Die Jugend des Königs Henri Quatre

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Die Jugend des Königs Henri Quatre
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Historischer Roman

e-artnow, 2021

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EAN 4064066383992

Die Pyrenäen

Die Herkunft

Der Knabe war klein, die Berge waren ungeheuer. Von einem der schmalen Wege zum anderen kletterte er durch eine Wildnis von Farren, die besonnt dufteten oder im Schatten ihn abkühlten, wenn er sich hineinlegte. Der Fels sprang vor, und jenseits toste der Wasserfall, er stürzte herab aus Himmelshöhe. Die ganz bewaldeten Berge mit den Augen messen, scharfe Augen, sie fanden auf einem weit entfernten Stein zwischen den Bäumen die kleine graue Gemse! Den Blick verlieren in der Tiefe des blau schwebenden Himmels! Hinaufrufen mit heller Stimme aus Lebenslust! Laufen, auf bloßen Füßen immer in Bewegung! Atmen, den Körper baden innen und außen mit warmer, leichter Luft! Dies waren die ersten Mühen und Freuden des Knaben, er hieß Henri.

Er hatte kleine Freunde, die waren nicht nur barfuß und barhäuptig wie er, sondern auch zerlumpt oder halb nackt. Sie rochen nach Schweiß, Kräutern, Rauch, wie er selbst; und obwohl er nicht, gleich ihnen, in einer Hütte oder Höhle wohnte, roch er doch gern seinesgleichen. Sie lehrten ihn Vögel fangen und sie braten. Mit ihnen zusammen buk er zwischen heißen Steinen sein Brot und aß es, nachdem er es mit Knoblauch eingerieben hatte. Denn vom Knoblauch wurde man groß und blieb immer gesund. Das andere Mittel war der Wein, sie tranken ihn aus jedem Gefäß. Alle hatten ihn im Blut, die kleinen Bauern, ihre Eltern und das ganze Land. Seine Mutter hatte Henri einer Verwandten und einem Erzieher anvertraut, damit er aufwuchs wie das Volk, obwohl er auch hier oben in einem Schloß wohnte, es hieß Coarraze. Das Land hieß Béarn. Die Berge waren die Pyrenäen.

Hier herrschte eine volle Sprache, viele Vokale, und das R rollten sie im Munde. Als seine Mutter in die Wehen fiel, hatte sie nach dem Willen seines Großvaters ein Lied angestimmt um Hilfe von der Mutter Gottes. Adjudat me a d'aqueste hore. Das war die Landessprache und war so gut wie Latein. Daher wurde es dem Knaben nicht schwer, lateinisch sprechen zu lernen, nur sprechen. Sein Großvater verbot, daß er auch schreibe; übrigens hatte es damit Zeit, er war noch klein.

Der alte Henri d'Albret starb drunten in seinem Schloß in Pau, indes der junge Henri auf Coarraze lateinisch sprach, durch den Wald kletterte nach den kleinen Gemsen, isards genannt, die unerreichbar blieben; und das letzte Röcheln des Alten fiel vielleicht zusammen mit einem Freudenschrei des Jungen, während er badete mit Knaben und Mädchen, im Bach unterhalb des großen Wasserfalls, der herrlich sprühte.

Er war ungemein neugierig auf die Körper der Mädchen. Wie sie sich entkleideten und bewegten, ihre Art zu sprechen und zu blicken, alles machte sie zu völlig anderen Wesen als er selbst, besonders aber die Formen ihrer Beine, Hüften, Schultern. Eine von ihnen, deren Brust sich schon entwickelte, begeisterte ihn, er beschloß, um sie zu kämpfen. Dies war nötig, wie er bemerkte; von selbst wählte sie nicht ihn, ein größer gewachsener Junge mit einem hübschen, dummen Gesicht war ihr lieber. Nach den Gründen fragte Henri nicht, jene schönen Wesen hatten vielleicht keine, er aber wußte, was er wollte.

