Die Tore der Atlanter 1. von 4 Folgen

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Die Tore der Atlanter 1. von 4 Folgen
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Hermann Büsken

Die Tore der Atlanter 1. von 4 Folgen

Tore in andere Welten. Wie könnte eine Erstbegegnung mit Alien aussehen?

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Tore der Atlanter. 1. von 4 Folgen

Kapitel 1 Kristian geht durch das Tor.

Kapitel 2 Erste Begegnung mit dem König der Elfen

Kapitel 3 Kristian nimmt Hanna die Heilerin mit in seine Welt.

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6 Liebe auf den ersten Blick.

Kapitel 7 Besuch einer Versuchsreihe der Alien.

Kapitel 8

Impressum neobooks

Die Tore der Atlanter. 1. von 4 Folgen

Dem Namen alle Ehre machend, lag die Burgruine auf einen der höchsten Punkte in dieser Gegend. Burg war zu viel gesagt, da nur noch bescheidene Reste von der wohl einstigen Pracht übrig waren. Man konnte noch einzelne Fensternischen erkennen, und die Aussparungen im Mauerwerk, wo einmal die Tragebalken für die Decken und Fußböden gelegen hatten. Ein halber Torbogen ragte aus einer Mauer hervor und würde sicher auch bald in sich zusammenfallen.

Da, wo vielleicht einmal eine Zugbrücke den Feinden das Eindringen verwehrt hatte, lag der Rest der Burg jetzt für jeden Besucher frei zugänglich dar. Einen Graben, falls es ihn einmal gegeben hatte, war längst dem Erdboden gleichgemacht worden. Trotzdem ließ sich noch erahnen, wie mächtig einst die Burg ausgesehen haben mochte.

Als Kristian die Burg fast erreicht hatte, setzte er sich mit Blick auf die Burg ins Gras. Sein Rücken lehnte entspannt gegen einen großen Stein, der aussah, als würde er seit Anbeginn der Zeit an dieser Stelle verharren und die vor ihm liegende Burg bewachen.

Ein Blick auf die vorbeiziehenden Wolken, die Burg vor ihm, Sonnenschein und Urlaub, was wollte er mehr. Wie von selbst fielen ihm die Augen zu. Er dachte über das Leben in der Burg nach, wie sie gelebt hatten.

Eingestimmt vom Leben auf der Burg, öffnete er die Augen und blickte verklärt zur Burg hinüber.

Zuerst undeutlich und verschwommen sah er zwischen dem Bergfried und der Außenmauer, ein seltsames Flimmern. Sicher reflektierte eine zerbrochene Flasche das Sonnenlicht. Neugierig geworden, konzentrierte er sich und sah genauer hin. Plötzlich wurde ihm kalt, Gänsehaut breitete sich über seinen Körper aus. So, als schaute man durch ein Guckloch, öffnete sich ein stetig größer werdender runder Ausschnitt, die Konturen des Randes verschmolzen im silbrigen Licht. Eine vollständig erhaltene Burg bot sich seinen Augen dar. Er wollte es nicht glauben, so musste die Burg vor langer Zeit ausgesehen haben. Der Bergfried hatte eine Größe, wie er ihn sich im Traum nicht vorgestellt hätte. Auf ihn wehte eine Fahne, deren Wappen er nicht erkennen konnte. Mitten auf dem Platz sieht er einen Brunnen mit einem Dach aus Holzschindeln. Das Wiehern eines Pferdes und das Hämmern auf einem Amboss war zu hören. Ehe er wusste, wie ihm geschah, begann sich das flimmernde Fenster wieder zu schließen. Er dachte noch, jetzt fängst du schon am hellen Tag an zu träumen und zu fantasieren, als sich das Fenster gänzlich schloss.

Mit einem Schlag sah er die traurigen Überreste der Burg wieder vor sich. Etwas war mit ihm geschehen. Er war sich sicher, dass er nicht geträumt hatte. So sehr er seine Augen auch anstrengte und zur Burg blickte, es änderte sich nichts mehr. Traurig und verlassen wirkte jetzt das gewohnte Bild der verfallenen Burg.

