Das Leben ist ein Abenteuer

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Das Leben ist ein Abenteuer
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Hans-Peter Vogt

Das Leben ist ein Abenteuer.

Manchmal ist dein Weg vorherbestimmt, aber dann kommt es ganz anders als man denkt

(Teeny Adventure)

Reihe: Die Macht des Tunnels - Band 7

real-utopischer Abenteuerroman / Fantasy

Deutsche Ausgabe / überarbeitet für e-Book / Alle Rechte vorbehalten / ISBN 978-3-942652-52-0 / Empfohlen ab 15 Jahren

© vogt multimedia verlag, Dr. Hans-Peter Vogt, Erlenweg 18, 64354 Reinheim / Umschlagentwurf und e-Book-Konvertierung: © vogt multimedia design

Das eBook ist erhältlich in über 1000 e-Bookshops in Europa und weltweit, sowie direkt im Verlag unter www.vogt-multimedia-verlag.de und im Shop www.fahrrad-dvd.de / Leser können unter diesen Adressen auch das gedruckte Buch unter der ISBN 978-3-942652-34-6 bestellen, wahlweise auch im Buchhandel

empfohlene Schriftart für das e-Book: Verdana

Inhaltsangabe

Cover

Titel und Impressum

Inhaltsangabe

Einleitung

Kapitel 1. Nils. Kickboxen und andere Spielarten

Kapitel 2. Action. Geheime Operationen und geheime Kräfte

Kapitel 3. Nils und Helen. Die Liebe kommt, wenn man nicht damit rechnet

Kapitel 4. Der Neubeginn. Viel Glück und lauter neue Projekte, die Mut machen

Kapitel 5. Ein gutes Zwischenstadium. Mehr Ideen, mehr Projekte, mehr Erfolge

Kapitel 6. Der Griff nach der Macht, und der Beginn einer neuen Welt für Nils und Helen

Nachwort

Anhang (A) Die handelnden Personen im Buch

Anhang (B) Städtenamen, Seen, sonstiges

Anhang (C) Der Autor

Einleitung

Dieser Band 7 handelt von der Familie und den Freunden von Dennis. Der Held des Buches ist sein Sohn Nils, der in Berlin aufwächst. Das Buch beginnt im Sommer 2030. Nils ist gerade mal 13 ½. Das Buch endet 2040. In diesen zehn Jahren wird viel passieren. Nils macht seine ersten Erfahrungen mit Liebe und Sexualität, und das ist in diesem Alter eine ganz wichtige Erfahrung. Er ist aber auch ein Teil dieser „Familie“ aus vielen Freunden, die zusammen das Musikzentrum in Berlin betreiben, besuchen und nutzen, das in Berlin zur ersten Adresse gehört, wenn es um Jugendkultur geht. BMX, Skateboard, Tanz und Musik bis zum Abwinken.

Nils beginnt für seine Familie bald neue Aufgaben zu übernehmen. Seine übernatürlichen Kräfte helfen ihm dabei. Er bleibt dabei ein normaler Junge, mit Hoffnungen und Wünschen, wie das alle haben. Es gibt gewagte und gefährliche Manöver, und Nils bezieht manchmal ziemlich heikle Positionen. Nicht immer ist sein Vater glücklich über das was da geschieht.

Nils hat - wie alle seine Geschwister - diese übernatürlichen Kräfte der Familie geerbt. Sie können sich in Tiere verwandeln, und sie können durch den Raum gehen. Verwandelt als giftige Spinne, Tarantel oder Schlange, können sie tödliche Bisse setzen, oder andere Menschen mit durch den Raum nehmen. Die Kinder haben jedoch unterschiedliche Interessen, und sie haben eigene Schwerpunkte gesetzt.

Als Teil dieses Clans aus Freunden muss Nils auch spannende Abenteuer bestehen. Es gibt in Berlin verschiedene Jugendbanden. Es gibt illegalen Menschenhandel. Es gibt Drogen. Es gibt die verschiedenen Mafiaorganisationen, wie die Russen und die Chinesen, die bald mit Maschinenwaffen um die Macht in der Stadt kämpfen. Die Mafia ist manchmal sehr brutal und menschenverachtend, und die Familie von Nils mischt sich heimlich und hoffentlich unerkannt ein...

Auch Nils exponiert sich.

Kapitel 1. Nils. Kickboxen und andere Spielarten

1.