Daher forderte der kleine Knabe den größeren heraus, wer das Mädchen durch den Bach tragen könnte. Dieser war nicht tief, aber er enthielt Strudel und glatte Steine, die fortrollten, wenn man sie ungeschickt betrat. Der Mitbewerber glitt denn auch sofort aus, das Mädchen wäre mit hingefallen, hätte nicht Henri sie aufgefangen. Er kannte in diesem Wasser jeden Schritt, er trug sie hinüber mit all seiner Kraft, denn sie war schwerer als er, der nur ein kleiner, magerer Knabe war. Drüben küßte er sie auf den Mund, überrascht ließ sie es geschehen, und er sagte, indes er sich in die Brust warf:»Jetzt bist du durch den Bach getragen vom Prinzen von Béarn.«

Das Bauernmädchen sah in sein kleines, leidenschaftliches Gesicht, und dann lachte es, der Ton tat ihm weh bis ins Herz, entmutigte ihn aber nicht. Sie sprang schon ihrem verunglückten Verehrer entgegen, da rief Henri noch:»Aut vincere aut mori!«Es war einer der Sprüche, die sein Erzieher ihn lehrte; er hatte viel davon erhofft. Wieder eine Enttäuschung, die kleinen Bauern machten sich nichts weder aus dem Prinzen noch aus seinem Latein. Siegen und Sterben war ihnen beides gleich unbekannt. So blieb nur noch eins übrig. Er stieg zurück in den Bach und stürzte absichtlich noch etwas tölpelhafter als vorhin der andere. Auch das alberne Gesicht und das Hinken ahmte er dem Tölpel nach, fluchte dabei mit einer ganz ähnlichen Stimme, alles so vorzüglich, daß sie lachen mußten über den Spaßmacher. Sogar das reizende Mädchen hatte er zu lachen gezwungen!

Darauf ging er schnell fort. Er war nur ein vierjähriger Knabe, hatte aber schon Sinn für Wirkung. Obwohl diese jetzt erreicht war, stritten sich in seiner Brust die Gefühle. Die befriedigte Rache hob nicht die Erinnerung auf. Die bange Sehnsucht wich nicht – trotz dem zuversichtlichen Mut.

Seine Mutter ließ ihn nach Hause kommen, und die erste Zeit sprach er nur von dem Mädchen. Sein Großvater war inzwischen gestorben, er sollte ihn nie mehr wiedersehen. Aber ihm schien es schlimmer, daß sein Mädchen fern war und nicht kommen durfte.

«Laß sie doch holen, Mama, ich will sie heiraten. Sie ist größer, das macht nichts, ich werde wachsen.«

Erst die nächsten Eindrücke beseitigten ganz plötzlich alles, was er empfunden hatte. Es war ein junges Hoffräulein seiner Mutter.

Im Schloß zu Pau war eine kleine Hofhaltung, kaum mehr als eine erweiterte Familie. Der alte d'Albret war ein Landedelmann gewesen. Er hatte ein festes Schloß gehabt, und in neuester Zeit war es auch zierlich und schön geworden. Von dem Balkon übersah er ein tiefes Tal voll Wein, Öl, Wäldern, die das Auge erfrischten, dazwischen die blinkenden Windungen des Flusses, dahinter die Pyrenäen.

Das Gebirge bot sich dar als geschlossener Zug, wie sonst kein anderer grün bewaldet bis in den Himmel, und das Auge, das darauf umherging, war glücklich, besonders das des Besitzers. Der alte Landedelmann besaß diese Seite der Pyrenäen samt den vorgelagerten Tälern und Hügeln mit allem, was dort wuchs, Früchte, Vieh und Menschen. Er besaß im Westen Frankreichs den südlichsten Winkel, Béarn, Albret, Bigorre, Navarra, Armagnac: die alte Gascogne. Er hieß König von Navarra und wäre wohl nur der Untergebene des Königs von Frankreich gewesen, wenn dieser seine ganze Macht gehabt hätte. Indessen war das Königreich gespalten durch Katholiken und Protestanten und dies in allen seinen Teilen, schon seit längerer Zeit. Das ergab die beste Gelegenheit für solche Provinzfürsten wie Navarra, sich selbständig zu machen und dem Nachbarn mit bewaffneter Hand wegzunehmen, soviel sie konnten, selbst wenn es nur ein Weinhügel war.

