Buch lesen: «Schlemmen am Eifelsteig»

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­RHEIN-MO­SEL-VER­LAG

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Al­le ­Rechte vor­be­hal­ten

ISBN 978-3-89801-906-4

Aus­stat­tung: Stefanie Thur

Korrektorat: Melanie Oster-Daum

Fotos:

Hubert vom Venn (Bild 3, 4, 5, 7, 10, 11, 12, 14, 21, 22, 23, 26, 28, 29, 31, 34, 36, 42, 43, 44, 46, 48, 49, 52, 55, 57, 58, 64, 66)

Arne Houben (Titel, Karte, Bild 6, 9, 16, 19, 20, 25, 27, 33, 35, 39, 40, 41, 45, 51, 54, 59, 62, 65, 67, 68)

Stefanie Thur (Bild 2, 13, 15, 17, 18, 24, 30, 32, 38, 47, 50, 53, 56, 60, 63)

Heike Eisenmenger (Bild 1)

Archiv Georg Hamacher (Bild 7)

Kurt Schreiber (Bild 37)

Doktor Zion/wikipedia (Bild 61)

Hubert vom Venn

Schlemmen am Eifelsteig

Rezepte und Geschichten von Aachen bis Trier

RHEIN-MOSEL-VERLAG


Essen und Trinken am Eifelsteig

Etappe 01: Kornelimünster bis Roetgen

Apfel im Schlafrock | Poschweck | Fritten | Puttes | Sauerbraten | Zimt-Frikadellen

Etappe 02: Roetgen bis Monschau

Hochzeitsbrötchen | Pottsuse | Rotkohlsuppe Reinartzhof | Boulet à la liégeoise | Reisfladen | Monschauer Senf-Süppchen | Monschauer Dütchen

Etappe 03: Monschau bis Einruhr

Trevvel | Lat(t)ze | Els | Falsches Holzfällersteak | Wildschweinragout | Cacık nach Eifeler Art | Spinatsuppe

Etappe 04: Einruhr bis Gemünd

Heilstein-Wasser | Kwalmän mit Makei | Holundersekt | Sternenhimmel | Sago-Suppe | Els-Printen | Das Eifelschnittchen

Etappe 05: Gemünd bis Kloster Steinfeld

Tscherper Bergmannsfrühstück | Steckrübensuppe | Panhas | Markklößchen- Suppe | Fastensuppe

Etappe 06: Kloster Steinfeld bis Blankenheim

Ei im Brot | Kling Klößchen | Hirtensuppe | Juh-Jah-Aufgesetzer | Eifel-Sushi

Etappe 07: Blankenheim bis Mirbach

Ei im Glas | Eifeler Schwarzbrot | Wacholder Eifel-Gin | Wacholder-Soße | Eifeler Kartoffelsuppe

Etappe 08: Mirbach bis Hillesheim

Schnelles Müsli | Spaghetti Bolognese mit Tofu-Hack | Wiesbaumer Pizza mit Matschepampe | »Nature Tom« nach Thomas D. | Flammkuchen Schavung | Klaschkäs mit Prumme

Etappe 09: Hillesheim bis Gerolstein

Englisches Frühstück | Döppekooche | Saubohnen mit weißer Soße | Labskaus nach Eifeler Art | Golden Water

Etappe 10: Gerolstein bis Daun

Frühstück »Der Weg ist das Ziel« | Eifeler Kneddellen | Speck-Mehlschwitze | Brennesseleintopf | Gromperekichelcher | Bouneschlupp

Etappe 11: Daun bis Manderscheid

Mörderischer Frühstückskaffee | Dauner Kirmesessen | Strammer Max und Moritz | Sellerieschnitzel | Eifeler Viez-Forelle

Etappe 12: Manderscheid bis Kloster Himmerod

Heiliger Bimbam: Boudin Blanc | Botteramm einsamer Weg | Topinambur-Püree | Cantuccini mit Moselwein | Himmeroder Mönchskloß

Etappe 13: Kloster Himmerod bis Bruch

Rührei mit Camembert | Himmel un Äd met oder ohne Blotwoosch | »Prummewärmp« | Baschtich schnelle Eifeler Suppe | Falscher Brathering

Etappe 14: Bruch bis Kordel

Schwarzes Frühstück | Viez-Suppe | Theken-Soleier | Toast Eifelsteig | Rührei in der Verlängerung

Etappe 15: Kordel bis Trier

Proletarier-Frühstück | Armer Ritter | Teerdisch | Schales oder Dibbelabbes | Baeckeoffe Rindfleisch

