Bonjour Motte!

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Bonjour Motte!
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HeikeHanna Gathmann

Bonjour Motte!

Fabeln, Lyrik & Aphorismen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. „Als das Wünschen noch geholfen hat“

2. „Wichtig wie ein Scheibe Brot“

3. „Die vier Pfeifen meines Vaters“

4. „Schritt halten“

5. „Narben“

6. „Baal und die rote Blume“

7. „Gipfel & Zipfel … ein satirischer, fabelhafter Ausblick“

8. „Träumende Muscheln“

9. „Süss-trauriger Abschied“

10. „Bilderwelten“

11. „Vernebelte Sinne … eine friesische Zaubergeschichte“

12. „Die Häsin“

13. „Bündel des Lebens“

14. „Die technisierte Natur“

15. „Vertrauen“

16. „Zukunftsvision: Non Stop Tokyo“

17. „Die grossen und kleinen Bosheiten“

18. „Letterfarben“

19. „Shuttle“

20. „Sphinx“

21. „Begegnung in misstrauischer Zeit“

22. „Prinzipien, Parteien, Punktgewinne“

23. „Fezo 50+“

24. „Wolkenflug“

25. „Das Atemzeitvolumen“

26. „Tony“

27. „Amaterasus Freiheit“

28. „Bonjour Motte!“

29. „Kreuzbube oder: Sechs Möglichkeiten, um sich zu lösen“

30. „Bühne des Lebens“

Impressum neobooks

1. „Als das Wünschen noch geholfen hat“

Eine Freundin verwirrte mich mit einer Aussage. So meinte sie allen Ernstes, dass alles menschliche Handeln und Tun letztendlich auf einem Gefühl gründen könnte. Ich widersprach zunächst heftig und erwiderte: „Nimm‘ zum Beispiel einen OP Arzt! Wenn der operiert, kann Emotionalität eine ernste Gefahr darstellen. Denn der Mediziner muss sich ganz und gar auf sein eigenes rationales Können und Wissen verlassen. Das Schneiden, Nähen und Verbinden einer Wunde verlangen nach einer grossen Konzentration. Von der Narkose, um Schmerzen zu vermeiden, ganz zu schweigen.“ Die Ansicht meiner Freundin, die ich als witzig und intelligent, zugleich als besitzergreifend beschreiben möchte, erschien mir obskur. Nach einer ganzen Weile … es nahte das jährliche Weihnachtsfest … fiel mir ihr Satz angesichts prall gefüllter Einkaufswagen wieder ein. Vielleicht traf es doch zu, dass dieser Doktor alle Strapazen der ärztlichen Kunst auf sich nahm, um einem Kranken aus Mitgefühl zu helfen. Oder er handelte aus seinem persönlichen Bedürfnis nach einer Wertschätzung. Auch das mögliche Ziel, mit seiner Tätigkeit viel Geld zu verdienen, um sich anschliessend einen materiellen Wunsch zu erfüllen, konnte einen Beweggrund sein. Verwirrt blickte ich auf die prall gefüllten Ladenkörbe mit Tierfutter vor mir. Angehäufte Fleischberge, Flacons mit Düften oder einer Badelotion und eine unendliche Auswahl von Süssem. Denn auch hier schien die reinste Emotion im Spiel: Das erwartete Wohlgefühl bei winterlichem Kerzenlicht, die Vorfreude über ein Geschenk, Lust an der im Rotwein brutzelnden Pute, Selbstbestätigung und Akzeptanz in geselliger Runde. Und lachende, vergnügte Kinder vor dem Tannenbaum sind schliesslich der unverwüstliche Beweis, dass alle Schufterei und Anstrengung im Alltag nicht umsonst war. Laut lexikalischer Definition ist der Wunsch nichts anderes, als die Vorstellung von einem begehrten Objekt und dem damit verbundenen Drang nach seiner Erlangung. Aber die Realisierung von Wünschen kann auch schiefgehen. Etwa in Form von wütend oder enttäuscht an die Wand geworfenen Dingen, weil die Chemie zwischen den Schenkenden eh nie gestimmt hatte. Oder in Form von weihnachtlicher Trunkenheit, da sich die Dividende des Investmentfonds wider Erwarten in Luft auflöste. Es handelt sich in jedem Fall dann um ein Trauerspiel, dass der Analytiker Erich Fromm einst als das Dilemma zwischen >Haben und Sein< bezeichnete. Es könnte jedoch ebenso >Das Elend der Habenichtse< heissen. Nur aus welchem Grund definieren wir unser Wohlbefinden weiterhin in einem so hohen Mass durch den Besitz einer Dingwelt? „Ah … da redet jemand, dem es zu gut geht. Luxusgeschwafel!“, könnte die Kritik lauten, „dieser Jemand schreibt vermutlich nur, um sich selbst innerlich aufzubauen. Es handelt sich also um einen Kapitalist, eine Kapitalistin mit geistigen Belangen!“ Die Ursache ist eher in dem Wunsch zu finden, einen persönlichen, vagen Durchblick im irren Tempowandel der Zeiten zu behalten. Um das Glück der Balance zu erlangen. Wenn Neigungen, Erwartungen oder Hoffnungen sich nicht mehr an der objektiven Realität orientieren wollen, könnten wir jedoch den Bereich des Wunschdenkens betreten. Es ist ein wundervoller Garten mit bunten, wilden Blumen. Ein spannendes und anregendes Terrain für denkfreudige Spaziergänger, -innen. Mit der Phantasie als zuverlässigen Wegbegleiter. „Ich habe zwar viele Freunde aufgrund meiner Impulsivität vor den Kopf geschlagen“, erzählte meine Freundin damals, „aber eigene Ideen, meine Phantasie haben mich oft traurige Widrigkeiten überwinden und mit innerer Gelassenheit überleben lassen.“