Nils war heute in der Schule unaufmerksam. Er war hier gut angesehen und etliche seiner Mitschüler waren regelmäßig an den Nachmittagen im Musikzentrum, in dem Nils mit seiner Familie wohnte. Sie trafen sich auf den Halfpipes oder bei Konzerten. Mal in Aysas Imbiss oder bei Tanzaufführungen. Eigentlich hatte Nils in der Schule sonst gar keine Probleme, aber heute war er wirklich zerstreut.

Er wachte aus seinen Gedanken auf, als er von dem Lehrer zum zweiten Mal angesprochen wurde. „Nils. Was ist heute los mit dir? Kannst du uns mal den nächsten Absatz vorlesen und übersetzen?“

Nils schreckte auf, dann sah er in sein Buch und begann. Er wurde von seinem Nachbarn in die Seite gestoßen. „Da doch nicht, hier sind wir. Er zeigte mit dem Finger auf den nächsten Absatz.“

„Halt, halt,“ meinte der Lehrer. „Irgendwie scheinst du heute zu schlafen. Also lies bitte diesen Absatz und den nächsten und übersetze beides.“

Nils atmete tief durch. Das war russisch. Es fiel ihm leicht, weil er mit Hilfe seiner geheimen Kräfte alle Sprachen im Handumdrehen erlernen konnte. Auch die kyrillische Schrift machte ihm keine Probleme. Er begann zu lesen und übersetzte dann die zwei Abschnitte.

Der Lehrer nickte. „Wenn das alle so fließend hinbekommen, dann seid ihr alle ein Stück weiter.“ Er sah Nils an. „Geht’s jetzt wieder, oder soll ich dir ein Kissen holen?“

Ein paar Schüler in der Klasse lachten, und Nils hob beschwichtigend die Hände. „Tut mir leid. Ich geb’ mir Mühe.“

Nach der Stunde wurde Nils von dem Lehrer zu sich gerufen. „Ist irgendwas, was du mit mir besprechen willst?“ Nils bedauerte. „Tut mir wirklich leid Herr Thielmann. Im Moment gibt’s zu Hause Probleme. Vater und ich, wir suchen nach einer Lösung, aber manchmal ist das gar nicht so einfach. Bitte entschuldigen Sie. Ich werde mir mehr Mühe geben.“

„Du weist, dass es nicht um deine Note geht. Du bist mein bester Russisch-Schüler. Aber das klingt, als wenn du im Moment auch in den andern Fächern nicht ganz da bist.“

Nils nickte. „Stimmt. Ich hab’ da einen Durchhänger. Ich hoffe, es kommt bald alles wieder in Ordnung.“

Als er in die Pause ging, wurde er von Tina angesprochen. „Sehn wir uns heute Nachmittag im Zentrum?“ Tina war dunkelhaarig und hübsch. Sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck und versprühte Lebenslust und Witz. Etliche der Mitschüler träumten nachts von einer Beziehung mit Tina.

Nils wusste, dass Tina in ihn verschossen war. Sie war ganz in Ordnung. Er traf sich manchmal mit ihr auf der Halfpipe. Sie hatten schon einige Konzerte besucht. Er hatte sie ein par mal geküsst, aber er war nicht in Tina verliebt und heute hatte er Training. „Vielleicht heute abend. Wir telefonieren, ja?“

2.

Nach der Schule schnappte sich Nils das Skateboard und kurvte zur nächsten Haltestelle. Heute wollte er mit dem Bus fahren. Es ging ihm soviel durch den Kopf. Er setzte sich ganz hinten hin auf den Eckplatz und lehnte sich an. Der Fahrer wollte schon losfahren, doch dann stoppte er noch mal. Die Tür öffnete sich mit einem Zischen und zwei Schüler sprangen in den Bus. „Danke, Mann. Is’ echt nett, dass sie uns noch mitnehmen.“

Sie gingen durch den Bus, erkannten Nils und ließen sich neben ihm auf die Sitze fallen.

Wenn Pitt und Konni da waren, war an träumen nicht zu denken. Es wurde eine ziemlich kurzweilige Fahrt, dann rollten alle drei Kids zu der Halfpipe hinter der Musikakademie und drehten eine Runde.

Das waren alles Freunde. Pitt und Konni waren zwei der Besten. Etliche der Kids waren richtige Cracks. Nils traf sich gerne und oft mit seinen Freunden. Sie fuhren Skateboard, sie besuchten Konzerte. Manchmal trafen sie sich in der Stadt, aber Nils nahm schon lange nicht mehr an Wettkämpfen teil. Er war einfach zu gut. Seine geheimen Kräfte erlaubten ihm Sprünge, an die andere nicht einmal im Traum zu denken wagten. Nils war für sie der Obercrack. Die kleinen Skaterkids himmelten ihn an und versuchten ihm nachzueifern.

