Komödie der Liebe

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Komödie der Liebe
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Komödie der Liebe

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Komödie der Liebe

Komödie in drei Akten

© 1862 Henrik Ibsen

Originaltitel Kjærlighedens Komedie

Aus dem Norwegischen von Christian Morgenstern

Umschlagbild Johann Moritz Rugendas

© Lunata Berlin 2020

Personen

Frau Halm, eine Beamtenwitwe

Schwanhild,

Anna, ihre Töchter

Falk, ein junger Schriftsteller,

Lind, Student der Theologie, ihre Zimmerherren

Goldstadt, Großkaufmann

Stüber, Aktuar

Fräulein Elster, seine Braut

Strohmann, Landpastor

Frau Strohmann

Studenten, Gäste, Familien und Brautpaare

Die acht kleinen Mädchen des Pastors

Vier Tanten, eine Hausmamsell, ein Bursche

Dienstmädchen

Das Stück spielt in Frau Halms Landhaus am Drammensvej [Christiania].

Erster Akt

(Ein hübscher Garten mit unregelmäßigen, doch geschmackvollen Anlagen; im Hintergrunde wird der Fjord mit seinen Inseln sichtbar. Links vom Zuschauer aus das Wohnhaus mit einer Veranda; über ihr ein offenstehendes Giebelfenster. Rechts im Vordergrund eine offene Laube mit Tisch und Bänken. Die Landschaft liegt in kräftiger Abendbeleuchtung. Es ist Frühsommer; die Obstbäume blühen.)

(Beim Aufgehen des Vorhangs sitzen Frau Halm, Anna und Fräulein Elster auf der Veranda, die beiden ersten mit Handarbeiten, die letztere mit einem Buch. In der Laube sieht man Falk, Lind, Goldstadt und Stüber; auf dem Tisch stehen eine Punschbowle und Gläser. Schwanhild sitzt allein im Hintergrund am Wasser.)

Falk (steht auf und singt mit erhobenem Glas.)

Welch ein Tag im trauten Garten,

Reich an Sonne, reich an Glück;

Tröst dich, bleibt dem Lenzerwarten

Oft genug der Herbst zurück.

Laßt uns heute dieser Blüten

Rosigen Gewölbs uns freun, –

Morgen mag ein Wetter wüten

Und in alle Welt sie streun!

Chor der Herren.

Morgen mag ein Wetter wüten

Und in alle Welt sie streun!

Falk.

Warum schon nach Früchten fragen,

Da noch rings die Bäume blühn?

Warum unter Klag- und Plagen

Uns um Ungewisses mühn?

Schrille Vogelscheuchen schrecken

Tag und Nacht die muntre Brut –

Finkenschlag in Laub und Hecken,

Brüder, gibt doch bessern Mut!

Chor der Herren.

Finkenschlag in Laub und Hecken,

Brüder, gibt doch bessern Mut!

Falk.

Laß den leichten Sänger sitzen

In der süßen grünen Pracht!

Laß ihn seinen Lohn stibitzen,

Wenn er dich auch ärmer macht.

Seh' dich doch beim Tausch gewinnen,

Handelst Sang statt später Frucht;

Denk, noch eh' viel Monde rinnen,

Wendet sich das Laub zur Flucht.

Chor der Herren.

Denk, noch eh' viel Monde rinnen,

Wendet sich das Laub zur Flucht.

Falk.

Leben will ich, will genießen,

Bis der letzte Strauch verdorrt;

Wenig soll's mich dann verdrießen,

Fegt ihr all den Abfall fort.

Tor auf! Schaffe sich die Herde

Dann noch einen satten Tag;

Brach nur ich die Blüten, werde

Mit dem toten Rest, was mag!

Chor der Herren.

Brach nur ich die Blüten, werde

Mit dem toten Rest, was mag!

(Sie stoßen an und leeren die Gläser.)

Falk (zu den Damen.)

Das war das Lied, um das Sie baten; – zwar

Ich fürchte, daß es nicht sehr geistreich war.

Goldstadt.

Was tut's? Ein Lied, das soll vor allem klingen!

