Die Königin von Zypern

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Die Königin von Zypern
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Die Königin von Zypern

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5  V

I

»Der erste Schleier ist gefallen!«

Die Silentiare, die dies riefen, standen bewegungslos in ihren steifen roten Gewändern, die rechte Hand auf dem goldnen Knopf ihres glatten Ebenholzstabes, am Fuß der für die Krönungsfeier errichteten Freitreppe.

Von Fürsten angelegt, die der Liebe ihrer neuen Untertanen nicht sicher waren, lag der Palast in kastellartiger Kahlheit an der östlichen Seite des ungeheuern Dreiecks, das der Platz bildete. Der nackte Marmor glänzte im harten Licht so grell, daß dem Auge nur wie ein bunter Streif verschwimmender Farben die Galerie erschien, die allein mit ihren Mosaikbögen und gedrungenen Säulen den oberen Teil der Mauer durchbrach. Darunter, in halber Höhe der Front, verbarg sich die große königliche Loggia. Die dicke Silberstickerei eines Vorhangs fiel über sie herab und legte sich auf die höchsten Stufen der improvisierten Porphyrtreppe.

Schon am Abend würde man diese Treppe wieder abbrechen, und die Königswohnung würde wieder keinen andern Zulaß gewähren als hinter dem Säulengange, der vom nördlichen Schenkel des dreieckigen Platzes in die Stadt führte, jenes kunstvolle Bronzetor, das die Höfe des Schlosses bewachte. Gegenüber war der südlichen Spitze des Dreiecks ein Qual vorgelagert, ähnlich der Piazzetta zu Venedig. Der kleine Hafen wurde links von der Terrasse des Palastes begrenzt, die inmitten der leuchtenden Blütenfarben unzugänglicher Gärten steil abfiel und über die zyklopische Mauer mit ihren beiden runden Türmen auf das Meer hinaussah; rechts von der großen Kirche des Archistrategen Michael.

Die Front der Kirche, von fünf mit vergoldeter Bronze bedeckten Kuppeln überragt, war mit abwechselnden Schichten roten und gelben Marmors verkleidet, und überall, an den Fensterbögen und in der tiefen Höhlung des Portals, an dem dreibälkigen Frontispiz des niedrigen Vorbaus und an den vier Schneckensäulen, die ihn trugen, prunkte das Gold und Blau und das scheinende Rot der Glasmosaiken. Zwischen Palast und Kirche, zwischen den wogenden Häuptern des Volkes und den mit bunten bestickten Teppichen behängten Tribünen der Bevorzugten hindurch, leuchtete drüben das Goldblau des Meeres. Saphirklar war der Himmel, in den die Wimpel der Schiffe hineinflatterten.

Dem hallenden Ruf der Silentiare war sekundenlange Stille gefolgt. Statt des vorigen Lärmens und Geschreis ging nur ein Raunen wie ein gleichmäßiger Lufthauch über den Platz, das die Kunde verbreitete: Der erste der sieben Schleier ist gefallen von dem Mysterium der Königin, auf die sich der Geist senkt, deren Haupt ein Tropfen Öl vom Himmel netzt und die in dieser Stunde zur heiligen Herrin wird.

Im nächsten Augenblick wurden alle, so viele Tausende ihrer da waren, von einer schrillen Stimme ergriffen. Woher kam sie? Man drängte sich um einen schmächtigen Mann in zerlumpter Kutte. Unter seiner kahlen Stirn sprang eine große Adlernase vor. Die tiefumschatteten Augen waren fest geschlossen. Er hielt die Arme steif vorgestreckt, und sein kleiner bleicher Kopf wiegte sich leise hin und her. Bald hatten alle erfahren, daß es ein Heiliger sei, und seine in der Verzückung geschrienen Worte gingen von Mund zu Mund:

»Ich sehe die Allerheiligste, und die Königin sitzt ihr zur Seite, nur eine Stufe niedriger als die Jungfrau. Drei Finger von der rechten Hand der himmlischen Maria ruhen auf dem Haupte der irdischen, und die Lippen der Gottesmutter verheißen Ruhm und Glück. O das Sternenkleid des Engels, der den Saum der Königin küßt!«

Ein beleibter Kaufmann, der in Italien mit gewirkten Stoffen und mit Gewürzen gehandelt hatte und die Kleidung des Westens, ein kurzes Wams, pelzverbrämte Ärmel und eine rote Kappe, trug, unterrichtete seinen Nachbar, einen langbärtigen Orientalen in schwarzseidenem Gewand und spitzer Mütze:

»Der Mann ist einer von jenen verehrungswürdigen Hesychazonten, die durch dauernde Übung zu einem Zustande gelangen, in dem nichts Irdisches oder Weltliches mehr sie zu stören vermag. Ja, sie bringen es endlich bis zum geistigen Schauen des göttlichen Lichtes.«

»Und woher kommt der Mann?« fragte der Asiate.

