Der Diskursmensch

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Der Diskursmensch
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Hannes Mie

DER DISKURSMENSCH

Ein Essay über Höhen und Tiefen politischen Handelns

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorbemerkungen

1.0 Einleitung

2.0 Diskursdiagnose

2.1. Im Dschungel der Debatten

2.2. Das Unbehagen einer Gesellschaft

2.3 Überzeugende Konflikte – Bedrohte Ideale

2.4 Ein voreiliges Resumée

3.0 Beleuchtungen

3.1. Systemrelevante Volksvertretung

3.2. Feder und Schwert

3.3. Wandelbarer Frieden

3.4. Gesellschaft und Wirtschaft

4.0 Im Schatten des Konservativismus

4.1. SpitzenTradition ohne Konsens

4.2. Der Usus als Virus

4.3. Glaube und Zweifel

4.4. Never Surrender

4.5. Aufklärung und Auflage

5.0 Die Dädalus Didaktik

5.1. Rücksichtig

5.2. Der Diskursmensch – Zwischen Höhen und Tiefen politischer Bildung

Traditionelles Tun

Maßgebung

Bildung

Aufklärung

Agora

Mehr Theorie wagen

5.3. Schmiedekunst und Flügelflug

Endnoten

Vorbemerkungen

Wohl ists den Geistern auch unserer Zeit nicht entgangen, dass sich Politiker schwer tun, eindeutige Positionen zu beziehen und das ist keineswegs nur zu verurteilen, sondern auch zu verstehen. Meinungen, Ideen und Stimmungen können hierfür in Zusammenhang gesehen werden zwischen Person, Kultur und dem, was sich Gesellschaft nennen lässt. Das erhöht den Anspruch einer ausgewogenen Darstellung und Kritikfähigkeit.

Bei Theodor W. Adorno las ich den Satz: „Ökonomen und Soziologen wie Werner Sombart und Max Weber haben das Prinzip des Traditionalismus den feudalen Gesellschaftsformen zugeordnet und das der Rationalität den bürgerlichen.“1

Beim Rekapitulieren des gerade Gelesenen erprobte ich meine Zeit und mich in einem Vergleich. Aus dem heraus deutete ich sowohl etwas in meiner Geisteshaltung als auch in der bisherigen Auslegung meiner Texte, ein Vorgehen, einen Sinn, der sich mithilfe dieser Zuordnung zunächst treffend beschreiben ließ. Bei der selbstkritischen Frage, ob ich also nun auch bereit wäre, als Bürgerlicher neofeudale Gesellschaftsformen auszumachen und dem Feuer auszusetzen, sagte ich spontan zu. Allerdings merkte ich, dass meine Teilnahme an der Beobachtung irgendwie durch mehr motiviert war, und sich speziell diese Auslegung aller Voraussicht nach auch nicht mit meinem analytischen Anspruch vereinen konnte. Da Politik tatsächlich auch zu etwas führt, da Politik tatsächlich auch etwas bewegen kann und für praktische Verbindlichkeit im Leben sorgt, macht es Sinn, sich die Methoden und Ideen dieses Handelns genauer anzuschauen. Gleichwohl also der Melodie meiner Kritik ein bestimmtes Instrument dem Tagesgeschäft der Politik zu entnehmen ist, sollten aufmerksame Leseraugen nicht übersehen, dass ich stets versucht bin, Kausalitäten mitzuführen und auch zu bedienen. Nicht immer gelingt das gewöhnlich gut. Nicht immer liegt das nur an mir. Nicht selten ist eine treffende Frage an der richtigen Stelle einleuchtender als eine zwielichtige Aussage. Begriffe, Formulierungen und solcherlei sinnverleihende Darstellungen verleiten beim „guten Gefühl“ bereits endgültig passend zu wirken. Es war und ist nicht immer leicht, sich diesen subjektiven und über Jahrzehnte zuverlässigen Versuchungen zu widersetzen und einen Essay abzuliefern, der seiner Definition gerecht werden kann.2 In dieser Angelegenheit aber kann die Wissenschaft postulatorische Hilfe leisten, z.B. indem sich über ein solches Handeln Werturteile identifizieren lassen. Die sog. verständliche Erklärung ist dabei das Ziel, das stets verbessert werden soll. Ich hoffe deshalb, dass – trotz der individuellen Einfärbungen – alle Parteien und Andersdenkenden das imaginäre Gespräch mit mir nicht aufkündigen und den Sachlagen eine Kritik zugestehen.

