Buch lesen: «Kleine Geschichte des Hörspiels»
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
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Hans-Jürgen Krug
Kleine Geschichte des Hörspiels
Köln: Halem, 2020
3., überarbeitete und erweiterte Auflage
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© 2020 by Herbert von Halem Verlag, Köln
ISBN (Print) | 978-3-7445-2003-4 |
ISBN (PDF) | 978-3-7445-2004-1 |
ISBN (ePub) | 978-3-7445-2005-8 |
Den Herbert von Halem Verlag erreichen Sie auch im Internet unter http://www.halem-verlag.de
E-Mail: info@halem-verlag.de
SATZ: Herbert von Halem Verlag
LEKTORAT: Imke Hirschmann
DRUCK: FINIDR, S.R.O., Tschechische Republik
GESTALTUNG: Claudia Ott, Düsseldorf
UMSCHLAGFOTO: Sebastian Linnerz
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Hans-Jürgen Krug
Kleine Geschichte des Hörspiels
Den Enkeln – für Enno, Jul und Jonna
INHALT
KLEINE CHRONOLOGIE DES HÖRSPIELS
1.EINFÜHRUNG
2.ZWISCHEN RADIO UND KULTUR (1923-1929)
3.LITERARISCHE BLÜTEZEITEN (1929-1968)
3.1Schriftsteller entdecken das Hörspiel
3.2Zwischen Literatur und Propaganda
3.3Literatur prägt das Hörspiel
4.LITERATUR ODER AKUSTIK (1968-1985)
5.KULTUR UND UNTERHALTUNG (1985-2000)
6.DIGITALE ENTGRENZUNGEN (1999-2020)
6.1Paradigmenwandel: Hörbuch first
6.2Speicherrevolution: Literarische Adaptionen im Podcast
7.LITERATUR
PERSONENREGISTER
KLEINE CHRONOLOGIE DES HÖRSPIELS
1924Das erste Hörspiel, Hans Fleschs Groteske Zauberei auf dem Sender, wird am 24. Oktober aus Frankfurt/M. live urgesendet.
1929Die Deutsche Stunde in München sendet Ernst Johannsens Weltkriegshörspiel Brigadevermittlung. Es wird rasch ein Welterfolg.
1929Bertolt Brechts Lindberghflug wird während des Baden-Baden Musikfestes uraufgeführt. Die Musik ist von Paul Hindemith und Kurt Weill. Es spielt das Frankfurter Rundfunkorchester.
1929Friedrich Wolfs Polarhörspiel S.O.S … Rao rao … Foyn. Krassin rettet Italia (Deutschlandsender) gilt als das bisher stärkste Hörspiel des deutschen Rundfunks.
1930Am 13. Juni wird Walter Ruttmanns zwölfminütige akustische Montage Weekend erstgesendet.
1930Die Werag strahlt am 11. Juli Eduard Reinachers Der Narr mit der Hacke aus. Das Spiel wird rasch zum Vorbild für Hörspieltheorie und -praxis.
1930Alfred Döblins Die Geschichte des Franz Biberkopf wird produziert, aber zum geplanten Termin am 30. September nicht gesendet. Es ist die erste mehrmediale Produktion eines Stoffes: als Buch (Berlin Alexanderplatz), Film und Hörspiel.
1930Hermann Pongs publiziert die erste wissenschaftliche Arbeit zum Hörspiel Das Hörspiel.
1931Das Arbeitslosenhörspiel Toter Mann des Arbeiterschriftstellers Karl August Düppengießer wird – in der Regie von Ernst Hardt – von der WERAG urgesendet.
1932Richard Kolb veröffentlicht seine Aufsatzsammlung Horoskop des Hörspiels und beeinflusst damit über Jahrzehnte Hörspielproduktion und -diskussion.
1933Am 1. Mai, dem ›Tag der nationalen Arbeit‹, wird während eines Radiotages auch die Symphonie der Arbeit von Hans Jürgen Nierentz ausgestrahlt und über Lautsprecher bis in die kleinsten Dörfer übertragen. Das Stück gilt den Zeitgenossen als richtungsweisend.
