Die wilden Zeiten der Théra P.

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Die wilden Zeiten der Théra P.
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Hans-Peter Vogt

Die wilden Zeiten der Théra P.

(Rebel Years)

Reihe: Die Macht des Tunnels - Band 6

real-utopischer Abenteuerroman / Fantasy / Deutsche Ausgabe

Ungekürzte Ausgabe / überarbeitet für e-book / Empfohlen ab 15 Jahren / Alle Rechte vorbehalten / ISBN 978-3-942652-51-3

© vogt multimedia verlag, Dr. Hans-Peter Vogt, Erlenweg 18, 64354 Reinheim / Umschlagentwurf und eBook-Konvertierung: © vogt multimedia design

Erhältlich in über 1000 eBook-Shops, in Europa und weltweit / Leser können das eBook und den Druck im Internetshop bestellen, unter http://www.fahrrad-dvd.de, oder direkt beim Verlag unter www.vogt-multimedia-verlag.de. Die Bücher sind auch in jeder Buchhandlung erhältlich

Empfohlene Schriftsart: Verdana

Inhaltsangabe

Cover

Titel und Impressum

Inhaltsangabe

Einleitung

Zu den Erläuterungen im Anhang

Kapitel 1. Théras Einsamkeit

Kapitel 2. Der Sommer nach dem Beben

Kapitel 3. Im Schutz der Haremsfrauen

Kapitel 4. Théras Tal

Kapitel 5. Der Trek der Waisenkinder

Kapitel 6. Der Neuanfang

Kapitel 7. Leylas Hochzeit

Kapitel 8. Théra ist verunsichert und sucht nach neuen Lösungen

Kapitel 9. Zeit des Lernens und wilde Ausbrüche

Kapitel 10. Théras Rückkehr. Die Rückbesinnung auf ihre Wurzeln und neue Aufgaben

Kapitel 11. Théras geheime Kraft und die Eroberung Südamerikas

Kapitel 12. Der Griff nach der Macht

Anhang (A) Stammbaum/ die Familie von Théra

Anhang (B) Die handelnden Personen im Buch

Anhang (C) Städte, Seen, sonstiges

Anhang (D) Politisches...

Anhang (E) Karte der archäologischen Funde

Anhang (F) Der Autor

Einleitung

Théra ist in Peru geboren, und ihre Kindheit und ihr Bewusstsein sind ganz entscheidend von der Ausgrabung einer indianischen Hochkultur in ihrem Heimatort Théluan geprägt. Tatsächlich gab es in Peru früher unglaublich viele Hochkulturen, die bis ins Jahr 8000 vor Christus zurückreichen, wie aus der Zeichnung im Anhang hervorgeht. Dort seht ihr auch die Lage der fiktiven Stadt Théluan an der Süd-Ost-Grenze von Peru, sowie die Lage der von den Inkas geprägten Stadt Weltkulturerbestadt Cusco. Immer wieder kommt es im dichten Regenwald zu neuen und sensationellen Funden, und es ist durchaus möglich, dass einmal so etwas entdeckt wird, wie die hier beschriebene Königsstadt.

Dieser Band 6 handelt von der schwierigen Zeit der Pubertät und der Jugendlieben, der Rebellion, des Ausbruchs, der Selbstfindung und der Freiheit. In Peru ist das nicht anders als hier. Allerdings ist Théra geprägt von ihren indianischen Wurzeln und dem besonderen Zusammenhalt unter den Indianern Südamerikas. Théra ist die älteste Tochter des Deutschen Unternehmers und Abenteurers Dennis und der südamerikanischen Indianierin Alanque.

Théra ist jetzt gewaltig in der Pubertät und sie hat Geschwister, die jetzt auch bald in dieses schwierige Alter kommen. Jeder findet seine eigene Lösung.

Man schreibt inzwischen das Jahr 2022 und zu Beginn des Buches ist Théra knapp 14 Jahre alt.

Bei all ihren Aufgaben, die Théra im vorherigen Band zu bewältigen hatte, hat sich Théra immer wieder um die Sorgen und Nöte der anderen gekümmert. Dann kommt der Moment, dass Théra von allem Abstand nimmt. Sie will sich einmal intensiv um alle diese Vorgänge kümmern, die sie zu Beginn der Geschlechtsreife verwirren. Nicht nur der Körper verändert sich, es bilden sich Sehnsüchte, Wünsche und Blockaden.

