Buch lesen: «König Ludwig II. hatte einen Vogel ...»

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Heinz Gebhardt

König Ludwig II. hatte einen Vogel

Heinz Gebhardt

König Ludwig II. hatte einen Vogel

Unglaubliche aber

wahre Geschichten über

Bayerns Märchenkönig


Impressum

Vollständige eBook-Ausgabe der im Stiebner Verlag

erschienenen Printausgabe (ISBN 978-3-8307-1052-3).

Titelbild: Horst Haitzinger: König Ludwig II. mit seinem sprechenden Papagei

im Wintergarten der Residenz, Aquarell 2011

Bildstandorte und -quellen:

Stadtarchiv München; Stadtmuseum München; Bayerische Verwaltung

der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen und Fotoarchiv des Autors.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011, 2012 Stiebner Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Wiedergabe, auch auszugsweise,

nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags

ISBN 978-3-8307-1055-4

www.stiebner.com

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

König Ludwig II. hatte einen Vogel …

»Ein ewig Rätsel will ich bleiben«

Wer war sein wirklicher Vater?

Hat Tambosi Königin Marie vergewaltigt?

Geheime Zahlungen an Dönniges

Die schreckliche Kindheit Ludwig II.

Prügel, Hunger und Liebesentzug

Zimmermagd fütterte heimlich den Kronprinzen

Als 18-Jähriger erstmals Geld in Händen

»Ein Goldfasan unter Haushühnern!«

Von Geld keine Ahnung, von der Welt nichts gesehen,

aber mit 18 Jahren König von Bayern

Ludwig begegnet Richard Wagner, seinem »Gott und Erlöser«

Richard Wagner und die Münchner Schweinehunde

Chaotische Uraufführung von »Tristan und Isolde«

Frau des »Tristan«-Dirigenten bekam Tochter »Isolde« von Richard Wagner

Eklat bei der Meistersinger-Premiere

Mit Prinzessin Sophie verlobt und in den Stallburschen Richard Hornig verliebt!

Ludwigs seltsame Brautschau

Verlobungsball ohne Verlobten

Ludwigs erste Männerliebe

»Ich möchte in Deinen Armen sterben und die Welt soll vergessen, daß eine bayrische Königsbraut gelebt!«

Auch Ludwigs Verlobte Sophie hatte einen Liebhaber:

Beim Verlobungsfoto verliebte sie sich in den Fotografen

Liebesnest im Münchner Herzogspalais

Sophies Tod im Flammenmeer

»Nie soll die Welt ahnen was zwischen uns vorgeht«

Die geheimen Liebesbriefe von Prinzessin Sophie an Edgar Hanfstaengl

»Das Bulyowsky-Luder soll sich zum Teufel scheren!«

»Ich habe noch nie ein Weib besessen«

Bildhauerin Elisabeth Ney wurde beim Modellieren von Ludwig II. angeblich schwanger

Josephine Scheffzky ging mit Ludwig II. über Bord

»Sage dem lieben Balduin, daß ich viel von ihm geträumt habe«

Ludwig II. war homosexuell

Großzügige Bezahlung seiner Liebhaber

Suche nach Burschen in ganz Europa

Ludwigs Lustbuben zu Pferd

Sisi und Ludwig – ein Traumpaar nur im Film

Rendezvous auf der Roseninsel

Plante Kaiserin Elisabeth die Flucht des Königs?

Vor Ludwigs Sarg in Ohnmacht gefallen

Sisi erfand den »Märchenkönig«

Ludwigs nächtliche Erscheinungen bei Kaiserin Elisabeth

Schauspieler Josef Kainz schlief ein, als Ludwig II. mehr von ihm wollte

Missglücktes Rendezvous auf dem Schweizer Rütli

Rezitieren bis zur Erschöpfung

Unglaubliche Erinnerungsfotos

Himalaya am Odeonsplatz

Die tropische Märchenwelt auf dem Dach der Residenz

Ludwig II. lernte seinem Papagei »Guten Abend!«

Frühlingswärme im strengsten Winter

Königszelt neben Fischerhütte

Dinner for one

Wie Miss Sophie speiste Ludwig II. mit unsichtbaren Gästen

Frühstück um 6 Uhr abends, Dinner um 6 Uhr morgens

Getrüffelte Pfauen für den Sonnenkönig

Schampus-König Ludwig II.

