Derick Baegert und seine Maler-Dynastie

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Derick Baegert und seine Maler-Dynastie
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Hans Scholten

Derick Baegert und seine Maler-Dynastie

Die Hohe Zeit der Gotischen Malkunst und ihr Ende

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Derick Baegert und seine Maler-Dynastie

Vorwort

Warum dieses Buch?

Einstieg

Das Phänomen Derick Baegert und seine Sippe

Die Malkunst im damaligen Europa

Der Volkreiche Kalvarienberg, die Kunst des Malens von Retabelge­mälden und die Baegert-Sippe

Ein Maler und seine Dynastie - Derick Baegert

1. Flandern

2. Utrecht

3. Schöppingen

4. Wesel

5. Dortmund

Die nächste Generation

1. Jan Baegert und Jan Joest

2. Jan Baegert

3. Jan Joest

Die dritte Generation

1. Barthel Bruyn der Ältere und Joos van Cleve

2. Als junge Männer in Antwerpen

3. Joos van Cleve

4. Barthel Bruyn der Ältere

Nachwort

Links und Quellen

1.Teil

2. Teil

3. Teil

Impressum neobooks

Derick Baegert und seine Maler-Dynastie

Hans Scholten

Derick Baegert und seine Maler-Dynastie

Die Hohe Zeit der Gotischen Malkunst und ihr Ende

Roman und Sachbuch

Herausgeberin Ruth Schäfer

Impressum

Herausgeberin: Ruth Schäfer

www.ruthschaeferlektorat.de

Texte: © Copyright by Hans Scholten

Umschlag: © Copyright by Gudrun Bröckerhoff1

Beratung: Dagmar Ewert-Kruse

Verlag: Stationen

Postfach 101009

101609 Berlin

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Vorwort 4

Warum dieses Buch? 8

Einstieg 10

Das Phänomen Derick Baegert und seine Sippe 12

Die Malkunst im damaligen Europa 16

Der Volkreiche Kalvarienberg, die Kunst des Malens von Retabelgemälden und die Baegert-Sippe 22

1. Teil – Ein Maler und seine Dynastie 26

1. Flandern 27

2. Utrecht 38

3. Schöppingen 45

4. Wesel 54

5. Dortmund 66

2. Teil – Die nächste Generation 76

1. Jan Baegert und Jan Joest 77

2. Jan Baegert 80

3. Jan Joest 98

3. Teil – Die dritte Generation 102

1. Barthel Bruyn und Joos van Cleve 103

2. Als junge Männer in Antwerpen 104

3. Joos van Cleve 112

4. Barthel Bruyn der Ältere 129

Nachwort 145

Ahnentafel der Baegert Familie 148

Links und Quellen 149

Vorwort

„Das 15. und 16. Jahrhundert gelten als die Blütezeit der Stadt Wesel. Sie entwickelte sich zur beherrschenden Handelsmetropole am unteren Niederrhein und war als größte, volkreichste und mächtigste Stadt im Herzogtum Kleve Vorort der klevischen Städte in der Hanse. Begleitet wurde dieser wirtschaftliche Aufstieg von einer umfassenden Bautätigkeit im geistlichen wie profanen Bereich. Es bildete sich in dieser Zeit außerordentlicher wirtschaftlicher Prosperität in Wesel eine Gruppe namhafter Künstler aus Westfalen und dem Rheinland, dessen herausragender Vertreter der in Wesel um 1440 geborene Derick Baegert ist.“2

Dem Autor des vorliegenden Buches, Dr. Hans Scholten, war es stets ein Anliegen, den Weseler Bürgern ihre eigene Stadt und deren Geschichte näher zu bringen. Aus diesem Anlass verfasste Dr. Hans Scholten von 2018 bis 2019 die vorliegende Lektüre über die Maler-Dynastie rund um Derick Baegert. Leider verstarb der bekannte Weseler Autor im Dezember 2019 unerwartet, vor der Veröffentlichung des Buches.

