Die verbannte Prinzessin

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Eifersucht

Georg Ludwig fiel es schwer, die richtigen Worte zu finden. Mit einer stummen Verbeugung reichte er Sophie Dorothea daher nur die Hand, als er an jenem Aschermittwoch des Jahres 1686 mit seinem Gefolge Einzug hielt im Palazzo Foscari. Beide waren bestrebt, ihre Unsicherheit zu überspielen. Mehr als ein Jahr lang hatte man sich nicht gesehen. Man war sich fremd geworden.

»Sie sind noch schöner geworden, Prinzessin«, murmelte Georg Ludwig steif.

Sophie Dorothea blickte zu Boden. »Sie sehen auch gut aus, Prinz.«

Das war eine Lüge. Der Prinz war durchaus nicht schöner geworden, er war müde und erschöpft von der langen Reise, und auch der Kriegsdienst hatte Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.

»Willkommen, mein Sohn«, begrüßte ihn nun auch Ernst August, der bisher nur höflich lächelnd neben dem jungen Paar gestanden hatte.

»Mein Vater.« Fast unterwürfig verbeugte sich Georg Ludwig vor dem Herzog. Nachdem sie einander die Hände gereicht hatten, war der Begrüßungstrunk fällig. Pagen standen schon mit dem Champagner bereit.

Für den Abend hatte der Herzog zur Wiedersehensfeier eine Abendgesellschaft geladen. Das Essen zog sich wie üblich über viele Stunden hin. Und jetzt war es Georg Ludwig, der die nicht enden wollende Abfolge von Speisen und alkoholischen Getränken als Strapaze empfand. Sophie Dorothea dagegen verstand es, zu glänzen. Der heimgekehrte Krieger spürte, wie sie mit ihrem Charme die Tischgesellschaft bezauberte. Augenzwinkernd gab ihm auch Hausherr Foscari zu verstehen, welch hohe Meinung er von der Prinzessin habe. »Ihr seid wirklich zu beneiden um Eure schöne Gemahlin, mein Freund. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass sie die Herzen aller Männer Venedigs im Sturm erobert hat. Alla Salute, Principe.«

»Alla Salute, Comte.«

Georg Ludwig beschränkte sich darauf, sein Glas zu erheben. Jede Erwiderung aus seinem Munde hätte peinlich gewirkt in diesem Kreis. Dennoch war er – bei all seiner Unsicherheit – auch stolz, eine Frau zu haben, die so bewundert wurde. Zum Glück bekam er bald Gelegenheit, Fragen zum Krieg zu beantworten, denn der Kampf gegen die Türken war auch für die Nobili von Interesse. Und auf diesem Feld kannte er sich aus wie sonst niemand am Tisch. So erzählte er von seinen siegreich geführten Schlachten im Dienst der Habsburger und gewann nach und nach sein Selbstbewusstsein zurück.

»Bravo, Principe«, prosteten sie ihm zu.

»Bravo, Signor.«

Berauscht vom Wein und der erfreulichen Resonanz auf die Schilderung seiner Heldentaten fühlte er sich ungeheuer stark, als er Sophie Dorothea später in der Nacht in ihrem Gemach aufsuchte. Die Laute der Liebenden mischten sich mit Geigenklängen, die vom Canal Grande ins Zimmer heraufwehten – wehmütige Musik einer Gondelgesellschaft, die das Ende des Karnevals feierte. Doch schnell erschlaffte die Kraft des Liebhabers. Und als die Glocken von Santa Maria Gloriosa dei Frari zur dritten Stunde läuteten, schlief Georg Ludwig schon.

Die nächsten Tage nutzte Sophie Dorothea, um ihrem Mann die Stadt zu zeigen. Besonders wissbegierig war Georg Ludwig jedoch nicht. Er bewunderte zwar die Pracht der Dogenpaläste, aber die amüsanten Geschichten über das Leben in dieser Stadt entlockten ihm nur ein Gähnen. In manchen Momenten reagierte er sogar mit Widerwillen auf die glitzernde Inselwelt. Im Unterschied zu seinem Vater war er viel zu sparsam, um sich diesem Luxus hinzugeben. Auch die Umstellung bereitete ihm Probleme. Der Kanonendonner der Schlachtfelder, die er erst vor wenigen Wochen verlassen hatte, hallte noch in ihm nach. Und wo Sophie Dorothea den würzigen Duft des Meeres einsog, roch er nur den fauligen Moder des brackigen Kanalwassers.

