller Tod ihrer harrte. Da beschloss die arme Frau, ehe sie sterbend, aber bei Bewusstsein, von allerlei Getier – Ameisen zum Beispiel – angenagt wurden, ihrer geliebten Gloria und sich selbst ein rasches Ende zu bereiten. Das Mädchen würde sie erdrosseln und sich dann erhängen – mit Hilfe ihres Wollpullovers und dem Hosengürtel. Aber jetzt war es noch nicht soweit. Eine alptraumhafte Nacht folgte, in der Teresa sämtliche Quechua-Götter, insbesondere Viracocha, den Erschaffer aller lebendigen Wesen, um Errettung anflehte. Vergebens! Am Morgen des zehnten Tages war die Lage weiterhin unverändert und Teresa wandte sich als letzte Möglichkeit – immer noch nicht völlig von ihm überzeugt – erneut an Señor Jesus. Sie lehnte sich an einen der Urwaldriesen und starrte auf den Fluss, während sie bedächtig ihre Bitte auf Quechua formulierte. "Señor Jesus, ich kenne dich nicht, aber du scheinst die Menschen zu hören. Bitte befreie uns und schicke uns Hilfe. Wenn du das tust, werde ich dich mein Leben lang anbeten und ehren . . . " Teresa versuchte sich an das Wort zu erinnern, mit dem Gloria ihr Gebet beendet hatte. Emen? Omen? Nein, Amen hatte sie gesagt. Teresa schloss ihre brennenden Augen. Sie wusste nicht, wie lange sie so dagestanden hatte, als menschliche Stimmen an ihr Ohr drangen. Zwei Kanus, in denen je zwei Selva-Indios mit schulterlangen Haaren saßen, steuerten auf sie zu. In diesem Moment erhob Teresa Señor Jesus zu ihrem persönlichen Schutzgott. Der älteste der Männer, ohne Zweifel der Kazike (Häuptling), sprach sie in einer ihr unverständlichen Sprache an. Sie schüttelte nur den Kopf und sank neben der inzwischen bewusstlosen Gloria nieder. Da versuchte es der Mann mit einigen Brocken Spanisch. "Warum hier? Wie lange? Allein?" "Verlaufen! Zehn Tage! Ja, nur sie beide!" Der Kazike schien zu verstehen. Die Männer, nur bekleidet mit Stoffshorts, legten Gloria sanft in das Kanu und halfen auch Teresa, einzusteigen. "Unser Dorf!", erklärte der Kazike kurz, und schon ruderten sie los. Ihre Retter gehörten einem Stamm an, dessen ursprüngliche Heimat wesentlich nordwestlicher, nahe der peruanisch-ecuadorianischen Grenze lag. Ein zahlenmäßig überlegener, sehr kriegerischer Nachbarstamm hatte sie etappenweise vertrieben und in die südwestliche Richtung – bis fast an den Rand der peruanischen Selva abgedrängt. Doch hier waren sie vor Jahren heimisch geworden, mieden aber fast jeglichen Kontakt zu Stammesfremden, mit denen sie in der Mehrzahl üble Erfahrungen gemacht hatten. Dass der kleine Jägertrupp Gloria und Teresa nicht einfach hatte liegen lassen, lag darin begründet, dass es sich bei ihnen um zwei geschwächte, vor allem weibliche Wesen handelte, von denen nichts zu befürchten war. Die Kanus zogen Pfeilen gleich ihre Bahn durch das unberechenbare Wasser. Teresa bemerkte, halb betäubt und erleichtert, dass irgendwann auf Pfählen stehende Holzhäuser in Sichtweite kamen. Die Muskeln unter der schweißglänzenden braunen Haut des Mannes, der vor ihr hockte, bewegten sich schneller. Teresa zwang sich, wachzubleiben. Sie musste doch sehen, was mit Gloria geschah! Man brachte sie in eines der geräumigen Pfahlhäuser, die nur zwei Wände zur Selva hin hatten und in Richtung Dorf offen waren. Bald darauf waren sie von Frauen und Kindern umringt, die sie anstarrten und sich angeregt über den merkwürdigen Fund, den die Männer von ihrem Jagdausflug mitgebracht hatten, unterhielten. Schließlich vertrieb sie der Kazike verdrießlich. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie aber auch weiterhin die folgenden Ereignisse. Der Kazike winkte einen geschmeidigen, etwa siebzehnjährigen Burschen in weinroten Shorts heran und redete auf ihn ein. Dieser gab das Gehörte in einem grammatikalisch schlechten, aber erfreulicherweise verständlichen Spanisch wieder. "Mädchen sehr krank. Mein Vater will helfen. Sie sterben, nicht sterben! Man weiß nicht. Sie sehr heiß. Deine Tochter?" Teresa nickte: "Ja, meine Tochter." Jede weitere Erklärung hielt sie für zu kompliziert. Wie sollten diese Leute verstehen, was ein Kindermädchen war? Dass man mit Kinderhüten seinen Lebensunterhalt verdienen konnte? Zwei Frauen zogen Gloria vollkommen aus, trugen sie zu dem Fluss hinunter und tauchten sie in das kühle Wasser an einer Stelle, die im Schatten gewaltiger Äste eines riesigen Baumes lag. Nach einer Weile wickelten sie das abgekühlte Mädchen in die beiden Ponchos, trugen es zu dem Haus zurück und legten es behutsam in eine Hängematte. Gloria war aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht und nahm ihre Umgebung wie in Nebel eingehüllt wahr. Inzwischen war ein Tee aufgebrüht worden, der gewisse antibiotische Stoffe enthielt. Geduldig und sanft flößte die ältere Frau der Kranken den Sud ein, die mühsam schluckte. Beruhigt über die sachkundige Behandlung Glorias sank Teresa in die ihr zugewiesene Hängematte und fiel in einen vierundzwanzigstündigen Erschöpfungsschlaf. Während dieser Zeit lichtete sich Glorias Bewusstsein weiter, die Temperatur verringerte sich und sie würgte mutig alles hinunter, womit man sie fütterte. Die beiden Frauen waren barbusig, trugen taillenlanges, in der Mitte gescheiteltes Haar und bunte Stoffwickelröcke, die an der Taille ansetzten und die Knie bedeckten. Freundlich und stumm umsorgten sie die hellhäutige Fremde, denn sie verstanden kein Spanisch. Aber der Kazike ließ manches durch seinen Sohn erfragen. Endlich erwachte auch Teresa. Ihr erster Blick galt Gloria, die von ihrer Hängematte aus in das Dorf hinaus schaute. "Geht es dir besser, meine Süße?", rief sie das Mädchen an, das sich auf den Klang ihrer Stimme hin vorsichtig in der Hängematte umdrehte. "Oh, du bist wach! Das ist gut. Ich glaube, ich habe kein Fieber mehr, aber ich bin noch zu schwach, um aufzustehen." Teresa lächelte erfreut. "Du wirst schnell wieder zu Kräften kommen. Das Schlimmste haben wir hinter uns." "Aber was wird nun aus uns werden?", wollte Gloria mit spürbarer Besorgnis wissen. Teresa wich ihr aus. "Du wirst jetzt erst einmal gesund! Dann sehen wir weiter." Das Mädchen kam hartnäckig immer wieder auf dieses Thema zurück. Doch Teresa hatte noch keine Antwort auf diese Frage und stellte sich so lange taubstumm, bis Gloria es aufgab, etwas über ihre nächste Zukunft erfahren zu wollen. Die folgenden Tage verbrachte Teresa damit, ihnen einen eigenen Lebensraum zu schaffen. Die beiden Frauen billigten ihr eine eigene Feuerstelle zu und liehen ihr nötige Haushaltsgeräte. Beide waren übrigens die Ehefrauen des Kaziken. Es sollte sogar noch eine dritte geben, aber die war bis jetzt unsichtbar geblieben. Gloria konnte am fünften Tag mit Teresas Hilfe aus der Hängematte klettern und einige wankende Schritte tun, die von den Frauen mit aufmunternden Zurufen begleitet wurden. An diesem Morgen überließen sie Teresa einen ihrer für sie wertvollen Blechtöpfe. Diese fragte den in der Hängematte schaukelnden Kazikensohn, woher sie die Töpfe denn hätten. Der Bursche war einem Gespräch nicht abgeneigt, denn so konnte er sein Spanisch üben und gab bereitwillig Auskunft. Zweimal im Jahr komme ein Händler. Ein Indio wie sie, der aber nicht aus der Selva stamme. "Ein Serrano also!", stellte Teresa für sich fest und brachte den Jungen geschickt zum Weiterreden, denn sie erkannte eine Chance für ihr Wegkommen. Der Händler war eine mögliche Kontaktaufnahme zur Außenwelt. So erfuhr sie auch, dass das nächste Kommen des Mannes kurz vor der Regenzeit, die etwa im Dezember begann, erwartet wurde. Teresa rechnete schnell nach. Sie würden es also fast ein halbes Jahr hier aushalten müssen! Kein sehr ermunternder Gedanke. Aber immerhin wurde der Zeitpunkt ihrer Heimkehr absehbarer. Gloria dagegen beobachtete von der Hängematte aus aufmerksam das Leben, das um sie herum vorging. So einiges war ihr aufgefallen. Die Kinder genossen ein großes Maß an Freiheit. Die Erwachsenen gingen sanft mit ihnen um, nahmen sie ernst und schlossen sie nicht aus ihrer Welt aus. Die Erziehung, besser Ausbildung der Kinder, erfolgte fast ausschließlich auf der Basis von Vorbild und Nachahmung. Ab einem gewissen Alter begannen die Jungen von