Wie in dem einleitenden Zitat aus den Weseler Mitteilungen zu lesen ist, war Wesel ab dem 15. Jahrhundert nicht nur die Handelsmetropole am Niederrhein, sie brachte zudem bedeutende Künstler hervor, die bis heute große Anerkennung finden. Weil dieses Buch Hans Scholten eine Herzensangelegenheit gewesen ist und wegen der weitreichenden Bedeutung der Künstler-Dynastie rund um Derick Baegert heute, wurde entschieden, das Werk posthum zu veröffentlichen.

Dr. Hans Scholten, geboren 1935 in Dinslaken, aufge­wachsen in Wesel, promovierte 1966 im Fachbereich Rechtswissenschaften an der Universität Köln und wurde später Ministerialrat des Landes NRW. Der leidenschaftliche Naturschützer, der 1978 Landesvorsitzender des Deutschen Bundes für Vogelschutz in NRW wurde, und 1984 ihr Präsi­dent, gestaltete die Umorientierung des zunächst reinen Vo­gelschutzbundes DBV zum Naturschutzbund NABU aktiv mit.3

Als Ministerialdirigent im NRW-Finanzministerium en­gagierte er sich neben dem Naturschutz auch für die Stadt Wesel - temperamentvoll und durchsetzungsfähig. Er ent­deckte zudem seine Liebe zum Schreiben, das ihm die Mög­lichkeit bot, seine zwei großen Leidenschaften, die Natur und das Leben der Menschen am Niederrhein, miteinander zu verbinden. Er veröffentlichte fortan zahlreiche Werke. Er gilt als Bodenbereiter für die Rekonstruktion der Fassade des spätgotisch-flämischen Rathauses von 1455 in Wesel auf dem Großen Markt. Zudem war er Motivator des Nieder­rhein-Museums. Indem er stetig auf die eigene bedeutsame Geschichte des Niederrheins hinwies, konnte er mit seinem großen Hintergrundwissen die öffentlichen Stellen in Düs­seldorf und Köln dazu motivieren, das vormalige Preußen­museum Wesel zum Niederrhein-Museum umzugestalten.

Der Niederrhein war seine Gefühlsgrundlage, die durch Reisen und Leben im Ausland immer wieder gestärkt wurde und der er sich mit großem persönlichen Engagement gewid­met hat. So verfasste er zahlreiche Werke mit historischen Bezügen zu Wesel und seinen Bürgern. Aber auch über be­deutende historische Persönlichkeiten, deren Denkweise zu Umbrüchen und zur Reformation ihrer Zeit geführt haben, wie zum Beispiel: Andreas Vesalius, Francesco Petrarca und Leonardo da Vinci.4 Scholtens Werke zeichnen sich aus durch die gelungene Verbindung historischer Fakten mit le­serfreundlichen, fiktiven Handlungssträngen aus dem Leben und Wirken der Hauptcharaktere. Dem Leser wird so eine zugängliche Lektüre mit umfassenden Hintergrundfakten ge­boten, die auch zum Weiterdenken anregt.

Für das Buch über die Weseler Künstler-Dynastie leistete Scholten eine lange, umfassende Recherchearbeit mit vielen Besuchen der heute noch bestehenden Hochaltäre vor Ort, in den Niederlanden, Belgien und Deutschland, und zahlrei­chen Diskussionen mit Kunstwissenschaftlern und Pfarreien. Es war ihm ein wichtiges Buch, und er wollte vor allem den großen Einfluss der Weseler Künstler-Dynastie rund um De­rick Baegert damit herausstellen und unterstreichen - denn die Werke Baegerts wurden ursprünglich einer modernen Generation von Künstlern zugeordnet. Dabei handelt es sich um eine zwischenzeitlich in Vergessenheit geratene große Künstler-Dynastie, deren Wirken und Erbe noch immer An­erkennung findet – die Werke von Jan Joest und Joos van Cleve bewundert man heute in den großen Nationalgalerien der Welt. Auch Barthel Bruyns d. Ä. Werke sind weit über die Grenzen der Niederrheinlande bekannt.

