Buch lesen: «Die Burg von Otranto»
Der Leserin.
Holder Unschuld, sanfter Liebe Leiden,
nahen sich und suchen Schutz bey Dir:
wirst Du nicht den trüben Anblick meiden?
sollen sie getröstet von Dir scheiden,
und verzeihst Du ihre Sendung mir?
Vorrede der ersten englischen Ausgabe
Das folgende Werk fand sich in der Büchersammlung eines alten catholischen Geschlechts, im nördlichen Theile Englands. Es ward im Jahr 1529, in Mönchsschrift, in Neapel gedruckt. Wie viel früher es geschrieben worden, ersieht man nicht. Die Hauptvorfälle, welche es erzählt, sind von der Art, als zu den finstersten Zeiten des Christenthums Glauben fanden; aber Schreibart und Darstellung schmecken keinesweges nach Barbarey. Die Sprache ist rein Italiänisch. Wäre die Geschichte um eben die Zeit geschrieben, da sie sich zugetragen haben soll, so träfe das zwischen 1095, der Epoche des ersten Kreuzzuges, und 1243 als dem Zeitpunkt des letzten, oder nicht lange nachher. Sonst stößt man auf keinen Umstand, der die Periode errathen ließe, worin die Scene versetzt ist. Die Nahmen der handelnden Personen sind offenbar erdichtet, und wahrscheinlich absichtlich verstellt. Doch lassen die spanischen Nahmen der Bedienten vermuthen, das Werk sey erst verfaßt, da die Gelangung arragonischer Könige zum Thron von Neapel, spanische Benennungen in diesem Lande gewöhnlich gemacht hatten. Die Schönheit der Sprache, und der Eifer des Schreibers, welchen doch eine seltne Urtheilskraft in Schranken hält, bereden mich anzunehmen, dieses Product sey wenig älter als die Buchdruckerkunst. Damals waren die Wissenschaften in Italien in ihrem blühendsten Zustande, und trugen das ihrige dazu bey, das Reich des Aberglaubens zu zerstören, das von den Kirchenverbesserern so heftig angefallen ward. Läßt es sich nicht denken, daß ein schlauer Pfaffe den Versuch wagen mogte, die Neuerer mit ihren eignen Waffen zu bekämpfen; und sich seines schriftstellerischen Talents bediente, um den Pöbel in alten Irrthümern und Aberglauben zu bestärken? War dies seine Absicht, wahrlich! so verfuhr er schlau genug. Ein Werk wie das seinige wird hundert gewöhnliche Menschenseelen leichter fesseln, als die Hälfte aller Streitschriften, die von Luthers Zeiten bis auf gegenwärtige Stunde erschienen sind. Doch gebe ich diese Entwickelung des Zweckes meines Autors, nur als eine Möglichkeit. Was auch seine Absicht war, welche Wirkung ihre Ausführung auch hervorgebracht haben mag; sein Werk kann der jetzigen Lesewelt, blos als ein Gegenstand der Unterhaltung, vorgelegt werden. Und selbst in dieser Rücksicht, bedarf es einer Schutzschrift. Wunderwerke, Erscheinungen, Zaubermittel, Träume, und was sonst übernatürlich heißt, ist jetzt sogar aus Romanen verbannt. Das war nicht der Fall als mein Autor schrieb, und noch weniger als die Geschichte sich begeben haben soll, die er aufzeichnet. In jenen Jahrhunderten der Finsterniß, war der Glaube an das Uebernatürliche jeder Art so fest gegründet, daß ein Schriftsteller den Sitten der Zeiten nicht treu bleiben würde, wenn er desselben gar nicht erwähnte. Er ist nicht verbunden daran zu glauben, aber den Leuten die er aufstellt, muß er ihren Glauben nicht absprechen.
Kann der Leser diesen Anstrich des Wunderbaren entschuldigen, so wird er alles übrige seiner Durchsicht wehrt finden. Man gebe nur die Möglichkeit der Thatsachen zu, und alle handelnden Personen betragen sich, wie jedermann in ihrer Lage thun würde. Es giebt hier keinen Schwulst, Gleichnisse, Blumen, Ausschweifungen, oder unnöthige Beschreibungen. Jede Begebenheit zweckt geradezu auf die Entwickelung. Des Lesers Aufmerksamkeit bleibt gespannt. Ich mögte sagen, das Ganze sey nach dramatischen Regeln behandelt. Die Charactere sind gut gezeichnet, und noch besser gehalten. Des Schriftstellers vorzüglichste Triebfeder ist Schrecken, nie läßt es seine Geschichte ermatten, und steht so oft dem Mitleid gegen über, daß sich die Seele in einer beständigen Abwechslung herzangreifender Gefühle befindet.