Aber es wurde im ganzen Lande auch gebrandschatzt und getötet im Namen der beiden feindlichen Bekenntnisse. Der Unterschied der religiösen Bekenntnisse wurde tief ernst genommen, er machte aus Menschen, die sonst gar nichts trennte, die alleräußersten Feinde. Einige Worte, besonders das Wort Messias wirkten so ungeheuer, daß ein Bruder für den anderen unverständlich und von fremdem Blut wurde. Es schien natürlich, Schweizer und Deutsche zu Hilfe zu rufen. Diese mußten nur dem richtigen Bekenntnis angehören und, je nach dem, zur Messe gehen oder nicht, dann waren sie dem andersgesinnten Landsmann vorzuziehen und bekamen das Recht, mit zu plündern und zu verwüsten.

Der energische Glaube der gesamten Bevölkerung nützte wenigstens den Führern. Ob sie ihn wirklich teilten oder nicht; jedenfalls konnten sie im Namen der Religion auf räuberische Art und Weise ihr Gebiet erweitern oder doch an der Spitze ihrer kleinen ungesetzlichen Heere ein kostenloses, nicht unangenehmes Leben führen. Der Bürgerkrieg war für einige Leute eine Laufbahn, wenn schon die meisten daran verloren. Indessen blieb diesen ihre Überzeugung.

Der alte d'Albret war ein guter Katholik gewesen, aber ohne Einseitigkeit. Er hatte immer den Sinn dafür behalten, daß auch seine protestantischen Untertanen wieder Kinder zeugten, und diese wurden nützliche Arbeiter, bebauten Felder, zahlten Abgaben, vermehrten den Reichtum des Landes und seines Herrn. Er ließ sie daher ruhig zur Predigt gehen, und seine Soldaten beschützten die Pastoren wie die Kapläne. Wahrscheinlich bedachte er auch, daß die wachsende Zahl dieser reformierten Protestanten, die sich Hugenotten nannten, seiner eigenen Selbständigkeit eher nützte als schadete, da der Hof in Paris entschieden zu katholisch war. Er selbst gehörte einfach unter die feudalen Herren, die von je das Ihre getan hatten, um den König von Frankreich nicht zu mächtig werden zu lassen. In neuester Zeit bedienten sie sich der Hugenotten, dieses frischen, jungen Glaubens, der den wahren Gott aus der Nähe kannte und dadurch nicht sanfter wurde.

Es waren Empörer gegen die weltliche so gut wie gegen die geistliche Macht. Auch im Lande Béarn hatten die Bauern schon verlangt, man sollte ihnen zeigen, wo in der Bibel etwas von Steuern stehe. Wenn nicht, dann zahlten sie keine! Nun, der Alte verstand mit ihnen umzugehn, sie waren seinesgleichen. Sie machten gern große Worte, behielten aber einen kühlen Kopf. Sie schlugen sich gut, ohne zu vergessen, was es schließlich einbrachte.

Er trug eine Baskenmütze wie sie alle, wenn er nicht grade in Helm und Panzer sein mußte, und er liebte sein Land wie sich selbst, nichts weiter als diesen Umkreis, den er erfassen konnte mit den Augen und allen anderen Sinnen. Als sein Enkel Henri zur Welt kam, hatte er dafür gesorgt, daß es im Schlosse zu Pau geschah, seine Tochter Jeanne mußte eigens eine Reise unterbrechen. Auch hatte er sich nicht damit begnügt, daß sie während ihrer Wehen das Lied in der Landessprache sang, adjudat me a d'aqueste hore, damit der Enkel kein Kopfhänger werde. Kaum war der Knabe geboren, ließ er ihn am Wein des Landes riechen, erkannte sein Fleisch und Blut daran, daß er mit dem Kopf wackelte, und bestrich ihm auch gleich die Lippen mit Knoblauch.

