Halt oder ich scheisse!

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Hans Herrmann

Halt oder ich scheisse!

Satirische Skizzen aus Armeenien

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

1. Schwer beladen

2. Mannesweihe zwecks Brechung

3. Vom Grüssen

4. Lehrreicher Dialog

5. Zugschule

6. Indiaca

7. Die Sache mit der Gamelle

8. Das Kompaniekalb

9. Soldatensprache

10. Labeflasche

11. Erfüllt

12. Auszug aus dem Latrinenreglement

13. Auf der Wache

14. Heisser Kaffee

15. Der lange Marsch

16. Weitermachen

17. Unvollzogene Rache

18. Biwak

19. Kompanieabend

20. Im Zeughaus

21. Die Kiesgrube

22. Der von nebenan

23. Das Phantom der Kompanie

24. Schiesswut

25. Ein Arschloch – und ein zweites dazu

26. Hoher Besuch

Impressum neobooks

Vorwort

Das Militär ist eine Organisation voller Eigenarten, Seltsamkeiten und Absonderlichkeiten. Es ist eine in sich geschlossene Sphäre mit eigenen Regeln und Gesetzen, eine Welt, in der sonderbare und unvernünftig anmutende Dinge zum Alltag gehören. Wer in diese Welt einzutreten genötigt wird – in der Schweizer Milizarmee sind das jedes Jahr Hunderte von jungen Männern – schüttelt angesichts der militärischen Sitten und Gebräuche zunächst verständnislos den Kopf, passt sich dann schrittweise an und merkt ein paar Wochen später erstaunt, dass er nun selber Teil einer Maschinerie geworden ist, in der das Abnormale normal ist.

Wo anders als im Militär knallt man die Absätze zusammen und legt dazu die Hand an die rechte Schläfe, um sich bei einem Vorgesetzten zu melden? Wo anders behauptet man allen Ernstes, es sei möglich, mit einer Schutzmaske, einem Paar Plastikhandschuhe, einem wasserdichten Überwurf und einem kühnen Hechtsprung hinter eine Mauer einen Atomschlag zu überleben? Und wo anders ist es Brauch, morgens zum Kommandogebrüll des Vorgesetzten mit den Kollegen im Gleichschritt über einen Platz zu marschieren und bei jedem Richtungswechsel mit den Schuhen zu knallen?

Nirgends.

Die einzige Firma, in der solche Sachen zum Programm gehören, ist das Militär.

Man kann das erfreulich finden. Oder inspirierend. Oder normal. Oder bedenklich. Oder abstrus. Oder lächerlich. Auch Mischungen sind möglich: Zur einen Hälfte erfreulich, zur anderen Hälfte lächerlich. Zum einen Teil normal, zum anderen Teil bedenklich. Und so fort.

Manche Dinge lassen einem keine Ruhe. Wie die leere Colabüchse auf dem Trottoir: Man muss sie einfach ankicken, sonst hat man den ganzen Tag das Gefühl, etwas Wichtiges unterlassen zu haben. Genau so erging es mir mit dem Militär: Es liess mir einfach keine Ruhe. Immer drängender wurde mein Verlangen, die merkwürdigen Erfahrungen, die mir diese Institution beschert hatte, episodisch festzuhalten. Also tat ich's.

Ich selber habe in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren Dienst geleistet, in einer Zeit also, in der sich aus dem alten Schweizer Armeedinosaurier preussicher Prägung schrittweise ein zeitgemässes Heer nach amerikanischem Vorbild zu entwickeln begann. Just ein Jahr, nachdem ich meine Diensttage abgeleistet hatte und zum Veteran geworden war, trat die Armeereform definitiv in Kraft. Die umgebaute Armee habe ich also nie aus eigener Anschauung kennen gelernt, glaube sie aber trotzdem zu kennen – denn die wirklich prägenden Dinge ändern sich, so lange es auf dieser Welt Armeen gibt, nie.

Sollten die im Folgenden geschilderten Szenen bei denen, die solches zum ersten Mal vernehmen, erstauntes Kopfschütteln hervorrufen, so läge das weit weniger an meinem bösen Willen als an der Sache selber – und an den vorkommenden Personen, deren Namen ich übrigens geändert habe, wie es die Diskretion gebietet.