Langsam, ganz allmählich, gelang es aber auch ihm, sich auf Venedig einzustellen. Beeindruckt zeigte er sich vor allem von der prachtvollen Feier im Mai, die wie in jedem Jahr Venedigs Vermählung mit dem Meer symbolisierte. Als der Doge unter fortwährendem Salutschießen auf seinem Prunkschiff den Palast verließ, läuteten alle Glocken der Stadt. Unzählige buntgeschmückte Gondeln schlossen sich dem herrschaftlichen Schiff an, das mit seiner scharlachroten Bedachung und dem goldlackierten Schnitzwerk über der Flotte aufragte.

Georg Ludwig war begeistert. Solche Prachtentfaltung riss auch ihn mit. Doch das Hochgefühl war nicht von Dauer. Georg Ludwig litt darunter, dass Sophie Dorothea nur in den Nächten ihm gehörte; tagsüber und abends musste er sie mit den Exzellenzen der Stadt teilen. Und das gesellschaftliche Leben Venedigs stieß ihn zunehmend ab. Spöttisch berichtete er seiner Mutter in einem Brief von einer Prunkregatta. Ein Wirbelstoß, schrieb er, habe eine Anzahl Gondeln mit Nobili erfasst und umgekippt. Doch keiner sei im Canal Grande »versoffen«. Der Herrgott habe da wohl seine Gerechtigkeit unter Beweis stellen wollen, indem er Leute, die das Feuer verdienten, nicht mit Wasser strafe.

Er berichtete seiner Mutter auch von Sophie Dorothea. Stolz schrieb er ihr, wie der Herzog von Mantua als Gastgeber einer Abendgesellschaft von seiner Frau in den höchsten Tönen geschwärmt habe. Er spöttelte aber auch über lächerliche Verehrer, die mit Sophie Dorothea tanzten wie die Witzfiguren in französischen Lustspielen. Er selbst tanzte nicht so viel mit seiner Frau. Er hatte ja auch nie richtig tanzen gelernt. Nicht das Menuett, das jetzt vom Hofe Ludwigs XIV. aus die Paläste Europas eroberte, sondern der Krieg füllte seine Tage aus. So fiel es ihm schwer, sich mit der gebotenen Leichtigkeit auf dem venezianischen Parkett zu bewegen. Und bei allem Spott über die gepuderten Lebemänner konnte man aus seinen Zeilen an seine Mutter auch eine wachsende Eifersucht herauslesen.

Richtig entfacht aber wurde diese Eifersucht erst durch eine Vertraute aus Hannover, die schon wenige Tage nach ihm in Venedig eingetroffen war: Elisabeth von Platen. Mit scheinbar beiläufigen Bemerkungen über die Beliebtheit Sophie Dorotheas, mit bissigen Scherzen über die Auftritte der Prinzessin bei Maskenbällen und Festmählern schürte sie Georg Ludwigs Argwohn.

Die von galanter Höflichkeit überzuckerte Feindseligkeit gegen die Schwiegertochter des herzoglichen Liebhabers entsprang gärendem Hass. Denn mehr noch als in Hannover litt die mächtige Mätresse hier in Venedig unter dem Gefühl, im Schatten von Sophie Dorothea zu stehen. Selbst nach dem Eintreffen seines Sohnes hofierte Ernst August ja weiter seine Schwiegertochter. Nein, das wollte sie sich nicht bieten lassen!

Und so begann sie, Georg Ludwig Gerüchte über Affären seiner Frau zuzuflüstern – alles im Tonfall der wohlmeinenden älteren Freundin, die dieses Gerede selbstverständlich für haltlos hielt, für völlig haltlos. Aber die Giftpfeile wirkten. Georg Ludwig beobachtete den Lebenswandel seiner Frau mit wachsendem Misstrauen. Besonders wütend stimmte ihn ein Abendempfang, den der Doge Marcantonio Giustinian in seinem Palazzo aus Anlass einer siegreichen Schlacht gegen die Türken auf dem Pelepones veranstaltete.

