Gefangene der Welten

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Aus der Reihe: Weltentrilogie #1
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Gefangene der Welten
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Hazel McNellis

Gefangene der Welten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Prolog

Teil 1 – Ankunft

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Teil 2 – Die Auserwählte

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

Teil 3 – Finsternis

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

Epilog

Leseprobe aus „Magie der Welten“ (Weltentrilogie, Band 2)

Impressum neobooks

Widmung

Dieses Buch möchte ich den zwei bedeutendsten Menschen in meinem Leben widmen:

Meiner Mama, von der ich die Liebe zu Geschichten habe und deren Glauben an mein Talent stets unerschütterlich war & René, dem Mann, der stets an meiner Seite ist und der mir die Macht der Liebe vor Augen geführt hat. Ich liebe euch.

Prolog

Ihr Mann.

Die Klauen des Entsetzens griffen nach ihr. Sydney schluckte. Ihr Mund war trocken. Damian bewegte sich auf sie zu und der Abstand zwischen ihnen wurde kleiner.

Sie unterdrückte einen Hilfeschrei. Es würde sie ja doch niemand hören. Und wenn, so würde ihr kaum jemand helfen.

Unmöglich konnte sie zulassen, dass dieser Mann ihre Zukunft und damit ihr ganzes Leben ruinierte.

Teil 1 – Ankunft

1.

Jack gähnte. Wieder war die Nacht zu kurz gewesen. Alpträume quälten ihn, raubten ihm seit drei Nächten den Schlaf und jede Nacht war es derselbe Traum. Wie sollte er da noch arbeitsfähig sein? Ganz zu schweigen von seiner Beziehung zu Sydney. Das Gefühl, der Beziehung kaum gerecht werden zu können, wenn er derart übermüdet war, drängte sich ihm auf. Bisher hatte er kein Wort verlauten lassen. Darüber, dass sie ihm entrissen wurde, die grünen Augen schreckgeweitet, und ihr Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen.

Kopfschüttelnd versuchte er, die Erinnerungen abzuschütteln. Er wollte den Tag nicht damit verbringen, Traumgespinsten hinterher zuhängen.

Den Gedanken folgend, griff Jack nach seiner Sporttasche und legte eine Decke mit hinein, bevor er den Reißverschluss zuzog und das Haus verließ.

Am Waldrand wartete Sydney auf ihn. Ein warmes Lächeln ließ ihr Gesicht leuchten. „Da bist du ja!“ Sie kam ihm entgegen und legte ihre Arme um seinen Hals, ehe sie ihre Lippen auf seinen Mund drückte. „Warum hat es so lange gedauert?“

Jack ergriff ihre Hand und gemeinsam setzten sie sich in Richtung des Waldes in Bewegung. „Hab‘ schlecht geschlafen.“ – „Alpträume?“ Er nickte. Er erwartete, dass sie nachfragen würde, um den Inhalt seiner Träume unbedingt herauszufinden. Doch sie schwieg. Einem Pfad folgend, gingen sie in den Wald hinein. Das Laub der blühenden Baumkronen warf tanzende Flecken auf den Boden und raschelte leise im Wind.

„Ich kann’s kaum erwarten, dir die Lichtung zu zeigen“, wechselte Sydney das Thema.

Jack lernte Sydney eher zufällig während ihres Studiums kennen. Er stand an der Essensausgabe der Mensa hinter ihr, als ihr das Geld hinunterfiel. Sofort hatte er ihr geholfen, die verstreuten Münzen einzusammeln. Er erinnerte sich gut daran, wie ihre Augen zu ihm aufgesehen hatten: Groß, unschuldig und grün schimmernd wie zwei Smaragde.

Er verliebte sich Hals über Kopf in sie.

Jetzt, wenige Monate später, war er neugierig, was sie ihm so dringend zu zeigen wünschte. Viel gesagt hatte sie nicht am Telefon. Nur, dass sie ihm etwas zeigen müsse. Die Decke und die Snacks waren sein Einfall gewesen.

„Wie weit ist es denn bis zu dieser Lichtung?“ Er unterdrückte ein Gähnen. Vielleicht konnte er die Decke dazu nutzen, Schlaf nachzuholen, wenn sie dort waren, überlegte er.

„So weit ist es nicht.“ Verschwörerisch blitzte sie ihn an und Jacks Mundwinkel hoben sich.