Heute verabschiedete sich Nils schon bald und rollte durch den offenen Seiteneingang ins Zentrum. Das Rollerskaten war hier erlaubt und Nils kurvte flott in die große Halle, als ihm von links plötzlich drei Mädchen in die Quere kamen.

Nils machte eine Notbremsung, das Board flog ein Stück durch die Luft. Er prallte mit einem der Mädchen zusammen und riss sie ein Stück mit, wobei er sich alle Mühe geben musste, um nicht hinzufallen.

Er hatte die Arme spontan um das Mädchen geschlungen und drehte sich durch den Schwung zweimal um die eigene Achse. „Puh.“ Er hielt sie auf Armeslänge von sich weg. „Dass ist ja grade noch mal gut gegangen.“

„Mann, hast du immer so ein Tempo?“

Nils grinste und ließ das Mädchen los. „Ich bin Nils und wie heißt du?“ „Helen.“

Da wurde Nils von hinten angestoßen. „Kannst du nich’n bisschen aufpassen, Mann?“

Nils drehte sich um. Das Mädchen war blond und gut gebaut und sie hatte wohl ein ziemlich loses Mundwerk.

Er grinste. „Hey. Ich bin Nils, und wer seid ihr?“ „Das sind Cindy und Lara“, meinte Helen.“

 

Nils grinste wieder. „Waffenstillstand, meine Damen? Kommt, ich lade euch auf einen Beruhigungs-Drink ein. Na, kommt schon“, bekräftigte er, holte sein Board und hängte sich bei Cindy ein. Die war hier wohl die Wortführerin.

Nils führte die Mädchen zu Aysas Imbiss und fragte, „ich hab euch hier noch nie gesehen, neu hier?“ Die Mädchen nickten. „Dann lasst euch mal von Aysas Säften verführen. Ich empfehle Banane, Schoko, Kiwi, Ananas oder Apfel-Melone. Alles frisch gepresst und alkoholfrei. Wirklich! Ihr seid eingeladen.

Er sah, wie Helen aufatmete. Cindy hingegen meinte. „Also los, Mädels. Nehmen wir den Raser mal auseinander.“ Sie lachte frech.

Nils bestellte bei Amira, die tagsüber bei Aysa kellnerte und sah Helen an. „Also erzählt mal.“

Helen gefiel Nils von den Mädchen am besten. Sie hatte einen weichen vollen Mund und große Augen. Die dunklen Haare hatten einen leichten Goldton und hingen glatt herunter. Helen war grazil und schien fast ein wenig zerbrechlich, aber es war alles da. Sie hatte schon einen Busen und sie hatte kleine schlanke Hände. Nichts war irgendwie geziert. Sie bewegte sich mit kraftvoller Leichtigkeit. Sie musste Sport machen. Irgendwas in der Art. Nils sah das auf den ersten Blick.

Cindy hingegen war wirklich die Wortführerin. Sie plapperte wie ein Wasserfall. Nils fand schnell heraus, dass die drei ziemlich wenig Taschengeld hatten.

Er brauchte sich da nicht zurückzuhalten. Er war nicht verschwenderisch, aber wenn’s der Zufall wollte, dann konnte Nils die Sau rauslassen. Er hatte genug Geld.

Er nahm Vorlieb mit einem Gemüsedrink, etwas, was Aysa wirklich gut konnte, und er bestellte sich auch was zum Essen. Aysa, die Inhaberin des Imbisses war eine alte Freundin von Papa. Sie kannte Nils seit seiner Geburt und sie kannte seine Vorlieben. Nils nahm selten das, was auf der Speisekarte stand.

Auch Amira (die Kellnerin) kannte ihn seit vielen Jahren. „Was soll’s heute sein?“ Nils sah sie mit schrägem Kopf an. „Rinderhack mit Langkornreis und Mohrrübengemüse, mit Feta überbacken. Geht das?“ Amira lachte. „Das ist neu. Hast du ja noch nie gehabt. Klar geht das.“ Zu den Mädchen gewandt, meinte sie. „Wollt ihr auch was?“

Nils sah Helen an. Er spürte, dass sie für ein Essen kein Geld hatte, dann sah er zu den andern Mädchen. „Is’ wirklich gut, was ich mir bestelle. Naja, glaub’ ich. Soll ich mal eine große Portion kommen lassen und ihr kostet mal davon? Ganz unverbindlich? Ist das OK?“

Er sah, dass Helen beschämt war und er berührte leicht ihren Arm. „Ist schon in Ordnung. Ich gehör’ hier zur Familie. Ich zahl hier nix. Ihr macht mich also nicht arm.“ Das war gelogen, aber Nils hatte damit keine Probleme.