Es mag Leser geben, denen die Schilderung der Bedienten, gegen den Totaleindruck der Geschichte, nicht ernsthaft genug gehalten dünkt; aber eben dadurch contrastiren sie gegen die Hauptpersonen; und mir scheint gerade die Art, wie mein Autor seine untergeordneten Mitspieler gebraucht, sehr empfehlungswürdig. Von ihnen erfahren wir manches, das wesentlich zur Geschichte gehört, und doch nur durch Naivetät und Einfalt an den Tag gebracht werden konnte; besonders aber tragen Bianca’s weibliche Furcht und Schwachheiten, im letzten Abschnitt, wesentlich dazu bey, die Entwickelung zu befördern. Natürlicher Weise ist ein Uebersetzer für das Stiefkind seines Geistes eingenommen. Dem unpartheyischen Leser werden seine Schönheiten minder rühren, als mich. Doch ganz blind, gegen die Mängel meines Originals, bin ich nicht. Ich wünschte der Plan desselben gründete sich auf eine nützlichere Lehre, als darauf: daß die Sünden der Väter an ihren Kindern heimgesucht werden, bis ins dritte und vierte Glied. Ich zweifle, ob der Ehrgeiz, aus Furcht vor einer so entfernten Strafe, sein Gelüsten nach Herrschsucht, zu jener Zeit mehr wie zu der meinigen, in Zaum gehalten habe. Und sogar diese Lehre, wird durch einen versteckteren Wink entkräftet: daß man auch einen solchen Fluch, durch Andacht zum heiligen Niklas, von sich abwenden könne. Hier gilt dem Mönch sein Eigennutz offenbar mehr, als dem Schriftsteller sein Verstand. Aber trotz dieser Fehler, verspreche ich dem Werkchen eine günstige Aufnahme. Die Frömmigkeit die in jeder Zeile athmet, die Tugendregeln die es predigt, und die strenge Unbeflecktheit der Gefühle die es schildert, überheben dieses Buch einem Tadel, den Romane nur zu häufig verdienen. Sollte es so viel Beyfall finden als ich hoffe, so entschließe ich mich vielleicht, das italiänische Original drucken zu lassen, obgleich meine Arbeit dadurch unendlich verlieren wird. Welschlands Sprache läßt die meinige, an Reizen der Mannigfaltigkeit und des Wohlklanges, weit hinter sich zurück. Besonders treflich schickt sie sich, für die Einfalt der Erzählung. Wir finden es sehr schwer, etwas wieder zu sagen, ohne entweder zu gemein zu werden, oder zu hochtrabend. Die Ursache dieser Verlegenheit liegt am Tage. Wir geben uns zu wenig Mühe, im gemeinen Leben rein zu sprechen. Hingegen hält jeder Italiäner oder Franzose, von einigem Range, viel darauf, sich in seiner Sprache richtig und mit Auswahl auszudrücken. Ich darf mir in dieser Rücksicht nicht schmeicheln, daß ich meinem Autor Gerechtigkeit wiederfahren lasse; seine Sprache ist eben so zierlich, als meisterhaft seine Behandlung der Leidenschaften; nur Schade daß er seine Talente nicht dafür anwandte, wofür die Natur sie bestimmt zu haben schien, für die Bühne.
Eine kurze Bemerkung noch, und ich halte meinen Leser nicht länger auf. Obwohl die Machinerie Erfindung ist, und die Nahmen der handelnden Personen erdacht, so kann ich doch nicht umhin zu glauben, die Hauptvorfälle der Geschichte gründen sich auf etwas wahres. Die Scene selbst ist zweifelsohne aus einer wirklichen Burg entlehnt. Unwillkührlich entwischt dem Schriftsteller, hie und da, ein Umstand in seiner Beschreibung, der auf etwas hindeutet, was er sah. Die Kammer rechter Hand; die Thür linker Hand; die Entfernung von der Capelle bis zu Corrado’s Zimmer: diese und ähnliche Stellen, erwecken eine starke Vermuthung, daß der Schreiber irgend ein Gebäude vor Augen hatte. Wißbegierige Gelehrte, die zu einer solchen Untersuchung Muße genug besitzen, entdecken vielleicht, in italiänischen Schriftstellern, den Grund auf welchem unser Autor baute. Kann man glauben, daß eine wirkliche Begebenheit dieses Werkchen veranlaßt habe, so wird der Leser desto mehr Theil daran nehmen, und die Geschichte der Burg von Otranto seinem Herzen näher legen.
Wilhelm Marshal.