Im Hinblick auf die eine sog. „Lösung“, wie man Korruption, Kapital und Krieg zähmen kann, möchte ich aber nun schon sagen: Ich habe keine Ahnung. Ich habe keine Heilung vorzuschlagen, keine unbekannte Medizin in petto, sondern versuche das Prinzip eines – meiner Auffassung nach – unbeholfenen Lösungsmittels zu erläutern. Dabei geht es nicht mehr um den einfachen, aber unverzichtbaren Aufruf, miteinander zu reden, sondern genauer um Rhetorik als Anspruch zumindest als Teilzeitlehre öffentlicher Relevanzen und Ideologien. Ob das tatsächlich bei wem wie wirken könnte, oder gar die Chance auf verbesserte Veränderung in sich birgt, bleibt – aus meiner Sicht – spekulativ. Dennoch erhofft sich wohl jede Literatur eine Beteiligung an einer Redlichkeit und so auch auf eine Aufklärung, die jeden frei beteiligen niemanden aber beleidigen soll.

1.0 Einleitung

Viele empfinden es so, einige sehen es ganz anders, manchen ist es völlig egal.

Die Distanz zwischen Regierenden und Regierten erscheint nicht nur unüberwindbar, sondern sie wird auch nicht authentisch überbrückt. Das politische Geschehen ist zuweilen deshalb schwierig zu durchschauen, weil sich hier ein wunder Punkt befindet, der sich nicht nur in Deutschland feststellen lässt. Gemeint ist eine Behaglichkeit, die – offenbar latent – zwischen Politik und Bevölkerung zu oszillieren scheint. Öffentlichkeit gegen Lobby, Diskurs oder Dekret, Kulturwerte und Regierung; all diese Begriffe scheinen an etwas beteiligt zu sein, was nun – und das auch nicht zum ersten und letzten Mal – als Konflikt offen liegt. Unser deutsches Glück, dass es kein blutiger ist.

Offenbar erwärmt sich über die Stolpersteine aktueller Ereignisse immer mal wieder ein übergeordnetes Bedürfnis nach Transparenz und Aufklärung politischer Arbeit. Der Bevölkerung scheint es dann auch um Prinzipien, nicht mehr nur um den eigenen Kontext zu gehen. Ob sich nun die bürgerliche Aufmerksamkeit auf Bahnhöfe oder Flughäfen richtet, auf Atomstrom, Lohnarbeit, Kontinente, Integration, auf Finanzen, Freihandel und Fußball oder auf die Personen dahinter, zentrale Fragen bleiben, welche Werte wir uns wünschen und wie die Politiker damit umgehen, ja die Umsetzung ermöglichen sollen. Mit der eigenen Meinung kann man es sich vielleicht noch einfach machen. Eine „stimmige Auffassung“ gereicht zur Illusion dem Einzelnen. Doch belässt man es bei diesen guten Anfängen, bleibt die gemeinsame Zukunft entsprechend unberührt. Der hier vertraulich vorliegende Versuch jedoch soll es nicht den Leuten gleichtun, die den Zeigefinger nur auf die Politiker richten, Zeter und Mordio schreien und unter dem Verlust ihrer gekonnten Zuversicht die ersten Steine werfen, nein. Geworfen wird hier eher ein Blick darauf, unter welchen Umständen die Menschen eigentlich was für sinnvoll halten und damit wie entscheiden. Es wird ein Brückenschlag versucht, eine Erläuterung geboten zwischen dem, was richtig ist und gerecht sein soll. V.a. aber ist es eine zeitgeistliche Dokumentation, die im Lichte von Humanismus und Aufklärung dem ideologiekritischen Argument eine systematische Bedeutung verleiht. Die internationale gar interkulturelle Betrachtung liefert freilich ein noch viel komplexeres Bild, Entscheidungen, Lebensstile und Zustände in ihren Sinnhaftigkeiten und Abhängigkeiten zu erkennen, doch kann das hier nicht befriedigend Thema werden. Dass diese erholsame Vorstellung teilweise Denkaufgaben bildet, die weniger erholsam denn mehr aufregend aufschlussreich sind, sollte niemanden davon abhalten, der eigenen Phantasie eine bewegliche Chance einzuräumen.