Hans Herrmann, Frühling 2016

1. Schwer beladen

Die Arme ausstrecken. Ein Zeughausangestellter drückt dir einen tarnfarbenen Plastikregenschutz in die Ellenbeugen. Der nächste setzt eine schwere, hartlederne Tasche mit Sanitätsmaterial darauf. Der dritte fügt eine kurze Schaufel in einem Lederfutteral hinzu. Der vierte eine Pistole, ebenfalls in einem Lederfutteral. Der fünfte einen weichen, grünen, wasserdichten Beutel, worin eine Schutzmaske steckt. Der sechste eine kleine Tasche mit Putzzeug für Kleider und Schuhe, verschiedenen Ersatzknöpfen, dickem Faden und drei Nadeln. Der siebte eine Gamelle, eine Trinkflasche aus Aluminium und eine Labeflasche aus Hartplastik. Der achte einen Effektensack aus grün gefärbtem Leder, der neunte einen ebenfalls grünen Rucksack. Der zehnte schliesslich krönt den Stapel, der sich unterdessen gigantisch auf deinen Armen türmt, mit einem Stahlhelm.

Du steckst mitten in einer riesigen Schlage von frisch eingerückten Rekruten, die alle auf dieselbe Weise beladen werden. Noch steckt die Schar – bis auf die Unteroffiziere, die den Vorgang wie bissige Hirtenhunde beaufsichtigen – in Zivilkleidern. Damit wird aber bald Schluss sein. In den nächsten vier Monaten werdet ihr – ausgenommen während des Wochenendurlaubs – in der Uniform oder im Kampfanzug stecken.

Nun zieht und schiebt dich die Jungmännerschlange auf das obere Stockwerk, das die Armeeschneiderei und einen imposanten Fundus an militärischen Kleidungsstücken beherbergt. In einem grossen Raum mit niedriger Decke erwarten euch eine Frau und ein Mann, die euch mit feldgrauen Textilien ausrüsten.

Es geht flink vonstatten. Innert fünf Minuten bist bereits du an der Reihe. Mit einer ungeduldigen Gebärde heisst dich die Frau auf eine Holzkiste steigen. Du legst dein Bündel auf den Boden und erklimmst die Kiste. Die Frau – sie ist klein und drall – tritt ein paar Schritte zurück, stemmt die Arme in die breiten Hüften, mustert dich mit kleinen, zusammengekniffenen Augen verächtlich und ruft dann dem Mann neben ihr auf französisch eine Zahl zu. Sogleich setzt sich der Mann in Bewegung, wieselt zwischen hohen Kleiderstapeln hin und her, greift sich hier und da etwas heraus und kommt nach kurzer Zeit zurück, um dir ein Exerziertenue aus grobem Stoff, einen Dienstanzug aus etwas weniger grobem Stoff, einen Arbeitsanzug – das sogenannte Tenue Blau –, einen Kampfanzug, drei Armeehemden mit Achselschlaufen, zwei olivgrüne Rollkragenpullover mit Reissverschluss, einen Ledergürtel und zwei paar klobige Schuhe auszuhändigen.

Du stapelst die guten Stücke auf dein Bündel, schaufelst es wieder auf deine ausgestreckten Arme, die die Last kaum mehr zu tragen vermögen, und stolperst in ein kleines Nebengemach, wo ein bebrillter, mit einem Messband ausgerüsteter Schneidermeister über einen erlesenen Vorrat an Ausgehuniformen gebietet. Mit sanften Gebärden passt er dir eine Hose aus halbwegs feinem Material und einen satt anliegenden, aber rauen Kittel an.

Mühselig beladen schwankt die Karawane schliesslich auf den Platz vor dem Zeughaus, wo euch mehrere Pinzgauer und Lastwagen zur Fahrt in die Kaserne erwarten.

Das Bündel auf den Lastwagen gehievt.

"Vorwärts machen, los, vorwärts machen!", ruft ein Korporal mit grollender Kommandostimme.

Du kletterst auf die Ladefläche. Auf den Brettern sitzen bereits sechs Mann, und ein gutes Dutzend klettert hinten nach. Ein beklemmendes, ledrig riechendes Gedränge entsteht.

Der Unteroffizier schliesst von aussen mit lauten Gerassel die Geländerklappe. Der alte Motor brüllt auf. Der Lastwagen setzt sich in Bewegung.

Hinauf und hinunter, ein kurzes Waldstück, eine grosse Kurve, Wohnhäuser, wieder eine Kurve. Die Kaserne. Aussteigen. Los los los. Der Feldweibel nimmt euch auf dem Exerzierplatz in Empfang.

 

"In zehn Minuten wieder hier, jeder im Tenue Ex!"

