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Buch lesen: «Tausend Und Eine Nacht», Seite 107

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Ali Chodjah und der Kaufmann sprachen nacheinander; als aber der Kaufmann wieder denselben Eid abzulegen verlangte, den er schon vor dem Kadhi geschworen hatte, so sagte das Kind, es sei noch nicht so weit, man müsse notwendig vorher das Olivengefäß sehen. Bei diesen Worten brachte Ali Chodjah das Gefäß, setzte es zu den Füßen des Kalifen und nahm den Deckel ab. Der Kalif besah die Oliven, nahm eine und kostete sie. Hierauf wurde das Gefäß den sachverständigen Kaufleuten, die man dazu berufen hatte, zur Untersuchung übergeben, und diese gaben den Bescheid, die Oliven seien gut und vom laufenden Jahre. Das Kind sagte ihnen, Ali Chodjah behaupte, sie seien schon vor sieben Jahren hineingelegt worden, worauf sie dieselbe Antwort gaben, wie die Kinder, welche die Rolle sachverständiger Kaufleute gespielt hatten. Obwohl nun der Beklagte einsah, daß die beiden sachverständigen Kaufleute sein Verdammungsurteil ausgesprochen hatten, so wollte er gleichwohl noch allerlei zu seiner Verteidigung anführen; das Kind hütete sich indes wohl, ihn zum Aufhängen zu verurteilen, sondern sah den Kalifen an und sagte: »Beherrscher der Gläubigen! Dies ist kein Spiel mehr, sondern es kommt meinem Herrn zu, im Ernst zum Tode zu verurteilen, nicht aber mir, der ich es gestern bloß zum Scherze tat.« Der Kalif, der nun vollkommen von der Unredlichkeit des Kaufmanns überzeugt war, ließ ihn sofort den Gerichtsdienern überantworten, um ihn zu hängen. Dies geschah auch, nachdem er zuvor angezeigt, wohin er die tausend Goldstücke versteckt hatte, die nun dem Ali Chodjah zurückgegeben wurden. Zuletzt aber gab dieser gerechte und billige Fürst dem Kadhi, welcher den früheren Urteilsspruch gefällt hatte und auch zugegen war, die Mahnung, daß er von einem Kinde lernen solle, sein Amt gründlicher zu verwalten; dann küßte er das Kind und schickte es mit einem Beutel von hundert Goldstücken, die er ihm zum Zeichen seiner Freigebigkeit einhändigen ließ, zu seiner Mutter zurück.

Die Sultanin Schehersad erzählte hierauf die Geschichte des Prinzen Ahmed und der Fee Pari Banu. Sie begann dieselbe folgendermaßen:

Geschichte des Prinzen Ahmed und der Fee Pari Banu

Zwei persische Worte, welche beide eine und dieselbe Bedeutung haben, nämlich: weiblicher Geist oder Fee.

Herr! Es war einmal ein Sultan, und zwar einer der Vorfahren meines Königs, der viele Jahre lang friedlich über Indien herrschte und noch in seinem hohen Alter die Freude hatte, an drei Prinzen, seinen Söhnen und würdigen Nachahmern seiner Tugenden, sowie an einer Prinzessin, die seine Nichte war, die Zierde seines Hofes zu besitzen. Der älteste von den Prinzen hieß Husein, der zweite Ali, der jüngste Ahmed, und die Prinzessin, seine Nichte, Nurunnihar.