Sie erreichten die Lichtung eine Viertelstunde später. Eine Hütte stand mittendrin und ein Rabe krähte von einem Ast herab. Nicht sicher, was Sydney in Aufregung versetzte, runzelte Jack die Stirn. Ein Gefühl des Unwohlseins beschlich ihn. Als wollte die Sonne seine Gefühle bekräftigen, versteckte sie sich hinter sich bedrohlich auftürmenden Quellwolken. Sicherlich würde es bald anfangen zu regnen. Im Wald war Ihnen das Wetter nicht aufgefallen. Die Bäume hatten zu dicht beieinander gestanden, als dass man einen Blick auf den Himmel hätte werfen können. Der Wetterumschwung beunruhigte Jack.

Er räusperte sich. „Du hast Recht. Die Lichtung ist klasse… Total spannend!“ Er zwinkerte Sydney zu und beobachtete, wie sie ihre großen Augen gen Himmel richtete.

„Das hier doch nicht! Man sieht es nicht von hier! Komm‘ mit!“ Entschlossen zog sie an seiner Hand.

Vor Aufregung klopfte Sydneys Herz wie wild. Eine Gänsehaut beschlich ihre Arme und ließ ihre Nackenhaare zu Berge stehen. Am Nachmittag zuvor hatte sie dasselbe Gefühl gehabt. Sie führte Jack über die Lichtung und an der Hütte vorbei, tiefer in den Wald hinein.

Plötzlich blieb sie stehen.

Jack warf einen Blick zurück über die Schulter. Er konnte die Hütte schwach hinter den Bäumen ausmachen.

„Sieh genau hin!“ forderte Sydney ihn auf und deutete auf die Bäume vor ihm. Er hatte keine Ahnung, was er dort sehen sollte. Doch aufgrund der Eindringlichkeit ihrer Worte, kniff er seine Augen zusammen und sah hin.

Zunächst hielt er es für eine optische Täuschung aufgrund des Lichteinfalls. Doch als er erneut hinsah, schnappte er nach Luft und starrte Sydney an.

„Was ist das?“ –

„Ich weiß es nicht. Ich war gestern hier vorbeigekommen, als ich spazieren war, und da schimmerte es silbern. Deshalb hatte ich die Lichtung überhaupt erst überquert.“ Die Anspannung ließ ihre Stimme zittern. „Normalerweise laufe ich nicht so weit in den Wald hinein. Aber immer dieselbe Strecke zu sehen wird mit der Zeit auch langweilig…“ Jack warf ihr einen Blick zu und sie fuhr fort: „Ich glaube, es ist eine Art Wand. Ich habe mich gestern nicht getraut, es anzufassen, aber als ich näherkam, verblasste es immer mehr bis es kaum noch auszumachen war. So wie jetzt.“

 

Jack schluckte. Die Bäume vor ihnen lagen hinter einem dünnen Schleier. Ihre Umrisse waren verschwommen. Erst, wenn man wirklich hinsah, konnte man erkennen, dass die Bäume von sanften Wellen in Bewegung versetzt wurden.

„Glaubst du, es ist gefährlich?“ Sydneys Stimme war gesenkt und sie flüsterte fast. Ob aus Angst oder aus Ehrfurcht vermochte Jack nicht zu sagen. Er hob einen Zweig vom Boden auf und trat auf den Schleier zu.

„Pass auf!“ Ängstlich umklammerte Sydney seine Hand. Jack streckte die Hand mit dem Zweig aus. Die Spitze des Zweiges berührte den Schleier nicht, als sich der Zweig und die Wand gegenseitig anzuziehen schienen. Jack spürte einen leichten Druck, so als würde jemand am anderen Ende des Zweiges ziehen. Der Schleier wölbte sich dem Zweig entgegen und als es zur Berührung kam, führten Wellen vom Zweig weg. Die Zweigspitze durchdrang den Schleier wie eine Wasseroberfläche. Weiter geschah nichts. Der Zweig blieb vollkommen unbeeinflusst.

Ob ein Mensch auch so einfach hindurchgehen kann, ging es ihm durch den Kopf. Der Wald setzte sich auf der anderen Seite der Wand wie gewohnt fort. Er ließ den Zweig fallen und streckte seine Finger der Wand entgegen.

„Nicht! Was, wenn etwas passiert!“ Sydney riss seine Hand zurück und starrte ihn unsicher an.