 

Ist also die Ursache eines Problems nur in einem komplexen Zusammenhang zu finden, lässt es sich auch nur unter Berücksichtigung dieser Komplexität erklären und eine Lösung finden, die nachhaltig ist. Eine methodische Schwierigkeit liegt dann darin, die einzelnen als beteiligt erkannten Sachlagen, von denen jede viele Bücher füllen kann und eine je eigene Diskussion wert ist, auseinander zu halten, um daraufhin deren Abhängigkeiten präzise aufzeigen zu können. Daran sollte man allein schon dann Interesse haben, wenn man – neben den Steinen – auch mit dem Begriff der Wahrheit um sich wirft. Aus den Unterschieden der Menschen ergeben sich mal mehr mal weniger unterschiedliche Einschätzungen. Für Kreativität, Innovation und Neuheiten z.B. scheint diese Divergenz (bzw. Diversität als solche) unverzichtbar, aber auch das ist bedingt ein anderes Thema. Zwischenmenschlich können diese Unterschiede sowohl die Abneigung als auch den Reiz ausmachen; und speziell das politische Engagement in seinen Bedeutungen hervorheben. Dialog und Zusammenarbeit sind die Ansprüche, die hier nun in ihrer bürgerlichen wie auch feudalistischen Praxis gemeinsam thematisiert werden. Durch differenzierende Erläuterungen können Überzeugungen wie auch Entscheidungen besser erkannt, benannt und in ihren Relevanzen kritisiert werden. Es sollte politisch erfahren werden, dass es zwischen traditionell und radikal begehbare Wege geben kann.

2.0 Diskursdiagnose

Nun ist es in Foren, Artikeln und anderen Diskursrahmungen oft zu beobachten, wie die einen damit beschäftigt sind, ihre Meinungen und Sorgen kund zu tun, und die anderen damit, diese Stellungnahmen zu widerlegen. Da wird zum einen von den Errungenschaften und Fehlern einzelner Politiker gesprochen, in welchen Zusammenhängen die Proteste um S21 und E10 stehen und welche Erfahrungen mit Solarenergie gemacht wurden. Zum anderen wird der Verbraucherschutz, die Stromversorgung, die Geheimdienste, Terrorgefahren, diverse Kriegstemperaturen und die politische Arbeit der Parteien bis hin zur Kultur im Allgemeinen hinterfragt. Mit Blick auf ein kritisches und meinungsbildendes Bürgertum augenscheinlich eine kaum verdrossene Reaktion. Aus der angesprochenen Vielfalt der subjektiven Einschätzung von Sachlagen und Ereignissen kann so ein kommunikatives Potpourri resultieren, das sowohl faszinierend und erstrebenswert, als auch unvollkommen daherkommt. Es folgen – fast zwangsläufig – viele freundliche und feindliche Gemeinsamkeiten, Konfundierungen und Gegensätze.

Eine Unterhaltung entsteht, und das ist gut so.