Eigentlich hätte es ein schöner Abend werden können. Der Glanz der Abendsonne vergoldete die Stadt, Frühlingswinde wehten von der Adria über die Piazza. Und die Musikanten des Dogen taten das ihre, um die Gäste mit ihren Weisen zu verzaubern.

Doch bald schon ärgerte es Georg Ludwig, wie übertrieben herzlich seine Frau diesen albernen Franzosen begrüßte. Hätte es nicht gereicht, dem Lackaffen die Hand zu geben? Musste Sophie Dorothea sich von dem Kerl mit der bläulich schimmernde Perücke auch noch einen Wangenkuss aufdrücken lassen? Was sollte diese Komödie!

Seine Frau indessen schien nichts dabei zu finden. Völlig unbefangen wandte sie sich ihrem Mann zu.

»Georg Ludwig, das ist Marquis Armand de Lassay, ein guter Freund.«

»Sehr erfreut.«

Aber natürlich war er gar nicht erfreut, die Bekanntschaft dieses Kavaliers zu machen. Marquis de Lassay? Hatte die Platen nicht schon einmal diesen Namen erwähnt? Natürlich! Das war doch der Edelmann, dem eine Tändelei mit seiner Frau nachgesagt wurde. Ungeheuerlich! Wie konnte sie es wagen, ihm mit diesem Komödianten mit den so lächerlich spitz zulaufenden Schnallenschuhen unter die Augen zu treten! Und sie machte sich nicht mal die Mühe, ihre Liaison zu verbergen. In seinem Beisein turtelte sie mit dem Marquis herum, scherzte und kicherte mit ihm, dass ihm das Blut stockte vor Empörung. Unerhört!

»Eine reizende Frau.« Georg Ludwig fuhr verstört auf, als ein ihm unbekannter Gast mit einer galanten Drehung des Handgelenks auf Sophie Dorothea zeigte. »Wirklich, eine überaus reizende Gemahlin, man kann Euch nur gratulieren.«

»Tausend Dank.«

Er nickte. Reizend, wirklich sehr reizend, durchfuhr es ihn.

»Eure Gemahlin scheint sich zu amüsieren«, fuhr der Mann fort. »Ihr solltet Euch ein Beispiel daran nehmen.«

Georg Ludwig konnte nur mit Mühe an sich halten. Am liebsten hätte er den Raum verlassen.

»Ich amüsiere mich prächtig«, murmelte er. »Ein wunderbarer Abend, nicht wahr?«

»Wirklich, bezaubernd.«

Er meinte, ein unterdrücktes Lachen bei dem Grafen zu beobachten. Machte man sich etwa schon lustig über ihn? War es schon soweit?

In der Nacht zog Nebel auf. Der graue Dunst umhüllte die Laternen auf den Brücken und Gassen, schluckte das Licht der Paläste. Der Gondoliere stieß sein Boot von der Ufertreppe des Palazzo ab, so dass die Gondel mit dem Prinzenpaar und ihrem kleinen Gefolge lautlos im Nichts versank. Sophie Dorothea stand mit Eleonore an der einen, Georg Ludwig mit seinem Pagen an der anderen Seite des schwankenden Gefährts. Die beiden sprachen während der Fahrt kein Wort, tauchten ab in den Nebel, der ihr Schweigen umhüllte und ihre Gestalt den Blicken des anderen entzog. Gern hätte sich Sophie Dorothea wie früher nach den Abendgesellschaften bei ihrem Schwiegervater angelehnt. Doch der war mit seiner Gräfin in ein anderes Boot gestiegen.

 

Die Gondolieri riefen sich geheimnisvolle Botschaften zu, um sich in dem Nebel zu orientieren und Zusammenstöße zu vermeiden. Gespenstisch hallte das Echo des schwermütigen Singsangs durch die versunkene Stadt.

Georg Ludwig atmete auf, als die Gondel endlich am Kai des Ca’ Foscari anlegte. Er beschloss in dieser Nacht, Venedig so schnell wie möglich zu verlassen.