Die Prinzessin Nurunnihar war die Tochter des jüngsten Bruders vom Sultan, der vom Sultan einen bedeutenden Jahresgehalt bezogen, aber schon wenige Jahre nach seiner Vermählung gestorben war, und sie als zartes Kind hinterlassen hatte. In Rücksicht auf die brüderliche Freundschaft und treue Anhänglichkeit, die sein Bruder ihm stets bewiesen, hatte der Sultan die Tochter desselben in seinen eigenen Palast aufgenommen, um sie mit den drei Prinzen erziehen zu lassen. Mit einer ausnehmenden Schönheit und allen nur erdenklichen Vollkommenheiten des Körpers vereinigte diese Prinzessin einen außerordentlichen Verstand, und ihre fleckenlose Tugend zeichnete sie vor allen Prinzessinnen ihrer Zeit aus. Der Sultan, als Oheim der Prinzessin, der sich längst vorgenommen hatte, sie, wenn sie einmal mannbar geworden sein würde, zu verheiraten und durch ihre Vermählung mit irgend einem benachbarten Fürsten ein Freundschaftbündnis anzuknüpfen, dachte jetzt um so ernstlicher darauf, als er bemerkte, daß seine Söhne alle drei in leidenschaftlicher Liebe zu ihr entbrannten. Dies machte ihm viel Herzeleid, nicht sowohl, weil er dadurch verhindert wurde, das beabsichtigte Bündnis abzuschließen, sondern vielmehr, weil er die Schwierigkeit voraussah, sie über diesen Punkt zu vereinigen, und wenigstens die zwei jüngeren zu bewegen, daß sie die Prinzessin dem ältesten überlassen sollten. Er sprach mit jedem von ihnen insbesondere, und nachdem er ihnen die Unmöglichkeit vorgestellt hatte, daß die Prinzessin alle drei zugleich heiraten könne, sowie die Unruhen, die aus ihrem hartnäckigen Beharren entstehen würden, so bot er alles auf, um sie zu überreden, daß sie entweder der Prinzessin die entscheidende Wahl unter ihnen überlassen, oder alle drei von ihren Ansprüchen abstehen und zugeben sollten, daß sie mit einem auswärtigen Fürsten vermählt würde; sie selbst könne ja auf andere Verbindungen denken, bei denen er ihnen durchaus nichts in den Weg legen wolle. Da er aber eine unüberwindliche Hartnäckigkeit bei ihnen fand, so ließ er sie alle drei vor sich kommen und sprach also zu ihnen: »Meine Söhne, da es mir nicht gelungen ist, euch zu euerm eigenen Wohl und zu eurer Ruhe zu überreden, daß ihr von euren Ansprüchen auf die Prinzessin, meine Nichte, abstehen möchtet, und da ich von meiner väterlichen Gewalt keinen Gebrauch machen und sie nicht einem, mit Hintansetzung der beiden andern, geben will, so glaube ich nunmehr ein passendes Mittel gefunden zu haben, um euch zufrieden zu stellen, und die pflichtschuldige Einigkeit unter euch zu bewahren, wenn ihr anders auf meine Worte hören und das ausführen wollet, was ich euch sagen werde. Ich halte es nämlich für angemessen, daß ihr auf Reisen gehet, und zwar jeder allein und in ein anderes Land, so daß ihr nicht miteinander zusammentreffen könnet; und da ihr wisset, wie neugierig ich auf alles bin, was für selten und einzig in seiner Art gelten kann, so verspreche ich meine Nichte demjenigen, der mir die außerordentlichste und merkwürdigste Seltenheit mitbringen wird. Auf diese Weise kann es der Zufall mit sich bringen, daß ihr selbst über die Vortrefflichkeit der von euch mitgebrachten Sachen durch Vergleichung derselben urteilen werdet und dann werdet ihr hoffentlich so billig sein, demjenigen den Vorzug zu überlassen, der ihn verdient. Zur Bestreitung der Reisekosten und zum Ankauf der Seltenheiten, die ihr mitbringen wollet, werde ich jedem von euch eine eurem Stande angemessene Summe mitgeben, die ihr aber nicht auf Reisegefolge oder Reisegerätschaften verwenden dürfet; denn ihr würdet dadurch eure Abkunft verraten und könntet leicht die Freiheit einbüßen, deren ihr nicht nur zur Ausführung eures Plans, sondern auch dazu bedürfet, um alles, was eure Aufmerksamkeit verdient, beobachten und einen um so größeren Nutzen aus eurer Reise ziehen zu können.« Da die drei Prinzen sich immer willig in die Wünsche des Sultans, ihres Vaters, gefügt hatten, und jeder sich schmeichelte, das Glück werde ihm günstig sein und zum Besitz der Prinzessin Nurunnihar verhelfen, so gaben sie zur Antwort, sie seien bereit, zu gehorchen. Der Sultan ließ ihnen ohne Aufschub die versprochene Summe ausbezahlen, und sie gaben noch an demselben Tage ihre Befehle, daß die Vorkehrungen zu ihrer Reise getroffen wurden; sodann nahmen sie Abschied von ihrem Vater, um sich am anderen Morgen in aller Frühe auf den Weg machen zu können. Sie zogen alle drei, wohlberitten, mit allem Nötigen versehen, als Kaufleute verkleidet und jeder nur mit einem einzigen vertrauten Diener in Sklavenkleidern, zu demselben Tore hinaus und gelangten miteinander in die erste Nachtherberge, von wo dann sich der Weg nach drei Richtungen teilte. Als sie hier die Abendmahlzeit verzehrten, die sie sich hatten bereiten lassen, so verabredeten sie untereinander, daß ihre Reise ein Jahr dauern sollte, und bestellten sich wieder in dieselbe Herberge, mit der Bedingung, wer zuerst eintreffe, solle auf den anderen warten, und die beiden dann auf den dritten, so daß sie alle drei, wie sie zugleich miteinander von ihrem Vater, dem Sultan, Abschied genommen hatten, ebenso bei ihrer Rückkehr wieder vor ihn treten könnten. Am anderen Morgen stiegen sie mit Tagesanbruch, nachdem sie einander umarmt und sich gegenseitig glückliche Reise gewünscht hatten, zu Pferd, und schlugen nun jeder einen von den drei Wegen ein, ohne wegen der Wahl Streit zu bekommen.