Wie in vielen seiner Werke verbindet Hans Scholten auch in dieser Lektüre historische Fakten rund um die Hauptcha­raktere mit möglichen Erlebnissen aus deren Leben, die rein fiktiv sind, aber durchaus so geschehen sein könnten. So hal­ten wir ein Buch in Händen, welches sich unterhaltsam lesen lässt und dennoch die wichtigsten historischen Eckpunkte seiner Zeit korrekt darstellt. Der Lesende taucht ein, in die alte Hansestadt Wesel zu ihrer Hochzeit und in die Fertigkeit der hohen Kunst der Malerei von Altargemälden mit „viel zuschauendem Volk“, einer, zu der Zeit neuartigen, rea­listischen Darstellung von Menschen und deren Charakter­zügen. Auch die Art des Reisens im Mittelalter, die Schwie­rigkeiten und Herausforderungen des Lebens in mittelalterli­chen Städten sowie deren Freuden werden kunstvoll in den Text verwoben. Einige, der im Buch beschriebenen Retabel, sind noch heute in der Weseler Umgebung zu bestaunen. Dazu finden Sie Links und weitere Hinweise am Ende dieses Buches.

 

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und Entdecken!

Herausgeberin:

Ruth Schäfer M.A., Literatur- und Sprachwissenschaftlerin der Anglistik und Germanistik, Lektorin und literarische Be­raterin Dr. Scholtens.

Beraterin:

Dagmar Ewert-Kruse, langjährige gute Freundin und Mit­streiterin des Autors.

Cover und Gestaltung:

Gudrun Bröckerhoff, kreative Gestalterin der Buchcover für Dr. Scholtens Bücher seit 2017.

Warum dieses Buch?

Im 15. Jahrhundert brechen die Zeiten um. Der Hu­manismus löst das Zeitalter der Scholastik ab, die Re­naissance tritt an die Stelle der Gotik. Religionsstifter treten auf den Plan, sie wollen das Christentum verändern. Im 16. Jahrhundert haben sie Erfolg. Sie spalten die Kirche, weil die Kirche sich nicht ändern will. In dieser Schlussphase einer Epoche entsteht im Norden des Heiligen Römischen Reiches und im niederländischen Burgund eine Malkunst von großer Schönheit und Kunstfertigkeit.

Im burgundischen Flandern liegen die Kunstzentren Tournai, Brügge, Gent und Brüssel. Dort geben die Maler Robert Campin, Hubert und Jan van Eyck sowie Rogier van der Weyden den Ton an.

Am Niederrhein und im Norden der heutigen Niederlande sind Wesel und Utrecht die Kunstzentren. In Wesel wirkt der Maler Derick Baegert. Die Wissenschaft hat die Geschichte der flandrischen Maler vielfach aufgearbeitet. Allerdings blieben die Hintergründe der Malerei im Norden der Nieder­lande und des Niederrheins dabei weitestgehend im Dun­keln. Erst Historiker des 20. Jahrhunderts widmeten sich in­tensiver diesen Regionen und ihren Malern. Vieles wurde er­forscht, Maler und Gemälde aufgespürt. Vieles blieb unent­deckt. Was herausgefunden wurde, stellt eine großartige Künstlerlandschaft mit herausragenden Gemälden und Ma­lern dar. Nicht immer gelang es, alle Gemälden ihren Ma­lern zuzuordnen. Viele Rätsel blieben.

Dieses Buch unternimmt den Versuch, den Stand des Wissens darzustellen und ungelöste Rätsel der Lösung näher zu bringen. In einem zweiten Schritt möchte der Autor das Leben jener Zeit und Kunstwelt schildern. Dieses Buch soll keine trockene Schrift über ein Zeitalter werden, sondern etwas, das den Leser an Wissen bereichert und unterhält, das man gerne am Kamin liest.

Einstieg

Derick Baegert hing seinen Gedanken nach. Er saß vorne auf einem Händlerkarren, dieser würde bald Geldern errei­chen. Er musste an seinen Vater denken. Der hatte ihn nicht gerne ziehen lassen.

