Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten

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Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten
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Hunter S. Thompson

Die Odyssee eines

Outlaw-Journalisten

»Es war ein brutales Leben,

und ich habe es geliebt«

Gonzo-Briefe 1958-1976

Herausgegeben von

Douglas Brinkley

Aus dem Englischen von

Wolfgang Farkas

FUEGO

- Über dieses Buch -

In diesem Band erweist sich Hunter S. Thompson als großer Briefeschreiber, dessen Prosa, wie The New Republic einmal schrieb, getränkt war von »einer Art Rimbaud‘schen Delirium«, wie es nur »wenigen Genies« eigen ist. Und große amerikanische Autoren wie Tom Wolfe, William Kennedy oder James Salter erkannten, dass Thompson ein meisterhafter Stilist war und ein außergewöhnliches Gespür für abgründige Komik hatte. Vom Ende der fünfziger Jahre bis in die Zeit, als er mit seinem Hell‘s Angels Buch und mit »Angst und Schrecken in Las Vegas« berühmt wurde, als er für das Amt des Sheriffs in Pitkin County kandidierte und die Wahlkämpfe 68 und 72 begleitete, reicht die Zeitspanne, in der er trotz hektischer Aktivitäten, großer Artikel, ausgedehnter Reisen und trotz des ausgiebigen Konsums vieler Drogen und Alkohol Zeit fand für eine ausführliche Korrespondenz mit Leuten wie Tom Wolfe, Kurt Vonnegut, Warren Hinckle, Oscar Acosta, Jann Wenner, aber auch mit Redakteuren, Lektoren, seiner Mutter, Freunden u.a. Hinzukommen Memos und Artikel, die noch nie veröffentlicht wurden.

Am 20. Februar 2005 hat sich Hunter S. Thompson das Leben genommen.

»Er war ein großer amerikanischer Wahnsinniger, also der einzig Vernünftige in einer Welt der Paranoia, so sah er das – und in seinen Briefen kann man diesen großen Schriftsteller dabei zusehen, wie er sich in den Schlachten mit anderen Schreibern, in Feindbildern und Angstträumen (…) weniger selbst findet als erfindet: Hunter der Anarchist, Hunter der Patriot, Hunter der Freiheitsfanatiker.« (Der SPIEGEL)

»Endlich ist nun ein großer Teil der Briefe von Hunter S. Thompson auf Deutsch erschienen, und zwar in einem Doppelband, der eine gute Auswahl aus den beiden ersten “Gonzo Letters”-Bänden von 1998 und 2000 trifft. Diese von Douglas Brinkley herausgegebenen Bände hatte der Autor noch selbst und quasi als Autobiographie-Ersatz autorisiert. Dass Thompsons Draufgängerstil in der Übersetzung nicht albern oder aufgesetzt wirkt, ist das Verdienst des Übersetzers (und “Blumenbar”-Gründers) Wolfgang Farkas, der sich um harte Vokabeln nicht drückt, wo sie nötig sind. […] Und doch war Thompson im Herzen ein Moralist und der Ostküsten-Gegenkultur bei allem Waffengefuchtel näher, als er tat.« (Oliver Jungen, FAZ)

»Charmant und anrührend, weil hinter aller Großmäuligkeit ein sensibler, nachdenklicher und selbstzweiflerischer Poet zum Vorschein kommt.«

(Gisa Funck, Tagesspiegel)

Die Briefe sind nicht nur ein explosives Sammelsurium, sondern ein Archiv der offenen Konfrontation im kollektiven Wahnsinn mit dem havarierten American Dream.« (Peter V. Brinkemper, Glanz&Elend)

»Ein äußerst wertvolles Zeitdokument. Es zeugt von Thompsons anhaltender Bedeutung.« (The Village Voice)

»Diese Frage sollte sich der Leser selbst beantworten: Wer ist am Ende glücklicher: derjenige, der gelebt und den Stürmen des Lebens getrotzt hat – oder derjenige, der nur existiert hat und an Land geblieben ist?«

Hunter S. Thompson, im Alter von 17 Jahren

Waffen, sie seien mein einziger Schmuck – und der Rest ist Kämpfen.