Sich zu unterhalten und zu diskutieren, ist – bei vorliegender Befassung – aber zu unterscheiden, d.h. zunächst Mal: wir haben nicht nur das Recht der freien Meinungsäußerung, sondern können auch die moralische Pflicht daraus ableiten, bzw.: gewinnen, davon Gebrauch machen zu sollen. Eine auf Erklärung, konstruktive Kritik oder Ursachenlösung abzielende Diskussion jedoch unterscheidet sich in der feinen Art, die einer geäußerten Meinung zugrunde liegenden Argumente zu überprüfen und nicht die Person, die die Meinung geäußert hat, anzugreifen und dieser eine „falsche Einstellung“ vorzuhalten; also die Persönlichkeit anzugehen. Das bedeutet: Für diejenigen, die über die bloße Bestätigung der eigenen Meinung hinaus nach verbesserten Erklärungen suchen, ist das Vermischen oder gar Verlassen der Argumentationsebenen kontraproduktiv bzw. unzulässig. Man kann zwar durchaus Politiker untereinander oder den einen Störfall mit anderen Vorkommnissen vergleichen – vielleicht Konfliktverläufe prognostizieren, sich für Lösungen engagieren oder Ziele formulieren –, nimmt damit dann aber automatisch einen zum ursprünglich beobachteten Ereignis oder auch konfrontierten Sachlage unterschiedlichen Blickwinkel ein. Von der Einzelfallbetrachtung darf also nicht ohne weiteres, d.h. ohne Kennzeichnung und Begründung, auf in Sichtweise stehende Kontroversen übergegangen werden. Für uns Sterbliche heißt das: Wir alle sind unterschiedlich nicht nur im Wissen, sondern auch im Können. Mithilfe des eigenen Denkens und der eigenen Sprache dem eigenen Sinn Ausdruck zu verleihen, ist eine Sache. Mithilfe derselben Mittel den fremden Sinn zu erfassen, eine andere. Das bedingt den Willen und die Fähigkeit zur Differenzierung!3 Differenziert man also die Problemsicht, sollten sich auch die diesbezüglichen Argumente differenzieren.

Und zu guter Letzt kann eine Diskussion überhaupt nur so gut funktionieren, soweit über die verwendeten Begriffe konstruktive Einigkeit herrscht. Benennungen und Interpretationen einzelner Wörter werden in ihren Bedeutungen allzu oft unterschätzt, bedingen aber ebenso oft vertraute Verständigung und verständliches Misstrauen in einer jeden Erklärung wie Meinung; oder/und umgekehrt … Auch das ist menschlich. Auch das kann der Mensch lernen und so beherrschen. Wie wichtig der Gebrauch der Sprache im thematisierten Wechsel der fiktiven Kommunikation zwischen Bürger, Medium und Politik gespielt werden kann, scheint so ersichtlich.

2.1. Im Dschungel der Debatten

Was das Verhalten der „betroffenen Bürger“, der Politiker wie das vieler Medienmacher angeht, so die hier formulierte Diagnose, treten oft schon am Rand dieses Wechselspiels Mängel auf, die dann nicht weniger oft zu einem Pseudo-Diskurs führen, der in Pöbeleien, Schuldzuweisungen und verhärteten Fronten enden muss. Sich auf diese Schauplätze zu begeben ist zumeist ein Zeichen dafür, dass demjenigen die sachlichen Argumente ausgegangen sind und sich zuviel Tradition, Ignoranz und Macht breitgemacht hat. Die authentische Absicht zur Aufklärung ist vielleicht nicht verloren, wird aber oft zu schnell geopfert. Eine Diskussion hat dann schon keine Chance auf Erfolg mehr.