Der Kaufmann erklärte:

»Er bewohnt eine Höhle auf Trachias, dem Olymp von Zypern. Vielleicht ist er ein Schüler und Nachfahre jener dreihundert fränkischen Heiligen, lauter Edelleute und Barone aus Flamland, Frankreich und Deutschland, die einstmals, da sie das Heilige Land mit ihren Herren nicht wiederzugewinnen vermochten, sich von Syrien her in mehrere Dörfer dieser Insel zurückzogen, um hier ein einsames und überaus heiliges Leben zu führen. Ihr Andenken ist unter uns gesegnet.«

Ein alter Mann in griechischer Tunik und mit rotwollener phrygischer Mütze, der die letzten Worte gehört hatte, trat herzu und sagte mürrisch:

»Gott verhüte, daß ich seine Heiligen lästere. Aber nicht alle sehen, wie jener Verzückte, nur Gutes voraus für die Königin Maria, die der Himmel segnen möge. Die Tochter meiner Nachbarin, ein zartes und reines Mädchen …«

Der Alte wandte sich um, da er eine warnende Hand auf seiner Schulter fühlte. Ein Gepanzerter, der hinter ihm stand, sagte:

»Hüte dich, Alter, gefährliche Prophezeiungen zu wiederholen! Du weißt wohl nicht, daß erst kürzlich der große Kaiser Michael in Konstantinopel einen Menschen blenden ließ, der sich vermaß, ihm den Ort seines Todes vorherzusagen. Wer bist denn du, um jenem nachzuahmen?«

»Unsere Königin ist gnädig«, murmelte der alte Mann scheu und verdrossen. Mit einem Blick auf den großen roten Bart des Kriegsmannes setzte er hinzu:

»Ich bin Skleros, ein ehrlicher Fischer, und habe nie etwas gestohlen.«

»Das gehört dem Franken!« flüsterten ein paar Weiber unter den Umstehenden, und hämische Blicke trafen den fremden Söldner der fremden Usurpatoren. Einige junge Leute, die ferner standen, begannen zu rufen:

»Tod den räuberischen Franken! Gott wird sie schlagen.«

Der Rotbärtige zuckte die Achseln und ging, in seiner Rüstung klirrend, langsam weiter durch die zurückweichende Menge.

Der beginnende Tumult wurde jäh gebändigt durch die dröhnenden Stimmen der Herolde:

»Der zweite Schleier ist gefallen!«

· · ·

»Wie lange mögen wir nach Eurer Exzellenz Erachten das Erscheinen der Königin noch zu erwarten haben?« fragte der kastilianische Gesandte Don Ruy Gonzalez de Clavijo.

Messer Marco Contarini, Proveditor der Republik Venedig, entgegnete:

»Zwei Stunden lang mindestens, falls nicht die leider verspätete Ankunft des Legaten Seiner Heiligkeit Eure Exzellenz nötigen wird, noch länger den geschlossenen Vorhang zu betrachten.«

Die den Abgesandten der fremden Fürsten vorbehaltene große Tribüne befand sich der königlichen Loggia schräg gegenüber, nahe der Piazzetta.

Don Ruy fragte wieder:

»Und Eure Exzellenz glaubt, daß die außerordentliche Gesandtschaft des Kardinals von Todi wirklich dem Zwecke gilt, wovon man flüstert?«

»Es ist ja nicht unmöglich«, sagte leichthin der Venetianer. »Aber andererseits wird Eure Exzellenz es mit mir für höchst unwahrscheinlich halten, daß Karl von Apulien je die Absicht gehegt haben sollte, das mächtige Byzantinische Reich – denn es ist heute stärker als je …«

»Nur die gewaltige Kraft des Kaisers Michael hält die Fetzen zusammen, an denen die ungläubigen Gottesfeinde zerren«, wendete der Kastilianer mit harter Betonung ein.

»Dennoch«, fuhr Messer Marco fort, »wird Eure Exzellenz dem König Karl nicht zutrauen, daß er mit abenteuerlicher Kühnheit und ohne Bundesgenossen einen Handstreich auf Konstantinopel versuche.«

»Ohne Bundesgenossen?« sagte ganz langsam Don Ruy, während er seinen Nachbar von der Seite prüfend betrachtete.