Frl. Elster (sieht sich um.)

Und unsre Schwanhild flog uns einfach fort.

Erst überredet sie Herrn Falk zu singen –

Und gibt dann Fersengeld.

Anna (zeigt nach dem Hintergrund.)

Sie sitzt ja dort.

Frau Halm (mit einem Seufzer.)

Kein Schliff, soviel ich auch an sie verschwende!

Frl. Elster.

Doch scheint mir fast, Herr Falk, des Liedes Ende

Mit jener Poesie zu schwach beprägt,

Von der es sonst doch manche Spuren trägt.

Stüber.

Ja, und Du konntest doch wahrhaftig leicht

Am Schluß noch etwas mehr davon platzieren.

Falk (stößt mit ihm an.)

Wie man ein rissig Brett mit Kitt verstreicht,

Bis sich die Flächen speckig marmorieren.

Stüber (unbeirrt.)

Es ging ganz gut; ich weiß doch, was man kann,

Ich hab' doch selbst –

Goldstadt. Den Pegasus geritten?

Frl. Elster.

Mein Bräutigam? Gott, ja!

Stüber. Nur dann und wann.

Frl. Elster (zu den Damen.)

Er ist im Grund romantisch.

Frau Halm. Unbestritten.

Stüber.

Nicht mehr; das war in junger Jahre Wirrnis.

Falk.

Ja, ja, Romantik, die verfliegt wie Firnis.

Doch früher also –?

Stüber. Ja, zu jener Zeit,

Als ich verliebt war.

Falk. »War«? Vergangenheit?

Du hast den Liebesrausch schon ausgeschlafen?

Stüber.

Jetzt bin ich doch verlobt, bin fast im Hafen,

Was mehr ist, als verliebt sein, will mir scheinen.

Falk.

Und ob! mein alter Freund, das will ich meinen!

Da war's getan, als Dir der Schritt geglückt war –

Und Liebschaft zu Verlöbnis aufgerückt war.

Stüber (mit einem Lächeln behaglicher Erinnerung.)

's ist seltsam! Wenn ich jene Zeit betrachte,

Ich möchte schwör'n, es fopp' ein Trugbild mich.

(Wendet sich zu Falk.)

Das sind nun sieben Jährlein her, daß ich

Auf der Kanzlei geheime Verse machte!

Falk.

Du dichtetest – am Pult?

Stüber. Am Schreibtisch dort.

Goldstadt.

Silentium! Der Aktuar hat's Wort.

Stüber.

Zumal oft abends im Bureau allein,

Da konzipiert' ich ganze Verse-Reihn,

Ich nahm oft drei gebrochne Bogen mit.

Das ging!

Falk. Du gabst der Muse bloß 'nen Tritt,

So trabte sie –

Stüber. Ob mit, ob ohne Stempel,

Mir paßte jedes Blatt in mein Programm.

Falk.

So überschwoll Dein Versstrom jeden Damm?

Doch wie erbrachst Du, sag', der Musen Tempel?

Stüber.

Mit jenem Dietrich, den man Liebe nennt!

Mit andern Worten, meiner Verskunst Amme

War, die Ihr heut als mein Verlöbnis kennt,

Denn damals war sie –

Falk. Nur erst Deine Flamme.

Stüber (fortfahrend.)

Das war 'ne Zeit! Mein Jus lag recht im schlimmen;

Die Feder statt zu spitzen, tat ich stimmen,

Und riß sie das Papier, so klang ihr Schrei

Wie Melodie zu meiner Schreiberei; –

Doch schließlich fand ich es denn doch zu laut –

Und schrieb an meine –

Falk. Deine spätre Braut.

Stüber.

Desselben Datums lief noch Antwort ein, –

Gesuch bewilligt, – und das Feld war rein!

Falk.

Da mochtest Du an Deinem Pult frohlocken;

Denn Deine Liebe lag nun gut und trocken!

Stüber.

Natürlich.

Falk. Und Du hast nie mehr gedichtet?

Stüber.

Nie mehr. Ich fühlte keinen weitern Trieb;

Mit einem Mal schien mein Talent vernichtet.