„Und du möchtest nach Flandern, weil es dort die größten Maler gibt?“, hatte er gefragt.

„Ja. In Flandern gibt es die besten Malerwerkstätten. Sie arbeiten in der Tradition Robert Campins in Tournai und der Brüder van Eyck in Gent und Brügge. Ein großer, der auch bei Robert Campin gearbeitet hat, ist Rogier von der Weyden, er lebt noch. In Brüssel. Ihn möchte ich kennenlernen, vielleicht bei ihm arbeiten.“

Sein Vater hatte ihn ziehen lassen, ihm auch Geld für die Reisekosten gegeben, nicht ohne zu bemerken: „Am besten, du reist mit den Fuhrleuten und bietest deine Hilfe an. Dann kostet es weniger.“

So hatte Derick in den nächsten Tagen über den Rhein gesetzt. Schon auf der Fähre hatte er einen Händler ange­sprochen, der Waren aller Art auf der Reise in Richtung Geldern verkaufen wollte. Ja, er werde ihn gerne ohne Be­zahlung mitnehmen, wenn er helfe, Waren vom Fuhrwerk zu den Kunden zu tragen.

In Geldern angekommen, fand Derick alsbald einen Händler, der ihn weiter mitnahm. Am vierten Tage war er in Venlo, nach weiteren drei Tagen in Eindhoven und weiteren sechs Tagen in Antwerpen.

So beginnt der Roman. Wenn der Leser ihn nun weiterlä­se, würden ihm einige Hintergründe zum rechten Verständnis fehlen. Der Roman schildert ein Geschehen um das Jahr 1500. Vieles über die Akteure und ihr Handeln ist bekannt, vieles nicht.

Um den Leser in die damalige Zeit und ihre großartige Kunst einzuführen und um Bekanntes und Erdachtes zu tren­nen, hat der Autor Bekanntes jedem Kapitel in Kursivschrift voran gesetzt. Er ist auch selbst vielen ungelösten Fragen nachgegangen und glaubt, vieles einer Lösung näher ge­bracht zu haben. Auch dieses findet der Leser in kursiv ge­schriebenen Teilen innerhalb des Romans.

Das Phänomen Derick Baegert und seine Sippe

Zur Klärung des Phänomens Derick Baegert - einem großen Maler, der plötzlich auf der Bühne der Zeitgeschich­te erscheint, weitab von den großen Kunstzentren der Zeit, Köln und Flandern - hat in neuerer Zeit der Stadtarchivar von Wesel, Dr. Martin Roelen 5 , einen wesentlichen Beitrag geleistet. Er ist in den Archiven der Stadt fündig geworden.

Dort fand er den Namen Derick Baegert in den Resten des Stadtarchivs, die dem Bombenkrieg des Zweiten Welt­krieges nicht zum Opfer gefallen waren. Auch auf die Namen Jan Baegert, Jan Joest und Barthel Bruyn stieß er dort. Sie wurden als Bürger der Stadt Wesel geboren und waren De­rick Baegerts Schüler. Ebenso konnte Roelen die Verwandt­schaftsbeziehungen klären. Dass Jan Baegert, Schöpfer vie­ler bedeutender Hochaltargemälde in Westfalen, wie in Cap­penberg, Herzebrock und Liesborn, ein Sohn Derick Bae­gerts war, wurde schon vermutet; dies konnte nun bestätigt werden.

