Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau

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Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau
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Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau



Meine Elebnisse in drei Erdteilen



von



Kapitänleutnant





Gunther Plüschow







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Erstmals erschienen bei:



Ullstein & Co, Berlin, 1916



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Vollständig überarbeitete Ausgabe.



Ungekürzte Fassung.



© 2017 Klarwelt-Verlag



ISBN: 978-3-96559-033-5



www.klarweltverlag.de




Inhaltsverzeichnis







Titel







Fliegerfreuden und Fliegerleiden







Herrliche Tage in Tsingtau







Kriegsalarm — meine Taube







Allerhand Scherze der Japs







Meine Kriegslist







Hurra!







Der letzte Tag







Im Schlamm des chinesischen Reisfeldes







Die Fischvergiftung des Mr. Mc Garvin







Sie haben mich!







Hinter Mauern und Stacheldraht







Die Flucht







Schwarze Nächte an der Themse







Ein blinder Passagier







Der Weg in die Freiheit







Wieder im Vaterland!






Fliegerfreuden und Fliegerleiden



s war im August des Jahres Neunzehnhundertunddreizehn, als ich in meiner Heimatstadt Schwerin anlangte. Mehrere Wochen hatte ich mich in England aufgehalten, hatte mich vor allen Dingen in London dem Studium der dortigen reichhaltigen Kunstschätze hingegeben und mich tagelang in London und seiner Umgebung herumgetrieben. Damals ahnte ich nicht, wie wertvoll mir diese Streifzüge zwei Jahre später werden sollten.



Eine gewisse innere Erregung und Unruhe hatte mich schon auf der ganzen Reise befallen, und als ich in Schwerin ankam, wagte ich nicht, meinem Onkel, der mich abholte, die Frage, die mir seit Tagen auf der Seele gebrannt hatte, zu stellen.



Denn in diesen Tagen sollten die neuen Herbstkommandierungen der Marine herauskommen, und für mich handelte es sich darum, ob mein seit Jahren genährter Wunsch endlich in Erfüllung gehen sollte.



Die Frage meines Onkels: „Weißt du, wo du hinkommst?“ traf mich wie ein elektrischer Schlag.



„Nein.“



„Na, dann herzlichen Glückwunsch, Marine-Fliegerabteilung!“



Vor Freude hätte ich am liebsten mitten auf der Straße einen Handstand gemacht, doch die guten Schweriner Mitbürger wollte ich nicht zu sehr in Aufruhr versetzen.



Endlich war also mein Wunsch erfüllt!



Die letzten Tage des Urlaubs vergingen wie im Fluge, und froh kehrte ich zur Marineschule zurück, um die letzten Wochen meiner anderthalbjährigen Tätigkeit als Inspektionsoffizier zu vollenden, und wohl noch nie habe ich mit größerer Freude meine Koffer gepackt, um meiner neuen Bestimmung entgegenzufahren.



Gerade einige Tage vor meiner Abfahrt kam einer meiner Kameraden zu mir und rief mir zu:



„Wissen Sie schon das Neueste, wo Sie hinkommen sollen?“



„Ja, Flieger.“



„Mensch, Sie ahnen ja noch gar nicht Ihr Glück, Sie kommen ja nach Tsingtau!“



Ich war sprachlos und muss ein ziemlich dummes Gesicht gemacht haben. „Ja, Tsingtau, und zwar als Flieger! Sie Glückspilz, Sie sollen der erste Marineflieger in Tsingtau werden!“



Es war wohl kein Wunder, dass ich dieses nicht glauben wollte, bevor ich die offizielle Bestätigung erhielt. Es war Wirklichkeit. Soviel Dusel sollte ich tatsächlich haben.



Drei Monate Wartezeit noch in Kiel, und endlich brach der erste Januar Neunzehnhundertundvierzehn an, und ich befand mich im geliebten Berlin.



Und die Unruhe! Gar nicht zu bremsen war ich. Und schon am zweiten Januar stand ich in Johannisthal und dachte, sofort mit dem Fliegen anfangen zu können. Aber mir ging es wie wohl den meisten Flugschülern. Zum ersten Male erfuhr ich den alten Erfahrungssatz der Fliegerei: Nur die Ruhe kann es machen, wer fliegen will, muss vor allen Dingen warten lernen!



Warten, warten und immer wieder warten. Achtzig Prozent der ganzen Fliegerei besteht nur aus Warten und sich Klarhalten.



Es hatte nämlich Frau Holle gefallen, ihre Daunenkissen auszuschütteln, und das ganze Flugfeld war unter einer tiefen Schneeschicht begraben. Fliegen unmöglich. Und wochenlang kam ich jeden Morgen wieder und dachte: Nun muss doch der Schnee fort sein! Aber enttäuscht kehrte ich nachmittags wieder nach Hause zurück.



Im Februar endlich wurde es schön. Und am ersten Februar saß ich glücklich vorn in meiner Taube, und auf ging es zum ersten Male in die herrliche kalte Winterlust hinauf. Das Wetter meinte es gut in diesen Tagen, und unermüdlich wurde Tag für Tag geschult.



