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Die beiden Freunde

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Die beiden Freunde
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I

Im Frühling des Jahres 1854 machte ich eine Reise nach Brüssel, um mit verschiedenen meiner Freunde über gewisse, die vlämische Literatur betreffende Angelegenheiten zu berathen.

Eines Nachmittags unternahmen wir gemeinschaftlich einen Spaziergang nach dem Tercameren-Busch.

Das Wetter war herrlich; hell strahlte die Sonne an dem wolkenlosen Himmel, dass junge Laub glänzte und duftete und der Gesang der Vögel schallte durch den Wald.

Auch in unsere Seelen war der Frühling eingekehrt; wir unterhielten uns voll Begeisterung über unsere Muttersprache und über vlämische Kunst und begrüßten überströmenden Herzens den Triumph unseres wiedergeborenen Vaterlandes, als stände er in der nächsten Zeit bevor.

Auf dem Rückwege nach Brüssel setzten wir uns am Vleurgatschen Wege vor einem Wirtshaus nieder, um im Schatten der Linden und bei einem Glase Bier ein wenig auszuruhen.

Die Unterhaltung war bald wieder frisch im Gange; doch jetzt deutete Einer aus unserer Gesellschaft, ein junger Dichter, mit Lebhaftigkeit auf den Weg und richtete unsere Aufmerksamkeit auf Etwas, das ihm seltsam erschien.

»Welch’ eigenthümliches Bild,« flüsterte er, »das ist ja wie ein lebendes Gedicht. Still, sehn Sie doch . . . «

Wir sahen zwei sehr alte Männer, Arm in Arm, schwankenden Ganges und sehr langsam auf uns zukommen; Beide waren wie wohlhabende Bürger gekleidet. Sie hatten uns offenbar nicht bemerkt, jedenfalls nahmen sie keine Notiz von uns.

Der Eine mochte neunzig Jahre zählen, er ging tief gebeugt und sein Kopf wankte hin und her, als vermöchte der Hals nicht mehr die Schwere des Gehirns zu tragen. Seine Wangen waren hohl, seine Knochen nur noch mit Haut bedeckt, Kinn und Nase stießen fast an einander.

Trotz des warmen Wetters trug er einen Mantel von ziemlich schwerem Stoff, dessen langer Kragen über Brust und Schultern herabfiel; er stützte sich auf einen langen Stock aus spanischem Rohr, dessen silberner Kopf über die Hand hervortrat.

Die ganze Erscheinung machte den Eindruck, als ob das Grab sie mit Ungeduld erwarte, der Mann glich einer wandelnden Leiche.

Sein Geführte mußte jünger, vielleicht einige siebzig Jahre sein, wiewohl auch er schneeweißes Haar hatte und ein abgemagertes Gesicht. Aber sein Blick war klar, er trug den Kopf aufrecht und in seinen Bewegungen kennzeichnete sich noch einige Lebenskraft.

Seine Kleidung bestand aus einem blauen Ueberrock der bis unter dass Kinn zugeknöpft war; ein buntfarbiges Bändchen, offenbar ein Ehrenzeichen, schmückte eins seiner Knopflöcher.

Beide Greise waren eindruckerweckende, man möchte fast sagen majestätische Bilder des menschlichen Alters.

Was indessen mehr noch als ihre äußere Erscheinung unser Interesse weckte, war die Sorgfalt und Liebe, die sich in dem Verhalten des jüngeren Mannes seinem alten Gefährten gegenüber kund gab.

War er vielleicht sein Sohn? Auch in diesem Falle würde sein Betragen uns mit Bewunderung erfüllt haben. Er lenkte die Schritte des lebensmüden Greises mit einer ängstlichen Vorsicht, stützte ihn, entfernte die Steine aus seinem Weg, redete ihm Muth ein, trocknete ihm mit einem weißen Tuche den Schweiß von der Stirn, ja er verscheuchte selbst die Fliegen, die seinen Schützling zu belästigen drohten.

Die beiden Alten näherten sich dem Wirtshaus vor dem wir und befanden; der Jüngere führte den Andern an einen Tisch, rückte ihm den Stuhl zurecht und rief der Wirthin zu, das; sie ein Glas Zuckerwasser und einen Seidel Bier bringen solle.