Jan Joest, Maler der zwanzig Bildtafeln im Hochaltar der Nicolaikirche in Kalkar, war ein Sohn von Derick Bae­gerts Schwester Katharina, sie hatte einen Heinrich Joest aus Wesel geheiratet. 6 Jan Joest ging nach Haarlem und gründete dort eine Malerwerkstatt, nachdem er aus Wesel verbannt worden war. Er hatte die Stadt verlassen müssen, weil man vermutete, er würde unter Aussatz leiden. Zuvor hatte er sich Ärzten in Köln und Haarlem vorstellen müssen. Die Kölner Ärzte äußerten sich nicht konkret. Haarlemer Ärzte, die ihn längere Zeit beobachteten um festzustellen ob die körperlichen Veränderungen, wie beim Aussatz üblich, fortschreiten würden, bestätigten dagegen, dass Jan Joest nicht an Lepra erkrankt sei. Jan Joest kam mit dieser Bot­schaft und einem Stadtboten der Stadt Haarlem nach Wesel zurück. Dieser bestätigte vor dem Weseler Rat das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung. Jan Joest musste dennoch die Stadt verlassen. Er kehrte mit dem Stadtboten nach Haarlem zurück. Dort gründete er eine Malerwerkstatt. Von seinen Bildern sind nur wenige erhalten. Darunter sein wichtigstes Werk: Die Bildtafeln in der Nicolaikirche in Kalkar.

Die Daten des Personenregisters der Stadt Wesel erga­ben weiter, dass Jan Joests Tochter Agnes Barthel Bruyn heiratete. Der in Wesel geborene Barthel Bruyn muss also lange Beziehungen zu Jan Joest in Haarlem gehabt haben.

Barthel Bruyn lebte später in Köln, wo er eine bedeuten­de Malerwerkstatt gründete. Er zeugte dort einen Sohn, den er Barthel nannte. Dieser wurde ebenfalls Maler. Um Vater und Sohn unterscheiden zu können, haben Historiker dem Vater den Beinamen „der Ältere“, dem Sohn den Beinamen „der Jüngere“ gegeben.

Des Weiteren gibt es Bilder, auf denen Barthel Bruyn und der später in Antwerpen berühmt gewordene Joos van der Beke, auch Joos van Cleve genannt, lachend als Freunde abgebildet sind. Unter anderem in der Menge versteckt auf dem Zentralgemälde des Hochaltars im Xantener Dom. Joos van Cleve, 1485 geboren, hat sich zudem, wohl als Gehilfe von Jan Joest, auf einer Bildtafel im Hochaltar der Nicolai­kirche in Kalkar, selbst abgebildet. Es muss also eine enge Verbindung der Maler Jan Joest, Barthel Bruyn und Joos van Cleve gegeben haben.

Zur Person Derick Baegerts ergaben die Nachforschun­gen im Weseler Stadtarchiv weiter viel Neues und Inter­essantes. Er wurde 1439 geboren. Sein Vater Johan Baegert war Kaufmann, betrieb Handel auf dem Rhein und verkaufte auch Wein in Wesel. Er wurde zur Steuer zum vierten Teil der Kosten einer Kriegspferdehaltung herangezogen, ent­sprechend einem Vermögen von 400 - 600 Rheinischen Gul­den. Damit war er ein vermögender Mann. Derick Baegerts Mutter war Agnes, genannt Neesken van Beert. 7 Ihr Vater wurde „literatus oppidorum“ genannt. Er war Aufzeichner des Wein- und Hopfenhandels in der Stadt sowie Kirchmeis­ter von St. Willibrord. Die verzweigte Familie van Beert war vermögend und häufig im Weseler Stadtrat vertreten. Sie be­saß auch je ein Haus an der Dimmerstraße und der Feld­straße, die beide Derick Baegerts Mutter erbte. Sie war Fassmalerin und arbeitete für St. Willibrord.

Die Fassmalerei übernahm ihre Tochter Katharina, ge­nannt Trinneken. Diese ehelichte einen Heinrich Joest und wurde Mutter des Malers Jan Joest. Eine der beiden Töchter des Malers Jan Joest, Agnes Joest, heiratete später Barthel Bruyn d. Ä.. Bruyn hieß damals Wesels Nachbarort Brünen. Zahlreiche Bürger mit dem Namen Bruyn wohnten in Wesel, die meisten in der Niederstraße, nahe der Kirche St. Willi­brord.

