Treffpunkt Brandenburger Tor

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Treffpunkt Brandenburger Tor
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Treffpunkt Brandenburger Tor

Impressum

Treffpunkt Brandenburger Tor

Hermann Mezger

Copyright: © 2013 Hermann Mezger

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-6820-1

Die Handlung dieses Buches ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen, – lebend oder verstorben – Firmen und Institutionen wäre rein zufällig. Das Buch ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Vervielfältigungen aller Art, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Covergestaltung: hank-mediengestaltung.de unter Verwendung von 123RF Stock Fotos der Fotografen Axel Lauer (Brandenburger Tor), Galina Peshkova (Hände) und Aleksandr Sulga (Spritze).

1. Kapitel

Es war nur ein roter Punkt. Ein kreisrundes, rotes Glimmen, kaum sichtbar und doch das Einzige, was die Aufmerksamkeit eines Beobachters hätte auf sich ziehen können. Und es war ein Morgen, nass und grau, dreckig und kalt, wie er nur in Moskau anzutreffen ist. In jeder anderen Metropole dieser Welt, hätten die Bewohner bei diesem Schmuddelwetter geflucht oder wären in tiefe Depressionen verfallen. Nicht so in Moskau. Hier erträgt man jedwedes Wetter mit Ruhe und Gelassenheit, zieht sich entsprechend an, drückt die Kopfbedeckung tiefer ins Gesicht und lässt die Aktentasche unter dem Mantel verschwinden.

So war hier die einzig wahrnehmbare Regung das rote Glimmen der Zigarette, das bei jedem Zug aufleuchtete und wieder verebbte. Der Mann, der sie genüsslich rauchte, die Filterpapiere noch im Schoß, saß auf dem Beifahrersitz eines Wagens und blickte durch die Fensterscheibe hinaus auf den Platz. Der Fahrer neben ihm warf abwechselnd gelangweilte Blicke auf seine Armbanduhr und auf die Einfahrt der Tiefgarage, vor der sie parkten. Als ein tiefer Zug an der Zigarette einen weiteren Schwall Zigarettenqualm ankündigte, unterdrückte der Fahrer ein Seufzen. Dem Beifahrer war diese Unmutsbekundung keineswegs entgangen. Er ließ das Fenster herunter und schnippte die Kippe hinaus in den Regen. Noch bevor sie auf dem Boden aufkam, erlosch das rote Glimmen mit einem kaum hörbaren Zischen und überließ die Szenerie wieder ganz dem Regenschleier, der farblos und schwer auf Moskau drückte. Die brennende Zigarette sollte nicht das Einzige sein, das in diesem Moment erlosch.

Nur wenige Meter entfernt, im schummrigen Licht der Tiefgarage, zog ein Mann namens Burew gerade den Schlüssel aus der Innentasche seiner cremefarbenen Steppweste. Auf dem Weg zu seinem Auto und noch ganz vertieft in das gedankliche Auflisten all seiner anstehenden Termine, bemerkte er die dunkle Gestalt, die ihm folgte, erst als es schon zu spät war. Bevor er reagieren konnte wurde Burew von einem Faustschlag zu Boden gestreckt. Er hatte noch Zeit, an die mögliche Verschmutzung seiner Weste zu denken, bevor er mit dem Kopf auf dem harten Beton aufschlug. Kurz darauf wurde seine Halsschlagader durchtrennt und er verlor das Bewusstsein. Den anschließenden Messerstich ins Herz spürte er schon gar nicht mehr. Röchelnd drehte er den Kopf zur Seite, seine Finger zuckten einige Male kraftlos, bis sie sich für immer zu einer Faust verkrampften. Burew starb neben der auf Hochglanz polierten Karosserie seines Dienstwagens.

Seine Aktentasche war bei dem Angriff zu Boden gefallen und lag nun in der sich ausbreitenden Blutlache. Der Angreifer, zunächst noch an der Tasche interessiert, fluchte leise, als er diese im Blut liegen sah und beförderte sie mit einem Tritt unter Burews Auto. Ungewollt tappte er dabei mit den Füßen in das Blut. Bevor er sich zum Gehen wandte, zog sich der Täter die Baseballmütze tiefer ins Gesicht. Auf dem Weg zum Ausgang hinterließen seine Schuhsohlen blutige Abdrücke, die mit jedem Schritt schwächer wurden.

