Buch lesen: «Schöpfung und Urknall»
Helmut Fischer
Schöpfung und Urknall
Klärendes für das Gespräch zwischen Glaube und Naturwissenschaft
Theologischer Verlag Zürich
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.
Umschlaggestaltung
Simone Ackermann, Zürich, unter Verwendung von Joseph Mallord William Turner: Light and Colour (Goethe‘s Theory) – the Morning after the Deluge – Moses Writing the Book of Genesis (1843), Öl auf Leinwand, 78,7 x 78,7 cm, London, Tate Gallery, Turner Collection
Bibelzitate nach: Zürcher Bibel 2007
Illustrationen: Mario Moths, Marl
ISBN 978-3-290-17513-9 (Buch)
ISBN 978-3-290-17683-9 (Epub)
|XX| Seitenzahlen des Epubs verweisen auf die gedruckte Ausgabe.
© 2009 Theologischer Verlag Zürich
Alle Rechte vorbehalten
Für Alexander
auch über die Konfirmation hinaus
Inhaltsverzeichnis
Hinführung
Der Horizont des Themas
Information überwindet ideologischen Streit
Beschränkung auf Grundsätzliches
Die konkreten Schritte zur Verständigung
Was Christen unter »Schöpfung« verstehen
»Schöpfung« – ein schillernder Begriff
Das Schöpfungsverständnis nach Gen 1–2,4a
Eine andere Schöpfungsgeschichte in Gen 2,4bff
Beobachtungen, Vergleiche und Schlüsse
Welt in der Sicht der Naturwissenschaften
Naturverstehen vor der Zeit der Naturwissenschaften
Das geltende Naturverständnis wird erschüttert
Wie wirklich ist unsere Wirklichkeit?
Ein neues Paradigma entsteht
Gegeneinander – nebeneinander – miteinander
Vom Ineinander zum Nebeneinander
Ein Gegeneinander entsteht
Ausgangslage für einen Dialog
Klärungen
Die Basis für einen Dialog
Erkennen von Wirklichkeit
Das Selbstverständnis der Physik
Vom Selbstverständnis des biblischen Schöpfungsglaubens
Literaturhinweise
|9| Hinführung
Der Horizont des Themas
Buchtitel streben nicht letzte Genauigkeit an, sie sollen vielmehr Neugier und Aufmerksamkeit erregen. Der Titel »Schöpfung und Urknall« kündigt an, dass hier die Frage verhandelt werden soll, wie sich das religiöse Bekenntnis zu einer von Gott geschaffenen Welt mit der Aussage der Naturwissenschaft verträgt, das Universum sei in einem Urknall (Big Bang) entstanden und habe sich im Laufe von Jahrmilliarden aus seinen Anfangsbedingungen nach ihm innewohnenden Gesetzen entwickelt. In anderer Zuspitzung geht es um die Frage, ob hinter dem Universum ein göttlicher Schöpfer mit einem bestimmten Plan stehe oder ob sich Kosmos, Welt und Leben nach dem Prinzip des Zufalls aus sich selbst entwickelt hätten. Ein fundiertes Gespräch wird in dem Spannungsfeld von Schöpfung und Evolution (im weitesten Sinne) nur zu führen sein, wenn geklärt ist, welche Art von Wahrheit religiöse und naturwissenschaftliche Aussagen für sich beanspruchen können und wie sich diese Wahrheiten zueinander verhalten. Der folgende Text will und kann ausführliche Darstellungen des christlichen Schöpfungsverständnisses und des gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Weltverstehens nicht ersetzen. Er möchte aber die Voraussetzungen für ein sinnvolles Gespräch schaffen.
|10| Information überwindet ideologischen Streit
Aufgeklärte Europäer reiben sich die Augen: Im 21. Jahrhundert wird in mehr als der Hälfte der US-Bundesstaaten sogar juristisch darüber gestritten, ob überhaupt und wie man in den Schulen »Entwicklungsgeschichte der Menschen« lehren soll. Hintergrund dieses Streits: Knapp die Hälfte der erwachsenen Amerikaner ist davon überzeugt, dass Gott Himmel und Erde vor 6000 Jahren in der Gestalt erschaffen hat, wie wir sie auch heute kennen. Einige nennen sogar den Vorabend des 23. Oktober 4004 vor Christus als das Schöpfungsdatum.