„Ich glaube nicht, dass etwas passiert. Es scheint völlig harmlos zu sein!“

Ihr Blick gewann an Intensität und brannte sich in seinen. „Bitte riskier‘ nichts! Wir wissen doch überhaupt nichts über dieses Ding. Woher willst du dir so sicher sein, dass dir nichts zustößt?“

Jack dachte kurz nach. „Ich spüre es.“ Selbst in seinen Ohren klang es irrational und unglaubwürdig. Vielleicht sprach seine Übermüdung aus ihm, überlegte er weiter. Vielleicht glaubte er, sich sicher zu sein und wäre es im ausgeschlafenen Zustand nicht. Er rieb sich mit der Hand über die Stirn und schloss die Augen. Er bekam Kopfschmerzen. Es stand außer Frage, dass er eine Menge Schlaf benötigte.

„Vielleicht hast du Recht. Vielleicht sollten wir gehen und nicht weiter darüber nachdenken.“ Erleichterung zeichnete sich in Sydneys Gesicht ab.

Die ersten Regentropfen fielen vom Himmel, nur schwach zunächst, doch schon bald prasselte der Regen laut auf sie nieder. Jack wandte den Blick zur Hütte. „Lass uns nachsehen, ob die Tür zur Hütte unverschlossen ist.“

Als sie die Hütte erreichten, war ihre Kleidung durchnässt. Zitternd schlang Sydney die Arme um sich. Jack packte den rostigen Türgriff und drückte die Klinke herunter. Leise knarrend öffnete sie sich und sie traten schnell ein.

Durch die verdreckten Fenster fiel wenig Licht in den Raum. Sie konnten einen Tisch und zwei Stühle ausmachen, sowie einen Kamin, der in die gegenüberliegende Wand eingelassen war, und an dem ein rostiger Schürhaken lehnte. Jack trat einen Schritt vor. „Anscheinend ist die Hütte vor langer Zeit verlassen worden.“

Sydney verzog das Gesicht zu einer Grimasse angesichts des Drecks.

„Ich schau nach, ob es Feuerholz gibt. Wir könnten den Regen abwarten und uns am Feuer trocknen.“ Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und sah sich um.

„Wie romantisch.“ Sydney folgte ihm und der Gedanke mit Jack an einem Kaminfeuer zu sitzen, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie kniete sich neben Jack und beobachtete, wie er ein Feuerzeug aus seiner Tasche zog, um ein paar dünnere Zweige in Brand zu setzen, ehe er ein dickeres Holzscheit obenauf legte und mit dem Schürhaken in der Glut herumstocherte.

„Magst du ein Tunfisch-Sandwich?“

„Ja, gerne.“

Jack kramte in seiner Sporttasche und beförderte neben Sandwiches eine Kanne Tee hervor.

Der Regen prasselte gegen die Fenster und dumpfes Donnergrollen kündigte ein Gewitter an.

„Was machen wir, wenn es nicht aufhört zu regnen?“

Sydney warf Jack einen Blick zu. Dieser blinzelte und erwiderte: „Ich würde sagen, wir können nach Hause gehen und eine Lungenentzündung riskieren oder wir warten ab bis sich das Unwetter verzogen hat. Bis morgen früh hat es sich bestimmt etwas beruhigt; vielleicht ja noch heute Abend.“

„Es gibt hier aber kein Bett.“

Zeugte die Röte auf ihren Wangen von der Wärme des Feuers? Oder von etwas anderem? Jack räusperte sich.

„Naja, wir könnten vor dem Kamin schlafen.“

Sein Blick suchte ihren. Ihre Begegnungen gingen bisher nicht über das Küssen und einzelnen schüchternen Berührungen hinaus. Sie waren nun seit einem Monat ein Paar und Jack respektierte Sydneys Wunsch, es langsam angehen zu lassen. Doch es lag ein Knistern in der Luft, das keineswegs vom Feuer verursacht wurde. Sydney senkte den Blick. Ihre Zunge fuhr über ihre Lippen und als sie den Blick wieder hob, zögerte Jack nur eine Sekunde. Er beugte sich vor und seine Lippen umschlossen sanft ihre. Als Sydney seinen Kuss zaghaft erwiderte, stöhnte Jack leise. Ihr beider Atem ging schwer, als er sie erneut küsste – hungriger und leidenschaftlicher – und gemeinsam sanken sie zu Boden.