Noch einsilbiger, noch frostiger trat er in den nächsten Tagen seiner Frau gegenüber. Sophie Dorothea fragte ihn ängstlich nach dem Grund seiner schlechten Laune. Doch er beteuerte, dass es ihm gut gehe und hüllte sich weiter in eisiges Schweigen.

Ein Ereignis riss ihn jedoch heraus aus seiner Teilnahmslosigkeit, ein Erlebnis, das ihn zeitlebens beschäftigen sollte. Als er mit seinem Pagen über den Markusplatz schlenderte, fiel sein Blick auf die alten Weiber, die dort auf Tischen hockten und sich anboten, den Flanierenden die Zukunft vorherzusagen. Obwohl er darüber zu scherzen pflegte, hatten ihn Wahrsagerinnen immer schon angezogen. Verstohlen, aber gleichwohl fasziniert sah er, wie die alten Frauen geheimnisvolle Kugeln anstarrten oder über Sternbilder grübelten, um dann ihre Erkenntnisse mitzuteilen. Sie flüsterten sie in ein Eisenrohr, das sich die Kunden ans Ohr halten mussten.

Wenn Georg Ludwig mit Sophie Dorothea hier gewesen war, hatte er es nicht gewagt, sich auf diese Gaukelei einzulassen. Doch nun war niemand in seiner Nähe, der ihn auslachen würde, und vor seinem Pagen musste er sich nicht schämen.

Kaum hatte er eine der Wahrsagerinnen ins Visier genommen, winkte sie ihn auch schon zu sich. Tiefe Furchen zerklüfteten das braungebrannte Gesicht, auch die schlohweißen Haare deuteten auf ein hohes Alter. Doch in den Augen leuchtete ein wildes Feuer. Georg Ludwig konnte sich diesem Blick nicht entziehen und ließ sich willenlos zu dem Stuhl dirigieren, der vor dem Tisch der Alten stand. »Bitte setzen, mein Herr.«

Zu seiner Überraschung sprach die Frau französisch, so dass er keine Probleme hatte, sie zu verstehen.

»Mein Herr«, raunte sie, »ich spüre, dass eine große Zukunft vor Euch liegt, ich spüre es in meinem Blut.«

Und dann hielt sie ihm ihr Eisenrohr hin und forderte ihn auf, es sich ans Ohr zu legen.

»Wann geboren?«, fragte sie. »Ihr müsst mir den Tag Eurer Geburt nennen.«

»Ich, äh, bin am 28. März 1660 geboren«, sagte Georg Ludwig. Genauso gehorsam beantwortete er auch die übrigen Fragen, die ihm das Weib stellte – nach seiner Herkunft, seiner Ausbildung und Tätigkeit, seiner Familie.

Bisweilen nickte die Frau oder sagte in ernstem Ton: »Ich sehe.« Schließlich forderte sie Georg Ludwig auf, ihr seine rechte Hand zu reichen. Sie fuhr seine Handlinien nach und murmelte Unverständliches.

Bevor sie mit der Auswertung begann, verlangte sie ihren Lohn: »Drei Dukaten, der Herr.«

Georg Ludwig zahlte ungeduldig. Was ihn störte, war, dass sich ein Pulk von Neugierigen um ihn gebildet hatte – Gaffer, die der Zeremonie mit abschätzigem Grinsen folgten und Witze rissen. Doch die Wahrsagerin nutzte den werbewirksamen Auflauf und nahm sich Zeit. »Geduld, ich muss den Himmel und die Sterne befragen«, raunte sie, bevor sie in ihre Glaskugel sah und etwas mit einem Gänsekiel auf ein Papier schrieb.

Schließlich bedeutete sie ihrem Gegenüber, das Eisenrohr noch einmal an sein Ohr zu legen. »Ich habe mich nicht getäuscht, mein Herr«, begann sie. »Eine große Zukunft liegt vor Euch. Ihr werdet eine Krone tragen und ein Weltreich regieren. Eure Soldaten werden Siege erringen, Eure Schiffe werden über die Weltmeere segeln. Ihr werdet in Palästen wohnen, die noch kein Auge gesehen hat …«

Gebannt hörte Georg Ludwig zu. Er schloss die Augen, als wollte er die Großartigkeit der Prophezeiung vor der Banalität dieses schäbigen Ortes bewahren. Doch plötzlich erhob die Wahrsagerin ihre Stimme. »Euer Leben wird sein Glanz und Gloria. Aber achtet das Leben Eurer Gemahlin. Wenn die Gemahlin stirbt, dann neigt sich auch Euer Leben dem Ende zu – kein Jahr wird Euch danach mehr vergönnt sein, kein Jahr.«

Er erschrak.