Für uns Europäer besteht kein Anlass, auf die »ungebildete« Neue Welt hinabzublicken, denn ein Viertel der deutschsprachigen Bevölkerung in Europa lehnt die Vorstellung einer Evolution des Universums, unserer Erde und der Lebewesen ebenfalls ab, wenn auch nicht nur mit religiösen Begründungen.
Der Blick auf die Seite der Wissenschaftsgläubigen eröffnet nichts Erfreulicheres. Als vor einiger Zeit eine Kultusministerin den Vorschlag machte, Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben im Biologieunterricht miteinander ins Gespräch zu bringen, erfolgte heftigster Protest. Zeitgenossen, die z. T. noch nicht einmal wissen, dass sich der christliche Schöpfungsglaube vom amerikanischen Kreationismus unterscheidet, sahen die Gefahr heraufziehen, dass unsere Bildung in das Mittelalter zurückgeworfen werden soll.
Fazit: Auf der einen Seite ein erschreckender Mangel an Einsicht in naturwissenschaftliche Erkenntnisse, auf der anderen Seite ein defizitärer religiöser Wissensstand. Extrem einseitige Äußerungen – sei es aus Unwissenheit oder |11| aus ideologischem Vorurteil – verwirren oder verhindern bis heute ein entspanntes, sachliches und fruchtbares Gespräch zwischen Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft, an dem die Mehrzahl der Zeitgenossen gleichwohl sehr interessiert ist. Der folgende Text ist nicht bereits der Dialog. Er hat ein bescheideneres Ziel, nämlich, dem Leser die Basisinformationen zu vermitteln, die erforderlich sind, um jenseits aller ideologischen Fronten mit eigenem Urteil am Dialog zwischen Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft teilnehmen zu können.
Beschränkung auf Grundsätzliches
Theologische und naturwissenschaftliche Lehrbücher, in denen die Inhalte und Ergebnisse dieser Forschungsfelder dargestellt werden, sind eines. Ein anderes ist es, grundsätzlich in den Blick zu nehmen, was Gegenstand und Hinsicht theologischen und naturwissenschaftlichen Erkennens ist. An guten Lehrbüchern in beiden Bereichen fehlt es nicht. Aber im Gespräch zwischen beiden, fehlt es selbst in der jeweils eigenen Gruppe oft an Bewusstsein dafür, auf welche Facette von Wirklichkeit sich theologische und naturwissenschaftliche Aussagen beziehen und wo die Grenzen ihres Erkennens liegen.
Streit entzündet sich immer wieder an dem Reizwort »Evolution«. Die einen sehen in einem evolutionären Weltmodell den Generalangriff auf die Grundfesten christlichen Glaubens; den anderen gilt »Evolution« als das Fundament ihres Weltverständnisses. Menschen haben zu allen Zeiten festgestellt, dass alles Lebendige sich entwickelt. Aber zu einer Art Bekenntnis wurde das Stichwort »Evolution« erst |12| 1859 durch Charles Darwins Buch »Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl«. In dieser Schrift entfaltete der Theologe und Naturforscher das Konzept, wonach die Entwicklung aller Pflanzen- und Tierarten und des Menschen als ein schrittweiser Prozess der Selektion zu verstehen ist, der durch natürliche Kräfte bewirkt wird. Darwin lieferte dafür plausible Gründe, Beweise und Erklärungen. Mit dieser Sicht der Dinge erschütterte Darwin nicht nur das traditionelle Weltbild, wonach alle Lebensformen originäre Schöpfungen Gottes sind. Er erschütterte auch die bisherige Gewissheit, dass alles natürliche Geschehen einer »höheren Zweckmäßigkeit« folge und auf ein »höheres Ziel« ausgerichtet sei. Obwohl bis heute noch keine konsensfähige Evolutionstheorie existiert, sondern nur unterschiedliche Erklärungsmodelle vorliegen, hat sich unter dem Stichwort »Evolution« eine ideologisch verhärtete Alternative zwischen »geschaffen« und »geworden« aufgebaut, die viele Gespräche verwirrt, blockiert und vergiftet. In diese ideologischen Isolierzellen werden nicht nur die anderen eingemauert; man hält sie nicht selten auch für die eigene zu verteidigende Burg.