Cervantes, Don Quijote

Gonzo-Briefe
1958-1967
I

Briefe aus:

»The Proud Highway

Saga of a desperate southern gentleman«

Der Fluch der Bronzetafel

Vorwort

Von William J. Kennedy

»Eine Institution, die jederzeit für Fortschritt und Veränderung kämpfen, nie Ungerechtigkeit oder Korruption hinnehmen, jederzeit Demagogen sämtlicher Parteien bekämpfen, nie irgendeiner Partei angehören, sich jederzeit privilegierten Klassen und öffentlichen Plünderern entgegenstellen, es nie an Sympathie für die Armen fehlen lassen, sich jederzeit dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlen, sich nie mit dem bloßen Abdrucken von Nachrichten zufrieden geben, jederzeit radikale Unabhängigkeit bewahren, nie Angst davor haben sollte, gegen ein Übel vorzugehen, sei es rücksichtslose Geldherrschaft oder rücksichtslose Armut.«

Joseph Pulitzer in der New York World vom 10. Mai 1883 in seinem Editorial als zukünftiger Verleger (eingraviert auf einer Bronzetafel am Times Tower, New York City)

Es war im Spätsommer 1959. Hunter Thompson hatte den Süßigkeitenautomaten beim Daily Record in Middletown (New York) eingetreten, war daraufhin gefeuert worden, weil er »zu sehr neben der Spur« sei, und machte sich auf die Suche nach einem neuen Job. Auf eine Anzeige in Editor & Publisher hin bewarb er sich um eine Stelle als Sportredakteur bei der neugegründeten Tageszeitung San Juan Star. Er war zweiundzwanzig, behauptete aber, er sei vierundzwanzig. Und er schrieb, die Stelle interessiere ihn wegen Puerto Rico – weit weg von der »großen rotarischen Demokratie« auf dem Festland.

Die Scherereien, die er in Middletown gehabt hatte, ließ er nicht unerwähnt, und er sprach auch davon, dass er Vor­träge über die Bedeutung der Beat Generation halten wür­de. »Mit dem amerikanischen Journalismus bin ich durch«, schrieb er. »Der Niedergang der amerikanischen Pres­se war schon lange abzusehen, und mir ist meine Zeit zu schade, um sie mit Anstrengungen zu vergeuden, die auf den ›Mann auf der Straße‹ abzielen, mit dem täglichen Quantum an Klischees … Doch es gibt da noch eine andere Art von Journalismus … eingraviert auf einer Bronzetafel an der südöstlichen Ecke des Times Tower in New York.« Er fügte hinzu, dass er jetzt weiter an seinem Roman arbeiten müsse, der in Auszügen bereits bei Viking Press, New York, zur Prüfung liegen würde.

Als Redaktionsleiter des frisch aus der Taufe gehobenen Star schrieb ich ihm zurück: Unser Herausgeber1 sei Mitglied im Rotary Club; unsere Redaktion bestehe aus Reportern (und Redakteuren), die neben der Spur seien und, genau wie er, an literarischen Projekten arbeiteten; es sei also am besten, er würde sich wieder um seinen Roman kümmern oder vielleicht gleich mit einem neuen beginnen, und dessen Handlung könne sich ja um die bronzene Tafel am Times Tower drehen. »Man sollte immer über das schreiben, was einem besonders vertraut ist«, schrieb ich und schloss mit der Bemerkung, ich würde mich bei ihm wieder melden, sobald wir einen Süßigkeitenautomaten in der Redaktion hätten und jemand bräuchten, der ihn eintritt.