selbst, ihre Väter in männlichen Tätigkeiten zu imitieren. Desgleichen die Mädchen ihre Mütter. Drill spielte in ihrem Leben keine Rolle, weil keinerlei Notwendigkeit dazu bestand und weil es auch nicht zu ihrer Mentalität passte. Sicher wurde auch hier ungebärdiger Nachwuchs in seine Grenzen verwiesen. Aber ohne Anwendung von Gewalt. Einem bockigen oder ungehorsamen Kind konnte es geschehen, dass sich die Erwachsenen solange taubstumm stellten, bis es parierte. Weiter hatte Gloria herausbekommen, dass außer dem Kaziken und seiner Familie sein jüngerer Bruder und Anhang dieses geräumige Urwaldhaus bewohnten. Der spanischsprechende Bursche war der Sohn der älteren Frau und nannte sich Diego. Diesen Namen hatte ihm ein spanischer Priester gegeben, der eine gewisse Zeit bei ihnen gelebt hatte, um diese Heidenschäfchen für die Kirche Roms zu gewinnen. Bei ihm hatte Diego sein Spanisch gelernt. Der Priester, er war nicht mehr der Jüngste, war einem heftigen Malariaanfall erlegen. Sie begruben ihn mit einer Mischung aus Bedauern und Erleichterung. Seine medizinischen Kenntnisse waren ihnen wertvoll gewesen – sehr zum Ärger ihres Zauberers und Medizinmannes, der sich durch den Priester einer gewaltigen Konkurrenz gegenüber sah. Andererseits hatte der Fremde Unruhe in das Dorf gebracht und versucht, sie nicht nur zu seiner Religion, sondern auch zu seiner Lebensweise zu bekehren. So hatten sie mit ihm nicht nur einen Mann, sondern auch die Welt begraben, die außerhalb ihrer eigenen lag. Diego also wurde zu einem wichtigen Bindeglied zwischen den beiden Verschollenen und ihren Gastgebern. Am siebten Tage ihres Aufenthaltes half Teresa Gloria nicht nur aus der Hängematte heraus, sondern auch von der Plattform des Urwaldhauses hinab. Schritt für Schritt führte sie die Genesende Richtung Fluss. Sie stiegen langsam in den Fluss hinein, an der Stelle, an der auch die anderen Frauen badeten. Doch um diese Zeit waren sie alleine. Nackt und leicht schnatternd standen sie im Wasser. Teresa stellte befriedigt fest, dass an Glorias von Stichwunden, Schürfungen und Kratzern übersäten Körper keine Entzündungen mehr zu sehen waren. Außerdem war sie von dem Stechtier, das seine Eier unter die Haut seines Opfers ablegte, verschont geblieben. Durch den Serrano-Händler waren große, grobgeschnittene Kernseifenstücke an diesen abgelegenen Ort gelangt. Die Leute benutzten sie zur Wäsche ihrer Kleidung, aber niemals für die Reinigung ihrer Körper! Teresa war es gelungen, ein solches Prachtstück zu ergattern. Vorsichtig wusch sie die noch sehr schwache Gloria ab und half ihr auch, das Haar zu säubern. Die Sonne trocknete die Badenden im Eilverfahren. Gloria genierte sich ein wenig, denn sie sah ihre Beschützerin zum ersten Mal nackt. Außerdem war sie es nicht mehr gewohnt, wie ein Baby gebadet zu werden. Teresa hatte, da sie niemals geboren hatte und seit ihrem dreizehnten Jahr keine schwere Arbeit mehr leisten musste, eine sehr ansehnliche Figur, nur wirkte ihr Brustkorb im Verhältnis zu ihren übrigen Proportionen zu groß. Das lag daran, dass Hochlandindios durch die dünne Luft ihres Lebensraumes ein doppelt so großes Herz und gewaltige Lungen entwickeln, um den mangelnden Sauerstoff zu kompensieren. Auf diese Weise ist ihr Überleben in solchen Gebirgshöhen möglich. Gloria fühlte sich durch das Bad wie neugeboren. Doch als sie wieder das Pfahlhaus betraten, starrten sie alle anwesenden Sippenmitglieder überrascht an, Gespräche verstummten. Gloria und Teresa wechselten fragende Blicke. Was war geschehen? Des Rätsels Lösung folgte schnell: Diegos Mutter kam ganz nahe heran, nahm eine Strähne von Glorias frischgewaschenem Haar zwischen ihre Finger und drehte sie sachte hin und her, während sie bewegt ein Wort flüsterte. Durch die Wäsche war die ursprüngliche goldblonde Haarfarbe wieder zum Vorschein gekommen. Durch Schweiß, Staub und Schmutz war sie unkenntlich gewesen. Diego übersetzte ihnen das Wort, das jetzt auch die anderen riefen. Gloria war der erste blonde Mensch, den sie zu Gesicht bekamen. Und da ihnen Gold kein Begriff war, nannten sie sie von da an – Sonnenhaar! Noch Tage danach wurde das Mädchen im ganzen Dorf bewundert. Ein Monat war vergangen. Gloria war fast wieder gesund, und Teresa tat ihr Bestes, die Gastfreundschaft ihrer Retter so wenig wie möglich zu strapazieren, was diese durch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft honorierten. Inzwischen trugen sie die gleichen Stoffe und Plastikpantoffeln wie die anderen Frauen. Nur dass ihre Winkelgewänder unter der Achsel ansetzten. Sie waren es einfach nicht gewohnt, barbusig herumzulaufen. An einem Nachmittag, als sie alle müßig herum saßen, beobachtete Diego, wie Gloria mit einem Stöckchen in den Sand schrieb. Fasziniert sah er zu, um plötzlich aufzuspringen und zum Haus zu laufen. Teresa blickte ihm insgeheim besorgt hinterher. Hoffentlich hatte Gloria mit ihren Schreibübungen kein – wie auch immer geartetes – Verbot verletzt! Doch ihre Besorgnis erwies sich als unbegründet. Diego kam mit einem kleinen Stapel Papier zurück und breitete es vor ihnen aus. Gloria stieß einen entzückten Jauchzer aus, denn die kleine Leseratte hatte bereits begonnen, unter ihrer unfreiwilligen geistigen Isolation zu leiden. Mit vor Erregung zitternden Händen berührte sie das beschriebene Papier, das sich als zwei alte Zeitungen und ein nahezu vollständiger Abreißkalender entpuppte. Ihr wissbegieriger, hungriger Geist hatte zu Hause in der großen Bibliothek Don Pedros stets reichlich Nahrung gefunden. Aber jetzt . . . Bittend sah sie zu Diego auf, der ihre stumme Frage augenblicklich begriff. "Du haben. Du können verstehen sprechende Blätter. Händler schenken uns. Er nicht verstehen, wir nicht verstehen!" "Danke, Diego!", flüsterte Gloria innerlich jubelnd und wandte sich ihrer kostbaren Lektüre zu. Teresa hatte gerade noch mitbekommen, wie der junge Mann unter seiner braunen Haut errötete und sich verlegen davon machte. Sie runzelte nachdenklich die Stirn. Sollte Diego etwa andere als rein freundschaftliche Gefühle dem knospenden Sonnenhaar gegenüber entwickelt haben? Von diesem Moment an wachte Teresa mit doppelt so großen Argusaugen über ihrem Schützling, denn bei ihren Gastgebern herrschte eine bemerkenswerte frühreife Sexualität. Mit einsetzender Menstruation galt ein Mädchen als "reif" - für Geschlechtsbeziehungen und die Ehe. Im Nachbarpfahlhaus wohnte eine verheiratete, knapp zwölfjährige Mutter mit ihrer neugeborenen Tochter. Und Gloria war bereits zwölfeinhalb! An diesem Abend bat Teresa Señor Jesus inbrünstig darum, zu verhindern, dass Gloria das Objekt solch gearteter Spekulationen wurde. Sie gedachte, das Mädchen heil und unversehrt zu seinem Großvater – vielleicht auch der Mutter – zurückzubringen! So lange es möglich war, würde sie alles daransetzen, um zu verhindern, dass man Gloria verführte und sie freiwillige oder unfreiwillige vorzeitige sexuelle Erfahrungen machte. Und sie war bereits so erleichtert gewesen, dass sich die Terroristen nicht an ihnen, den Frauen, vergriffen hatten! Gloria stieß sie an und riss sie aus ihren unerfreulichen Gedanken. "Teresa, der Kalender ist ein Señor-Jesus-Kalender!" "Was sagst du da?" "Ja, auf der Vorderseite stehen Sprüche aus der Bibel. Und hinten . . . Ich glaube, kleine Geschichten!" Die beiden sahen sich vielsagend an. Sie hatten die völlig unerwartete Möglichkeit, mehr über Señor Jesus zu erfahren. Dieser merkwürdige Tag brachte noch mehr Überraschungen mit sich. Die dritte, bisher abwesende Ehefrau des Kaziken hängte ihre Hängematte in dem Pfahlhaus auf. Sie war mit ihrem Vater auf Verwandtenbesuch gewesen. Die auffallend attraktive Vierzehnjährige streifte mit kurzem, gleichgültigem Blick die zwei fremden Gäste, während sie mit langsamen, anmutigen Bewegungen ihre Matte fest-knüpfte. Dann nahm sie ein Krabbelkind auf und setzte es auf ihre Hüfte. Ihr Sohn – der jüngste des Kaziken. Ein älterer Mann betrat die Plattform. Alle begrüßten ihn mit merklicher Ehrerbietung. Er war der Vater der schönen jungen Ehefrau und trug an beiden Armen und um den Hals Amulette. "Oijoijoi, un Brujo (ein Zauberer), un Mago (ein Medizinmann)!", entfuhr es Teresa erschrocken, als der Mann seine seltsam hellen Augen mit dem nach innen gerichteten Blick zu ihnen wandte. Besonders Gloria galt sein stummes Interesse. Es huschte ein Lächeln über sein faltiges Gesicht. Dann unterhielt er sich mit dem Kaziken, während alle anderen schwiegen. Schließlich sagte er noch sehr sanft etwas zu seiner Tochter und ging. Mit Ankunft der jungen Frau änderte sich die Atmosphäre in dem geräumigen Urwaldhaus. Viele böse Stimmungen machten sich breit. Die zweite Gattin zeigte sich zänkisch und streitbar – ihrer jüngeren Rivalin gegenüber, durch die sie den begehrten Platz der Favoritin verloren hatte, und dem Kaziken gegenüber, der sie allzu rasch abgesetzt hatte. Die erste Ehefrau, Diegos Mutter, zog sich hinter einem undurchdringlichen Schweigen zurück und arbeitete mehr als alle anderen. Vielleicht, weil sie besonders fleißig war, vielleicht auch, um sich abzulenken. Die Dritte selbst spielte mit ihrem Sohn, schaukelte ausgiebig in der Hängematte und tat nur das Notwendigste, was ihr Gattin Nr. 2 auch täglich und stundenlang lautstark vorwarf. Der Kazike, ein Mann Mitte dreißig – für Selvabegriffe ein reifes Alter -, wurde unwirsch und verdrießlich und verlängerte seine Jagdausflüge. Gloria erlebte hautnah die disharmonischen Auswüchse eines polygamen Haushaltes mit. Das Krabbelkind gewann ihre besondere Zuneigung. Alles war an ihm so angenehm gerundet, dass sie ihn "Kügelchen" nannte. Kügelchen wurde auf die hier übliche Weise erzogen. Er zeigte ein gefährliches Interesse an den Tag und Nacht prasselnden Kochfeuern. Als er wieder einmal auf eines zukrabbelte, packte ihn seine vierzehnjährige Mutter, nahm sein linkes Händchen und hielt den winzigen Zeigefinger in das Feuer. Kurz genug, dass es ihm nicht ernstlich schadete und lange genug, dass er den heißen Biss der Flamme spürte. Er war zu erschrocken, um zu schreien und starrte mit riesigen Augen sein malträtiertes Fingerchen an. Gloria hatte verständnislos den Vorgang verfolgt und machte ihrem Unmut bei Teresa Luft. Diese erklärte ihr den Sinn der Sache: Dass dies geschehen sei, um das Kind vor den Folgen seiner eigenen gefährlichen Neugierde zu schützen. Und tatsächlich: Kügelchen krabbelte in einem respektvollen Bogen um jedes Feuer und lernte frühzeitig den vernünftigen Umgang damit. Teresa und Gloria verbrachten den größten Teil ihrer Tage mit Kochen. Und entwickelten dabei allerlei Erfindungsgeist, denn ihr Speiseplan war situationsbedingt recht eingeschränkt. Aber es gab zu fast jeder Mahlzeit Fleisch oder Fisch. Und darum blieb auch die schnell kränkelnde Gloria bei Kräften. Beilagen waren vor allem Maniok, das "Brot des Urwaldes", Kochbananen und manchmal Süßkartoffeln. Außerdem war es üblich, viele Früchte zu jeder Tageszeit in sich hineinzudrücken. Diese erstaunlich ausgewogene Ernährung führte zu dem kraftstrotzenden Aussehen der Leute. Wenn Teresa die Selva-Indios mit den Serranos ihrer Heimat verglich, fühlte sie jedesmal in sich einen Stich – diese einseitig und mangelernährten Gestalten, die sich bei härtester Arbeit krümmten! Teresa erinnerte sich ihrer Kindheit. Während sie die jüngeren Geschwisterchen gehütet hatte, hatte das sehnige Bein ihres Vaters den Tadla, das traditionelle Feldbearbeitungswerkzeug der Inkas, in den harten, so wenig ergiebigen Boden gestoßen. Ihre Mutter hatte sich vor ihrem Mann gebückt und jede Scholle sorgsam mit ihren flinken Händen umgewendet. So ging es Stunde um Stunde unter der stechenden Sonne des Hochlandes. Ihr Ayllu lag so hoch, dass an die Anwendung des erst von den Spaniern eingeführten Pfluges nicht zu denken war, denn die Felder waren zu klein und lagen zu schräg. Trotz harter Arbeit lebten sie jedes Jahr für unterschiedlich lange Zeiten von Chuno, eine Art Dauernahrung, die mit komplizierten Verfahren aus entwässerten Kartoffeln hergestellt wurde. Manchmal halfen ihnen ihre Ayllu-Leute, die tiefer liegende, daher fruchtbarere Gegenden bewohnten, mit einigen Säcken Mais aus, der bei ihnen, aber nicht bei den Chuno-Essern gedeihen konnte. Wenn das Bibelwort "Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen . . ." (1. Mose 1,19a) auf eine Gegend dieser Welt zutraf, dann auf die des Altiplanos! Dieses harten Lebens und eines gemeingefährlichen Brujos wegen hatte schließlich ihr Vater sein Glück in der Selva gesucht. Teresa, die ab und an die Frauen des Kaziken auf ihre Maniokfelder begleitete, beobachtete, dass weder Männer noch Frauen sich überarbeiteten. Und da auch weder zu viele Menschen noch knallende Gewehre das Wild aus ihrer Gegend vertrieben hatten, führten sie ein Leben in Sattheit, ohne den Hunger kennenzulernen. Und doch waren sie nicht in einem idyllischen Paradies beheimatet! Die Selva und ihr Klima forderten einen körperlichen und die ihnen eigene animistisch ausgerichtete Religiosität einen seelisch hohen, unerbittlichen Tribut. Hinter der Fassade ihres gemächlichen dahin gleitenden Alltags und ihren ausgelassenen Festen wurden sie von Geisterfurcht beherrscht. Denn allzu oft schienen die schädlichen Geister die hilfreichen zu übertrumpfen. Und es gab nichts und niemanden, bei dem sie Erleichterung oder Trost gefunden hätten. Seelische und geistige Störungen über kürzere Zeit oder auf Dauer waren daher nicht gerade selten. Manchmal entlud sich diese Geisterfurcht auch kollektiv in gefährlichen, gewalttätigen Explosionen. Unerklärliche plötzliche Todesfälle waren die häufigste Ursache dafür. Aber all diese Zusammenhänge wurden für Teresa und Gloria erst nach und nach ersichtlich. Während die Dorfbewohner die Angewohnheit hatten, in aller Frühe zu baden, stiegen ihre beiden Gäste stets zur Mittagszeit in die kühlenden Fluten. Dadurch blieben sie, von einigen Nachzüglern abgesehen, unter sich. Diese Stunde, wenn sie am Ufer des Flusses im Schatten mächtiger Bäume hockten, war ihnen zur wichtigsten und kostbarsten Zeit geworden. Sie studierten täglich ein Blatt des bereits verjährten Abreißkalenders. Er war von einer evangelischen Missionsgesellschaft in Druck gegeben worden und für Spanisch sprechende Kinder und Jugendliche bestimmt. Was die beiden nicht kannten, war der Weg dieses seltenen Objektes in das Dorf. Der Serrano-Händler betrieb natürlich nicht nur mit diesem Ort Handel, sondern hatte dem Fluss entlang eine ausgedehnte "Handelsroute". Auf einem seiner "Stützpunkte" hatte sich ein amerikanischer Missionar niedergelassen, der ihm sehr bald freundlich einige Traktate und Kalender in die Hand drückte. Mit heimlichem Widerwillen und einem kühlen "Gracias" hatte er das gutgemeinte Geschenk in seinem Kanu verstaut. Niemals hätte er sich vor dem Gringo anmerken lassen, dass er ein Analphabet war, der nur mit Mühe seinen Namen entziffern und zu Papier bringen konnte. Dazu war er zu stolz. Bei der nächsten Gelegenheit hatte er die unwillkommenen Gaben unter die Leute verteilt, denn sie im Fluss zu versenken, brachte er dann doch nicht fertig. Er hasste Verschwendung gleich welcher Art – was ihn später aus der Armut in einen bescheidenen Wohlstand retten sollte. Gloria entdeckte, dass die Bibelworte und kleinen Geschichten überwiegend aus den vier Evangelien stammten. Was aber waren die vier Evangelien? Gloria hatte nur sehr verschwommene Ahnungen darüber, dass es ein altes und ein neues Testament gab. Aber im Moment war es ihr egal. Sie setzte sich mit ihrem täglichen Blättchen auseinander und freute sich daran. Meist las sie es laut vor. Dann diskutierten Teresa und sie darüber. Und schließlich nahm es Teresa selbst zur Hand, um es noch einmal durchzulesen. Auf diese Weise legten sie Stein für Stein eine Art Mosaikbild von Señor Jesus zusammen, das sie noch neugieriger werden ließ, denn es war nur unvollständig. Señor Jesus wurde als der Sohn Gottes, und Gott als ein Gott der Liebe bezeichnet – was Teresa, dank ihrer eigenen Erfahrungen mit ihm, gerne glauben wollte. Sie lasen auch viel über das Gebet. Und Gloria schlug vor, mit Señor Jesus nicht nur in Notfällen ins Gespräch zu kommen. Stand denn da nicht auf ihrem heutigen Zettel, dass er jeden höre, der