Der Venetianer sah mit hellen wimperlosen Augen gleichmütig auf die Menge hinab. Seine spärlichen Haare fielen, unter der roten knapp anliegenden Haube hervor, glatt in die enge gewölbte Stirn. Seine große Nase war ebenso fleischig wie der Mund schmal und faltig. Er hatte knochige Wangen und ein hartes, nach unten umgebogenes Kinn. In dem weiten schwarzen Mantel stand die hagere Gestalt Messer Marcos ruhig und unbekümmert, wie zum Spähen ein wenig über die Balustrade gebeugt. Die Zwischenbemerkung des andern überhörte er und versetzte nach einem Augenblick des Sinnens mit zuversichtlicher Stimme:

»Wie es im übrigen um jenen übermütigen Jüngling stehen mag, so weiß ich doch, daß unser Herr, der Papst, eine überflüssige Arbeit verrichtet, indem er den Eroberer abzuschrecken und seinen künftigen Bundesgenossen, den griechischen Kaiser, zu verpflichten sucht. Denn sollte der Apulier auch nur mit der Ausrüstung seiner Schiffe fertig werden, so werden doch die Hilferufe Michaels an die christlichen Fürsten und besonders an den römischen Kaiser nicht verhallen. Cäsar wird ebenso bereit zur Unterstützung des Bruderreiches sein wie die Durchlauchtigste Republik von Venedig es immer gewesen ist. – Aber betrachte Eure Exzellenz«, so unterbrach sich der Redende, »doch dort den Abgesandten Seiner Majestät von Frankreich. Dieser graubärtige Troubadour wird immer derselbe bleiben!«

Don Ruy wandte sich nach der bezeichneten Seite und sagte:

»Der Konnetabel drückt eine Rose an die Lippen und macht Zeichen nach der Tribüne, drüben vor den Kolonnaden und nicht weit vom bronzenen Tor.«

 

»Seine ewigen galanten Intrigen lassen ihn unempfindlich für alle Sorgen, die uns beunruhigen. Der Glückliche!« bemerkte der Venetianer.

Gleich darauf sahen die beiden Gesandten den Konnetabel von Frankreich die Tribüne verlassen: Nachdem er seinem zahlreichen Gefolge zugewinkt hatte, ihn nicht zu begleiten, schritt er lebhaft, den linken Arm auf der Hüfte, über die Lavaquadern des Platzes. Bald hatte er sich in der Menge verloren. Eben ertönte der Heroldsruf:

»Der dritte Schleier ist gefallen!«

· · ·

Während die hierdurch in den Volksmassen bewirkte Stille noch anhielt, erscholl im Rücken der beiden Gesandten eine dröhnende Stimme. Sie gingen sogleich dem fröhlichen gelbbärtigen Riesen entgegen, der, aus einer waffenklirrenden Umgebung hervor, auf sie zukam.

»Ich grüße Eure Exzellenzen«, rief der Deutsche, »und wünsche, daß Ihr gerade so zufrieden sein mögt wie ich mit dem Aufenthalt an diesem angenehmen Orte, wohin mich die Gnade römischer Majestät gesandt hat. Welch ein Wein ist das, den sie uns hier zu trinken geben!«

Der Venetianer lächelte verbindlich und erwiderte:

»Ebensowohl wie auf den Wein aber versteht sich Eure Exzellenz sichtlich auch auf die gewirkten, bilderreichen Stoffe. Nach so kürzlicher Ankunft tragt Ihr bereits einen so köstlichen, wie man ihn nur auf Zypern und kaum in Byzanz herzustellen vermag.«

Mit einem Ruck seiner gewaltigen Schultern suchte der Gesandte des Kaisers des Westens der steifen, mit gewirktem Gold völlig bedeckten Seide des Mantels, den er über seiner Rüstung trug, einen gefälligen Faltenwurf zu geben. Er bemerkte lachend:

»Das Zeug ist schwerer als ein eisernes Kleid.«

Don Ruy Gonzalez neigte sich mit Kennermiene über den Stoff.