Amira hatte sich schon umgedreht und war gegangen. Zehn Minuten später kam sie mit einer großen Schüssel, mit vier Tellern, Löffeln und Gabeln und verteilte sie vor den Mädchen. „Is’ schon gut. Heute seid ihr eingeladen. Das nächste mal müsst ihr aber zahlen, wie alle anderen auch.“ Nils verzog den Mund zu einem Lächeln.

Cindy langte richtig zu. Sie war ein Vollweib. Die Mädchen waren alle im Alter von Nils, irgendwo zwischen dreizehn und vierzehn, schätzte Nils und Cindy zog die beiden anderen richtig mit. Wenn die drei noch öfters ins Zentrum kamen, dann konnte das ja noch lustig werden.

Er gab den Mädchen ein paar Tipps, um sich in dem großen Haus zurechtzufinden, dann musste er los. „Hab heute Mittag noch Training, sehn wir uns wieder?“

Während Cindy plapperte, sah Nils zu Helen. Ihre Augen sagten ihm, dass sie ihn wiedersehen würde.

„Ich bin jeden Tag hier. Wenn ihr mich sucht, könnt ihr Amira oder Aysa nach mir fragen. Vielleicht sollten wir mal zusammen zu einer Probe gehen oder zu einer der Tanzveranstaltungen.“ Er ließ das offen. Er sah das kleine Feuer in Helens Augen.

Nils zahlte heute nicht. Er würde Aysa das Geld später geben, dann schnappte er sich sein Board und rollte davon.

Sonst rannte er immer die Treppen zu ihrer Wohnung hoch. Heute nahm er den Aufzug und dachte nach. Diese Helen hatte es ihm wirklich angetan.

3.

Man schrieb das Jahr 2030. Nils war jetzt dreizehneinhalb und es würde bald Sommerferien geben.

Seine Mutter war hier die Chefin des Zentrums. Papa war oft unterwegs. Mal in dem Werk in Sachsen-Anhalt, mal in Frankreich, in den USA, in Mexiko oder in Südamerika. Sie hatten da Nahrungsmittelfabriken, eine Fastfoodkette und sie waren an diversen Solarparks beteiligt. In Berlin hatte die Familie ganze Straßenzüge aufgekauft, und dann gab es da noch dieses Weltkulturerbe, diese Ausgrabung in Peru, wo die Familie mit unglaublichem Gewinn beteiligt war. Es gab genug Geld, und Nils hatte ziemlich freie Hand.

Nun ja, nicht ganz. Seine Mutter achtete schon darauf, dass sie regelmäßig Kontakt hielten, und dass er seine Aufgaben auch ordentlich erledigte. Nicht nur seine Schulaufgaben. Alle seine Aufgaben, und dazu gehörte auch Maßhalten und sich immer wieder zu „erden“. Nils hatte bereits die Fähigkeiten eines Alphatiers, aber er hatte gelernt, bescheiden zu sein. „Wir haben eine Vision“, pflegte Mama zu sagen, „das hat uns groß gemacht, aber wir müssen nicht auffallen. Wir sind der Diener unserer Freunde. Zeigen wir ihnen, dass wir alle Teil einer großen Familie sind.“

Mit Papa war Nils stets über einen eigenartigen Energiestrom verbunden. Er konnte sich mit Papa über große Distanzen verständigen, ganz ohne Telefon. Papa war schon oft zu ihm gesprungen, wenn Nils Probleme hatte und Papa brauchte. Die Fähigkeiten der Familie erlaubten das. Sie konnten alle durch den Raum gehen, wie durch eine unsichtbare Wand. Nur Mama konnte das nicht und Papas andere Frau, dort in Südamerika, die konnte das auch nicht. Aber alle Kinder von Papa konnten das und auch alle Kinder von Papas ältestem Sohn Para, der dort in Peru dieses riesige Gestüt hatte, die konnten das auch.

