Die verbannte Prinzessin

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Doch die Ehe war bisher kinderlos geblieben. Und dadurch stiegen die Chancen der protestantischen Stuart-Nachfahrin und ihrer Kinder in Hannover. So versuchte Sophie alles, um sich die Verwandtschaft in London gewogen zu halten, während sie gleichzeitig bestrebt sein musste, in Hannover den Hausfrieden zu wahren. Es war also einiges in Bewegung, und nur wenig davon durfte an die Öffentlichkeit dringen.

Sophie Dorothea und Philipp Christoph Königsmarck aber hatten kein Interesse an diesen machtpolitischen Winkelzügen. Sie verfolgten andere Ziele.

Nächtliches Rendezvous

Ein Apriltag des Jahres 1691. Die Uhr der Marktkirche schlug gerade zur zweiten Stunde nach Mittag, da passierte ein Mann mit Dreispitz und Degen in geheimer Mission die Wachen des Schlosstores. Es war der Kammerbursche Philipp Christoph Königsmarcks. In seiner Manteltasche steckte ein Brief, verschlossen mit rotem Siegellack. Als Eleonore von dem Knesebeck den Boten entdeckte, eilte sie ihm sofort entgegen.

Wenig später hielt Sophie Dorothea den Brief in Händen. Um ihn unbeobachtet zu lesen, zog sie sich in ihr Schlafgemach zurück. Wie üblich war der Text chiffriert, sodass ihr die Lektüre einige Mühe machte.

»Madame,

Ich hoffe, dass Sie mir die Erlaubnis geben werden, heute Abend zu Ihnen zu kommen. Wenn Sie darauf nicht eingehen wollen, erwarte ich Sie bei mir. Lassen Sie mich wissen, was Ihnen lieber ist. Wenn Sie sich zum zweiten entschließen, so versichere ich Ihnen, dass Sie von meinen Leuten niemand mehr wach finden. Treten Sie unbesorgt ein. Sie brauchen nichts zu fürchten. Ich sterbe vor Ungeduld, Sie zu sehen. Geben Sie mir bald Antwort, damit ich weiß, woran ich bin.

Adieu, mein liebes Herz.«

Sophie Dorothea antwortete sofort.

»Kommen Sie um Mitternacht zum gewohnten Ort.

Die Confidente erwartet Sie. Sowie Sie die übliche Melodie pfeifen, wird sie Ihnen öffnen. Ich trage dafür Sorge, dass Sie dort niemandem begegnen. Auch der Réformeur (Georg Ludwig) wird um diese Zeit nicht zugegen sein.

Ich bin geboren, Sie zu lieben und Ihnen auf ewig zu gehören.

Ihre Pr.«

Bis zur nächtlichen Verabredung absolvierte Sophie Dorothea ihr gewohntes Tagesprogramm: die Teestunde mit der Herzogin und den Hofdamen, die Abendtafel mit der endlosen Abfolge von Gerichten und Getränken, die galanten Scherze ihres Schwiegervaters, die schläfrige Runde am Spieltisch. Zwischendurch drängte sich der kleine Georg August zu ihr. Doch Sophie Dorothea fehlte es an der inneren Ruhe, sich länger mit ihrem Sohn zu beschäftigen. Obwohl sie sonst die seltenen Momente des Beisammenseins mit den Kindern herbeisehnte, widmete sie auch ihrer kleinen Tochter nicht viel Zeit an diesem Abend.

Je näher die Mitternacht heranrückte, desto unruhiger wurde sie. Endlich war es soweit. Sie warf sich ihr rotes Seidentuch über, verließ mit einer Kerze ihr Schlafgemach, passierte den dunklen Korridor und huschte durch den großen Rittersaal. Durch die Fenster schien der Mond, sodass sich in dem fahlen Licht die Ritterrüstungen abzeichneten. Wieder wurde ihr unheimlich zumute, wieder konnte sie sich nicht von dem Gedanken freimachen, dass die Geister der toten Ritter in den Panzern steckten und ihr frevelhaftes Tun mit ihren Gespensteraugen verfolgten. Sie war froh, als sie den Rittersaal durchquert und den benachbarten Schlossflügel erreicht hatte. Jetzt war es nicht mehr weit bis zu ihrem Raum der Liebe, ein luxuriös ausgestattetes Gästezimmer am Ende des Ganges.