»Es sind abwechselnd Greifen und Basilisken darauf gebildet«, sagte er, »und der breite Saum zeigt das Wunderbarste, was diese Kunst je gefertigt hat; es ist die entschlafende Allerheiligste Jungfrau. Ein Engel hat ihr angezeigt, daß ihr Ende nahe. Nun liegt sie inmitten der versammelten Apostel, Sankt Peter zu Häupten, Sankt Johannes zu Füßen des Lagers, und alle feiern das Lob Mariens. Es ist der hier dargestellte Augenblick, als ein Donnerschlag das Haus erschüttert und ein himmlischer Duft das Gemach erfüllt. Alle, außer den Aposteln und den drei Jungfrauen, die die Lampen halten, verfallen in tiefen Schlaf. Da erscheint Christus mit den Scharen der Engel, der Versammlung der Patriarchen, der Legion der Märtyrer, dem Heer der Bekenner und den Chören der Jungfrauen. Alle ordnen sich um das Bett Marias und psalmodieren süße Gesänge. Welch ein Gegenstand, und gewiß, dies Kunstwerk ist des Ereignisses wert, das es feiert! Eure Exzellenz besitzt eine große Kennerschaft!«

Während Messer Marco in gleichgültiger Haltung, den suchenden Blick drunten auf dem Platze, dabeistand, hatte der Deutsche den feurigen Vortrag des Kastilianers mit tiefem Ernst angehört. Zum Schluß lachte er gutmütig auf und sagte:

»Die Kennerschaft, die Eure Exzellenz meint, ist mir leicht gemacht worden, denn kaum ausgeschifft, war ich von Kaufleuten umringt, die mir dies und jenes anboten. Ich kaufte Stoffe mit heiligen Bildern aller Art, auch mit Pfauen und Adlern, Elefanten und Tigern und andern persischen und indischen Tieren, die ich seltsam anzuschauen fand. Als ich gestern das alles auf ein nach Italien segelndes Schiff laden lassen wollte, erfuhr ich, daß die Ausfuhr solcher Kostbarkeiten verboten ist.«

»Die Fürsten von Zypern«, so bestätigte Don Ruy, »wachen ebenso eifersüchtig über den Schätzen ihrer Stoffabriken wie die von Byzanz.«

Der Deutsche lachte:

»Ei verflucht, und mich haben sie um reichlich tausend Zechinen geprellt! – Aber nun betrachte Eure Exzellenz gefälligst jene Pyramide, die sich bis zu ungeheurer Höhe zuspitzt.«

Er wies über die Kolonnaden hinweg, die im Norden den Platz abschlossen.

»Es sind, wie mir deucht, allerlei verworrene Bilder darin eingegraben. Aber ein Ritter dieses Landes, den ich danach fragte, wollte mir nicht Bescheid geben.«

»Man spricht nicht gern davon«, erwiderte der Kastilianer. »Es sollen dunkle Weissagungen sein von langem und vielem Unglück dieses Reiches.«

»Und auf dem Gipfel des hohen Steines meine ich immer etwas sich regen zu sehen. Aber es kann wohl nur ein Spuk sein?«

»Eure Exzellenz hat gewiß recht.«

Der Proveditor, der mit halbem Ohr hingehört hatte, mischte sich ein.

»Es ist ein Stylit«, sagte er »der dort oben seine Hütte errichtet hat.«

Die fragende Miene des kaiserlichen Gesandten veranlaßte ihn hinzuzusetzen:

»Eure Exzellenz wird in diesen Gegenden zuweilen solche Mönche antreffen, die für ihr und unser Seelenheil auf hohen Säulen ihr Leben im Gebet verbringen.«

»Und wie leben sie?«

»Fromme Christen winden ihnen an Seilen hinauf, was sie brauchen.«

»Sie müssen besonders verehrungswürdig sein. Ich will für diesen da Sorge tragen.«

Während der Venetianer und der Kaiserliche die Unterhaltung fortsetzten, entfernte sich Don Ruy unauffällig, um dem Gesandten des Königs von Frankreich entgegenzugehen, der ihm winkte. Er war plötzlich aus der Menge aufgetaucht und bestieg die Tribüne. Im ersten Stockwerk trafen beide zusammen; der Konnetabel nahm den Arm des Kastilianers und führte ihn mitten in eine Gesellschaft unbekannter Gäste hinein. Man sah dort die Abgesandten des Archonten von Bulgarien, des Krals von Serbien, russischer, skythischer und anderer asiatischer Stammesfürsten; ja Persien und Indien hatten ihre Vertreter. Alle diese Leute traten inmitten ihres unzähligen Gefolges mit barbarischem Prunk auf. Sie standen schweigend, ins Warten ergeben. Sie verstanden sich untereinander nicht, und keiner kannte irgendeine europäische Sprache.