Vorrede der zweyten Ausgabe
Die geneigte Aufnahme, deren die Lesewelt diese kleine Erzählung würdigte, fodert den Dichter auf, die Grundsätze zu erklären, nach welchen er sie verfertigte. Doch ehe er sich darüber einläßt, schickt es sich wohl, daß er seine Leser um Verzeihung bitte, in der erborgten Gestalt eines Uebersetzers vor ihnen aufgetreten zu seyn. Nur Mistrauen in seine eigenen Kräfte, und die Neuheit des Versuchs, konnten ihn zu dieser Verkleidung bereden; darum schmeichelt er sich, daß man ihn entschuldigen werde. Er überließ seine Arbeit, dem unpartheyischen Urtheile des Publikums; entschlossen sie in Dunkelheit umkommen zu lassen, wenn man sie verwürfe; und nicht gesonnen, eine solche Kleinigkeit anzuerkennen, wenn nicht bessere Richter dahin urtheilten, daß er sich dazu gestehen dürfe, ohne zu erröthen.
Sein Versuch ging dahin, beyderley Romanengattungen zu vereinigen, die alte und die neue. In jener war alles Einbildung und Unwahrscheinlichkeit: in dieser soll nichts nachgeahmt werden als die Natur, und das geschieht zuweilen mit Glück.
Es fehlt ihr nicht an Erfindung, aber durch strenge Anhänglichkeit an das gewöhnliche Leben, versiegen die großen Quellen der Phantasie. Wenn auf diese Art die Einbildungskraft eingezwängt wird, so rächt sich freilich die Natur, blos nach dem Maasstabe des gegenseitigen Verfahrens; denn von den alten Romanen war sie ganz ausgeschlossen. Die Handlungen, Empfindungen und Aeusserungen, der Helden und Heldinnen der Vorwelt, waren eben so unnatürlich, als die Triebfedern, die sie in Bewegung setzten. Der Schreiber folgender Blätter hielt es für möglich, beide Gattungen miteinander auszusöhnen. Er wünschte der Macht der Einbildungskraft allen Spielraum zu geben, das unbegränzte Reich der Phantasie zu durchstreifen, und dadurch anziehende Situationen zu bewirken; und es lag ihm daran, die Sterblichen die in seinem Schauspiel auftreten, nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit handeln zu lassen: so daß sie, mit einem Worte, dächten, thäten und sprächen, wie man voraus setzen kann, daß bloße Männer und Weiber in einer außerordentlichen Lage thun würden. Er bemerkte daß alle Schriftsteller aus göttlicher Eingebung, ihre Menschen, die unter dem Einfluß der Wunderwerke stehn, und Zeugen der erstaunlichsten Erscheinungen sind, nie aus der menschlichen Natur heraustreten lassen: dahingegen die Romanenschreiber, eine unwahrscheinliche Begebenheit stets mit einem ungereimten Gespräch begleiten. Verlieren die Gesetze der Natur das Gleichgewicht, so verlieren ihre Personen, wie es scheint, augenblicklich den Verstand. Das Publikum
hat dem Versuch seinen Beyfall gegeben, daher darf der Autor nicht sagen, daß er seinem Unternehmen ganz und gar nicht gewachsen war. Bricht aber der neue Weg, den er einschlug, Männern von glänzenderen Talenten eine Bahn, so gesteht er gern und bescheiden, wie sehr er fühlt, daß ein solcher Plan weit schöner ausgeführt werden könne, als seine Einbildungskraft und Behandlung der Leidenschaften ihm zu thun erlaubten.