Der folgende Text mischt sich nicht in die aktuelle Sachdiskussion um die biologischen Evolutionskonzepte ein. Der Begriff »Evolution« hat in den Naturwissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Erkenntnisse der Physik eine überraschende Erweiterung erfahren. Bis dahin galt Naturwissenschaftlern das Universum als von Anfang an festgelegt und unveränderlich. 1929 wurde entdeckt, dass sich das Universum ausdehnt und entwickelt. Damit wurde auch für die Physik und für ihre Teildisziplin, die Kosmologie, »Evolution« zu einem Prinzip ihres Weltverständnisses.
|13| Die Physik erforscht Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten der Materie. Das macht sie im Bereich der Naturerkenntnis nicht nur zur Basiswissenschaft, sondern auch zur Leitwissenschaft, da es in unserer Welt keinen Bereich gibt, für den die Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten der Materie nicht die Grundlage bildeten. Die Kosmologie fragt nach dem Universum als ganzem. Sie fragt nach der alles umfassenden Realität und in diesem Zusammenhang nach Wesen und Ursprung von Materie, Raum und Zeit.
Physiker stimmen heute darin überein, dass am Beginn des Universums noch nichts von den heute vorhandenen Formen der Materie existierte. In einem sich ausdehnenden und abkühlenden Universum entstanden durch Verdichtung Milliarden von Galaxien und darin wieder Milliarden von Sternen. In den Sternen entstanden die verschiedenen sogenannten chemischen Elemente, deren Möglichkeiten, sich zu verbinden, die Grundlage für jene biochemischen Prozesse bilden, in denen sich Leben entfaltet. Biochemische Prozesse wiederum sind die materielle Basis für das Entstehen von Hirnstrukturen und das, was wir Bewusstsein, Erkennen, Denken und Kultur nennen. An diesem einfachen Modell der Schichtung wird bereits deutlich, dass Hirnforschung, Biologie, Chemie und Physik aufeinander aufbauen und voneinander abhängen. Da der Forschungsbereich der Physik die Basis für alles bildet, was uns als Wirklichkeit gilt, können und werden sich die folgenden grundsätzlichen Klärungen auf die Anfänge des Universums und damit im Bereich der Naturwissenschaft auf die Physik beschränken.
|14| Die konkreten Schritte zur Verständigung
Für ein fruchtbares Gespräch brauchen Gesprächspartner zuverlässige Informationen über das Selbstverständnis des christlichen Schöpfungsglaubens und des naturwissenschaftlichen Weltverständnisses. Diese Informationen sind nicht aus ideologischen Interpretationen der jeweils anderen Seite zu gewinnen. Zuverlässige Informationen holen wir uns aus Quellentexten und von denen, die auf der geistigen Höhe ihrer Zeit das Verständnis von Schöpfung wie von menschlicher Naturerkenntnis authentisch zum Ausdruck bringen.
So werden wir uns zum einen die biblischen Texte zur Schöpfung ansehen. Wir werden das, was diese Texte selbst sagen, sorgsam von dem trennen, was ihnen im Laufe der Jahrhunderte aufgeladen worden ist. Wir werden uns zum anderen auch die entscheidenden Schritte im Prozess der Naturerkenntnis vergegenwärtigen und am Beispiel der Leitwissenschaft Physik klären, wie sich die Naturwissenschaft, die ihre Arbeit reflektiert, heute selbst versteht. Aus diesen Selbstverständnissen wird sich ergeben, wie sich die beiden Sichtweisen zueinander verhalten und wo die sinnvollen Ansätze für ein Gespräch zu finden sind.