Schweigend beobachteten wir das seltsame Paar und sahn, wie der Mann mit dem Ehrenzeichen seinem Gefährten das Glas an die Lippen brachte, ihm dann den Mund abwischte und ihn bequem setzte. Mehr als Alles dieses rührte uns indessen die Liebe, die aus den Zügen des Jüngeren sprach und die unendliche Dankbarkeit, welche wie ein letzter Funken die fast erloschenen Augen des Aelteren belebte.

Nach einiger Zeit half der Erste seinem Cameraden aufstehen, und Beide entfernten sich eben so langsam wieder, wie sie gekommen waren, in der Richtung von Elsene.

Wir sprachen noch lange von den beiden Greisen, die einen so tiefen Eindruck auf uns gemacht hatten. In mir entstand sogleich der Gedanke, das schöne Bild einem meiner Bücher zu Grunde zu legen; da indessen der junge Dichter zuerst die Absicht ausgesprochen hatte, dasselbe in seinem Gedichte zu schildern, so mußte ich diese Idee fahren lassen.

Wir fragten die Wirthin nach den beiden Greisen, doch wußte sie nicht Näheres darüber anzugeben, da sie erst sei Kurzem von Brüssel hierher gezogen war. Sie theilte uns nur mit, daß sie zu Elsene wohnten und daß man sie in der Umgegend die beiden alten Freunde nenne.

Den ganzen Tag hindurch und noch am Abend, als ich mit der Eisenbahn nach Antwerpen zurück fuhr, schwebte mir das rührende Bild vor den Augen.

Im Laufe der Zeit verblaßte es allmählich wieder und meinem jungen Freunde muß es ebenso gegangen sein, denn es ist mir nicht zur Kenntniß gekommen, daß er die beiden Greise in einem seiner Gedichte verwerthet hat.

Sechzehn Jahre später, als ich mich selbst eine Zeit in Elsene aufhielt, hörte ich in einer dort ansässigen Familie etwas erzählen, das auf die alten Freunde von damals Bezug zu haben schien.

Ich hatte mich nicht getäuscht; auf nähere Nachfrage erfuhr ich, wer diese beiden Greise gewesen waren und wo der Quell ihrer großen, treuen Liebe zu einander entsprang.

Sie sind nun längst gestorben und auch ihre nächsten Verwandten sind heimgegangen. Ich darf also, mit Abänderungen, meinen Lesern wieder erzählen, was über die beiden Freunde, zu meiner Kenntniß gelangt ist.

II

An einem Juniabend des Jahres 1812, in später Stunde, trat der unter dem Namen: »der gute Doktor von Elsene« allgemein bekannte Herr Christians in ein Wirtshaus des Dorfes Etterbeck bei Brüssel.

In dem Halbdunkel der Schänkstube erkannte er einen seiner Freunde, den Viehhändler Mark, welcher, den Kopf auf die Hand gestützt, in einem Winkel saß.

Er trat aus ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und rief lachend:

»Ein sonderbarer Platz das zum Schlafen, Herr Mark, verzeihen Sie, wenn ich Sie aus süßen Träumen wecke.«

Jetzt aber glaubte er in den Zügen des also Angeredeten eine tiefe Bekümmerniß zu entdecken.

»Haben Sie Verdruß gehabt?« fragte er.

»Ich komme von Anderghem und bin müde,« antwortete der Kaufmann. »So allein hier zu sitzen ist nicht angenehm, besonders, wenn man ohnehin schon keine Veranlassung hat, heiter gestimmt zu sein.«

»Nun, ein halbes Stündchen kann ich bei Ihnen bleiben; lassen Sie uns ein wenig zusammen plaudern.«

»Sie, Christians, sind um so munterer; die Freude strahlt Ihnen ja aus den Augen.«

»Mir ist auch heute ein großes Glück begegnet, Freund Mark.«

»Schon wieder?«

»Schon wieder?« wiederholte der Doktor erstaunt.