Es war ihm nicht neu, das es schon oft vorgekommen war, hauptsächlich an historischen Orten, dass Personen, die sich gegen altes Gemäuer oder Heiligtümer gelehnt hatten, sich plötzlich in einer anderen Zeitepoche wiederfanden. Dort hatten sie Dinge gesehen, die der heutigen Zeit teilweise noch unbekannt waren. Er hatte aber nichts dergleichen getan, der Stein hinter ihm, gegen den er sich lehnte, konnte wohl auch nicht der Auslöser gewesen sein, obwohl er sicher schon so mancherlei gesehen hatte.

Die Kälte wich langsam aus seinem Körper und machte der wohltuenden Wärme der Sonnenstrahlen Platz. Er blickte zur Burg.

Ihm fiel ein, dass er als Auslöser zuerst ein Flimmern zwischen dem Burgfried und der Außenmauer gesehen hatte. Da er das Geschehen noch nicht verkraftet hatte und ihm der Schreck noch zu schaffen machte, schob er weitere Überlegungen erst einmal beiseite. Auf jeden Fall wollte er im Moment nicht mehr zur Burg, weil ihm das Erlebnis noch zu schaffen machte.

Unweit der Burg Falkenhorst, am Talrand mit Blick auf die Burg, wohnte sein Freund Kurt mit seiner jüngeren Schwester Jessika, der Großvater und Maria die Haushälterin. Es ist das Haus ihrer Eltern, ein altes Anwesen. Es liegt wie auf einem Präsentierteller inmitten grüner Wiesen, rundherum hatte man freie Sicht, einen Nachbarn gab es nicht. Wenn er so darüber nachdachte, das Haus musste bestimmt einige Hundert Jahre alt sein. Hinter dem Haus steht ein Stall, der auf uralten Fundamenten erbaut war. In ihm standen, als er Kurt das letzte Mal besucht hatte, drei Reitpferde. Ein schlanker Turm aus Bruchsteinen erbaut, streckte sich in die Höhe, und war an einer Seite mit dem Stall verbunden.

Kristian drehte sich um und sah, dass eine Reiterin in vollem Galopp auf ihn zukam. Jessika, Kurts Schwester, wer sollte es anders sein. Ihre enge Reithose brachte ihren schönen Körper voll zur Geltung und lenkte seine Gedanken in eine andere Richtung. Sie brachte ihr Pferd vor ihm zum Stehen und blickte lächelnd auf ihn herab. Das lange blonde Haar, welches sie meistens zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, wurde jetzt durch die Reitkappe gebändigt. Obwohl er sie schon seit ihrer Kindheit kannte, hatte er eigentlich nie mehr Gefühle für sie empfunden, als einer Schwester gegenüber. Als er jetzt in ihre Augen blickte, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass sich etwas geändert hatte.

»Störe ich«? fragte sie, »ich wollte dich nicht aus deinen Träumen reißen.« Was sollte er erwidern, vielleicht hatte er doch geträumt?

Bevor er antworten konnte, sprang sie mit einem Satz vom Rücken ihres Pferdes.

»Was ist passiert, du siehst so blass aus?«

»Was ich gesehen habe, glaubt mir sowieso keiner, ich kann es ja selbst nicht glauben.«

»Erzähl schon.«

Sie setzte sich zu ihm, in einer Hand hielt sie die Zügel. Ihre Blicke trafen sich, ihm wurde zum ersten Mal richtig bewusst, wie schön sie war. Er atmete den Duft ihres Parfüms ein.

Da der Stein nicht viel Platz bot, saßen sie bald eng beieinander, was ihm sehr gefiel. Er wollte gerade seinen Arm um ihre Schulter legen, da sprang sie auf.