1464 ist Derick Baegert in Wesel mit einem eigenen Haushalt nachzuweisen. Er hatte eine Malerwerkstatt an der Nordseite des Großen Marktes gegenüber dem damals im Bau befindlichen Gotischen Rathauses. Er musste für die Stadt einen Harnisch vorhalten. Drei Jahre später lebte er an der Torfstraße gegenüber dem Augustinerkloster. Drei weitere Jahre später besaß er ein Haus an der Hohen Straße gegenüber der Mathenakirche, die an der Stelle stand, an der heute der Kaufhof steht.

Mehr ist dem Stadtarchiv nicht zu entnehmen. Wie sein Leben zwischen seiner Geburt 1439 und dem Jahr 1464 ver­laufen ist, wissen wir nicht. Wir kennen nur das Ergebnis: Derick Baegert war 1464 ein hervorragend ausgebildeter Maler geworden. Eine solche Meisterschaft kann er wohl nur von Künstlern in Flandern gelernt haben, der Land­schaft mit den bedeutendsten Malern der damaligen Zeit nördlich der Alpen. Zwei der größten, Robert und Jan van Eyck, waren bereits gestorben, als Derick ein Alter erreicht hatte, in dem er eine Malerlehre antreten konnte. Es lebte nur noch Rogier van der Weyden, neben den Brüdern van Eyck der bedeutendste Maler. Dafür, dass Rogier van der Weyden Derick Baegerts Lehrer war, sprechen auch viele Ähnlichkeiten im Malstil der beiden Maler. Überdeutlich wird das bei einem Vergleich ihrer Bilder mit dem Motiv „Der heilige Lukas zeichnet die Madonna“. Die beiden Bil­der stehen sich in ihrer Meisterschaft in nichts nach.

Diese Gewinnung neuer Erkenntnisse wäre schon Grund genug, dass sich die Geschichtswissenschaft und die Litera­tur erneut dieses Teils der Geschichte annimmt.

Die Malkunst im damaligen Europa

Werfen wir einen Blick auf die Malkunst jener Zeit: Itali­en erlebt den Höhepunkt der Renaissance-Malerei mit den Malern Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael an der Spitze. Ihr Vorbild wird die Kunst der folgenden Jahrhun­derte bestimmen. Nördlich der Alpen hängt man noch der Gotik an. Die genialsten Maler dort finden wir in weit von­einander liegenden Städten, in Colmar, Aschaffenburg und Nürnberg, in Köln und Wesel, in s'Hertogenbosch, Tournai, Gent, Brügge und Brüssel. Der wichtigste Maler war Robert Campin. Er führte in Tournai eine Malerwerkstatt, in der die gotische Malkunst auf eine Höhe geführt wurde, die zum Vorbild aller gotischen Maler wurde. Betrachten wir die Städte und ihre Maler:

Tournai

Flämisch Doornik, Stadt in der belgischen Provinz Hen­negau an der Schelde, 67.000 Einwohner, romanisch-gotische Kathedrale (12./13. Jahrhundert), Bischofssitz, Ge­burtsort des Frankenkönigs Chlodwig.

 

So lesen wir im Lexikon. Vom wichtigsten Maler der Go­tik Robert Campin lesen wir nichts. Das hat seinen Grund: Robert Campin war selbst in Fachkreisen als wichtigster Maler der Gotik lange Zeit nicht erkannt, ja, man kannte seinen Namen nicht. Man bezeichnete ihn als „Meister von Flémalle“. Dabei handelt es sich um ein Altargemälde im Ort Flémalle, das zum Vorbild aller gotischen Maler wurde.

Brügge

Flämisch Brügge, französisch Bruges, Hauptstadt der belgischen Provinz Westflandern, 118.000 Einwohner, 12 Ki­lometer von der Küste entfernt, an der Grenze zwischen Marsch und Geest.

Zahlreiche alte Bauwerke, Liebfrauenkirche, 12./13. Jahrhundert, gotisches Rathaus. Im 11. Jahrhundert Resi­denz des Grafen von Flandern, 1384 an Burgund,1482 habs­burgisch, bedeutend in der Hansezeit vom 13.-15. Jahrhun­dert, danach bedeutendster Handelshafen Nordeuropas, ver­sandete im Mittelalter.