Mein Brief ging an seine Privatadresse in Louisville, und er muss zeitgleich mit der Post von Viking eingetroffen sein; sein Roman wurde abgelehnt. Er setzte sich auf den Hosenboden und schrieb:

»Ihr Brief war niedlich, mein Freund, und Ihre Interpretation meines Briefs wiederum ist bezeichnend für einen jener intellektuellen Kretins, die für den Niedergang der amerikanischen Presse verantwortlich sind. Glauben Sie aber bloß nicht, dass mich Ihre Absage daran hindern wird zu kommen, und wenn ich da bin, erinnern Sie mich daran, dass ich Ihnen die Zähne einschlagen und Ihnen dann eine Bronzetafel tief in Ihren kleinen Darm rammen werde.«

In meiner Antwort schrieb ich, da er ein umtriebiger Experte in Sachen Niedergang des Journalismus sei, würden wir ihm ein Zeilenhonorar anbieten; er solle die Hintergründe dieses Niedergangs doch auf drei zweispaltigen Seiten beleuchten. Wir würden das gleich in unserer ersten Ausgabe bringen, und unseren Briefwechsel mit dazu. Ich schrieb, ich wüsste von keiner anderen Publikation, die ihm diese einzigartige Gelegenheit geben würde, und unterzeichnete »Mit därmlichen Grüßen«.

Seine Replik: »Alter! Sie wollen also sagen, die Sache mit der Bronzetafel hat Sie provoziert? … Ich muss zugeben, Freund Kennedy, dass ich Ihren Brief genossen habe. Das ist eine verrückte kleine Korrespondenz, die wir hier am Laufen haben, mein Lieber.« Er meinte außerdem, ich sei ein hoffnungsloser Optimist, wenn ich mir einbilden würde, es sei möglich, diesen Niedergang auf drei Seiten abzuhandeln, und er vermutete, mein Angebot sei nur dazu da, einen »plappernden Beatnik … nach allen Regeln der Kunst vorzuführen«. Doch selbst dann, meinte er, würde er es auf einen Versuch ankommen lassen – was er auch tat.

»Lieber Schreiberling«, so begann er und fügte seinem Brief einen Einakter bei: »ein grobschlächtiges Drama der nie­deren Art … natürlich eine Farce – wenn auch eine, die es in sich hat«. Er meinte, dass ihn mein letzter Brief überrascht habe, »und auf lange Sicht mag es sein, dass Sie eine Entschuldigung bei mir gut haben – für all meine Beschimpfungen.«

Sein Theaterstück wies ich zurück, da es voller »überkommener Klischees sei und ihm ein Stallgeruch anhafte«. Für sein Buch wünschte ich ihm alles Gute und merkte an, wenn es ihm mit dem Roman ernst sei, solle er sich vom Journalismus besser fernhalten. Ich schlug ihm vor, auf einen Drink vorbeizukommen, wenn er in der Nähe sei.

Die Antwort war seine Art von Rache, die er auf einer ganzen Seite ausbreitete: »Erwarten Sie von mir nicht, dass ich Ihnen einen Packen Plattitüden schicke, um Ihre stinkende Leiche von Zeitung zu dekorieren, als wär’s die amerikanische Flagge, die einen Sarg voller Müll einhüllt.« Und er fügte hinzu: »Ich stelle mir vor, dass Sie ziemlich in Ordnung sind, und dies auf Ihre ganz eigene Weise. Umso beschämender, dass Sie sich als Sprachrohr des internationalen Rotariertums verdingen.«

 

Keine zwei Monate später hatte er sich bei Sportivo beworben, einem neuen Bowling-Magazin in San Juan. »Vielleicht gelingt es mir, den Herausgeber zu übertölpeln und ihn glauben zu lassen, ich sei normal«, schrieb er seinem Freund Bob Bone, einem Reporter des Star. Er bekam den Job. Aber Normalität vortäuschen zu wollen war fehl am Platz. Der Herausgeber des Sportivo entpuppte sich Hunter zufolge als »Lügner, Betrüger, Aussteller ungedeckter Schecks, rechtsbrüchiger Wortverdreher« und stellte sich auch sonst als »verkommen« heraus, und so war der Job nur eine weitere Pleite.