»Nun freilich,« bestätigte der Andere mit einem leichten Anflug von Aerger, Sie sind der glücklichste Mensch, den ich kenne. Seit unserer Kindheit erinnere ich mich nicht, daß Ihnen jemals Etwas in die Quere gekommen ist, während ich, Gott sei’s geklagt, stets nur mit Mühe und Noth zu kämpfen habe. Sie können es mir glauben, Christians, es gibt Augenblicke, wo ich wünsche, todt zu sein.«

»Sollten Sie vielleicht Unglück gehabt haben in Ihren Geschäften?« fragte der Doktor verwundert; »ich wäre in dem Falle gern bereit, Ihnen nach Kräften zu helfen.«

»Helfen! da ist nicht zu helfen!« seufzte der Kaufmann. »Können Sie meine älteste Tochter, die kürzlich gestorben ist, aus dem Grabe zurückrufen? Können Sie mir meinen armen Sohn Jakob wiedergeben, meinen armen Sohn, den der Menschenschlächter Napoleon nach Deutschland geschleppt hat, um ihn in der nächsten großen Schlacht als Kanonenfutter zu gebrauchen?«

»Er lebt doch noch? . . . Nun so wollen wir hoffen, daß Gott ihn beschützen wird.«

»Ach, es waren ihrer hundertundzwanzigtausend junge Leute, welche mit dem Kaiser nach Russland zogen. Wie viele werden davon wiederkehren? Wenn ich an meinen unglücklichen Jakob denke, so verliere ich fast den Verstand. Soll ich Ihnen erzählen, was ich diese Nacht geträumt habe? Ich war ein Zauberer und sammelte vermittelst meiner Kunst alle Thränen und alles Blut, das dieser schändliche Antichrist auf dem Gewissen hat, in ein mächtiges Becken. Eine furchtbare Lache war es, tief und weit wie ein See, und in dem rauschenden, gährenden Naß ertränkte ich jubelnd den nichtswürdigen Korsen, der auch mir ein Kind aus den Armen gerissen hat, um es dem Teufel seiner Herrschsucht zu opfern.«

»Ich verstehe ihre Angst,« versetzte der Doktor »aber Sie thun Unrecht, sich so gänzlich der Verzweiflung hinzugeben. Gerade heute sind gute Nachrichten von dorther gekommen. Ehe er Polen verläßt, um in Rußland einzudringen, hat Napoleon dem Czaren seine letzten Forderungen und Friedensbedingungen kund thun lassen; seit Wochen schon ist man eifrig am unterhandeln und, wie es scheint, ist Aussicht da, den schrecklichen Krieg zu verhindern. In dem Falle kehren dann die Ausgehobenen ohne Zweifel sofort in ihre Heimath zurück.«

»Ist es wahr, was Sie sagen? Täuschen Sie mich nicht?« rief der Kaufmann und ein Strahl der Freude verklärte seine kummervollen Züge.

»Ich habe vorhin bei Herrn Walter einen Brief aus Warschau gelesen, in dem die Nachricht enthalten ist. Uebrigens sprechen auch schon die Zeitungen davon.«

»O wenn das wäre, wie herzlich wollte ich Gott für seine Güte danken!« rief der Viehhändler. »Mein Freund, Sie Sie wissen es nicht, wie elend es einen Vater macht, wenn er im Geiste seines Kindes Leiche blutig und verstümmelt auf dem Schlachtfelde liegen sieht.«

»Ich kann es mir lebhaft vorstellen,« sagte der Doktor mit einem Seufzer.

 

»Nein, das können Sie nicht, daß kann Niemand, der es nicht selbst erfahren hat, und am wenigsten Sie, der das Unglück nur von Hörensagen und an Anderen kennt. Ihr Ihr Bernhard und mein Jakob loosten an demselben Tage; Bernhard zog eine der höchsten Nummern und kam frei, mein armer Junge fiel bis über die Ohren herein. Noch nicht genug, ich gab dem ersten Stellvertreter fünftausend, dem zweiten siebentausend Franken. Beide desertierten. Ich wollte mein Haus belasten und ein noch größeres Opfer bringen, aber kein Ersatzmann war mehr zu finden, mein Jakob musste selbst den Tornister auf den Rücken nehmen. Meine Frau war drei Monate krank und ich bin fast von Sinnen. So etwas kann Ihnen nicht passieren.«