Verzäll mir wat – Erzähle mir was

Etappe 01: Napoleons Burg: Auf Wollust gebaut

Etappe 02: Das Wunder von Reinartzhof

Etappe 03: Normale oder nicht normale Brötchen

Etappe 04: Der Gelehrte aus dem Sternenpark

Etappe 05: Vor hundert Jahren: Eifeler Kommune

Etappe 06: Von Matronen und bösen Männern

Etappe 07: Das geheime Dorf

Etappe 08: So ein Käse aber auch

Etappe 09: Der Untergang der Burg Spielberg

Etappe 10: Der Mäusefänger von Neroth

Etappe 11: Die Eifel, das waren immer die anderen

Etappe 12: Kein Hippie auf dem Eifelsteig

Etappe 13: Landleben unter der Leselampe

Etappe 14: Lebe wohl, alte Dorfkneipe

Etappe 15: Klausen- und Genovevahöhle

Prolog

Ich bin mir sicher: Diese Schuhe sind mir viel zu groß.

Die Schreibe ist von den Wanderstiefeln aus Beton, die nach einer Idee des verstorbenen Peter Schillings vom Steindesigner Thomas Kahlen geschaffen wurden und den Beginn des Eifelsteigs in Aachen-Kornelimünster markieren.


Bild 1: Beginn des Eifelsteigs

Wie bitte? Eifelsteig! 313 Kilometer! Zu Fuß?

Der Eifeler fährt mit dem Auto zum Bäcker, wenn der mehr als 30 Meter entfernt ist. Da kann man doch nicht erwarten, dass wir Wanderschuhe anziehen und uns mühsam durch die Gegend schleppen. Der Weg ist das Ziel.

Gemach: Aber diesen Weg kann man auch bequem mit dem Auto – wenigstens einige Etappen – befahren.

Nein, lassen Sie uns ganz einfach in eine andere Richtung denken:

Essen, Trinken und Erzählen am Eifelsteig.

Ich versuche also gefüllte Teller, Gläser und Zeitgenossen, die mir mehr oder weniger wahre Eifelgeschichten erzählten, in den Mittelpunkt zu stellen. Da viele Etappen (oder Teile davon) dann doch per Wanderschuh – wenn auch nicht aus Beton – bewältigt wurden, traf ich immer wieder Menschen, die mir Eifeler Episoden anvertrauten.

Die sollen auch nicht verschwiegen werden.

Über die schönen Ausblicke am und vom Eifelsteig haben andere schon ausführlich berichtet. Am Ende jedes Kapitels gibt es daher nur eine kurze Wegbeschreibung, wenn Sie so wollen ein Tages-Fazit.

Etappe 01: 14 Kilometer

Aachen-Kornelimünster bis Roetgen

Die erste Etappe des Eifelsteigs führt uns vom Aachener Stadtteil Kornelimünster nach Roetgen.

Was bietet sich, wenn man den Dunstkreis Aachens verlässt, besser an, als eine Printe, deren Ursprung vor Urzeiten als Pilger-Nahrung gedacht war? An der kann die Wandersfrau oder der -mann knabbern, wenn man die kurze Strecke von 14 Kilometern bis Roetgen zu Fuß gehen will.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein Sakrileg an der Peripherie der Printen-Metropole. Da über meinem Schreibtisch das Zertifikat »Hat erfolgreich am Seminar Backen von Els-Printen bei Jürgen Müller in Gemünd teilgenommen« hängt, will ich ein Printen-Rezept – zumal mit Els, dem Nationalgetränk der Nordeifel versetzt – erst bei der Etappe in Gemünd vorstellen.

Bevor wir unsere Wanderung starten, möchte ich zum Frühstück einladen. Ein ehemaliger Aachener Oberbürgermeister soll vor dem Gang ins Rathaus in einem nahen Café immer einen Apfel im Schlafrock gegessen haben.

Apfel im Schlafrock


Bild 2: Apfel im Schlafrock

Sie nehmen einen festen Apfel, entfernen das Kerngehäuse, in das nun eine Füllung kommt. Meine besteht aus Zucker, Zimt, gehackten Haselnüssen, Rosinen und ein paar Tropfen Rum. Mit Blätterteig, der einfach zu kaufen ist, ziehen wir dem Apfel nun den Pyjama über die Ohren, lassen aber oben eine kleine Öffnung und knicken die vier Enden zur Zierde um. Mit wenig Eigelb bestreichen und ab damit in den Backofen bis das Nachthemd braun glänzt.