1935Am 3. Juni wird Hans Rothes Hörspiel Verwehte Spuren urgesendet. Es wird rasch zu einem der beliebtesten Hörspiele.
1935In Berlin wird der erste Hörspielkomplex eingerichtet: Regiezelle, Sendesaal, schalltoter Raum.
1938Das Magnetofon wird für die Hörspielproduktion immer wichtiger.
1938Hans Kriegler und Kurt Paquet veröffentlichen Das Hörspielbuch, eine Textsammlung.
1940Der Großdeutsche Rundfunk sendet am 8. Mai Rebellion in der Goldstadt von Günter Eich.
1945Das erste Hörspiel nach dem 2. Weltkrieg kommt aus Berlin. Der Berliner Rundfunk sendet Hypnose von Josef Pelz von Felinau.
1947Ursendung von Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür (NWDR, 13. Februar). Der Termin gilt als Geburtsstunde des deutschen Nachkriegshörspiels.
1949Erstmals werden für ein Hörspiel mehr als 1.000 DM Honorar an den Autor gezahlt.
1949Der Hessische Rundfunk startet seine Dialekthörspielserie Die Familie Hesselbach. Autor ist Wolf Schmidt.
1950Die neue Ultrakurzwelle und Regisseur Fritz Schröder-Jahn (NWDR) ermöglichen einen ganz neuen Inszenierungsstil.
1951Der NWDR sendet Günter Eichs Hörspiel Träume am 19. April 1951. Während der Ursendung kommt es zu Hörerprotesten. Später gilt der Sendetermin als Geburtsstunde des deutschen Hörspiels.
1951In Leipzig wird das Hörspiel Herhören, hier spricht Jesus Hackenberger von Walter Karl Schweikert produziert. Das Stück gilt als der Klassiker des ostdeutschen Hörspiels.
1952Der erste ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹ geht an Erwin Wichert für sein Hörspiel Darfst Du die Stunde rufen (SDR 1951).
1952Der Bayerische Rundfunk produziert Der Sängerkrieg der Heidehasen, ein Kinderhörspiel von James Krüss.
1952Der NWDR beginnt mit der Ausstrahlung der Krimiserie Gestatten, mein Name ist Cox von Alexandra und Rolf Becker. Sie wurde – laut Heinz Schwitzke 1963 – zum sensationellsten Hörspielerfolg aller Zeiten.
1953SDR und NWDR realisieren parallel Fred von Hoerschelmanns Hörspiel Das Schiff Esperanza. Es wurde später Pflichtlektüre deutscher Gymnasiasten.
1954Unter dem Milchwald von Dylan Thomas wird vom NWDR urgesendet. Es gilt heute als das wohl berühmteste Hörspiel der Rundfunkgeschichte.
1954Astrid Lindgrens Kinderbuch Kalle Blomquist wird vom NWDR als Kinderhörspiel produziert. Bearbeiterin ist Rose Marie Schwerin.
1956Max Ophüls inszeniert Arthur Schnitzlers Novelle Berta Garlan (SWR 1956) als Hörfilm.
1956Friedrich Dürrenmatts Hörspiel Die Panne wird – fast zeitgleich – von NDR und BR realisiert. Die NDR-Realisation erhält den ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹.
1957Der Rundfunk der DDR produziert Die Korrektur von Heiner und Inge Müller, ein Brigadehörspiel.
1958Ingeborg Bachmanns Hörspiel Der gute Gott von Manhattan (BR, NDR 1958) wird urgesendet. Bachmann erhält dafür den ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹.
1961Im S. Fischer Verlag erscheint die Anthologie Hörspiele mit Texten von Bachmann, Böll, Eich und anderen. In 25 Jahren werden fast 200.000 Exemplare verkauft.
1961Der Hessische Rundfunk sendet Der Stellvertreter von Rolf Hochhuth und anschließend eine Diskussionsrunde. Regie führte Erwin Piscator. Auf die Sendung folgten erregte Diskussionen.
1961Der Westdeutsche Rundfunk führt eigene, kostenlose Hörspielbroschüren ein.
1963Heinz Schwitzke veröffentlicht Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte. Der Hörfunk ist 40 Jahre alt.