Ein leises Rascheln an der Tür lenkte Sydney ab. Sie verspannte sich.

„Was ist los?“

Jack hatte nichts gehört.

„Ein Geräusch. Bei der Tür.“

Sie warf den Blick auf die Tür, sah aber nichts. Jack unternahm den Versuch, sie zu beruhigen.

„Das war bestimmt nichts.“

Er strich ihr über die Wange und wollte den Kuss nur zu gern fortsetzen. Ihre Lippen glänzten noch feucht und Jack neigte sich vor, wurde jedoch sofort von Sydney sanft zur Seite geschoben, damit sie sich aufsetzen konnte. Jack seufzte.

„Hier ist doch nichts; nur Spinnweben und Staubflocken.“

Seine Worte bekräftigend, wandte er sich um und warf einen Blick in den Raum; seine Enttäuschung hinter einer Fassade des Verständnisses verbergend.

„Ich habe aber etwas gehört.“

Sydney zweifelte nicht eine Sekunde an ihrem Gehör. Allerdings musste sie zugeben, dass es nichts Außergewöhnliches zu sehen gab. Sie waren allein. Schließlich wandte sie sich wieder dem Feuer und Jack zu. Er blickte ins Feuer und Sydney konnte seine Enttäuschung über die Unterbrechung deutlich spüren.

„Es tut mir leid. Ich wollte nicht die Stimmung verderben.“

Jack schwieg einen Moment und als er sich ihr zuwandte, lächelte er wieder.

„Ist nicht so schlimm. Weißt du, ich bin total übermüdet. Wir sollten besser schlafen.“ Er gähnte und warf einen Blick zum Fenster. „Es sieht nicht danach aus, als würde das Gewitter bald abziehen. Und im Dunkeln finden wir den Weg in die Stadt sowieso nicht zurück.“ Sydney nickte.

Jack breitete die Decke aus und sie versuchten, es sich mit der Sporttasche als Kissen möglichst bequem zu machen. Seinen Arm um ihre Taille legend, schlief Jack ein, kaum dass sein Kopf die Tasche berührte. Sydney starrte dagegen noch eine ganze Weile in die Flammen und beobachtete wie das Feuer schwächer wurde. Sie konnte unmöglich an diesem Ort schlafen; selbst wenn sie es versucht hätte. Es war unheimlich und das Geräusch, das sie gehört hatte, hinterließ ein Gefühl der Beklemmung in ihrem Brustkorb. Eigentlich war sie nicht der Typ Frau, der schnell in Panik verfiel. Allerdings hatte sie auch nie ein derartiges Phänomen wie das dieser Wand mitten im Wald gesehen. Es hatte den Anschein, als wäre dieser Schleier auf eigenartige Weise durchlässig. Aber wozu, fragte sie sich. Was konnte diese Wand sein? Woher kam sie? Und wer wusste außer ihnen noch davon?

Es knackte im Kamin und der letzte Funke des Feuers glomm auf, bevor die Finsternis sie umhüllte. Jack begann leise zu schnarchen. Sydney schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Langsam begann sie im Geist Schafe zu zählen. Das würde ihr helfen schneller einzuschlafen.

Sie erreichte eben das sechzehnte Schaf, als das eigenartige Geräusch erneut ertönte. Sofort schlug Sydney die Augen auf. Nervös starrte sie in die Dunkelheit zu ihren Füßen. Der Drang, Jack aufzuwecken, war groß. Doch sie unterdrückte das Bedürfnis. Sie durfte ihn jetzt nicht aufwecken. Aber was konnte dieses Geräusch verursacht haben? Ob es Waschbären in dieser Gegend gab? Vielleicht war einer angelockt worden von ihren Sandwiches. Oder eine Ratte? Abscheu ließ sie das Gesicht verziehen und eine Gänsehaut kroch ihr über die Arme. Der Gedanke, wie eines dieser widerlichen Tiere anfing, an ihnen zu knabbern, während sie beide schliefen, erfüllte sie mit Entsetzen.