Unterdessen steuerte auch ihr Geliebter das Zimmer an. Wie üblich pfiff er unterm Torbogen die bekannte Operettenmelodie aus »Folies d’Espagne«, für die Knesebeck das Signal, dem Kavalier entgegenzueilen. Er kannte den Weg, dennoch forderte ihn die Confidente auf, ihm leise zu folgen. Er hatte den ganzen Tag über starke Kopfschmerzen gehabt, die letzten Begleiterscheinungen eines fiebrigen Malariaanfalles. Doch jetzt spürte er keine Schmerzen mehr, jetzt fieberte er nur noch dem Moment entgegen, die Geliebte in die Arme zu schließen.

Und schon saß sie ihm gegenüber, vollbekleidet, aber mit aufgelöstem Haar. Sie lächelte ihm zu, blickte darauf aber gleich verschämt zu Boden. Doch Königsmarck riss sich den Degen aus der Leibbinde, kniete vor ihr nieder und schloss sie so fest in die Arme, dass ihr Korsett knackte.

»Meine Schöne. Endlich.«

»Mein Liebster. Wenn du wüsstest, was ich in den letzten Stunden durchgemacht habe, würdest du mich für wahnsinnig erklären.«

»Wahnsinnig? Das bin ich auch. Wahnsinnig vor Liebe.«

Und dann fielen sie einander in die Arme. Die Fenster waren geschlossen, die Mauern dick, niemand, so meinte Sophie Dorothea, hörte sie in diesem abgelegenen Schlosstrakt.

Erst als die Vögel den Morgen begrüßten, erhoben sie sich von ihrem Liebeslager. Und so leise und heimlich, wie sie aufeinander zugegangen waren, gingen sie wieder auseinander. Das Schloss schlief noch. So mussten sie keine unliebsamen Begegnungen fürchten und konnten auf die Dienste der Confidente verzichten.

Als Philipp schließlich sein Haus in der Osterstraße erreicht hatte, war er viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Er setzte sich an seinen Sekretär und mühte sich, seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen:

»Welche Freude, welche Wonne, welches Entzücken habe ich in Ihren Armen genossen! Großer Gott, was für eine Nacht habe ich mit Ihnen verbracht.«

Sophie Dorothea antwortete:

»Ich fühle eine Leidenschaft, die die ganze Wonne und das ganze Unglück meines Lebens ist. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass es die einzige ist, die ich je gefühlt habe, und sie wird erst mit meinem Tode enden …«

In einem anderen Brief gestand sie Königsmarck:

»Ohne Sie wäre mir das Leben unerträglich, und vier nackte Wände würden mich glücklicher machen als ein Leben in der Welt.«

Im Überschwang ihrer Leidenschaft wurden die beiden unvorsichtig. Bald wagten sie es auch, sich in den Gemächern der Prinzessin zu treffen. Doch die Abwesenheit Georg Ludwigs war nicht so genau kalkulierbar, wie Sophie Dorothea meinte. An einem Abend Ende Mai brachte die überraschende Heimkehr des Erbprinzen die beiden in größte Verlegenheit. Zufällig hatte Eleonore gesehen, wie die Kutsche Georg Ludwigs auf den Schlosshof gefahren war, und sofort war sie zum Schlafgemach ihrer Herrin gestürmt, um die Liebenden zu warnen. Doch niemand reagierte auf ihr Rufen und Klopfen. So blieb ihr nur, die Tür einen Spalt weit zu öffnen. »Schnell, Ihr müsst verschwinden, sofort«, rief sie in das dunkle Schlafgemach. »Der Prinz ist zurück.«

Königsmarck, der gerade erst eingetroffen war, fluchte über den Heimkehrer, den sie in ihren Briefen »Störenfried« nannten. Um eine Begegnung zu vermeiden, begleitete er die Knesebeck zunächst auf ihr Zimmer. Erst als sich Georg Ludwig in seine Gemächer zurückgezogen hatte, konnte er das Schloss wieder gefahrlos verlassen.

Die Heimlichkeiten blieben auf Dauer nicht unbemerkt. Bald drangen die Gerüchte auch an die Ohren der Platen, die ihre Zuträger überall im Schloss hatte. Ihre Wut war grenzenlos.