 

Weil nach zwei Knaben, die nicht leben sollten, dieser letzte doch noch erhalten blieb, hatte der Alte seinen ganzen Besitz und seinen Titel seiner Tochter vererbt. Jeanne war jetzt Königin von Navarra. Ihr Gatte, Antoine von Bourbon, führte Truppen des Königs von Frankreich, als sein entfernter Verwandter und sein General. Er war meistens im Feld. Jeanne hatte ihn sehr geliebt, bevor er anfing, andere Frauen zu suchen; aber ihre Hoffnungen setzte sie niemals auf ihn, er sollte auch bald sterben. Sie hatte viel größere Ansprüche, als er sich erlauben durfte; ihre Mutter war die eigene Schwester Franz' des Ersten gewesen – der König, der bei Pavia so unglücklich gekämpft hatte gegen Kaiser Karl den Fünften; aber der innere Besitz der Krone Frankreich war durch ihn großartig erweitert.

Jeanne d'Albret war daher eine außerordentlich große Dame, und von den Ländern Béarn, Albret, Navarra, die ein Königreich vorstellten, fühlte sie sich noch nicht befriedigt. Der zur Zeit regierende König von Frankreich aus dem Hause Valois hatte vier lebende Söhne, für die Nebenlinie der Bourbons bestand keine Wahrscheinlichkeit, so bald zur Herrschaft zu kommen. Dennoch vermaß Jeanne sich, ihrem Sohn Henri die ungeheuerste Zukunft vorauszusagen – woran später mit Staunen erinnert wurde, als hätte sie Sehergaben besessen. Sie war nur ehrgeizig. Diese Leidenschaft machte aus einer zarten Frau einen unbeugsamen Charakter, und ihr Vermächtnis wog später schwer im Schicksal ihres Sohnes.

Als sie ihren kleinen Sohn wieder bei sich hatte, unterrichtete sie ihn vor allem in der Geschichte ihres Hauses. Sie achtete nicht darauf, daß er sich so oft wie möglich an das hübsche Fräulein drängte oder barfuß, wie im Gebirge zu den Kindern auf die Straße lief, voll Neugier nach den rätselhaften Mädchen. Jeanne war keine Beobachterin der Wirklichkeit, sie hatte den Kopf voller Träume, wie eine Frau mit schwacher Lunge. Henri, der lieber wie ein Böckchen umhergesprungen wäre, wurde von dem einen der mütterlichen Arme umschlungen, der andere legte sich um seine noch kleinere Schwester Catherine. Die Königin Jeanne neigte zärtlich ihren fahlblonden Kopf zwischen ihre beiden Kinder. Ihr Gesicht war schmal und feingeschnitten, es war blaß, die Brauen bewegten sich leidend über den dunklen Augen, schon zeigte die Stirn dünne Falten, und die Mundwinkel begannen herabzufallen.

«Wir werden bald nach Paris reisen«, sagte sie.»Denn unser Land muß größer werden. Ich will den spanischen Teil von Navarra hinzuhaben.«

Der kleine Henri fragte:»Warum nimmst du ihn dir nicht?«Er verbesserte selbst:»Papa sollte ihn erobern.«

«Der König in Paris ist befreundet mit dem König von Spanien«, erklärte ihm die Mutter.»Er läßt es sogar zu, daß die Spanier bei uns einfallen.«

«Ich nicht!«rief Henri sofort.»Spanien ist mein Feind und wird es bleiben! Weil ich dich liebe!«sagte er feurig und küßte Jeanne. Ihr fielen davon Tränen aus den Augen und in ihren halbentblößten Busen, den ihr kleiner Sohn liebkoste, als tröstete er sie.»Gehorcht mein Vater immer nur dem König von Frankreich? Das werde ich nicht tun«, versicherte er schmeichlerisch, weil er fühlte, was sie gern hörte.

«Darf ich mitreisen?«bat die kleine Schwester.

«Auch das Fräulein soll mitkommen«, verlangte Henri.

«Wird unser lieber Vater dort bei uns sein?«fragte Catherine.