Hier neigte sich der Franzose an Don Ruys Ohr und sagte:

»Nun will ich Eurer Exzellenz, falls es mir gestattet, mein galantes Abenteuer erzählen.«

Der Kastilianer erwiderte:

»Ich bin aufs höchste gespannt und verspreche, jeder Dame, der Eure Exzellenz dienen mag, die schuldige Ehrfurcht zu erweisen.«

»Die Dame, die ich meine, war mit einer Kutte bekleidet.«

Auf die stumme Frage des andern erklärte der Konnetabel:

»Der Proveditor der Durchlauchtigsten Republik trägt neuerdings eine gar zu frostige und enttäuschte Miene zur Schau. Da dieser Venetianer an Karls Unternehmen so ganz verzweifelte, wettete ich mit mir selbst darauf, daß er die beste Hoffnung hegen müsse, die Schiffe der Republik, und auf ihnen Apuliens tapfere Ritter, noch vor Abend im hiesigen Hafen Anker werfen zu sehen.«

»Wenn der Heilige Vater den Raubzug nicht verhindern konnte, was vermögen dann wir?« fragte Don Ruy mit bitterem Unmut.

»Nichts. Aber ich war neugierig. Darum sandte ich meinen Johann von Burgund aus, einen Wegelagerer und Spion, dem wenige gleichkommen. Eben kehrt er aus der Gegend von Karpassos zurück und gibt mir das Zeichen. Ich finde ihn als reisenden Mönch angetan am bronzenen Tor und dränge ihn sogleich in eine Nische bei der Kapelle des heiligen Chrysostomos. Aus seinem Winkel heraus hat der Schuft mir erzählt, was er erfahren hatte, während ich selbst recht unauffällig mein Gebet vor dem Heiligen verrichtete. Sein Mund ist wunderschön vergoldet. Ich vertraue sonst zwar nur meinem Schutzpatron Sankt Georg, aber halte dafür, daß an Ort und Stelle die Heiligen des Landes wohl mächtig sein müssen.«

»Und was hat Euer Mann Euch berichtet?«

»Er hat sich vom Gebirge bis an den Strand von Karpassos hinabgewagt und einen aus Italien zurückkehrenden Schiffer ausgeforscht. Der hat ihm schlimme Gerüchte erzählt, die er von den Leuten eines venetianischen Hauptmannes haben will. Der Apulier soll dem Papste erklärt haben, daß er den Wunsch Seiner Heiligkeit achte und den geplanten Zug gegen Konstantinopel von Herzen gern unterlassen würde. Indes habe er sich mit den Venetianern zu tief eingelassen. Auch könne er seiner Ritterehre wegen auf die Landung in Zypern nicht verzichten. Das Haus Lusignan herrsche dort zu Unrecht, und er bitte den Heiligen Vater um seinen Segen für das gerechte Rachewerk.«

»Die Gerüchte müssen falsch sein!« rief Don Ruy aus.

»Wenn der Abenteurer Karl den Kopf verloren hat, so wird doch die Republik das Wagnis nicht dermaßen zum Äußersten treiben.«

»Ihr müßt Eure Zweifel fahrenlassen. Mein Johann hat gestern den ganzen Horizont von ihren Segeln bedeckt gesehen.«

»Und so haben wir sie hier zu erwarten?«

»Dann wären sie schon in Sicht. Augenscheinlich hält ihr Admiral Andreas Gritti den Hafen von Karpassos für besser geeignet zur Landung. Die Apulier werden dort ausgeschifft sein. Sie werden erst die Provinzen nehmen und auf dem Landwege weiterrücken. Wer will ihnen widerstehen?«

»Nur Gott kann es!«

»Ihre Reiterei«, sagte der Konnetabel, »wird schon heute abend am Tor stehen, und damit ist das Schicksal der Insel besiegelt. Die Schiffer des Hafens ebenso wie die königlichen Matrosen sind eine aus aller Herren Ländern hergewehte, zu Meuterei und Plünderung geneigte Gesellschaft. Das auf dem Platze eingepferchte Volk ist wehrlos und überdies dem regierenden Hause nicht mehr ergeben, als es jedem neuen Eroberer sein würde.«

»Der neue Herr von Zypern wird der Apulier sein. Aber welches Interesse mag die Republik in den Pakt hineingebracht haben?«

»Nach Zyperns Eroberung durch Karl denkt sie ihn wahrscheinlich in Epirus auszuschiffen. Dort wird er von den Truppen des Kaisers Michael entscheidend geschlagen werden, und Zypern gehört dem Löwen von Sankt Markus allein.«

Der Kastilianer lächelte verächtlich.