Da ein Autor nicht davon ausgehen kann, dass ein Sachbuch in einem Zug gelesen wird, ist der folgende Text so angelegt, dass auch die kleineren Einheiten in sich verständlich sind. Für diese Lesehilfe wurden Wiederholungen bewusst in Kauf genommen.
|15| Was Christen unter »Schöpfung« verstehen
»Schöpfung« – ein schillernder Begriff
Im gegenwärtigen Sprachgebrauch trägt das Wort »Schöpfung« mehr zur Verwirrung als zur Klarheit der Gedanken bei. Umgangssprachlich steht »Schöpfung« für Natur, für Umwelt oder für Welt in nicht näher bestimmtem Sinn. Selbst Atheisten sprechen gelegentlich von »Schöpfung«, obwohl sie die Vorstellung von einem Schöpfer verwerfen. In gleicher Weise bezeichnet das Wort »Kreatur«, das ja Geschöpf bedeutet, ganz allgemein ein Lebewesen, ohne dass dabei die Vorstellung eines Kreators/Schöpfers mitschwingt.
In fundamentalistischen und in evangelikalen Kreisen ist das Wort »Schöpfung« hingegen genau festgelegt, und zwar mit dem Anspruch, biblischer Wahrheit zu entsprechen. »Schöpfung« heißt hier, dass Gott die Welt vor etwa 6000 Jahren in sechs Tagen so erschaffen hat, wie wir sie heute vorfinden. Ausgeschlossen und vehement abgelehnt wird dabei die Vorstellung, dass sich Gestirne, Pflanzen, Tiere und der Mensch im Laufe von Jahrmillionen erst schrittweise entwickelt haben. Die Verbindlichkeit dieses Schöpfungsverständnisses wird aus dem wörtlichen Verständnis von Gen 1 abgeleitet.
Nach volkskirchlichem Verständnis verbindet sich mit dem Wort »Schöpfung« lediglich die Vorstellung, dass ein höchstes Wesen die Welt ins Leben gerufen hat und in geheimnisvoller Weise bis heute in ihr wirkt. Nach der Logik: »Wo es einen Topf gibt, da muss es auch einen Töpfer geben, der ihn gemacht hat«, schließt man auch von der Welt und ihren Lebewesen auf einen Weltenschöpfer. Für dieses |16| Verständnis beruft man sich weniger auf einen biblischen Text als auf den »gesunden Menschenverstand« oder ganz vage auf die christliche Lehre.
Die skizzierten Verständnisse von »Schöpfung« haben freilich mit dem, was Schöpfung als Glaubensaussage meint, nur wenig oder gar nichts zu tun. Davon können wir uns leicht selbst überzeugen, wenn wir uns jene biblischen Texte ansehen, aus denen sich das christliche Schöpfungsverständnis gebildet hat.
Das Schöpfungsverständnis nach Gen 1–2,4a
Der Text und seine Gliederung
Der chaotische Urzustand vor Gottes Schöpfungswirken (1,1–2)
»(1) Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. (2) Und die Erde war wüst und öde und Finsternis lag auf der Urflut, und der Geist Gottes bewegte sich über dem Wasser.«
Erster Schöpfungstag
Schöpfungswerk 1: Das Licht (trennt Tag und Nacht) (1,3–5)
»(3) Da sprach Gott: Es werde Licht! Und es wurde Licht. (4) Und Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. (5) Und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag.«
|17| Zweiter Schöpfungstag
Schöpfungswerk 2: Die Feste (trennt die Wasser darüber und darunter) (1,6–8)
»(6) Und Gott sprach: Es werde eine Feste inmitten des Wassers und sie scheide Wasser von Wasser. (7) Und Gott machte die Feste und schied das Wasser unter der Feste vom Wasser über der Feste. Und so geschah es. (8) Und Gott nannte die Feste Himmel. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein zweiter Tag.«
Dritter Schöpfungstag
Schöpfungswerk 3: Trennung Erde – Meer (1,9–10)
»(9) Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an einen Ort, dass das Trockene sichtbar werde. Und so geschah es. (10) Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war.«
Schöpfungswerk 4: Pflanzen (1,11–13)
»(11) Und Gott sprach: Die Erde lasse junges Grün sprossen: Kraut, das Samen trägt, und Fruchtbäume, die Früchte tragen auf der Erde nach ihrer Art, in denen ihr Same ist. Und so geschah es. (12) Und die Erde brachte junges Grün hervor: Kraut, das Samen trägt nach seiner Art, und Bäume, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist, je nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war. (13) Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein dritter Tag.«