Wieder raschelte es. Es klang fast wie ein Schlurfen und ihr kam der Gedanke an einen Bären. Den hätte sie doch aber eindeutig gehört? Sydney setzte sich auf. Jack schlief tief und fest und bekam nicht mit, wie sie sich vorsichtig hinhockte und die Augen zusammenkniff, um besser sehen zu können. Es war bereits am Nachmittag düster gewesen, doch jetzt, als draußen tiefschwarze Nacht über dem Wald lag, herrschte absolute Schwärze im Raum. Ihr brach der Schweiß aus. Was sollte sie tun, wenn doch ein wildes Tier es geschafft hatte, hereinzukommen? Jeder Muskel in ihr war angespannt, doch bohrender Zweifel und Unsicherheit hielten sie zurück. Sie hatte schon einmal die romantische Stimmung verdorben. Womöglich wäre er sauer auf sie und würde ihr keine Hilfe sein. Nein, wecken konnte sie ihn nicht. Außerdem war er übermüdet; er brauchte den Schlaf. Und wenn es nur eine Maus war, die sich verirrt hatte? Dann war es umso lächerlicher, wenn sie ihn wecken würde.

Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, griff Sydney um sich. Sie bekam das Ende des Schürhakens zu fassen. Falls es ein größeres Tier war, so wollte sie dem nicht schutzlos gegenüberstehen. Beide Hände fest um den Griff des Schürhakens geschlungen, starrte sie in die Finsternis. Der Mond warf einen schwachen Lichtschein auf den Tisch und Sydney zweifelte bereits, ob sie sich nicht doch geirrt hatte, als plötzlich ein Schatten den sanften Mondschimmer unterbrach.

Entsetzt schnappte sie nach Luft. Was auch immer in diesem Raum war: Es war riesig. Die Nerven bis aufs äußerste gespannt, verharrte Sydney in ihrer Position und hielt den Atem an. Was zur Hölle war das? Ihr kam erneut der Gedanke eines Bären. Doch wie sollte er hineingekommen sein? Vor allem: Müsste sie ihn nicht atmen hören? Stattdessen war kein Ton zu hören. Nur ihr Blut, das mit rasender Geschwindigkeit durch ihre Adern floss, rauschte ihr in den Ohren.

„Jack!“

Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern. Ihr Mund fühlte sich trocken an und ihre Zunge war belegt. Sie schluckte hart. Natürlich konnte Jack sie nicht hören. Er schlief zu fest. Sie streckte die Hand nach ihm aus und rüttelte ihn an der Schulter.

„Jack!“, flüsterte sie erneut. Ihr brach der Schweiß aus.

Jack gab ein leises Grunzen von sich, schlief jedoch ungestört weiter.

Was sollte sie nun tun? Allen Mut zusammennehmend, verstärkte sie den Griff um den Schürhaken. Ein letztes Mal, versuchte sie Jack zu wecken. Sie rüttelte diesmal stärker an seiner Schulter. Er rührte sich und stöhnte leise.

„Was’n los?“, murrte er.

„Jack! Hier ist etwas!“, raunte sie atemlos, ohne die Schatten vor sich außer Acht zu lassen.

„Schlaf‘ lieber! Da ist doch nichts“, murrte Jack unwillig und drehte ihr den Rücken zu.

Die Übermüdung sprach aus ihm, entschied Sydney.

„Aber ich hab es gesehen!“, flüsterte sie und schüttelte ihn erneut.

„Verdammt, Sydney, was soll denn da sein?“, fuhr Jack sie müde an und setzte sich auf. „Ich sehe hier nichts“, stellte er schließlich fest und wollte sich bereits wieder hinlegen, als alles sehr schnell ging.

Das Tier stieß gegen ihren Fuß und Sydney schrie entsetzt auf. Der Schürhaken fuhr durch die Luft und schlug hart gegen den Kamin. Der Schmerz über den Aufprall strahlte bis in ihre Schulter hinauf. Sie stöhnte leise und hielt sich automatisch den Arm.

„Was tust du?“, fragte Jack erschrocken.

Nun saß er doch und es war ihm anzumerken, dass Sydneys irrationales Verhalten ihn beunruhigte.

„Es hat mich berührt, verdammt!“, zischte Sydney. Jack begann in seiner Tasche zu kramen. „Wonach suchst du?“, wollte sie leise wissen, als Jack das Feuerzeug entzündete. Er erhob sich und Sydney tat es ihm gleich. Sie konnten kaum etwas erkennen. Und dennoch… Die Finsternis im Raum war zu schwarz, um gewöhnlich zu sein. Jack streckte den Arm aus und das Licht der Flamme traf auf den Eindringling.