Der Art, wie die Bedienten geschildert sind, ist bereits in der ersten Vorrede erwähnt, doch erlaubt man vielleicht, hier noch ein Paar Worte darüber hinzuzufügen. Die Einfältigkeit ihres Benehmens, die fast zum Lachen bewegt, und obenhin betrachtet, mit dem ernsten Ton des Werkes in keinem Einklang zu stehen scheint, hielt ich nicht nur nicht für unschicklich, sondern ward von mir absichtlich so dargestellt. Darin war die Natur meine Richtschnur. Wie ernsthaft, wichtig, sogar schwermüthig die Gefühle der Fürsten und Helden auch seyn mögen, ihren Bedienten prägen sie die nemlichen Empfindungen nicht ein; wenigstens drücken die letzteren ihre Gesinnungen nicht in gleich erhabener Sprache aus, oder sollten sie doch so nicht ausdrücken. Ich bin des unterthänigen Dafürhaltens, daß der Abstand zwischen der Erhabenheit der ersten, und der Naivetät der letztern, ein stärkeres Licht auf die Leiden jener werfe. Fühlt der Leser sich ungeduldig, wenn ihn die niedern Scherze gemeiner Schauspieler verhindern, zur Kenntniß der wichtigen Entwickelung zu gelangen, welcher er entgegen sieht: so vermehrt das vielleicht seine Theilnahme, und beweist sicherlich, es sey der Kunst gelungen, ihn für die obwaltende Begebenheit einzunehmen. Aber ich hatte für diese Behandlungsart einen sicherern Gewährsmann, als meine Meinung. Shakespeare, dieser große Meister der Natur, war das Muster, dem ich nachahmte. Würden, frag’ ich, seine Trauerspiele, Hamlet und Julius Cäsar, nicht einen beträchtlichen Theil ihres Geistes und ihrer wunderbaren Schönheiten verlieren, wenn man die Einfälle der Todtengräber, Polonius Narrheiten, und den Pöbelwitz der römischen Bürger, daraus verbannte, oder in Heldenton verkehrte? Wird die Beredsamkeit des Antonius, und die edlere, absichtlich minder gesuchte Sprache des Brutus, durch das rohe Geschrei der Natur aus dem Munde ihrer Hörer, nicht mit weiser Kunst erhöht? Diese Meisterzüge erinnern an den griechischen Steinschneider, welcher, um in dem engern Umkreise eines Siegels den Begrif eines Riesen auszudrücken, einen kleinen Knaben neben ihm stellte, der seinen Daumen mißt.
Nein, sagt Voltaire in seiner Ausgabe des Corneille, diese Vermischung des Grotesken und Feyerlichen ist unerträglich. Voltaire ist ein Genie, aber an Shakespeare’s Größe reicht er nicht.1 Ohne Schiedsrichter aufzurufen, gegen die sich etwas einwenden ließe, wende ich mich von Voltaire an ihn selbst. Ich leiste Verzicht, auf seine vormaligen Lobreden zu Ehren des mächtigen Dichters; wiewohl der französische Kunstrichter einen Monolog Hamlets zweymal übersetzt hat; vor vielen Jahren in seiner Bewunderung, und neuerlich um darüber zu spotten; es thut mir nur leid zu finden, daß seine Urtheilskraft schwächer geworden sey, da sie hätte sollen reifer werden. Ich bediene mich blos seiner eigenen Worte, über die dramatische Behandlung an sich selbst betrachtet, wobey er nicht daran dachte, Shakespeare’s Manier zu empfehlen oder herunterzusetzen: folglich wo Voltaire unpartheyisch war. Die Vorrede zu seinem verlornen Sohn (enfant prodigue,) einem treflichen Stücke, für welches ich meine Bewunderung an den Tag lege, und das, sollte ich noch zwanzig Jahr länger leben, ich hoffentlich nie unternehmen werde lächerlich zu machen, drückt sich folgender Gestalt über das Lustspiel aus: (und hätte vom Trauerspiele das nämliche sagen können, wenn anders Trauerspiel ist, was es sicherlich seyn soll, ein Gemälde des menschlichen Lebens; noch vermag ich zu begreifen, warum gelegentlicher Scherz von der tragischen Bühne mehr verbannt seyn sollte, als rührender Ernst von der comischen? »Man sieht darin eine Vermischung von Ernst und Scherz, von Lachen und Thränen; oft bringt die nemliche Begebenheit so entgegenstehende Empfindungen hervor. Nichts findet man so häufig, als ein Haus, worin der Vater schmält, die Tochter von einer Leidenschaft hingerissen weint, der Sohn beyde verlacht, und einige Verwandten verschiedenen Antheil an dem nehmen was vorgeht. Wir schließen daraus nicht, daß ein jedes Lustspiel niedrig komische und rührende Auftritte in sich vereinigen müsse: es giebt gute Stücke die blos lustig sind; einige ganz ernsthaft; einige abwechselnd; einige welche die Rührung bis zu Thränen treiben: man muß keine Gattung verwerfen; und fragt man mich, welcher Gattung ich den Vorzug gebe, so antworte ich, der, die am besten behandelt wird.« Wahrlich, darf ein Lustspiel ganz ernsthaft seyn, so mag man auch dem Trauerspiele ein bescheidentliches Lächeln erlauben. Wer hat ihm darüber vorzuschreiben? Soll der Kunstrichter, der aus Selbstvertheidigung keine Gattung des Lustspiels verwerfen lassen will, Shakespeare’n Gesetze geben?