»Die verhasste, unselige Stadt, die ich mit Widerwillen bewohne«

Ludwig hasste München und die neugierigen Gaffer

Einziger Zuschauer in 209 »Separatvorstellungen«

Oktoberfestbesuch wegen Katarrh abgesagt

»Mit Dir durch die Lüfte fliegen, das wäre mein großer Wunsch!«

Ludwig II. als Pionier der Luftfahrt

Bayerns erstes Elektrizitätswerk in Schloss Linderhof

Mondschein-Schlitten mit elektrischer Beleuchtung

»Am Tage ist jetzt Photographieren seine Lieblingsbeschäftigung«

König Ludwig II. war Bayerns erster Amateurfotograf

Er erfand das Autogrammfoto und das Bewerbungsbild

Von Ludwig II. aufgenommene Fotos sind verschwunden

60 Millionen Menschen stürmten bis heute Schloss Neuschwanstein

Ludwig II. lebte nur 172 Tage in Neuschwanstein

Ludwig II. kannte kein »Schloss Neuschwanstein«

Sprengung in letzter Sekunde verhindert

6 Millionen Mark für die Kaiserkrone

Ließ sich König Ludwig II. bestechen?

Geheime Abmachungen hinter dem »Kaiserbrief«

Ludwigs blaue Liebesgrotte, ein Meisterwerk modernster Technik

Unterirdisches Disneyland in Schloss Linderhof

Leichter Seegang dank Wellenmaschine

Souper für Ludwigs Lieblingspferd

Trotz 20.000.000 Mark Schulden baute Ludwig II. munter weiter

Ministerpräsident Lutz plant den Königssturz

Auch kein Geld vom Maharadscha und vom Sultan in Istanbul

Ludwigs Taschengeld und der Etat der Königskasse

Das skandalöse Wahnsinnsgutachten des Dr. von Gudden

König Ludwig II. ohne jede Untersuchung für verrückt erklärt

Als Majestät von einer Bremse gestochen wurde

Baron Hertling »tüchtig durchprügeln«

»Herr Professor, war König Ludwig II. verrückt?«

Ein unglaubliches Interview mit Irrenarzt Dr. Gudden

König Ludwig II. war bausüchtig und nicht verrückt

Der Psychiater Prof. Dr. Häfner widerlegt das Wahnsinnsgutachten

Von der Leidenschaft zur Bausucht

Otto von Bismarck: »Die Welt wird ihr Urteil über König Ludwig II. bedeutend ändern«

Die Königlich-Bayerische Viererbande

Bernhard von Gudden, Freiherr von Lutz, Maximilian

von Holnstein und Luitpold von Bayern

Der Sturz König Ludwigs II. war ein konspirativ geplanter Staatsstreich

Festnahme des Königs nach 40 Maß Bier und 10 Flaschen Champagner gescheitert

»Fangkommission« blamierte sich königlich und wurde selbst verhaftet

Baronin von Truchseß prügelte mit Regenschirm

Ludwig II.: »Ich komme nicht mehr hierher«

Selbstmord? Mord? Ertrunken? Vergiftet? Flucht? Herzinfarkt? Erschossen?

Kein Mensch starb an so vielen Todesursachen gleichzeitig wie König Ludwig II.

Spaziergang in den Tod mit 2,0 Promille

Wer war der Mörder von Dr. Gudden?