Draußen vor der Tiefgarage saßen noch immer die zwei Männer in ihrem Auto, träge vom frühen Aufstehen und vom unablässigen Plätschern des Regens. Nach dem erneuten Blick auf die Uhr seufzte der Fahrer auf, stützte den Ellbogen an der Tür ab und blickte gelangweilt nach draußen.

Der junge Mann mit der Baseballmütze, der beschwingten Schrittes die Einfahrt zur Garage herauf kam, erweckte sein Interesse nur, weil er Turnschuhe trug.

„Turnschuhe! Bei dem Wetter? Bei dem pieptʼs wohl!“

Sein Beifahrer hob den Kopf und verfolgte den jungen Mann mit den Augen, bis dieser um die Ecke gebogen war.

„Sollten wir nicht lieber mal nachsehen, wo der Chef so lange bleibt?“

„Er wird mal wieder verschlafen haben.“ Der Fahrer zuckte die Achseln und schaute noch immer dem Regen zu.

„Dann geh ihn mal wecken“, brummte er schließlich.

Sein Kollege blickte missmutig drein, betrachtete noch missmutiger den Regen auf der Windschutzscheibe, seufzte und stieg schließlich aus dem Auto. Er rannte zum Eingang des Hochhauses über der Tiefgarage, kauerte sich eng an die Wand und drückte auf einen Klingelknopf. Von einem Bein auf das andere tretend wartete er ein paar Sekunden, dann klingelte er erneut. Als jede Antwort ausblieb, blickte er zurück zum Auto, hob ratlos die Hände und zuckte mit den Achseln. Der Andere stieg nun ebenfalls aus, kam herüber und rief durch den Regen: „Lass uns mal nachsehen, ob sein Wagen noch in der Tiefgarage steht.“

Um dem Regen zu entkommen, rannten sie die Einfahrt hinunter. Als sie das Rolltor passierten und wieder ein Dach über dem Kopf hatten, verlangsamte sich ihr Tempo schlagartig. Gemächlichen Schrittes schlenderten sie auf den Stellplatz zu, auf dem Burews Wagen normalerweise parkte. Unterwegs fiel einem von ihnen eine kleine Blutspur auf. Wie elektrisiert zupfte er seinen Begleiter am Ärmel. Erst ein Blutspritzer, dann ein blutiger Schuhabdruck, schwach zwar, und noch einer, besser ausgeprägt, und noch einer, und noch einer, führten sie direkt zu ihrem am Boden liegenden Chef. Wie angewurzelt blieben beide stehen und starrten geschockt in die noch offenen Augen ihres Vorgesetzten, der vor ihnen in seinem Blut lag. Mit zittrigen Händen zog der eine von ihnen das Filterpapier aus der Innentasche seiner Jacke und begann, sich eine Zigarette zu drehen. Sein Kollege war noch immer so geschockt, dass er nicht protestierten konnte.

„Weiß man denn schon...?“

„Es sieht nicht nach einem Raubmord aus. Und wir haben einen Schuhabdruck Größe 43. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“

Es war inzwischen Mittagszeit und die blutgetränkte Leiche Burews war umgeben von geschäftigen Polizisten in weißen Kunststoffanzügen. Ein Fotograf ging am Tatort auf und ab, schoss Bilder von jedem erdenklichen Detail und sprach mit dem Leiter der Spurensicherung. Die Presse hatten sie fernhalten können, doch, so viel war sicher, schon am Abend würden die Straßen gefüllt sein mit den durchdringenden, skandalschwangeren Stimmen der Zeitungsverkäufer, die jeden vorbeigehenden Pendler erreichen und todsicher für die Verbreitung der neuesten Sensation sorgen würden: „Sonderausgabe! Sonderausgabe! Burew, Chef der russischen Drogenabwehr bestialisch ermordet! Sonderausgabe! Burew erstochen! Sonderausgabe!...“

2. Kapitel

Der Kieler Kriminalrat Behrendtsen war ein gemütlich wirkender Mann. Das rührte vor allem von dem runden Bauch her, den er für gewöhnlich mit bunten Hosenträgern zu bändigen suchte. Die Augen hinter der Hornbrille blickten wachsam, aber keineswegs aufdringlich. Eine etwas zu groß geratene Knollennase dominierte sein Gesicht. Das Hemd steckte immer ordentlich in der Hose, wenn auch oft ungebügelt. Das ohnehin immer spärlicher werdende Haar hatte er sich schließlich rasiert und trug nun gerne eine braune Tweedmütze über dem kahlen Hinterkopf. Für gewöhnlich war Behrendtsen bekannt für die stoische Ruhe, die er ausstrahlte. Das hieß aber nicht, dass er nicht auch aus der Haut fahren konnte. Meist war dies der Fall, wenn ihm etwas zu lang dauerte, oder er warten musste.