Wohl weiß ich, daß Herr von Voltaire die Vorrede, woraus ich diese Stellen anführe, nicht sich sondern dem Herausgeber zuschreibt. Wer aber zweifelt, daß Herausgeber und Dichter eine Person sind? oder wer ist der Herausgeber, der sich so glücklich der Sprache und der glänzenden Ueberredungskraft seines Dichters bemeistert? Unstreitig waren diese Aeusserungen eigenthümliche Meinung des Schriftstellers. In dem Briefe an Maffei, welcher seiner Merope zur Vorrede dient, behauptet er die nemlichen Sätze, obwohl, wie es mir vorkommt, mit einigem Zusatz von Ironie. Ich will seine Worte wiederholen, und dann der Ursache erwähnen, warum ich sie anführe. Voltaire übersetzt eine Stelle aus Maffei’s Merope, und fügt hinzu: »das ist alles sehr natürlich; jeder Zug ist den Personen die Sie auf die Bühne bringen, angemessen, so wie den Sitten, die Sie ihnen geben. Man würde, glaub’ ich, diese ungezwungene Vertraulichkeit in Athen gut aufgenommen haben; aber Paris und unser Parterre verlangen eine andere Art von Einfalt.« Ich zweifle, sag’ ich, ob nicht ein Gran von Spott unter dieser und ähnlichen Stellen dieses Briefes verborgen liegt; doch verliert die Macht der Wahrheit nicht durch einen Anstrich des Lächerlichen. Maffei sollte eine griechische Geschichte darstellen: sicherlich waren die Athener nicht weniger gültige Richter über griechische Sitten und die Wahrheit ihrer Schilderung, als das Pariser Parterre. Gerade das Gegentheil, sagt Voltaire, und ich muß seine Gründe bewundern: Athen hatte nur zehntausend Bürger, und Paris hat beynahe achtmalhunderttausend Einwohner, worunter man dreißigtausend Schauspielrichter annehmen kann. Wirklich? Ich will diesen zahlreichen Gerichtshof zugeben; aber selbst alsdann glaub’ ich, ist dies der einzige Fall, in welchem man jemals behauptet hat: dreißigtausend Personen, die beinahe zweitausend Jahr später leben als die Zeit von der die Rede ist, wären, blos in Rücksicht auf ihre Anzahl, für bessere Richter zu erklären, als die Griechen selbst, wenn es auf Wahrheit der Sitten eines Trauerspiels ankommt, das aus griechischer Geschichte genommen ist.
Ich will mich in keine Untersuchung einlassen, welch eine Art von Einfalt die seyn mag, die das Pariser Parterre verlangt, noch in welche Fesseln die dreißigtausend Richter ihre Dichtkunst geschlagen haben; deren hauptsächlichstes Verdienst darin besteht, wie ich aus wiederholten Stellen des neuen Commentators über Corneille mir zusammenlese, trotz dieser Ketten zu springen; ein Verdienst, dessen Annahme die Dichtkunst von den Höhen gewaltiger Einbildungskraft, auf kindische und höchstverächtliche Arbeit, auf nugae difficiles einschränkt. Doch kann ich nicht umhin, ein Paar Alexandriner anzuführen, die meinen barbarischen Ohren, immer die platteste und höchst kleinlichste Probe ängstlicher Umständlichkeit schienen; die aber Voltaire, der neun Zehntheile von Corneille’s Werken so strenge richtet, im Racine heraushebt, um sie zu vertheidigen;
De son appartement cette porte est prochaine
et cette autre conduit dans celui de la reine.
oder:
Zu seinem Schlafgemach führt diese Thüre hin,
Die andre aber bringt dich zu der Königin.
Unglücklicher Shakespeare! hättest du deinen Rosenkranz seinem Gevatter Güldenstern den Grundriß des Pallastes zu Copenhagen vorerzählen lassen, anstatt eine lehrreiche Unterhaltung des Fürsten von Dännemark mit dem Todtengräber auszustellen, so wäre das erleuchtete Pariser Parterre zum zweitenmal belehrt worden, deinen Vorzügen zu huldigen.
Das Resultat alles dessen, was ich gesagt habe, ist, mein eignes Wagstück unter das Geschütz des grösten Genies zurükzuziehen, das wenigstens mein Vaterland hervorbrachte. Ich hätte anführen können, mir als dem Schöpfer einer neuen Romanengattung stehe frey, welche Regeln ich für ihre Behandlung annehmen wolle: aber ich bin viel stolzer, ein so meisterhaftes Muster, wenn gleich nur schwach und dürftig, und in gröster Ferne, nachgeahmt zu haben, als des ganzen Verdienstes der Erfindung zu genießen; da ich meinem Werk nicht eben so wohl den Stempel des Genies, als der Originalität aufdrücken kann. Wie es ist, hat ihm das Publicum Ehre genug erwiesen, welchen Rang ihm auch seine Stimme anweisen mag.