Der Prinz Husein, der älteste von den drei Brüdern, der viel von der wundervollen Größe und Macht, dem Reichtum und dem Glanze des Königreichs BisnagarDas indische Königreich Bisnagar, auf der indischen Halbinsel, hatte eine sehr glänzende Periode während des fünfzehnten Jahrhunderts, und die Fürsten dieses Staats scheinen mittelbar oder unmittelbar fast ganz Südindien, wenigstens den im Süden vom Flusse Kistna gelegenen Teil, in ihrer Gewalt gehabt zu haben. Die portugiesischen Schriftsteller bezeichnen es bisweilen mit dem Namen Königreich Narsinga, dem Namen eines der mächtigsten Fürsten dieses Reichs. Die Hauptstadt Bisnagar wurde um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts an den Ufern des Tongbudra von zwei Brüdern gegründet, die ihr den Namen Bidjayanagara (Siegesstadt) gaben, woraus nachher Bidnagar entstand. Das Königreich wurde im Jahr 1564 durch eine Koalition der vier muselmännischen Sultane von Bizapur, Golkonda, Ahmednagar und Berar zerstört. Nach einer Schlacht, in welcher der indische Fürst besiegt und getötet wurde, fiel seine Hauptstadt in die Gewalt der Muselmänner, welche das ganze Reich verheerten und unter sich teilten. gehört hatte, nahm seine Richtung nach dem indischen Meer, und nach einer Reise von etwa drei Monaten, wobei er sich an verschiedene Karawanen anschloß und bald öde Wüsten und steile Berge durchzog, bald aber auch sehr bevölkerte, wohlbebaute und fruchtbare Gegenden, wie man sie nicht leicht in anderen Teilen der Erde trifft, kam er nach Bisnagar, der Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs und dem gewöhnlichen Wohnsitze seiner Könige. Er kehrte in einem Chan ein, wo die fremden Kaufleute abzusteigen pflegen, und da er hörte, daß es hauptsächlich vier Orte in der Stadt gebe, wo die Kaufleute und Verkäufer aller Arten von Handelswaren ihre Läden haben, so begab er sich gleich am folgenden Tage nach einem dieser Stadtviertel. In der Mitte desselben lag das Schloß oder vielmehr der Palast der Könige, der einen sehr bedeutenden Raum einnahm, und gleichsam den Mittelpunkt der Stadt bildete. Die Stadt aber hatte drei Ringmauern, und ihre Tore waren zwei volle Stunden Wegs von einander entfernt. Der Prinz Husein konnte das Stadtviertel, worin er sich befand, nicht ohne Bewunderung betrachten: es war sehr geräumig und in die Kreuz und Quere von mehreren Straßen durchschnitten, welche sämtlich zum Schutz gegen die Sonnenhitze oben überwölbt, aber gleichwohl sehr hell waren. Die Kaufläden waren alle gleich groß und hatten ganz die gleiche Form; die Läden derjenigen Kaufleute, welche die gleichen Artikel führten, waren nicht zerstreut, sondern in einer und derselben Straße beisammen; ebenso verhielt es sich auch mit den Buden der Handwerker. Die Menge der Läden, die mit einer und derselben Art von Waren angefüllt waren, wie z. B. mit den feinsten Schleiertüchern aus den verschiedenen Gegenden Indiens, mit buntbemalten Linnentüchern, worauf in den lebhaftesten Farben Menschen, Landschaften, Bäume und Blumen dargestellt waren, mit Seide— und Brokatstoffen aus Persien, China und anderen Orten, mit Porzellan aus Japan und China, mit Fußteppichen von allen Größen – dies alles überraschte ihn so sehr, daß er nicht wußte, ob er seinen eigenen Augen trauen durfte. Als er aber vollends zu den Läden der Goldschmiede und Juweliere kam (beide Gewerbe wurden nämlich von einer und derselben Klasse von Kaufleuten betrieben), da war er beim Anblick der ungeheuren Menge ausgezeichneter Gold— und Silberarbeiten ganz außer sich und wie geblendet vorn Glanze der Perlen, Diamante, Smaragde, Rubine, Saphire und anderer Edelsteine, welche in Hülle und Fülle zum Verkauf ausgesetzt waren. Wenn er nun schon über die Aufhäufung so vieler Reichtümer an einem einzigen Orte verwundert war, so wuchs sein Erstaunen noch weit mehr, wenn er an den Reichtum des ganzen Königreichs dachte, denn er bemerkte, daß außer den Braminen und Tempeldienern, die es zu ihrem Berufe machten, fern von den Eitelkeiten