Zur Veranschaulichung hebt er ein Exerziertenue in die Höhe. Unteroffiziere geleiten euch in eure Zimmer, beaufsichtigen den Tenuewechsel. Die Jeans und bunten T-Shirts wandern in den Effektensack.

Hinein in den feldgrauen Stoff!

Au, wie der beisst.

In zehn Minuten versammelt sich die nunmehr militärisch gekleidete Rekrutenkompanie wieder auf dem Platz und nimmt, in Züge gegliedert, Aufstellung.

Welch ein Bild des Jammers!

Dir und vielen anderen schlottern die grob geschneiderten Beinkleider aus dem Zweiten Weltkrieg handorgelmässig um die Beine, während andere Kameraden in lächerlichen Hochwasserhosen stecken. Hier eine Schiffchenmütze, die zwei Nummern zu gross ist, da ein Kittel, der zu knapp sitzt, und dort Ärmel, die bereits in der Mitte des Unterarms enden. Dazu immer diese klobigen Clownschuhe.

"Kompanie – Achtung!", ruft der Feldweibel mit heiserem Bellen.

Wahrlich – er präsentiert dem Kompaniekommandanten, der nun strammen Schrittes erscheint, einen prächtigen Haufen.

2. Mannesweihe zwecks Brechung

Die Kaserne ist uralt. Eigentlich müssten Risse den Boden durchziehen, aus denen Unkraut wuchert. Die Unteroffizierstoilette wäre eine Tropfsteinhöhle. In den Offizierszimmern hätte es molch- und krötenbevölkerte Pfützen, und die Jukebox in der Soldatenstube würde heiser den Song vom Zerfall krächzen.

Stattdessen aber hat ein streng konservierender Wille die ausgetretenen Stufen poliert. Sie starren stur im Glanze des Bohnerwachses. Die Fenster hängen schief in den Angeln, aber sie blitzen. In den hallenden Küchen blendet gewetztes Weiss. Feldstandarten drohen von den Wänden. Schwere Holztüren, metallgenietet, lassen beim Zuschlagen die Rahmen angstvoll erzittern.

Nicht genug, dass die Burschen unter der Last von rauen Stoffen, ranzig geöltem Hartlederzeug und klebrig gefetteten Gerätschaften wanken. Nicht genug, dass der Feldweibel unermüdlich schimpft und bellt. Nicht genug, dass Offiziersdolche hämisch pendeln und ein Oberst lauernd die Steinfliesen bestiefelt.

Es muss die Brechung eine in tiefste Schichten greifende sein, und hierzu wurde ein Ritual geschaffen, das sich, sieh nur, hier in diesem öden Saal unter tötendem Schweigen abspielt.

In einer Reihe sitzen nebeneinander vielleicht acht Weisskittel in Offiziersrang auf alten Stühlen wie festgeschraubt. Die Rekruten müssen, bevor sie eintreten, ihre Kleider zu einem Bündel schnüren und auf dem Boden des Korridors deponieren. Nur die Unterhosen dürfen sie anbehalten. Schritt für Schritt geht's dann, fast nackt, in Einerkolonne hinein zu den Armeeärzten.

Dich friert, weniger vom Durchzug als vom kühlen Atem eines herrischen Waltens. Nackte Schritte patschen über den Boden, und blasse Rücken ziehen den Nacken ein.

Da erfolgt aus dem Irgendwo eine Anweisung, unsichtbar und unausweichlich wie das Schicksal. Du stehst verzagend vor einem Weisskittel, einem Mann von müder Hagerkeit und grauer Gesichtshaut. Er ist wohl nicht freiwillig Offizier geworden, sondern dazu verknurrt worden, weil er Medizin studiert hat. Ein eingefleischter Militärkopf sieht anders aus. Du schaust ihm in die dunkel bebrauten Augen, die schon so viel Geschwüriges gesehen haben, und auf die erkahlende Stirn.

Er richtet milde und mit welschem Akzent das Wort an dich und beginnt, die ärztliche Eintrittsmusterung vorzunehmen, fragt dies und das, deine Befindlichkeit sondierend, tätigt auch hier und da mit leichter Hand eine kleine Verrichtung an deinem Körper, ein behutsames Drücken auf den Sitz der Milz etwa oder einen ordnenden Handgriff an den Schultern, ungefähr so, wie ein Modeschöpfer letzte Manipulationen an einem Model vornimmt, das in wenigen Sekunden auf den Laufsteg muss.