2. „Wichtig wie ein Scheibe Brot“

Ach, wie tut sie gut … so die Vorstellung von einer erfüllten Liebe. Was bedeutet, dass sie ihr Gegenüber, ihren Sehnsuchtsort gefunden hat. Sich nicht verstellt, den anderen überfordert oder gar benutzt. So vielfältig sich die Liebesverhältnisse und ihr Umfeld gestalten, so vielseitig sind die Erscheinungsformen der Zuneigung: Fatal und tief. Echt oder verlogen. Süss und vorgetäuscht. Leidenschaftlich und wild oder doch nur sich selbst meinend. Gross und nicht erwidert. Zärtlich oder käuflich. Vergangen und selbstlos. Obsessiv oder bevormundend. Im Spiegelbild des anderen suchen die eigenen Triebfedern nach einer Bestätigung. Das Gefühl der Liebe füllt innere Leere, kittet Selbstzweifel und schafft im Falle falscher oder zu hoher Erwartungen Streit oder Zwist. Im positiven Sinn stellt sie ein wahres Therapeutikum dar, im Negativen möglicherweise eine Schlechtwetterpille. Sie dauert ein ganzes Leben, manchmal nur einige Tage. Sie beginnt im Kinderhort und endet vor dem Scheidungsanwalt. Körperliche Lust verwandelt sich in Vertrautsein, Passion in Distanz oder Freundschaft. Sie scheitert als Klammeraffe und verprellt im Nymphomanengewand. Sie überwindet Kontinente und Vorurteile. Fällt auf einen Hund oder auf eine Katze. Sie ist so wichtig wie eine Scheibe Brot. Liebe beseelt. Verleiht Flügel. Kann Berge versetzen und den Magen füllen. Manchmal wird sie schlichtweg überschätzt, denn ein Portion Selbstliebe hat noch nie geschadet. Den Beweis, dass ein liebesunfähiger Mensch, keine guten Taten vollbringen kann, gibt es nicht. „Schätze deinen Nächsten!“, ist häufig Anstrengung genug.

3. „Die vier Pfeifen meines Vaters“

Mein Vater besass vier Pfeifen. Er paffte, was das Zeug hielt. Die angenagten Mundstücke und das dunkel eingefärbte Innere der Pfeiffenköpfe erzählen von seiner immensen Schaffenskraft, denn er hinterlies viel und nicht nur Rauchschwaden. Sogar ein kleines Schränken, in welchem er seine rauchenden Wegbegleiter aufbewahrte, wurde angeschafft. Es heisst, Pfeifenraucher seien gutmütige und nachdenkliche Wesen. Die reinsten Philosophen. Die sinkende Zahl der Tabakfans spricht dagegen für ein nicht zu bestreitendes oder anzweifelbares Gesundheitsbewusstsein. Die Logik von dem gesellschaftlichen Aussterben der Güte, dem Mitgefühl und dem besonnenen Handeln. Doch sie trifft auch im Falle meines Vaters nur teilweise zu. Zwar liess er am Abend alle Viere gerade sein und kraulte, entspannt auf dem Wohnzimmersofa liegend, seinen geliebten, schwarzen Pudel. Aber ein Wehe, es ereilte ihn die Ungeduld. Etwa, wenn nicht rechtzeitig eine Rechnung beglichen worden war. Dann half sein Pfeifchen, um ihn zu beruhigen. Oder wenn ihn trotz des Respektes, der ihm allerorts entgegengebracht wurde, eine kindliche Schüchternheit überkam. So beim Treffen der städtischen Honorationen, zu welchem er regelmässig eingeladen wurde. Dann griff der gute Mann zu einem hellbraun schimmernden Rauchutensil aus Feinschliff. Zu seinem besten Stück. „Irgendwann wird dich deine elende Schmökerei umbringen“, maulte meine Mutter, welche den Geruch der Tabakschwaden hasste. Nur sollte er an diesem Laster nicht sterben. Weise, vorsichtig in allen Geldanlagen hatte er es zu Etwas gebracht. Immerhin zählten vier schmucke Häuser sein Eigen. War der Geschäftsmann besonders guter Laune, wurde die französische Variante gezückt und entfacht. Es handelte sich um ein tiefschwarzes, elegantes Souvenir aus dem Urlaub in Südfrankreich. Der Duft, den sie hinterlass, war süsslich und fruchtig. Mein Vater wäre nicht der meine gewesen, hätte er nicht neben der Alltagspfeife noch eine zweite besessen, um jeweils die andere für eine Weile zu schonen.