der Welt zurückgezogen zu leben, im ganzen Reiche nicht leicht ein Inder oder eine Inderin zu sehen war, die nicht Hals— und Armbänder, ja sogar an den Schenkeln und Füßen Schmuck von Perlen und Edelsteinen gehabt hätten, deren Glanz um so mehr hervorleuchtete, als die Einwohner alle schwarz waren. Eine andere Eigentümlichkeit, die der Prinz Husein bewunderte, war die große Menge von Rosenverkäufern, von denen alle Straßen wimmelten. Er dachte, die Inder müssen große Liebhaber von dieser Blume sein, denn er sah auch nicht einen, der nicht einen Rosenstock in der Hand oder einen Rosenkranz auf dem Kopf gehabt hätte, und namentlich standen in jedem Kaufladen mehrere Vasen mit diesen Blumen zu sehen, so daß das Stadtviertel trotz seines gewaltigen Umfangs ganz davon durchduftet war. Als nun der Prinz Husein, voll Gedanken über die vielen Reichtümer, die sich seinen Augen darboten, sämtliche Straßen dieses Stadtviertels durchwandelt hatte, fühlte er endlich das Bedürfnis, auszuruhen. Er gab dies einem Kaufmann zu erkennen, und der Kaufmann lud ihn sehr höflich ein, in seinen Laden zu treten und sich bei ihm zu setzten, was er dann auch annahm. Er war noch nicht lange da gesessen, als er einen Ausrufer vorübergehen sah, mit einem Teppich von etwa sechs Fuß ins Gevierte, den er zum Preise von dreißig Beuteln im Aufstreiche ausbot. Diesen Ausrufer beschied er zu sich und verlangte den Teppich zu sehen, der ihm nicht bloß wegen seiner Kleinheit, sondern auch wegen seines sonstigen geringen Aussehens viel zu teuer ausgeboten schien. Als er ihn lange genug betrachtet hatte, sagte er zu dem Ausrufer, er könne nicht begreifen, wie man einen so kleinen und so unscheinbaren Teppich zu einem so hohen Preise feilbieten könne.

Der Ausrufer, der den Prinzen Husein für einen Kaufmann hielt, gab ihm zur Antwort: »Edler Herr, da dir dieser Preis schon übermäßig hoch vorkommt, so wirst du dich noch weit mehr wundern, wenn ich dir sage, daß ich Befehl habe, ihn bis auf vierzig Beutel zu steigern und bloß für diesen Preis und zwar gegen bares Geld abzulassen.« – »Demnach«, versetzte der Prinz Husein, »muß er irgend eine mir unbekannte Eigenschaft haben, die ihm so viel Wert verleiht.« – »Du hast es erraten, edler Herr«, antwortete der Ausrufer, »und du wirst es mir selbst zugeben, wenn ich dir sage, daß man sich auf diesen Teppich nur zu setzen braucht, um überall hin, wo man nur wünscht, versetzt zu werden, und daß man augenblicklich an dem gewünschten Orte ist, ohne daß irgend ein Hindernis in den Weg kommen kann.« Bei diesen Worten dachte der indische Prinz, da der Hauptgrund seiner Reise doch nur sei, dem Sultan, seinem Vater, irgend eine außerordentliche und unerhörte Seltenheit zu bringen, so werde er nicht leicht etwas habhaft werden können, das dem Sultan größere Freude machen könne. »Wenn dieser Teppich«, sagte er zu dem Ausrufer, »wirklich die Eigenschaft hätte, die du rühmst, so würde ich den dafür verlangten Preis von vierzig Beuteln keineswegs zu hoch finden und könnte mich wohl entschließen, die Summe dafür zu bezahlen; außerdem würde ich dir noch ein Geschenk machen, mit dem du gewiß zufrieden sein könntest.« – »Edler Herr«, antwortete der Ausrufer, »ich habe dir die Wahrheit gesagt und werde dich leicht davon überzeugen können, sobald du unter der Bedingung, daß ich dich eine Probe sehen lasse, den Handel eingegangen haben wirst. Da du die vierzig Beutel nicht hier hast, und ich dich doch, um sie in Empfang zu nehmen, nach dem Chan begleiten muß, wo du als Fremder abgestiegen sein wirst, so laß uns mit Erlaubnis des Herrn vom Laden in den Hinterladen treten; dort will ich den Teppich ausbreiten, und wenn wir beide, du und ich, darauf sitzen und du den Wunsch ausgesprochen haben wirst, mit mir nach deinem Zimmer im Chan versetzt zu werden, und dies nicht auf der Stelle in Erfüllung geht, so soll der Handel null und nichtig und du zu nichts verpflichtet sein. Was das Geschenk betrifft, so werde ich es, da meine Mühe mir von dem Verkäufer bezahlt werden muß, als eine Gnade annehmen, die du mir erzeigst, und wofür ich dir immer verpflichtet sein werde.