Die Brüder Hubert und Jan van Eyck unterhielten hier eine Malerwerkstatt. Sie haben bei Robert Campin in Tour­nai ihr Handwerk erlernt. Sie gelten als die bedeutendsten Maler der flämischen Gotik. Als ihr berühmtestes Kunstwerk gilt der Genter Altar in der St. Bavo Kathedrale in Gent. Aus ihrer Hand stammt auch der „Turiner Kalvarienberg“, eine Darstellung der Kreuzigung Christi mit „viel zuschauendem Volk“ 8 . Sie wurde Vorbild für die Malkunst, vor allem in Norddeutschland.

Brüssel

Hauptstadt des Königreiches Belgien und der Provinz Brabant. Ersterwähnung 966. Seit dem 12. Jahrhundert Sitz der Herzöge von Brabant. Seit der Heirat der Herzogin Ma­ria von Burgund mit Kaiser Maximilian I. 1482 Residenz der Habsburger Kaiser. Hier hatte Rogier van der Weyden, auch ein Schüler von Robert Campin, seine Malerwerkstatt. Er zählt zu den Großen der flämischen Malkunst.

Antwerpen

Die Stadt wurde ab den 90er Jahren des 15. Jahrhun­derts die „Kunstkampfstadt“ Flanderns. Die Bedeutung Brügges war erloschen; der Zugang der Stadt und ihr Hafen waren verlandet. In Antwerpen lebten alle großen Maler der späten Gotik. Werfen wir einen Blick von dieser Keimland­schaft großer gotischer Malerei in den Süden.

Colmar

Elsässische Stadt in der Oberrheinebene, links an der Lauch, Verwaltungssitz des französischen Departements, Haut-Rhin, 62.000 Einwohner, Mittelpunkt eines reichen Landwirtschaftsgebietes mit Wein- und Gemüseanbau, leb­hafter Handel.

823 erstmals genannt, 1226 Reichsstadt, seit 1672 fran­zösisch, mittelalterlicher Stadtkern, Martinsmünster, im In­nern „Madonna im Rosenhag“ von Martin Schongauer.

Martin Schongauer wurde um 1450 in Colmar geboren, wo er auch 1491 starb. Seine Bilder fallen auf, durch die bis dahin unbekannte perspektivische Raumdarstellung und die sensible Art der Naturwiedergabe. Man findet sie zu dieser Zeit nur bei den flämischen Malern Robert Campin, den Ge­brüdern Hubert und Jan van Eyck und Rogier van der Wey­den. Vielleicht hat Schongauer in seinen Lehr- und Wander­jahren in Flandern vorbeigeschaut, was wir nicht wissen. Vielleicht hat er auch schon vom Italiener Alberti gehört, der zu dieser Zeit die Gesetze der Perspektive entdeckt hat.

Aschaffenburg

Hier wurde um 1470/80 Matthias Grünewald geboren; er starb 1528 in Halle an der Saale. Er war einer der bedeu­tendsten Maler seiner Zeit. Wie kaum ein anderer beherrsch­te er die Probleme der Gestaltung der Raumtiefe und die porträthafte Herausarbeitung der Physiognomie. Sein be­rühmtestes Werk ist der Isenheimer Altar, gemalt für die Klosterkirche der Antoniter in Isenheim im Elsass. Heute be­findet sich dieses Werk im Museum Unterlinden in Colmar.

Nürnberg

Albrecht Dürer. Er ist hier erwähnt, weil er der bekann­teste Maler jener Zeit war. Aber er war ein Renaissance­Maler, kein gotischer Maler. Er führte die Malerei in eine neue Zeit.