Théra ist eingebunden in ein Netz von Kontakten, die sie nicht fallen lassen. Es kommt zwangsläufig zu wunderbaren Abenteuern. Théra ist aber bereits einbezogen in eine Fülle von Entscheidungen mit enormer Tragweite, und so ist es auch wieder ein wirtschafts- und sozialpolitisches Buch. Am Ende des Bandes hat Théra diese Phase der Selbstfindung hinter sich gebracht. Sie ist jetzt 19 Jahre alt und sie denkt in ganz anderen Dimensionen.

Auch wenn Théra im vorliegenden Band 6 die zentrale Figur ist, so ist das vorliegende Buch kein Mädchenroman, der mit den Gefühlen junger Mädchen spielt. Vielmehr ist Théra eingebunden in regionale und globale Strategien und Pläne. Sie selbst hat an dieser Entwicklung einen ganz entscheidenden Anteil.

Zu den Erläuterungen im Anhang:

Neben einem ausführlichen Namensregister gibt es im Anhang diverse Erläuterungen zu Landschaft und zum politisch-sozialen Umfeld.

Weil die Ausgrabung der indianischen Königsstadt für Théras Leben eine so große Rolle spielt, habe ich euch dort erstmals eine Grafik der verschiedenen Ausgrabungsorte von antiken Stätten in Peru eingefügt. Die hier wohl bekanntesten sind die Fundstätten rund um die alte Inka Hauptstadt Cusco, die heute Regionalhauptstadt ist. Auch andere, wie die Nazka-Kultur im Hochland von Peru werden hierzulande immer bekannter. Es ist eine Fülle von Funden, denn aus irgendeinem Grund haben sich in Peru seit Jahrtausenden immer wieder neue Hochkulturen herausgebildet, vergleichbar vielleicht mit den Kaiserreichen in China oder den Dynastien in Ägypten. Einzig die Königsstadt der Thé Krieger ist erfunden. Die anderen angegebenen Fundstätten gibt es wirklich. Das Buch ist nun mal kein historischer Roman, trotz all der Bezüge, die als Théras Wurzeln beschrieben werden.

Kapitel 1. Théras Einsamkeit

1.

In den letzten Monaten war es spannend und aufregend gewesen. Théra hatte viele Erlebnisse und Aufgaben gehabt, sie hatte die Gemeinsamkeit ihrer Geschwister genossen und sie hatte viel gelernt. Sie fühlte sich körperlich gesund, und die vielen Freunde waren da wie immer.

Alle ihre Aufgaben waren aber im Laufe des November schlagartig zurückgegangen. Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen. Théra kehrte in ihre kleine Stadt mit dem Namen Théluan ins „Tal der Krieger“ zurück (wie das genannt wurde) und sie spürte plötzlich mit aller Macht die Veränderungen in ihrem Körper durch die einsetzende Pubertät.

Théra würde an Weihnachten 14 Jahre alt werden. Jetzt war es Mitte November und sie fühlte sich unerwartet leer und ausgebrannt.

Sie hatte in den vergangenen zwölf Monaten einen kleinen Busen, eine Taille und richtige Hüften bekommen. Ihr Gesicht hatte den kindlichen Ausdruck verloren, und sie merkte, dass sie noch immer weiterwuchs. Sie fühlte ein ständiges Ziehen in ihrer Brust. Ihre Stimme wurde voller. Die Proportionen veränderten sich laufend weiter. Die Regelblutung kam jetzt fast immer in den gleichen Abständen. Das war immerhin ein gutes Zeichen. Sie wusste das.

Innerlich war sie über den Sommer weiter gereift. Sie war ihren Altersgenossinnen weit vorraus, aber diese plötzliche Leere und Unsicherheit verwirrten Théra. Das war neu und das verunsicherte Théra nur noch mehr.

Sie bemerkte, dass sie den Jungen nachschaute. Es kribbelte in ihrem Bauch. Sie sehnte sich auf einmal nach einer Berührung und nach Zärtlichkeit. Sie wollte den Jungen gefallen. Das hatte es noch nie gegeben. Die väterliche Zärtlichkeit von Papa konnte ihr jetzt nicht mehr helfen.