Gräfin Kaunitz und das Schussloch des Königs

Mit Blitz und Donner zur ewigen Ruhe

Keine Trauerrede – dafür schlug der Blitz in die Kirche ein

Sisi brach an der Leiche zusammen

Strafanzeige gegen G’stanzlsänger

Das König-Ludwig-Lied

Literaturverzeichnis

Einleitung

König Ludwig II. hatte einen Vogel …

… aber verrückt, geistesgestört, paranoid und regierungsunfähig war er nicht: »Es ist schade, dass er Schrullen hat, es steckt viel in ihm«, sagte der Preuße Otto von Bismarck über den bayerischen König, und 125 Jahre mussten vergehen, bis einer der renommiertesten Psychiater Deutschlands, Prof. Dr. Heinz Häfner, das groteske Gutachten über den Geisteszustand Ludwigs II. nach allen Regeln der ärztlichen Kunst zerpflückt und in Luft aufgelöst hat. Weder nach den damaligen Erkenntnissen der noch jungen Psychiatrie und schon gar nicht nach dem heutigen Stand der Wissenschaften hätte Ludwig II. auch bei strengster Kritik seiner Schrullen und seines originellen Lebensstils für regierungsunfähig erklärt werden können. Und dann stelle man sich einmal vor, Ludwig hätte sich über den »schwärzesten Punkt« seines Lebens, über das »was verschwiegen werden muss, obwohl es von Mund zu Mund geht«, wie eine Zeitung 1886 schrieb, so geäußert wie es heute möglich ist: Er hätte sich auf die Treppe vor Schloss Neuschwanstein gestellt und wie der Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, in Kameras gesagt: »Ich bin schwul und das ist gut so!« Bis heute winden sich Ludwig-II-Biographen um die Homosexualität des Königs, als würde schon allein bei der Erwähnung des »heiklen Themas« das Königreich Bayern in einen Abgrund von Unmoral versinken! Jetzt erst, 125 Jahre nach seinem Tod, beginnt man zaghaft Leben, Werk und Wirken des populärsten Bayernkönigs neu zu bewerten. Wie ist es möglich, dass ein »weltfremder«, »menschenscheuer«, »einsamer«, »todessehnsüchtiger«, »verträumter«, zwischen »Mythos und Genialität« Schwebender und zutiefst in den Traumwelten von Lohengrin und Götterdämmerung Verstrickter, ein wirklichkeitsferner Phantast in der Lage war, wie ein knallharter Bauunternehmer einen Prachtbau nach dem anderen in die Landschaft zu stellen? Wie soll ein in »fortgeschrittenem Maße Seelengestörter« mit »Halluzinationen und Wahnvorstellungen«, mit einer »krankhaften Phantasie« Schlösser wie Linderhof, Neuschwanstein und Herrenchiemsee vom kleinsten Detail bis zur großartigsten Kulisse minutiös durchgeplant und ausgeführt haben? Nicht zu vergessen auch die Heerscharen von Künstlern und Handwerker, die von diesem »Verrückten« präziseste Anweisungen für ihre Arbeit bekamen. Kann ein Paranoider und vom Verfolgungswahn Gezeichneter jahrelang die Oberaufsicht über all diese »Kunstwerke von Weltrang« führen, die heute sogar auf die Liste der Weltkulturerbe gesetzt werden sollen? Reichskanzler Otto von Bismarck war da ein weitblickender Staatsmann gegenüber den engstirnigen bayerischen Politikern, die in ihren Entscheidungen nur an die nächste Wahl dachten: »Die Welt wird ihr Urteil über König Ludwig bedeutend ändern, wenn man nicht nur seine Kunstschöpfungen bewundert, sondern auch in seine staatsmännische Korrespondenz Einsicht nehmen kann.« Jetzt erst wird man sich bewusst, welch großartiges Geschenk von Ludwig II. und Richard Wagner es an die Stadt München gewesen wäre, wenn das Festspielhaus auf dem Isarhochufer neben dem Maximilianeum gebaut worden wäre, und wenn man Richard Wagner nicht nach Bayreuth vergrault hätte. Aber die kleinkarierten Entscheidungsträger von damals waren eben ahnungslose Kulturbaunausen: »Dies zeigen mir aufs neue die Vorschläge des Kultusministers. Ist ein größerer Unsinn je in eines Menschen Gehirn ausgebrütet worden?«, schrieb Ludwig 1865 an Wagner und wie in prophetischer Weitsicht: »Und wenn wir beide längst nicht mehr sind, wird doch unser Werk noch der späteren Nachwelt als leuchtendes Vorbild dienen, das die Jahrhunderte entzücken soll, und in Begeisterung werden die Herzen erglühen!« Und wie Ludwigs Werk uns heute entzücken würde, wenn man seinen phantastisch-märchenhaften Wintergarten auf dem Dach der Münchner Residenz nicht als blödsinniges Überbleibsel dieses »g’spinnerten Königs« einfach abgerissen hätte! Die Himalajalandschaft über dem Odeonsplatz, zu Ludwigs Zeiten ein »Europäisches Wunderwerk, wie es nichts ähnliches in der Welt gab«, wäre heute eine Touristenattraktion höchster Güte, um die München in aller Welt beneidet werden würde. Unter Bananenpalmen würden wie damals Schwäne ihre Dach-Teich-Runden drehen und grellbunte Papageien würden in goldenen Reifen schaukeln, genauso wie die spanische Prinzessin Maria de la Paz es 1883 beschrieb: »Ich war verblüfft, denn ich sah einen riesigen, auf venetianische Art beleuchteten Garten mit Palmen, einem See, Brücken, Hütten und schloßartigen Bauwerken. ›Geh‹, sagte der König und ich folgte ihm fasziniert in sein Paradies. Ein Papagei schaukelte sich in einem goldenen Reif und schrie mir ›Guten Abend‹ entgegen, während ein Pfau gravitätisch vorüber stolzierte.« Ja, König Ludwig II. hatte wirklich einen Vogel, dem er sogar das Sprechen beigebracht hatte: »Guten Abend!«