Zwischen den Knien dieses ermüdeten Priesters der Körperlichkeit ruht eine flache Metallschale mit Wasser. Mit langen, schlanken Fingern greift er nun feierlich ins Wasser, als wolle er die Hand nicht nur reinigen, sondern auch weihen, und zieht dir alsdann behutsam die Unterhosen von den Hüften herunter, sodass deine Blösse seinem Auge preisgegeben ist.

Mit bedächtigen Griffen, die einem reglementarischen Muster folgen, geht er dir an die Blösse. Es ist ein vordringendes Greifen unten am Hodensack, ein stossendes Kneten, ein drückendes Schrauben, das körperlich unangenehm und seelisch demütigend ist. So muss es wohl sein, wenn der Leitwolf am Geschlechtsteil eines untergeordneten Tieres herumschnüffelt, um ihm seine Macht und Überlegenheit zu demonstrieren. Hier wird die Demütigung zwar von einem sanftmütigen Arzt vollzogen, der so gar nichts Wölfisches an sich hat, aber er tut es im Namen einer totalitären Organisation.

Es ist vorbei. Während der Arzt seine Hände wieder ins Kniebecken taucht, ziehst du die Unterhose über deine Blösse. Er wünscht dir einen guten Dienst, milde und voller Mitgefühl.

Er hat das Ritual der Demütigung an dir vollzogen. Er hat dir an die Blösse gegriffen, ohne dass du einschreiten durftest. Du bist für den Rest der Rekrutenschule ein Knecht, ein Höriger, ein Leibeigener.

So hat es die Armee in psychologischem Feinsinn ausgeheckt und angeordnet: Hodensackgriff zur Duckung aufmuckender Jungmännergesinnung. Eine andere Absicht kann diesmal kaum dahinterstecken. Besagter Griff ist nämlich bereits vor einem Jahr an der Aushebung zur Anwendung gelangt, damals noch zum einleuchtenden Zweck, die Stellungspflichtigen auf einen allfälligen Leistenbruch zu untersuchen. Aber jetzt, beim zweiten Mal... Man kann kaum alljährlich die Leistenkontrolle vornehmen wollen.

Draussen wird gezotet. "Mann, stell' dir vor, wie der geguckt hätte, wenn ich dabei eine Latte gekriegt hätte", johlt einer, der die Prozedur offensichtlich ungebrochen überstanden hat.

Du nimmt dir vor, diesem Rohling künftig möglichst aus dem Weg zu gehen.

3. Vom Grüssen

Der militärische Gruss ist's, der von allen soldatischen Sitten, Gebräuchen und Verrichtungen auch von Nichtkennern der Armee sogleich als militärisch erkannt wird – sogar dann, wenn der Grüssende in Zivil steckt und bloss zum Jux salutiert.

Nur wenige kennen jedoch den Ursprung dieser merkwürdigen Grussgebärde. Es handelt sich, wie so vieles, um ein Relikt aus dem Mittelalter: Die Fingerspitzen der ausgestreckten Hand, grüssend zur rechten Schläfe geführt, ahmen pantomimisch den Ritter nach, der auf der Landstrasse einem anderen Ritter begegnet. Die Höflichkeit gebot, dass sich die beiden Eisengepanzerten beim Grüssen ins Gesicht sahen; dazu war es nötig, das Helmvisier hochzuklappen. Die Ritterhelme sind längst aus der Mode gekommen; die Handbewegung aber, mit der das imaginäre Visier noch immer hochgeklappt wird, ist geblieben.

Ein verwandter Bewegungsablauf ist zuweilen bei älteren Herren zu beobachten, die früher Hut trugen und diesen beim Gruss seinerzeit leicht zu lüften pflegten. Heute sind besagte Herren meist ohne Hut unterwegs; begegnen sie jemandem, begleiten sie ihren mündlichen Gruss aber noch immer mit einer mechanischen Gebärde, die das Lüften des – nicht mehr vorhandenen – Hutes andeutet.

Selbstverständlich ist militärisches Grüssen das erste, was wir in der Rekrutenschule zu lernen haben. Die Unteroffiziere und Offiziere bringen uns die ritterliche Grussgebärde unter Aufbietung all ihres pädagogischen Geschicks bei und bestrafen jene, die den militärischen Gruss nachlässig behandeln oder gar glauben missachten zu können, mit stupide ausgeklügelten Strafen (zehnmal grüssen und dergleichen mehr).