»Was ist denn jetzt, willst du mich nicht in deine Geheimnisse einweihen?«

»Das werde ich tun, aber lass mich eine Nacht darüber schlafen.«

»Wie du willst, wann lässt du dich mal wieder bei uns sehen, wir könnten zusammen ausreiten?« Eine Antwort nicht abwartend, schwang sie sich auf ihr Pferd und galoppierte winkend heimwärts. Auch er beschloss, nach Hause zu gehen.

Sein Zuhause, welches abseits am Dorfrand stand, kam einem kleinen Knusperhäuschen gleich. Es war alt und die Zimmer waren klein. Günstig hatte er es erwerben können, als die vorherige Besitzerin in hohem Alter starb. Er kannte sie noch aus seiner Jugendzeit. Oft hatten sie in ihrem Garten Kirschen und Äpfel gepflückt. Jetzt war es sein Zuhause.

Kristian ist dreiundzwanzig Jahre alt, einmeterachtzig groß, und betreute im Dorf eine Jugendgruppe in Selbstverteidigung und Stockkampf. Heute war sein erster Urlaubstag.

Er machte sich einen Kaffee und setzte sich draußen auf seine Bank. Die Obstbäume hingen voll. Leider wusste er mit dem Obst nichts anzufangen und hatte sich schon überlegt, sich ein paar Ziegen anzuschaffen, die das Obst verwerten und den Rasen kurz halten sollten. Darum würde er sich später kümmern. Morgen in der Frühe wollte er sich erneut zur Burg aufmachen, danach würde er weiter entscheiden.

Kristian stand früh auf, weil er keine Zuschauer wollte, wenn er die Stelle, von der das Flimmern ausgegangen war, näher in Augenschein nehmen wollte.

Voller Ungeduld wäre er am liebsten den ganzen Weg gerannt, seine schweren Wanderschuhe ließen dieses aber nicht zu. Angekommen schaute er sich im Burghof um. Links das ehemalige Wohnhaus mit leeren Fensterhöhlen, auf der rechten Seite der Bergfried, an dem die Burgmauer lehnte. Nichts deutete auf den gestrigen Vorfall hin. Er war sich sicher, dass hier am Bergfried die richtige Stelle war. Vielleicht hatte er doch alles nur geträumt? Solange er die Stelle auch anstarrte, es passierte nichts. Oder doch? Er hörte Stimmen. Auch das noch, die ersten Touristen waren schon angekommen.

Er zog sich auf die andere Seite zurück. So schnell wollte er nicht aufgeben. Ihm fiel ein, dass er, wenn er meditierte, die Visualisierung zu Hilfe genommen hatte. Dies ist eine Technik, die sich der Vorstellungskraft bedient, um geistige Bilder des jeweils erstrebten Gegenstandes oder Zustandes zu erzeugen. Je aktiver die Fantasie arbeitet sich ihrer zu bedienen, desto kraftgeladener wird sie. So wird eine Tür zwischen der Welt, der gewöhnlichen Wirklichkeit und der geistigen Welt geöffnet. Was würde passieren, wenn er diese Technik jetzt und hier anwendete? Würden die Touristen etwas mitbekommen? Wahrscheinlich, denn dieses spielte sich ja nicht nur in seinem Kopf ab. Er hatte das Flimmern nicht in Gedanken, sondern mit eigenen Augen gesehen. Um Klarheit zu bekommen, musste er einen Versuch wagen. Kristian schaute sich um, die Luft war rein, als er sich auf die vermeintliche Stelle am Bergfried konzentrierte. In Gedanken stellte er sich das Flimmern vor, ähnlich der Spitzen eines lodernden Feuers oder der Fata Morgana in der Wüste. Er hatte die Öffnung ja schon gesehen und konnte sie deshalb vor seinem geistigen Auge entstehen lassen. Zunächst passierte nichts. Seine Konzentration verstärkend, spürte er plötzlich ein leichtes Kribbeln auf seiner Kopfhaut, das sich über den ganzen Körper ausbreitete, je mehr er sich konzentrierte. Als sich auch noch eine leichte Gänsehaut einstellte, wusste er, dass etwas passieren würde. Plötzlich sah er das Flimmern. Es war fast durchsichtig und stieg vom Boden empor. Ein angstvolles Kreischen ließ ihn hochfahren, mit der Konzentration war es vorbei, das Flimmern erlosch.