Vom Wintergarten auf dem Dach der Residenz ist heute nichts mehr zu sehen: Nach dem Tod Ludwigs II. wurde er abgerissen.

»Ein ewig Rätsel will ich bleiben«

Schon um die Zeugung Ludwigs ranken sich Geheimnisse:

Wer war sein wirklicher Vater?

»Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen …«, schrieb König Ludwig II. am 25. April 1876 um 2 Uhr nachts an die Schauspielerin Marie Dahn-Hausmann, ein Satz, der über dem gesamten Leben des »Märchenkönigs« steht bis zum heutigen Tag. Ein Rätsel ist für uns sein ganzes Leben, ein Rätsel blieb sein Tod im Starnberger See und ein Rätsel schwebt auch über seiner Geburt am 25. August 1845: War König Max II. von Bayern wirklich sein Vater? Die Zweifler an seiner Vaterschaft berufen sich dabei auf mehrdeutige Notizen des Architekten Leo von Klenze in seinen »Memorabilien« und an seinem nachweislich schlechten Gesundheitszustand, der seine Ursache in einer Syphilis- oder Tripper-Erkrankung haben könnte, die sich Max in seinen wilden Studentenjahren zugezogen hätte. Die Vaterschafts-Spekulanten konnten aber bisher kein einziges historisch verwertbares Dokument vorweisen, das eine dieser Krankheiten bestätigen würde. Sicher ist jedoch, dass Max II. im Falle einer Infektion seine Frau, Königin Marie, dabei angesteckt hätte – die aber war bis ins hohe Alter kerngesund.

Hat Tambosi Königin Marie vergewaltigt?

Als eigentlicher Vater wird bei den Spekulationen der 1794 in Riva geborene Kammerdiener Giuseppe Tambosi ins Spiel gebracht, der zur Zeit der Zeugung Ludwigs II. als Kellermeister in der Hofhaltung tätig war. Ob man aus dem von Klenze zitierten Satz von Max II. über Tambosi, »Ich weiß sehr wohl, dass es ein Betrüger und elender Kerl ist, aber – ich kann ihn zu Allem vortrefflich gebrauchen!«, die Folgerung ableiten kann, dass Tambosi in Hohenschwangau die 17-Jährige, streng christlich erzogene Prinzessin Marie mit Einwilligung des Kronprinzen und mit Wissen mehrerer Hofbeamten erst mit Rotwein betrunken machte, um sich dann an ihr zu vergehen …? Diese Rotwein-Vergewaltigung hätte zudem mehrmals stattfinden müssen, denn am 6. Mai 1843 war Marie schon einmal schwanger, erlitt aber eine Fehlgeburt. Drei Jahre nach Ludwig II. wurde am 27. April 1848 dann Otto geboren – und wenn Max zeugungsunfähig gewesen sein soll, hätte auch hier eine Vergewaltigung stattfinden müssen. Wenn zudem alle drei Zeugungsversuche nicht im »1. Anlauf« erfolgreich gewesen wären, hätte »der Betrüger und elende Kerl« ja fünf Jahre lang Dauergast im königlichen Schlafzimmer gewesen sein müssen …


König Max II. (1811–1864), dessen Vaterschaft an Ludwig II. angezweifelt wird.