 

4. „Schritt halten“

Der eine besitzt vierzig Paar, der andere nur vier. Wir laufen in ihnen durch unser Leben, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Ohne Schuhe kämen wir nicht meilenweit. In Leder, Fell, Bast, Kork, Holz, Gummi oder Polyethylen wird gelaufen, gestöckelt, gelatscht, gestiefelt und gewalkt. Auf dem Eis getanzt, der Ball gerollt oder ein Rekord gerannt. Im Grunde müsste jeder Tag der des heiligen Nikolaus sein, an welchem ein Schuh mit Konfekt als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung verschenkt wird. Doch zu viel Zuckerware macht krank. Ein hübscher Mokassin, ein mit Perlen verziertes, ledernes Modell, das den Hauch von wilder Freiheit und Naturverbundenheit versprach, gefiel mir just in der Schaufensterauslage. War dieses Alltagsding der intime Ausdruck der eigenen Identität, in welcher sich insgeheim die Frage verbirgt: Was ist dein Ziel? Einige Exemplare, die anlängsten entsorgt sind, schlimmstenfalls auf einer afrikanischen oder südasischen Müllkippe dümpeln, sind partout unvergesslich. Weisse, schicke Sonntagshalbschuhe der Zehnjährigen. Elegante, weinrote Winterstiefel mit Schnallen, mit welchen die Zwanzigjährige ihren besten Freund beeindruckte. Ein zerrissener Ballettschuh wurde wie eine Kostbarkeit in der Kommode verwahrt. Der profane, begehrte Artikel, der noch vor einhundert Jahren für viele Menschen kaum erschwinglich war, hat sich unverrückbar in die Sprache eingeschlichen. „Mir geht es gut. Nein, der Schuh drückt nicht!“, heisst es bis heute. Mit Entrüstung: „Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an!“ Dabei ist unbestreitbar, dass Schuhe die Füsse vor einer Verletzung schützen, wärmen, die Schritte und den Gehvorgang stabilisieren. Jeder möchte Schritt halten, sich mit seiner Auswahl von dem anderen unterscheiden. Oder wie ein französischer Sonnenkönig etwa mittels roter Absätze auf sich aufmerksam machen und hervorheben. Auch das Schuhhandwerk besitzt Historie. Die Schusterkunst unterschied in simpler Weise einst zwischen Schaft und Boden. Ihre Machart: Schneiden, Kleben, Nähen, Nageln. Das älteste Laufutensil wurde in Fort Rock, Oregon (USA) sichergestellt. Es handelt sich um zehntausend Jahre alte Bastschuhe von Paläoindianern. Sechstausend Jahre hat ein Lederschuh, Schnidejocher genannt, aus den Berner Alpen überdauert. Wer den Schnürsenkel, eine geniale Angelegenheit, erfand, bleibt im Dunkeln. Den verwickelten Bundschuhen von Moorleichen folgten die Schnabelschuhe der Aristrokraten. Dann das feste Schuhwerk der bürgerlichen Vernunft. Im Maßzuschnitt. Bestenfalls Blasen und Hühneraugen vermeidend. Aus den ollen Galoschen entstand das Phantasiedesign, verwirklicht in der industriellen Fabrikation. Sneaker, Slipper, Pumps, Turn- und Wanderschuhe. Mit und ohne Markennamen. Eine Idealanfertigung - weiss der Kenner - liegt vor, wenn eine fiktive, schnurgerade Linie durch das zweite Zehengrundgelenk des Trägers bis hin zur Mitte seiner Verse gezogen werden kann. Dann fällt er nicht aus den Pantoffeln. Oder: Umgekehrt wird ebenso ein Schuh daraus. Der sogar therapeutischen Nutzen hat, wenn Fetischgelüste, neurotische Ticks ihre friedliche Passion finden. Einschüchtern lassen sollte sich niemand mit seinen neuen Leisten. Falls er oder sie es wagen sollten, in den passenden Schuhen einer anderen Person weiterzulaufen. Einen weisen Rat gab dazu der amerikanische Sänger Elvis, der Schuhe über alles liebte: „Imagine You are standing in my shoes what a suprise it could be to see Me.“

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