Auch in Aachen bekommt man beim Bäcker nichts geschenkt, wenn man einmal vom überflüssigen Kassenbon absieht.

Doch Halt!

Bis 1888 gab es, oft gegen den Widerstand der Bäckerszunft, die Sitte (man könnte auch von einem lokalen Gesetz reden), dass nach der Fastenzeit ein kostenloses Brot an die Kunden verteilt werden musste: Der Poschweck – »Posch« kommt von »Paschen« (lat. Pascha für Ostern) und der Begriff »Weck« ist jedem Rheinländer klar, man denke nur an den Weckmann zu St. Martin.

Poschweck

Zunächst nehmen wir 20 Gramm zerbröselte Hefe mit der dreifachen Menge Zucker und einen halben Liter lauwarmer Milch. Das Gemisch – warum stolpere ich über das folgende Wort vor einer Wanderung? – »gehen« lassen. Anschließend mit Mehl (500 Gramm), guter Butter (50 Gramm) durchkneten und Salz hinzufügen. Nach Geschmack Orangeat, etwas Vanillezucker Zitronat, Rosinen oder gehackte Nüsse beifügen und wieder gehen lassen.

Bleibst du wohl hier: Nun einen Brotlaib formen und reichlich Zuckerklümpchen einkneten. Anschließend mit verquirltem Ei bestreichen. Ab damit bei ca. 180 Grad für eine Dreiviertelstunde in den Ofen.

Ich weiß, ich weiß – Fritten gehören zu Belgien, waren aber immer ein fester Bestandteil im Leben der Aachener. Sogar mit einer Besonderheit, über die ein Lütticher sicher nur den Kopf schütteln würde: In Aachen isst man zu den Fritten gerne Senf statt der köstlichen belgischen Soßen wie zum Beispiel Sauce Andalouse (mein Favorit), Sauce Tartare, Pilli Pilli, Pickels, Saté Sauce (eher in den Niederlanden), Aioli oder schlicht und einfach nur Mayonnaise – um nur einige zu nennen.

Aber warum Senf? Ein Insider hat es mir verraten:

»Der Senf ist umsonst, die Soßen kosten …«

In diesem Zusammenhang eine Bitte: Bestellen Sie in der Aachener und belgischen Region niemals »Pommes«, denn: »Es heißt Fritten und nicht Pommes« – da gab es sogar einmal eine kleine Bürgerbewegung. Was auffällt: Keiner redet mehr von Acrylamid, die Verordnung dazu wurde in Brüssel, also ausgerechnet in Belgien, auf den Gesetzesweg gebracht.

Fritten


Bild 3: Fritten mit Sauce Andalouse

Kartoffeln schälen und nur einmal waschen, damit nicht zu viel Stärke verloren geht. In Stäbchen schneiden. Fett auf 160 Grad erhitzen. Es gibt einige, die auf Nierenfett schwören, ein gutes Pflanzenöl ist eher die Regel.

Fritten – sehr gut in einem sogenannten Frittenkorb – rund fünf Minuten garen. Aus dem Fett oder Öl nehmen und ruhen lassen. Fritten-Puristen schlagen eine halbe Stunde vor, aber das muss nicht sein. Fett oder Öl auf 180 Grad erhitzen. Die »ausgeruhten« Fritten nun noch einmal kurz, bis zur leichten Bräunung eintauchen.

Fertig! Senf dazu oder eine der Soßen.

Beliebt ist auch »Rot-Weiß« – Tomaten-Ketchup und Majo.

Wir sind immer noch in Aachen, wenn auch nicht im karlslastigen Zentrum: Kommen wir zu einer weiteren regionalen Spezialität, die ich gerne vorstelle, auch wenn sie nicht unbedingt mein Ding ist:

Puttes

Im ganzen Rheinland versteht man unter Puttes einen Kartoffelauflauf. Im ganzen Rheinland? Nein! Eine von unbeugsamen Maasländern bevölkerte Stadt hat ihren ureigenen Puttes, den Oecher Puttes – eine Blutwurst. Die darf nur von örtlichen Fleischern hergestellt werden. Dafür hat die EU 2016 Brief- und Herkunftsbezeichnungs-Siegel gegeben. Ein wachsames Auge auf die Einhaltung der Wursttradition hat der Verein »Aixtra-Fleischer«.

Da wir nicht wollen, dass außerhalb von Aachen jemand gegen die Verordnung verstößt, gibt es an dieser Stelle keinen Rezepthinweis. Der befindet sich bis zur letzten Schwarte im Internet. Oecher Puttes wird als Wurst im Darm, in Dosen und im Glas vertrieben.