Prinzessin Marie von Preußen (1825–1889), Königin von Bayern und Mutter Ludwigs II.

Geheime Zahlungen an Dönniges

Als zweites Indiz führen die Spekulanten eine monatliche Zahlung von 1000 Gulden an Wilhelm von Dönniges »für geheime Zwecke« an, die im Zusammenhang mit »Liebes- und Affectionsverhältnisse« genannt werden. Dönniges war der älteste Jugendfreund von Max, mit dem er ein wildes und ausschweifendes Studentenleben in Göttingen geführt hatte. Blieben die zahllosen Liebschaften während ihrer »Kavalierstouren« in einer Zeit ohne sichere Verhütungsmittel wirklich ohne Folgen? Die seit der Thronbesteigung monatlich an Dönniges verbuchten »geheimen Zahlungen« sehen mehr nach Alimenten für ein außereheliches Kind aus, für die Tambosi als Geldbote »vortrefflich zu gebrauchen« war. Außerdem flossen die »geheimen Zahlungen« erst ab 1848 – warum sollte Tambosi oder Dönniges erst drei Jahre nach der Geburt Ludwigs II. ein geheimes monatliches Schweigegeld bekommen, wenn es sich um die Rotwein-Zeugung von Ludwig II. gehandelt hätte? Aber es gibt noch einen Dritten im Bunde, der von den Vaterschafts-Spekulanten als möglicher Vater Ludwigs II. angeführt wird und der wie Dönniges ein alter Jugendfreund von König Max II. war: Ludwig von der Tann. Im Frühjahr 1844 hatte er sich erfolgreich wegen einer Münchner Studentin duelliert und wurde deswegen weder bestraft oder sonstwie belangt. Dafür wurde er zwei Wochen später zum persönlichen Adjudanten des Königs berufen und war in der unmittelbaren Umgebung des Königs und der Königin ständig präsent. Im Jahr darauf wurde Ludwig II. geboren und Egon Caesar Conte Corti schrieb, dass von der Tann eine »lange und innige Freundschaft bis zum Tod« mit Max II. verband. Dann könnte man den kryptischen Satz in Klenzes Memorabilien auch auf ihn beziehen:»Der König ist erpressbar«.


Wilhelm von Dönniges (1814–1872), Empfänger von Zahlungen »für geheime Zwecke«.


War Ludwig Freiherr von der Tann (1815–1881) der Vater Ludwigs II.?


Schloss Nymphenburg, 1664 von Kurfürst Ferdinand Maria gebaut, der Geburtsort Ludwigs II.

Geburt in Schloss Nymphenburg

Offiziell und amtlich wurde die Geburtsstunde Ludwigs II. auf 0.28 Uhr am 25. August 1845 festgelegt, aber schon am nächsten Tag machte in München das Gerücht die Runde, Ludwig hätte schon zwei Tage vorher am 23. August das Licht der Welt, genauer gesagt das von Schloss Nymphenburg erblickt: Der Geburtstermin wurde angeblich zwei Tage geheim gehalten, weil am 25. August auch sein Großvater Ludwig I. Geburtstag hatte. Die Geburtsnacht 25. August ist jedoch von so vielen in Nymphenburg Anwesenden in unterschiedlichsten Dokumenten festgehalten, dass das Verschiebungsgerücht auch wieder aus dem Reich der Märchenkönig-Märchen entsprungen sein dürfte.


Am Morgen des 25. August 1845 donnerten dann 101 Kanonenschüsse über die Stadt und ganz München wusste: Bayern hat einen neuen Thronfolger! Dass aus ihm aber der geheimnisvollste Bayernkönig, ja sogar ein »Märchenkönig« werden sollte, das ahnte natürlich noch niemand.