Es nutzte Théra in dieser Situation nichts, dass sie von den Indios in ihrem Tal vergöttert wurde. Sie hatte in den letzten Jahren durch ihre „heilenden Hände“ viele Kinder der Gemeinde aus Indios gesund gepflegt, die in ihrem Tal lebten. Sie spürte, wenn in den Frauen das Leben wuchs. Sie hatte Trost gespendet, und sie hatte Menschen seelisch aufgebaut. Sie erweckte Vertrauen, und sie konnte wunderbar zwischen streitenden Parteien vermitteln. Sie hatte seit ihrer Kindheit Stück für Stück gelernt, die Gedanken anderer Menschen zu lesen und zu steuern, aber sie war sich immer bewußt, dass sie ein Teil dieser Gruppe aus Indios war. Papa pflegte stets zu sagen: “Wir sind Diener unserer Freunde”, und Mama war als Leiterin der archäologischen Ausgrabung nicht nur die Chefin eines Großteils der indianischen Bevölkerung in ihrer Stadt, sie war für die Indios wie eine fürsorgliche Mutter. Théra war in diesem Denken aufgewachsen.

 

Sie hatte Zugang zu Bereichen des Gehirns, die sich anderen normalerweise verschließen. Während normale Menschen nur knapp 10 Prozent ihrer Gehirnmasse nutzen, konnte Théra über 30 Prozent ihrer zerebralen Kapazität steuern, und das eröffnete ihr ungeheure Möglichkeiten. Sie konnte problemlos mehrere Dinge auf einmal und mit ganzer Kraft tun, also das, was man als die Fähigkeit zum Multitasking bezeichnet. Es ging nicht nur um Dinge, wie schulisches Lernen. Mathematik, Physik und Chemie fielen Théra leicht. Sie hätte ohne weiteres ein zweiter Archimedes oder Einstein werden können, aber ihr primäres Interesse lag nicht auf diesen Gebieten. Geografie, Biologie und Sternenkunde interessierte Théra schon mehr. Sie würde ohne Kompass jedes Ziel erreichen, indem sie sich nur nach dem Stand der Sterne und der Landkarte richtete.

Es waren vor allem die Sprachen, die Théra keinerlei Schwierigkieten bereiteten. Papa und ihr großer Bruder Para hatten ihr gezeigt, was Vater immer als “die Weltsprache” bezeichnete. Das war ein Gemisch aus Lauten, das sich an die jeweilige Landessprache der Runde anpasste wie ein Medium. Mit Hilfe der Weltsprache verstand Théra alles, was ein Chinese oder ein Marokkaner sagte, und umgekehrt. Diese Weltsprache floß in Form von Energie in die Köpfe der Gesprächspartner, so dass der Japaner in Théras Anwesenheit sogar verstehen konnte, was der Perser, der Inder oder der Norweger in seiner Sprache sagt, wenn Théra das nur wollte.

Sie konnte diese Weltsprache nahtlos in die Sprache der Tiere übergehen lassen, und dann mit Krokodilen, Schlangen, Käfern oder Vögeln kommunizieren, während sie sich gleichzeitig mit ihren Mitmenschen unterhielt und mathematische Gleichungen löste. Es war eine Fähigkeit, die es in dieser ausgeprägten Weise nur in Théras leiblicher Familie gab. Papa hatte das, und all ihre Geschwister hatten das auch. Es gab nur wenige Einschränkungen dieser Multitaskingfähigkeit, dann nämlich, wenn Théra sich mit ganzer Kraft in eine Art Hypnosezustand versetzen musste, um Heilungsprozesse bei schwierigen Krankheiten durchzuführen. Dies erforderte ihre volle Konzentration.

Bereits als kleines Kind hatte Théra von ihrem großen Bruder Para gelernt, sich in pure Energie zu verwandeln, und in die Körper und Gehirne anderer Menschen zu schlüpfen. Sie konnte sich dort umsehen, wie in einem Raum voller Gegenstände. Sie konnte Fehlfunktionen erkennen, Zellteilungen oder die Produktion von körpereigenen Stoffen stimulieren, und die Verbreitung von krank machenden Viren eindämmen.