|18| Vierter Schöpfungstag
Schöpfungswerk 5: Gestirne (1,14–19)
»(14) Und Gott sprach: Es sollen Lichter werden an der Feste des Himmels, um den Tag von der Nacht zu scheiden, und sie sollen Zeichen sein für Festzeiten, für Tage und Jahre, (15) und sie sollen Lichter sein an der Feste des Himmels, um auf die Erde zu leuchten. Und so geschah es. (16) Und Gott machte die zwei großen Lichter, das größere Licht zur Herrschaft über den Tag und das kleinere Licht zur Herrschaft über die Nacht, und auch die Sterne. (17) Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, damit sie auf die Erde leuchten, (18) über den Tag und die Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Und Gott sah, dass es gut war. (19) Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein vierter Tag.«
Fünfter Schöpfungstag
Schöpfungswerk 6: Tiere des Wassers und der Luft (1,20–23)
»(20) Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigen Wesen, und Vögel sollen fliegen über der Erde an der Feste des Himmels. (21) Und Gott schuf die großen Seetiere und alle Lebewesen, die sich regen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihren Arten und alle geflügelten Tiere nach ihren Arten. Und Gott sah, dass es gut war. (22) Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf der Erde. (23) Und es wurde Abend und wurde Morgen: ein fünfter Tag.«
|19| Sechster Schöpfungstag
Schöpfungswerk 7: Tiere des Landes (1,24–25)
»(24) Und Gott sprach: Die Erde bringe Lebewesen hervor nach ihren Arten: Vieh, Kriechtiere und Wildtiere, je nach ihren Arten. Und so geschah es. (25) Und Gott machte die Wildtiere nach ihren Arten, das Vieh nach seinen Arten und alle Kriechtiere auf dem Erdboden, nach ihren Arten. Und Gott sah, dass es gut war.«
Schöpfungswerk 8: Menschen (1,26–31)
»(26) Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich. Und sie sollen herrschen über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die sich auf der Erde regen. (27) Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. (28) Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie untertan, und herrscht über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen. (29) Und Gott sprach: Seht, ich gebe euch alles Kraut auf der ganzen Erde, das Samen trägt, und alle Bäume, an denen samentragende Früchte sind. Das wird eure Nahrung sein. (30). Und allen Wildtieren und allen Vögeln des Himmels und allen Kriechtieren auf der Erde, allem, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alles grüne Kraut zur Nahrung. Und so geschah es. (31) Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: der sechste Tag.«
|20| Gott ruht von seinen Werken (Sabbat) (2,1–4a)
»(2,1) Und so wurden vollendet Himmel und Erde und ihr ganzes Heer. (2) Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er gemacht hatte. (3) Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ruhte Gott von all seinem Werk, das er durch sein Tun geschaffen hatte.
(4) Dies ist die Geschichte der Entstehung von Himmel und Erde, als sie geschaffen wurden.«
Die Botschaften des Textes
Dieser Text ist vor etwa zweieinhalbtausend Jahren in Palästina verfasst worden, und zwar für Menschen jener Zeit. Wollen wir diesen alten Text aus einer uns fremden Kultur angemessen und in seiner Aussageabsicht verstehen, so müssen wir versuchen, ihn vom Verständnishintergrund und der Logik seiner Verfasser wie auch seiner Adressaten her zu lesen. Dabei können wir bei dem ansetzen, was uns heute auffällt. Wir dürfen diese Auffälligkeiten allerdings nicht mit unseren Weltvorstellungen und Denkweisen betrachten und sie an ihnen messen. Dabei kann uns die historische Bibelwissenschaft helfen.