Und brauch' ich heut mal irgendwem zulieb

Nur einen Neujahrsvers, nur so fürs Haus,

Ich komm' mit Reim und Rhythmus nicht mehr aus;

Ich weiß nicht, was es ist, – es macht sich nie, –

Es wird halt Jus und keine Poesie.

Goldstadt.

Und wär'n Sie deshalb weniger honett?

(Zu Falk.)

Sie glauben wohl, Fortunens Ferge hätt'

Für Sie allein im Glücksschiff Platz zu wahren!

Doch sehen Sie sich vor, im Fall Sie fahren!

Und was Ihr Lied betrifft, so fragt es sich,

Ob sich's als Poesie verfechten lasse;

Denn wie man auch die Worte wend' und fasse

Die Grundmoral ist schlecht, so sage ich.

Wie glauben Sie, daß man die Wirtschaft nennt,

Die Spatz und Fink die Beeren nicht verleidet.

Bevor die Sonne sie zu Früchten brennt,

 

Wo Kalb und Kuh die Sträucher niederrennt

Und vor der Zeit die Sommerwiesen weidet?

Das säh', Frau Halm, hier nächstes Frühjahr aus!

Falk (erhebt sich.)

Ah, nächstes, nächstes! Packt's Euch nicht wie Graus

Vor dieser ärgsten aller Worte-Vetteln,

Die uns verhext, im reichsten Glück zu – betteln!

Nur einmal Sultan sein im Reich der Zungen, –

Ich schickt' ihr augenblicks die seidne Schnur;

Da hätt' sie bald auf ewig ausgerungen,

Wie das schon mancher Hexe widerfuhr.

Stüber.

Was hast Du gegen dieses Hoffnungswort?

Falk.

Daß Gottes schöne Welt vor ihm verdorrt.

»Die nächste Liebe« und »der nächste Leib«,

»Die nächste Mahlzeit« und »das nächste Weib«, –

Sieh, diese Vorsicht, die in all dem zittert,

Die ist es, die Dir jedes Glück verbittert.

Soweit Du siehst, verhäßlicht sie die Welt,

Verkümmert Dir den Frohgenuß des Heute;

Du ruhst nicht, eh' nicht, neuen Windes Beute,

Dein Boot zum »nächsten« Strand die Segel stellt;

Doch langt es an – so darfst Du da wohl weilen?

O nein, Du mußt zum aber-»nächsten« eilen.

So geht es – immerfort – durchs ganze Leben –

Gott weiß, ob hinterm Grab uns Ruh' gegeben.

Frau Halm.

Nein pfui, Herr Falk, was sind das für Ideen!

Anna (nachdenklich.)

O, was er meint, das kann ich wohl verstehn;

Es muß doch etwas Wahres in sich tragen.

Frl. Elster (bekümmert.)

Das könnte Stübern leicht den Kopf verdrehn, –

Exzentrisch wie er ist. – Ach, laß Dir sagen, –

Auf einen Augenblick!

Stüber, (damit beschäftigt, seinen Pfeifenkopf zu reinigen.)

Ich komme gleich.

Goldstadt (zu Falk.)

Doch das liegt außer Diskussionsbereich:

Sie sollten sich der Vorsicht nicht entschlagen,

Gerade Sie nicht! Setzen Sie den Fall,

Sie schrieben heut ein Werk und legten all

Das Poesiegold restlos in ihm an,

Womit Sie Ihre Bank bedienen kann, –

Und müßten, wollten Sie den nächsten Morgen

Von neuem dichten, alles weitre borgen!

Da würde die Kritik ihr Mütchen kühlen.

Falk.

Die würde den Bankrott wohl schwerlich fühlen;

Da schlenderten wir höchst einträchtiglich

Desselben Wegs, Madam Kritik und ich.

(Abbrechend und mit Übergang.)

Doch sag' mir, Lindchen, – was beschäftigt Dich? –

Warum so stumm? Wir schwelgen in Affekten,

Du, scheint mir, bildest Dich zum Architekten!