»Gehet nun hin in Frieden«, fuhr die Wahrsagerin fort. »Der Allmächtige leite Eure Schritte.«

Verstört gab er der Alten das Eisenrohr zurück. Er erhob sich, als erwache er aus einem Traum und forderte seinen Pagen auf, ihm den Weg durch die Gaffer zu bahnen.

Er bereute es, auf den faulen Zauber hereingefallen zu sein. Gleichwohl begann die Prophezeiung, Besitz von ihm zu ergreifen. Er genoss die Aussicht auf seine großartige Zukunft. Was ihn störte, war die Rolle, die seine Frau in seinem Leben spielen sollte. Nein, Sophie Dorothea war ihm durch die Wahrsagerin nicht näher gekommen. Im Gegenteil. Jetzt war sie ihm fast unheimlich. »Kein Jahr wird Euch nach ihrem Tod mehr vergönnt sein, kein Jahr« – die Worte ließen ihn nicht los.

Statt das Bett mit Sophie Dorothea zu teilen, suchte er nun wie sein Vater in den Nächten Kurtisanen auf. Und als Fürst Ernst August mit der Gräfin von Platen und Sophie Dorothea zu einer Kurzreise nach Rom aufbrach, kehrte er zurück zu seinen Truppen in Ungarn.

Selbstverständlich sorgte die Mätresse des Herzogs nach der Heimkehr in Hannover dafür, die Kunde von der Verstimmung unter den Eheleuten am Hof zu verbreiten. Und Marquis de Lassay war so stolz auf die ihm angedichtete Affäre, dass er den Gerüchten bereitwillig Nahrung gab.

Das Gerede rückte Sophie Dorothea in ein schiefes Licht. Ihr Schwiegervater nahm sie in Schutz, führte die Unbekümmertheit ihrer Jugend ins Feld, mühte sich, ihre Tändelei als harmlos darzustellen. Aber er kam gegen seine einflussreiche Mätresse nicht an.

Später sollten Sophie Dorotheas Widersacher in der venezianischen Affäre das Vorspiel zu jener Ehetragödie erblicken, die sich einige Jahre danach ereignete. Wieder war es Liselotte von der Pfalz, die Nichte der Fürstin, die sich im Chor der Lästerzungen hervortat. »Wäre sie nur allzeit von vielen Mannsleuten umgeben gewesen, hätte sie nichts Böses tun können. Aber nur einen allein zu sehen, ist gefährlich, wie es sich ausgewiesen hat«, kommentierte sie in einem Brief an die hannoversche Tante. »Mich deucht, sie war zu jung, allein zu reisen, man hätte besser daran getan, sie bei Euer Liebden zu lassen, als sie nach Venedig zu führen.« In einem anderen Brief stichelte sie: »Ich kann nicht begreifen, wie oncle (Ernst August) sie nicht gleich nach der italienischen Reise hat einsperren lassen, denn sie hat es ja damals schon verdient.«

Zurück an die Leine

Ein Liebesbrief stürzte Sophie Dorothea zu Beginn des Jahres 1687 zusätzlich in Verwirrung. Friedrich August, ihr ältester Schwager, hatte ihr am Neujahrstag aus Ungarn geschrieben, wo er im Sold des Kaisers gegen die Türken kämpfte. Im Unterschied zu seinem älteren Bruder Georg Ludwig, der die hannoverschen Truppen führte, bekleidete der verstoßene Herzogssohn nur einen niederen Rang. Doch er tat vor der Schwägerin, als sei er Alexander der Große. »Glaube mir, ich werde Dir eine Welt erobern, ich werde Dir den Orient zu Füßen legen«, schrieb er. »Du begleitest mich in all meinen Gedanken.«

Doch er verhehlte der Angebeteten auch nicht seine Enttäuschung über deren beharrliches Schweigen. Und er spöttelte über seinen Bruder Georg Ludwig, der an der Seite seiner Gemahlin das süße Leben Venedigs genossen habe, während er selbst in Ungarn die Nöte des Frontsoldaten auszustehen hatte. Sophie Dorothea spürte die Eifersucht sehr wohl.