1965Alle ARD-Sender strahlen Die Ermittlung (ARD, DRS 1965) von Peter Weiss aus. Ein Theaterstück als Hörspieladaption.
1965Der Bayerische Rundfunk produziert zum ersten Mal ein Hörspiel von einem Autor aus der DDR: Altweibersommer (BR 1965) von Gerhard Rentzsch.
1968Fünf Mann Menschen (SWF 1968) von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker wird urgesendet. Das Stereohörspiel erhält als erstes Neues Hörspiel 1969 den ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹.
1968Helmut Heißenbüttel hält auf einer Hörspieltagung der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt den sehr folgenreichen Vortrag Horoskop des Hörspiels.
1968In dem Hörspiel Der Monolog der Terry Jo von Max Bense und Ludwig Harig (SR, RB 1968) wird erstmals die menschliche Stimme durch eine Computerstimme ersetzt.
1968WDR 1 sendet Peter Handkes Hörspiel Hörspiel Nr. 1. Das Stück wird auch als Buch und als Schallplatte veröffentlicht.
1969Saarländischer Rundfunk und WDR produzieren Ludwig Harigs O-Ton-Collage Staatsbegräbnis. Grundlage der Sendung sind Radiomitschnitte vom Begräbnis Konrad Adenauers 1967.
1970Der WDR beginnt mit der Ausstrahlung der 60-teiligen Sendereihe Geschichte und Typologie des Hörspiels. Autor ist Reinhard Döhl.
1970Der Südwestfunk richtet den Karl-Sczuka-Preis für die beste radiofone Produktion ein.
1971Alfred Behrens realisiert das erste Pophörspiel der deutschen Hörspielgeschichte: John Lennon, du musst sterben (SWF 1971).
1971Paul Wühr montiert aus Originaltönen das Hörspiel Preislied (BR, NDR 1971) und erhält 1972 den ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹.
1972Günter Eichs letztes Hörspiel Zeit und Kartoffeln (SWF, HR, NDR) wird vom SWF ausgestrahlt.
1973Luchterhand Verlag und Deutsche Grammophon eröffnen die Schallplattenreihe Hörspiel heute. Heißenbüttel, Harig und Becker werden hier auf Langspielplatten veröffentlicht.
1974Rudolf Noelte realisiert Theodor Fontanes Roman Effi Briest als 455 Minuten langes Hörspiel (SFB, HR, BR).
1975Erich Loest debutiert mit dem Hörspiel Dienstfahrt eines Lektors (Rundfunk der DDR).
1975Walter Adlers Kunstkopfhörspiel Centropolis (WDR 1975) wird urgesendet und erhält 1976 den ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹.
1977Der Bayerische Rundfunk sendet erstmals die Originalfassung von Orson Welles’ (Regie) legendärem Hörspiel The War of the Worlds (1938).
1977Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste (Frankfurt/M.) richtet den Wettbewerb ›Hörspiel des Monats‹ und dann ›Hörspiel des Jahres‹ ein.
1979Start der nicht öffentlich-rechtlichen Hörspiel- und Kassettenserie Die drei ???.
1981Der Westdeutsche Rundfunk richtet in Köln (gemeinsam mit der Stadt) eine Hörspielgalerie ein und stellt dort öffentlich Hörspiele vor.
1981Douglas Adams Per Anhalter ins All wird vom Bayerischen Rundfunk, SWF und WDR als 318-minütiges Science-Fiction-Hörspiel eingerichtet. Die 180.000 DM für die sechsteilige Serie kommen über den Verfügungsfond der Programmdirektion.
1985Der Hessische Rundfunk sendet Die Befreiung des Prometheus (HR, SWF 1985) von Heiner Goebbels und Heiner Müller. Das Text-Musik-Hörspiel erhält den ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹ und wird das erfolgreichste Hörspiel der Achtzigerjahre.
1986Hörspiel- und Unterhaltungsabteilung des Bayerischen Rundfunks schließen sich zusammen, um Umberto Ecos Roman Der Name der Rose (BR, NDR, SWF 1986) als 360-minütige Hörspielserie zu realisieren.
