Das geheimnisvolle Verschwinden von Toni Malloni

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Das geheimnisvolle Verschwinden von Toni Malloni
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Inhalt

Großvater Mallonis Zylinderhut

Der traurige Riese

Ginger Dolores

Der kleine Riese

Das durchgesägte Mädchen

Mach, dass sich die Räder wieder drehen

Die Frau mit dem Fischschwanz

Marcello Mallonis wahre Geschichte

Mit dem Wal auf die Reise

Willkommen zurück

Das letzte Abenteuer?



Großvater Mallonis Zylinderhut

Es war am Anfang der Sommerferien. Ich war auf dem Dachboden meiner Großmutter, und ich tat etwas Verbotenes. Verbotene Dinge machen schließlich am meisten Spaß. Ich schnüffelte nämlich in der geheimen Kiste meines Großvaters herum. In der geheimen verbotenen Kiste! Bestimmt denkt ihr jetzt: Hä? Warum verboten? Und mit Recht, denn was kann an einer Kiste schon geheim und verboten sein?

Das will ich euch erzählen.

Mein Großvater war einmal ein berühmter Zauberkünstler. Er war bekannt als Marcello Malloni, Meister der Magischen Wunder. So jedenfalls stand es auf den vergilbten Werbeplakaten, die ich in der Kiste fand. Mein Großvater konnte alles verschwinden lassen. Das wusste ich aus den Einklebealben, die ich ebenfalls darin gefunden hatte. Angefangen hatte es irgendwann mit einem Kaninchen, als Nächstes kam eine Katze, danach ein Hund, und die Tiere wurden immer größer. Mein Großvater träumte davon, einmal sogar einen Elefanten verschwinden zu lassen und wieder hervorzuzaubern. Das ist ganz etwas anderes, als jemandem ein Ei aus der Nase oder dem Ohr hervorzuzaubern! Einen Elefanten versteckt man nicht einfach so in jemandes Ohr.

Eines Tages gelang es ihm, einen echten Elefanten wegzuzaubern. Mein Großvater warf ein Tuch über den Elefantenkäfig, nach einem Spruch und einem Lichtblitz zog er das Tuch weg, und dann …

TATATA-TAA, der Elefant war verschwunden, und in dem Käfig saß meine Großmutter in einem schönen, glänzenden Ballettkostüm. Solche Sachen konnte mein Großvater. Bis er eines Tages selbst verschwand. Jahre um Jahre ist das her. Niemand wusste, wo er abgeblieben war. Er war einfach … weg.


«Toni!» Die Stimme meiner Mutter schallte durchs Haus. «Ich bringe schon mal einige Umzugskartons fort. Du kommst allein zurecht, ja?»

Ich nickte, obwohl sie das natürlich nicht sehen konnte. Unten knallte die Haustür ins Schloss und ich atmete erleichtert auf. Das gab mir etwas mehr Zeit, in der Kiste meines Großvaters zu stöbern. Ich wollte herausfinden, was an dem Tag geschehen war, als er für immer verschwand. Meine Mutter war damals noch ein Baby gewesen und konnte mir kaum etwas erzählen. Aber vielleicht würden die Einklebealben mir meine Fragen ja beantworten.

Meine Großmutter hatte nach Opas Verschwinden nie mehr über ihn gesprochen. Selbst seinen Namen hatte sie nie mehr genannt. Sofort, nachdem er wie vom Erdboden verschluckt worden war, packte sie seine gesamten Sachen in eine Kiste und stellte sie auf den Dachboden. Niemand durfte die Kiste auch nur anschauen, geschweige denn öffnen.

Manchmal fragte ich Oma schon nach meinem Großvater. Dann schaute sie mich mit so glasigen Augen an, als würde sie mich weder sehen noch hören. Meistens lenkte sie das Gespräch rasch auf etwas anderes. «Iss deinen Teller leer, Junge», sagte sie dann. Oder: «Dieses Jahr bekommen wir einen warmen Sommer.» Aber eine Antwort erhielt ich von ihr nie.

Und jetzt würde ich sie überhaupt nie mehr nach ihm fragen können, denn vor wenigen Wochen war meine Großmutter gestorben. Sie war sehr alt geworden. Trotzdem fand ich es so verrückt und war auch ziemlich traurig deswegen. Sie war immer da gewesen, und jetzt auf einmal nicht mehr. Von heute auf morgen war sie verschwunden. Eigentlich genau wie mein Großvater.