ihn anrufe? Teresa stimmte zu. Beide erkannten in Jesus einen persönlichen Gott, der sich jedem seiner Geschöpfe ganz zuwandte, das ihn ernstlich anrief. Andererseits beeindruckte sie die Größe und unbegrenzte Macht des Sohnes Gottes und seines Vaters, von der viele Bibelwörter auf den Blättchen kündeten. Teresa und Gloria wunderten sich allerdings darüber, warum dieser Allmächtige vielen seiner bösartigen, eigenwilligen Geschöpfe noch nicht den Hals lang gezogen hatte! Oder war Señor Jesus zu groß, um ihn und sein Tun begreifen zu können? So viele Fragen und keine Antworten! Sie mussten sich mit den fragmentarischen Bibelkenntnissen des Kalenders begnügen und waren sogar, angesichts ihrer Lage, noch sehr dankbar für das bisschen, das ihnen zur Verfügung stand. Nun hatten sie seit zwei Tagen einen Zaungast. Ein Mädchen mit einem rundlich-kindlichen Gesicht, auf dem meist ein scheues Lächeln lag, und einem fast erblühten Körper. Dass sie keinerlei Schmuck trug, bedeutete, dass sie noch nicht menstruiert hatte und daher noch nicht zu den Frauen zählte. Teresa schätzte sie etwa in Glorias Alter, aber in Wirklichkeit war das Mädchen erst elf. Meist stand sie vor der Kulisse des Urwaldes und beobachtete die beiden schüchtern, kam aber nie näher. Gloria gab ihr sogar einen Namen: Silvia – die Waldbewohnerin – schien ihr passend. Den Namen und seine Bedeutung kannte sie aus dem Namensgebungsbuch, das in Don Pedros Bibliothek stand und in dem sie oft und gerne geschmökert hatte. So ging das zwei Wochen lang. Jeden Tag war Silvia zur Stelle, um ihnen aus der Ferne zuzusehen. Da beschloss Gloria, etwas zu unternehmen und ging auf das Mädchen zu. Aus ihrem bisherigen scheuen Verhalten hatte sie geschlossen, dass es weglaufen würde. Doch weit gefehlt! Silvia stand da, als ob sie nur darauf gewartet hätte, dass Sonnenhaar zu ihr käme. Sie lächelte lieblich, redete sanft in ihrer wohltönenden Sprache auf Gloria ein und fuhr leicht mit ihren zierlichen braunen Fingern über deren weißen Arm. So, als ob es schon lange ihr Wunsch gewesen sei, dies zu tun. Unvermittelt ergriff Silvia die überraschte Gloria bei der Hand und zog sie mit sich in die Selva hinein. Teresa sah den beiden mit sehr gemischten Gefühlen nach. Die Konsequenzen dieser beginnenden Freundschaft waren noch nicht abzuschätzen. Oder war sie, was ihren Schützling betraf, zu vorsichtig? Zwischen den Mädchen begann eine merkwürdige Freundschaft. Sie blieb weitgehend wortlos in Ermangelung einer gemeinsamen Sprache. Dazu kam, dass Welten sie trennten. Sie waren auf ihre intuitiven Fähigkeiten und ihre Beobachtungsgabe angewiesen. Gloria hätte nie für möglich gehalten, dass man sich mit Mimik, Gesten und Körpersprache so ausdauernd "unterhalten" konnte. Silvia erschloss ihr die Tier- und Pflanzenwelt der Selva und machte sie auf Dinge aufmerksam, die ihre ungeübten Augen bisher nicht wahrgenommen hatten. Von da an setzte sich Silvia still zu ihrer neuen Freundin und Teresa, wenn diese ihr Diskussionsstündchen abhielten, wartete geduldig und nahm dann Sonnenhaar mit auf ihre kleinen Streifzüge. Teresa verlor darüber kein Wort und wartete ab. Unterdessen entwickelte sich das polygame Eheleben des Kaziken einem dramatischen Höhepunkt entgegen. Alles lief scheinbar wie sonst: Ehefrau Nr. 1 schwieg und schuftete, Ehefrau Nr. 2 keifte und stritt, Ehefrau Nr. 3 wehrte sich ab und an und schaukelte ausdauernd in ihrer sorgfältig geknüpften Hängematte. Doch dann kam der Moment, als die Dritte sich unmerklich zu ändern begann. Sie besuchte öfter und länger ihre Verwandten, gab der Zweiten weniger und weniger Widerworte und ihr Hängemattengeschaukel verlor an Gemächlichkeit. In ihre anmutig fließenden Bewegungen kam etwas Eckiges, Kantiges. Sie gab es auch auf, die Aufmerksamkeit des Kaziken erregen zu wollen, um von ihm ein Schäferstündchen zu ertrotzen. Überhaupt hatte sich der Häuptling nicht als der Liebhaber erwiesen, den die Brujo-Tochter sich erträumt hatte. Ihr Liebesleben war auf eine Formel zu bringen: zu selten und zu schnell. Ihren Sohn in den Armen wiegend, begann sie, dumpf vor sich hin zu brüten. Als erstes bemerkte Diegos Mutter, dass Gefahr in der Luft lag. Als die Zweite wieder einmal geräuschvoll ihrer Frustration Raum gab, denn für sie hatte es beispielsweise seit einem halben Jahr kein Liebesstündchen mehr gegeben, unterbrach die erste ihr Dauerschweigen. "Ach du, sei lieber still!", worauf die Zweite ihr Keifen tatsächlich einstellte, und eine Weile Ruhe herrschte. Aber schon am nächsten Tag geriet alles in Bewegung: Der Kazike hatte sich zornig auf einen Jagdausflug begeben, ohne eine der Ehefrauen zu beachten. Die Zweite schürte das Feuer unter dem Topf, in dem Affenragout brutzelte – die Hände des kleinen, zerlegten Affen hatten Gloria ein Schaudern über den Rücken gejagt, zu sehr glichen sie denen von Kindern. Kügelchen krabbelte heran, verlor das Gleichgewicht und streifte den Griff des Topfes mit seinem rundlichen Beinchen. Der Topf schwankte und die Frau konnte im letzten Moment gerade noch sein Umkippen verhindern. Augenblicklich geriet sie in Rage und beschimpfte Kügelchens junge Mutter. Diese erhob sich abrupt aus ihrer Hängematte und begann, sie – den brüllenden Sohn und die zornige Frau nicht beachtend – loszubinden. Bedächtig legte sie sie zusammen und hatte plötzlich ihre weichen graziösen Bewegungen wieder. Dann hob sie ihren Sohn auf, schwang ihn auf ihre Hüfte und kletterte, ohne ein Wort zu verlieren und ohne jemanden anzusehen, von der Plattform. In dem Urwaldhaus herrschte Totenstille – die junge Frau hatte sich soeben auf die übliche Art von ihrem Mann getrennt. Wer sollte das dem Kaziken erklären? Die Zweite begann zu wimmern. Der Mann würde doch sie für das Ganze verantwortlich machen! Sie rechnete sich bereits aus, wie viele Stück Feuerholz er auf ihrem nicht mehr jungen Körper zerschlagen würde. Oh, was für ein Elend! Sie war völlig abhängig von ihm. Sie hatte keine Eltern mehr und keine einflussreichen Brüder, die sie vor dem Zorn ihres Mannes hätten schützen können. Und was sollte werden, wenn er sie verstieß? Sie fühlte sich zu alt, um einen neuen Gatten für sich zu gewinnen. Ja, was für eine Not! Und sie konnte nichts tun, als abzuwarten! Der Kazike kehrte früher zurück als vorgesehen. Schon beim Betreten der Plattform bemerkte er das Fehlen der Dritten und ihrer Hängematte. Diegos Mutter gab ihm knappe Auskunft, ohne von dem Flechtwerk, das sie in der Hand hielt, aufzusehen. Ein Besuch bei dem Brujo verlief erfolglos. Seine Tochter war noch nicht einmal bereit, mit dem Kaziken zu reden. Dieser durchlebte die größte Niederlage seines Lebens, denn der Brujo dachte nicht daran, die junge Frau dahingehend zu beeinflussen, zu ihrem Mann zurückzukehren. Dem Kaziken selbst waren die Hände gebunden, angesichts des mächtigen Vaters seiner Verflossenen. Außerdem war keine Frau es wert, den Zorn des Geistermannes auf sich zu ziehen. Seine zitternde Zweite bemerkte er gar nicht .Drei Monate später verließ die Brujo-Tochter das Dorf, um mit dem Segen ihres Vaters in das Haus eines jungen vielversprechenden Jägers und Kriegers umzusiedeln. Als erste Ehefrau, versteht sich! Gloria bemerkte Diegos verändertes Verhalten. Der junge Mann wich ihr aus, unterhielt sich aber mit Teresa über sie – selbst wenn sie daneben saß. Gloria fand sich schwer damit ab, zwar das Gesprächsthema zu sein, aber ansonsten übergangen zu werden. Unter dem Vorwand, sein Spanisch aufbessern zu wollen, versuchte er, Teresa so viele Informationen wie möglich über sein heimlich begehrtes Sonnenhaar zu entlocken. Diese durchschaute natürlich die Sache und wies diskret darauf hin, dass Gloria noch ein Kind und keine Frau sei – was sich Diego kommentarlos anhörte. Leider konnte Teresa diese Behauptung nicht lange aufrechterhalten. Denn im vierten Monat ihres Aufenthaltes verzog das Mädchen, während eines täglichen Bades, das Gesicht, als ob es Zahnschmerzen hätte. Gloria entstieg dem Fluss, trocknete sich ab, zog sich an und hockte sich auf ein hellgrünes Stückchen Moos – ihren Lieblingsplatz. An die schuppige raue Rinde eines Baumes