Als erste in ihrer Familie hatte Théra die Fähigkeit entwickelt, das Denken anderer Menschen durch direkte Steuerung chemoelektrischer Impulse im Gehirn zu verändern, und dies auch von außen zu tun, indem sie verschiedene physikalische Formen von Energie bündelte, und in die Köpfe der Mitmenschen schickte. Théra musste nicht einmal mehr in unmittelbarer Nähe dieser Menschen sein. Hatte sie den Kontakt einmal aufgenommen, konnte sie diese Menschen auf große Distanzen hinweg steuern, wie ein ferngelenktes Auto.

Anfangs laugten diese Vorgänge Théra aus, so dass sie regelrecht krank davon wurde. Heute hatte sie einen Weg gefunden, solche Prozesse schonend und spielerisch zu steuern, ohne direkte Gefahr für ihr eigenes Leben. In diesen Dingen war Théra selbst in ihrer Familie ein Ausnahmetalent, aber manchmal war es notwendig einen extrem starken Energieaustausch vorzunehmen, dann brauchte Théra anschließend die Hilfe von Papa oder von ihren Geschwistern, um ihre verloren gegangenen Energiereserven wieder aufzufüllen.

Sie konnte ihre physische Form ändern und sich in Tiere verwandeln. Sie konnte für andere unhörbare akkustische Wellen aussenden und auch empfangen, und Théra hatte als erste in ihrer Familie gelernt, die Schwerkraft zu überwinden, indem sie sich auf Gegenstände konzentrierte, um sie zum schweben zu bringen. Nur mit Hilfe ihrer Energie konnte Théra einen Mehlsack anheben, ohne ihn anzufassen, einen LKW in voller Fahrt zum Stehen bringen, oder ein Feuer mit der Kraft ihrer Energie entzünden. Inzwischen konnten das andere in ihrer Familie zwar auch, so wie Théras kleiner Bruder Pesa oder ihre Schwester Clara, aber Théra war in diesen Dingen unübertrefflich, und diese Fähigkeiten nahmen von Jahr zu Jahr weiter zu.

Es war eine ungeheure Kraft, die ihr durch ihren Onkel Patrick geschenkt worden war. Einem Onkel, der irgendwo im Raum zwischen Leben und Tod schwebte, und den sie rufen konnte, wenn sie seine Hilfe braucht, egal, wo sie gerade war. Dieser Onkel war nur für Théra, für ihre unmittelbaren Geschwister und auch für ihren Vater sichtbar, und mit Théra schien Onkel Patrick besondere Ziele zu verfolgen.

Théra wusste nichts von komplizierten wissenschaftlichen Erklärungen dieses Phänomens, so es sie denn überhaupt gab, aber es war da. Théra sah die Auswirkungen ihrer Fähigkeiten. Von ihrem Vater hatte sie gelernt, diese Eigenschaften in den Dienst einer höheren Macht zu stellen, und sie als ein Geheimnis zu bewahren. Kein Wunder, dass Théra dank dieser enormen Intelligenz bereits in ihrer Kindheit zweimal eine Klasse übersprungen hatte.

Théra war immer noch ein menschliches Wesen, mit Gefühlen, Hoffnungen und Liebesbedürfnissen, aber sie galt den Indios als die Tochter der Sonne, genau so, wie schon ihr Name auf altindianisch hieß. Sie stand zwar irgendwie auf gleicher Stufe mit den Indios ihres Viertels und doch wieder nicht.

Jetzt veränderten die Hormone ihr ganzes Wesen, wie durch den Würgegriff einer unsichtbaren Faust. Es war bei Théra nicht anders, als bei anderen Jugendlichen. Trotz ihrer ungeheuren Kräfte war Théra ein Mensch aus Fleisch und Blut, und sie war diesem Wachstumshormon ausgeliefert, wie alle andern in ihrem Alter auch. Ohne die Liebe ihrer Familie wäre Théra nichts gewesen. Diese Liebe gab ihr Halt, auch jetzt, aber diesem Griff konnte sie sich nicht entziehen. Alles an ihrem Körper und ihren Gefühlen war im Umbruch. Sie entwickelte unbekannte Sehnsüchte und sie fühlte sich das erste Mal in ihrem Leben schutzlos. Es war zum Verrücktwerden.