Horaz Walpole.
Erster Abschnitt
Manfred, Fürst von Otranto, hatte einen Sohn und eine Tochter. Diese, ein sehr schönes Fräulein von achtzehn Jahren, hieß Matilde. Corrado, der Sohn, war drey Jahr jünger, übel aussehend, kränklich, und ohne versprechende Anlagen; dennoch der Liebling seines Vaters, der selten Spuren einiger Zuneigung gegen Matilde blicken ließ. Manfred hatte eine Heirath für seinen Sohn mit Isabellen, der Tochter des Markgrafen von Vicenza besprochen; und ihre Vormünder hatten sie bereits in Manfreds Hände abgeliefert, damit er die Hochzeitfeyer vollziehen könne, sobald Corrado’s schwacher Gesundheitszustand es erlaubte. Manfreds Hausgenossen und Nachbarn bemerkten seine Ungeduld, die Feyer zu vollziehen. Jene freylich scheuten seine Strenge, und unterstanden sich daher nicht, ihre Muthmaßungen über diese Eilfertigkeit zu äußern. Hippolite, seine Gemahlin, eine liebenswürdige Dame, wagte zuweilen ihm die Gefahr vorzustellen, die mit einer frühen Verheirathung ihres Sohnes, in Rücksicht seiner großen Jugend, und größeren Schwachheit, verbunden wäre. Aber sie erhielt nichts zur Antwort, als Vorwürfe über ihre eigne Unfruchtbarkeit, da sie nur einen Erbherrn gebohren habe. Manfreds Vasallen und Unterthanen nahmen sich in ihren Reden minder in Acht: sie schoben diese hastige Vermählung, auf Rechnung der Furcht ihres Fürsten, eine alte Weissagung erfüllt zu sehn, nach welcher es hieß: die Burg und Herrschaft Otranto, sollten dem Geschlecht ihrer gegenwärtigen Einhaber entwendet werden, wenn dem wirklichen Besitzer seine Behausung zu enge würde. Es war schwer in dieser Weissagung einen Sinn zu finden; und noch schwerer zu begreifen, was sie mit der vorseyenden Vermählung für eine Verbindung habe. Doch blieb das Volk, dieses Räthsels oder Widerspruchs ohngeachtet, nicht minder fest auf seiner Meinung.
Corrado’s Geburtstag war zum Trauungsfest bestimmt. Die Gesellschaft befand sich in der Burgcapelle versammelt, und alles zur priesterlichen Einsegnung bereit, als man Corrado selbst vermißte. Manfred konnte keinen Verzug ertragen, er hatte nicht bemerkt daß sein Sohn sich entferne, und sandte einen seiner Begleiter den jungen Fürsten herbeyzurufen. Der Bediente blieb nicht so lange weg, als er Zeit bedurfte über den Hof nach Corrado’s Zimmern zu gehn, sondern lief athemlos zurück, und sah aus wie ein Wahnwitziger, seine Augen starrten, Schaum stand vor seinen Lippen. Er sprach kein Wort, und zeigte auf den Hof. Die Gesellschaft ergrif Schauder und Entsetzen. Die Fürstin Hippolite wuste nicht was vorgefallen seyn konnte, aber aus Angst um ihren Sohn fiel sie in Ohnmacht. Manfred, minder besorgt, als aufgebracht über die Verzögerung der Trauung, und die Albernheit seines Bedienten, fragte gebieterisch, was es gäbe? Der Bursch antwortete nicht, sondern fuhr fort nach dem Hofraum hinzudeuten; und rief endlich, nachdem er sich zu wiederholtenmalen fragen lassen: O weh! der Helm! der Helm! Unterdessen waren schon einige der Gesellschaft in den Hof gelaufen, woher man ein verwirrtes Getöse von Schrecken, Abscheu und Entsetzen vernahm. Endlich ward Manfred bestürzt als sein Sohn nicht erschien, und ging selbst, um der Ursache dieser seltsamen Verwirrung nachzuforschen. Matilde blieb zum Beystand ihrer Mutter, und Isabelle leistete ihr darin Gesellschaft, die ohnedem keine Ungeduld nach einem Bräutigam bezeigen wollte, für den sie in der That wenig Neigung besaß.