Nils war oft dort. Er traf sich mit seinen Geschwistern und sie übten an den gemeinsamen Kräften, die ihre Familie so einzigartig machten. Manchmal in den großen Ferien, manchmal am Wochende, manchmal an Weihnachten. Sie alle nutzten diese Kraft, unerkannt durch den Raum zu gehen. Im Zentrum gab es einen Raum, wo sie jederzeit unerkannt hinspringen konnten, ganz ohne Ausweis oder Einreisekontrollen. Auch bei „Mama“ in Peru und bei Para gab es so einen Raum. Nils wusste, dass Papa viele solcher Räume hatte, in verschiedenen Ländern. Er konnte sich unerkannt quer über die Erdkugel bewegen und nutzte diese Fähigkeit zu seinem Vorteil aus.

In einer Stunde würde Nils zu seinem Kickboxen-Training aufbrechen. Auch das fiel ihm kinderleicht. An der Kraft musste er noch trainieren. Mit einem Erwachsenen konnte er sich von der Kraft her nicht messen, aber seine Schnelligkeit und Wendigkeit waren immens. Wenn er Schwung holte, dann konnte er das ausgleichen, was er an Kraft noch nicht besass. Er war zielsicher und konnte seine Tritte, Faustschläge oder Kopfhiebe tödlich einsetzen, wenn er wollte. Das war natürlich verboten.

Roman, der Eigentümer der Schule, war ein alter Freund von Papa. Er achtete darauf, dass seine Kids fair kämpften. Er überließ es seinen Trainern, die Kids zu unterrichten, aber manchmal saß er in der Ecke und schaute zu. Manchmal holte er sich den einen oder anderen der Kids, korrigierte, gab Anleitungen oder schalt sie aus, wenn sie Mist gebaut hatten. Diese Sportart war wirklich gefährlich für einen Gegner. Sie hatten gelernt, die wichtigen Zentren der Körper zu treffen, Schlagadern, Milz und all die Punkte, die auch bei der Akkupunktur bekannt waren, um zu stimulieren oder um den Körper außer Funktion zu setzen. Mit zwei gezielten Tritten konnte Nils einen Gegner lähmen, wenn er wollte.

Sie lernten aber auch den eigenen Verstand zu kontrollieren und sich ihren Geist und Körper zu unterwerfen. Sie konnten Schmerzen wegstecken und sie trainierten bestimmte Muskelgruppen immer wieder und immer wieder, die zum Schutz der verletzlichen Innereien notwendig waren.

Zum Training gehörten auch stets Ruhe- und Atemübungen, autogenes Training und Stimmbildung.

Nils machte das Training nun schon seit fünf Jahren. Am Anfang hatte er diese Übungen zur Stimmbildung nicht ernst genommen. Sie mussten singen. Sie mussten dabei eine aufrechte Haltung einnehmen. Sie mussten tiefe Töne, Mitteltöne und Obertöne bewusst erzeugen. Am Anfang taten die ganz hohen Kopftöne ziemlich weh. Dann begriff Nils. Lunge, Zwerchfell, Kehlkopf, Bauch, Becken und Nackenmuskulatur wurden durch das Singen gestärkt. Die Sauerstoffversorgung des Blutes war immens. Er hatte inzwischen eine Kraft entwickelt, die ohne diese Übungen nicht halb soviel Wert gehabt hätte. Außerdem blieb der Kopf jetzt frei.

Roman hatte das eingeführt. Es gehörte nicht zum üblichen Training des Kickboxens. Es war das Besondere ihrer Schule. Manche neuen Schüler lachten zu Beginn verächtlich. Aber sie lernten schnell, dass Atemübungen die Kraft potenzieren und die Wirkung eines Schlages in einem Bruchteil einer Sekunde zu einer tödlichen Waffe werden lässt.

Roman hatte auch andere Disziplinen eingeführt. Wer sich auf der Strasse behaupten wollte, der musste in diesen Disziplinen ziemlich fit sein.

Auch Karateübungen gehörten zur Ausbildung. In der letzten Woche hatte Nils durch einen einzigen Schlag mit seiner Faust den großen Sandsack zum aufplatzen gebracht. Sie zerschlugen Steine und Äste.

Die Konzentration auf das Wesentliche war das Geheimnis der Schlagkraft und der Schnelligkeit.

Nils nahm an diesen Übungen dreimal in der Woche teil. Manchmal gab es an den Wochenden Wettkämpfe.