Lind (nimmt sich zusammen.)

Ich, Falk? Wie kommst du darauf?

Falk. Ganz bestimmt!

Weil der Altan Dich so in Anspruch nimmt.

Es sind vielleicht der Fenster hohe Bogen,

Die Deinen Blick so mächtig angezogen?

Vielleicht der Tür stilistische Partien,

Vielleicht die Scheiben oder Jalousien?

Denn etwas muß Dein Auge auf sich ziehen.

Lind (mit strahlendem Ausdruck.)

Nein, Falk, Du irrst. Ich sitze hier und lebe.

Das Jetzt ist's, dem ich mich berauscht ergebe.

Ich hab' Dir ein Gefühl, als läg' mir heut

Der Erde ganzer Reichtum hingestreut!

Dank für Dein Lied Frühlingswonnen;

Mir ist, ich hätt' es trunken selbst ersonnen!

(Hebt sein Glas und wechselt, nicht bemerkt von den übrigen, einen Blick mit Anna.)

Der Blüt' ein Heil, die süßen Duft uns schenkt

Und nicht im Lenz schon ihres Herbstes denkt!

(Trinkt aus.)

Falk (blickt ihn überrascht und ergriffen an, zwingt sich aber zu einem leichten Ton.)

Sehn meine Damen, welch ein Glück mir blüht?

Hier ward im Handumdrehn ein Proselyt.

Noch trägt er sein Gebetbuch unterm Rocke

Und kämmt sich üppig schon die Dichterlocke.

Zwar heißt's, man ist ein Dichter oder keiner,

Doch wird wohl auch mal von der Prosa einer

Wie eine Gans gemästet, rigorös,

Mit Reimgewäsch und metrischem Getös,

Daß all sein Innres, Leber, Seel', Gekrös,

Liegt's ausgenommen auf dem Küchenbrett,

Voll Lyrikschmalz ist und Rhetorikfett.

(Zu Lind.)

Willkommen übrigens in unsern Reihen!

Nun schlagen wir die Harfe stolz selbzweien.

Frl. Elster.

Ja, Sie, Herr Falk. Sie dichten jetzt wohl viel?

Dies Ländliche, – dies Wandeln unter Bäumen,

Wo Sie so ganz allein mit Ihren Träumen –

Frau Halm (lächelnd.)

Nein, er ist träg', – es ist ein Trauerspiel.

Frl. Elster.

Ich dachte, wenn Sie bei Frau Halm logieren,

Sie müßten Tag und Nacht poetisieren.

(Zeigt nach rechts hinaus.)

Die Laube dort, von Blättern überdacht,

Ist doch für einen Dichter wie gemacht; –

Daß da nicht einmal Ihre Lust erwacht?

Falk (geht nach der Veranda hinüber und lehnt sich mit den Armen aufs Geländer.)

Bedecken Sie mein Aug' mit Blindheitsschimmel,

So dicht' ich Ihnen von dem lichtsten Himmel;

Verschaffen Sie mir auf vier Wochen bloß

Ein wühlend Weh, ein tragisch Heldenlos,

So sing' ich Ihnen Hymnen zum Entgelt!

Am besten fänd' ich meine Sach' bestellt,

Würd' mir ein Weib Licht, All, Gott, Sonne, Welt!

Ich hing mich schon dem Herrgott an die Kleider,

Doch blieb er taub bis heute – leider, leider.

Frl. Elster.

Pfui, wie frivol!

Frau Halm. Da hört doch alles auf!

Falk.

Ah, glauben Sie, ich sänn' mit ihr darauf,

Die öffentlichen Gaffer aufzunähren?

Nein, aus des Glückes wildstem Jubellauf

Da müßt' sie wieder heim zum Himmel kehren.

Gymnastik braucht mein Geist, nicht zu erschwachen,

Und solch ein Fall würd' ihm zu schaffen machen.

Schwanhild (hat sich inzwischen genähert; sie steht nun dicht bei Falk und sagt mit bestimmtem, doch launigem Ausdruck:)

Ich will für Sie um solch ein Schicksal flehen;

Doch kommt es, – tragen Sie es wie ein Mann!