König Max II. und Königin Marie mit ihren Kindern Ludwig und Otto.


In diesem Zimmer wurde Ludwig II. am 25. August 1845 geboren.

Die schreckliche Kindheit Ludwigs II.

Prügel, Hunger und Liebesentzug

Die Kindheit und Jugend König Ludwigs II. war mit einem Wort: schrecklich! Doch wäre Ludwig II. wie ein »normales Kind« liebevoll, mit viel Zuneigung der Eltern, mit einer seinen Bedürfnissen und Veranlagungen entsprechenden Erziehung zusammen mit stinknormalen Buben und Mädeln aufgewachsen, hätte er Lehrer gehabt, die ihm das Leben gezeigt hätten wie es wirklich ist, hätte er in seinem Elternhaus erfahren, was menschliche Nähe und Liebe bedeuten, dann, ja dann hätte es den »Märchenkönig« wohl nie gegeben.

Nicht von der Mutter gestillt – Amme stirbt nach 8 Monaten

Wie bei jedem anderen »Normalsterblichen« liegt der Schlüssel zur Persönlichkeit Ludwigs II. in seiner Kindheit und Jugend. Schon im Alter von 8 Monaten erlebte er die erste Katastrophe: Wie in Herrscherhäusern damals üblich, wurde das Baby nämlich nicht von seiner Mutter gestillt, sondern von einer Amme. Sie war eine urwüchsige Bauersfrau aus Miesbach, bei der Ludwig in Schloss Nymphenburg bis zum achten Monat völlig gesund heranwuchs. Doch schon bald erkrankte sie an einem »heftigen Fieber mit Gehirnerscheinungen«, vermvutlich einer Menningitis, an der sie auch starb. Der Säugling Ludwig musste sofort abgestillt werden, seine Bezugsperson war von einem Tag auf den anderen verschwunden und dieser Schock war auch nicht zu übersehen: Er verfiel von Woche zu Woche, bekam heftiges Fieber und der Leibarzt Franz von Gietl befürchtete das Schlimmste. Nur langsam kam Ludwig wieder zu Kräften.

Hungernder Ludwig von Zimmermagd Liesl heimlich gefüttert

Doch kaum konnte er auf seinen Kindesbeinen stehen, musste er sich einem anderen Erziehungwahnsinn seines Vaters Max unterziehen: Ein Kind sollte sich nie nie satt essen! Alle Zeitgenossen Ludwigs erzählen von dem unvernünftigen Zwang zur Mäßigkeit, zur Kargheit der Essensrationen, denen Ludwig ausgesetzt war. Der Kronprinz scheint zeitweise geradezu gehungert zu haben. Es gibt rührende Episoden von der alten Liesl, einer Zimmermagd in der Residenz, die Ludwig heimlich Reste ihrer eigenen Mahlzeit zusteckte und mit ihrem geringen Gehalt in der Stadt Essbares für den jungen Ludwig einkaufte,

das er meist nachts heimlich verspeiste.


Der 2-Jährige Ludwig in einem Aquarell von Ernst Rietschel, 1847.


Ludwig II. im Alter von 3 Jahren, ebenfalls von Ernst Rietschel gemalt.


Mit 5 Jahren baute Ludwig II. die ersten Schlösser, nachdem ihm Großvater Ludwig I. einen Holz­baukasten geschenkt hatte.