 

Entsetzt stolperte Sydney einen Schritt zurück, als das Biest Jack zur Seite stieß und ihren Arm packte.

Und plötzlich war es ihr klar. Hier war kein Tier. Kein Bär, keine Ratte, kein Monster. Es war ein Mensch. Ein Mensch aus Fleisch und Blut und größer, als sie es sich vorstellen konnte. Sie wollte schreien. Doch noch ehe sie einen Ton von sich geben konnte, zerrte man sie gegen einen harten Körper und eine raue, schwielige Hand presste sich gegen ihren Mund. Sydney trat mit den Füßen um sich und versuchte, sich loszureißen.

„Sydney!“

Jack wollte ihr helfen, doch der Stoß, den man ihm mit solcher Wucht versetzt hatte, hatte ihm eine Platzwunde am Kopf beschert. Vor seinem Auge verschwamm alles, er taumelte. Er war sich sicher, wäre es nicht so dunkel um sie herum, würde er schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen sehen. Kopfschüttelnd versuchte er Sydney zu Hilfe zu eilen. Er stützte sich an der Wand hinter sich ab und trat einen Schritt vor, bereit dem Angreifer entgegenzutreten, als seine Beine zitternd ihren Dienst versagten. „Verdammt“, nuschelte er schwach, ehe er ohnmächtig zusammensackte.

Sydney schlug derweil mit dem Schürhaken um sich und traf ihren Angreifer am Bein. Er grunzte und zerrte Sydney nach draußen. Er entwand ihr den Haken und warf ihn achtlos ins nasse Gras, wo er mit einem leisen, dumpfen Geräusch aufschlug. Ein Tritt traf ihn am Bein und seine Hand auf ihren Mund lockerte sich. Es gelang ihr, ihre Zähne in seine Finger zu versenken. Augenblicklich riss ihr Angreifer seine Hand los und sie schrie: „JACK! Hilfe!“

Der Mann reagierte sofort und versetzte ihr einen Stoß, der sie nach vorne ins nasse Gras fallen ließ. Der Stoß trieb ihr alle Luft aus den Lungen und noch ehe sie zu einem erneuten Hilferuf ansetzen konnte, war er über ihr. Ein Griff in ihre Haare und er zog sie zu sich hoch. Sydney stöhnte vor Schmerz.

„Schweig, dummes Weib!“

Seine raue Stimme war zu einem tiefen Knurren herabgesenkt. Sie jagte ihr einen Schauer über den Rücken und Sydney erstarrte. Ein kräftiger Arm schlang sich um sie und ihr Angreifer knebelte sie mit einem Seil. Anschließend band er ihre Handgelenke hinter ihrem Rücken zusammen. Derart verschnürt, zog er sie mit sich in den Wald hinein. Was sollte sie tun? Sie hatte schon oft die Artikel in der Zeitung gelesen, in denen Mädchen und junge Frauen spurlos verschwanden. Man fand sie kurze Zeit später im Wald. Vergewaltigt und mausetot. Vielleicht sollte es ihr nun auch so ergehen? Sie hoffte, nein, sie betete, dass dem nicht so war.

Sie erreichten den Waldrand und traten in die Schatten der Bäume. Der Mondschein schaffte es kaum, die Baumkronen zu durchdringen. Der Mann an ihrer Seite schien sich – im Gegensatz zu ihr – mühelos zurechtzufinden. Plötzlich blieb er stehen.

Ihr Arm kribbelte und Sydney kam sich vor wie in einem Schraubstock. Da ihr Entführer sich zu einer Pause entschlossen hatte, nutzte sie die Gelegenheit. Sie trat ihm auf den Fuß und entriss ihm den Arm. Sydney rannte los und hörte den Mann einen Fluch ausstoßen, ehe er die Verfolgung aufnahm. Hastig versuchte sie, sich zurechtzufinden. Dunkelheit verschluckte sie und mehrfach stießen ihre Schultern gegen einen Baum. Ihr Atem entwich stoßweise ihren Lungen und war das einzige Geräusch um sie herum. Ein spitzer Ast schlug ihr gegen das Gesicht und augenblicklich spürte sie das warme Blut ihre Wange hinabrinnen.

Sie würde nicht weit kommen.