Wir lernen auch, dass es Sonderfälle gibt. Ein militärischer Fahrzeuglenker zum Beispiel grüsst nicht mit angelegter Hand; auch in der Armee gehören aus Sicherheitsgründen beide Hände ans Steuer. Hierzu heisst es in der Grundschulung (GS), Nachdruck vom Dezember 1981, unter Ziffer 21, besondere Fälle, erstens, Gruss des Fahrzeugführers und Radfahrers:

a.) Lenkrad bzw. Lenkstange beidhändig halten;

b.) Oberkörper aufrichten;

c.) geradeaus schauen;

d.) nach der Vorbeifahrt am Ranghöheren die ursprüngliche Haltung wieder einnehmen.

"Das ist fein ausgedacht", sagt Rekrut Jenni. "Stellt euch mal vor, da steht so ein Hoher am Wegrand und will sehen, wie der Fahrer ihn grüsst. Angenommen, es ist ein Fahrer, der stets gerade aufgerichtet am Steuer sitzt. Er sieht nun den Oberst und strafft sich zum Gruss, muss aber davon ausgehen, dass der Oberst nicht unbedingt merkt, dass er gegrüsst wird, weil er, der Fahrer, sich wegen seiner angeborenen aufrechten Haltung kaum noch zusätzlich hat aufrichten können; also muss er den Mangel ausgleichen, indem er nach erfolgtem Gruss theatralisch zusammensackt, damit der Hohe sieht: Aha, Ende Gruss, ich bin also gegrüsst worden."

4. Lehrreicher Dialog

Im Wiederholungskurs werden die militärischen Sitten meistens lax gehandhabt. Hier kommt zum Beispiel der militärische Gruss in der Regel nur noch zur Anwendung, wenn ein einheitsfremder Offizier ab Hauptmannsrang aufkreuzt. In Rekruten-, Unteroffiziers- und Offiziersschulen aber versteht man in dieser Hinsicht keinen Spass. Da wird in jedem nur erdenklichen Fall korrekt gegrüsst, angemeldet, gemeldet und quittiert – welchen Aufwand es auch immer koste. Manche Rekruten hört man sogar noch im Schlaf zackige Gefechtsmeldungen ausstossen.

Zwischen einem Rekruten im zweiten Tag und einem Korporal, der den Rekruten in die Feinheiten des militärischen Umgangs einzuschleifen hat, kann es beispielsweise zu folgendem Dialog kommen:

Rekrut: Ich habe das Dings da verloren.

Korporal: Wie heisst's?

Rekrut: Den Injekt… Injektions… äh… dieses Plastikröhrchen da.

Korporal: Wie heisst's? Ich meine nicht die Bezeichnung, ich meine das Formelle. Wie heisst's?

Rekrut (nach kurzem Nachdenken): Korporal, Rekrut Jaun. Ich habe das Plastikröhrchen verloren.

Korporal: Erfüllt. Sie haben mich korrekt angesprochen. Nun wäre es aber trotz allem ganz hübsch, wenn Sie das Plastikröhrchen ebenso korrekt behandeln würden. Rekrut Jaun, nennen Sie den Gegenstand beim richtigen Namen.

Rekrut: Der… äh… ach ja, das ist der Injektionsstift, den man braucht, um sich gegen chemische Kampfstoffe zu schützen.

Korporal: Wie heisst's?

Rekrut: Injektionsstift.

Korporal (mit demonstrativer Geduld): Wie heisst's?

Rekrut: Injektionsstift.

Korporal: Ich habe Ihnen den Befehl gegeben, den Gegenstand richtig zu benennen. Befehle quittiert man mit "verstanden". Also: Nennen Sie den Gegenstand beim richtigen Namen.

Rekrut: Korporal, Rekrut Jaun, verstanden. Injektionsstift.

Korporal: Wie heisst's?

Rekrut: Korporal, Rekrut Jaun, verstanden. Injektionsstift.

Korporal: Der erste Teil war falsch. Sie brauchen sich jetzt nicht mehr anzumelden. Sie müssen nur noch quittieren und die Antwort geben respektive den Befehl ausführen. Nochmals: Nennen Sie den Gegenstand beim richtigen Namen.

Rekrut: Verstanden. Injektionsstift.

Korporal: Erfüllt. Jedenfalls fast. Eigentlich ist das nur ein Übungs-Injektionsstift. Also los, dann suchen Sie ihn. Ausführen.

Rekrut: Verstanden. (Sucht. Ein paar Minuten verstreichen.)