»Ich bekenne mit Dank gegen Gott, das; ich bisher glücklich war,« versetzte der Doktor, »hinsichtlich meines Sohnes würde ich indessen dennoch nicht vollkommen ruhig sein, wenn die günstigen Nachrichten aus Polen mir die Gefahr nicht aus weiter Ferne zeigten. Bernhard hat zwar ein sehr hohes Loos gezogen, aber wenn man, in Folge einer etwaigen Niederlage des Heeres, von Neuem ein paar Mal hunderttausend junge Leute aushöbe, wer sagt mir, daß Bernhards Nummer nicht ein die Reihe käme?«

»O, das ist undenkbar, so hoch wird man niemals steigen. Und außerdem haben Sie die Mittel, einen Stellvertreter zu bezahlen.«

»Wenn es deren nun aber keine mehr gibt, wie Sie selbst sagen’?«

»Für Sie würde sich schon Einer finden und müßte er aus der Erde kommen.«

»Jetzt träumen Sie aber wirklich, Freund Mark! Man kann sein ganzes Leben vom Glück begünstigt gewesen sein, – ein Tag, eine Stunde reicht hin, um daß Elend kennen zu lernen.«

»Sie müssen doch selbst gestehn, das; Sie ein echter Glücksvogel sind, Christian. Ihr Bernhard bleibt nicht allein vom Kriegsdienst verschont, nein, er macht auch noch die Bekanntschaft der Tochter des Millionärs Walter. – Sie hören, ich bin in die Sache eingeweiht – Wäre er nicht Ihr Sohn, so würde ich meinen Zweifel an dem Erfolge hegen; so aber wird jedenfalls eine Heirath das Ende sein.«

Der Doktor zuckte die Achseln.

»Davon sind wir noch weit entfernt,« murmelte er. »Ich glaube gern, daß Fräulein Walter meinem Bernhard gefällt, aber wie denkt sie über ihn? Und was würde ihr Vater sagen, wenn wir eine so ungleiche Verbindung in Vorschlag brächten?«

»Lassen Sie nur gut sein,« lieber Doktor, »Sie sind unter einem guten Stern geboren, Ihnen gelingt nun einmal Alles. Sagten Sie nicht selbst beim Hereinkommen, daß Ihnen auch heute wieder ein Glück begegnet sei? Wohl eine schöne Geldsache, he?«

»Nein, eine Herzenssache für mich. Ich wurde eiligst zu einem Gehöft bei Woluwe geholt, um einem Kinde zu helfen, das im Sterben liege. Mein Pferd ist gelähmt, so lief ich denn zu Fuß, so rasch ich konnte.

»Bei meiner Ankunft fand ich das Kind beinah schon todt, es hatte an einem Knochen genagt und ein Splitter davon war ihm in der Kehle stecken geblieben. Die verzweifelnden Eltern flehten unter Thränen um die Rettung ihres Kindes.

»Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es mir, den Knochen herauszuziehen. Als ich den Eltern mittheilte, daß die Gefahr überstanden und nichts mehr zu befürchten sei, knieten sie vor mir nieder und riefen den Segen des Himmels auf mich herab. Die Augen wurden mir feucht vor Mitgefühl und Freude, denn wenn die Sache im Grunde auch eine höchst einfache war, so hatte ich das Kind doch vom sicheren Tode gerettet, und diese Ueberzeugung gewährte mir als Mensch wie als Arzt die höchste Befriedigung.«

»Jedermann weiß, daß Sie ein gutes Herz haben, und so kann ich mir Ihre Freude über die Rettung des Kindes sehr wohl vorstellen. Doch auch von einem andern Gesichtspunkte aus wird dieser Erfolg von großem Vortheil für Sie sein. Die dankbaren Eltern erheben Sie natürlich bis in den Himmel und erzählen Jedem, der es hören will, was Sie für ein geschickter Mensch sind; außerdem werden sie nicht karg in der Bemessung Ihres Honoras sein.«