Sauerbraten

Ja, ja, ist ja gut: Natürlich können wir, bevor wir uns gen Eifelsteig auf die Socken machen, an dieser Stelle eine Diskussion über den Sinn oder Unsinn von Fleischverzehr anstoßen. Zugegeben: Ich bin da auch oft hin- und hergerissen. Also verschieben wir das Thema an einen anderen Ort, zu einem späteren Zeitpunkt oder noch besser: Wir reden nicht mehr darüber und lassen jeden nach seiner Façon selig werden – auch in der Frage, ob man lieber Fasson schreibt.

Zumal ich nun auf den Aachener Sauerbraten eingehen will und ich mir – beim besten Willen – den nur schwer mit Tofu vorstellen kann.

Noch ein Diskussionspunkt: Pferd oder Rind? Ich entscheide mich immer für Rind. Zunächst müssen wir die Beize herstellen, in der das Fleisch drei bis fünf Tage mariniert wird.


Bild 4: Eifler Sauerbraten mit Klößen

Wasser und Rotwein-Essig 1:1 mischen und nach Geschmack Sellerie, Möhren, Piment, Lorbeerblatt, Wacholderbeeren, Senfkörner, Salz, Pfeffer, Nelken, Zwiebeln, Porree oder auch andere Gemüse hinzufügen. Gegen einen Schuss »Kon-Jäckchen« oder Rotwein ist auch nichts einzuwenden. Das Fleisch einlegen, gut abdecken, nach zwei Tagen wenden und im Kühlschrank in einem Ton- oder Römertopf in Ruhe lassen.

Übrigens: Bei einigen Metzgereien kann man Marinade und Fleisch erwerben und in einer kleinen Plastiktüte nach Hause tragen. Auch ganz bequem …

Tage später: Das Fleisch aus der Marinade (nicht wegschütten, vielmehr durch ein Sieb gießen) nehmen, abtropfen lassen. Einige reiben das Fleisch nun mit Zucker ein, aber das ist Geschmackssache. Salz und Pfeffer dagegen nicht. In Butterschmalz oder Öl anbraten und die Marinade sowie Wasser in kurzen Abständen zum Ablöschen hinzufügen. Wenn der Braten gar ist, diesen aus der Flüssigkeit nehmen und Rosinen, gebröselte braune Printen sowie Rübenkraut zufügen. Ich nehme allerdings lieber »Sirop d‘Aubel« aus Birnen und Äpfeln aus Belgien.

Dazu gibt es Rotkohl, Apfelmus und Klöße.

Bevor wir zur ersten Etappe des Eifelsteigs aufbrechen, treffen wir an einer in der Nähe gelegenen Einsiedlerklause den Geiger Mario Triska, der Wert darauf legt, dass er ein Zigeuner ist und diese Bezeichnung auch verteidigt.

Er kennt eine kleine Geschichte um diesen Ort:

Napoleons Burg: Auf Wollust gebaut

Unterhalb der Klause befinden sich noch heute Mauerreste eines nie fertig gestellten Pavillons, den Napoleon – so sagt es die Geschichtsschreibung – für seine Stieftochter Hortense von Holland bauen wollte.

Mario Triska hält das für eine Mär: Vielmehr soll der Kaiser ein lüsternes Auge auf die Schwester des Klausners geworfen und ihr eine Burg versprochen haben. Als Beweis ließ er schon einmal einige Mauern errichten. Nachdem der Korse die arme Maid verführt hatte, zog er weiter und ließ das einsame Mädchen, ein gebrochenes Herz und die Mauerreste zurück.


Bild 5: Napoleons Burg

Eine Warnung: Manchmal entwickele ich einen recht abenteuerlichen Geschmack. Dann habe ich den Eindruck, dass diese Gerichte auf der ganzen Welt nur mir schmecken.

Aber lesen Sie selbst:

Sehr gerne trat ich in der Weihnachtszeit im Eschweiler »Talbahnhof« auf. Da standen nämlich Zimt-Frikadellen auf dem Plan. Und da sie – vorsichtig formuliert – nicht unbedingt ein Renner wurden, bekam ich für die Heimreise von Agnes Danz immer ein dickes Paket als Proviant mit auf den Heimweg. War das ein Festessen vom Beifahrersitz – und eine Trauer, als nach nur zwei Jahren die Weihnachtsfrikadellen wieder von der Speisekarte verschwanden.