Sprechverbot mit Bürgerlichen

Wer sich über Ludwigs späteres merkwürdiges Verhalten Dienern gegenüber wundert, sollte sich die Erziehungsmethoden seines ersten männlichen Erziehers Generalmajor Theodor Basselet de la Rosée (1801–1864) ansehen. Wenn in Neuschwanstein Lakaien nur in tiefgebückter Haltung dem König gegenübertreten durften und Ludwig Befehle nicht aussprach sondern auf Zetteln übergab, so machte er nichts anderes als das, was ihm dieser Graf eingebläut hatte: Adelige dürfen nur mit Adeligen sprechen und schon gar nicht mit Dienstpersonal! Auch »bestärkte der Graf über Gebühr in dem jungen Gemüth die ohnehin vorhandenen Keime zum Hochmut«, wie Ludwigs Zeitgenosse Gottfried von Böhm bemerkte. Was dazu führte, dass er seinen jüngeren Bruder Otto wie einen Leibeigenen behandelte: Als in Berchtesgaden der »Vasall Otto wieder den Gehorsam versagte, band Ludwig ihn mit Händen und Füßen, steckte ihm einen Knebel in den Mund und wollte ihn ›hinrichten‹«. Vater Max verprügelte Ludwig daraufhin derart, dass er in seinem Leben nie wieder nach Berchtesgaden reiste.


Skizzenblatt des 16-Jährigen Ludwigs: Neben Phantasiefiguren übte er seine Signatur, die schon seine typisch schwunghafte Betonung des letzten Buchstabens zeigt.


Bereits in seinen Kinderzeichnungen taucht der Schwan als eine Symbolfigur auf, die Ludwig II. ein Leben lang faszinierte.

»Liebe« war aus dem Wortschatz gestrichen

Vater Max prügelte und Mutter Marie mied ihren Sohn: Sie besuchte ihn zwar in seinem Zimmer, »wusste aber nicht sich mit ihm abzugeben, wie Kinder es eben verlangen«, schrieb eine Freundin der Königin. Das Wort »Liebe« scheint aus dem Wortschatz der Eltern Ludwigs II. vollkommen gestrichen worden zu sein: Der Schriftsteller Paul Heyse durfte in der königlichen Familie nur Texte vorlesen in denen »Liebe« durch das Wort »Freundschaft« ersetzt worden war. Als der Dichter Hermann Lingg einmal zum Vorlesen eingeladen war, versicherte sich vorher Vater Max »ob auch Liebesgedichte dabei seien«, die natürlich sofort gestrichen worden wären. So kann sich jeder ausmalen, wie einsam und verlassen Ludwig seine Pubertät erlebt haben muss.


Schriftsteller Paul Heyse (1830–1914) durfte das Wort »Liebe« nicht erwähnen.


Königin Marie zeigte wenig Zuneigung zu ihren Kindern Otto und Ludwig.

Als 18-Jähriger erstmals Geld in Händen

Vor einem Rätsel stehen auch viele angesichts der Unbekümmertheit, mit der Ludwig für seine Schlösser Millionenbeträge einforderte und ausgab, als ob er für Geldsummen überhaupt keine Vorstellung hätte. Aber auch hier macht ein Blick in seine Kindheit vieles verständlich: Bis zu seinem 18. Lebensjahr wusste Ludwig überhaupt nicht was »Geld« ist: Bei seiner Volljährigkeitserklärung mit 18 Jahren schenkte ihm der Vater die erste Geldbörse. Und damit sein Sohn wusste, wie Geld aussieht, war darin von jeder im Königreich Bayern im Umlauf befindlichen Münze ein Exemplar. Damit ging der Kronprinz zum Hofjuwelier und wollte den halben Laden für seine Mutter leerkaufen! Wenige Wochen später war sein Vater gestorben und Ludwig mit 18 Jahren König von Bayern, ausgestattet mit Vollmachten über Millionenbeträge und er hatte nicht die leiseste Ahnung vom Wert dieser Summen.


Schloss Berchtesgaden 1855, von Ludwig II. lebenslang gemieden.

Bestrafungen bis zum letzten Tag

Ludwigs Vater König Max lag schon auf dem Sterbebett, da erfuhr Ludwig einen Tag vor dessen Tod noch einmal die volle Härte seiner Erziehung: »Am Morgen des Neunten musste der junge Prinz zur Strafe für ein nachlässig gearbeitetes Pensum den Kaffee ohne Zucker trinken, am andern Tag ging er weinend vom Totenbett des Vaters, und die Regierung und Großwürdenträger nannten ihn zum ersten Mal »Majestät«, wie Karl von Heigel über seinen Wandel vom Kronprinzen zum König von Bayern schrieb.


Ludwig II. mit 17 Jahren in der Uniform des bayerischen Infanterie-Leibregiments.