Königsmarck hätte blind sein müssen, um die Warnsignale zu übersehen. Immer deutlicher, immer unverblümter äußerte die Mätresse des Herzogs ihren Ärger über die Affäre. Bei all seiner Verliebtheit erkannte Königsmarck die Gefahr, in der er schwebte. Er weihte Sophie Dorothea in seine Vorahnungen ein: »Der Schmetterling, der sich an der Kerze verbrennt: Das wird mein Los sein«, schrieb er. »Ich kann meinem Schicksal nicht entgehen.«

Auch in einem anderen Brief malte er der Geliebten seine Zukunft in den dunkelsten Farben aus:

»Ach, ich liebe meine eigene Zerstörung und nähre in meiner Brust ein Feuer, das mich bald verzehren wird. Ich weiß, dass ich zugrunde gehen werde – denn ich habe zu lieben gewagt, wo ich nur hätte verehren dürfen.«

Und dann zitierte er Verse aus einem Gedicht von Benjamin Neukirch (1665 – 1729):

»Und also lieb ich mein Verderben

Und hege ein Feuer in meiner Brust,

Daran ich doch zuletzt muss sterben.

Mein Untergang ist mir gar wohl bewusst.«

Ende einer Verschwörung

Philipp Christoph und Sophie Dorothea waren nicht die einzigen am Hof, die in der Gefahr schwebten, entdeckt zu werden. Auch Prinz Maximilian hatte Grund, vorsichtig zu sein. Denn von der so genannten Prinzenverschwörung wusste mittlerweile ein so großer Personenkreis, dass auch der Herzog Wind davon bekam.

Spätestens im November 1691 wurde Ernst August klar, welche Ausmaße die Umtriebe seines Sohnes angenommen hatten. Jetzt musste er nur noch den richtigen Augenblick für die Zerschlagung des Komplotts finden. Und Ernst August wollte bei der Gelegenheit auch seinem schriftstellernden »Vetter Tönis« in Wolfenbüttel einen Denkzettel erteilen. Die Stunde war gekommen, als Anton Ulrich seinen Sekretär Heinrich Wilhelm Blume nach Hannover geschickt hatte – offiziell, um nach einem Karnevalsquartier Ausschau zu halten, insgeheim sollte er aber auch Gespräche mit den Verschwörern führen. Fast zeitgleich ließ Ernst August daher am Abend des 15. Dezember 1691 Blume und alle Hauptbeteiligten der Verschwörung in Hannover verhaften: seinen Sohn Maximilian, Oberjägermeister Otto Friedrich von Moltke sowie dessen Vetter, Oberstleutnant Joachim von Moltke.

Der Oberjägermeister war gerade bei einer Abendgesellschaft auf dem Leineschloss. Er stand am Spieltisch, als Generalmajor Johann von dem Bussche plötzlich auf ihn zutrat und ihn in militärisch knappem Ton aufforderte, seinen Degen zu übergeben. Otto Friedrich von Moltke war so überrascht, dass er alles tat, was von ihm verlangt wurde. Widerstandslos ließ er sich abführen.

 

Zunächst wurden alle Festgenommenen auf dem Schloss in Gewahrsam genommen – auch Prinz Maximilian. Dann ließ der Herzog die beiden Moltkes sowie den Wolfenbütteler Sekretär Blume in die öffentlichen Gefängnisse verlegen, die sich neben den Pulvermagazinen in den Türmen über dem Clevertor und dem Calenberger Tor befanden. Blume berichtete später, es habe dort so abscheulich nach Schwefel und Salpeter gestunken, dass er »von dem üblen Geruch fast krepiert wäre«.

Scharfe Verhöre folgten. Unter Androhung von Folter gestanden die Beschuldigten schließlich, dass sie Fäden zu auswärtigen Mächten gesponnen hatten, um die Erstgeburtsordnung auszuhebeln.

Als erster brach Maxel zusammen. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Friedrich August bewies er nur wenig Standfestigkeit. Nach anfänglichem Leugnen gestand er bereits Neujahr 1692 seine Schuld ein, bat um Vergebung und gelobte Gehorsam und Treue. Daraufhin ließ ihn sein Vater in die Festung nach Hameln bringen. Da Maximilian sich in jeder Hinsicht reumütig zeigte, wurden seine Haftbedingungen bald erheblich gemildert. Bereits im Februar erhielt er die Erlaubnis, mit seiner Mutter Briefe zu wechseln.