gelehnt, presste sie ihre linke Hand gegen den Unterleib, in dem ein ihr bisher unbekannter Schmerz wühlte. Natürlich dachte sie nicht an den natürlichsten aller Vorgänge, der sich bei jedem jungen Mädchen früher oder später einstellte, sondern schwelgte in der Vorstellung allerlei möglicher und unmöglicher Krankheiten. Denn gerade das Ungewohnte des Schmerzes erschreckte sie und machte sie unfähig, ihn richtig zu deuten. Silvia war ihr sofort nachgeeilt. Zart streichelte sie das bleiche Gesicht ihrer Freundin und sah sie fragend an. Diese schüttelte nur ratlos den Kopf. Nun beeilte sich auch Teresa, zu den Mädchen zu gelangen. Nass und schwer fiel ihr das ungeflochtene Haar über den Rücken.Sie kniete hastig neben Gloria nieder, auf deren Kinderstirn sich kleine Schweißtropfen sammelten. "Por Dios! Was ist mit dir los? Du wirst doch nicht krank werden!", rief sie beunruhigt. "Hast du Schmerzen? Nun rede schon!" "Ja, und ich glaube, jetzt blute ich auch schon!", stammelte das Mädchen verängstigt. In Teresas dunkle Augen trat wissendes Verstehen. "Ach du Schäfchen, hat deine Mama dir denn nie erklärt, dass du ein wenig bluten wirst, wenn du aufhörst ein Kind zu sein?" Gloria starrte sie unsicher an. "Du meinst, ich menstruiere?", flüsterte sie so geniert, dass Teresa sie mitleidig und liebevoll in die Arme nahm. "Aber ja. Das ist normal und wird von jetzt an jeden Monat so sein. Außerdem könntest du nun Mutter werden", sie stockte, erinnerte sich an etwas. Gloria würde nun als "reif" gelten! Der "Kinderschutz" fiel weg! Oijoijoi, Diego würde sich freuen! Anfangs hatte sie das Mädchen wie eine Inkaprinzessin hüten können. Das hieß vierundzwanzig Stunden am Tag. Aber die Freundschaft mit der lieblichen Silvia hatte diesem unsichtbaren Schutzkäfig eine offene Tür verliehen. Gloria war durch die Streifzüge mit dem Selvamädchen Teresas Aufsicht täglich mehrere Stunden entzogen. Was war, wenn der kraftvolle, verliebte Diego irgendwo in der Selva den Weg der Mädchen kreuzte und Gloria beiseite zog? Würde sie sich überhaupt wehren? Fing sie denn nicht bereits an, das Leben ihrer Gastgeber als ihre eigene Normalität zu empfinden – in jeder Hinsicht? In Teresas Magengegend machte sich ein flaues Gefühl breit. Dass ihr Schützling nun auch noch über die Fähigkeit verfügte, ein Kind zu bekommen, erleichterte diese heikle Situation nicht gerade! Mit einem Seitenblick auf die immer noch fragend dreinblickende Silvia, begann sie eindringlich auf Gloria einzureden. "Hör mal, meine Süße, es ist besser für uns alle, wenn von deinem neuen Zustand niemand etwas erfährt. Ich hoffe nur, dass deine kleine Freundin nicht mitbekommen hat, was los ist!" Doch Teresas Hoffnung erwies sich als trügerisch, denn Silvia klatschte plötzlich lachend in die Hände, sprang auf und lief zu dem Haus ihrer Eltern. Fast ebenso rasch kam sie zurück. Eifrig auf Gloria einredend, hängte sie ihr eine Kette lindgrüner Glasperlen um den Hals. Sie hatte also sehr wohl begriffen, was da mit ihrer Freundin Sonnenhaar vor sich ging, und ihr den Frauenschmuck geschenkt, der eigentlich für sie selbst bereit lag. Teresa seufzte resignierend. Es war sinnlos, irgendetwas verbergen zu wollen. Sie konnte Gloria nur noch Señor Jesus anempfehlen. Hoffentlich fühlte er sich auch für solche Dinge zuständig! Doch merkwürdig, als Teresa das Mädchen ganz bewußt an ihn abgab, fühlte sie sich von einer Last befreit und besaß die innere Gewissheit, dass ihr neuer Schutzgott ihre Bitte angenommen hatte. Als sie zu dem Dorf zurückgingen, bemerkte natürlich jeder die grünliche Kette. Verstohlene Blicke und heftige Scherzworte flogen zu ihnen herüber. Sie verstanden glücklicherweise nichts, jedoch Silvia lachte und lachte – mit tomatenrotem Gesicht. Nach acht Tagen trat das gleiche Ereignis bei ihr selbst ein. Für drei Tage und Nächte wurde das Selvamädchen abgesondert. Diese Zeit hockte sie in einer winzigen Hütte am Dorfrand, flankiert von ihrer Mutter und deren Schwester, die sie über ihre Pflichten und Rechte als Frau aufklärten. Der Absonderung folgte ein Fest. Große Mengen Fleisch, Maniok, Süßkartoffeln und Früchte wurden gegart. Männer und Frauen kämmten und striegelten ihr langes blauschwarzes Haar bis es spiegelgleich glänzte. Die Kinder sahen den Festvorbereitungen aufgeregt mit großen Augen zu. Manches Gesicht wurde mit Mustern aus roter Farbe verziert. Gloria beobachtete eine Gruppe von Frauen – unter ihnen auch Diegos Mutter -, die um einen Holztrog herum saßen, ausgiebig Maniokstücke kauten und das Ganze in den Trog spuckten. "Was tun sie denn da, Teresa?" "Sie machen Spuckbier!" "Du wirst doch nicht behaupten wollen, dass sie das trinken werden!" "Aber sicher, meine Süße, sie werden es sogar sehr genießen!" Als das Spuckbier ausgegoren war, wurde endlich gefeiert. Tanz folgte auf Tanz, Gesang auf Gesang. Reden wurden gehalten, Geschichten und Legenden erzählt. Das Spuckbier floss in Strömen. Und über die gesamte Feiergesellschaft legte sich trunkene Benommenheit. Die Leute aßen sich wahre Kugelbäuche an. Teresa und Gloria zogen sich bald in ihre Hängematten zurück. Und es dauerte noch lange, ehe die übrigen Hausbewohner auf die Plattform polterten. Einige schafften es nicht einmal, sich in ihre Hängematten zu ziehen. Trunken kichernd blieben sie am Boden liegen. Aber nach einem verkaterten Morgen ging alles seinen gewohnten Gang. Kurz darauf blühte Silvia unter den unermüdlichen Liebesbemühungen ihres ersten Liebhabers voll auf. Doch sie war genauso viel wie vorher mit Sonnenhaar zusammen, die der Veränderung ihrer Freundin teilnahmsvoll und interessiert zusah. Doch dann setzten eine Reihe tragischer Ereignisse ein, die Gloria und Teresa in höchste Gefahr bringen sollten. Alles begann damit, dass sich die hochschwangere Schwägerin des Kaziken, die Frau seines Bruders, hinlegte, um zu gebären. Ihr von Wehen gequälter Leib zeigte einen ungewöhnlichen Umfang. Die Männer verließen die Plattform und gesellten sich zu Freunden, während Diegos Mutter und die zweite Ehefrau eine Matte ausbreiteten, auf die sich die Kreischende hockte. Teresa und Gloria waren erst unschlüssig, wie sie sich verhalten sollten, denn es beachtete sie niemand und keiner sagte, was sie zu tun oder zu lassen hätten. Sie begaben sich schließlich zu ihrem Lieblingsplatz am Fluss. Silvia gesellte sich zu ihnen. Es dauerte keine zwei Stunden, und die schwache Stimme eines Neugeborenen erfüllte quäkend die Luft. "Es ist Zeit zu kochen", stellte Teresa fest, "Silvia kann ruhig mit uns essen." Gloria stellte dem Selvamädchen pantomimisch die Einladung dar, die diese hocherfreut annahm. Als sie später durch das Dorf schlenderten, bemerkte Teresa als erste die Bedrückung, die sich atmosphärisch ausgebreitet hatte. Und das nach einer Geburt? Irgendetwas stimmte nicht! Seit ihrer Ankunft waren zwei Kinder zur Welt gekommen und von allen Stammesleuten freudig begrüßt worden: "Seht, ein kleiner Jäger! Er wird dafür sorgen, dass unsere Töpfe nie leer stehen werden!" - oder: "Seht, eine kleine Frau! Stark ist sie, kräftig genug um viele Söhne und Töchter unserem Volk zu schenken! Und schön wird sie sein, so dass sie die Stärksten begehren werden. Lasst uns feiern!" Ja, Teresa bemerkte wohl, dass niemand lachte, sang und zu dem Kazikenhaus hin Komplimente machte – um des Kindes willen, das eben geboren worden war. Gloria ging zu der Mutter, die man in ihre Hängematte gebettet hatte, und stieß einen entzückten Schrei aus. "Teresa sieh mal! Es sind Zwillinge! Zwei süße Bübchen!" Auch Teresa betrachtete die Kleinen, während die Mutter mit einem vollkommen freudlosen, leeren Blick durch die beiden Fremden hindurch sah. "Du, die freut sich überhaupt nicht, aber warum denn?" "Ich weiß es nicht, meine Süße. Leider können wir sie ja nicht fragen. Komm, wir gehen baden!" Nach der nassen, kühlen Erfrischung lasen sie ihr Kalenderblatt, das ihnen bezeugte, dass Jesus, der Sohn des einzigen lebendigen Gottes, den Tod überwunden und besiegt hatte für alle, die ihm vertrauten. Es entspann sich ein ernstes Gespräch, indem sie herausfinden wollten, ob dieses ewige Leben auch ihrer harrte. Hatten