1986Der Verlag Klett-Cotta richtet die Hörkassetten-Edition ›Cotta’s Hörbühne‹ ein. Öffentlich-rechtliche Hörspiele gibt es nun auch auf Kaufkassetten.
1987Ror Wolf erzählt Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nordamerika (SWF, HR, NDR, WDR 1987). Für das Hörspiel erhält er den ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹.
1990Zum 40. Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten in Deutschland (ARD) senden Hessischer Rundfunk und RIAS die Sound-Collage Das Hör-Spiel-Spiel von Karl Karst.
1991Neue Zusammenarbeiten: Hessischer Rundfunk, Sachsenradio und Sender Freies Berlin produzieren das O-Ton- und Vereinigungshörspiel Stille Helden siegen selten. Realisatoren sind Karl-Heinz Schmidt-Lauzemis und Ralph Oehme.
1991Der Westdeutsche Rundfunk löst die akustische Kunst aus der Hörspielabteilung. Es entsteht ein eigenständiges ›Studio für akustische Kunst‹, das sich ausschließlich dem Genre ›Ars Acustica‹ widmet.
1992Der Südwestfunk und der WDR adaptieren J.R.R. Tolkiens Fantasy-Bestseller Der Herr der Ringe als Hörspielserie in 30 Folgen. Die digitale Großproduktion ist das erste Hörspiel, das sich als Kassette vorzüglich verkaufte.
1994Die neue Kurzhörspielreihe Viererpack (HR) von Christian Bieniek wird Hörspiel des Monats.
1994Phil Perfect erzählt (WDR), eine Comic- und Pophörspielserie von Serge Clerc und François Gorin wird in einem digitalen Studio produziert.
1994Der Sender Freies Berlin präsentiert in der Sendung Das andere Hörspiel (1) erstmals freie, d.h. außerhalb der öffentlich-rechtlichen Anstalten entstandene Hörspiele.
1994Das Live-Hörspiel Apocalypse Live (BR, Bayerisches Staatsschauspiel, Marstall) von Andreas Ammer und FM Einheit wird auf der Münchner Marstall-Bühne uraufgeführt. Das Live-Spiel wird mit dem ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹ und dem Prix Futura ausgezeichnet.
1995Der Hörverlag wird gegründet. Er veröffentlicht gezielt (auch) öffentlich-rechtliche Hörspiele auf Kassette.
1995Der Hessische Rundfunk produziert zum Kriegsende den 16-stündigen Radiotag Der Krieg geht zu Ende von Walter Kempowski. HR, BR, NDR und SWF strahlen den Radiotag aus.
1995Fraulein Smillas Gespür für Schnee von Peter Hoeg wird als erster erfolgreicher Roman zeitgleich als Buch und als Hörspiel (SWF) veröffentlicht.
1996Der Bayerische Rundfunk nennt seine Hörspielabteilung in ›Hörspiel und Medienkunst‹ um.
1996Das erste interaktive Hörspiel wird ausgestrahlt: Hartmut Geerkens no point (BR 1996) wird live im Münchner Marstall aufgeführt und über Radio und Internet übertragen. Hörer können sich per E-Mail am Bühnengeschehen beteiligen.
1996Der Hörverlag bietet nun auch Hörbücher auf CD an.
1997Der WDR produziert das Hörspiel Rocky Dutschke ’68 (WDR 1997) von Christoph Schlingensief.
1999Mephisto (BR, MDR 1999), eine Hörspieladaption von Klaus Manns lange verbotenem Roman, wird zuerst als Hörbuch veröffentlicht – und dann erst als Hörspiel im Radioprogramm gesendet. Ein Paradigmenwechsel.
1999Das Projekt ›Intermedium 1‹ in der Berliner Akademie der Künste diskutiert die Rolle des Hörspiels und der Radiokunst in der digitalen Gesellschaft.
1999Der Hessische Rundfunk sendet den 16-stündigen Originalton-Radiotag Unter dem Gras darüber. Erinnerungen an 100 Jahre Deutschland von Jürgen Geers und Inge Kurtz (HR 1999). Die Produktion wird mit dem ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹ ausgezeichnet.