Auch Sophie war für ihre Beteiligung an der Verschwörung gemaßregelt worden, allerdings nicht öffentlich. Ernst August ließ seine Gemahlin lediglich unter Zimmerarrest stellen. Die Herzogin zeigte sich bestürzt, nahm Maxel in Schutz und mühte sich, alle Schuld auf seine Verbündeten abzuwälzen. »Der Oberjägermeister von Moltke hat es ihm in den Kopf gesetzt«, schrieb sie ihrem alten Vertrauten Albrecht Philipp von dem Bussche. Sie habe zwar mitbekommen, dass Brandenburg, Dänemark und andere Staaten sich mit ihrem Sohn verbündet hätten, jedoch nie geglaubt, dass das Ganze auf einen Staatsstreich hinauslaufe. »Das einzige, was ich mir vorwerfen kann, ist, dass ich die Intrige nicht rechtzeitig aufgedeckt habe«, schrieb sie. »Ich muss mir vorhalten lassen, dass ich allzu arglos meinem Mutterherzen gefolgt bin.«

Die Selbstanklage bewog Ernst August, seiner Frau zu verzeihen – und er verzieh schließlich auch Maximilian.

Den übrigen Angeklagten wurde der Prozess gemacht. Der Wolfenbütteler Sekretär Blume und Oberstleutnant von Moltke kamen mit einer »Landesverweisung« davon. Gegen Oberjägermeister von Moltke dagegen verhängte das Gericht die Todesstrafe.

Am Morgen des 25. Juli 1692 wurde er zum Schafott geführt. Begleitet von dreißig Musketieren und Offizieren erreichte die Kutsche mit dem Gefangenen gegen acht Uhr den Gerichtsplatz. Moltke wusste, was ihn erwartete. Bevor der Gerichtsschulte das Urteil verlas, musste er sein Haupt entblößen. Dann verlief alles nach dem üblichen Reglement: Der Gerichtsdiener zerbrach ein weißes Stöckchen und befahl dem Henker, seines Amtes zu walten. Während Moltke zum Richtplatz auf dem Wall vor dem Clevertor geführt wurde, trat der Hofprediger vor. Gemeinsam mit dem Delinquenten betete er das Vaterunser und sprach seinen Segen.

Bis zuletzt war noch mit einer Begnadigung gerechnet worden. Doch nicht einmal Moltke schien jetzt mehr darauf zu hoffen. Er zog seinen Trauermantel aus, überreichte einem Gerichtsdiener Rock, Halstuch und Perücke und schritt auf einen Wink des Büttels hin auf das schwarze Tuch zu. Kaum hatte er sich niedergekniet, wurden ihm auch schon die Augen verbunden. Ein kurzes Gebet. Dann schlug ihm der Henker den Kopf ab.

Die Trommler, die herbeigerufen worden waren, um eine drohende Verteidigungsrede des Todgeweihten zu übertönen, konnten wieder abziehen. Der Oberjägermeister ging klaglos in den Tod. »Er starb wie ein Kavalier«, schrieben später die Chronisten des Welfenhauses.

Ein anderer Kavalier genoss unterdessen noch das Leben in vollen Zügen.

Polonaise hüllenlos

Es ging schon auf Mitternacht zu, als eine zweispännige Kutsche das Steintor passierte und auf die Ihme-Brücke in Richtung Linden zusteuerte. Königsmarck war auf dem Weg zu einem Fest der Gräfin Platen. Zuvor hatte er Sophie Dorothea besucht, aber schon früh gehen müssen, weil mit der vorzeitigen Heimkehr Georg Ludwigs zu rechnen war.

»Bitte versteh, das Risiko ist zu groß«, hatte Sophie Dorothea gesagt. »Der Störenfried wird heute noch zurückkehren, seine Liebste ist krank.«

»Da musst du deinem Liebsten natürlich Gesellschaft leisten«, hatte Philipp Christoph gehöhnt, doch es war ihm nicht gelungen, seine »süße Dicke« umzustimmen. Um sich zu trösten, nahm er eine Einladung der Platen wahr. Die Mätresse des Herzogs gab ein Fest, bei dem er Bekannte treffen würde. Auch seine Schwester Maria Aurora wollte kommen. Seit einigen Wochen war sie bei ihm in Hannover zu Besuch.

Es schneite. Immer wieder bildete sich auf dem Zylinder des Kutschers ein dickes weißes Polster. Doch der Schnee hatte auch sein Gutes. Er hellte die Nacht auf. Die Altstadtstraßen wurden zwar mittlerweile von dreihundert Laternen beleuchtet, außerhalb der alten Stadtmauern aber herrschte Finsternis. Und der Weg nach Linden war zwar bei gutem Wetter mit der Kutsche in zwanzig Minuten zu schaffen, führte aber durch Felder und Wiesen und war so holprig, dass immer die Gefahr bestand, von der Kopfsteinstraße abzukommen.