Anders als alle andern Kids, hatte Nils das besondere Talent seiner Raumdurchquerung. Seine übernatürlichen Fähigkeiten machten Nils als Kickboxer einmalig. Es konnte durch Drehbewegungen durch die Luft eine Schnelligkeit von über hundert Stundenkilometern entwickeln und er konnte Steine mit der Kraft seiner „geheimen Energie“ zerschlagen, sogar ohne sie zu berühren. Das zeigte er aber nie öffentlich. Nur Roman wusste das. Nils hatte den schwarzen Gürtel der Meisterklasse, den 1. Dan. Das war in diesem Alter ungewöhnlich. Nur einige Freunde aus dem Zentrum und Roman (der Inhaber der Schule) waren besser.

Auch Roman hatte den 1. Dan, aber er hatte verschiedene Zusatzprüfungen absolviert, die sich in dieser Sportart nicht mehr durch Ränge auszeichneten. Er war Inhaber des schwarzen Karategürtels und Judomeister. Roman war wirklich gut.

Nils trainierte regelmäßig mit den anderen braun- und Schwarzgürtlern, aber er nahm manchmal auch die Joungsters unter seine Fittiche.

Viele der Kids waren Freunde aus dem Untergrund. Auch die Freunde aus der Geheimorganisation „des Dicken“ nahmen an den Übungen teil.

Roman rekrutierte fast seine ganze Schutztruppe für das Zentrum aus dieser Sportmannschaft. Es war Pflicht, an diesen Trainingsstunden regelmäßig teilzunehmen. Manchmal machten sie das im Zentrum. Es gab da einen eigenen Raum. Heute würde Nils in die Stadt fahren, in die grosse Sporthalle im Westen der Stadt.

Er hatte sich auf sein Bett geworfen und ein wenig nachgedacht, dann war er aufgestanden, ging hinüber in Mamas Büro, sagte Hallo und wurde umarmt. „Ich geh jetzt zum Training“, meinte er. Mama sah ihn warm an und drückte ihm kurz die Hand.

Nils hatte wirklich Glück mit seiner Mutter. Sie hielt ihn zwar an „der langen Leine“, aber sie war da, wenn er sie brauchte, und sie beobachtete genau, dass er die ethischen Grundsätze der Familie auch einhielt.

4.

Als Nils in der Sportschule ankam, wurde er von Pedro und Ellen begrüßt. Pedro war schon 24, Ellen war 16.

Es gab viele Mädchen in der Kampftruppe. Wer diese Sportart beherrschte, der konnte sich auf der Strasse ganz gut behaupten. Das war auch wirklich notwendig. Die Gangs in Berlin waren brutal und gut organisiert. Viele dieser Jungs boxten, rangen, schwammen, fuhren Mountain Bike, oder wurden als Rausschmeißer eingesetzt. Es gab mehrere Prostuituiertenviertel in der Stadt. Es gab Motorradgangs, Erpressungen und die russische Mafia. Die Luden und die Drogenkartelle waren gut organisiert. Außerdem gab es Viertel mit großer Armut und Hoffnungslosigkeit. Auch dort wurde nicht lange gefackelt, wenn es Konflikte gab. Erst zuschlagen, dann denken. Nur nicht als erster auf dem Boden liegen. Dann warst du verloren.

 

Nur im Zentrum herrschte eine eiserne Disziplin. Krawalle wurden nicht geduldet. Das Zentrum war ein Freiraum, der von seinen Akteuren und den Nutzern beschützt wurde. Neben Jochens Kampfsportlern gab es noch Romans harte Jungs und die Boxer rund um den Türken Hakim. Da gab es inzwischen auch eine Thailändische Gang und noch andere. Sie alle verkehrten im Zentrum. Die Musiker, die Tänzer, die Actionkünstler und die Theaterleute, sie alle sahen das Zentrum als einen schützenswerten Raum. Es war das Projekt der Kids. Von den Kids für die Kids. Freizeitzentrum, Schule und Eventmittelpunkt. Viele arbeiteten freiwillig in der Verwaltung oder in einer der vielen Einrichtungen. Wer Krawall machen wollte, der erlebte im Zentrum schnell seine Grenzen kennen. Er ordete sich entweder unter, oder er ging. In der Stadt gab es genug Ausweichmöglichkeiten, wo man Ärger machen konnte. Im Zentrum gab es nicht einmal eine Polizei. Das Zentrum organisierte seinen Schutz selbst, und weil es hier seit Jahren keine Gewalt mehr gab, wurde das Zentrum auch von den Berliner Behörden großzügig unterstützt.