Falk (hat sich überrascht umgewandt.)

O, Fräulein Schwanhild! – Gut, ich will ihm stehen!

Doch ob man auf Ihr Flehn auch bauen kann?

Wird Ihr Gesuch der Himmel auch erledigen?

Er läßt sich ungern Forderungen predigen.

Ich weiß wohl, Willen haben Sie für zwei,

Daß es mit meiner Ruh' zu Ende sei!

Doch ob Ihr Glaube völlig einwandfrei, –

Da liegt's.

Schwanhild (halb im Scherz, halb im Ernst.)

Geduld, – wenn erst die Sorgen pochen,

Wenn Ihres Lebens Sommerglück zerbrochen,

Wenn Sie in Traum und Wachen ruhlos leiden, –

Dann mag Ihr Urteil über mich entscheiden.

(Sie geht zu den Damen hinüber.)

Frau Halm (mit gedämpfter Stimme.)

Ihr beiden seid doch nur auf Zwist bedacht!

Nun hast Du Falk im Ernste bös gemacht.

(Redet leise und ermahnend weiter auf sie ein. Frl. Elster mischt sich ins Gespräch. Schwanhild steht kalt und stumm da.)

Falk (geht nach einer kurzen gedankenvollen Pause zur Laube hinüber und sagt vor sich hin:)

Gewißheit leuchtete aus ihren Blicken.

Ob ich mit ihrem Glauben glauben soll,

Der Himmel wolle –

Goldstadt. Ihnen Sorgen schicken?

Er wäre, mit Verlaub zu sagen, toll,

Sofern er solche Orders effektuierte.

Nein, nein, das einzige, was Sie kurierte,

Das wär' Motion für Arme, Bein' und Leib

Jedoch worin besteht Ihr Zeitvertreib?

Im Wolkengucken! Hau'n Sie, junger Skalde,

Nur einmal vierzehn Tage Holz im Walde!

Und ließe Sie Ihr Blut dann nicht in Ruh',

Das ging' ja nicht mit rechten Dingen zu.

Falk.

Nun steh' ich, wie's von Buridans Esel heißt,

Zur Linken winkt mir Fleisch, zur Rechten Geist.

Wer rät nun, was es erst zu wählen gilt?

Goldstadt (füllt die Gläser.)

Erst ein Glas Punsch, das Durst und Kummer stillt.

Frau Halm (sieht auf ihre Uhr.)

Es geht nun schon auf acht. Ich sollte meinen,

Jetzt dürft' wohl unser Pastor bald erscheinen.

(Erhebt sich und räumt auf der Veranda auf.)

Falk.

Ein Pastor kommt hierher?

Frl. Elster. Gott, warum nicht?

Frau Halm.

Sie hören auch nie zu, wovon man spricht –

Anna.

Herr Falk wird damals grad' gesegelt haben –

Frau Halm.

Ach so. Doch machen Sie kein solch Gesicht;

Sie werden sich an unserm Gast erlaben.

Falk.

Nun, und? Wer ist denn dieses Labsal, so man

erharrt?

Frau Halm.

Herr Gott, es ist der Pastor Strohmann.

Falk.

So, so. Sein Name ist mir schon bekannt;

Er ist ja wohl im Reichstag Debütant

Und strebt ins hochpolitische Gewässer.

Stüber.

Er redet gut.

Goldstadt. Und räuspert sich noch besser.

Frl. Elster.

Nun kommt er mit Gemahlin –

Frau Halm. Und mit Kindern –

Falk.

Und tummelt sie ein wenig noch im Freien,

Eh' »Fragen« und Ministerplackereien

Ihn Tag und Nacht an allem andern hindern?

Ich fühl's ihm nach.

Frau Halm. Das ist ein Mann, Herr Falk!

Goldstadt.

Als junger Mann zwar war's ein arger Schalk.

Frl. Elster (gekränkt.)

Wohl kaum, Herr Goldstadt! Schon von Kindheit an

Erhielt mein Herz ein höchst respektvoll Bild –

Und das von Leuten, deren Urteil gilt,

Wer Pastor Strohmann, und was sein Roman.