Selbst die „gewöhnliche Unterhaltung“, die eigentlich nicht nur von fremden Meinungen, sondern auch von unterschiedlichen Sprachen und andersartigem Sprechen essenziell belebt wird, ist dann davon belastet. Doch soweit sollte man es vielleicht gar nicht kommen lassen, will sagen: einer politischen oder auch redaktionellen Entscheidung liegen auch zwischenmenschliche Handhabungen zu Grunde. Eben dieses zwischenmenschliche Restrisiko gilt es aber vernünftig zu beherrschen, wenn wir – beim Politisieren wie beim Berichten wie auch bei der Mündigwerdung – besagte Unverhältnismäßigkeiten mehr vermeiden wollen. Macht das alles komplizierter? Nun, nicht unbedingt; es sei eher gefragt: wie kompliziert wollen wir es denn haben?, und: welchen Preis sind wir bereit für unsere Antwort zu zahlen?

Sachlichkeit und Argumentationen, auch wenn das vermeintlich mehr Zeit und Mühe kostet, können – über den rationalen Erklärungsbeitrag hinaus – einem nicht nur das Gefühl von Gerechtigkeit, Authentizität und Ruhe bescheren, sondern auch den möglichen Missbrauch dieser Werte präziser offen legen. Dieses Tun allein sorgt nämlich schon dafür, die öffentliche Auffassung des Redners von Problem und Lösung recht deutlich veranschaulichen zu können. Damit wäre der Weg, selbstmächtig Politik zu betreiben, Idyllen zu bedienen und ernstlose Wahlversprechen abzugeben, zumindest erschwert. Soweit zum Prinzip, das im Kontext – über Parteienkalkül, Situationslogik und Schauspielkunst hinweg – immer wieder jede demokratische Gesinnung herausfordert. Politik aber sollte klarer entschieden mit einem aufgeklärten Menschenbild in Erscheinung treten, anstatt die stete Studie moderner Menschlichkeit bloß als theoretischen Anspruch der Kulturwissenschaften zu marginalisieren, und damit hinter der sog. Systemrelevanz einen Muster-Menschen mondän zu mystifizieren.

Sachlichkeit an sich schließt provokante Formulierungen, das Stammtisch-Zanken und die altbekannte Wahrhaftigkeit nicht aus, sondern steht schlicht für die andere Seite der Medaille. Beide Seiten unter einen Hut zu bringen, d.h. sachliche Darstellung und subjektive Meinung sozusagen koexistieren zu lassen, ist infolgedessen auch einer der Ansprüche, den wir Menschen uns selbst auferlegen und auch als Bürger unseren Rollenanforderungen des Politikers bezüglich von Tatsache und Bedeutung angedeihen lassen können.

Max Weber sagt in seinem „Objektivitätsaufsatz“ von 1904, dass es wichtig sei, „[…] den Lesern (und – sagen wir wiederum – vor allem sich selbst!) jederzeit deutlich zu machen, daß und wo der denkende Forscher aufhört und der wollende Mensch anfängt zu sprechen, wo die Argumente sich an den Verstand und wo sie sich an das Gefühl wenden.“4 Als Bewusstmachung zum Einstieg in eine Stellungnahme, erscheint das hervorragend geeignet.

2.2. Das Unbehagen einer Gesellschaft

Es ist nun auch ein Teil des Gerechtigkeitssinns, der – mit Blick auf Wirtschaftlichkeit, Gesundheitsschutz und das Teppichkehren der Volksvertreter – nicht selten in absoluter Hilflosigkeit und sodann in Frust endet, weil aufgrund mangelnder Fachkenntnis auf der einen, aber auch nebelhafter Transparenz und medialer Rechtsverklärung auf der anderen Seite kein Einblick möglich gemacht ist in die Interessen, Entscheidungsprozesse und Verhältnismäßigkeiten der Machtinstitutionen, die unser aller Leben bestimmen, besteuern und bestrafen. Groteskerweise einen sich hier die Pros mit den Kontras in einer vom auslösenden Ereignis erleichterten Kritik bzw. effektiven Stimmung.