Sie hatte gelernt, anderen zuzuhören, aber wer hörte ihr zu und wer half ihr in dieser neuen Herausforderung, die sich Pubertät nannte? Papa hatte ihr einmal gesagt, sie solle sich der neuen Aufgabe stellen und sie bereitwillig annehmen. Aber wie???

Papa, Mama, Théras großer Bruder Para und seine Frau Sofia waren immer da gewesen, wenn Théra sie brauchte, aber jetzt fühlte Théra sogar Scheu, sie anzusprechen. Auch das war neu.

Diese Scheu verwirrte Théra noch mehr. Sie sehnte sich nach einer Geborgenheit, die ein Mädchen in diesem Alter normalerweise durch eine beste Freundin oder auch einen festen Freund erhält. Mit Papa oder Mama konnte sie darüber nicht reden.

Wer hätte das in ihrem Tal sein können? Alle diese Indios waren ihre Freunde, aber alles schien auf einmal schwierig zu sein. Sie hatte ihre Naivität verloren, ungeniert auf die Leute zuzugehen, und sie ohne Hintergedanken anzufassen. Es gab wirklich niemanden, dem Théra sich in dieser Situation hätte anvertrauen wollen. Selbst mit ihrem großen Bruder Para und mit ihrem Lieblingsonkel Moses (der da drüben in dem Hotel der Familie als Chefkoch die Zubereitung von Speisen zelebrierte), getraute sich Théra nicht über diese Vorgänge zu reden, obwohl sie zu denen sonst immer gehen konnte.

Sie litt Höllenqualen und sie zog sich ganz zurück.

2.

Etwas war anders, als bei anderen Jugendlichen in ihrem Alter. Théra hatte keinen Grund, aufsässig zu sein gegenüber der altersbedingten Authorität der Erwachsenen, so sie denn sachlich gerechtfertigt war. Sie war sprachgewandt und konnte wunderbar argumentieren. Sie machte sich Gedanken über Zusammenhänge. Sie konnte eigene Fehler erkennen, und korrigieren. Sie konnte mit Kritik umgehen, und allein mit Worten konnte sie ihre Kommunikationspartner in der Sache überzeugen.

Durch ihre spezifische Herkunft als Tochter des großen Chefs (der den Indianern als von Gott gesandt galt) war sie stets anders behandelt worden, als andere Kinder und Jugendliche. Nicht nur gleichwertig, wie das bei den Indianern der Anden üblich ist, sie wurde hoch geschätzt.

Ihre Eltern und ihr großer Halbbruder Para (der wie ein zweiter Vater zu ihr gewesen war) hatten ihr alle erdenklichen Freiheiten gelassen. Théra hatte nie erlebt, dass sie gegen ihren Willen zu etwas gezwungen worden wäre, und wenn, dann wurde sie liebevoll korrigiert oder abgelenkt. Nun ja. Es hatte stets Regeln gegeben, und Théra hatte diese Regeln längst verinnerlicht.

Bereits als kleines Kind hatte sie den Ameisen zugehört, und begriffen, dass es in jedem Staat Regeln gibt, die bestimmen, was die Aufgaben des einzelnen sind. Bei den Ameisen war das einfach, du wurdest entweder Späher, Krieger, Arbeiter oder Königin. Bei anderen Tieren war das komplizierter, etwa bei Mäusen, Andenkamelen, Adlern oder Fischschwärmen. Es gab da ein Netz aus genetisch gewachsener chemophysikalischer Energie, das solche Vorgänge steuerte, und mit jeder nach-wachsenden Zelle als Erbinformation an die Nachkommen weitergegeben wurde. Auch Bäume und Pflanzen verfügen über dieses weit verzweigte kommunikative Netz an Energie, das ihnen mitteilt, wann sie ihre Blätter entfalten, um neue Kraft zu tanken, oder wann sie in eine lebenserhaltende Starre verfallen.