2000Thomas Manns Der Zauberberg wird als Hörspiel eingerichtet. Die 10-stündige Adaption, ein Kooperationsprojekt von BR und Hörverlag, gilt als die größte literarische Produktion in der Geschichte des Bayerischen Rundfunks.
2001WDR 3 und Eins Live gehen ein Joint Venture ein und senden dasselbe Hörspiel (fast) zeitgleich für die Zielgruppen ›Kultur‹ und ›Jugend‹.
2003In Köln wird der Deutsche Hörbuchpreis gegründet.
2003Der Universitätsverlag Konstanz (UVK) veröffentlicht die Kleine Geschichte des Hörspiels.
2003Der Mitteldeutsche Rundfunk experimentiert mit Hörspielen im 5.1-Surround-Sound. Erstes Beispiel, zunächst auf DVD, aber noch nicht im Radio hörbar, ist eine Adaption von Jules Vernes Roman 20.000 Meilen unter den Meeren.
2004WDR 3 publiziert Ätherdramen. Eine kleine Hörspielgeschichte von Hans-Jürgen Krug als Hörbuch. Das Hörspiel ist nun 80 Jahre alt.
2005Roland Schimmelpfennigs Für eine bessere Welt (HR 2004) wird ›Hörspiel des Jahres‹.
2007In Leipzig wird der erste Günter-Eich-Preis an Alfred Behrens vergeben. Der Eich-Preis prämiert das Lebenswerk eines Hörspielautors.
2007Das erste privat produzierte und zunächst nur als CD erwerbbare Hörspiel entsteht: Peter Kurzecks fast fünfstündige Erzählung Ein Sommer, der bleibt (Supposé).
2008Der erste ARD-Radiotatort wird ausgestrahlt: Der Emir von Peter Meisenberg (WDR).
2008Der Bayerische Rundfunk eröffnet seinen Audiopodcast ›Hörspiel-Pool‹ mit Raoul Schrotts Die Erfindung der Poesie (BR, HR, ORF 1997). Hörspiele werden hier erstmals gebündelt zum kostenfreien Hören und Downloaden dauerhafter angeboten.
2012Der Südwestdeutsche Rundfunk strahlt, von Twitter-Kommentaren begleitet, einen Tag lang die Adaption von James Joyces Roman Ulysses aus. Die CD-Ausgabe wird 2013 zum ›Hörbuch des Jahres‹ gekürt.
2017Am 8. März wird das längste Hörspiel aller Zeiten freigeschaltet. Tausende haben jeweils eine Seite aus David Forster Wallace’ Roman Unendliches Spiel ins Mikrofon gelesen. Andreas Ammer hat ihre Stimmen zu Unendliches Spiel, unendlicher Spaß zusammengefügt. Das Web-Hörspiel von 90 Stunden Länge ist (fast) nur als Podcast oder auf CD hörbar.
2018Ursendung von Christoph Buggerts Hörspiel Ein Nachmittag im Museum der unvergessenen Geräusche (SR, MDR 2018).
2018Der Rundfunk Berlin-Brandenburg bietet als erster Sender einen Podcast für Serien an. Als erstes Hörspiel wird – Podcast first – Juli Zehs Unterleuten (RBB 2018) angeboten.
2018Parallel zur Fernsehserie Berlin Babylon (Sky, ARD) entsteht die Hörspielserie Der nasse Fisch, das Hörspiel zu Berlin Babylon (RB, WDR, RBB).
2020Podcast first: Zuerst in der ARD-Mediathek wird eine akustische Realisation von Thomas Pynchons legendärem Roman Die Enden der Parabel (SWR, DLR 2020) veröffentlicht.