sie denn nicht beide Señor Jesus ihr Vertrauen geschenkt? Teresa war da nicht ganz so sicher. In den vorigen Blättern war etliches über Sünden und ihre Vergebung durch Gott zu lesen gewesen. Aber wie erreichte man diese Vergebung des Allmächtigen? Waren da Opfer oder Versprechen nötig, um ihn dazu zu bewegen? "Nein", sagte Gloria, "ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass die Vergebung etwas mit Señor Jesus zu tun hat. Aber wie und was? Oh, ich weiß es nicht." Da schlug Teresa überraschenderweise vor, doch einmal zusammen zu beten. Als die beiden die Hände falteten, sah ihnen Silvia neugierig zu. Teresa bat um Schutz für sie und darum, dass der Serranohändler auch wirklich vor der Regenzeit erscheine und sie und ihre geliebte Gloria nach Hause zu Don Pedro – und wer weiß – hoffentlich auch zu Dona Isabella bringe. Glorias Gebet wies inhaltlich das Gleiche auf. Silvia fühlte, dass nun Sonnenhaar wieder für sie frei war und erhob sich. Als die Mädchen sie verließen, blieb Teresa bewegt zurück. Es war ihr, als ob sie eben ihren ersten wirklichen Gottesdienst erlebt hatte. Wie anders war doch derselbe in ihrer Kindheit abgelaufen! So etwa einmal im Jahr hatte sich ein katholischer Priester in ihr abgelegenes Dorf bemüht, um eine Messe zu lesen. Die Sache hatte nur einen Haken: Der Priester hielt seinen Gottesdienst im schönsten Spanisch ab vor einer Gemeinde, die zu über achtzig Prozent nur ihr herkömmliches Quechua sprach und verstand! Der Inhalt der Glaubenslehre, die der Priester vertrat, war ihnen verborgen geblieben. Teresa ging schließlich zu dem Kazikenhaus und wurde Zeugin einer merkwürdigen Szene. Die Mutter hielt den kleineren ihrer neugeborenen Söhne fest und steif an sich gepresst. Kein Laut war von ihr zu hören, aber ihre Tränen fielen auf das winzige Gesicht des hungrig schreienden Säuglings. Vor den beiden kniete der Ehemann der Frau. Am Rande der Plattform stand wartend der Brujo. Der Vater nahm den Knaben mit sanfter Gewalt aus den Armen der Mutter, die sich, als die beiden Männer mit dem Kind das Haus verließen, in ihrer Hängematte mit dem Gesicht zur Wand drehte und den restlichen Tag in dieser Haltung verharrte. Die quäkende Stimme erklang ferner und ferner, und Teresa blieb mit bösen Ahnungen zurück. Der Vater und der Brujo indes gingen ein Stück in die Selva hinein, um ihre Pflicht dem Dorf gegenüber zu erfüllen. Denn in ihrer Glaubensvorstellung war das schwächere Kind eines Zwillingspärchens stets ein "Geisterkind", welches nur mit auf die Welt gekommen war, um dem stärkeren Geschwisterchen das Leben abzusaugen und es zu töten. Diese Vorstellung war ohne Zweifel dadurch entstanden, dass viele Frauen nicht genügend Milch für zwei Säuglinge hatten, und wenn sie die beiden nährten, auch beide vor sich hin hungerten, bis sie starben. Diese abergläubischen Menschen sahen dahinter das dämonische Spiel einer übelwollenden Geisterwelt. Und so beförderten sie die vermeintlichen "Geisterkinder", sowie auch entstellte, verkrüppelte Säuglinge in das Jenseits zurück, woher sie gekommen waren. Wenn der Mutter – ähnlich der bedauernswerten Zwillingsmutter – die Kraft fehlte, musste eben der Vater diese Gemeinschaftspflicht übernehmen und den "Geistersäugling" beiseite schaffen. Die Männer hielten auf einer kleinen Lichtung an, die sie für ihr Vorhaben als geeignet empfanden. Ein böser Zufall wollte es, dass Silvia und Gloria bei der Beobachtung eines besonders bunten Papageis in der Nähe verweilten. Silvia hatte mit dem Instinkt und dem geschärften Gehör des Naturkindes das Kommen der Männer wahrgenommen. Schließlich waren sie in Sichtweite. Silvia bedeutete Gloria mit eindringlichen Gesten, nur ja ruhig zu sein und bekam vor Aufregung rote Flecken im Gesicht und am Hals angesichts dessen, was sich da vor ihren Augen abspielte. Auch Gloria starrte zutiefst erschrocken auf die Lichtung. Der Vater legte dem Schreikind seine große, harte Hand über Mund und Nase. Die Ärmchen und Beinchen zappelten heftig, bis sie erschlafften. Danach wickelte der Mann den erstickten Säugling in einen abgelegten Wickelrock der Mutter, sorgsam darauf achtend, dass vor allem das bläulich angelaufene Köpfchen von dem Stoff verhüllt wurde. Denn man musste in jedem Fall verhindern, dass der Geist etwas "sah" und den Weg in die Welt der Lebendigen zurückfand, um sich zu rächen. Sehr schnell war der winzige Leichnam verscharrt und die Erde über ihm fest gestampft. Die ganze Handlung hatte der Brujo mit traurig-monotonen Gesängen begleitet. Rasch verließen die Männer den unseligen Ort. Die Mädchen blieben – zu ihrem Glück – unbemerkt. Das schockierende Erlebnis einer Kindestötung löste bei Gloria eine Art seelischen Erdrutsch aus. Mit letzter Kraft schleppte sie sich, die auf sie einredende Silvia ignorierend, ins Dorf zurück. Zitternd und von Weinkrämpfen geschüttelt, brach sie in Teresas Armen zusammen. Diese zwang sich, ruhig zu bleiben und ließ sie weinen. Auf das, was das Mädchen stammelnd hervor stieß, hatte sie sich schnell einen Reim gemacht. Ihre böse Ahnung hatte sich bewahrheitet. Aus dem Säugling war ein Engel geworden. In der Welt, aus der Teresa stammte, war das eine gängige, von der Kirche in die Welt gesetzte, Redensart gewesen. Wenn Leute davon sprachen, dass ein Kind ein Engel geworden sei, bedeutete das immer, dass es gestorben war. Und in dem Dorf der Chuno-Esser hatte sich fast jedes zweite Kind in einen Engel verwandelt. Sie sorgte dafür, dass sich Gloria in die Hängematte legte und deckte sie mit den beiden frisch gewaschenen Ponchos zu. Wortlos streichelte sie die feuchten Hände des Mädchens, bis es nach einigen schwächer werdenden Schluchzern in einen tiefen Schlaf fiel. Am nächsten Morgen erwachte Gloria mit verdüstertem Gesicht. Und Teresa entging es nicht, dass sie ihre Gastgeber mit kaum verhohlenem Abscheu betrachtete. Diese Wilden und ihre widerwärtigen Sitten! stand in ihren blauen Augen geschrieben. Und Teresa konnte es bis zu einem gewissen Grade sogar verstehen. Wenn Diego sich an ihr Feuer setzte, zog sie sich demonstrativ zurück und auch Silvia ging sie geschickt aus dem Weg. Das Selvamädchen beobachtete sie traurig und verständnislos aus der Ferne. Was hatte sie denn Sonnenhaar getan? Die folgenden Tage wich Teresa nicht von Glorias Seite. Geduldig wartete sie ab, bis Gloria von selbst auf das Drama in der Selva zu sprechen kam. Stundenlang half sie dem Mädchen, sich damit auseinanderzusetzen. Auf diese Weise fand es sein seelisches Gleichgewicht wieder. Gloria fing langsam an zu begreifen, dass die Männer nach ihrer Vorstellung nicht anders hatten handeln können. Teresa unterstützte diese Gedankengänge noch, indem sie Gloria deutlich machte, dass einer der Kleinen – mangelnder Milch wegen – in jedem Fall gestorben wäre. Schließlich kam der Tag, an dem Gloria aufhörte, um des getöteten Säuglings willen seine Stammesgenossen zu hassen, und eine brüchige Normalität stellte sich wieder ein. Als ob Silvia diese Wandlung gefühlt hätte, suchte sie zaghaft Sonnenhaars Nähe. Auf ihrem ersten Streifzug – um den Ort der bösen Tat machten sie allerdings von nun an immer einen großen Bogen – trafen sie Diego. Als sie in einem kleinen flachen Flussarm wateten, um die wendigen Fische zu beobachten, stand der junge Mann – wie aus dem Nichts aufgetaucht – am Ufer. Silvia rief ihm lachend etwas zu. Doch er hatte nur Augen für Sonnenhaar. Er ging auf die Mädchen zu. Silvia wusste nicht recht, was sie tun sollte. Diego würdigte sie keines Blickes, aber Gloria umklammerte Silvias Arm, als ob sie sich fürchtete. So blieb dem Selvamädchen nichts anders übrig, als stehenzubleiben und interessiert zuzusehen, was sich zwischen den beiden anderen abspielte. Mit zitternden Fingern berührte der Jüngling Glorias Goldhaar, die seinem Blick hartnäckig standhielt und ihn nicht senkte. In diesem Moment schien sie ihm das Schönste, was ihm je vor Augen gekommen war. Aber es war ihm nicht vergönnt, auch nur diesen Augenblick unbeschwert zu genießen, denn jetzt trat die Erinnerung an einige wenige Altersgenossen in sein Bewusstsein. Die Burschen hatten ihn derb mit seiner