Nils war ein Teil dieser Familie aus mehreren zehntausend Kids, für die das Zentrum wirklich ihr Lebensmittelpunkt war. Es bot Unterhaltung, Kurzweil und eine Lebensperspektive. Ja wirklich. Schulabgänger fanden hier einen Job, oder sie wurden in Ausbildungsstellen vermittelt. Das Zentrum hatte seine eigene Jobbörse. Von Kids für Kids, und wenn das Zentrum Lehrlinge oder Arbeitskräfte vermittelte, dann konntest du als Arbeitgeber sicher sein, dass du da nicht irgendeinen Schrott bekommst. Die Mutter von Nils war eisern. Firmen, die Zusagen nicht einhalten, die wurden gnadenlos von der Liste gestrichen und geächtet. „Wer nimmt, ohne zu geben“, pflegte Nils Mutter immer wieder zu sagen, „den können wir hier nicht brauchen. Das betrifft Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zuverlässigkeit ist ist die Basis unseres Handelns. Wir wollen Freiräume. Wir wollen ausprobieren, spielen und spinnen. Wir müssen kreativ sein dürfen, aber eine Kreativität ohne Disziplin, das gibt es nicht.“

Es gab zwei Büros von Presseagenturen, das Fernsehen hatte mehrere Studios, die Zeitungen schickten ständig ihre Vertreter. Im Zentrum geschah viel, über das man berichten konnte, und die Presse beobachtete das Geschehen schon lange. Der Ruf des Zentrums war beachtlich. Weit über die Grenzen Europas hinaus. Das akzeptierten sogar die harten Gangs. Im Zentrum ordneten sie sich ein.

Alleine in Romans Sportschule, die insgesamt drei Niederlassungen in Berlin hatte, gab es über vierhundert Mädchen, die regelmäßig zum Training kamen. Es gab Eltern, die schickten schon ihre sechsjährigen Kinder in diese Schule. Roman galt als zuverlässig und er war kein Schläger.

Für die Kleinsten war das natürlich ein spielerisches Training. Es ging um Spaß und Körperbewegung. Nils sah manchmal zu oder mischte sich ein, ließ die Kids Überschläge machen oder Purzelbäume schlagen. Er liebte diese Kinder und ihre unnahmlichen Art, gute Laune zu verbreiten, spontan zu lachen oder loszuheulen, wenn etwas schief ging. Manchmal nahm er sie in die Arme und tröstete sie, ermunterte, oder lachte mit ihnen.

Nils hatte seine Schwester ein paar mal mitgeschleppt. Eva hatte einen Film über die Kids gemacht, der sogar im Fernsehen gezeigt worden war. Eva war in Sachen Video ein richtiger Klabautermann, eine Elfe, eine Hexenkünstlerin. Es gab viele verschiedene Bezeichnungen für Eva. Sie war im Bereich Video ein Crack.

In der Sportschule gab es mehrere Trainingsräume. Die Aufwärmübungen machten die größeren Kids in der Regel gemeinsam. Mädchen und Jungen. Es gab Trainer und Trainerinnen. Manchmal trainierten die Mädchen mit den Jungen zusammen, manchmal getrennt.

Nach der Aufwärmphase nahmen die Kids Aufstellung. Es gab bestimmte Grundstellungen, Drehbewegungen, Schläge und Sprünge, die immer wieder geübt wurden.

Manchmal hatte einer der Trainingspartner einen Stock, eine Kette oder eine gepolsterte Lederwurst in den Händen. Manchmal gab es Wurfübungen mit dem gefährlichen Dreizack oder Messerattacken (aus weichem Kunststoff), denen man ausweichen musste.

Sie trainierten wirklich jeden erdenklichen Ernstfall, sogar die Abwehr von Schusswaffen, Griffe zum Abführen eines Gegners oder zielgerichtete Schläge auf markierte Ziele.

Heute hatte Nils die sechzehnjährige Ellen als Trainingspartnerin. Ellen war gut durchtrainiert. Sie hatte mit ihren sechzehn Jahren gerade den 1. Dan gemacht und sie war ziemlich besessen von dem Sport.