Korporal: Rekrut Jaun!

Rekrut (sieht auf): Ja?

Korporal: Wie heisst's?

Rekrut: Bitte?

Korporal (lauter): Wie heisst's?

Rekrut (besinnt sich): Hier!

Korporal: Gut. Denken Sie daran: Auf Anruf eines Vorgesetzten laut und deutlich mit "Hier!" antworten. Haben Sie den Übungs-Injektionsstift gefunden?

Rekrut: Verstanden. Nein.

Korporal: Sie sprechen mit mir nicht über Funk. "Verstanden" müssen Sie nur sagen, wenn ich Ihnen einen Befehl erteile, wenn ich Sie in Befehlsform zu einer Antwort auffordere oder wenn ich etwas erkläre. Ich habe Ihnen aber nur eine Frage gestellt. Nicht in Befehls-, sondern in Frageform.

 

Rekrut: Ach so.

Korporal: Wie heisst's?

Rekrut (zögernd): Verstanden…

Korporal: Richtig. Schliesslich habe ich Ihnen eben etwas erklärt. Also, Rekrut Jaun, suchen Sie weiter. Sie suchen, bis Sie den Übungs-Injektionsstift gefunden haben. Und wenn es dabei Mitternacht wird. Wir haben Zeit. Viel Zeit. Die Rekrutenschule dauert noch ziemlich genau siebzehn Wochen.

Rekrut: Verstanden. (Sucht weiter. Wird nach fünf Minuten fündig.) Korporal, Rekrut Jaun.

Korporal: Hier. Lauter.

Rekrut: Korporal, Rekrut Jaun.

Korporal: Lauter. Ich muss Sie auch im Gefechtslärm verstehen können.

Rekrut (brüllt): Korporal, Rekrut Jaun!

Korporal: Hier. Was ist?

Rekrut: Ich habe den Übungs-Injektionsstift gefunden.

Korporal: Erfüllt. Liefern Sie ihn im MatMag ab.

Rekrut: Nicht verstanden.

Korporal: "Nicht verstanden" gibt's nicht. Sie müssen sagen: "Verstanden, erklären Sie den Befehl."

Rekrut: Verstanden. Erklären Sie den Befehl.

Korporal: Jawohl. MatMag ist die Abkürzung für Materialmagazin.

Rekrut: Verstanden. (Wendet sich zum Gehen.)

Korporal: Halt, halt, Rekrut Jaun.

Rekrut (hält an, dreht sich um): Hier! Verstanden!

Korporal: Sie müssen sich zuerst bei mir abmelden. Korrekt, wenn ich bitten darf.

Rekrut: Verstanden. (Nimmt Haltung an, salutiert:) Melde mich ab.

Korporal: Falsch. Beim Anmelden zuerst salutieren, dann reden; beim Abmelden zuerst reden, dann salutieren.

Rekrut: Verstanden. (Nimmt Haltung an:) Melde mich ab. (Salutiert.)

Korporal: Das Ganze nochmal. Beachten Sie den 60-Grad-Winkel.

Rekrut: Verstanden. Erklären Sie den Befehl.

Korporal: In der Achtungstellung müssen Sie die Füsse in den Fersen zusammenhalten, vorn aber in einem 60-Grad-Winkel abspreizen. So. (Macht es vor.) Ausführen!

Rekrut: Verstanden. (Nimmt Haltung an, winkelt die Füsse korrekt ab.) Melde mich ab! (Salutiert.)

Korporal (nimmt den Gruss ab): Jawohl, danke, ruhn, im Laufschritt ab ins MatMag marsch!

Rekrut (dreht plötzlich durch): Hier! Korporal, Rekrut Jaun! Verstanden! Hier! Erklären Sie den Befehl! Ausführen! Hier! Verstanden! Nicht hier! Ausführen! Befehl erklärt! Das Ausführen meldet sich ab! Jaun, Rekrut Korporal, erklären! (Er zuckt an allen Gliedern, und um seinen Mund beginnt es zu schäumen.)

Korporal: Rekrut Jaun! Hallo! Nicht erfüllt! Ins MatMag marsch! Ausführen!

(Jaun windet sich am Boden.)

Korporal: Wie heisst's? Nehmen Sie sich zusammen! He! Hallo! (Kratzt sich am Kopf.) Was hat er nur? Wie verhalte ich mich in dieser Situation korrekt? Ich muss im Dienstreglement nachsehen. (Ab. Jaun liegt flach ausgestreckt am Boden, wie tot.)