« Der Prinz vertraute auf die Redlichkeit des Ausrufers, ging den Vorschlag ein und schloß unter der eben erwähnten Bedingung den Handel ab. Hierauf trat er mit Erlaubnis des Kaufmanns in den Hintergrund des Ladens, wo der Ausrufer den Teppich ausbreitete. Sie setzten sich beide darauf und kaum hatte der Prinz den Wunsch ausgesprochen, nach seinem Zimmer im Chan versetzt zu werden, so befanden sich beide dort, und zwar ohne im mindesten aus ihrer Lage gekommen zu sein. Da er nun keiner weitern Zeugnisse für die Wunderkraft des Teppichs mehr bedurfte, so bezahlte er dem Ausrufer die Summe von vierzig Beuteln in Gold aus und fügte ihm noch ein Geschenk von zwanzig Goldstücken hinzu. So war denn nun der Prinz Husein Besitzer des Teppichs, und ungemein erfreut, gleich bei seiner Ankunft in Bisnagar ein so seltenes Stück an sich gebracht zu haben, das ihm, wie er nicht zweifelte, die Hand der Prinzessin Nurunnihar verschaffen mußte, Er hielt es in der Tat für unmöglich, daß seine beiden jüngeren Brüder etwas von ihrer Reise mitbringen könnten, was mit seinem glücklichen Funde nur entfernt in Vergleichung kommen dürfte. Auch hätte er sich jetzt sogleich auf seinen Teppich setzen und nach dem verabredeten Zusammenkunftsorte verfügen können; allein er hätte dann zu lange auf sie warten müssen, und da er ohnehin neugierig war, den König von Bisnagar und seinen Hof zu sehen, zugleich aber auch die Streitkräfte, Gesetze, Gewohnheiten, Religion und den Zustand des ganzen Reiches kennenzulernen, so beschloß er, einige Monate auf Befriedigung seiner Neugierde zu verwenden. Der König von Bisnagar hatte die Gewohnheit, den fremden Kaufleuten jede Woche einmal Zutritt zu seiner Person zu gestatten. Unter diesem Namen sah ihn der Prinz Husein, der durchaus nicht für das gelten wollte, was er war, mehrere Male, und da er nicht nur sehr hübsch von Gestalt war, sondern auch ungemein viel Verstand und feine Geistesbildung besaß, wodurch er sich vor den anderen Kaufleuten, die mit ihm vor dem König erschienen, auszeichnete, so wandte sich dieser vorzugsweise an ihn, wenn er über die Person des Sultans von Indien, über die Streitkräfte, den Reichtum und die Verwaltung seines Reichs Erkundigung einziehen wollte. Die übrigen Tage verwandte der Prinz dazu, die Merkwürdigkeiten der Stadt und Umgegend zu besichtigen. Unter anderen bewundernswürdigen Dingen sah er auch einen Götzentempel, der einzig in seiner Art und ganz aus Erz gebaut war. Seine Grundfläche betrug zehn Ellen ins Gevierte, seine Höhe fünfzehn Ellen; die größte Schönheit darin aber war ein Götzenbild in menschlicher Größe aus gediegenem Gold, das als Augen zwei Rubine hatte, und zwar so künstlich angebracht, daß jeder, der es betrachtete, gleichviel von welcher Seite, der Meinung war, es richte die Augen auf ihn. Dann sah er noch einen, der nicht minder Bewunderung verdiente, in einem Dorfe. Es war da nämlich eine Ebene von etwa zehn Morgen Landes, die aus einem einzigen köstlichen, mit Rosen und anderen anmutigen Blumen übersäten Garten bestand, und dieser ganze Raum war mit einer kleinen Mauer von der Höhe eines Geländers umgeben, um die Tiere des Feldes abzuwehren. Mitten in der Ebene erhob sich eine mannshohe Terrasse, die so kunstreich und sorgfältig mit ineinander gefügten Steinen bedeckt war, daß jedermann glaubte, es sei nur ein einziger Stein. Der Tempel, der mitten auf der Terrasse stand und eine Kuppelform hatte, war fünfzig Ellen hoch, so daß man ihn mehrere Meilen in der Umgegend sehen konnte. Seine Länge betrug dreißig, die Breite zwanzig Ellen, und der rote Marmor, woraus er erbaut war, war außerordentlich fein und glänzend. Das Kuppelgewölbe war mit drei Reihen sehr anmutiger und geschmackvoller Gemälde geschmückt, und der ganze Tempel von oben bis unten mit einer Menge anderer Gemälde, halb erhabenem Bildwerk und Götzenbildern angefüllt.