Was Manfreds Augen zuerst auffiel, war ein Kreis seiner Bedienten, die etwas in die Höhe zu heben sich bemühten, das einem Berge schwarzer Federn ähnlich sah. Er staunte und traute seinem Gesicht nicht. Was treibt ihr da? rief Manfred wütend: wo ist mein Sohn? Ein Chor von Stimmen antwortete: O, gnädigster Herr! der Prinz! der Prinz! der Helm! der Helm! Ihn erschütterten die Klagetone, die Furcht unbekannter Dinge überfiel ihn, er trat hastig hinzu – was erblickten die Augen des Vaters? – er sah sein Kind zerschmettert, begraben gleichsam, unter einem ungeheuren Helm, hundertmal größer als irgend eine Sturmhaube die je für einen Sterblichen geschmiedet ward, und von einem verhältnißmäßig großen Busch schwarzer Federn beschattet.
Dieser grauenvolle Anblick, die Unwissenheit aller Umstehenden auf was Art sich der Unfall ereignet habe, und über alles, die furchtbare Erscheinung vor ihm, benahmen dem Fürsten die Sprache. Doch schwieg er länger, als selbst der Kummer schweigen kann. Seine Augen starrten auf das hin, was er vergebens wünschte für ein Gesicht halten zu können; und er schien minder empfindlich gegen seinen Verlust, als in Betrachtung verlohren, über den erstaunenswürdigen Gegenstand der ihn veranlaßte. Er berührte, untersuchte, den unglückbringenden Helm; selbst die blutenden zerstückelten Ueberreste des jungen Prinzen, konnten Manfreds Blicke von diesem Schreckenswunder nicht abziehn. Wer seine partheyische Zärtlichkeit für den jungen Corrado gekannt hatte, war eben so verwundert über die Unempfindlichkeit des Fürsten, als betroffen über das Zeichen des Helms. Man trug den entstellten Leichnam in die Halle, ohne darüber im geringsten Manfreds Befehl zu erhalten. Eben so wenig achtete er seiner Gemahlin und Tochter, die in der Capelle zurück blieben. Die ersten Worte aus seinem Munde waren: Sorgt für Fräulein Isabelle!
Den Bedienten fiel dieser sonderbare Befehl nicht auf. Liebe zu ihrer Herrschaft ließ sie annehmen, daß von ihr allein die Rede seyn könne: sie eilten zu ihrem Beystand. Man brachte sie in ihr Schlafzimmer mehr todt als lebendig, und gleichgültig gegen alles seltsame das man ihr hinterbrachte, ausgenommen gegen den Verlust ihres Sohnes. Matilde, kindlicher Zärtlichkeit voll, erstickte eignen Schmerz und Entsetzen, und dachte nur darauf ihre betrübte Mutter aufzurichten und zu trösten. Isabelle, die wie eine Tochter von Hippoliten behandelt war, und diese Zuneigung mit gleicher Erkenntlichkeit und Liebe erwiederte, war kaum weniger thätig um die Fürstin; und suchte zu gleicher Zeit das Gewicht des Grams mit zu tragen und zu vermindern, das ihre Matilde zu unterdrücken strebte, für welche sie das wärmste Mitgefühl der Freundschaft empfand. Doch konnte sie gleichfalls nicht umhin an ihre eigene Lage zu denken. Corrado’s Tod that ihr weiter nicht leid, als weil er schmerzlich war; und es durfte ihr nicht unangenehm seyn, einer Heyrath entbunden zu werden, die ihr wenig Glückseligkeit versprach, sowohl in Ansehung des Mannes den man ihr bestimmte, als in Rücksicht auf Manfreds strenge Stimmung, der trotz der großen Nachsicht, wodurch er sie auszeichnete, ihre Seele mit Schrecken erfüllte, indem er ohne Veranlassung gegen so liebenswürdige Fürstinnen, als Hippolite und Mathilde, hart war.