Wir hindern uns also nicht nur selbst daran, dem Weltgeschehen einen Sinn zu verleihen, sondern es wird uns auch vermeintlich erleichtert bis vorenthalten. Diesem Kind müssen wir selbst einen Namen geben. Je nach politischer Gesinnung, Glauben oder Einstellung, lässt sich das Verhältnis zwischen Volk und Volksvertretern mit Prädikaten wie „gut“, „gleichgültig“ oder „schlecht“ beschreiben. Von Gefolgschaften über politisch unterschiedliche Ansichten bis hin zur Politikverdrossenheit, dessen Vorwürfe sich z.B. mithilfe von „Machterhalt“, „Lobbyismus“ und „Lügen“ beschreiben lassen, bietet Deutschland ein buntes Politikprofil. Bloß in diesem Deutschland schweigen sich ausgerechnet die Volksvertreter über Ideale und über Ideologien aus. Schade eigentlich. Berichterstattung und Informationspolitik könnten hier – seriös und bürgernah – Abhilfe schaffen, die grundsätzlich ist, d.h. das Prinzip der Aufklärung wieder auf beide Beine stellt. Andere Handhabungen wie interessenverseuchte Formulierungen, Ergebnis-Orientierung oder Quotenentscheidungen forcieren das Unbehagen eher noch. Je mehr politische Entscheidungen Kausalität widerspiegeln, desto besser ist es dem Wähler möglich, diese Entscheidungen zu verstehen. Das hat Einfluss auf die Stabilität der Überzeugung. Und diese Stabilität soll – meiner Auffassung nach im ureigenen Sinne der Aufklärung – den Menschen und seine Systeme nicht eindeutiger sondern authentischer werden lassen. Was meine ich damit?

Werden Entscheidungsprozesse in Bereichen öffentlicher Relevanz auf eine Art und Weise geführt, die eine adäquate Stellungnahme des (dazu gewillten) Bürgers be- oder gar verhindert, dann handelt es sich dabei vorrangig um Handhabungen zu Gunsten der Gegenaufklärung. Ziemlich unempfindlich gegenüber Argumenten und resistent gegenüber Demonstrationen, wird der kooperativ bedachte Einfluss ausgesetzt. Im Prinzip zieht das aber den Gehorsam der Weisheit vor. So erscheint der Gang auf die Straße als unrühmliche Nötigung, besagter Hilflosigkeit zu begegnen und nicht (mehr) als freiheitliche Entscheidung, für ein konkretes Ziel einzutreten. Dieser Verantwortung stehen – in der hier eingenommenen Perspektive – in besonderem Maße die politischen Parteien und Medienanstalten gegenüber, und sie sollten ihr gerecht werden. Als eindeutig aufbereitete und vorgehaltene Informationen ziehen quasi automatisch Spekulationen nach sich, die die gesamte Diskurssituation in der bereits thematisierten Sachlichkeit gefährden. Unseriös, ja geradezu fahrlässig wirken dann die Spitzenpolitiker wie auch die sog. „Nachrichtenmacher“, die sich dieser Versuchung nicht entledigen.

 

So gesehen ist die grundsätzliche Einheit von Pros und Kontras eben weniger grotesk, denn eher Belegstück dafür, dass über sog. Affären, Vor- und Zwischenfälle hinaus wieder einmal die Politik als Ganzes auf dem Prüfstand steht. Danach fragen sich vermutlich viele Bürger – eben soweit es ihnen möglich ist –, welche Politiker-Typen und steuerfinanzierte Initiativen gewollt sind, und auch prinzipiell, welche der Ziele z.B. von Elektrizität, Vielfalt, Wohlstand oder Frieden es unter welchen Umständen wert sind, angestrebt oder aufgegeben zu werden.

Diese Fragen können in vielfacher Hinsicht große Sprengkraft entwickeln. Und so präzise sich Naturwissenschaften schon der Beschreibung von Explosionen gewidmet haben bzw. widmen können, ist es nicht sympathisch abzusehen, was in sozialer wie kultureller Hinsicht zu verzeichnen wäre, nicht nur wenn sich große Teile der Bevölkerung der Utopie einer „guten Politik“ bewusst werden, sondern zu alle dem die Beherrschung dieser Illusion verlieren.

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