 

Ein kleines Mädchen stand rechts hinter Kristian. Er hatte sie nicht kommen gehört. Es weinte und zeigte auf die Stelle, auf die er sich gerade noch konzentriert hatte.

Schnell schaute er sich um. Es war sonst keiner in seiner Nähe, der vielleicht auch etwas gesehen haben könnte. Da kam auch schon der Vater des Kindes, durch die Schreie seines Kindes alarmiert, angerannt. Sein Gesicht verdüsterte sich, als er nur sein Kind und Kristian wahrnahm. Das Kind wollte sich nicht beruhigen und zeigte immer wieder auf die Stelle, die zu seinem Glück, nicht in seiner direkten Nähe war. Als der Vater Kristian wieder anschaute, zeigte dieser ein unschuldiges Gesicht und zuckte nur mit den Schultern. Der Vater nahm seine Tochter an die Hand und beide verließen den Burghof. Endlich war die Ruhe wieder hergestellt. Das wäre beinah schief gegangen. Trotzdem hatte sich der Morgen gelohnt. Kristian wusste, wie er die Öffnung ins Mittelalter aktivieren konnte, und dass auch andere diese sahen, und wahrscheinlich auch hindurch gehen konnten, wenn sie geöffnet war.

Für heute war der Tag gelaufen. Der nächste Besuch hier musste abends, besser nachts stattfinden. Zum einen, weil er dann sicher sein konnte, dass ihm keine Touristen in die Quere kamen, zum Anderen konnte er nur im Dunkeln durch das Tor in die Vergangenheit gehen, da er nicht wusste, was ihn auf der anderen Seite erwartete. Ziemlich aufgeregt wäre er am liebsten zu Jessika gerannt, um ihr alles zu erzählen. Irgendwann würde er sowieso nicht mehr daran vorbeikommen. Vielleicht hatte sie den Zwischenfall vom Vortag, als sie sich am Stein getroffen hatten, auch schon vergessen. Anderseits war es vielleicht sinnvoll, wenn jemand wusste, was er vorhatte. Was wäre, wenn er es nicht schaffen würde, aus der anderen Welt zurückzukommen. Hilfe von außen konnte er nicht erwarten. An diese Möglichkeit mochte er gar nicht denken. Bevor er sich auf das Abenteuer einlassen würde, musste er zumindest eine Nachricht hinterlassen und Jessika oder jemand anderes, so weit wie nötig einweihen. Kristian drehte sich um und machte sich auf den Heimweg. Noch ganz gefangen vom Geschehenen, schaute er rechts auf die andere Seite ins Tal hinunter zum Haus von Jessika. Sicher war sie jetzt zu Hause. Da er sonst nichts vorhatte, konnte er sie genausogut besuchen. Vielleicht traf er auch Kurt an, den er schon länger nicht mehr gesehen hatte. Kurt war Immobilienmakler und deshalb viel unterwegs, ebenso wie seine Eltern. Von Kurt hatte er auch den Tipp erhalten über den Kauf seines späteren Hauses.

Kurts Haus war von einem hohen schmiedeeisernen Zaun umgeben. Vom Eingangstor aus, durch eine kleine Parkanlage getrennt, lag das Haus etwas höher.