Zimt-Frikadellen

Hackfleisch (Rind, Schwein, oder halb und halb) anbraten, erkalten lassen und mit Brötchen »Das Beste von gestern«, Eiern, Piment, Zimt nach Geschmack, gehackte Haselnüsse, etwas Salz und Pfeffer kneten und in Öl wie »normale« Frikadellen braten.

So, nun wird es aber Zeit, dass wir uns gen Roetgen auf den Weg machen. Wie geschrieben, nur in Stichworten, da andere dies schon ausführlich genug getan haben.

Raus aus den Betonschuhen also und hinüber zum Marktplatz mit seinen historischen Gebäuden und der Abteikirche. Weiter zum Iterbachviadukt, über das leider keine Schienenfahrzeuge, sondern nur noch Radler fahren. Wir folgen dem Indetal und erreichen bald das nächste Eisenbahnbauwerk, das Falkenbachviadukt. Langsam geht es etwas aufwärts Richtung Eifel, die sich bald von ihrer waldigen Seite zeigt. Ein Vorgeschmack auf das Hohe Venn vermittelt der »Struffelt«, quasi als Vorbote der kommenden Moorlandschaft.

Dort treffen wir zufällig Lothar Gerhards, einen ausgebildeten Landschaftsgärtner, der auch ein Ökologiestudium in seiner Vita stehen hat.

Er erzählt uns die Geschichte des dort vermehrt aufkommenden Pfeifengrases, das wegen seiner langen Halme früher tatsächlich von den Hirten als Pfeifenputzer genutzt wurde.


Bild 6: Das Falkenbachviadukt

Weiter geht es zur Dreilägerbachtalsperre, die leider nur von einer Aussichtsplattform besichtigt werden kann. Kaum jemand versteht, dass wegen angeblichem Trinkwasserschutz die Talsperre eingezäunt und das Betreten des Ufergeländes verboten wurde. Aber Wasserschutz, das erfahren wir auch auf der zweiten Etappe, muss wohl oft als Argument für unverständliche Entscheidungen herhalten.

Und dann erreichen wir Roetgen, das Ziel unserer ersten Etappe und damit das sogenannte »Tor zur Eifel«.

Fazit: Auf dieser kurzen Etappe haben wir uns erst einmal warm gelaufen, da kommen nämlich noch ganz andere Brocken auf uns zu.

Etappe 02: 17 Kilometer

Roetgen bis Monschau

Zunächst möchte ich aber zu einem kleinen Frühstück einladen, das leider in der Nordeifel in Vergessenheit geraten ist.

Hochzeitsbrötchen

Ein halbes Brötchen, eine Scheibe Schwarzbrot, beide mit – wie wir Eifeler sagen – »guter Butter« (alles andere ist Margarine) bestreichen, die Brötchenhälfte dazu mit Leberwurst (fein oder grob) nach Geschmack, zusammenklappen und dazu – noch so eine Eifeler Formulierung mit einer Tasse »Bohnenkaffee« (alles andere ist Muckefuck) genießen.

Und es geht gleich los, mit den Grenz-Kuriositäten des Ortes. Wir starten in Deutschland, überqueren die Trasse der ehemaligen Vennbahn und des heutigen Ravel-Fahrradweges (belgisches Hoheitsgebiet) und sind einen Schritt weiter wieder in Deutschland und damit in einer der Roetgener Enklaven, das heißt, von Belgien umzingelt.

Auf dem Weg zum Waldrand an der Schwerzfelder Landzunge, wo wir jetzt endgültig in Belgien verbleiben, möchte ich Ihnen ein Rezept vorstellen, das es früher in meinem Theater gab.

Pottsuse


Bild 7: Pottsuse

Pottsuse heißt in Belgien Rillettes. Das Gericht wurde von napoleonischen Soldaten aus der Gegend um Le Mans (Sarthe) in die Eifel gebracht.

Wir benötigen eine halbe Forelle, ein Esslöffel Crème fraîche, Schnittlauch, ein Esslöffel Buttermilch, Schalotten, ein Esslöffel gewürfelte Tomaten.

Ein Viertel der Forelle in feine Würfel schneiden, im Mixer pürieren. Den Rest der Forelle in kleine Würfel schneiden. Die pürierte Forelle mit Crème fraîche und Buttermilch verrühren. Anschließend die Forellenwürfel und die restlichen Gewürze zugeben. Mit Salz, Pfeffer und Zitrone sowie einem Spritzer Essig abschmecken. In kleinen Töpfchen servieren.