»Was mach ich nur?«, fragte sie ihre Vertraute.

»Am besten gar nichts«, antwortete Eleonore. »Ihr wisst, was der Herzog über Friedrich August denkt. Ihr bringt euch nur in Gefahr, wenn Ihr Euch zwischen Vater und Sohn stellt. Zerreißt den Brief, verbrennt ihn, dass ihn niemand lesen kann. Aber seid nicht so dumm, ihn zu beantworten.«

Eleonore wusste, dass der alte Fürst sich in Venedig über seinen zweitältesten Sohn geärgert hatte, der immer noch nicht bereit war, seine Erbschaftsentscheidung anzuerkennen. Als Friedrich August angeblich ausstehende »Alimentationsgelder« von seinem Vater angemahnt hatte, war ihm durch Minister Grote geantwortet worden, dass der Herzog unter keinen Umständen bereit sei, seinem »widerspenstigen und ungehorsamen Sohn« auch nur den geringsten »Vorschuss« zu gewähren, so lange der nicht zur Vernunft komme.

Sophie Dorothea entschied sich, ihrem Schwager in höflichen Worten zu antworten. Sie bedankte sich für die freundlichen Zeilen, versicherte ihm ihre Zuneigung, erwähnte aber gleichzeitig ihre ehelichen Pflichten und empfahl dem Schwager dringend, sich mit seinem Vater auszusöhnen.

Doch dazu kam es nicht mehr. Am letzten Tag des Jahres 1690 fiel Friedrich August bei einer Schlacht in Siebenbürgen – ein knappes Jahr nachdem sein erst 20 Jahre alter Bruder Karl Philipp auf dem Amselfeld nahe der serbischen Stadt Pristina von Säbelhieben durchbohrt worden war.

Der Tod der beiden Söhne stürzte die hannoversche Herzogin in tiefe Trauer und entfachte aufs Neue ihre Empörung über die Unnachgiebigkeit ihres Mannes in der Erbschaftsfrage. Und sie machte in Gesprächen mit ihrer Schwiegertochter kein Hehl aus ihrer Verbitterung. Sophie Dorothea sah sich auch von dieser Seite unter Druck, und ihre Zuneigung zu ihrem Schwiegervater geriet ins Wanken. Sie war hin- und hergerissen, wusste nicht mehr, an wen sie sich noch halten sollte im Leineschloss. Ihr Mann trat ihr seit der Zeit in Venedig nur noch mit Verachtung gegenüber und verbarg seinen Hass auch nach außen hin nicht. Er vernachlässigte seine Frau immer mehr. Wenn er nicht im Krieg, beim Hirschtreiben oder der Rebhuhnjagd war, ging er jetzt wieder zu den leichten Damen ins »Monplaisir«. Nur Mehmet, der türkische Page, den er einst aus dem Krieg mitgebracht hatte, leistete Sophie Dorothea noch Gesellschaft. Ehrerbietig fächelte der kleine Mann ihr an stickigen Sommertagen frische Luft zu.

Auch die Geburt des zweiten Kindes am 26. März 1687 trug nicht dazu bei, die Ehe zu kitten. Herzogin Sophie übernahm die Oberhoheit über die Versorgung des kleinen Mädchens, das auf den Namen seiner Mutter Sophie Dorothea getauft wurde. Sie bestellte Ammen, Gouvernanten und Erzieher und erörterte mit ihrer Oberhofmeisterin Anna Katharina von Harling alle Fragen einer standesgemäßen Kinderbetreuung – von der Wiegendecke mit Spitzen aus Brabant bis zu »artigem Spielzeug« aus Holland und Venedig. Sophie Dorothea musste froh sein, wenn sie ihren Kindern einen Gutenachtkuss geben durfte. Nicht einmal ihre eigenen Kinder erfüllten so ihr Leben mit Wärme und Zärtlichkeit.