Doch schließlich war Linden erreicht. Aus dem Dunkel des Dorfes hob sich schon von weitem das Altensche Gut ab, das vor drei Jahren zu einem Luxusdomizil ausgebaut worden war und von Oberhofmarschall Platen und dessen Frau bewohnt wurde. Im Garten schnitten zahlreiche Laternen Lichtkegel in die Dunkelheit und machten das Herabschweben der Schneeflocken sichtbar. Licht fiel außerdem aus allen Fenstern des Schlösschens.

Kaum war Königsmarck aus seiner Kutsche gestiegen, hatte der Schnee ihn schon eingehüllt. Übermütig bombardierte er den Kutscher mit einem Schneeball und ließ seinen Blick an den Fenstern entlangwandern. Er schickte den Pagen vor, um seine Ankunft melden zu lassen. So musste er nicht lange warten.

Während er sich noch den Schnee von der Robe schüttelte, öffnete sich schon die große Eingangstür. Licht, Musik und Düfte strömten ihm entgegen. Die Hausherrin begrüßte ihn persönlich. Wie üblich war sie stark geschminkt, sie trug ein Prunkgewand aus Goldbrokat und grüner Seide. »Ich hatte gar nicht mehr mit Euch gerechnet. Aber tretet ein, Monsieur. Je später der Abend …«

»Ich hoffe, Euch nicht zu enttäuschen, Gnädigste«, erwiderte Königsmarck mit einer leichten Verbeugung.

Selbstverständlich konnte er der Platen nicht den Grund seiner späten Ankunft nennen. Doch sie schien es ohnehin zu ahnen. Natürlich nahm sie es ihm nach wie vor übel, dass er sie wegen dieser »jungen Gans« vernachlässigte. Schließlich hatte sie dafür gesorgt, dass er gleich nach seiner Ankunft in Hannover zum Obersten des Garderegiments ernannt worden war. Hatte dieser gewissenlose Kavalier denn schon vergessen, dass sie es gewesen war, Gräfin Klara Elisabeth von Platen, die ihm den Aufstieg am Hofe geebnet hatte?

Ja, anfangs hatte er ihr noch seine Dankbarkeit bezeugt. Wie oft hatten sie sich geliebt, nicht nur im Bett, sondern hinter fast jedem Strauch ihres Gartens. Er war wie ein Jungbrunnen für sie gewesen. Das war schon etwas anderes, als den welken, kraftlosen Herzog in Wallung zu versetzen. Dass sie ihren jungen Kavalier nach außen hin als künftigen Schwiegersohn vorstellte, war allgemein akzeptiert worden und hatte ihr einen schönen Vorwand verschafft. Doch mit all dem war es vorbei, seitdem der junge Oberst sich an die Prinzessin herangepirscht hatte. Die Affäre nagte an ihrem Selbstwertgefühl. Aber was nutzte es, dem untreuen Kavalier Vorhaltungen zu machen? Nun war er ja gekommen. Da galt es, die Gunst der Stunde zu nutzen. Sie gab sich einen Ruck und wies dem späten Gast den Weg zum Festsaal.

»Trinkt, tanzt und freut Euch des Lebens.«

Pauken und Trompeten, Flöten und Oboen mischten sich mit dem Krakeelen und Lachen von Betrunkenen. Bläuliche Rauchwolken wallten Königsmarck entgegen. Er musste genau hinsehen, um die Gäste mit den langen, wallenden Perücken zu erkennen; viele bekannte Gesichter waren darunter: Heinrich von Podewils, der fast achtzigjährige halbblinde Oberbefehlshaber den sie in ihren Briefen immer nur »Bonhomme« (Biedermann) nannten; der hoch betagte Kammerpräsident Otto Grote, in der Sprache der Briefe der gute Freund.

Etwas abseits hielt sich Premierminister Franz Ernst Platen, der Gatte der Gastgeberin; da war Christian, ein jüngerer Bruder des Erbprinzen Georg Ludwig, Maria von dem Bussche, die frühere Mätresse des Erbprinzen und natürlich der alte Herzog selbst.

Königsmarck vermied es, mit »Don Diego« zusammenzutreffen. Zum einen fürchtete er, dass die Gerüchte über seine Affäre mit Sophie Dorothea bereits an die Ohren des Fürsten gedrungen waren, zum anderen war er ja in den Augen Ernst Augusts der heimliche Liebhaber von dessen Mätresse.

Gern ließ sich Philipp Christoph dagegen von General Bielke heranwinken. Der schwedische Feldmarschall mit dem blonden Schnauzbart war immer gut für einen Scherz, auch wenn er es nicht lassen konnte, ihm seine Tochter als Heiratskandidatin ans Herz zu legen.