Doch in diesem Moment war da etwas in den Fältchen um seine Augen, das Besorgnis ausdrückte. Ihm gegenüber saß Hauptkommissar Holger Bramme. Auch wenn die zwei Männer äußerlich nicht unterschiedlicher hätten sein können, bestand zwischen ihnen eine bemerkenswerte Verbundenheit. Eine Verbundenheit, wie sie nur während einer langjährigen Zusammenarbeit entstehen konnte. Bramme war schlank, athletisch gebaut und auffällig stilvoll gekleidet. Die blonden Haare waren gekonnt lässig verwuschelt, ohne unordentlich zu wirken. Einige Strähnen hingen ihm in die glatte Stirn. Darunter blitzten himmelblaue und neugierige Augen. Das schlichte weiße Hemd und die cremefarbene Hose zeugten von Geschmack und dies war auch einer der Gründe, wieso Bramme mit seinen vierzig Jahren stets von attraktiven Frauen umgeben war.

Zwischen den beiden Männern auf Behrendtsens Schreibtisch lag die Sonderausgabe des Nachtkuriers. Die Titelseite verkündete in dicken, sensationslüsternen Lettern: „Grausamer Mord in Moskauer Tiefgarage. Chef der russischen Drogenabwehr Burew ermordet!“

In einem Anflug von Protest, der so untypisch für ihn ist, schlägt Behrendtsen mit dem Handrücken auf die Schlagzeile.

„Und da wollen Sie hin, Bramme? Sind Sie lebensmüde?“

Holger Bramme rutschte in seinem Stuhl ein Stück höher, schmunzelte dabei zu Behrendtsen hinüber und bemühte sich, seine Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen.

„Wie Sie wissen hat man mir angeboten, in einem Kämmerlein Drogenfunde und Drogentote aufzulisten. Aber das ist doch brotlose Kunst! Man muss herausfinden, auf welchen Transportwegen die Drogen nach Europa kommen. Nur wenn wir das wissen, kann der Drogenhandel wirksam bekämpft werden. Und die Quelle liegt nun mal in Zentralasien. Sie kennen doch die Sprichwörter: Wer den Flüssen wehren will, muss die Quellen verstopfen. Und: Um an die Quelle zu kommen, muss man gegen den Strom schwimmen.“

 

Behrendtsen gab sich geschlagen. Er kannte seinen Hauptkommissar nur zu gut. Wenn der sich mal in eine Sache verbissen hatte, gab es kein Zurück mehr. Stirnrunzelnd betrachtete er seinen Kollegen über die Gläser der Hornbrille hinweg. Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Bramme legte sich in Gedanken schon einige weitere Argumente parat, doch er sollte sie nicht brauchen. Mit einem Griff in die Schublade seines Schreibtisches zog Behrendtsen einen dicken Umschlag heraus und warf ihn Bramme über den Tisch zu.

„Ihr Flugticket nach Sankt Petersburg.“

Bramme fing das Kuvert überrascht auf. Dass Behrendtsen dieses Ticket bereits besorgt hatte, zeugte unweigerlich von seinem Vertrauen in Brammes Vorhaben. Dafür beschäftigte ihn aber etwas anderes.

„Wieso Sankt Petersburg? Die russisch-amerikanische Drogenabwehr sitzt doch in Moskau!“

Behrendtsen zuckte die Achseln.

„Mich dürfen Sie nicht fragen. Sie werden am Flughafen in Sankt Petersburg abgeholt. Der Geländewagen, den Europol zur Verfügung stellt, ist bereits dort. Die Papiere dazu, einschließlich der Bedienungsanleitung, sind ebenfalls in dem Kuvert.“

Nach einigen Sekunden, in denen Bramme unschlüssig auf den Umschlag in seiner Hand starrte, gab er sich einen Ruck, verstaute den Umschlag in seiner Jackentasche und stand auf.

„Dann heißt es jetzt wohl Abschied nehmen?“

Auch Behrendtsen stand auf, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und drückte Brammes Hand.