Immerhin war Hunter jetzt in San Juan, und schon bald tauchte er im Büro des Star auf. Fred Harmon, unser Wirtschaftsredakteur, begrüßte ihn mit den Worten: »Mit einem Süßigkeitenautomaten können wir nicht dienen, aber dort an der Ecke steht ein Zigarettenautomat.« Einige von uns zogen los, um den versprochenen Drink einzunehmen, und wir unterhielten uns über Bronzetafeln und Romane; Hunter stellte sich auf einen mehrmonatigen Aufenthalt in Puerto Rico ein.

Er war aus zwei Wohnungen herausgeflogen, fand aber schließlich ein Haus an einem einsamen Strand, lud Sandy, seine zukünftige Frau, ein herzukommen (»Ich kann mich selbst kaum finanzieren, umso weniger eine Ehefrau«, schrieb er ihr, »deshalb gehe ich davon aus, dass Du zumindest ein bisschen Geld für Essen dabei hast«), arbeitete an irgendwelchen literarischen Texten, verdingte sich als freier Journalist, und wir redeten nächtelang über Literatur und darüber, wie und warum man schreibt.

Im Juni war Hunter absolut pleite, er war von der Polizei verprügelt und wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Widerstand gegen die Staatsgewalt ins Gefängnis gesteckt worden, wo sich seine Getränke auf Regenwasser beschränkten und er von Bartmücken halb aufgefressen wurde; als er das Gefühl nicht los wurde, dass er womöglich ein ganzes Jahr in einem puerto-ricanischen Knast verbringen müsste, entfloh er der Karibik in einem Segelboot.

Folgendes schrieb er mir von den Bermudas: »Lieber Redakteur: Mein Name ist HS Thompson, und ich würde gerne für den San Juan Star arbeiten … Wenn ich das richtig sehe, ist Puerto Rico ein phantastischer Ort, um es dort eine Weile auszuhalten … Drei Typen, die ich in einem Wohnheim in Upstate New York traf, haben mir dies berichtet … Gute Leute waren das, und das Meiste von dem, was sie erzählten, leuchtete mir sofort ein.«

Es war dies der kaum vorhersehbare Beginn einer Freundschaft und einer Korrespondenz, die seit nunmehr siebenunddreißig Jahren anhält. Es geschehen seltsame Dinge, wenn einem Hunter Thompson über den Weg läuft. Seine Art, das Leben auf sich zukommen zu lassen, ist den meis­ten Sterblichen fremd. In den oben zitierten Briefwechseln steckt eine prophetische Kraft – was Hunters Zukunft als stilistisch glänzender amerikanischer Prosaautor und als journalistischer Literat angeht, aber hinsichtlich seines Lebensstils, der ihm dabei gute Dienste erwies: Chaos verbreiten – um seine eigenen hochtrabenden Pläne zu untergraben; Selbstzerstörung kultivieren – als Schlüssel zum Erfolg; Kontakte auf Augenhöhe pflegen – mit der Komik eines Verzweifelten; mit Bronzetafeleien genauso zurechtkommen wie mit Zurückweisungen aller Art – denen er gerne mit einer Superhelden-Rhetorik begegnete, so etwa 1965 in einem Brief an einen sich windenden Herausgeber: »Ich werde auf einem frisierten Motorrad nach New York kommen und Ihnen eine Leuchtkugel aus explodierendem Dreck in den Bauch jagen«; oder 1967 über seine Vorstellung, wie er einen Literaturagenten fertig machen würde: »ihm die Zähne mit einem Holzstock einschlagen und ihm jeden seiner Knochen brechen und jedes seiner Organe zerreißen, dem ich habhaft werden kann, in der kurzen Zeit, die mir mit ihm beschieden sein wird.«

Das Instrumentarium, auf dem Hunter in den Folgejahren spielen sollte, war in seinen unausgereiften Phantasien in San Juan bereits angelegt – bizarrer Witz, grenzenloser Spott, Exzess bis zum Abwinken, absolutes Selbstvertrauen, das Narrativ eines gekränkten, um Anerkennung ringenden Ego, der unaufhörliche Zorn eines sich moralisch überlegen fühlenden Outlaws. Damals, in jenen Tagen, setzte er all dies ein, um Schriftsteller zu werden. Als wir uns das erste Mal über Literatur unterhielten, war Prince Jellyfish sein Dauerprojekt, und bald darauf begann er mit der Arbeit an dem Roman The Rum Diary, der ihn in den kommenden Jahren beschäftigte.