»Seid Ihr es leibhaftig oder ist es nur Euer Geist?«, begrüßte er den Landsmann.

»Es ist nur mein Leib, General«, erwiderte Königsmarck. »Mein Geist schläft schon.«

»Dann wird es aber Zeit, dass wir ihn wecken.«

Die Platen drückte ihm ein Glas Champagner in die Hand. »Lasst es Euch schmecke und wohl sein«, säuselte sie in breitem Hessisch.

Unterdessen sah Königsmarck, wie sich seine Schwester näherte, eine großgewachsene Frau mit blonden Locken. Ein tief ausgeschnittenes Ballkleid aus roter Seide unterstrich ihre Schönheit.

»Bruderherz, mit dir hatte ich gar nicht mehr gerechnet.«

»Man soll nie jemanden voreilig abschreiben.«

»Es heißt, dass du dich rar machst und dem Leben am Hofe allzu oft den Rücken kehrst«, stichelte Maria Aurora.

»Alles nur Gerede«, wehrte Philipp Christoph ab und leerte sein Champagnerglas. »Jetzt bin ich ja da.«

»Und wir sind sehr froh darüber, nicht wahr?«, fuhr die Platen dazwischen.

Ein Tusch kündigte die Darbietung einer italienischen Komödiantentruppe an. Erleichtert, nicht länger im Mittelpunkt dieser verkrampften Konversation zu stehen, gesellte Königsmarck sich den Gästen zu, die bereits einen Kreis um die Komödianten gebildet hatten. Nach drei Tänzen gaben die Akteure eine Stegreifkomödie zum Besten. Die schlüpfrigen Späße der Maskierten kamen bei den Betrunkenen gut an. Zum Abschluss bedankte sich das Publikum nicht nur bei den Schauspielern mit Beifall, sondern auch bei der Gastgeberin. Und die Gräfin genoss den Applaus und verbeugte sich, als habe sie selbst gerade ihre künstlerische Begabung unter Beweis gestellt.

Ehe er sich versah, hielt Königsmarck schon wieder ein Glas in der Hand, das diesmal nicht mit Sekt gefüllt war, sondern mit süßem Tokajerwein. Augenzwinkernd forderte ihn die Gastgeberin auf, mit ihr anzustoßen.

»Auf ein langes Leben, Herr Oberst.«

»Auf ein schönes Leben, Gräfin.«

Wieder ein Tusch. »Menuett«, verkündete der Kapellmeister. »Ich bitte Euer Gnaden, Aufstellung zu nehmen.«

Und ohne dass Königsmarck sich dagegen wehren konnte, ergriff die Platen seine Hand und führte ihn auf die Tanzfläche. Ein scharfer Geruch stieg ihm in die Nase. Es war das Parfüm, von dem die Gräfin wieder einmal reichlich Gebrauch gemacht hatte. Königsmarck fühlte sich wie betäubt davon, fürchtete, die Kontrolle über seine Schritte zu verlieren.

Er atmete auf, als der Tanz endlich vorbei war, und dankte dem Himmel, als der schon bedenklich schwankende Herzog auf seine Tanzpartnerin zusteuerte und ihn aus seiner Kavalierspflicht entließ.

Fluchtartig rettete er sich in den Nachbarraum mit den Spieltischen und ließ sich bereitwillig von Bielke zu einer Partie Lomber und einem Glas Wein überreden – mit am Tisch Graf Don Nicolo Montalban, der Geistliche im Kavaliersrock und hannoversche Hofpoet, der schon so sturzbetrunken war, dass er nur noch lallte und ständig seine Karten verlor. Königsmarck hielt ihn für einen Aufschneider, dem nicht zu trauen war. Zu Recht, wie sich später zeigen sollte.

Schnaps und Wein taten ihre Wirkung. Immer mehr Gäste verloren die Selbstbeherrschung. Bei einem Rundtanz stürzten mehrere Paare übereinander und wälzten sich am Boden. Der Herzog und die älteren Minister waren bereits gegangen, sodass für die Übriggebliebenen kein Grund mehr bestand, sich Zurückhaltung aufzuerlegen.

 

Ihren Höhepunkt erreichte die Stimmung mit einer Polonaise. Tische wurden zu einem Kreis zusammengeschoben, und der Kapellmeister lockte die Gesellschaft, die provisorische Tanzbühne zu besteigen. Mit Erfolg: Unter Johlen kletterte ein Gast nach dem anderen auf die Tische.