Als sie einen dicken Baumstamm erreichte, zögerte sie nicht lange und versteckte sich. Vorsichtig rutschte sie entlang der Rinde zu Boden und kauerte sich hin. Ihre einzige Chance dem Fremden zu entwischen, bestand darin, keinen Ton von sich zu geben. In dieser Finsternis konnte er sie unmöglich finden, wenn sie nur still wäre! Sydney schloss ihre Augen. Das Blut rauschte ihr in den Ohren und ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle hoch. Inständig hoffte sie, der Fremde würde wieder verschwinden und nach ihrer Flucht aufgegeben haben.

Nach einer Weile normalisierten sich ihr Herzschlag und ihre Atmung wieder. Zitternd schluckte sie und wagte einen Blick hinter den Stamm. Ein oranger Lichtschein fiel auf einen Baum in ihrer Nähe und gedämpfter Hufschlag drang zu ihr vor. Entsetzen brandete in ihr hoch. Was sollte sie nur tun? Sie presste sich enger an den Baum und wagte einen zweiten Blick.

Der Mann blickte suchend umher.

Sein dichtes schwarzes Haar war zu einem losen Zopf gebunden. Dunkle Augen schimmerten im Licht der Fackel wie schwarze Opale. Seine muskulösen Beine steckten in einer erdfarbenen Wildlederhose und sein nicht minder muskulöser Oberkörper wurde von einem feinen weißen Hemd bedeckt. Die Ärmel waren aufgerollt und am Kragen stand der oberste Hemdknopf offen. Schwarze Schaftstiefel dirigierten das elegante Pferd unter ihm, welches ebenso schwarz wie die Haare seines Reiters war.

Sydney starrte ihn an.

Dieser Mann strahlte eine Arroganz und Stärke aus, die ihr jäh die Sprache verschlug. Solch einen Mann hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich bei seinem Anblick und das durchaus nicht nur aus Angst, wie sie schockiert feststellte. Dieser Mann wollte sie vermutlich umbringen oder ihr sonstige unaussprechliche Gräueltaten antun! Wie konnte sie da seine Erscheinung bewundern! Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt angesichts ihrer Reaktion auf ihn.

Sie zog sich zurück und presste ihren Rücken gegen die feuchte Rinde des Baumes.

Damian starrte in die Nacht. Seine Fackel warf flackernde Schatten auf die Bäume, die ihn umgaben. Er war sich sicher: Sie war in der Nähe. Er konnte ihre Furcht fast körperlich spüren.

Lan’tash hatte recht. Es war so vorherbestimmt, dass er sie ehelichte. Er hatte es mit einer leidenschaftlichen Wildkatze zu tun und nicht mit einem verängstigten Rehkitz. Sie würde die Richtige sein.

Er hob die Fackel höher und suchte die Umgebung ab.

Ihre Handflächen schwitzten. Warum ritt er nicht weiter? Es kam ihr vor, als stünde er bereits eine Ewigkeit auf der anderen Seite. Hatte er sie entdeckt? Schnell vergewisserte sich Sydney, dass sie vollkommen hinter dem Baumstamm verborgen war. Wusste er, dass sie hier war? Hatte er sie trotz der Dunkelheit sehen können? Angst kroch ihre Wirbelsäule hoch und hinterließ ein Prickeln in ihrem Nacken. Sie hörte, wie sich das Pferd langsam entfernte und stieß zitternd den Atem aus. Kein Ton war mehr zu hören und Sydney beschloss, nicht länger zu warten. Sie schob sich am Stamm hoch und trat hinter dem Baum vor. Stille umfing sie. Ihr kam der Gedanke, dass sie sich in der Finsternis leicht verlaufen konnte. Doch noch ehe sich dieser Gedanke in ihrem Gehirn festsetzen konnte, lief sie los. Der vom Regen aufgeweichte Boden ließ sie über Wurzeln und Äste stolpern. Nur mit Mühe ließen sich Ausrutscher vermeiden. Lief sie überhaupt in die richtige Richtung? Die Morgenstunde lag in weiter Ferne, sodass sie nicht darauf hoffte, dass sich die Lichtverhältnisse in naher Zukunft bessern würden. Keuchend stolperte sie vorwärts.

Hätte sie die Hütte nicht längst erreichen müssen? Sydney runzelte die Stirn und blieb stehen. Hatte sie sich verirrt? Ein Schluchzen stieg in ihr auf und in ihrem Hals machte sich ein Gefühl der Enge breit. Sie konnte überall in diesem vermaledeiten Wald stecken!