Zunächst stellen wir fest, dass vor dem ersten Schöpfungswerk (1,2) nicht nichts war, sondern eine ungestaltete, chaotische Urflut in absoluter Finsternis: ein wässeriges, lichtloses Urchaos. Die hebräische Wendung tohuwabohu, die wir mit »wüst und öde« wiedergeben, steht für einen Zustand ohne Struktur und ohne Gestalt, eine Art Chaosmeer. Gemeint ist damit aber nicht eine Art Urmaterie, der Gott seine Bausteine für die Schöpfung entnimmt. Der Abgrund |21| des gestaltlosen Chaotischen und eines alles verschlingenden Chaosmeers bleibt vielmehr im Lebensgefühl jener Menschen der bedrohliche Urgrund und Hintergrund für alles, was Gott geschaffen und gestaltet hat.
Das zeigt bereits der zweite Schöpfungstag. Die Chaosgewässer erhalten eine erste räumliche Gestalt dadurch, dass Gott eine Feste in das Urchaos einzieht, eine Art Scheidewand, durch die die Wasser über der Feste von den Wassern darunter geschieden werden. Diese Feste übersetzte man im Lateinischen sehr zutreffend mit firmamentum (von firmus = fest, stark, widerstandsfähig). Man stellte sich diese Feste so vor, wie man sie sah, nämlich als Halbkugel, die sich über uns wölbt. Die Phönizier, ein Israel benachbartes Volk, dachten an eine gehämmerte Blechschale.
Benachbarte Völker, Stämme und Sprachgemeinschaften haben zu allen Zeiten ihre Vorstellungen von Welt und Göttern ausgetauscht. Im Vergleich mit den Weltvorstellungen der Nachbarn lässt sich zeigen, inwiefern das Weltverständnis eines Volkes mit dem seiner Zeit konform ist und wo es Besonderheiten aufweist. Das sind die interessanten Stellen.
In der zeitgleichen Schöpfungsgeschichte der Religion Babyloniens gehen der Erschaffung der Welt eine Göttergeschichte und ein Götterkampf voraus, in welchem sich der Gott Marduk durchsetzt. Er besiegt schließlich Tiámat, den Chaosdrachen und die Urmutter des Alls. Marduk teilt die getötete Tiámat wie eine Muschel in zwei Teile und bildet aus ihrer oberen Hälfte das Himmelsgewölbe und aus der unteren die Erde. Im Unterschied dazu sieht Israel seinen Gott nicht als einen Sieger, der sich erst bei einem Götterkampf durchgesetzt hat. Nach Gen 1 ist Israels Gott der Eine und Einzige von Beginn an. Er zerschneidet auch nicht |22| mit eigenen Händen einen Urdrachen, sondern weist das ungestaltete Urchaos in seine Grenzen, indem er es bändigt und gestaltet. Mit der Feste des Himmels schafft Gott durch sein Wort erst den Freiraum für Leben.
Das Bild vom getrennten Urchaos soll aber auch in Erinnerung halten, dass alles Leben im Freiraum zwischen den chaotischen Urfluten vom Abgrund des Chaotischen stets bedroht bleibt. Das veranschaulicht die Geschichte von der Sintflut: An diesem Tag »brachen alle Quellen der großen Urflut auf, und die Fenster des Himmels öffneten sich« (Gen 7,11). Israel sieht nicht nur die Erschaffung, sondern auch die Stabilität des Lebensraums und des Lebens bleibend im Willen und im Wort Gottes begründet. Schon hier wird deutlich, dass es in dieser Schöpfungsgeschichte nicht darum geht, darzustellen, wie die Welt geschaffen worden ist. In ihren Abweichungen von den Schöpfungserzählungen der Nachbarvölker will die Geschichte vielmehr zum Ausdruck bringen, wer dieser Gott ist, dem wir alles Leben verdanken und dem sich Israel voll anvertrauen kann. Der Beter sagt es so: »Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat« (Ps 121,2). Jeder Blick zum stabilen Firmament soll und kann das Urvertrauen zu diesem Schöpfer stärken.