Théra hatte Zugang zu diesem System aus Kommunikationstechniken, die man als genetischen Code des tierischen und pflanzlichen Lebens bezeichnen kann. Gleichzeitig war sie sich ihrer einzigartigen Macht bewußt. Ihre Kräfte erlaubten ihr nicht, sich gegen die elterliche Autorität zur Wehr zu setzen, die sie noch nie als belastend empfunden hatte. So weit ging diese neue Situation, die sich Pubertät nannte, nun doch nicht. Théra war sich im Klaren darüber, dass sie alle vor den Kopf gestoßen hätte.

Gefährlich war das auch, wenn sie ihre Kräfte mißbrauchen würde. Aber wer weiß schon, was alles passieren kann, wenn die Triebe beginnen, den Verstand zu überlagern. Das war es, was Théra bewegte, sich ganz in sich zurückzuziehen. Sie verstand nicht, was diese fremde Macht, die sich Pubertät nannte, mit ihr anstellte. Sie musste versuchen, diese Vorgänge in ihrem Körper zu ergründen, um sie anzunehmen und zu lernen, sie zu beherrschen.

3.

Noch etwas war anders, als bei anderen Jugendlichen. Die können sich in der Regel nicht vorstellen, dass ihre Eltern noch befriedigenden Sex miteinander haben, oder sie finden das voll eklig, wenn die Alten es miteinander treiben.

Vielleicht war das bei den Indianern in Théras Stadt kulturell bedingt anders als bei den spanischstämmigen Weissen, aber Théra war ein Sonderfall. Sie hatte es von klein auf gelernt, Energieströme zu lesen, Positive und Negative, Freude, Haß, Gleichgültigkeit. Sie wusste, wenn Menschen miteinander im Streit liegen, auch wenn sie das nach aussen hin zu verbergen versuchen. Sie hatte gelernt, dass ihre Eltern eine tiefe Liebe füreinander empfinden, und dass sie sich manchmal zurückziehen müssen, um diese Liebe zu pflegen und zu praktizieren. Manchmal hatte ihr großer Bruder Para, Onkel Bübchen oder Onkel Moses diese Pflegerolle übernommen, wenn Papa und Mama einmal ganz alleine sein wollten. Théra war dennoch nie ausgeschlossen worden, und als ihre Geschwister noch klein waren, hatte sie bereits die Rolle der älteren Schwester übernommen, um sich um die Geschwister zu kümmern, wenn Mama und Papa einmal für sich sein wollten. Es war ihnen allen in Fleisch und Blut übergegangen. Théra hatte ihre Geschwistern gelehrt, dass diese Form der Liebe in ihrer Familie tiefes Glück und Zufriedenheit auslöst, die sich wiederum positiv auf den Umgang der Eltern mit ihren Kindern auswirkt. Ein Sonderfall, gewiss, der vieles überflüssig macht, was andere Jugendliche von ihren Eltern trennt, oder was für sie ein mühsamer Prozess wird, auf dem Weg sich von den Eltern abzunabeln und erwachsen zu werden.

Théra war zwar in der Pubertät, aber sie brauchte diese Aufmüpfigkeit nicht, die für andere Jugendliche notwendig ist, um sich selbst zu finden. Dennoch gab es da diese Veränderung in ihren Gefühlen und in ihrer körperlichen Entwicklung zur geschlechtlichen Reife, wie bei jedem andern auch.

 

4.

Am 24. Dezember stellte sich urplötzlich eine neue Aufgabe, direkt in der Weihnachtsnacht, plötzlich und völlig unerwartet, und diesmal musste Théra wieder eingreifen, owohl sie gerade mit sich selbst beschäftigt war. Es ging noch einmal um das Überleben ihrer Familie. Diesmal hatte das nichts mit schicksalshaften Naturgewalten zu tun, wie einem Vulkanausbruch, sondern es hatte politische Hintergründe, und das ist in einem südamerikanischen Land nichts ungewöhnliches. Es war lange ruhig in Peru gewesen, aber jetzt war die Gefahr unmittelbar und zum Greifen nah.

Um das zu verständlich zu machen, muss ich ein wenig ausholen und die Ereignisse der letzten Monate zusammenfassen, selbst wenn ich einiges wiederhole, was im letzten Band bereits zu lesen war. Dieses Geschehen hatte ganz ursächlich mit dieser neuen Situation zu tun, die sich in der Weihnachtsnacht explosionsartig, und für alle überraschend, zur Bedrohung entwickelte.