Goldstadt (lachend.)

Roman?

Frl. Elster.

Roman. Ich nenne das romantisch,

Was Alltagsmeinung nicht begreifen kann.

Falk.

Sie spannen meine Wißbegier gigantisch.

Frl. Elster (fortfahrend.)

Doch freilich, freilich, da sind immer Leute,

Für deren Spott es keine lieb're Beute

Als Rührendes und Edles gibt! Man kennt

Den Fall ja: Kam da jüngst ein Herr Student

Und übte sich, man denke nur, als Richter

An Werken eines unsrer Lieblingsdichter.

Falk.

Ja, ist denn dieser Landpastor ein Buch,

Ein lyrischer, ein epischer Versuch?

Frl. Elster (zu stillen Tränen gerührt.)

Nein, Falk, – ein Mensch, des Herz vielleicht sein Fluch.

Doch wenn bereits ein Buch, das doch nicht lebt,

So viele Bosheit aus der Taufe hebt

Und Leidenschaften weckt – von solcher Menge –

Von solcher Tiefe –

Falk (teilnehmend.) Und von solcher Länge –

Frl. Elster.

So werden Sie, bei Ihrem Geist, fürwahr

Unschwer verstehn –

Falk. Ja, ja, es ist ganz klar.

Doch was bisher mir minder klar gewesen ist, –

Was stellt denn der Roman im Grunde dar?

Ich ahne nur, daß er voll Reiz zu lesen ist, –

Doch ließe sich der Stoff nicht mit ein paar –

Stüber.

Ich werde aus den Fakten extrahieren,

Was wichtig ist –

Frl. Elster. Du wirst zu viel verlieren;

Ich werde lieber –

Frau Halm. Sonst bin ich so frei!

Frl. Elster.

Ach nein, Frau Halm, nun bin schon ich dabei.

Sehn Sie, – bereits als Kandidat erstritt

 

Er sich in unser Hauptstadt festen Boden,

Verstand sich auf Kritik und neue Moden –

Frau Halm.

Und tat privatim in Komödien mit.

Frl. Elster.

Schon gut, Frau Halm. – Er sang und konterfeite –

Frau Halm.

Und Anekdötchen wußt' er so gescheite!

Frl. Elster.

Ich bitte Sie, wozu dies Mosaik!

Dann schrieb er was und setzt' es in Musik,

Und – ein Verleger machte es publik;

Es hieß: »Sonettenstrauß an Albertine«.

Ach Gott, wie sang er das zur Mandoline!

Frau Halm.

Ja, ganz gewiß, der Mensch war genial.

Goldstadt (leise.)

Hm, manche hielten ihn für nicht normal.

Falk.

Ein Weiser, einer von den kompetenten,

Nicht bloß so ein Gespenst aus Pergamenten,

Behauptet, Liebe mache zu Petrarchen

So leicht, wie Vieh und Faulheit Patriarchen.

Doch wer war Albertine?

Frl. Elster. Die Erwählte,

Und heut natürlich seine längst Vermählte.

Sie war die Tochter einer Firma, die –

Goldstadt.

In Bauholz machte –

Frl. Elster (kurz.) Äußerst not zu wissen.

Goldstadt.

Und zwar nach Holland.

Frl. Elster. Aber meinen Sie,

Wir könnten diesen Kommentar nicht missen?

Falk.

Von einer Firma?

Frl. Elster (fortfahrend.)

Nabobs! – Kein Geflunker!

Was dünkt Sie, daß da für ein Tanz begann?

Da klopften Freier ersten Ranges an.

Frau Halm.

Man sprach sogar von einem Kammerjunker.

Frl. Elster.

Doch Bertas Herzenswärme blieb latent.

Da sprach man ihr einmal von Strohmanns Rollen –

Und sehn und lieben ihn, war ein Moment!

Falk.

Und die Bewerber konnten heimwärts trollen?

Frau Halm.

Ja, – heißt das nicht Romantik aus dem vollen?

Frl. Elster.