„Moment“, bat Nils. „Bevor wir das Training miteinander aufnehmen, will ich dir heute mal was zeigen. Schließ die Augen, lege die Handflächen aneinander und atme tief und langsam durch. Du hast viel Kraft, aber du brauchst innere Ruhe, um sie besser zu entfalten. Lass die andern mal trainieren. Hör nicht hin. Ruhe in dir selbst. Konzentriere dich jetzt, schalte ab. Stelle dir die Drehbewegung vor, die du gleich brauchst, um den Holzstab in meinen Händen zu zerschlagen, mit dem ich gleich einen Angriff simuliere, bist du soweit?“

Ellen wusste, dass Sie Nils nicht gewachsen wäre, wenn es darauf ankommt. Er war einfach viel zu schnell. Was Nils eben von ihr verlangte, war eine sehr schwere Übung. Sie nickte und konzentrierte sich.

„OK“, fragte Nils. Sie nickte wieder.

„Gut, dann los.“ Sie nahmen Aufstellung, Nils hielt den Stab in beiden Händen, wie um ihr damit an die Kehle zu gehen, oder den Stab in eine Hand zu wechseln und mit der Spitze des Stabes zuzustechen. „Ich halte den Stab vor mein Gesicht“. Jetzt schlag zu.“

Ellen konzentrierte sich, dann kam eine schnelle Drehbewegung, ihr Arm wirbelte durch die Luft... und traf ins Leere. Nils hatte den Stab blitzschnell weggezogen. Während der Schwung ihren Oberkörper nach vorne beugte, war Nils schon hinter ihr und drückte ihr den Stab an die Kehle. „Abgeloost“, meinte er.

„OK, OK”, ergänzte er, “vielleicht war das unfair. Aber denk daran, dass der Gegner nicht immer das tut, was du erwartest. Außerdem hättest du mit diesem Schlag den Stock niemals gebrochen. Du hättest dir wehgetan. Ich nehm jetzt mal die Sandwurst und weiche nicht aus. Denk’, es ist ein Stock, dann schlag zu.“

Sie trainierten das. Immer wieder. Nils gab Tips. Er nickte. „Das wird noch viel Training. Soll ich dir zeigen, dass es geht?“ Ellen nickte, dann sah sie zu den anderen. „Hört mal kurz auf, Nils will uns was zeigen.“

Sie nahmen Aufstellung, dann explodierte Nils. Mit einer Schraube holte er Anlauf, dann ging er direkt in die Gegnerin rein, stieß einen Schrei aus und schug mit der Handkante zu. Der Stab zerspitterte in zwei Hälften und Ellen konnte trotz ihrer Kraft die Enden nicht halten, sie fielen auf den Boden und sprangen davon. Bevor Nils den Boden wieder berührte, gab er unbewußt einen Angriffsstoß mit den Füßen in Helens Bauchgegend. Sie taumelte und fiel auf den Rücken.

Nils machte einen schnellen Schritt zurück und verbeugte sich leicht. Die Hände vor der Brust berührten sich.

Die Übung gehörte eigentlich in den Bereich Karate. Sie war deshalb so schwierig, weil die Hände, welche die Hartholz-Stockenden halten, flexibel und nachgiebig sind. Es ist fast unmöglich, solch einen Stock zu zerschlagen. Der Trainer erklärte. „Leute. Ihr habt gerade gesehen, was der Schwung und die Atemübung bewirken. Ich kenne höchstens zwei oder drei, die das können. Ihr habt auch den zweiten Angriffsstoß gesehen. Das war sehr wirkungsvoll. Viel Kraft ist für diese Übung nicht unbedingt notwendig. Ihr müsst eure Kraft nur zielgerichtet und punktgenau einsetzen. Lasst euch davon jetzt aber nicht den Kopf verdrehen. Wir üben das, aber wir üben das zunächst mit anderen Mitteln. Sandwurst, Luftcatchen, Drehbewegung, Atemübungen und Angriff. Ach übrigens. Hätte Nils den Schädel von Ellen getroffen, dann wäre sie jetzt tot. Alles klar? Dann mal weiter.“

Nach dem Training, bat Ellen. „Nils. Kannst du mir ein wenig helfen? Deine Schnelligkeit, die kriege ich nie hin. Ich bin dir an Kraft weit überlegen, aber in einem offenen Kampf, in der U-Bahn - oder wo auch immer, da muss ich damit rechnen, dass der Gegner so schnell ist, wie du.“ Nils nickte. „Gut. Heut hab ich den Kopf ziemlich voll. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich mich ein wenig ablenke. Lust auf einen Waldlauf? - Dann lass uns eben noch die Klamotten aus dem Schrank holen und wir fahren in den Stadtwald.“