Wir haben die Erschaffung des Raumes aus dem ungestalteten Chaos vorweggenommen und gehen nun zum ersten Schöpfungstag und zum ersten Schöpfungswerk. Gott sprach: »Es werde Licht.« Mit dem Licht wird der Gegenpol zum lichtlosen Chaos geschaffen, und damit wird neben dem Raum das andere Ordnungselement der sichtbaren Welt gesetzt: die Zeit. Im Wechsel von Licht und Finsternis entstehen Tag und Nacht, Sommer und Winter. Den philosophisch aufmerksamen Leserinnen und Lesern wird auffallen, |23| dass am Beginn der Schöpfung Raum und Zeit geschaffen werden, eben jene Anschauungsformen, in denen wir Menschen die Welt wahrnehmen und verstehen. Die Zeit lässt Ereignisse nacheinander ablaufen und der Raum ermöglicht es, dass Ereignisse nebeneinander stattfinden oder Dinge nebeneinander bestehen. Raum und Zeit gliedern und messen wir in Zahlen. Insofern ist es bemerkenswert, die Schöpfungswerke in dieser Geschichte genau nach Tagen durchgezählt zu sehen: »Ein Tag … ein zweiter Tag … ein dritter Tag«.
Den heutigen Leserinnen und Lesern wird auch nicht entgehen, dass hier zwar an erster Stelle das Licht geschaffen wird, nicht aber die Lichtkörper. Diese sind erst das Werk des vierten Schöpfungstags. Natürlich war auch dem Menschen der Alten Welt klar, dass das Licht von den Gestirnen kommt. Wenn aber am ersten Schöpfungstag vom Licht unabhängig von Gestirnen die Rede ist (eine Vorstellung ohne geschichtliche Parallele), so ist deutlich, dass mit »Licht« mehr gemeint ist als das Sonnenlicht oder Licht im physikalischen Sinn. Es ist im umfassendsten Sinn das Licht des Lebens, das allein Leben schaffen und Leben erhalten kann, weil es von Gott ausgeht. In diesem Sinn von Leben schaffender Kraft Gottes wird es später im Johannesevangelium von Jesus heißen: »Das Licht scheint in der Finsternis« (Joh 1,5) oder »Ich bin das Licht der Welt« (Joh 8,12).
Der vierte Schöpfungstag, an dem die Gestirne geschaffen werden, macht besonders deutlich, wie betont sich dieser Schöpfungstext von den religiösen Vorstellungen der Nachbarvölker absetzt. In den großen Kulturräumen Mesopotamiens galten die Gestirne als Götter, die das Schicksal der Menschen und den Gang der Geschichte bestimmten. Sie waren als Götter zu verehren. In ihren Bahnen sah |24| jeder sein Schicksal und auch den Lauf der Geschichte vorgezeichnet und bewirkt. Die Astrologie hat in diesem Denkmodell ihren Ursprung und ihre Begründung. Die Menschen der Alten Welt beobachteten ängstlich den Himmel und die Bewegung der Gestirne, von denen sie ihren Lebensweg abhängig sahen.
In diese emotional aufgeladene Welt des Gestirnglaubens, des Sonnen- und Mondkults fallen die nüchternen Sätze: »Gott sprach: Es sollen Lichter werden an der Feste des Himmels« (Gen1,14). Allein schon mit dem Wort »Lichter« werden die Gestirngottheiten zu ganz gewöhnlichen Leuchtkörpern, ja zu Lampen und Funzeln abgewertet. Sie sind keine eigenständigen Gottheiten mehr, die über Mensch und Welt Macht ausüben könnten. Sie sind Schöpfungen des einen Gottes. Ihnen ist nur ein schlichter Dienst zugewiesen: Sie sollen Tag und Nacht erleuchten und an ihren zuverlässigen Bahnen soll man die Daten für Festzeiten und für die Zählung von Tagen und Jahren ablesen können. Das war die Sache der Priester. Gott selbst hat mit dieser Zweckbestimmung der Gestirne eine Ordnung in den Ablauf der Zeit gebracht, nach der Israel seine kultischen Feste feiern soll.