Königsmarck wäre am liebsten im Spielzimmer geblieben. Doch das erlaubte die Gastgeberin nicht. Sie schoss auf ihn zu und zerrte ihn mit.

Als die Musiker die ersten Takte eines Werbetanzes gespielt hatten, forderte der Kapellmeister die torkelnde Tanzgesellschaft auf, sich zu entkleiden. Die Festteilnehmer schienen nur darauf gewartet zu haben. Sofort begannen alle damit, Westen und Blusen, Hosen und Roben auszuziehen und den Umstehenden zuzuwerfen. Auch Mieder und Unterkleider flogen durch den Saal, sodass die Tanzgesellschaft am Ende nahezu nackt war. Männer wie Frauen, bekleidet nur noch mit Perücken. Die Polonaise konnte beginnen. Schwankend bewegten sich die Herrschaften nach den Kommandos des Kapellmeisters vor und zurück, hielten sich aneinander fest, versuchten, die Balance zu halten – und sie strauchelten dennoch. Einer riss den anderen mit, sodass sich schließlich ein Haufen nackter Leiber kreischend am Boden wälzte. Auch Philipp war Teil dieses Knäuels, unter sich die Gräfin von Platen, die vom Tisch gesprungen war, ohne ihren Kavalier loszulassen. Sie landete weich, denn auf dem Boden lagen ja schon andere.

»Herrlisch«, stieß sie schnaufend hervor. »Wunderbar, das ist die wahre Lust, das einzisch wahre Leben.«

Sie riss Königsmarck an sich, um sich mit ihm in dem Leibergewirr zu vereinigen. Doch der ekelte sich vor der schwitzenden Frau mit der verwischten Schminke im Gesicht. Angewidert schob er sie von sich.

»Was ist los? Bin ich dir nicht mehr gut genug oder hast du dein Pulver schon verschossen?« Die Reichsgräfin war empört.

Philipp Christoph befreite sich aus ihrer Umklammerung. »Lass mich.«

Die Hausherrin war wie vom Schlag gerührt. »Lass mich«, äffte sie ihm nach. »Was soll das heißen? Was erlaubst du dir, du hergelaufener Possenreißer?«

»Ich sagte es schon: Lass mich in Ruhe! Es reicht!«

Die Platen war außer sich. »Was bildest du dir ein, du Narr?«, schrie sie ihn an. »Hast du schon vergessen, was ich für dich getan habe? Hast du schon vergessen, was du ohne mich bist? Aber ich werde es dir sagen: Ein Nichts bist du, ein erbärmliches Nichts.«

Die Gräfin war so außer sich, dass sie mit ihrem Geschrei manch einen der Nackten im Leibergewirr aus seinem Alkoholnebel riss. »Ich vernichte dich«, zeterte sie. »Mit meinen Fingern werde ich dich zerquetschen wie eine Fliege. Hörst du? Und jetzt verschwinde! Geh mir aus den Augen! Geh, geh …«

Sie begann zu schluchzen, sodass andere sich bemüßigt fühlten, sie zu trösten.

Königsmarck nutzte die allgemeine Bestürzung, um seine Kleider zusammenzusuchen. Und obwohl er immer noch seine Weste und einen Schuh vermisste, floh er in seine Kutsche und ließ sich nach Hause chauffieren.

Es schneite immer noch.

Der Morgen graute bereits, als er eine halbe Stunde später sein Schlafgemach betrat. Er war noch so aufgewühlt, dass an Schlafen nicht zu denken war. Der Wutausbruch der Platen hallte in ihm nach. Sicherlich würde sie sich irgendwann wieder beruhigen. Doch er musste damit rechnen, dass ihm künftig Gefahr von dieser Dame drohte. Sie war zwar alt, aber sehr mächtig, wenn nicht gar die mächtigste Dame am hannoverschen Hofe. Bei allem Widerwillen – er musste eine Versöhnung herbeiführen.

Da war aber auch noch Sophie Dorothea. Keine Frage, sie würde von der nächtlichen Orgie erfahren. Auf den höfischen Klatsch war Verlass. Um den bösen Zungen zuvorzukommen, entschied er sich, ihr in einem Brief von dem Fest zu berichten. So konnte er seine eigene Rolle zumindest in einem günstigen Licht erscheinen lassen. Er schrieb:

»19. Februar 1692

Liebste!