«Vielleicht auch einmal bei uns«, murmelte Jeanne, und sie erhob sich von ihrem graden Sessel, damit sie nicht weiter antworten mußte.

Die Reise

Etwas später trat die Königin Jeanne zum reformierten Bekenntnis über. Das war ein beträchtliches Ereignis – nicht nur für ihr kleines Land, das sie nach Kräften protestantisch machte. Es vermehrte den Mut und den Einfluß der neuen Religion überall. Sie hatte es aber getan, weil ihr Gatte Antoine bei Hof und im Felde immer noch mehr Geliebte nahm. Da er reformiert gewesen und aus Schwäche wieder katholisch geworden war, machte sie es umgekehrt. Ihr Glaubenswechsel geschah vielleicht aus Frömmigkeit, besonders aber um herauszufordern: ihren treulosen Mann, den Hof in Paris, alle, die sie kränkten oder ihr im Wege waren. Ihr Sohn sollte einmal groß werden, und das konnte er nur an der Spitze protestantischer Heere, der Ehrgeiz seiner Mutter erkannte es früh.

Als die Reise nach Paris endlich nahe bevorstand, umarmte Jeanne ihren Sohn und sagte:»Wir reisen, aber du darfst nicht denken, daß es zum Vergnügen ist. Denn wir werden in eine Stadt kommen, wo fast alle gegen die Religion und gegen uns sind. Vergiß es niemals! Du bist jetzt sieben Jahre alt und hast Verstand. Weißt du noch, daß wir schon einmal zu Hofe gingen? Du warst ganz klein und erinnerst dich nicht. Vielleicht, daß dein Vater sich entsinnen würde, wenn er nicht so vieles, was einst war, vergessen und verloren hätte.«

Sie versank in schmerzliches Träumen. Er zog sie am Arm und fragte:»Was gab es denn damals bei Hofe?«

«Der selige König lebte noch. Er fragte dich, ob du sein Sohn sein wolltest. Du zeigtest auf deinen Vater und antwortetest, der sei dein Herr Vater. Darauf fragte der selige König dich, ob du dann sein Schwiegersohn werden wolltest. Du erwidertest ›jawohl‹, und seither geben sie dich bei Hofe als den Verlobten der königlichen Prinzessin aus; damit wollen sie uns fangen. Ich sage es dir, damit du nicht alles glaubst und ihnen nicht traust.«

«Fein!«rief Henri.»Ich habe eine Frau, wie heißt sie?«

«Margot. Sie ist ein Kind wie du, sie konnte die Religion noch nicht hassen und verfolgen. Dennoch glaube ich nicht, daß du Marguerite von Valois heiraten wirst. Ihre Mutter, die Königin, ist eine zu böse Frau.«

Henri sah das Gesicht Jeannes sich verändern bei der Erwähnung der Königin von Frankreich. Er erschrak, und seine Phantasie erhielt einen jähen Anstoß. Im Geist erblickte er eine furchtbar unmenschliche Fratze, eine Klaue, einen dicken Stock, und er fragte:»Ist sie eine Hexe? Kann sie zaubern?«

«Am liebsten möchte sie es«, bestätigte Jeanne.»Aber das ist noch nicht das Schlimmste.«

«Speit sie Feuer? Frißt sie Kinder?«

«Beides; aber es gelingt ihr nicht immer. Denn die Bosheit hat Gott zu unserem Glück mit der Dummheit bestraft. Mein Sohn, von diesem allem darfst du keinem Menschen auch nur ein Wort verraten.«

«Ich werde alles für mich behalten, meine liebe Mama, und ich werde mich hüten, damit ich nicht gefressen werde. «Er war im Augenblick ganz erfüllt von seinen Vorstellungen und glaubte daher nicht, daß er sie und die Worte seiner Mutter je werde verlieren können.

«Halte vor allem fest an dem wahren Glauben, den ich dich gelehrt habe!«sagte Jeanne innig und auch drohend; er erschrak wieder und diesmal tiefer.

Dies war das erste, was Henri von seiner Mutter Jeanne d'Albret hörte über Katharina von Medici; und dann wurde wirklich gereist.