»Warum kommst du nicht herein«, tönte es hinter einem Bambusstrauch hervor, »warst lange, nicht hier.« Eine Harke in der Hand und eine Zigarre im Mund kam ihm Kurts Großvater John entgegen. Sie sagten alle nur Großvater zu ihm, was ihn nicht im Geringsten störte. Er hatte ein freundliches Gesicht, das von einem Bart eingerahmt war. Trotz seines hohen Alters von über achtzig Jahren, war er noch gut beisammen. Kristian konnte sich gar nicht vorstellen, dass er jemals anders ausgesehen hätte. Schnuppernd hebt Großvater seine Nase. »Riechst du es auch? Maria hat einen Kuchen gebacken.« Maria war gleichzeitig die Köchin und Haushälterin in einer Person. Hungrig wie Kristian war, wollte er sich die Gelegenheit ein Stück Kuchen zu bekommen, nicht entgehen lassen. Eine breite hohe Treppe, von wildem Wein umgeben, führte zu einer zweiflügeligen Eingangstür. Jessika hatte sie durch das Fenster gesehen und kam ihnen durch die Tür entgegen. Wie nicht anders zu erwarten mit ihrem lustig tanzenden Pferdeschwanz, ihrer weißen Bluse und einer engen Jeans. Es war schon ein erfreulicher Anblick. Kristian lachte sie an, »ich war oben auf der Burg, als ich an deine Einladung dachte.«

»Seit wann brauchst du eine Einladung, du weist, dass du immer willkommen bist.« Großvater grinste, nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre, und sein Gesicht verschwand hinter einer grauen Wolke. »Nun kommt schon herein.«

Jessika packte seine Hand und zog ihn hinter sich her. »Bist du immer so stürmisch«? fragte er, hielt aber weiter ihre Hand fest umschlossen, weil es ihm gefiel, ihre Hand zu halten. Sie durchquerten die hohe holzgetäfelte Eingangshalle. Das verblichene Holz schaffte eine dunkle Atmosphäre. Fasst wie in einer Burg waren die Wände mit mittelalterlichen Gegenständen dekoriert. Selbst eine Ritterrüstung fehlte nicht. Kristian erinnerte sich, dass Kurt und er früher versucht hatten, diese Rüstung anzulegen. Sie hatten erfahren, dass ein neuer Briefträger seinen Dienst antreten wollte. Kurt hatte eine Stunde in der Rüstung verharrt, ehe sich sein Opfer näherte. Da für diesen alles neu war, stand er bald in der Halle und schaute sich neugierig um. Natürlich interessierte ihn auch der einsame Ritter. Die Hände auf das Schwert gestützt, stand Kurt jetzt hier, immer mit der Erwartung, ein Opfer möge endlich erscheinen. Er tat einen schweren Seufzer. Der Postbote zuckte zusammen, schaute zuerst den Ritter an, dann hinter sich. Er näherte sich vorsichtig wieder dem Ritter. Ein breites Visier und der Helm verdeckten Kurts Gesicht.

Der Postbote ging auf Nasenlänge an das Visier heran und schaute durch den schmalen Schlitz, der die Augen bedeckte. Als er die Bewegung und das Weiße in Kurts Augen sah, erschrak er so, dass seine Hände vorschnellten, als wolle er ein Gespenst von sich wegstoßen. Kurt, durch das lange Stehen geschwächt, hob das Schwert, um die Balance zu halten. Er trat einen Schritt zurück, die Schwertspitze zeigte auf die Brust des Postboten. Um das Gleichgewicht zu halten, hob Kurt das Schwert mit beiden Händen, was aussah, als wollte er ihm den Kopf abschlagen. Mit weit aufgerissenen Augen floh der Postbote schreiend aus dem Haus und wurde nicht mehr gesehen. Dieses war wörtlich zu nehmen, da beim nächsten Mal ein anderer Postbote erschien.

Mittlerweile waren sie in der Küche angekommen. Jessika versuchte, sich aus Kristians Hand zu lösen. Er lachte sie an, zog sie näher an sich heran. Sie blickte ihn überrascht an, wusste nicht, was sie davon halten sollte.