»Prince Jellyfish schon wieder durchgefallen, zum dritten und letzten Mal«, schrieb er mir im August 1960 aus New York. »Wirklich, es ist kein sehr gutes Buch … Dieses Jahr hake ich ab, es steht unter dem Zeichen ›Erfahrungen machen‹, und ich fange jetzt mit dem ›Großen Puerto-ricanischen Roman‹ an, den ich schon erwähnt habe … Ich habe mich so oft bloßgestellt, dass ich mich nicht mehr guten Gewissens als Märtyrer bezeichnen kann. … Ich schätze, als Opportunist, der über ein großes unausgereiftes Talent verfügt, bin ich besser dran.«

Er wusste, dass auch einige meiner Manuskripte abgelehnt worden waren, und das schien ihn sogar noch mehr zu bekümmern, als es bei seinen eigenen der Fall gewesen war. »Ein Märtyrer sind Sie nicht«, wie er treffend beobachtet hatte, »und dennoch glaube ich, Sie machen sich ernsthafter ans Schreiben als ich. Ich bin viel zu sehr auf meinem eigenen Trip, um Ihnen viel Glück zu wünschen, und doch, wenn Ihnen der Durchbruch gelingt, ohne dass Sie dann auf mich herabschauen, hoffe ich, dass Sie es schaffen.«

Das klang in meinen Ohren ungewöhnlich ehrenwert, doch seine Rede von Märtyrertum und Selbstentblößung hatte etwas von einer romantischen Idee ohne besonderen Wert – außer dem, dass sich hier ein Autor selbst von seiner eigenen Bedeutung überzeugen will. Immer wieder zählten wir die Beispiele auf – die Nachlässigkeit von Faulkner, das Pech von Nathanael West oder die Tragik von Fitzgerald, dessen Werk nicht mehr gedruckt wurde und der allmählich verblasste. Was nun Hunters Selbstentblößung angeht, bestand diese vor allem darin, zu viel zu trinken und anspruchslose journalistische Arbeiten abzuliefern, um irgend­wie zu überleben. Doch sein eigentliches Problem war die Unzulänglichkeit seiner literarischen Texte, genau wie bei mir auch. Das sollte uns in den kommenden Jahren beiden klar werden.

Die vorliegende Kollektion von Hunters Briefen ist eine authentische Quelle, um diese Zeit seines Lebens nachzuvollziehen: wie er sich zu dem unverwechselbaren literarischen Autor formte, der er später wurde.

1960: »Wenn ich mir meiner Bestimmung nicht so sicher wäre, würde ich vielleicht zu dem Schluss kommen, dass ich deprimiert bin. Bin ich aber nicht. Es gibt immer die Post des nächsten Tages.« … »Noch verkauft sich meine Literatur nicht … Habe mit dem Großen Puerto-ricanischen Roman angefangen (The Rum Diary) & ich gehe davon aus, das wird’s.«

1961: Mit dem Roman lief es schlecht, wie er mir schrieb, da war wieder ein Agent, der ihn nicht wollte. »So kämpfen wir weiter, die Boote gegen den Strom«, notierte er und zi­tier­te damit Gatsby, die Oriflamme seines anhaltenden Mar­tyriums, Auge in Auge mit dem Amerikanischen Traum.

1963: Meine Reaktion auf The Rum Diary fällt negativ aus, ich sage ihm, er solle es bleiben lassen. »Der Entschluss steht, ich schreibe es um«, antwortet er.