Voran fuhr ein großer alter Wagen aus Leder, er trug den Erzieher des Prinzen, mit Namen La Gaucherie, er trug zwei Pastoren und mehrere Lakaien. Dann folgten sechs bewaffnete Reiter, lauter protestantische Edelleute, dann der mit rotem Samt ausgeschlagene Wagen der Königin, darin saß Jeanne mit ihren beiden Kindern und drei Damen. Den Beschluß des Zuges machten wieder die berittenen Herren» von der Religion«.

Am Anfang der Reise war alles wie zu Hause, die Sprache, die Gesichter, die Landschaft und das Essen. Henri und seine kleine Schwester Catherine unterhielten sich aus dem Fenster mit den Dorfkindern, die im Trab ein Stück mit liefen. Wegen der Wärme des Juli blieben die Wagen geschlossen. Mehrmal übernachtete man noch im eigenen Land, auch in Nérac, der zweiten Residenz; die ganze reformierte Bevölkerung versammelte sich dort am Abend, die Pastoren predigten, Psalmen wurden gesungen. Einige Zeit führte der Weg durch die Guyenne, früher Aquitania, deren Hauptstadt Bordeaux war, und als Vertreter des Königs von Frankreich galt hier Antoine von Bourbon, der Gatte Jeannes. Dann aber begann die Fremde.

Länder eröffneten sich, von denen ein Kind der Pyrenäen nicht einmal im Traum jemals erfahren hatte. Wie die Leute gekleidet waren! Wie sie sich aus drückten! Man verstand, aber konnte nicht antworten. Die Flüsse waren nicht mehr ausgetrocknet, wie sie im Sommer doch sein müßten. Kein Ölbaum mehr; sogar die kleinen Esel wurden selten. Am Abend blieb die Reisegesellschaft allein unter Unbekannten, und die Protestanten stellten Wachen vor die Türen; den Katholiken war hier nicht zu trauen. Gestern hatten die Pastoren versucht zu predigen, waren aber von der Überzahl der Feinde vertrieben aus dem kahlen Bethaus, das weit draußen vor der Stadt stand; auch die Königin von Navarra mit ihren Kindern war gezwungen worden, eilig zu flüchten. Um so größer war das Glück, an einem Ort eine Mehrheit von Glaubensgenossen zu finden. Dann wurde Jeanne empfangen wie die Abgesandte der Religion, sie war erwartet worden, ihr Ruf war ihr vorausgeeilt, alle wollten ihre Kinder sehen sie mußte sie auf erhobenen Armen dem Volk zeigen. Die Pastoren predigten Psalmen wurden gesungen, und ein festliches Gelage setzte ein.

Sie waren schon achtzehn Tage unterwegs, da überschritten sie bei Orleans die Loire. Sie vermieden die Stadt, die bewaffneten Hugenotten lenkten ihre Pferde so nahe wie möglich am königlichen Wagen, ihn gaben sie erst recht nicht frei, als die Boten der Königin von Frankreich erschienen. Es waren Hofleute, die Jeanne artig bewillkommneten, aber sie brachten eine Leibwache von Katholiken mit, und diese erhoben den Anspruch, näher am Wagen zu reiten als die Hugenotten. Die dachten an kein Nachgeben, und es kam zum Handgemenge. Der kleine Henri beugte sich aus dem Fenster und feuerte die Seinen an, in seiner und ihrer Sprache, die anderen verstanden sie nicht. Ein Regenguß trennte die Streitenden, notgedrungen lachten sie und wurden wieder artig. Dunkel hing der Himmel über den ungewohnten Pappeln, die im Winde rauschten. Kühl war es im August und nicht geheuer.

«Was sind das für schwarze Türme, Mama, und warum brennen sie?«

«Die Sonne versinkt hinter dem Schloß von Saint-Germain, wohin wir fahren, mein Kind. Dort wohnt die Königin von Frankreich. Du weißt doch noch alles, was ich dir sagte und was du mir versprochen hast.«

«Ich weiß es, liebe Mutter.«