Hinter Roetgen führt der Eifelsteig einige Kilometer durch Belgien, wir befinden uns also in der Provinz Lüttich. Es gibt geheimnisvolle Orte in der Eifel, Weiler die schon lange nicht mehr existieren: Man denke an Wollseifen unweit von Vogelsang, an Plénesses mitten im Hohen Venn und an … Reinartzhof zwischen Eupen und Roetgen gelegen. All die Orte haben etwas gemein: Es leben keine Menschen mehr dort. Und genau der verschwundene Ort Reinartzhof soll unser erster Zwischenstopp sein. Dort treffen wir Förster Georg Hamacher, der viel Arbeit und Energie in die Erinnerungs-Kultur des verschwunden Reinartzhof gesteckt hat. Er erzählt uns kurz die jahrhundertealte Geschichte dieses Dorfs, das auch »Auf dem Reinhard«, oder »Rennert« genannt wurde.

Reinartzhof lag am Pilgerweg zwischen Aachen (Heiligtumsfahrt) und Trier (Heiliger Rock).


Bild 7: In Reinartzhof

In einem Pilger-Hospiz versorgte ein Einsiedler (an einigen Stellen ist auch von Brüdern die Rede) die Pilger mit Nahrung und Unterkunft. Ein Glöckchen half zur Orientierung bei schlechtem Wetter.

Da später von den um dieses Hospiz errichteten Höfen Viehzucht betrieben wurde, erging 1958 eine Enteignungsverfügung, die sich aber bis 1971 hinzog.

Begründung für die Enteignung: Trinkwasserschutz im Einzugsbereich der Eupener Wesertalsperre.

Als die letzten Bewohner den einsamen Weiler verlassen hatten, wurde auch deren Hof dem Erdboden gleichgemacht. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass der Trinkwasserschutz nur vorgeschoben worden sei, ein geplanter NATO-Flughafen zu Zeiten des kalten Krieges soll der wirkliche Grund gewesen sein. Doch aus dem NATO-Flughafen wurde nichts, die dunklen Wolken verzogen sich. Heute erinnern nur noch ein paar Mauerreste, eine Kapelle, die aus Steinen der Höfe errichtet wurden und die Infotafeln von Georg Hamacher an den einsamen Weiler dort oben im Venn.

Und da die Printe – wir kommen, wie bereits geschrieben, in Gemünd noch auf das Thema zurück – auch ein beliebtes Nahrungsmittel der Pilger war, gab es mit Produkten der Region hier die …

Rotkohlsuppe Reinartzhof

Ein Rotkohl, ein Apfel, eine Zwiebel, 25 Gramm Griebenschmalz, 200 Gramm Speck, Sirop d‘Aubel (sehr guten Sirop gibt es im Klosterladen von Val Dieu), Printen nach Geschmack, ein Liter Gemüsebrühe, ein Glas Sherry oder ein süßer Wein von der Mosel, Pfeffer und Salz, saure Sahne, Petersilie, Schnittlauch.

Zubereitung: Rotkohl und Zwiebel fein schneiden, in Griebenschmalz und klein gewürfeltem Speck andünsten. Apfel würfeln, Printen und Sirop d‘Aubel zufügen. 25 Minuten in zwei Drittel der Gemüsebrühe kochen, danach ungefähr 3/4 von der Masse pürieren. Sherry oder Wein und die restliche Gemüsebrühe zu der pürierten Suppe, Pfeffer und Salz nach Geschmack. Noch einmal aufkochen. Die restliche, nicht pürierte Masse dazu. Mit der Sahne und mit Petersilie und Schnittlauch dekorieren.

Da Georg Hamacher sich inzwischen verabschiedet hat, bleibe ich noch eine Zeitlang auf der Bank neben der Kapelle sitzen, in Gedanken an die Menschen versunken, die dort jahrhundertelang gelebt haben.

Das Wunder von Reinartzhof

Doch ich bleibe nicht lange alleine, da sich ungefragt einer dieser geheimnisumwitterten Vennläufer zu mir setzt.

»Du bist ein Geschichtensammler, das weiß ich«, sagte der Mann, den ich nur vom Sehen kannte. »Ich erzähle dir eine Geschichte, hier vom Reinart.«

Da ich oft Geschichtenerzähler treffe, fragte ich vorsichtig nach: »Und stimmt die Geschichte?«

»Manche sagen so, mache sagen so«, antwortete er nur und begann: »Die Winter auf dem Reinart waren schon immer hart. Weihnachten stand vor der Tür und die Bewohner des kleinen Weilers hatten alle für die Festtage vorgesorgt.