„Passen Sie bloß auf sich auf!“

„Sie kennen mich doch!“

„Eben deshalb! Und lassen Sie mal was von sich hören. Alles Gute, Herr Bramme!“

„Auf Wiedersehen, Herr Behrendtsen!“

Bramme hätte nicht damit gerechnet, dass ihm der Abschied so viel ausmachen würde. Er war nicht traurig oder nostalgisch, die feste Bindung an einen Ort war ihm ohnehin nie eigen gewesen. Doch als er in seinem Büro stand, Stück für Stück seinen Schreibtisch räumte und einige private Gegenstände in einem Karton verstaute, verspürte er doch etwas Wehmut in der Brust. Sein Partner Petersen, hochgeschossen, schlaksig und unrasiert, mit langen blonden Haaren in einem Pferdeschwanz, saß an seinem Computer und beobachtete Bramme, wie er geschäftig im Raum umherwuselte. Nicht zuletzt, um die sensible Situation zu entschärfen, schlug Bramme einen betont unbekümmerten Ton an.

„So, mein Freund, jetzt bist du hier der Chef.“

„Ich würde viel lieber mitkommen.“

„Nein, du bleibst mal schön hier und hältst die Stellung. Jetzt kannst du endlich mal zeigen, was in dir steckt.“

„Eine weite Reise und fremde Länder wären aber viel interessanter.“

„Sei doch ehrlich, dich interessieren doch nur die hübschen Mädchen dort.“

„Ja, ich sehe sie jetzt schon deutlich vor mir: Lange, schwarze Haare, hohe Wangenknochen, große, mandelförmige Augen und kirschrote Lippen.“

Petersen schloss dabei die Augen und fuhr sich mit der Zunge genießerisch über den Mund.

„Bis ich zurückkomme musst du dich halt mit der Fantasie begnügen. Wie ich sehe, fällt dir das nicht schwer. Ich erzähle dir nach meiner Rückkehr dann schon wie die Frauen dort wirklich sind.“

„Versprochen?“

„Versprochen!“

Die beiden stimmten in freundschaftliches Gelächter ein und verabschiedeten sich mit einer Umarmung. Bramme stemmte den Karton mit seinen Habseligkeiten hoch und verließ das Büro.

3. Kapitel

Der Flug nach Sankt Petersburg verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. So ruhig, dass Bramme schon seit geraumer Zeit durch das kleine Fenster hinaus auf ein herrliches Naturschauspiel blickte. Das tiefe Saphirblau des Himmels, darunter ein Meer aus schneeweißen Wolken, hier und da durchzogen von einzelnen goldenen Sonnenstrahlen faszinierten ihn. Es dauerte lange, bis er sich daran satt gesehen hatte. Schließlich brachte er seinen Sitz wieder in eine aufrechte Position und nahm gelangweilt die Prospekte in Augenschein, die in der Lasche des Sitzes vor ihm steckten. Ohne viel Interesse blätterte er eins nach dem anderen durch und nahm sich anschließend aus purer Langeweile die Bedienungsanleitung des Geländewagens zur Brust, der in Sankt Petersburg auf ihn wartete. Als sein Blick an der Abbildung des Armaturenbretts hängen blieb, war er mit einem Schlag hellwach. Neben mehreren Monitoren und Sonderausstattungen wie Funk und Navigation fielen ihm drei Tasten in den Farben Weiß, Rot und Gelb auf, die dort wie ein Manual angeordnet waren. Daneben war ein Gegenstand untergebracht, der einer kleinen Sichel ähnelte. Bramme begann nun mit deutlich gewachsenem Interesse zu lesen. Je weiter seine Augen auf der Seite umherwanderten, desto verschmitzter wurde sein Schmunzeln und schließlich schnalzte er triumphierend mit der Zunge, lachte kurz auf und klappte die Bedienungsanleitung klatschend zu. Zufrieden vertiefte er sich wieder in das Farbspiel vor dem kleinen Fenster, während sein Nachbar, ein schnurrbartbestückter Börsenmakler, ihm einen missbilligenden Blick zuwarf.

Als Bramme in Sankt Petersburg das Flugzeug verlassen, seinen Koffer durch die Zollkontrolle und durch das überfüllte Terminal, sowie zu einem davor auf ihn wartendes Auto geschleift hatte, war ihm das Lachen vergangen. Missmutig an seinem Daumen saugend, den er sich an den Scharnieren des Gepäckbands gequetscht hatte, hockte er nun auf der Rückbank des Wagens, der sich durch den regen Verkehr schlängelte. Am Steuer des Wagens saß ein untersetzter Mann mit schwarzem, dichtem Haar und Vollbart. Er hatte Bramme zur Begrüßung freundlich aber auch reserviert zugenickt und mit dezentem Interesse dessen Erscheinung gemustert. Als er das Wort erhob, klang seine Stimme voll und tief.