Nachdem ich Sie verlassen hatte, fand ich eine ausgelassene Gesellschaft bei der Gräfin vor: Alles zechte beim Klang von Pauken und Trompeten. Aber ich langweilte mich so, dass ich lieber zwanzig Meilen weit weg gewesen wäre. Ich konnte meine schlechte Stimmung so wenig verbergen, dass M. B. (Monsieur Bielke) mich fragte, was ich hätte; denn ich wollte nicht einem einzigen Glas Wein die Schuld daran geben und tat es auch nicht. (…) Das Klirren der Gläser, der Krach der Pauken und Trompeten, vermischt mit dem süßen Ton der Flöten und dem lauten Geschrei der Betrunkenen, bildeten die verrückteste Harmonie von der Welt und verschafften mir die Gelegenheit, mich in einen Winkel zu verkriechen, um mich der Träumerei hinzugeben, während die anderen tanzten, sich teilweise auszogen und auf die Tische sprangen …«

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die Prinzessin war gekränkt. Sie erinnerte Königsmarck daran, dass schon ihr Gatte sein Vergnügen in »Monplaisir« gesucht habe, ohne auf ihre Gefühle zu achten.

»Ich bin noch im Bett vor lauter Verzweiflung über das, was Sie mir angetan haben. Es zeigt so wenig Zartgefühl, dass ich ganz untröstlich bin. Ich hatte nichts dergleichen von Ihnen erwartet. Ein Blitzschlag hätte mich weniger überrascht. Ich wage Ihnen nicht zu sagen, was ich von Ihnen denke.

Leben Sie wohl, mein Herr, ich wünsche Ihnen alle Vergnügen der Welt. Ich zweifle nicht, dass Sie jeden Tag neue finden werden.«

Königsmarck wies alle Vorwürfe zurück, versicherte Sophie Dorothea, niemand anders zu lieben als sie allein und überzog die Reichsgräfin mit Spott. Dabei schonte er auch Sophie Dorotheas Schwiegermutter nicht. Bei einem Besuch in Linden habe Sophie ihre Gegenspielerin ganz bewusst in die grelle Sonne geführt, sodass ihr die Schminke aus dem Gesicht floss, schrieb er. »Die alte Hexe war so erhitzt, dass ihr die Farbe nur so über die Wangen tropfte.« Anerkennend kommentierte er: »Die Fürstin besitzt eine tüchtige Portion Bosheit. Besser hätte sie sich nicht an der Mätresse ihres Mannes rächen können.«

Trotz solcher Spötteleien wagte er es aber nicht, sich die Platen dauerhaft zur Feindin zu machen. Er besuchte weiterhin deren Feste und nahm bei all seinem beteuerten Widerwillen bereitwillig an den Orgien von »Monplaisir« teil.

Er revanchierte sich sogar, indem er in seinem Haus in der Osterstraße selbst Lustbarkeiten veranstaltete, zu denen er die Platen und andere Damen aus ihrer Umgebung einlud. Mit bitterer Ironie schrieb Sophie Dorothea, wie sehr sie dieses Verhalten kränke:

»Fühlen Sie sich nicht gebunden. Ich beschwöre Sie, denken Sie nur an Ihr Vergnügen und denken Sie gar nicht mehr an mich. Ich bin sicher, dass all diese Feste mit einer völligen Versöhnung zwischen Ihnen und der Gräfin Platen enden werden – oder auch mit einer neuen Liebe. Ohne sie ist ja keine Freude vollkommen, sie ist vielmehr das Salz jeden Vergnügens. Wenn Ihnen zu Ihrem Glück nichts als meine guten Wünsche fehlen – die haben Sie in vollem Maße. Ich wünsche Ihnen von Herzen jede Glückseligkeit.«

Im Gegenzug nahm sich Sophie Dorothea die Freiheit, den Geliebten mit einer eigenen Affäre auf die Folter zu spannen:

»Der Zufall scheint mir zu einer kleinen Rache verhelfen zu wollen«, fügte sie in ihrem Brief maliziös an. »Er schickt mir einen jungen, sehr eleganten und prächtig herausgeputzten Baron aus Mainz. Sie haben sicher nichts dagegen, dass ich mir, um nicht vor Langeweile zu sterben, ein wenig Unterhaltung mit ihm mache. Ich rechne immer noch zu sehr auf Ihre Freundschaft, als dass ich glauben könnte, Sie missgönnten mir diesen kleinen Trost. Sie sehen, ich bin aufrichtiger als Sie. Denn obwohl Sie mir eine Andeutung über Ihr Fest machten, sagten Sie mir nichts von den Damen, noch dass die Platen dabei war.«

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