»Diese Krämer werden stets nur von der Uneinigkeit der andern leben oder von der Tollkühnheit eines einzelnen …«

»Den sie dann verraten.«

»Sie verraten täglich die Christenheit, sie sind die Freunde der Ungläubigen!« rief Don Ruy mit begeistertem Haß in seinem leidenschaftlich blassen Gesicht.

Während sie dann an ihren früheren Platz zurückkehrten, sagte er zu seinem Begleiter:

»Und die Königin Maria setzt sich heute die Krone auf das Haupt, die ihr schon nicht mehr gehört!«

»Und das Haupt?« fügte der Konnetabel hinzu. »Wer weiß, wie lange es ihr noch gehört?«

»Welch seltsames Fest, das hier begangen wird!«

· · ·

»Der vierte Schleier ist gefallen!« riefen die Silentiare, indes die beiden Freunde sich dem Venetianer näherten, der mit immer unbewegter Miene und lauter zuversichtlicher Stimme dem Gesandten des römischen Kaisers die Sehenswürdigkeiten des Platzes erläuterte. Sie hörten ihn sagen:

»Über Ursprung und Bedeutung jenes großen Bildwerkes wird Eure Exzellenz gar nichts in Erfahrung bringen. Wir wissen nur, daß es vor siebenzig Jahren, als die christlichen Lateiner auf ihrem Zuge ins Heilige Land Konstantinopel erobert hatten, hierher gebracht wurde. So manches andere Werk der byzantinischen Bildnerei ist von den Unsrigen zerstört und eingeschmolzen worden. Unsere Väter waren, ich muß es leider gestehen, in der Kunst noch wenig vorgeschritten.«

»Es ist gar zu erstaunlich«, bemerkte der Deutsche, »und kann kaum mit natürlichen Dingen zugehen, daß dieser gepanzerte Ritter nicht herabfällt. Drei der Hufe seines Rosses sind völlig in der Luft, nur mit dem vierten steht es auf der Hand der sitzenden jugendlichen Frau. Sie hält Roß und Reiter so auf ihrer Hand, wie ein anderer wohl ein Weinglas trüge. Wie geht das zu, und was will es heißen?«

Don Ruy mischte sich ins Gespräch.

»Wenn mich nicht alles trügt, ist die Frau eine Griechin und der Ritter einer der Unsrigen. Nun meine ich, daß dies einen guten Sinn ergibt. Als die lateinischen Christen nach Osten zogen, fanden sie diesen gleichsam als ein geschmücktes lässiges Weib, das der Kraft der Ritter nicht mit Kraft, sondern nur mit Arglist und Täuschung, mit Bestechung und Verrat zu begegnen wußte. Unsere Väter konnten wohl Byzanz zu Falle bringen, aber sind Balduin von Flandern und die andern lateinischen Kaiser je Herren im Reiche gewesen? Der Osten mit seinen Parteiintrigen und seiner Verweichlichung hat den gepanzerten Westen immer so in seiner Hand gehalten wie dort das Weib den Ritter.«

»Eure Exzellenz spricht gut und wahr«, sagte der Deutsche. »Jetzt herrscht wieder der Grieche Michael in Konstantinopel, und uns bleiben nur wenige Inseln.«

»Und Zypern«, so bestätigte auch der Proveditor, »diese Insel, die der wahre Schlüssel zum Orient ist und wie der Magnetberg die mit köstlichen Schätzen beladenen Schiffe an sich zu ziehen bestimmt schien, was haben die Lusignan damit anzufangen gewußt? Sie haben nicht einmal die griechischen Sitten ihrer nächsten Umgebung zu beseitigen verstanden.«

 

Der Konnetabel bemerkte lebhaft:

»Die Königin Maria gleicht ganz jenem bronzenen Bilde, zumal zu den Zeiten, wo ihr die Etikette gestattet, das Haar so nach hinten aufgebunden und zu beiden Seiten des Gesichtes aufgewickelt zu tragen. Dann will mir oft der Eidschwur entschlüpfen, mich ganz ihrem Dienste zu weihen.«