»Kinder«, sagte Großvater, »nun setzt euch doch endlich an den Tisch.« Der Tisch war groß, auf der langen Seite hätten je fünf Personen Platz gehabt. Jessikas Eltern hatte nie viel Wert auf Etikette gelegt. Solange keine Gäste im Hause waren, aß man lieber in der Küche als im Esszimmer. Die Eltern reisten viel und waren deshalb zurzeit nicht anwesend.

»Maria«, sagte Großvater, »wir alle haben den lieblichen Duft deines Kuchens gerochen, jetzt zeige uns, dass er auch so gut schmeckt.« Maria schüttelte nur den Kopf.

»Großvater«, sagte Kristian, »was ist eigentlich mit dem Brunnen passiert, der mitten im Burghof stand?«

»Woher weißt du, dass da einer gestanden hat«? fragte er.

»Soviel ich weiß, hat es da nie einen gegeben, aber es gibt hier irgendwo einen alten Stich, vielleicht findest du da, was du suchst.«

»Den meine ich nicht«, sagte Kristian, »darauf ist kein Brunnen zu sehen.«

»Vielleicht steht etwas in dem uralten Buch, das in der Truhe der Bibliothek liegt«, sagte Jessika.

»Hast recht,« meinte Großvater, »in dem alten Buch.«

In der Zwischenzeit war Jessika schon aufgestanden, um das Buch zu holen. Es sah wirklich alt und vergriffen aus. Vielleicht gehörte sie von Anfang an zum Haus. Vorsichtig wurde die erste Seite aufgeschlagen. In Ermangelung von Papier hatte jemand die Ansicht des Burghofs auf die Seite gemalt. Ein Blick genügte, um den Brunnen zu erkennen. Jessika und Großvater blickten Kristian ungläubig an.

»Mein Junge«, sagte er, »bist du ein Spökenkieker, oder hast du das Buch schon mal in deine Hand gehabt?«

Was sollte er sagen, wenn er sein Geheimnis noch nicht preisgeben wollte?

»Bestimmt nicht,« sagte er, »das Buch sehe ich heute zum ersten Mal. Ich war heute im Burghof, und mir war, als hätte dort ein Brunnen gestanden.«

»Wie kommst du darauf«? fragte Großvater, »ich habe dort noch nie einen Brunnen gesehen.« Maria hatte schweigend zugehört.

»Erinnerst du dich«, sagte Kristian zu Jessika, »gestern, als wir uns trafen. Du fragtest, warum ich so blass ausgesehen habe, da ist es passiert, ich habe den Brunnen in der Burg gesehen. Vielleicht war es ein Traum«, schwächte er ab, obwohl er es besser wusste, »aber den Brunnen habe ich gesehen.«

»Lernt man das in der Meditation«? fragte Jessika, »wann kannst du mir das beibringen, ich will den Brunnen auch sehen.«

»So schnell geht das nicht, außerdem wolltest du nie etwas davon hören.« Er hoffte, dass er ihr damit erst mal die Luft aus den Segeln genommen hatte.

»So leicht kommst du mir nicht davon«, sagte sie, »du verschweigst mir etwas.«

Kristian stand auf und kam ihr ziemlich nah. Sein Blick in ihre Augen ließ sie verstummen.

»Was soll das, willst du mich hypnotisieren?«

Verunsichert ging sie einen Schritt zurück.

»Ich muss jetzt gehen«, sagte er. »Maria, vielen Dank, der Kuchen hat wirklich gut geschmeckt.«

Großvater hatte es plötzlich eilig.

»Kinder«, sagte er, nachdem er seine Kaffeetasse mit einem Schluck leerte, »ich muss jetzt mein Mittagsschläfchen halten, wir sehen uns.«

»Was soll denn das«? fragte Jessika, »gerade, wo es spannend wird, verkrümelt ihr euch.«

Jessika sagte nichts, als Kristian sie verließ und durch die Halle nach draußen ging. Nicht mehr an Großvater denkend, zog dieser ihn plötzlich zur Seite, als er durch das Tor gehen wollte.