Nicht aufgeben, Syd’! Es ist noch nichts verloren!, versuchte sie sich zu beruhigen.

Ihre Schultern schmerzten und das raue Seil scheuerte in ihre Haut. Es schadete sicher nicht, wenn sie sich kurz ausruhte. Sydney trat an einem Baum heran. Ächzend ließ sie sich an der Rinde herabsinken und zog die Knie an, um ihr Kinn darauf abzustützen. Der Schmerz in ihren Schultern wurde schier unerträglich und jeder Versuch, die Fesseln zu lösen oder gar zu lockern, war zum Scheitern verurteilt. Sie stöhnte leise und schloss die Augen einen Augenblick.

Ein leises Geräusch drang an ihr Ohr.

Sie musste eingeschlafen sein. Die Sonne war aufgegangen und ihre warmen Strahlen drangen durch ihre geschlossenen Augenlider.

Sydney war noch benommen vom Schlaf und blinzelte müde gegen das Licht an. Zu spät registrierte sie, dass der Lichtschein auf ihrem Gesicht von einer Fackel verursacht wurde, deren Feuerschein sie blendete.

Es war der Fremde.

Er streckte seinen Arm aus und zog sie hoch. Der Schmerz in ihrer Schulter explodierte und Sydney schrie auf. Tränen der Wut, Angst und des Schmerzes traten ihr in die Augen. Sie war verloren. Wie hatte sie nur einschlafen können?

Dumme Gans!, schimpfte sie sich.

Beim Klang ihres Schreis lockerte Damian seinen Griff um ihren Arm und zog sie zu sich heran. Mit einer fließenden Bewegung warf er sie wie einen Sack Kartoffeln über seine Schulter und schlang seinen freien Arm um ihre Beine. Seine Hand legte sich verstörend warm auf ihren Oberschenkel.

Sydney wand sich. Jeder seiner Schritte presste ihr die Luft aus den Lungen. Wenn sie sich doch nur mit den Händen abstützen könnte! Die gefesselten Hände lieferten sie seiner Grobheit auf Gedeih und Verderb aus. Sie war kein Mensch, mit dem man so umspringen konnte!

Damian erreichte sein Pferd.

Das leise Schnauben ließ Sydney erstarren. Dieser Augenblick bot ihr die letzte Möglichkeit zum Entkommen. Entschlossen trat sie um sich und warf sich auf seiner Schulter herum.

Damian geriet kurz aus dem Gleichgewicht. Diese kleine Hexe war fuchsteufelswild und zerrte an seinen Nerven. Er warf die Fackel eine Armeslänge von sich auf die Erde und ließ Sydney von seiner Schulter gleiten. Die Rundungen, die dabei an seinem Oberkörper entlang glitten, blieben ihm dabei keineswegs verborgen. Sie erinnerten ihn einmal mehr daran, dass diese Wildkatze seine Braut war.

Sydney versuchte den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern, doch Damian hielt ihren Arm umfangen. Wütend blitzte sie ihn an und stille Faszination ließ sie ihr Urteil über die Farbe seiner Augen revidieren. Dunkel, wie flüssige Schokolade, funkelte er sie an; eine deutliche Warnung lag in seinem Blick. Sydney schluckte.

Damian löste seine Hand von ihrem Arm, um auf das Pferd zu steigen, und Sydney reagierte. Es war ihr einerlei, dass er ein Pferd hatte. Die Hauptsache war, dass sie überhaupt fliehen konnte.

Damian sah ihr nach. Ein verschlagenes Grinsen erschien auf seinem Gesicht und er trieb Schara’k an. Schnaubend fiel das Pferd in einen sauberen Trab. Trotz der nächtlichen Dunkelheit war jeder Schritt sicher gesetzt; zu oft war er mit Schara‘k diese Wege geritten.

Sydney konnte ihr Glück kaum fassen. Sie stolperte auf die Lichtung und erblickte die Silhouette der Hütte vor sich. Sie rannte los. Ihre einzige Chance war es, die Tür zu erreichen und zu Jack zu gelangen, damit er ihr helfen konnte. Sie hatte zuvor nicht den Eindruck gehabt, dass es ihm gut ging.

Zwanzig Meter trennten sie von ihrer Rettung. Hinter sich hörte sie das Donnern der Hufe. Jeder Atemzug brannte in ihren Lungen und die Angst, es nicht zu schaffen, machte sie schier verrückt.