Die religiöse Botschaft der Deklassierung der Gestirne sagt: Vor diesen ihrer Göttlichkeit beraubten Lichtern am Himmel braucht niemand mehr Angst zu haben. Die Gestirngötter und die Himmelskulte der Nachbarvölker verlieren mit der Entgöttlichung der Gestirne die Kraft, für Israel eine Versuchung zu sein. Leben, Geschichte und Lauf der Welt werden in dem einen und einzigen Gott gegründet. Diese Konzentration auf den einen Herrn hat sich auch im ersten Gebot niedergeschlagen: »Ich bin der Herr, dein Gott … Du sollst keine anderen Götter haben neben mir« (Dtn 5,6f).
|25| Nach den kosmischen Dimensionen wird am dritten Schöpfungstag der unmittelbare Lebensraum des Menschen geordnet. Noch sind ja erst die Urfluten über und unter der Feste voneinander getrennt. Jetzt gebietet Gott der Urflut unter der Feste, an bestimmte Orte abzufließen; dabei hebt sich für das Auge aus der Wasserwüste festes und trockenes Erdreich hervor. Dieses Erdreich stellte man sich als eine Scheibe vor, die auf Säulen ruht, die irgendwo in der Tiefe gründen. Die Erdscheibe, der irdische Lebensraum, bleibt von der gefährlichen und abgründigen Urflut, dem Meer, umgeben und begrenzt.
Der Vorgang der abfließenden Fluten, aus dem sich das Land zu erheben scheint, ist wohl nicht der Phantasie der Verfasser entsprungen, sondern entspricht der Erfahrung, und zwar der jährlich wiederkehrenden Erfahrung des Zweistromlandes oder Ägyptens, dass nach den jahreszeitlichen Überschwemmungen durch die großen Flüsse der feste Boden wieder sichtbar wird.
Es entspricht ebenfalls der Erfahrung in Überschwemmungslandschaften, dass nach dem Abfließen des großen Wassers das Land in üppiger Weise ergrünt. Das haben die Israeliten sowohl in Ägypten als auch in ihrer babylonischen Gefangenschaft selbst erlebt. Theologisch entscheidend ist hier nicht die entliehene Anschauung vom Zurücktreten des Wassers, sondern die Feststellung, dass dieser Vorgang auf Gottes Befehl hin geschieht. Darin drückt sich die Gewissheit und die Dankbarkeit aus: Den sicheren Lebensraum Erdboden verdanken wir unserem Gott.
Die Aufenthalte israelitischer Gruppen in Ägypten und im babylonischen Exil waren Episoden. Das Volk lebte nun schon seit Jahrhunderten in Kanaan. Die Israeliten hatten sich innerhalb weniger Generationen in der vorgefundenen |26| bäuerlichen Kultur Kanaans eingerichtet. Sie hatten auch Gottesvorstellungen und religiöse Praktiken des Landes übernommen: so z.B. die Vorstellung, dass die Erde als Göttin der Fruchtbarkeit des Ackers zu verstehen ist und der Gott Baal als der Gott der Fruchtbarkeit für Land und Vieh. Nicht wenige werden diese Gottheiten auch in landesüblicher Weise verehrt haben.
Erst dieser Hintergrund macht ein Detail sichtbar, das wir sonst wohl kaum bemerkten. Gottes Schöpfungsworte lauteten bisher: »Es werde Licht … die Feste … Erde und Wasser … die Gestirne … und es wurde!« Hier aber heißt es: »Gott sprach: Die Erde lasse junges Grün sprossen« (Gen 1,11). Und entsprechend heißt es »Die Erde bringe Lebewesen hervor nach ihren Arten« (Gen 1,24). Das ist Kultkritik und theologische Korrektur in einem. Die Gottheiten der Vegetation und der Fruchtbarkeit werden ebenso wie zuvor die Gestirne als Götter entthront. Die Erde wird zur profanen Natur erklärt, die von Gott den Auftrag erhält, Pflanzen und Tiere aller Art hervorzubringen. Damit ist auch der Versuchung der Boden entzogen, Gottheiten der Vegetation und der Fruchtbarkeit zu verehren.