An manchen Tagen war sie so verzweifelt, dass sie ihre Schwiegermutter bat, zu ihren Eltern nach Celle zurückkehren zu dürfen. Aber das war aus Sicht der Fürstin natürlich völlig undenkbar. Die Etikette musste gewahrt bleiben, das Ansehen des Hauses Hannover war höher zu bewerten als die Kapriolen des Herzens. Eine Ehe war schließlich kein Hort der Liebe und Treue – das wusste die Fürstin aus eigener Erfahrung.

Doch das Maß an Kränkungen war noch nicht voll. Eine neue Mätresse an der Seite ihres Mannes fügte Sophie Dorothea weitere Demütigungen zu. Wieder nahm die Affäre ihren Ausgang in »Monplaisir«, wieder hatte die Platen ihre Finger im Spiel. Nachdem ihre Schwester Maria den Erbprinzen nicht mehr sehen durfte, hatte sie Georg Ludwig mit einer anderen Dame von Stand bekannt gemacht: Ehrengard Melusine von der Schulenburg. Durch Vermittlung der Platen wurde die Tochter eines altmärkischen Adelsgeschlechts Hofdame bei Fürstin Sophie und kreuzte demzufolge ständig die Wege Georg Ludwigs. Und der Funke sprang über. Der Prinz verliebte sich in Melusine, die sieben Jahre jünger war als er.

Der Kontrast zu Sophie Dorothea hätte größer nicht sein können. War seine Gemahlin klein und rundlich, braunäugig und brünett, so war seine Geliebte blond und blauäugig, groß und dünn; deutlich größer als Georg Ludwig selbst, so dass seine Mutter, verärgert über die Komplikationen dieser Affäre, Melusine als malkin (Hopfenstange) bezeichnete – oder schlicht als Vogelscheuche. Auch vom Wesen her war Melusine das Gegenteil von Sophie Dorothea: nachgiebig und geduldig. Und diese Eigenschaften kamen Georg Ludwig sehr entgegen. So machte er sich bald gar nicht mehr die Mühe, seine Liebesaffäre geheim zu halten. Obwohl er kein guter Tänzer war, ließ er sich jetzt plötzlich bei Maskenbällen von der »Hopfenstange« zur Gavotte verleiten, während er seine Frau keines Blickes würdigte.

 

Sophie Dorothea litt unter der Zurücksetzung.

Unterdessen lenkten irritierende Nachrichten den Blick auf England. Mit ganz besonderem Interesse verfolgte Herzogin Sophie, was sich dort tat. Denn es waren ja ihre Verwandten, die als Hauptakteure in den englischen Machtkämpfen in Erscheinung traten. Der katholische König Jakob II. war ihr Cousin. Doch die Politik dieses Stuart-Königs fand ihren Beifall nicht. Denn Jakob II. war dabei, das Inselreich einer katholischen Restauration zu unterziehen und sich selbst zum Sonnenkönig zu machen – ganz nach dem Vorbild Ludwigs XIV., bei dem er auch sonst Rückhalt suchte. Diese Bestrebungen stießen auch beim englischen Parlament auf Widerstand. In seltener Eintracht baten daher sieben führende Politiker Englands, darunter auch königstreue Tories, den Statthalter der Niederlande, Wilhelm III. von Oranien, das Land von dem katholischen Potentaten zu befreien. Besonders pikant dabei war, dass der Oranier der Schwiegersohn Jakobs II. war. Doch dessen Gemahlin Maria Stuart wandte sich gegen den eigenen Vater und unterstützte ihren Mann. Ein Verhalten, das die hannoversche Herzogin als Mutter zutiefst missbilligte. Dennoch schmolzen ihre Sympathien für Jakob II. zusammen, zumal der sich immer mehr zum Sittenrichter über seine protestantische Cousine in Hannover erhob. In einem Brief an ihre Tochter Sophie Charlotte, Kurfürstin von Brandenburg, beklagte sich die Herzogin darüber:

»Der König von England (Jakob II.) hat bei Tisch gesagt, mein Bruder und ich hätten keine Religion, und ein anderes Mal sagte er: ›Meine Nichte hat Geist, aber nicht allzu viel Religion.‹ Man kann diesem wackeren Fürsten nur wünschen, dass er nicht so eine lose Zunge hätte. Denn nun wird sie ihn wahrscheinlich um seinen Thron bringen …«

Der Brief datiert vom 7. Oktober 1688. An diesem Tag war Wilhelm III. bereits unterwegs nach England. Am 5. November landete er mit siebzig Kriegsschiffen und einer Armee von 15 000 Mann an der britischen Küste. »Für die protestantische Religion, für ein freies Parlament«, war auf seiner Fahne zu lesen. Jakob II. floh nach Frankreich.