1964: Sein Geld mit Journalismus zu verdienen erfüllt ihn nicht. »Wenn ich ein bisschen Glück habe, treibt es mich zurück in die Literatur.«

1965: Er ist pleite und ohne Arbeit und gerade dabei, »mit einem Roman zu ringen … Literatur deprimiert mich nicht so wie Journalismus. Literatur ist härter, aber auch eine sehr viel menschlichere Arbeit.«

1965: Seine Geschichte über Motorradbanden für The Nation zieht sechs Buchangebote von Verlegern nach sich: »Ich bin ganz hysterisch angesichts der Aussicht auf Geld … Das große Ding scheint mir momentan The Rum Diary zu sein. Wenn ich das Buch jetzt schon in Form gebracht hätte, könnte ich morgen 1.500 Dollar Vorschuss herausholen. Aber es ist leider noch nicht gut genug, um es schon zu verschicken.«

1965: »Ich hätte den Journalismus aufgeben … mich mit allem, was ich bin, der Literatur hingeben sollen. Und wenn ich jemals zu etwas gut sein werde, glaube ich ernsthaft da­ran, dass es mit Literatur zu tun haben wird; es ist der einzi­ge Weg, bei dem ich meine Phantasie ausleben kann, meine Ansichten, Instinkte und all die ungreifbaren Dinge, die in meiner Art von Journalismus die Leute nervös machen.«

Vermutlich markiert der vorangegangene Absatz einen Wendepunkt in Hunters Denken oder bedeutet sogar sein Eingeständnis, dass das, was er da versuchsweise und so energisch betrieb, alles andere als Journalismus war. Es war im Jahr 1970, als mit der Veröffentlichung von »Das Kentucky Derby ist dekadent und degeneriert« in Scanlan’s Monthly sein Gonzo-Journalismus vollständig hervortrat. War das noch Journalismus? Na gut, der Text erschien in einer Zeitung. Aber war das nicht eindeutig Literatur? Es war nicht Hemingway, der in seiner Lieblingsstadt den Stieren hinterherläuft – aber es war Hunter, der in seinem ganz eigenen Ton die Pferde zum Laufen brachte. Es ist eine Short Story – und das beste Stück Literatur, das er je geschrieben hat.

Bei unseren ersten Marathon-Sitzungen ging es immer wieder um Schriftsteller, die eine unverwechselbare Stimme haben: Wie die Energie ihrer Sprache sie von anderen absetzte; wie es ihnen gelang, dass ihre Story – nicht die Idee – über allem stand. Mit den Ideen verhielt es sich so: Entweder nahmen sie Gestalt an, indem sie Erzählung wurden, oder sie waren wertlos.

Gespräche dieser Art gehören für jeden Schriftsteller zur Grundausbildung; wenn auch die wirkliche Herausforderung darin besteht, die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen. Hunter identifizierte sich mit literarischen Außenseitern, mit Salingers Holden Caulfield oder mit Donleavys Ginger Man. Von Mencken schaute er sich ab, bissig zu sein, gleichzeitig verehrte er aber auch Algren, Fitzgerald und West; Dylan Thomas und Faulkner lernte er auswendig. Ich erinnere mich, wie er in den späten Sechzigern meinte, das Wichtigste, was er mit dem Schreiben erreichen wolle, sei es, »neue Formen« von Literatur hervorzubringen.

Die Derby-Story war es nun, die ihm den Weg zur großen Goldader aufgezeigt hatte. Es folgten Aufträge von Playboy, The New York Times Magazine, Sports Illustrated, Rolling Stone, Esquire usw. Hunter hatte entdeckt, dass man mit der Art des Schreibens, die man Journalismus nennt, erstaunlich viel Geld verdienen konnte, wo es doch zugleich ein eigenes literarisches Werk war, das dabei entstand.

1971 lagerte das Manuskript von The Rum Diary noch im Keller, und Hunter schrieb eines der komischsten und originellsten Bücher der letzten drei Jahrzehnte, Angst und Schrecken in Las Vegas; es war sein Tribut an den Drogenwahnsinn, der seinen wachsenden Ruhm begründete und einen verrückten Drogentypen in eine ikonische Comicfigur verwandelte – einen Gonzo-Journalisten mit der Strahlkraft eines Rockstars.