»Sie sind Tagelöhner.«

»Arme Tagelöhner?«

»Blutarm; das Elend, das in der Hütte herrschte, war traurig anzusehn.«

»Und da haben Sie wohl wie gewöhnlich in die Tasche gegriffen?«

»Was soll man machen, lieber Freund! Ich habe kein anderes Mittel, Gott zu danken, als hier und da etwas Gutes zu thun. Die Reichen müssen mich bezahlen, den Armen helfe ich umsonst, und Sie mögen es mir glauben oder nicht, ich fühlte mich am glücklichsten, wenn ich Darbenden helfen konnte, sei es durch meine Wissenschaft, sei es durch ein wenig Geld.«

Der Doktor leerte sein Glas und stand auf; sein Gefährte folgte seinem Beispiel.

In der dunkeln Straße wiederholte Christians noch einmal die guten Nachrichten, welche er in dem Briefe aus Warschau gelesen hatte und suchte dem Andern Hoffnung auf die Wiederkehr des Sohnes einzuflößen.

Dankbar drückte ihm dieser die Hand und entfernte sich dann nach der entgegengesetzten Richtung. Er wohnte in Schaerbeck, während Christian das Namer Thor erreichen mußte.

Um den Weg abzukürzen schlug er einen Pfad ein, der in vielen Windungen durch ein einsames Thal führte.

Es war finster; man konnte nur wenige Schritte vor sich sehn, die Gegend schien mit einem schwarzen Schleier verhüllt.

Der Doktor, der ein kräftiger Mann war und den Weg genau kannte, schritt langsam einher, er gedachte der Unterredung mit seinem Freunde und der Worte, die dieser ihm betreffs einer Verbindung seines Sohnes mit Fräulein Walter gesagt hatte. Sollte es Bernhard wirklich gelingen, ihre Hand zu erwerben, so mußte er jetzt reich werden, denn der alte Walter hatte nur zwei Kinder. Zwar stand die Aussicht einstweilen noch im weiten Felde, aber wer konnte es wissen? Wie der Viehhändler richtig bemerkt hatte, Gott war sichtlich mit ihm, und bist jetzt hatte das Glück ihn stets begünstigt.

War es nun schon an und für sich eine angenehme Sache, wenn der gute Bernhard Herr eines großen Vermögens wurde, so knüpfte sich daran für unsern Doktor noch ein persönlicher Vortheil. Er konnte dann an seine eigne Ruhe denken, seinen Beruf als Arzt aufgeben, um ihn nur bei Unbemittelten noch anzuwenden. Die übrige freie Zeit blieb ihm für seine Studien und für die Pflege von Blumen und fremdartigen Pflanzen, sowie für den angenehmen Verkehr mit guten Freunden.

Bis so weit hatte der Doktor seine freundlichen Zukunftsbilder fortgesponnen Der Pfad bog jetzt in einen Hohlweg ein, der von tiefen Wagengeleisen durchfurcht und schlecht zu passieren war.

Plötzlich sprang er einen Schritt zurück und hob zur Vertheidigung seinen Stock empor; er glaubte eine schwarze Gestalt, sei es die eines niederduckenden Menschen, sei es die eines Thieres, auf sich zuschleichen zu sehn. Was konnte das bedeuten?

Da hörte er eine Stimme, die ihm in seltsam heiserem Tone zurief:

»Halt! das Geld oder dass Leben!«

Eines Angriffs gewärtig stand der Doktor bereit, seinen Stock mit Nachdruck zu gebrauchen. Der Räuber aber hielt sich aus seinem Bereich und in einer Weise, die Entschlossenheit und Zaudern verrieth, rief er:

»O Herr, wer Sie auch sein mögen, bitte zwingen Sie mich nicht, Ihr Blut zu vergießen! Geben Sie mir, was Sie bei sich haben, sonst muss ich Sie umbringen!«

Wiewohl der Doktor sich keineswegs behaglich fühlte, um so weniger, als er ein Messer in der Hand seines Angreifers glaubte blinken zu sehen, so wollte er ihm doch scheinen, daß er es mehr mit einem Unglücklichen, als mit einem bösartigen Mörder zu thun habe.