Zuneigung zu Sonnenhaar, die ihnen nicht verborgen geblieben war, aufgezogen. Was er an diesem ausgebleichten Etwas finde, ob seine Tätigkeit nun im Kinderhüten bestehe? Diego war dem Geläster zornig schweigend entflohen. Aber heimzahlen würde er es den Dreien, wenn sich die Gelegenheit ergab! Das war der Kazikensohn seiner Selbstachtung schuldig. "Diese Narren!", dachte er bei sich. Sie waren zu beschränkt, um zu erkennen, welche Schönheit auch in Haaren gleich der Sonne, blauen Augen und heller Haut lag. Ja, sie waren sogar so dumm, dass sie nicht einmal wussten, dass Schönheit sich in vielen Gestalten zeigte! Seine Finger wanderten abwärts, legten sich auf die weiche, weiße Schulter des Mädchens. Silvia erkannte, wie Sonnenhaar eine Gänsehaut bekam, ihre Augen ganz groß und rund wurden, und wie sie Diegos Hand mit einer heftigen Bewegung abschüttelte, um auf dem ihr inzwischen vertrauten Pfad Richtung Dorf zu rennen. Der Bursche sah Silvia an, als ob er aus einem Traum erwachte, der ihn gefangen gehalten hatte. Eine Mischung aus Schmerz und Zorn trat blitzend in seine Augen. Aufgeschreckt sprang Silvia behände aus dem Wasser ans Ufer und folgte ihrer Freundin. Diego blieb unglücklich und unzufrieden zurück. Der Gesang seines Herzens hatte bei Sonnenhaar kein Echo gefunden. Der Serrano würde kommen, und er würde sie nie wiedersehen. Schließlich begann er darüber nachzusinnen, ob sich das nicht ändern ließe! Aufgewühlt flüchtete Gloria zu ihrem Lieblingsplatz, dankbar, Teresa nicht anzutreffen. Sie musste jetzt alleine sein. Niemals hätte sie für möglich gehalten, dass die leichte, sachte Berührung männlicher Finger solche Empfindungen freisetzen konnte! Dieses Wissen darum wurde zu einem Tor, durch das Gloria aus einer abgerundeten Kindheit in eine neue Welt trat. Aber Teresa erfuhr von diesen Vorgängen nichts! Die Zwillingsgeburt war erst der Anfang einer Unglücksserie gewesen. In den folgenden vier Wochen starb ein kleines Mädchen an den Folgen eines Schlangenbisses. Der Brujo hatte sein Bestes getan – und er verfügte über eine umfangreiche Kenntnis der Naturheilmittel – aber die Kleine war zu spät in seine Behandlung gelangt und unter Krämpfen gestorben. Dann waren zwei junge Männer mit dem Kanu in der Mitte des Flusses umgekippt und – obwohl sichere Schwimmer – ertrunken. Da fingen die Leute an, nach den spirituellen Hintergründen zu fragen: Wer oder was hatte welchen Geist verärgert? Was sich nebelhaft zu Gedanken des Verdachtes in den Köpfen verdichtet hatte, wurde schließlich ausgesprochen. Erst leise, dann lauter – die Jagd auf den Sündenbock war freigegeben. War die alte Mutter des Soundso nicht schon immer ein böses Weib gewesen? - Und hatte der halbblinde Cousin des Brujo nicht einen besonders stechenden Blick? - Und nicht zu vergessen – die beiden Frauen! Die Serrana und das Sonnenhaar. War denn ein Wesen von solchem Aussehen überhaupt ein Mensch? Wer auch immer der Unglücksbringer war, jeder fürchtete sich, er oder seine Nächsten könnten sein nächstes Opfer werden. Eine gefährliche Hysterie begann aufzukeimen. Der Kazike und – zur Überraschung vieler – auch der Brujo hielten sich mit Aussagen und Schuldzuweisungen zurück. Teresa und Gloria entgingen diese Stimmungen nicht. Und besonders Teresa betete darum, dass sie bald verschwinden sollten. Denn tief in ihrem Gedächtnis steckten die Erzählungen aus ihrer Kindheit, in denen Fremdlinge, aber auch Stammesgenossen unter den tödlich geführten Machetenhieben abergläubischer Selvabewohner ihr Leben ausgehaucht hatten. Bedrückung und Misstrauen zog in jedes Haus ein. Teresa und Gloria verließen ihren Platz in dem Kazikenhaus nur noch so selten als möglich. Denn viele Augen betrachteten sie feindselig. Es waren vor allem die Augen derjenigen, die schon vorher den Gästen wenig wohlgesonnen gewesen waren. Und diese waren es auch, die der Schuldzuweisung eine bestimmte Richtung gaben. Und sie handelten dabei nicht anders als all die Menschen in der übrigen Welt: Ehe man auf Stammesgenossen zurückgriff, wurden verfügbare Fremde zu Sündenböcken erklärt. Der Kazike machte den allzu Eifrigen klar, dass die beiden unter seinem Schutz ständen, aber er wusste, dass seine Macht begrenzt war. Der letzte Entschluss lag immer bei allen Erwachsenen des Dorfes – Demokratie im Selvastil. Despoten blieb kaum eine Chance. Teresa und Gloria verbrachten eine Reihe von Tagen wortkarg und in großer Bedrückung. Es war schlimm, das Objekt spürbarer Anfeindung zu sein, aber nicht zu wissen, warum und wieso. Nur der Kazike selbst, Diego, seine Mutter und die liebliche Silvia blieben unverändert freundlich und wohlgesonnen. Silvia besuchte sie nun täglich in dem Haus, da sie nicht mehr zum Fluss gingen. Ihre vorsichtige Mutter hatte sie davon abhalten wollen, aber Silvia hatte nicht auf sie gehört und stand zu ihrer Freundin Sonnenhaar. Die Mutter unternahm nichts weiter, um die Tochter abzuhalten. Sie hatte sich so entschieden – ihr Wille wurde akzeptiert. Teresa und Gloria setzten sich intensiver denn je mit ihrem Kalenderblättchen auseinander; des Nachts wurde Gloria von Alpträumen heimgesucht. Zu viel Erschreckendes hatte sich in den letzten Monaten in ihrem Leben abgespielt. Sie begann, fast ununterbrochen an ihre Mutter und Abuelito zu denken. Vielleicht deswegen, weil diese beiden stets Sicherheit und Geborgenheit für sie bedeutet hatten. Außerdem klammerte sie sich an Teresa – ihren letzten menschlichen Halt in dieser Krise. Als sie an einem dieser trübseligen Morgen erwachten, spürten sie beide, dass etwas Entscheidendes bevorstand. Mit Mühe würgten sie ein bisschen Obst hinunter. Teresa griff sofort zu dem heute fälligen Kalenderblatt. "In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!" Dieser Vers aus dem Johannesevangelium stand darauf geschrieben. Gloria riss das Blatt ab, faltete es zusammen und behielt es bei sich. Ein kleiner Trost, aber immerhin ein Trost! Das Dorf, in das sie von hier aus sehen konnten, schien ihnen seltsam leer. Die Frauen und Kinder bewegten sich gleich Gestalten eines Schattenspieles in dem Halbdunkel ihrer Häuser – unerreichbar fern. Die unerklärliche Spannung wuchs, übertrug sich sogar auf Diegos unerschütterliche Mutter. Diego selbst stellte sich vor das Haus, mit dem Rücken an die Plattform gelehnt – als ob er etwas Bestimmtes erwartete. Da kamen sie, die Männer des Dorfes – aufgeteilt in zwei Reihen. Zwischen den Häusern, auf dem großen sonnenbeschienenen Platz, stellten sich die beiden Gruppen gegenüber. Jeder bei seinen Nebenmännern rechts und links eingehakt. Alle trugen einen breiten roten Strich quer über das Gesicht. Sie begannen zu tanzen – drei Schritte vor, drei Schritte zurück, drei Schritte vor, drei Schritte zurück. Ihr Gesang, rau und eintönig, hallte durch das Dorf und erfüllte die lauschenden Frauen und Kinder mit Furcht. Da trat die Hauptperson des Vorgangs auf den Plan: der Brujo – als einziger das ganze Gesicht rot bemalt. Mit staksigen Bewegungen wankte er zwischen den vor- und zurück wogenden Reihen brauner schweißglänzender Leiber hindurch. Endlich hatte sich der Geistermann – auf das Drängen vieler hin – bereitgefunden, seine anstrengende Reise in die Geisterwelt anzutreten. Seine unbeholfenen Bewegungen rührten von pflanzlichen Drogen her, die er genau dosiert eingenommen hatte. - Gerade genug, um sich eine gewisse Handlungsfähigkeit zu erhalten, aber gleichzeitig sein Bewusstsein herabzusetzen. Die Drogen sollten ihm zu einer schnellen und tiefen Trance verhelfen. Auf unsicheren Beinen begann er, auf die gleiche Weise wie die Männer, zu tanzen. Sowohl Teresa als auch Gloria ging ein Licht auf in Bezug auf das, was sich da abspielte. Gloria fühlte ihr Herz heftig pochen. Ihr wurde so übel, dass sie sich unfähig fühlte, sich auch nur zu erheben. Teresa griff nach ihrer Hand und hielt sie fest an der ihren. Gloria fühlte, dass es dieser nicht besser ging als ihr selbst. Teresa wurde von bestimmten Vorstellungen überrannt: Was würde diese Geistersitzung für sie bringen? Aussetzen in der Selva? Tödliche Machetenhiebe oder Ertränken im Fluss? Und sie flehte in ihrem Innern