»Eure Exzellenz«, sagte Don Ruy, »übersieht aber wohl nicht die Ungleichheit der Königin und dieses Frauenbildes. Maria von Zypern trägt nichts in der Hand, was wie dieser Ritter und sein Roß Krieg atmen und auf den Schall der Tuba lauschen würde. Sie steht unschlüssig im dumpfen unmerklichen Drängen ihres Hofes. Soll sie sich für Griechen oder Lateiner entscheiden? Sie ist durch Vater und Mutter, durch Geburt und Stellung beides, und sie bleibt hilflos.«

»Aber sie stampft mit den kleinen Füßen«, wandte der Konnetabel ein, »denn sie ist von Natur nicht schwach und nachgiebig wie ihr Vater, der alte König. Der war der Wirren und der Ratlosigkeit in seinem Reiche, denen der alte Held nicht gewachsen war, so müde, daß er fortging und noch in seinem Alter eine Wallfahrt in das Heilige Land unternahm.«

»Dort ist er dann untergegangen und verschwunden«, ergänzte seufzend der Deutsche, »auf so geheimnisvolle Weise wie der Kaiser Friedrich.«

Der Proveditor zuckte die Achseln.

»Man weiß wohl, daß vor Antiochia eine Eberjagd abgehalten wurde. Der König soll gestrauchelt und über seinen Köcher gefallen sein, darin sich vergiftete Pfeile befanden.«

»Wer kann sagen, was wahr darin ist«, sagte der Konnetabel. »Reden wir, mit Eurer Exzellenzen Verlaub, lieber von der Königin!«

Don Ruy neigte sich zu dem Venetianer und bemerkte halblaut:

»Eure Exzellenz sieht wohl, daß dieser Franzose stets nur an Galanterien denkt.«

Der Konnetabel begann:

»Was halten Eure Exzellenzen, wenn mir die Frage gestattet ist, von dem, was man sich über die Beziehungen der Königin zum Großdomestikus zuflüstert?«

»Was sollen wir davon halten?« entgegnete achselzuckend der Venetianer. »Das Rätsel ist alt und niemals aufgeklärt worden. Man sagt, daß auch dieser Umstand den alten König zur Flucht und auf die Pilgerfahrt gedrängt habe. Man setzte dem schwachen Alten zu, die geheimen Feinde seines Hauses wußten ihm die Verdächtigungen seiner Tochter auf so geheimnisvolle Weise zuzuraunen, daß es schien, der Wind trüge sie herbei. Es hieß, die Prinzessin werde in den Gängen des Palastes gesehen, wie sie mit verhülltem Haupte ihrem sinnlichen Vergnügen nachgehe. Den Namen des Apokaukos nannte man bald ganz laut; er ist ein Grieche, und die Seinigen hassen ihn als einen Verräter, weil sie ihn dem Hause Lusignan ergeben glauben.«

»Er soll von kleiner Familie sein?« fragte der Konnetabel.

»Wohl nur der Ritter ohne Lehn?« sagte der Gesandte des römischen Kaisers.

»Ein ländlicher Hidalgo?« setzte Don Ruy hinzu.

Der Proveditor lächelte.

»Eure Exzellenzen werden noch durch manches in Verwunderung gesetzt werden, was hierzulande möglich ist. Apokaukos war ein thrakischer Ziegenhirt.«

»Der erste Minister der Königin von Zypern!« riefen die andern aus.

»Es ist eine für den Orient nicht sehr abenteuerliche Geschichte«, erklärte der Venetianer. »Ein Würdenträger des hiesigen Hofes, der in Gesandtschaft nach Byzanz reiste, fand im thrakischen Gebirge einen außerordentlich schönen Knaben, den er mitnahm, um sich durch Vorzeigung dieses Kleinodes bei Hofe zu empfehlen. Der junge Mann wurde anfangs zum Schreiber bei einem Steuereinnehmer gemacht; aber da er ein sehr weißes edles Antlitz und große schwarze Frauenaugen besaß, auch die Laute zu schlagen und zu singen verstand, behielt ihn der Hof in Erinnerung. Er bekam schnell einen höheren Posten in der Salzverwaltung. Unter der Regierung des alten Königs brachte er es bis zum Parakoimomen. Eure Exzellenzen wissen vielleicht, daß dies der Hofbeamte ist, der nachts vor der Tür des Königs zu wachen hat. Die Königin nun hat ihn gleich nach ihrer Thronbesteigung zum Großdomestikus ernannt.«

»Dieser Apokaukos soll ein höchst gefährlicher und zu Übergriffen geneigter Mensch sein?« fragte Don Ruy.