Nur – ich nenne ihn einfach so – der alte Alfons, Fons genannt, nicht. Er galt als mürrischer Einzelgänger, sein Haus lag auch etwas abseits und außer mit seinem Hund Lux, den er über alles liebte, sprach er kaum mit Jemand.

›De Tachszick muss et don‹, sagte er immer: ›Die Tageszeit muss reichen‹.

Am Abend vor Heiligabend wollte Lux noch eine Runde um das Haus drehen. Daher öffnete Fons die Haustür, sofort wehte Schnee ins Gehöft. Fons schloss hinter dem Hund die Tür, rutschte auf dem nassen Steinboden aus, schlug hart auf und blieb bewusstlos liegen.

Lux hatte dies nicht bemerkt. Erst als der Hund wieder ins Haus wollte, witterte das Tier, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Schäferhund lief bellend durchs Dorf, aber keiner reagierte, da Lux dies oft tat – meistens hinter anderen Hunden oder Katzen.

Fons lag noch immer bewusstlos in dem eiskalten Flur.

Traurig trottete Lux nach Hause und hoffte, dass die Tür doch noch aufgehen würde.

Vergebens!

Derweil schlug das Glöckchen vom Reinart, das seit 1831 in der alten Monschauer Pfarrkirche ›St. Mariä Geburt‹ hängt, wie immer in der Rurstadt zur Viertelstunde – Viertel nach sechs, Dunkelheit lag über der damaligen Kreisstadt.

Verwundert schauten in den nächsten Stunden Anwohner der alten Pfarrkirche zur Turmuhr, da die Glocke schwieg.

Zu hören war sie allerdings über den Häusern auf dem Reinart. Die Menschen traten aus ihren Häusern und starrten verwundert zum Himmel, wo das Glockengeläut mal über dem Hof, mal über einem anderen Gehöft zu hören war. Schließlich läutete das Glöckchen über dem Weg, der zu Fons Haus führte. Die Bewohner vom Reinart zogen sich warme Sachen an und folgten der Glocke bis vor das Haus von Fons, wo Lux an der Tür kratzte. Da dort oben im Venn nie jemand die Haustür abschloss, fand das kleine Grüppchen den alten Mann, der auch bald wieder zu sich kam und außer einer riesigen Beule unverletzt war.

Fons war peinlich berührt, wusste der doch, dass man ihn im Dorf ›den Muffkopp‹ nannte. Die Frauen des Dorfes zogen sich in den Flur zurück und tuschelten lange zusammen. Dann riefen sie die Männer und wieder wurde getuschelt. Schließlich blieb nur noch Jupp bei Fons, während all die anderen sich verabschiedeten: ›Wir kommen gleich wieder‹.

Und sie kamen wieder. Zuerst Karl, der einen kleinen Tannenbaum mitbrachte und ihn bescheiden mit Strohsternen schmückte. Dann folgten die anderen Familien. Alle hatten zu Hause Körbe gefüllt und schon bald standen und lagen auf dem grob gezimmerten Küchentisch Schinken, Würste, Käse, gekochte Kartoffeln, Butter sowie Wein, Bier und Schnaps.

An diesem Vorheiligabend saßen die Reinarter noch lange zusammen und redeten von alten Zeiten in der Einsamkeit. Es war schon spät am Abend, als die Gruppe das Haus von Fons verließ, der erstmals erzählte, warum er immer so verschlossen und einsam gelebt hatte – eine Geschichte von Tod, Krieg und schmerzlichen Verlusten.

›Das machen wir nun jedes Jahr am Vorheiligabend‹, rief eine der Frauen.

Damals ahnte noch keiner, dass nur ein Jahr später durch königlichen Erlass das ganze Dorf enteignet wurde, die Menschen den Ort in alle Himmelsrichtungen verlassen mussten.

Kurzum: Eine Feier hat es nie wieder gegeben, man erzählte sich nur noch davon, wenn sich zufällig irgendwo ehemalige Bewohner aus dem Dorf trafen.«

»Und damit endet nun deine Geschichte?«, fragte ich den Vennläufer.

»Nicht ganz«, antwortet dieser: »Um Mitternacht wunderten sich an diesem Tag die Monschauer, dass die Glocke vom Reinart nicht nur einmal schlug, sondern – fast jubelnd – fünf Minuten läutete. Man hat mir berichtet, dass man noch heute um Mitternacht vor Heiligabend die Glocke hier oben im einsamen Hohen Venn hören soll. Wer weiß …«

Der Vennläufer verabschiedete sich, tippte an seinen Hut und war kurze Zeit später verschwunden.