Nach dem Sturz des Katholiken entschied das englische Parlaments, dass nur noch protestantische Abkömmlinge des Hauses Stuart das Recht auf den englischen Thron haben sollten. Die Nachricht belebte einen Traum, über den Sophie bisher kaum zu sprechen gewagt hatte: den Traum von der englischen Krone. Zwar bestand noch kein Grund, sich konkrete Hoffnungen zu machen, doch so abwegig war der Gedanke an die Thronfolge im fernen England nun nicht mehr. Und diese Aussicht tröstete Sophie über manche Enttäuschung in Hannover hinweg und beflügelte sie, den Glanz des fürstlichen Hauses noch ein wenig heller erstrahlen zu lassen. Gleichzeitig mit der Erweiterung des Gartens in Herrenhausen baute sie auch das Leineschloss aus. Am 30. Januar 1689 eröffnete das Fürstenpaar auf dem Schlossgelände ein Opernhaus, das 1300 Besuchern Platz bot. »Der Ort, wo die Oper aufgeführt wird, könnte das ›goldene Haus‹ heißen«, schwärmte Maria Aurora von Königsmarck nach einem Hannover-Besuch. »Die Logen, in denen der Hof sitzt, sind mit goldglänzenden Skulpturen geschmückt und mit reichen Wandbekleidungen aus mit feuerrotem Sammet gestreiftem Goldstoff bedeckt. Das Theater ist von sehr edler Bauart, die Bühne weit, die Perspektive wunderschön.«

Sophie Dorothea, die bald auf den Bruder der begeisterten Opernbesucherin treffen sollte, fand auf diese Weise etwas mehr Zerstreuung in Hannover. Wie alle Gäste der Operneröffnung zeigte sich die Prinzessin begeistert von dem historischen Musikwerk »Enrico Leone«, das Hofkapellmeister Agostino Steffani zur Eröffnung komponiert hatte. Sophie Dorothea gefiel indessen weniger die Geschichte um Heinrich den Löwen als die ausgefeilte Bühnentechnik, die bei der Aufführung zum Einsatz kam.

Auch die Herrenhäuser Gärten wurden um eine Attraktion reicher. Fürstin Sophie ließ ein aus Hecken bestehendes Gartentheater errichten. Dazu wurden Tausende von jungen Hainbuchen und Lindenbäumen in den benachbarten Ämtern ausgegraben und von den Bauern nach Herrenhausen verfrachtet. Sophie Dorothea wusste es sehr zu schätzen, dass die Spaziergänge mit ihrer Schwiegermutter nun gelegentlich unterbrochen wurden durch den Besuch einer italienischen Komödie unter freiem Himmel. Hier in diesem Heckentheater fühlte sie sich zurückversetzt an den Hof ihrer Kindheit. Wenn sie dann mit ihrer Schwiegermutter in heiterer Stimmung zurückschlenderte, erschienen ihr auch die übrigen Attraktionen des Gartens in schönerem Licht: die Buchsbaumarabesken mit den verschiedenfarbigen Kiesflächen, die große Fontäne und die wasserspeienden Meergötter.

Aber leider waren solche Glücksmomente schnell verflogen, wenn sie auf ihr Zimmer zurückkehrte. Dann beschlich sie wieder dieses lähmende Gefühl der Wertlosigkeit – missachtet und gedemütigt von einem Mann, der sich ungeniert in aller Öffentlichkeit mit einer anderen Frau amüsierte.

Doch das sollte sich bald ändern. Denn nun trat ein Mann in ihr Leben, der ihr half, die Seitensprünge des Angetrauten mit Gleichmut zu betrachten.