»Von Leidenschaften, die ihn zu Übergriffen verleiten könnten, kennt man an ihm eigentlich nur seinen Geiz. Er hat sich in der Finanzverwaltung des Königreichs große Schätze errafft und wird vom Volke dafür heftig gehaßt.«

»Er sollte nicht auch herrschsüchtig sein, da man ihm doch den größten Anteil an der Regierung des Landes zuschreibt?«

»Nichts weniger als das. Er ist, soviel mir bekannt, von weichlichem träumerischen Charakter. So hochfahrend er gegen Leute auftritt, die ihm nicht schaden können, so unterwürfig begegnet er den Höheren. Die Königin verachtet ihn und läßt es häufig merken.«

»Und sie überhäuft ihn mit den Würden ihres Reiches?«

»Es ist eine ihrer Seltsamkeiten«, sagte der Proveditor, während plötzlich alle den Blick nach der Seeseite richteten.

Auf der Piazzetta war eine ungewöhnliche Bewegung zu bemerken. Die dichtgestaute Menge wurde von den fränkischen Lanzenträgern zurückgedrängt und bekam die flachen Klingen der sarazenischen Reiter zu fühlen, die die Beherrscher Zyperns ebenso in ihren Diensten hielten wie der deutsche König Friedrich von Sizilien. Das unzufriedene Volk rief: »Tod den ungläubigen Hunden!«, der Fanatismus der Sarazenen erwachte und begann die Waffe zu schwingen, die wie keine andere das fremde Herrscherhaus gegen seine Untertanen schützte; es floß ein wenig Blut. Als man die Verwundeten und Zertretenen beiseite geschafft hatte, konnten die Truppen sich zum Spalier aufstellen. Auf der einen Seite senkten die Sarazenen ihre Säbel, auf der andern hielten die Franken ihre Spieße gekreuzt. Zugleich sah man eine Anzahl Böte von einem neueingetroffenen Schiffe her, das den päpstlichen Wimpel trug, ans Land rudern. In dem Augenblick, als der Legat des Papstes die erste Stufe der Landungstreppe betrat, über deren weißen Marmor ein roter gewirkter Teppich gebreitet war, stieg eine Fanfare schmetternd in die Luft. Der Kardinal-Erzbischof von Todi schritt zwischen Sarazenen und Franken hindurch. In einiger Entfernung folgte seine Begleitung, in Mitren und Dalmatiken, in weißen Rüstungen, schwarzen Ordensrittermänteln und weißgelben Helmbüschen, mit Kreuzen, Lanzen und weiß-gelben Standarten mit gekreuzten Schlüsseln.

Der Konnetabel von Frankreich hatte vor den andern die Tribüne verlassen und war ein wenig hastiger, als es das Zeremoniell erlaubte, dem Legaten entgegengegangen, dem er einige Worte zuflüsterte. Don Ruy Gonzalez, der nach ihm kam, bemerkte, daß Monsignor von Todi seine Erregung nicht ganz beherrschte. Er hörte die Eminenz sagen:

»Diese Venetianer werden uns gefährlich. Sie sind ebensowenig Christen wie Italiener. Um im Orient irgendeinen Hafen zum Verladen von Gewürzen oder Teppichen zu erwerben, würden sie sich mit dem Antichrist, ja mit Tod und Teufel verbünden. Ihr Handel mit den heiligen Reliquien nimmt, nach dem Urteil unseres Herrn, gleichfalls einen übertriebenen Umfang an.«

Der Gesandte von Kastilien, der den Kirchenfürsten begrüßte, bemerkte:

»Seine Heiligkeit wird es ihrem Verbot allein zuschreiben dürfen, wenn der Himmel das räuberische Unternehmen des Apuliers durchkreuzt.«

Der Kardinal lächelte.

»Der große Leo hat weit gefährlichere Feinde der heiligen Kirche mit der bloßen Kraft des Kreuzes ferngehalten. Sollten wir, wenn wir ihm an dieser Stelle entgegentreten würden, mit der Androhung des großen Bannes jenen Ketzer nicht entmutigen können?«

Don Ruy rief ein wenig zu laut aus:

»Ach, wenn der Heilige Vater mit so starken Waffen den Bestand des christlichen Reiches des Ostens zu schützen gewillt ist, dann dürfen wir endlich, zum Segen der Christenheit, auf die Rückkehr der griechischen in den Schoß der römischen Kirche hoffen!«

»Nichts hindert uns daran«, erwiderte der Kardinal mit einem Ton, der nicht so zuversichtlich schien wie seine Worte.

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