Morgens und abends wurden in diesem Tempel abergläubische Zeremonien begangen, auf welche Spiele, musikalische Vergnügungen, Gesänge, Tänze und Festschmäuse folgten. Die Diener des Tempels und die Bewohner des Orts leben bloß von den Opfergaben, welche die zahllosen Pilger aus den entferntesten Gegenden des Reichs unaufhörlich dahin bringen, um ihre Gelübde zu erfüllen.

Der Prinz Husein war auch noch Zuschauer eines feierlichen Festes, das alle Jahre am Hof von Bisnagar begangen wird, und wobei die Statthalter der Provinzen, die Befehlshaber der festen Plätze, die Vorsteher und Richter der Städte, sowie die durch ihre Gelehrsamkeit berühmtesten Braminen sich einfinden müssen. Einige von ihnen kommen aus so weiter Ferne, daß sie nicht weniger als vier Monate zu ihrer Reise brauchen. Die Versammlung besteht aus einer unzähligen Menge von Indiern und findet sich auf einer ungeheuren Ebene ein, wo sie einen überraschenden Anblick darbietet, so weit das Auge reicht. Mitten In der Ebene befand sich ein sehr langer und breiter Platz, auf einer Seite durch ein prächtiges Gebäude begrenzt in Form eines Gerüstes, das neun Stockwerke hatte, von vierzig Säulen getragen wurde, und für den König, den Hof und diejenigen Fremden bestimmt war, denen er wöchentlich einmal die Ehre erwies, sie vorzulassen. Im Inneren war es prächtig geschmückt und mit Gerätschaften versehen, von außen mit Landschaften bemalt, worin man alle Arten von Tieren, Vögeln, Insekten, selbst Fliegen und Mücken, ganz nach der Natur abgebildet sah. Die drei übrigen Seiten des Platzes waren von anderen Gerüsten eingefaßt, die wenigstens vier bis fünf Stockwerke hatten, und eines beinahe wie das andere bemalt waren. Auch hatten diese Gerüste das Eigentümliche, daß man sie von Stunde zu Stunde herumdrehen und dadurch ihr ganzes Ansehen, sowie ihre Verzierungen verändern konnte. Auf allen Seiten des Platzes standen in kurzen Zwischenräumen voneinander tausend Elefanten mit den prachtvollsten Harnischen, jeder mit einem viereckigen Turm von vergoldetem Holz auf dem Rücken, worin sich Tonspieler oder Tänzer befanden. Rüssel, Ohren und die übrigen Teile dieser Elefanten waren mit Zinnober und anderen Farben bemalt, so daß sie ein gar seltsames Aussehen darboten. Was bei diesem ganzen Schauspiel dem Prinzen am meisten Bewunderung einflößte für die Betriebsamkeit, Geschicklichkeit und den Erfindungsgeist der Inder, war ein überaus großer und gewaltiger Elefant, der mit seinen vier Füßen oben auf einem senkrecht aufgerichteten, zwei Fuß hohen Ständer stand, und nach dem Takt der Musik mit seinem Rüssel in der Luft herumfocht. Nicht minder bewunderte er einen anderen ebenso gewaltigen Elefanten, der auf dem einen Ende eines quer über einen zehn Fuß hohen Ständer gelegten Balkens stand, an dessen anderem Ende ein ungeheurer Stein als Gegengewicht befestigt war, so daß er vermittelst desselben bald höher, bald tiefer vor dem König und dem ganzen Hofe durch die Bewegungen seines Körpers und Rüssels, gleich wie der andere Elefant, den Takt der Musik angab. Die Inder hatten nämlich zuerst den Stein als Gegengewicht angebunden, sodann das gegenüberstehende Ende zur Erde hinabgebogen und den Elefanten hinauftreten lassen. Der Prinz Husein hätte sich noch länger am Hof und im Reich Bisnagar aufhalten können; eine Unzahl anderer Wunderdinge hätte ihn gewiß bis zum letzten Tage des Jahres, auf welchen er und seine Brüder sich beschieden hatten, angenehm unterhalten; allein da er durch das, was er gesehen hatte, vollkommen befriedigt, überdies beständig mit dem Gegenstand seiner Liebe beschäftigt war, und da seit der neuen Erwerbung, welche er gemacht, die Schönheit und die Reize der Prinzessin Nurunnihar die Heftigkeit seiner Leidenschaft von Tag zu Tag steigerten, so glaubte er, sein Gemüt würde ruhiger werden und er selbst seinem Glücke näher sein, wenn er durch eine geringere Entfernung von ihr getrennt wäre. Er bezahlte daher dem Wirt des Chans den Mietzins für sein Zimmer, bezeichnete ihm die Stunde, wo er den Schlüssel dazu an der Türe abholen könne, und ohne sich über seine weiteren Vorbereitungen zur Abreise auszusprechen, ging er auf sein Zimmer zurück, schloß es hinter sich zu und ließ den Schlüssel stecken. Hierauf breitete er den Teppich aus und setzte sich mit seinem Begleiter darauf. Sodann sammelte er seine Gedanken, und kaum hatte er recht ernstlich gewünscht, in die Herberge versetzt zu werden, wo er mit seinen Brüdern zusammentreffen sollte, als er auch schon bemerkte, daß er dort war. Er kehrte also da ein, gab sich für einen Kaufmann aus und wartete auf die andern.