»Mein Junge, egal was du vorhast, ich bin dabei.« „Vielleicht ist es besser wir reden jetzt darüber,“ dachte Kristian, wer weiß, was sonst noch alles passiert.

»Komm, wir gehen zu den Pferdeställen, dort können wir in Ruhe reden.«

Großvater machte große Augen, als er ihm seine Geschichte erzählte.

»Was willst du als Nächstes machen«? fragte er aufgeregt.

»Ich werde heute Nacht durch das Tor gehen, falls ich nicht wieder zurückkomme, weißt du, dass etwas passiert ist. Erzähle keinem etwas.«

Wie man das Tor öffnete, verschwieg er vorsichtshalber. Großvater brachte es fertig und marschierte durchs Tor hinter ihm her.

»Wenn alles gut geht, komme ich morgen wieder vorbei.«

»Endlich ist mal wieder etwas los«, freute sich Großvater, »ich drück dir die Daumen.«

Es war jetzt später Nachmittag. Einige Dinge musste Kristian sich noch kaufen. Er überlegte, frische Batterien für seine Taschenlampe, etwas zu essen und zu trinken, falls er einen Tag länger bleiben musste.

Ein Hupen hinter ihm ließ ihn erschreckt zusammenfahren und zur Seite springen. Jessika drehte das Fenster ihres kleinen Geländewagen herunter.

»Ich muss sowieso ins Dorf, da habe ich mir gedacht, dass du sicher froh bist, wenn du nicht zu Fuß gehen musst.« Er stieg in ihr Auto und wollte ihr gerade danken, als sie sagte: »Meint ihr vielleicht, ich sei blöd und habe nicht gesehen, wie ihr beide noch zu den Pferdeställen geschlichen seid. Großvater ist wie verwandelt, er strahlt über das ganze Gesicht. Das müssen ja sehr wichtige Geheimnisse sein, die ihr vor mir verbergen wollt.«

 

»Beruhige dich, Großvater wollte, dass ich ihm etwas besorge, und ich habe ihm versprochen, mit keinem darüber zu reden.« Nach fünf Minuten Fahrt sagte Kristian: »Du kannst mich hier rauslassen, ich muss noch ein paar Dinge einkaufen.«

Wütend darüber, nichts Neues erfahren zu haben, trat Jessika auf die Bremse.

»Vielleicht schaue ich morgen wieder bei euch vorbei.« Er stieg aus, und bevor er noch etwas sagen konnte, gab sie Gas. Statt noch Einkäufe zu erledigen, wendete sie und fuhr den gleichen Weg zurück. So ein Luder dachte er, sie wollte mich nur aushorchen. Die Einkäufe hatte er schnell hinter sich gebracht. Wer weiß, was ihn erwartete. Zuhause angekommen packte er alles in seinen Rucksack und machte sich etwas zu essen. Den Wecker stellte er auf dreiundzwanzig Uhr und legte sich angezogen auf sein Bett, worauf er auch bald einschlief. Das laute Schrillen des Weckers ließ ihn erschreckt hochfahren.

Kristian merkte, wie er zunehmend nervöser wurde. Jetzt zu kneifen kam für ihn nicht infrage. In einer dreiviertel Stunde würde er den Tatsachen ins Auge sehen müssen.

Das Auto zu nehmen schien ihm zu verdächtig. Zu dieser Zeit würden die Autoscheinwerfer auf den Weg zur Burg eventuell jemand neugierig machen. Die Zeit war ja auch so eingeplant, dass er kurz vor vierundzwanzig Uhr durch das Tor gehen würde. Es war frisch und er war froh, dass er seinen dicken Pullover angezogen hatte. Der Mond hatte ein Einsehen mit ihm, sodass er die Batterien der Lampe schonen konnte.

Ein wenig unheimlich ragten die Umrisse der Burg bald vor ihm auf. Nachts war er noch nie hier gewesen, alles wirkte so bedrohlich.