„Ich bin Wassili Jernak, Gospodin Bramme. Nennen Sie mich einfach Wassili.“

Bramme ließ einen Moment von seinem pochenden Daumen ab und sah auf.

„Danke! – Sie bringen mich also zum Archäologischen Institut?“

Wassili nickte.

„Ganz recht.“

„Dann können Sie mir bestimmt auch sagen, was dieses Institut mit Drogen zu tun hat?“

Sie hielten an einer Ampel und Bramme ließ nun endgültig von seinem Daumen ab, um stattdessen das pulsierende Leben auf den Straßen von Sankt Petersburg auf sich einwirken zu lassen.

„Alles nur Tarnung, Gospodin Bramme“, antwortete Wassili, „alles nur zu unserer Sicherheit.“

„Sagten Sie zu u n s e r e r Sicherheit?“

Wassili beäugte Bramme im Rückspiegel. Er war offensichtlich überrascht und sagte als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt: „Aber ja! Ich werde Sie nach Zentralasien begleiten.“

Bramme sah ihn nicht minder überrascht an.

„Was machen Sie denn beruflich?“

„Ich bin Opernsänger. Arien deutschsprachiger Opern sind meine Spezialität.“

Nicht ganz sicher, ob dies ein Scherz sein sollte, schwieg Bramme einen Moment lang. Wassili, der seine Unsicherheit bemerkte, grinste ihn an und begann, eine harmonische Tonleiter rauf und runter zu singen. Brammes Mund stand weit offen und er hätte mit nichts deutlicher zeigen können, dass er sich vorkam wie in einem falschen Film. Schließlich gab er sich einen Ruck.

„Na, dann ist ja wenigstens für die Unterhaltung gesorgt. Was ähm.., was befähigt Sie denn zu dieser Aufgabe?“

„Ich stamme aus Usbekistan, spreche Deutsch, Russisch und mehrere Turksprachen“, gab Wassili zurück, ohne sich eine Spur von Kränkung anmerken zu lassen.

„Und wer ist noch mit von der Partie?“

„Alexander Serow.“

„Das war´s?“, fragte Bramme, erneut überrascht. „Kein Amerikaner?“

„Nein,“ erwiderte Wassili gelassen, „die Amerikaner stellen uns nur ihr Satellitensystem zur Verfügung. Einer ihrer Spezialisten überwacht die Aktion von Moskau aus. Sie werden ihn gleich kennen lernen.“

Verunsichert ließ sich Bramme nach hinten in den Sitz fallen und rieb sich müde das Gesicht.

„Und? Ist Herr Serow auch Opernsänger?“

Wassili lachte und manövrierte das Auto geschickt in eine Parklücke vor einem hohen Verwaltungsgebäude.

„Wo denken Sie hin! Alexander Serow jagt Kunsträuber.“

Bramme, der Verzweiflung nahe, schwieg und verdrehte nur die Augen.

„Wir sind da.“

Wassili stieg aus und öffnete für Bramme die Tür. Auf einem Schild am Eingang war in kyrillischer und lateinischer Schrift zu lesen: „Archäologisches Institut Sankt Petersburg.“

Die beiden Männer gingen darauf zu und Bramme, von der Autorität, die dieses Gebäude ausstrahlte, beeindruckt und etwas eingeschüchtert zugleich, straffte beim Gehen die Schultern.

4. Kapitel

So wie Viktor Fedin, von zwei Herren flankiert, am Konferenztisch saß, stellte man sich wohl einen lupenreinen Apparatschik vor: Eine hagere Gestalt, ein blutleeres Gesicht, Nickelbrille und ein glatt rasierter Schädel.

Der Mann zu seiner Linken war das genaue Gegenteil. Alexander Serow glich einem blonden Hünen mit der Figur eines Zehnkämpfers und der Kraft des russischen Bären. Aus seinem wettergegerbten Gesicht sprach die pure Unternehmungslust.