Vorsichtig durchwühlte ich die Kiste. Die Sachen meines Großvaters lagen ordentlich eingepackt darin und nicht etwa achtlos hineingeworfen, als wollte jemand sämtliche Erinnerungen an ihn auslöschen. Seine Kleidung war sorgsam gefaltet, obenauf lag fein säuberlich sein Zylinderhut. Die Fotos in den Alben waren gewissenhaft eingeklebt. Meine Oma hatte ihn also nicht völlig vergessen.

Aus einem der Alben fiel ein alter Zeitungsartikel heraus. Ich sah ein Schwarzweißfoto von meinem Großvater. Er trug einen schönen, schwarzen Anzug. Neben dem Foto stand in großen, fetten Buchstaben:



Der Verschwindekünstler Marcello Malloni erstaunt uns nach wie vor. Gestern wollte er uns wieder einen neuen Verschwindetrick zeigen. Was würde es diesmal sein? In gespannter Erwartung standen wir mit gezückten Kameras und Notizbüchern bereit, um Sie als unsere treuen Leser des «Stadtboten», Ihrer täglichen Zeitung, in Bild, Gestik und Erzählung an dem Ereignis teilnehmen zu lassen. Liebe Leserinnen und Leser, was sich vor unseren Augen abspielte, können wir fast nicht nacherzählen. Denn die Wahrheit ist immer noch verrückter als die Fantasie.

Marcello Malloni kam auf die Bühne gerannt.

Seine Frau stand neben ihm, verkleidet als Meerjungfrau mit Fischschwanz. Im Arm trug sie ein lila Tuch und dazu ein Goldfischglas mitsamt Goldfisch. Ob er den verschwinden lassen würde? Nein, er hatte andere Pläne.


«Meine Damen und Herren, liebe Kinder», rief Maestro Malloni. «Heute werde ich Sie mit dem größten Zaubertrick aller Zeiten in Erstaunen versetzen! So etwas wie das haben Sie noch nie gesehen! Ich werde einen Goldfisch verschwinden und an seiner Stelle einen Wal erscheinen lassen! Ein Zaubertrick, den Sie nie vergessen werden! Sind Sie bereit?» Seine Frau stellte das Goldfischglas in einen großen Käfig und drapierte ein Tuch darüber.

Malloni setzte sich einen Zylinder auf, und wir hielten den Atem an. Was würde geschehen? Und dann … dann … rein gar nichts.

Rein gar nichts?, werden Sie sich fragen. Wie meinen Sie das?

Liebe Leserinnen und Leser, Sie werden sagen, das stimmt nicht. Aber ich versichere Ihnen, es ist so wahr, wie es nur sein kann, denn Ihr Berichterstatter hat alles von Anfang bis Ende mit eigenen Augen gesehen.

Von Marcello Malloni blieb nichts übrig, ausgenommen sein Zylinderhut. Und als das Tuch weggezogen wurde, war auch der Käfig leer. Na ja, fast. Nur das Goldfischglas war noch da.

Eine Panik entstand. Señora Malloni sah aus wie versteinert. Assistenten warfen das Tuch erneut über den Käfig und zogen es anschließend wieder herunter.


Bestimmt hofften sie, Marcello Malloni würde doch noch erscheinen. Aber der Käfig blieb bis auf das Goldfischglas leer. Auch in dem Zylinder steckte nichts, ganz gleich wie fest ein Kollege von der Beleuchtung ihn auch schüttelte.

Lediglich ein paar Spielkarten trudelten aus dem Zylinder zu Boden. Diese Spielkarten, liebe Leserinnen und Leser, hat Ihr Berichterstatter noch selbst in Händen gehalten und eigens für Sie untersucht. Geheimnisvolle Figuren waren darauf abgebildet. Nur das und sonst nichts war von Marcello Malloni übrig geblieben. Man schaute auch noch hinter die Klappe unter dem Käfig. Denn wie sich zeigt, haben die Verschwundenen des Herrn Malloni eher mehr mit Verstecken zu tun und weniger mit Zauberei. Was wiederum sehr schade ist.

Was bleibt, ist die Frage: Wo ist Marcello Malloni abgeblieben? Er kann sich doch nicht in Rauch aufgelöst haben! Niemand verschwindet einfach so ins Nichts! Dieser Goldfisch jedenfalls wird ihn wohl kaum verschluckt haben. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau, die allein mit einem Kind zurückbleibt.

 

Ich las den Zeitungsartikel mindestens zwei-, nein: drei-, nein: viermal! Mein Blick ging zu dem Zylinderhut meines Großvaters und zu den Werbeplakaten. Einfach verrückt, sich vorzustellen, dass mein Großvater ein so außergewöhnlicher und berühmter Mensch gewesen war und ich, sein Enkel, so stinknormal bin. An manchen Tagen kam sogar ich mir richtig unsichtbar vor. In der Schule behandelten mich dann alle wie Luft.