»Zehn Schritt vom Leibe! Ich will meine Börse, welche etwa dreißig Franken enthält, an den Fuß dieser Birke niederlegen.«

»Nein, das ist nicht genug, ich muß auch Ihre Uhr haben, Alles! Alles!«

»Meine Uhr ist ein Andenken an meinen seligen Vater, ich werde sie mit den Preis meines Lebens vertheidigen,« sagte Christians entschlossen. »Komm heran, Elender, und ermorde, wenn Du kannst, den Doktor von Elsene.«

Der Mensch, welcher schon mit aufgehobenem Messer vorgesprungen war, fuhr bei diesem Namen entsetzt zurück, ließ seine Waffe fallen und rief:

»Sie sind Herr Christians, der gute Doktor von Elsene? Großer Gott, was wollte ich thun! . . . Setzen Sie ruhig Ihren Weg fort und fürchten Sie nichts. Sehen Sie, ich flehe auf den Knien um Ihre Vergebung. Könnte ich der Hölle entgehn durch ein Haar, das ich aus Ihrem Kopfe risse, ich würde es nicht thun!«

In der That kniete er mit gefalteten Händen am Wege.

Alles dies war mit solcher Blitzesschnelle vor sich gegangen, dass der Doktor nicht wußte, ob er wache oder träume und einiger Augenblicke Ruhe bedurfte, um sich zu sammeln. Der Gedanke, daß er einen von Verzweiflung Getrieben vor sich habe, war inzwischen in ihm zur Gewissheit geworden; die Stimme des Räubers, die nun sanft und bittend klang, konnte nur aus der Brust eines jungen Menschen kommen.

Von einer plötzlichen Anwandlung des Mitleidens bewegt ging der Doktor auf seinen Angreifer zu, der jetzt aufgestanden war und erschöpft und wie vernichtet den Kopf an einen Baum lehnte. Er faßte seine Hand, als wollte er ihm den Puls fühlen, und sagte leise:

»Sie sind unglücklich?«

»Bodenlos unglücklich.«

»Außerdem haben Sie Fieber, ein hitziges Fieber.«

»Der Kopf brennt mir, als wenn mein Gehirn glühendes Eisen wäre, Alles dreht sich nur vor den Augen . . . Sie wollte ich tödten, den guten Doktor Christians! Ach, wie oft habe ich als Kind in meinen Gebeten Ihren Namen genannt, – und in ihr Blut wollte ich meine Hände tauchen!«

Er begann nun hörbar zu schluchzen.

Das Mitgefühl des Doktors steigerte sich.

»Sie kennen mich?« fragte er, »Sie legen Ehrfurcht und Dankbarkeit gegen mich an den Tag? Habe ich Ihnen Vielleicht in früherer Zeit etwas Gutes erweisen können.«

»Sie haben einst meiner Mutter das Leben gerettet.«

»Wie heißen Sie?«

»Das ist eine beängstigende Frage! Meinen Namen soll ich Ihnen sagen! Davon hängt vielleicht das Elend meiner Mutter ab.«

»So lieben Sie Ihre Mutter?«

»Das weiß Gott, der in meinem Herzen liest!« rief der junge Mann in einem Ton, der einen weniger gefühlvollen Menschen als unsern Doktor gerührt hätte.

»Aber wie ist das möglich?« murmelte er, »Sie lieben Ihre Mutter, und können . . . «

»Aus Liebe zu ihr . . . «

»Werden Sie ein Dieb und Mörder?«

»Ihre Ehre, Ihr Leben, ist es, das ich Ihnen entreißen wollte.«

»Ich verstehe Sie nicht, Sie bringen mich in Verwirrung,« sagte der Doktor mit einem leisen Anflug von Ungeduld. »Wie soll ich mir Ihre seltsamen Worte erklären, wenn ich nicht annehme, daß Sie wahnsinnig sind.«

»Ja ja, wahnsinnig, das ist der rechte Ausdruck,« rief immer noch weinend der junge Mann, »ein Fieberanfall hatte mich ergriffen. Jetzt ist er vorüber, aber er wird wiederkehren, ach und dann . . . «