Köln

In Köln war Anfang des 15. Jahrhunderts Stephan Loch­ner der bedeutendste Maler. Er wurde wahrscheinlich um 1400 in Meersburg am Bodensee geboren und starb 1451 in Köln. Sein Stil kennzeichnet sich durch eine märchenhafte Feierlichkeit, leuchtende Farben und Darstellung des seeli­schen Ausdrucks. Führender Maler wurde in Köln Anfang des 16. Jahrhunderts Barthel Bruyn der Ältere, geboren in Wesel 1493, in Köln gestorben 1555.

Wesel

Kreisstadt in Nordrhein-Westfalen, an der Mündung der Lippe in den Rhein gelegen. Dom St. Willibrord, gegründet 8. Jahrhundert, im 2. Weltkrieg weitestgehend zerstört, im Stil des 15. Jahrhunderts wieder aufgebaut. Ebenfalls wie­der aufgebaut wurde die gotisch-flämische Rathausfassade von 1455 auf dem Großen Markt. Zitadellentor und Berliner Tor der ehemaligen preußischen Befestigungsanlagen (17./18. Jahrhundert).

Die Stadt ist Geburtsort von vieren der wichtigsten Maler der späten Gotik: Derick Baegert, Jan Baegert, Jan Joest und Barthel Bruyn d. Ä.

Derick Baegert wurde 1439 in Wesel geboren und ist nach 1509 gestorben. Er gilt heute, nach seiner Entdeckung Anfang des 20. Jahrhunderts und umfangreicher Forschung, als einer der bedeutendsten Maler der späten Gotik. Lange Zeit tauchte sein Name in der kunstgeschichtlichen Diskussi­on kaum auf. Insoweit teilte er das Schicksal mit Robert Campin, dem „Meister von Flémalle“. Nicht einmal das be­rühmte Gemälde „Die Eidesleistung“, das er 1493 für das in Wesel neu errichtete Rathaus malte, wurde ihm zuge­schrieben. Seine heute noch erhaltenen etwa 40 Hochaltar­gemälde und sonstigen Bildtafeln wurden wohl in der Bil­derstürmerzeit verkauft. Sie fanden eine Heimat in anderen Kirchen oder in Privatbesitz, ohne dass der Name ihres Schöpfers weitergegeben wurde. Nach eingehender Diskus­sion in der Fachwelt benannte 1932 Franz Witte, der Direk­tor des Kölner Schnütgen-Museums, in einem Aufsatz „Re­volutionäres zur Rheinisch-Westfälischen Kunstgeschichte“ Derick Baegert als den Schöpfer dieser Bilder. Witte fand bis heute keinen Widerspruch. Seitdem ergab sich die Möglich­keit, die Bilder in Zusammenhang zu sehen und zu verglei­chen und sich ein Urteil über den Maler zu bilden. Es ergab sich das Bild eines überragenden Künstlers, dessen hervor­stechende Eigenschaft die geradezu spielerische Leichtigkeit war, mit der er Gesichtsausdrücke der Menschen unter­schiedlichster Art und unterschiedlichen Charakters, in den unterschiedlichsten Stimmungslagen, nahezu naturalistisch zeichnete und malte, und zwar in beliebig großer Zahl. Die­se Meisterschaft zeigte sich besonders eindrucksvoll auf den Retabeln mit dem Thema „Volkreicher Kalvarienberg“, die erhalten sind. Eines steht in der Dortmunder Dominikaner­kirche, dort wo es 1476 aufgestellt wurde, das zweite hat Derick Baegert für die Mathenakirche in Wesel hergestellt. Es wurde später zersägt und verkauft. Die einzelnen Stücke fand man jedoch wieder. Sie befinden sich heute vor allem in Museen in Madrid und Münster.

Derick Baegert gründete gleich eine ganze Dynastie von Malern, die heute zu den bedeutendsten jener Zeit zählen. Sein Sohn Jan Baegert fertigte für mehrere Kirchen in West­falen Hochaltargemälde im Stile seines Vaters. Sein Neffe Jan Joest schuf die 20 Bildtafeln im Hochaltar der Nicolai­kirche in Kalkar. Sie werden heute zu den großartigsten ge­zählt, die jene Zeit hervorgebracht hat.

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