Sein Buch mit dem Titel Angst und Schrecken im Wahlkampf über den Präsidentschaftswahlkampf, das im Rolling Stone vorab als Serie erschienen war, veränderte sein Image: giftig und scharfzüngig, bösartig und mit Witz, politisch und klug. Auch dieses Buch ging weit über Journalismus hinaus: Es verdankte sich der Kraft der Imagination genauso wie politischem Durchblick. Damit fiel es, zumindest in Teilen, in die gleiche Kategorie wie das Derby-Stück und die Las-Vegas-Geschichte: Fiktion.

Dass Hunter sich weiterhin als Journalist bezeichnen ließ, ist einer der großen Tiefstapeleien unserer Epoche. Er selbst unternahm einen halbherzigen Versuch, sich zu dem Trick zu bekennen, als er in Die Große Haifischjagd Anmerkungen zur Entstehung des Las-Vegas-Buchs machte. Gonzo, schrieb er, »ist eine Form der ›Reportage‹ und baut auf dem Gedanken William Faulkners auf, dass die beste Fiktion sehr viel wahrer ist als jede Art von Journalismus – und die besten Journalisten haben das immer gewusst.« Weiter führte er aus, dass es sich bei Las Vegas um gescheiterten Gonzo handele, »in seinem Scheitern so komplex, dass ich das Gefühl habe, das Risiko auf mich nehmen und es so bezeichnen zu können: als ersten vorläufigen Versuch in jene Richtung, mit der der New Journalism, wie Tom Wolfe es nannte, seit fast einem Jahrzehnt flirtet.«

 

Hunters Erklärung, warum das Las-Vegas-Buch ein gescheiterter Versuch gewesen sei, würde zu weit führen und soll hier keine Rolle spielen. Wichtiger ist, wenn er über das Buch sagt: »Als echter Gonzo-Journalismus funktioniert es kein bisschen – und selbst wenn, würde ich das kaum zugeben. Nur ein verdammter Wahnsinniger würde eine Geschichte wie diese schreiben – und dann behaupten, sie sei wahr.«

Das Buch war weniger dokumentierter, sondern vielmehr imaginierter Wahnsinn: kurz gesagt – ein Roman.

Aber wer sollte ihm das glauben?

Zeitungen und Buchverlage haben sein Werk einer leichtgläubigen Öffentlichkeit seit jeher als Journalismus ausgegeben, wo es doch in Wahrheit nichts als ein Haufen Lügen ist – die klassische Definition also von Fiktion.

Ich hoffe, wir alle haben unsere Lektion gelernt.

Als wir uns zuletzt in der Tosca Bar in San Francisco unterhielten, checkte Hunter, der zu dem Zeitpunkt jeder Arbeit aus dem Weg ging, unter dem Namen Ben Franklin in einem Hotel ein. Mir fiel gleich auf, dass er sehr viel rauchte und trank. Ich riet ihm, seine Süchte zu mäßigen und seinem sechzigsten Lebensjahr möglichst entspannt entgegenzugehen – nur so würde er mit seinem Werk vorankommen.

»Ich für meinen Teil trinke höchstens mal ein Glas Rotwein«, sagte ich.

Er gestand ein, dass ich wohl recht hätte und drückte seine Zigarette aus.

»Gott wird gut zu uns sein«, sagte er und saugte mit einem Röhrchen eine ominöse Substanz ein.

»Das einzige, was zählt, ist das Werk«, sagte ich.

»Ich weiß«, sagte er. »Das ist der Grund, warum ich einen Roman schreibe. Vielleicht sogar zwei.«

»Oh, ja, zwei Romane«, sagte ich. »War es nicht das, wovon Du mir damals in San Juan schon erzählt hast?«

Averill Park, New York

23. Oktober 1996