Ich wühlte weiter in der Kiste. Neben den Fotoalben lag ein Stapel alter Comic-Hefte. Ich blätterte sie durch. Sie handelten von den Abenteuern eines Wanderzirkus, die sich allesamt in einem alten Vergnügungspark namens Malloniland abspielten. Ich runzelte die Stirn. Malloniland? Wirklich ein merkwürdiger Zufall, dass der Name des Vergnügungsparks unseren Nachnamen enthielt. Etwas zu merkwürdig. Neugierig beugte ich mich wieder über die Kiste. Da lag auch ein Satz recht wunderlich aussehender Spielkarten. Ich nahm sie, mischte sie und betrachtete sie eingehend. Die Vorderseiten zeigten Zirkusfiguren: einen kleinwüchsigen Mann, ein durchgesägtes Mädchen, einen weinenden Riesen mit Regenschirm, der verrückterweise gleichzeitig auch zu lachen schien, eine Frau in Cowboykleidung mit einem Pilotenhelm auf dem Kopf und … einen Wal. Waren das etwa die Spielkarten aus dem Zeitungsbericht, die Karten, die in dem Zylinderhut zurückgeblieben waren?


Ganz unten in der Kiste lag ein Tütchen mit Papierschnipseln. Ich ließ sie mir durch die Finger rieseln. Wovon die wohl waren? Und warum nur hatte meine Großmutter sie aufgehoben?

RUMMS!, machte die Haustür wieder.

«Liebling!», rief meine Mutter mir zu. «Der Aufkäufer von Großmutters Sachen ist da. Kommst du nach unten?»

So schnell ich konnte, raffte ich alle Sachen meines Großvaters zusammen. Ich kannte jetzt meine Aufgabe: Ich musste herausbekommen, was wirklich geschehen war bei dem geheimnisvollen Verschwinden meines Großvaters, den ich nie gekannt hatte. «Das werde ich tun», sagte ich laut. «Ich werde ihn suchen. Ich werde entdecken, was mit Opa passiert ist!»

Mit meinem Arm voll Sachen rannte ich die Dachbodentreppe hinab. Fast hätte ich Großvaters Zylinderhut fallen lassen, darum setzte ich ihn mir auf den Kopf. Und dann … verschwand ich.

Ich verschwand in dem Zylinder von Marcello Malloni, dem Meister der Magischen Wunder.


Der traurige Riese

PLAUZ!

Mit einem Schlag landete ich auf einem weichen Untergrund. Was war das? Es war dunkel. Ich tastete mit den Händen umher. War das Gras?

Wie konnte es plötzlich so stockdunkel sein? Gerade noch war es Tag, und jetzt kam es mir vor wie in der Nacht.

Ich blinzelte.

Dann verstand ich: Der ziemlich große Zylinderhut meines Großvaters war mir über die Augen gerutscht. Wie wild riss ich ihn mir vom Kopf, und es war wieder Tag. Aber als ich mich umschaute, blieb mir der Mund offen. Vorhin war ich doch auf dem Dachboden gewesen, und jetzt lag ich auf einer Wiese.


Musik war zu hören, es klang wie eine Orgel. Und eine blecherne Stimme sagte:

«Dreh dich im Nu,

dreh dich immerzu.

Komm, steige schnell

ein ins Karussell.

Dreh dich im Nu,

dreh dich immerzu!

Der Eintritt ist frei.

Toni Malloni, herbei!»


Ich schluckte. Hier gab es jemanden, der meinen Namen kannte, und irgendwie war mir das unheimlich.

Wohin hatte es mich verschlagen?

Vorsichtig stand ich auf und ging ein paar Schritte. Schon bald befand ich mich vor einem mit Efeu bewachsenen Eisentor. Darüber hing schief ein Schild, das sich quietschend im Wind hin und her bewegte. MALLONILAND stand in blinkenden Leuchtbuchstaben darauf. Die meisten funktionierten aber nicht mehr. Die Pflanzen und Sträucher konnten eindeutig einen kleinen Regenschauer gebrauchen, so schlaff waren sie. In dem Baum neben dem Tor hingen jede Menge Regenschirme: Bestimmt hatte es hier länger nicht mehr geregnet.

Das Tor öffnete sich knarrend, als ich dagegendrückte. Immer auf der Hut, ging ich weiter. Da vorne stand ein Karussell. Kam die Musik vielleicht von dort her?

Als ich näher kam, sah ich, dass das Karussell schon bessere Zeiten erlebt hatte. Die Pferde brauchten einen frischen Anstrich, und manchen fehlte ein Bein oder der Schwanz.