Während die Damen der unglücklichen Mutter zu Bette halfen, blieb Manfred im Hofe, betrachtete unverwand den Verderben, verkündenden Helm, und kehrte sich nicht an die Menge, welche dieser seltsame Vorfall nach und nach um ihn versammelt hatte. Nur von Zeit zu Zeit fragte er mit kurzen Worten: ob niemand wisse, woher der Helm gekommen seyn möge? Niemand konnte darüber die geringste Auskunft geben. Da dies aber der einzige Gegenstand seiner Neugierde schien, so ahmten ihm die übrigen Zuschauer bald darin nach, deren Vermuthungen eben so ungereimt und unwahrscheinlich waren, als beyspiellos der Vorgang selbst. Mitten unter ihrem unvernünftigen Rathen, bemerkte ein junger Bauer aus einem benachbarten Dorf, den der Lärmen herbeygelockt hatte, der wunderbare Helm sehe dem außerordentlich ähnlich, welchen die schwarze marmorne Bildsäule ihres hochseligen Fürsten Alfonso des Guten, in der San Nicola Kirche trage. Bube! was sagst du? rief Manfred, der aus seiner Betäubung zu stürmischer Wuth erwachte, und den jungen Mann bey dem Kragen packte; wie darfst du solchen Hochverrath aussprechen? dein Leben büße dafür! Die Zuschauer begriffen den Grimm des Fürsten eben so wenig als alles was sie sonst gesehen hatten, und wusten sich diesen neuen Umstand nicht zu enträthseln. Noch betroffener war der junge Bauer, der gar nicht einsah, wie er den Fürsten beleidigt habe. Doch faßte er sich, entzog, ohne Anstand oder Unterwürfigkeit zu verletzen, seinen Hals dem Griffe Manfred’s, beugte seine Knie vor ihm, und fragte ehrfurchtsvoll, aber freylich mehr im Gefühl der Unschuld als niedergeschlagen: worin er schuldig sey? Manfred, mehr aufgebracht über die Stärke, wie schonend sie auch gebraucht ward, womit der Jüngling sich seiner Hand entledigt hatte, als versöhnt durch seine Demuth, befahl seinen Dienern ihn anzuhalten, und würde ihn in ihren Armen erstochen haben, hätten die Freunde, die er zum Hochzeitmale eingeladen, ihn nicht zurückgehalten.
Während dieses Wortwechsels, rannten einige der gemeinen Zuschauer in die große Kirche, die der Burg nahe stand, und kamen mit aufgesperrten Mäulern zurück, zu melden, Alfonso’s Bildsäule habe ihren Helm verlohren. Manfred gerieth bey dieser Nachricht vollends außer sich; und, als sucht’ er einen Gegenstand an welchem er den Sturm in seiner Brust auslassen könnte, stürzt’ er von neuem auf den jungen Landmann zu, und rief: Sclave! Ungeheuer! Zauberer! du hast dies gethan! du hast meinen Sohn erschlagen! Dem Pöbel fehlte lange ein Vorwurf, dem Maas seiner Fähigkeiten angemessen, um seine in der Irre laufenden Gedanken daran fest zu halten, er schnappte das Wort aus dem Munde seines Herrn, und hallte wieder: Ja! ja! er ist es, er ist es! Er hat den Helm vom Denkmal des guten Alfonso gestohlen und unsers jungen Prinzen Gehirn damit zerschmettert! Daran dachten sie nicht, welch ein ungeheurer Unterschied sey, zwischen dem Marmorhelm der in der Kirche gewesen war, und dem stählernen vor ihren Augen; auch wie unmöglich es sey, daß ein Jüngling, dem man noch nicht zwanzig Jahre ansah, ein Rüststück von so erstaunlichem Gewicht handhaben können.
Die Albernheit dieser Ausrufungen brachte Manfred wieder zu sich. Doch verdroß es ihn, daß der Bauer der Aehnlichkeit beyder Helme erwähnt, und dadurch Gelegenheit gegeben habe, die Abwesenheit des kirchlichen zu bemerken; vielleicht wünschte er auch, jedes Gerücht davon unter eine so ungereimte Vermuthung zu begraben; also sprach er das ernste Urtheil: der junge Mann sey gewiß ein Schwarzkünstler, und bis die Kirche von der Sache Kundschaft nehmen könne, wolle er den Zauberer, der sich so verrathen habe, unter dem Helme selbst gefangen halten. Diesen ließ er daher von seinen Dienern empor heben und den Jüngling darunter stecken; mit der Erklärung: man solle ihm dort keine Nahrung reichen, damit möge seine eigne höllische Kunst ihn versehen. Vergeblich machte der Jüngling Vorstellungen, gegen diesen Richterspruch ohne Untersuchung, vergeblich suchten Manfreds Freunde ihn von diesem wunderlichen und ungegründeten Entschluß abzuziehn. Der große Hause war entzückt über die Entscheidung seines Gebieters. Seiner Meinung nach war sie in hohem Grade gerecht, sie strafte ja den Zauberer durch das nemliche Werkzeug, womit er gesündigt hatte. Auch empfand er nicht das geringste Beyleid, durch den Gedanken an die Möglichkeit, daß der Jüngling verhungern könne, denn er glaubte festiglich, den werde seine teuflische Geschicklichkeit gar leichtlich mit Nahrung versorgen. Dergestalt sah Manfred seine Befehle freudig befolgt; bestellte eine Wache, mit gemeßnem Befehl, dem Gefangenen keine Lebensmittel zukommen zu lassen; entließ seine Freunde und Diener, und ging auf sein Zimmer, nachdem er die Thore der Burg verschlossen, worin er nur seinen Hausgenossen zu bleiben verstattete.