Bild 9: Das hohe Venn

Wir machen uns nun auf den Weg nach Mützenich, zugegeben das lange gerade Stück gehört für mich zu den langweiligsten Strecken des Eifelsteigs. Ich gebe allerdings zu, dass ich als Jugendlicher diese Strecke fast jeden Abend mit dem Fahrrad abgefeiert habe. Ich sehe eben nur den Horizont, andere Wanderer die Schönheiten des Hohen Venn links und rechts am Wegesrand.

Und da wir uns letztmalig in Belgien und – wie vernommen – somit in der Provinz Lüttich befinden, hier noch ein typisches Gericht dieser Region.

Boulet à la liégeoise


Bild 10: Boulet à la liégeoise

Im dreisprachigen Belgien heißt dieses Gericht auch »Lütticher Bulette« oder »Gehaktballen met luikse Saus« und die Tunke: »Soße Lapin«.

Halt, halt: Die Soße hat nichts mit Kaninchen zu tun, sondern vielmehr mit Madame Géraldine Lapin, die sie erfunden hat: »Kaninchensoße ohne Kaninchen«, sagt man in Belgien dazu. Leider ist wenig von der guten Frau überliefert. Da ihr Mann aber ein »Poète amateur« war, also so etwas wie ein Heimatdichter, wissen wir, dass der gute Ehemann von 1868 bis 1922 gelebt hat und Steuereintreiber in den Vororten von Lüttich war. Es gibt sogar einen Verein in Lüttich »D’une certaine gaieté«, der gefordert hat, dass die Boulet in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wird.

Daraus ist aber nichts geworden.

Die Boulet sind schnell gemacht – ähnlich der deutschen Frikadelle.

Gehacktes halb und halb, ein Ei, eingeweichtes Toastbrot, Salz, Pfeffer, Muskat und viele Kräuter dazu. Daraus runde Klöße formen und anbraten. Anschließend die Buletten in einen Topf geben, mit etwas Wasser begießen und die Soße zubereiten: Diese erinnert ein wenig an rheinischen Sauerbraten. Mein Vorschlag – probieren Sie diese nach ihrem ureigenen Geschmack aus. Gerade beim Mönchsbier scheiden sich nämlich oft die Geister.

Zutaten für die Soße:

Zwiebeln, Knoblauch, Butter, meinen geliebten Sirop d‘Aubel, Rinderbrühe, Rosinen, Thymian, Lorbeerblatt, Nelken, belgisches, dunkles Trappistenbier, Rohrzucker, Essig, Salz, Pfeffer, Mehl.

Da am Horizont bereits die Grenze erscheint, hier noch schnell eine Spezialität, bevor wir Belgien wieder verlassen.

Reisfladen


Bild 11: Ein Stück Reisfladen

Reisfladen selbst herzustellen, erfordert schon jede Menge Talent und einen Backofen bis 300 Grad. Wichtig ist dabei die Produktion mit Rohmilch statt pasteurisierter Milch. Da gab es vor Jahren einen Sturm der Entrüstung, als das belgische »Bundesamt für Sicherheit der Lebensmittelkette (AFSCA-FASNK)« dem Fladen an die Rohmilch gehen wollte. Auch die Lagerung bei Zimmertemperatur war den Prüfern ein Reiskorn im Auge. Daher wollten sie den Fladen in den Kühlschrank verbannen. Beides – da waren sich die Fladen-Fans mit den belgischen Bäckern einig – hätte eine Beeinträchtigung des typischen Fladen-Geschmacks mit sich gebracht. Man ging also auf die Fladen-Barrikaden, an vielen Autos (auch an meinem) pappte der Aufkleber »Touche pas ma tarte« (Hände weg von meinem Fladen).

In Deutschland – da beruft man sich auf die EU – ist der Verkauf von »… unverändertem Gemelk von Nutztieren, das nicht über 40 °C erhitzt und keiner Behandlung mit ähnlicher Wirkung unterzogen wurde« verboten. Darauf berief man sich wohl auch bei der belgischen Behörde. Doch nach mehreren – vor allen Dingen politischen – Machtwörtern, verkündete am 21. September 2016 der Belgische Rundfunk: »Studie bestätigt Haltbarkeit: Der Reisfladen ist gerettet« und das Eupener GrenzEcho: »Reisfladen darf weiter traditionell hergestellt und gelagert werden.«

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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