Ich bestieg das Karussell und setzte mich auf eines der Pferde. Ich musste nachdenken. Eben war ich noch auf Großmutters Dachboden gewesen, und urplötzlich fand ich mich auf einer verlassenen Kirmes wieder. Was war geschehen? Das hier konnte doch unmöglich echt sein, oder? War es ein Traum? Ich schloss die Augen. Wenn ich sie wieder aufschlug, wäre ich sicher wieder auf Omas Dachboden. Anders konnte es doch einfach nicht sein!


Ich öffnete die Augen wieder. Kein Dachboden weit und breit.

In diesem Moment sprangen die Lichter des Karussells an, eins nach dem anderen. Langsam setzte sich das Ding in Bewegung, und aus den Lautsprechern an den Bäumen tönte ein Lied:

«Tsching-bumm-trallala.

Uns geht es gut, das ist doch fein.

Tsching-bumm-trallala,

wie schön es ist, ganz frei zu sein!

Mach nur die Augen zu und sieh,

was du am liebsten möchtest seh'n.

Tsching-bumm-trallala.

Wer sich verstecken will, muss geh'n.»

Das Karussell drehte sich schneller und schneller, und dazu erklang jetzt auch fröhliche Kirmesmusik. Der Wind wehte mir durch die Haare.

«Junger Herr Toni Malloni? Meister Malloni Junior?», fragte eine Stimme.

Verwundert hob ich den Kopf. Neben dem Karussell stand ein Mann auf Stelzen. Er trug eine Augenklappe und sah aus, als wäre er gerade erst einem Piratenfilm entlaufen!

«Woher wissen Sie, dass ich Toni Malloni bin?», fragte ich stotternd.

Quietschend und knirschend kam das Karussell zum Stehen.

«Alle kennen Toni Malloni», sagte der Mann. Auf seinen Stelzen wirkte er wie ein Riese.

Ich schüttelte den Kopf. «Niemand kennt mich. In der Schule und auf der Straße werde ich von allen angerempelt oder beiseite geschubst. So als wäre ich unsichtbar. Beim Sport werde ich nie in eine Mannschaft gewählt, und einen Preis habe ich auch noch nie gewonnen. Wirklich, ich bin nicht von Bedeutung, ich zähle nicht mit.»

«Toni Malloni», sagte der Riese und klang dabei recht erstaunt, «unterschätze dich bitte nicht.»

Ich sah ihn fragend an.

«Wir warten schon sehr lange auf deine Ankunft. Ein neuer, weithin berühmter Malloni. Meister der weißen Magie.»

«Der weißen Magie?», fragte ich.

Der Riese wedelte mit seinen Händen. «Die Kunst der schnellen Hände, die edle Form der Zauberkunst, die dein Großvater, der Großmeister der Magie, zu neuen Höhen geführt hat.»

«Tut mir leid, aber ich muss Sie enttäuschen», sagte ich. «Ich kann rein gar nichts wirklich gut. Obwohl … Meinem Lehrer zufolge bin ich richtig gut darin, unsichtbar zu sein. Alle übersehen mich, als wäre ich Luft.»


Der Riese schüttelte den Kopf. «Junger Herr Malloni, sag bitte nicht so eigenartige Sachen. Wir haben dein Kommen jahrelang herbeigesehnt. Die Sterne, die Karten, die Planeten, sie alle haben nur eines angezeigt: Die Ankunft von Toni Malloni steht kurz bevor. Und jetzt bist du da! Wir warten alle auf unsere Rettung.»

«Eure Rettung?», fragte ich verwundert.

«Aber ja! Du bist unser Held», sagte der Riese.

Schon bei dem Gedanken wurde mir ganz heiß. «Ich weiß von nichts», sagte ich. «Ich will lediglich herausfinden, was mit meinem Großvater geschehen ist. Der hatte Zauberhände, ich nicht.»

Der Riese fing an zu lachen – donnernd zu lachen. Er lachte so laut, dass daraus ein Orkan entstand. Schon wehte es die Blätter von den Bäumen. Auch die Regenschirme hoch über mir in der Luft tanzten. Ich musste mich gut an dem Karussellpferd festhalten, damit ich nicht weggepustet wurde.

Das Lachen des Riesen schlug plötzlich in Weinen um. Die Tränen flossen ihm übers Gesicht, tropften an seinem Kinn herab. Er verursachte eine Sturzflut aus Tränen, und schon bald war ich völlig durchnässt. Da stand ich also. Pitschnass geregnet durch den Weinkrampf eines Riesen, der glaubte, ich könnte den Laden hier retten vor … Ja, wovor eigentlich? Wie in aller Welt war ich überhaupt in diese Lage geraten? Und auch nicht ganz unwichtig: Wie kam ich wieder heraus?

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