Und nehmen Sie nun einen Vater noch,

Der, alt und grausam, Herzen nur so knickte,

Und vollends einen Vormund, der ihr Joch

Der Schmerzen ganz und gar mit Dornen spickte!

Doch unser Pärchen schwor sich Treue zu;

Ihr Traum war eines Strohdachs heitre Ruh',

Ein schneeweiß Lämmlein, eine Linnentruh' –

Frau Halm.

Ja, höchsten Falls noch eine kleine Kuh, –

Frl. Elster.

Kurzum, – wie sie derzeit an Freunde schrieben:

Ein Quell, ein Hüttlein, und ihr junges Lieben!

Falk.

Ach ja! Und dann –?

Frl. Elster. Dann brach sie mit den Ihren.

Falk.

Sie brach –?

Frau Halm. Jawohl.

Falk. Das will mir imponieren.

Frl. Elster.

Und zog zu ihrem Strohmann unters Dach.

Falk.

Das tat sie! Ohne – vorige – Vermählung?

Frl. Elster.

Pfui!

Frau Halm.

Pfui! Mein Seliger ging selber nach

Der Kirche!

Stüber (zu Frl. Elster.)

Siehst Du wohl, wenn die Erzählung

Ein Faktum ausläßt, werden Zweifel wach.

Ein Referat erreicht nur, was bezweckt ist,

Sofern es chronologisch und korrekt ist,

Doch eins vermocht' ich niemals recht zu fassen:

Wie lebten sie –

Falk (fortsetzend.) Da doch zu Mitinsassen

Von Giebelstuben Schaf und Kuh nicht passen.

Frl. Elster (zu Stüber.)

Du solltest nur nicht außer Augen lassen:

Man braucht nichts, wo sich Herz zu Herz gefunden;

Man lebt schon halb, wenn man sich täglich sieht.

(Zu Falk.)

Ihr treuer Ritter sang ihr tiefempfunden

Zur Laute vor, – sie gab Pianostunden –

Frau Halm.

Und dann, versteht sich, nahm man auf Kredit –

Goldstadt.

Ein Jahr lang, bis das Handelshaus fallit.

Frau Halm.

Dann aber ward er Pastor wo im Norden.

Frl. Elster.

Dort, schrieb er, sei nun alles gut geworden; –

Er lebe nur für sie und seine Predigt.

Falk (ergänzend.)

Und damit war denn sein Roman erledigt.

Frau Halm (steht auf.)

Ich mein', wir sehn mal in den Garten, wie?

Es war mir schon vorhin, als hört' ich Schritte.

Frl. Elster (ihre Mantille umnehmend.)

Es ist schon kühl.

Frau Halm. Ach, Schwanhild, hol mir, bitte,

Den Shawl!

Lind (von den übrigen nicht bemerkt, zu Anna.)

Geh nur voraus!

Frau Halm. So kommen Sie!

(Schwanhild geht ins Haus; die anderen, außer Falk, gehen nach dem Hintergrund oder nach links ab. Lind, der sie begleitet hat, bleibt stehen und kommt zurück.)

Lind.

Mein Freund!

Falk. Der meine!

Lind. Deine Hand! Mir birst

Die Brust von unbezähmbarem Verlangen,

Mich mitzuteilen. –

Falk. Ruhig Blut! Du wirst

Verhört erst, dann verurteilt, dann gehangen.

Was ist das für ein Wesen? Mir den Schatz,

Den Du gefunden, einfach zu verhehlen; –

Denn die Vermutung dürfte wohl nicht fehlen:

Du spieltest – und gewannst auf Deinen Satz.

Lind.

Jawohl, mir ging ein süßes Vöglein ein!

Falk.

So? Lebend – und vom Fanggarn nicht gequält?

Lind.

Nur einen Augenblick, so ist's erzählt.

Ich bin verlobt!

Falk (rasch.) Verlobt!

Lind. Jawohl, seit heute.

Gott weiß, was plötzlich meine Furcht zerstreute!