George Simon auf der anderen Seite verkörperte dagegen den typischen Amerikaner. Er trug Jeans in Übergröße, ein Sporthemd in der Größe XXXL, darüber einen knallroten Blouson. George sieht aus wie ein gemütvoller, tapsiger Teddy mit blonden Stoppelhaaren, blauäugig-treuherzig, mit einem Doppelkinn, das von seinen gut durchbluteten Hängebacken bis zu den wulstigen Lippen eine Einheit bildete.

Die drei Männer unterbrachen ihre Unterhaltung als Wassili und Bramme zur Tür herein kamen. Serow ging sofort auf Bramme zu und umarmte ihn herzlich.

„Dobro poschalowat!“, dröhnte ihm der Russe ins Ohr, „will sagen: Herzlich willkommen!“

George Simon streckte Bramme seine Pranke hin.

„Nice to meet you!“

Fedin begnügte sich mit einem Händedruck.

„Willkommen in Sankt Petersburg, Gospodin Bramme. Hatten Sie eine gute Reise?“

„Danke der Nachfrage.“

„Nehmen Sie bitte Platz, meine Herren!“

Fedin kam gleich zur Sache: „Über die Verbrechensbekämpfung auf internationaler Basis ist schon viel geredet und geschrieben worden. Gebracht hat es nicht viel. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute ein Projekt starten, das man mit Fug und Recht die globalisierte Verbrechensbekämpfung nennen darf. Nach einem deutschen Plan und mit amerikanischer Satellitentechnik wollen wir mit russischer Unterstützung die Transportwege für Drogen auskundschaften und lahm legen. Fünfhundert mit einem Sender ausgestattete Feuerzeuge werden von den Herren Bramme, Serow und Jernak in Zentralasien unter die Leute gebracht und Mister Simon verfolgt den genauen Weg dieser Feuerzeuge via Satellit in Moskau...“

„Jeweils fünfzig dieser Feuerzeuge“, fiel ihm da George Simon ins Wort, „haben die gleiche Frequenz. Auch jedes Feuerzeug, das Sie erhalten, hat eine eigene Frequenz. Auf diese Weise kann ich Ihren Standort jederzeit feststellen.“

„Als Reisezweck geben Sie vor“, fuhr Fedin fort, „eine Ausgrabungsstätte der Skythen zu suchen. Alles Wissenswerte über diesen Volksstamm finden Sie in diesen Broschüren.“

Er schob Serow über den Tisch ein paar Hefte zu. Bramme warf Wassili einen zweifelnden Blick zu.

„Alles nur Tarnung, Gospodin Bramme“, beruhigte ihn Wassili.

„Sie dürfen auf keinen Fall Waffen mit sich führen. Sicherheit hat bei dieser Mission höchste Priorität. Spielen Sie nicht den Helden. Den Drogenbossen bedeutet ein Menschenleben nichts, aber auch gar nichts. Sie haben doch sicher gehört, wie es Gospodin Burew ergangen ist? Der Generalstaatsanwalt in Moskau ist außer sich. Sie können sich vorstellen, was da los ist.“

„Hat man denn schon eine heiße Spur?“, wollte Serow wissen.

„Man hat den Abdruck einer Schuhsohle, es gibt das nichtssagende Phantombild einer Überwachungskamera und man weiß, dass das Tatmesser zwei Schneiden hatte.“

„Herzlich wenig“, meinte George Simon.

„Sie sagen es. Es wird sowohl im Drogenmilieu als auch im privaten und terroristischen Umfeld ermittelt. Es kann nicht schaden, wenn Sie auch in dieser Angelegenheit Ihre Augen und Ohren in Zentralasien weit aufsperren.“

„Ist der Geländewagen schon eingetroffen?“, fragte Bramme.

 

„Aber ja! Er steht am Flughafen.“

Fedin erhob sich.

„Sie sind während der gesamten Reise ganz auf sich allein gestellt. Auch jeder telefonische Kontakt hat zu unterbleiben. Unsere Gegner könnten sonst den Standort unseres amerikanischen Freundes in Moskau orten. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, meine Herren!“

Die Verabschiedung war kurz aber herzlich. Im Hinausgehen wandte sich Serow an seine Mitstreiter.

„Wenn Sie einverstanden sind, essen wir jetzt etwas. Der Flug nach Termes geht in drei Stunden.“

„Sorry“, sagte Simon, „mein Flugzeug nach Moskau geht noch früher. Ich muss mich sputen, sonst verpasse ich es noch.“

„Schade!“ meinte Bramme, „guten Flug! Und passen Sie gut auf uns auf!“

„I will do my very best!“