zu ihrem neuen Schutzgott – Señor Jesus. Gloria entfaltete den Zettel und las sich mit zitternden Lippen immer wieder den Vers aus dem Johannesevangelium halblaut vor. Als ob in dieser, von unerträglicher Spannung diktierten Handlung ihre Rettung läge: "In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!" Das Stampfen der Männerbeine wurde schneller und heftiger. Staubwolken wirbelten auf. Der Gesang schwoll an. Der Brujo sank zuckend zu Boden, wo er sich stöhnend, aber wortlos wand. Die Labilsten unter den tanzenden Männern versanken in eine ähnliche, aber weniger tiefe Trance wie der Brujo, doch die Reihen blieben geschlossen, denn die in Trance Geratenen wurden von ihren Nebenmännern einfach mit vor- und zurück geschleift. Da stieß der Brujo einen durchdringenden Schrei aus, sank in sich zusammen und blieb ruhig – gleich einem Toten – liegen. Zwei Männer eilten sofort zu ihm, um ihm zu helfen, das Bewusstsein wieder zu erlangen. Sie richteten ihn auf und schlugen ihm kräftig mit der flachen Hand auf die bemalten Wangen. Fast zögernd kehrte der auf diese Weise Behandelte in das Leben zurück, öffnete die Augen und begann leise zu sprechen. Die magischen Reihen der Tanzenden lösten sich fast augenblicklich auf. Die Männer ließen sich einfach da zu Boden sinken, wo sie gerade standen. Völlig erschöpft. Der Brujo befahl den beiden Männern, die ihn betreuten, ihn vor das Haus des Kaziken zu tragen. Diego, der die ganze Zeit über nicht von seinem Platz gewichen war, griff vorsorglich nach der Machete,die er hinter sich auf die Plattform gelegt hatte. Niemand sollte sich unterstehen, Sonnenhaar ein Haar zu krümmen. Der Brujo jedoch beachtete den – einem Jaguar gleich – auf der Lauer liegenden Burschen gar nicht. Er hielt eine freundlich klingende Rede. Das Gesicht des lauschenden Kaziken erhellte sich erleichtert. Diego legte langsam die Machete zurück, wandte sich um, um notdürftig zu dolmetschen, und Teresa und Gloria hörten ihm mit wachsendem Erstaunen zu: "Brujo machen Reise zu Geistern. Dort er treffen euren Gott. Der Gott ist stärker als alle Götter, die er je treffen. Brujo sagen, der Gott haben Wunden in Hände. Er mit ihm sprechen. Sagen zu Brujo, dass er euch schützen. Brujo versprechen ihn, wir euch nichts tun. Er so stark, so groß, Brujo fürchten ihn." Diego stockte. Teresa und Gloria starrten sich mit offenem Mund an. Es war unfassbar! Sie waren gerettet! Natürlich hatten sie sofort begriffen, um wen es sich bei dem Gott mit den Wunden in den Händen handelte: Señor Jesus, der doch ans Kreuz genagelt, gestorben und auferstanden war, - und der nun so sichtlich eingegriffen hatte, um sie zu erretten. Gloria senkte den Kopf und begann, vor Erleichterung zu weinen. Der Brujo nickte ihnen freundlich zu und ließ sich zu seinem Haus tragen. Die Krise war vorüber. Aber die beiden Davongekommenen erwarteten sehnsüchtiger und ungeduldiger als je zuvor die Ankunft des Serranohändlers. Ihr Heimweh hatte sich durch die bedrohlichen Vorfälle ins Unermessliche gesteigert. Dem Kaziken war übrigens nicht entgangen, wie Diego nach der Machete gegriffen hatte, als der Brujo sich vor sein Haus tragen ließ. Besorgnis erfüllte ihn stets von neuem, wenn er sich der Szenerie erinnerte. Sein Sohn hätte tatsächlich das eigene Leben riskiert und die Machete gegen die Stammesgenossen geschwungen, um Sonnenhaar zu schützen! Was für eine Art von Zuneigung war denn das, die er für dieses fremde Wesen hegte? Wusste er denn nicht, dass Sonnenhaar in jedem Fall in ihre Welt zurückkehren würde? "Viele Kinder, viele Sorgen", dachte der Kazike bei sich und wusste nicht weiter. Aber er beschloss, seinen Ältesten im Auge zu behalten. Unliebsame Zwischenfälle mussten vermieden werden! Der Brujo dagegen war mit einer ganz anderen Sache beschäftigt. Er kam über die Begegnung mit dem fremden Gott, welcher sich ihm auf seiner Trancereise in die Geisterwelt in den Weg gestellt hatte, nicht hinweg. Was für eine Allmacht war von seiner Gestalt ausgegangen! Und wieviel Freundlichkeit war in dieser Allmacht gelegen! Denn die kraftvolle Autorität, durchsetzt mit Sanftheit, die in seiner Stimme mitschwang, als er zu ihm, dem Brujo, gesprochen hatte, um ihn zu warnen. Trotz der Wunden in den Händen – ein Sieger! Erfüllt von bisher unbekannter Scham erinnerte sich der Brujo auch seiner eigenen Rolle bei dieser Begegnung: In ein Nichts hatte er sich verwandelt vor dem hoheitsvollen, wissenden und doch liebevollen Blick dieses Gottes. Und – als er ihn berühren wollte – wusste er, dass ihn alles, was er an Schlechtem getan hatte, schmerzlich von diesem Gott trennte. Sein eigener lauter Schrei hatte ihn aus der Trance ins Bewusstsein zurück katapultiert. Aber die Begegnung war ihm vollständig im Gedächtnis haften geblieben und ihn quälte das Bedürfnis, mehr über diesen Gott zu erfahren. Nach einigen Tagen besuchte er am Abend den Kaziken. Geschickt verstand es der Geistermann, an dem Feuer der beiden Gäste zu landen und Diego als Dolmetscher in das ersehnte Gespräch einzuspannen. Von Gloria und Teresa erfuhr er, dass es nur einen Gott gäbe und dass der, dem er begegnet sei, der einzige Sohn dieses Gottes wäre. Sein Name? - Jesus. Der Brujo prägte sich den Namen ein und verabschiedete sich rasch mit der geheimen Hoffnung, irgendwann noch mehr über den Gottessohn zu erfahren. Teresa und Gloria wurden von nervöser Unruhe gepackt, denn die Regenzeit rückte näher und näher – aber von dem Händler war noch keine Spur. Gloria fragte sich insgeheim, was sie zu Hause vorfinden würde, wenn sie hier wegkommen sollten. Lebten Mama und Abuelito noch? Und was sollte aus ihr werden, wenn nein? Auf diese Weise beschwerten allerlei bange, nicht zu beantwortende Fragen ihr Gemüt. Und dann, überraschend für alle, legte in der Abenddämmerung ein schwer beladenes Kanu an. Die Dorfbewohner versammelten sich an der Anlegestelle. Teresa und Gloria hatten den Menschen, die plötzlich in eine bestimmte Richtung liefen, verständnislos hinterher gesehen, bis Teresa heiser hervor stieß: "Das ist er!" "Wer?" "Der Händler, meine Süße. Oder hast du je solch einen Tumult erlebt, wenn ein Verwandter angekommen ist?" Im Nu waren sie den anderen gefolgt. Tatsächlich! Ein kleiner stämmiger Serrano beugte sich über das Kanu, um es auszuladen. Alle Augen waren auf die Kisten gerichtet, die sich am Ufer zu stapeln begannen. Teresa schob sich durch die Menschenmenge, bis sie neben dem Händler stand, der sich überrascht aufrichtete, als sie ihn auf Quechua ansprach. Seine Überraschung steigerte sich noch, als er Gloria erblickte. Gerne ließ er sich die ganze Geschichte erzählen. Und sie verwunderte ihn nicht einmal, denn er hatte auf seinen ausgedehnten Reisen zu viel gehört und gesehen. Er erklärte sich sofort bereit, sich mit Señor de la Cruz in Verbindung zu setzen. Drei Tage blieb er im Dorf und wickelte seine Tauschgeschäfte ab. Gloria lag ihm in den Ohren, sie ja nicht zu vergessen. "Señorita, ich habe es versprochen!", knurrte der Mann, schließlich ungeduldig werdend. Als der Händler abgefahren war, brachte das Mädchen vor Aufregung kaum einen Bissen hinunter. Teresa zeigte sich abgeklärter, aber auch sie bangte. Jeder der folgenden Tage dehnte sich endlos in ihrem fieberhaften Warten – eine Woche, acht, neun, zehn Tage. Und da war es! Das Geräusch, das die Selvabewohner in helle Aufregung versetzte. Erst gleich dem Surren Tausender lärmender Insekten, schließlich erkennbar als Geräusch eines nahenden Flugzeuges. Die Leute flüchteten in den Wald. Nur Teresa und Gloria blieben, wo sie waren. Gleich einem glitzernden Rieseninsekt landete das kleine Flugzeug auf dem weiten Platz zwischen dem Dorf und dem Fluss. Die Propeller dröhnten noch einmal auf und standen dann still. Eine Tür klappte auf, und der Maschine entstieg ein hochgewachsener, alter Herr, der sich suchend umsah. Durch einen Schleier von Tränen erkannte ihn Gloria und lief auf ihn zu – mitten in seine ausgestreckten Arme. Abuelito war gekommen, um sie heimzuholen! Die Selva war dabei, zwei Fremde aus ihrem Dunstkreis zu entlassen.

 
 
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