Ich sagte – o, das läßt sich nicht so sagen;

Doch denk Dir, – sie, anstatt mich auszuschlagen,

Ward übers ganze Antlitz eine Glut

(Du ahnst nicht, wie sich da mein Mut erprobte!)

Und weinte leis, das junge süße Blut;

Ein gutes Zeichen, nicht?

Falk. Gewiß; sehr gut.

Lind.

Und nicht wahr, Falk, nun sind wir doch Verlobte?

Falk.

Vermutlich; aber um nicht fehlzuschlagen,

Ich würde doch noch Fräulein Elster fragen.

Lind.

Nein, nein, – ich fühl's ja doch in tiefster Brust!

Ich bin so klar, so stark, so siegsbewußt!

(Strahlend und geheimnisvoll.)

Heut nach dem Kaffee stand ich bei ihr – und

Ihr Händchen mußte meinen Druck erhören.

Falk (erhebt sein Glas und leert es.)

Na denn, des Frühlings Glanz in Euren Bund!

Lind (ebenso.)

Und das, das will ich hoch und heilig schwören,

Sie bis zum Tod mit jedem heißen Trieb

Wie heut zu lieben; – denn sie ist so lieb!

Falk.

Verlobt! Das war es also, darum schied

Dein Weg sich vom Gesetz und vom Propheten.

Lind (lachend.)

Und Du, Du glaubtest, Falk, es sei Dein Lied –?

Falk.

Solch starken Glauben haben oft Poeten.

Lind (ernst.)

Doch glaub' nicht, daß in mir der Theologe

In all dem Glück sich selber nun vergißt.

Nur, daß nicht mehr das Buch mein Pädagoge,

Mein Führer, meine Jakobsleiter ist.

Nun führt zu Gott mich jede Lebensbrücke;

Schon schwingt mein Herz in höh'rer Harmonie, –

Den Halm, den Wurm vor mir, – wie lieb' ich sie!

Sie haben auch ihr Teil am großen Glücke.

Falk.

Doch sag mir nun –

Lind. Was hab' ich mehr zu sagen, –

Als was wir nun zu dritt verschwiegen tragen!

Falk.

Ich meine, dachtest Du schon etwas weiter?

Lind.

Ich, denken? Weiter? Nein, mein Sorgen schwand

In dieser Lenzminuten süßem Brand.

Mein Auge sieht nur Glück und lächelt heiter;

Des Schicksals Zügel ruhn in unsrer Hand.

Und Dich und Goldstadt, ja Frau Halm sogar

Erkenn' ich jedes Einspruchsrechtes bar.

Wo Kraft und warmes Blut zusammenstehen

Wie hier, da muß und wird es aufwärts gehen.

Falk.

Brav, solche Menschen braucht das Glück, mein Bruder!

Lind.

Mein Herze schlug noch nie so frei, so keck.

Ich fühle mich so kräftig, – türm ein Fuder

Geröll vor mich, ich spring' Dir drüber weg!

Falk.

Das will in simpler Prosasprache sagen:

Ich ward ein Rentier, Falk, vor lauter Glück!

Lind.

Na, – laß mich immer wie ein Rentier jagen,

Das Vöglein Sehnsucht weiß den Weg zurück.

Falk.

So kann es morgen seine Kunst schon zeigen;

Du sollst ja ins Gebirg mit dem Quartett.

Nun, eins steht fest, Du brauchst kein Pelzkollett –

Lind.

Pah, das Quartett! Das mag alleine steigen!

Hier atm' ich Höhenluft wie droben nie;

Hier blaut der Fjord, hier überhängt mich Flieder,

Die Laube tönt Gesang, der Himmel Lieder.

Hier wohnt die Glücksfee selbst, – denn hier ist sie!

Falk.

Die Glücksfee hier! So halt sie fest beim Zipfel; –

So selten läßt kein Elch verschwiegne Gipfel.

(Mit einem Blick nach dem Hause.)

Still! – Schwanhild –

Lind (drückt ihm die Hand.)

Gut; ich geh', – und niemand merke,

Was zwischen Dir und mir und ihr im Werke.

Dank, daß Du mein Geheimnis nahmst! Begrab'

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