Indes hatte Huseins jüngerer Bruder, Prinz Ali, der, um dem Plane des Sultans von Indien zu entsprechen, eine Reise nach Persien machen wollte, sich schon drei Tage nach der Trennung von seinen beiden Brüdern einer Karawane angeschlossen und war mit derselben nach diesem Lande abgegangen. Nachdem er beinahe vier Monate unterwegs gewesen, kam er endlich nach Schiras, welches dazumalen die Hauptstadt des Königreichs Persien war. Da er auf der Reise mit einer kleinen Anzahl von Kaufleuten Bekanntschaft und Freundschaft geschlossen hatte, ohne sich jedoch für etwas anderes als einen Juwelenhändler auszugeben, so stieg er auch in einem und demselben Chan mit ihnen ab. Am folgenden Tag, während die Kaufleute ihre Warenballen öffneten, zog der Prinz Ali, der nur zu seinem Vergnügen reiste und sich bloß mit dem zu seiner Bequemlichkeit erforderlichen Reisegepäck versehen hatte, andere Kleider an und ließ sich nach dem Stadtviertel führen, wo Edelgesteine, Gold— und Silberarbeiten, Brokat, Seidenstoffe, feine Schleiertücher und andere überaus seltene und kostbare Waren zum Verkauf ausgesetzt standen. Dieser sehr geräumige und auf die Dauer gebaute Ort war oben überwölbt, und das Gewölbe wurde von starken Pfeilern getragen, die Buden aber waren teils um dies herum, teils den Mauern entlang, sowohl von innen, als von außen angelegt. Der Ort selbst war in Schiras allgemein unter dem Namen Besastan bekannt. Prinz Ali durchstreifte also den Besastan sogleich nach allen Seiten in die Länge und Breite, und aus der erstaunlichen Menge kostbarer Waren, die er da ausgelegt sah, schloß er mit Bewunderung auf die Reichtümer, welche innerhalb der Läden aufgehäuft sein mußten. Unter den vielen Ausrufern, die beständig hin und her gingen und verschiedene Sachen zum Kauf ausboten, sah er zu seiner nicht geringen Verwunderung auch einen, der ein elfenbeinernes Rohr in der Hand hielt, welches etwa einen Fuß lang und etwas dicker als ein Daumen war, und dasselbe zu dreißig Beuteln ausrief. Im Anfang glaubte er, der Ausrufer sei nicht recht bei Verstand. Um sich nun darüber Auskunft zu verschaffen, trat er in den Laden eines Kaufmanns, und sagte zu diesem, indem er auf den Ausrufer deutete: »Herr, ich bitte dich, sage mir, ob ich mich nicht täusche: Ist der Mann dort, der ein kleines elfenbeinernes Rohr zu dreißig Beuteln ausruft, wohl bei gutem Verstande?« – »Herr«, antwortete der Kaufmann, »wenn er ihn nicht anders seit gestern verloren hat, so kann ich dich versichern, daß dies der klügste und gesuchteste von allen unsern Ausrufern ist, und daß er das größte Vertrauen genießt, wenn es sich um den Verkauf von sehr wertvollen Gegenständen handelt. Was indes das Rohr betrifft, das er zu dreißig Beuteln ausruft, so muß dasselbe wohl aus irgendeinem nicht in die Augen fallenden Grunde diesen großen, ja vielleicht einen noch größeren Wert haben. Der Mann wird im Augenblicke wieder hier vorbeikommen, dann wollen wir ihn hereinrufen, und du magst dich selbst von der Sache überzeugen. Setze dich einstweilen auf mein Sofa und ruhe ein wenig aus.«

Der Prinz Ali lehnte das höfliche Anerbieten des Kaufmanns nicht ab, und kaum war er eine Weile da gesessen, als der Ausrufer wieder vorbeikam. Der Kaufmann rief ihn bei Namen und er trat herein. Hierauf sagte der Kaufmann zu ihm, indem er auf den Prinzen wies: »Antworte einmal diesem Herrn, der mich fragt, ob du wohl bei Sinnen seiest, daß du ein elfenbeinernes Rohr, das so unscheinbar aussieht, zu dreißig Beuteln ausbietest. Ich selbst würde mich darüber wundern, wenn ich nicht wüßte, daß du ein verständiger Mann bist.