1.EINFÜHRUNG
Das Radio gehört noch immer zu den meistgenutzten Medien in Deutschland. 209 Minuten täglich schaltete im Jahre 2000 ein durchschnittlicher Hörer sein Gerät an, 2007 waren es 186 (Fernsehen: 192) und 2015 173 Minuten. Das Radio ist inzwischen vor allem ein Tagesbegleitmedium (KRUG 2019: 156) geworden. Das Nebenbeihören hat das bewusste Einschalten einzelner Sendungen weitgehend verdrängt, und auch der Status der seit den Anfängen im Jahr 1924 weitgehend öffentlich-rechtlichen Einschaltkunst ›Hörspiel‹ hat sich verändert. Die einst gefeierte ›Krönung des Funks‹ (KOLB 1932) besitzt nicht mehr die große Liebe des breiten Radiopublikums und auch nicht den kulturellen Stellenwert, den sie in den 1950er-Jahren in Deutschland erlangt hatte. Und es fehlt ihr die theoretische Anerkennung, die sie in den 1960er-Jahren erlangte. Doch das Hörspiel ist noch immer erkennbar im Programm. 2004 etwa wurden an rund 2.200 Sendeterminen noch immer außerordentlich viele Hörspiele gesendet. Die Zahl der Neuproduktionen freilich ist rückläufig: Das ABC der ARD zählte 1999 »rund 750 Neuproduktionen« (ARD 1999: 74), 2002 waren es noch »rund 640« (ARD 2002: 86) – auch 2019 werden in der Internetausgabe des ABCs noch »derzeit rund 640 Neuproduktionen« angegeben. Andere Quellen gehen davon aus, dass in der ARD jährlich »über 500 Hörspiele« (KAPFER 2003: 67) neu produziert werden. »Doch d i e Zahlen«, so berichtete Uwe Kammann 2013 auf dem Festival ›Radio Zukunft. Tage der Audiokunst in Berlin‹, »die gibt es nicht, weil jeder Sender anders zählt und rechnet. Und damit auch jede Hörspielabteilung« (KAMMANN 2013).
RADIO, KULTURRADIO, HÖRSPIEL
Das Hörspiel ist die Kunstform des Rundfunks, und sie war nur hier – als Teil eines laufenden Programms – möglich. Heute ist diese Radiokunst aus den populären und hörerreichen Radioprogrammen nahezu vollständig verschwunden. Sie ist fast ausschließlich auf den öffentlich-rechtlichen Kultur-, Klassik- oder Infowellen zu finden: Bayern 2 (Bayerischer Rundfunk), hr2 kultur (Hessischer Rundfunk), MDR Kultur (Mitteldeutscher Rundfunk), NDR Kultur, NDR Info (Norddeutscher Rundfunk), Bremen 2 (Radio Bremen), rbbKultur (Rundfunk Berlin-Brandenburg), SR 2 KulturRadio (Saarländischer Rundfunk), SWR2 (Südwestrundfunk), WDR 3, WDR 5 (Westdeutscher Rundfunk), Deutschlandfunk Kultur (DLFK) und Deutschlandfunk (DLF).
Die ›gehobenen Wortwellen‹ befinden sich seit den 1990er-Jahren in stetigen Veränderungsprozessen. Sie haben ihre Namen, ihre Programmstrukturen und ihren Sound immer wieder ›optimiert‹; sie haben sich ›Flottenstrategien‹ unterworfen, ihre Tagesprogramme formatiert und so versucht neue Zielgruppen anzusprechen. Nicht selten wurden diese ›Optimierungen‹ von heftigen Auseinandersetzungen begleitet.
Heute nutzen etwa zwei bis drei Prozent der Radiohörer diese Kulturprogramme, und auch sie nutzen sie inzwischen weitgehend nebenbei. Einschaltangebote wie das Hörspiel gibt es nur noch in den hörerarmen Abend- und Nachtstunden sowie am Wochenende – doch auch diese Programmplätze konnten der Formatierung nicht ganz entgehen. Die Situation des Hörspiels ist in den verschiedenen Sendern zwar unterschiedlich. Insgesamt aber ist die Radiokunst inzwischen zu einer Kunst für vergleichsweise wenig Radiohörer und Liebhaber geworden. Selbst die Medienkritik (KRUG 2002) sowie die Literatur- und Medienwissenschaft haben sich (lässt man die Geschichte der Anfänge einmal außer Acht) vom Hörspiel weitgehend verabschiedet. Das Hörspiel existiert heute fern der breiten Aufmerksamkeiten. Es ist vor allem eine Nischenkunst.