« Der Ausrufer wandte sich jetzt an den Prinzen und sagte zu ihm: »Edler Herr, du bist nicht der einzige, der mich wegen dieses Rohrs für einen Toren ansieht; du magst übrigens selbst urteilen, ob ich einer bin, wenn ich dir seine Eigenschaft gesagt haben werde, und dann hoffe ich, daß du ein ebenso hohes Gebot darauf tun wirst, wie diejenigen, denen ich es bis jetzt gezeigt, und welche dieselbe üble Meinung von mir hatten, wie du. Vor allem, Herr«, fuhr der Ausrufer fort, indem er dem Prinzen das Rohr überreichte, »mußt du wissen, daß dieses Rohr an jedem Ende ein Glas hat und man nur durch eines dieser Gläser zu sehen braucht, um sogleich alles zu erblicken, was man nur wünscht.« – »Ich bin bereit, dir feierliche Genugtuung zu geben«, antwortete Prinz Ali, »wenn du mir die Wahrheit dessen, was du behauptest, dartun kannst.« Da er nun das Rohr in der Hand hatte, so besah er sich die beiden Gläser und fuhr dann fort: »Zeig‘ mir doch, wo ich hineinsehen muß, um mir darüber Aufklärung zu verschaffen.« Der Ausrufer zeigte es ihm; der Prinz sah hinein, und da es ihn nach dem Anblick des Sultans von Indien, seines Vaters, verlangte, so sah er ihn in vollkommenster Gesundheit mitten unter seinem Reichsrat auf dem Throne sitzen. Sodann wünschte er, da er nächst dem Sultan nichts Lieberes auf der Welt hatte, als die Prinzessin Nurunnihar, auch diese zu sehen, und erblickte sie sogleich an ihrem Putztische sitzend, umgeben von ihren Frauen, lachend und in der heitersten Laune. Der Prinz Ali verlangte keine andere Probe, um sich zu überzeugen, daß dieses Rohr die kostbarste Sache nicht nur in der Stadt Schiras, sondern auf der ganzen Welt sei, und er es glaubte, wenn er unterließ, dasselbe zu kaufen, so würde er nie mehr weder zu Schiras, und wenn er zehn Jahre da bliebe, noch sonstwo eine ähnliche Seltenheit antreffen, die er von seiner Reise mitbringen könnte. Er sagte daher zu dem Ausrufer: »Ich nehme meine unvernünftige Ansicht, die ich von deinem Verstande hatte, zurück, glaube aber, daß es dir hinlängliche Genugtuung sein wird, wenn ich mich erbiete, das Rohr zu kaufen. Da ich es nicht gerne in andere Hände kommen lassen möchte, so sage mir den Preis, den der Verkäufer dafür haben will, ganz genau, und gib dir fortan keine Mühe mehr, mit diesem Rohr deine Füße müde zu gehen und es auszurufen. Du brauchst nur mit mir zu kommen, so werde ich dir die Summe ausbezahlen.« Der Ausrufer beteuerte mit einem Eid, er habe Befehl, es um vierzig Beutel zu verkaufen, und im Fall er daran zweifle, so wolle er ihn selbst zum Verkäufer führen. Der indische Prinz glaubte seinem Wort, nahm ihn mit sich nach Hause, und als sie in seiner Wohnung im Chan angelangt waren, bezahlte er ihm die vierzig Beutel in schönen Goldstücken aus und wurde auf diese Art Besitzer des elfenbeinernen Rohres. Der Prinz Ali war über diesen Kauf umso mehr erfreut, als er fest überzeugt war, seine Brüder können nichts so Seltenes und Bewundernswürdiges gefunden haben, und folglich werde die Prinzessin Nurunnihar der Lohn für die Beschwerden seiner Reise sein. Er dachte jetzt bloß noch darauf, unerkannt den Hof von Persien, so wie die Merkwürdigkeiten der Stadt Schiras und ihrer Umgebung kennenzulernen, bis die Karawane, mit welcher er gekommen war, nach Indien zurückreisen würde. Er hatte seine Neugierde vollkommen befriedigt, als die Karawane Anstalten zur Abreise traf, und der Prinz ermangelte nicht, sich ihr anzuschließen und mit ihr auf den Weg zu machen. Kein Unfall störte oder unterbrach die Reise, und ohne weitere Unbequemlichkeit, als die Beschwerden eines so langen Weges, kam er glücklich an dem verabredeten Orte an, wo der Prinz Husein bereits eingetroffen war. Der Prinz Ali traf ihn dort, und sie warteten nun gemeinschaftlich auf ihren Bruder Ahmed.

Altersbeschränkung:
12+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
30 August 2016
Umfang:
2970 S. 1 Illustration
Rechteinhaber:
Public Domain