Die Fliegerei lag mir, das hatte ich bald heraus. Und ich war ganz stolz, als ich schon am dritten Tage allein fliegen durfte. Zwei Tage war ich gerade alleine geflogen, da kam an einem schönen Sonnabendnachmittag mein unermüdlicher Lehrer Werner Wieting zu mir und sagte: „Na, wie war's, Herr Oberleutnant, wollen Sie nicht gleich Ihr Pilotenexamen machen? Das wäre doch ein netter kleiner Rekord!“



„Ja, natürlich, ich bin klar!“



Zehn Minuten später saß ich bereits in der Maschine, und lustig drehte ich mit meinem Täubchen die vorgeschriebenen Kurven. Es war eine wahre Lust, sich in der herrlichen Winterlust herumzutummeln. Und als die letzte Prüfungslandung tadellos geglückt war, und als mein Lehrer mir stolz zum Glückwunsch die Hand reichte, da war mir so recht wohl zumute, und ein Gefühl der inneren Befriedigung und des Glücks beschlich mich.



Nun war ich also Pilot. Die Schulzeit war vorüber, und frei und allein konnte ich von jetzt ab täglich eine der großen hundertpferdigen Maschinen nach Herzenslust fliegen.



Ein Sonderunternehmen sollte mir damals viel Freude bereiten.



Rumpler hatte einen neuen Eindecker herausgebracht, der besonders auf gutes Steigen gebaut war. Es galt nun, mit diesem Flugzeug den Welthöhenrekord zu erringen. Der bekannte Flieger Linnekogel sollte dieses Flugzeug steuern, und er bat mich, als sein Beobachter mitzufliegen. Was war selbstverständlicher, als dass ich ja sagte.



An einem der letzten Tage im Februar starteten wir zum ersten Versuch. Dicht eingehüllt zum Schutz gegen die große Kälte saßen wir in unserem Flugzeug, und voll Neid blickten uns viele Menschenaugen nach, als sich leicht wie eine Libelle schon nach kurzem Anlauf der Vogel erhob. Mit der Uhr in der Hand beobachtete ich die Höhe, und schon nach fünfzehn Minuten waren zweitausend Meter erreicht, damals eine außerordentliche Leistung. Nun ging es aber langsam. Die Luft wurde sehr unruhig, und wie eine Feder wurden wir durch die heftigen Fallböen auf und ab geworfen. Nach einer Stunde hatten wir endlich viertausend Meter erreicht, als mit einem Fauchen und Spucken der Motor anfing zu streiken und nach wenigen Sekunden mit einem Ruck stehen blieb. In Spiralen glitten wir mit großer Geschwindigkeit dem Boden zu, und wenige Minuten später stand das Flugzeug wohlbehalten auf dem Flugplatz.



Die Kälte war zu groß gewesen, der Motor war einfach eingefroren und dieses Hindernis nicht bedacht worden. Emsig wurden Verbesserungen eingebaut. Schon einige Tage später starteten wir zum selben Versuche, und dieses Mal schienen wir mehr Glück zu haben.



Ruhig und sicher gewannen wir stetig an Höhe.



Viertausend Meter, viertausendzweihundert, viertausendfünfhundert Meter, Gott sei Dank, der Rekord vom letzten Male war gebrochen! Die Kälte war fast unerträglich, und ich glaube, selbst die dickste Pelle hätte bei dem scharfen Luftzug nichts geholfen. Viertausendachthundert, viertausendneunhundert Meter! Nun fehlten nur noch vierhundert Meter, dann war das gesteckte Ziel erreicht. Aber wie verzaubert weigerte sich das Flugzeug, auch nur einen Meter höher zu klettern. Es half nichts. Der Betriebsstoff ging auf die Neige, und wiederum setzte der Motor plötzlich aus, diesmal in Höhe von viertausendneunhundert Metern.



Ohne einen Tropfen Benzin langten wir wohlbehalten unten an, fast zu einem Eisklotz erfroren.



Alles hatten wir nicht erreicht, aber doch einen schönen Erfolg: der deutsche Höhenrekord war glänzend gewonnen!



Der Erfolg spornte uns aber dazu an, auch das letzte Ziel zu erreichen. Und Anfang März endlich war das Wetter wieder so weit, dass ein neuer Versuch unternommen werden konnte. Noch dicker eingehüllt wie das letzte Mal, mit Thermometer versehen, aber ohne Sauerstoffapparat verließen wir zu einem dritten Versuche den Flugplatz.



Die ersten Höhen wurden wieder spielend gewonnen. Große Wolken schwebten am Himmel, die Temperatur war eisig. Als wir durch die Wolkendecke nach oben in den strahlenden Sonnenschein durchstießen, hatten wir ein herrliches Erlebnis. Plötzlich sahen wir nämlich vor uns von der Sonne wunderbar beleuchtet ein Zeppelinluftschiff, welches ebenfalls zu einer Höhenfahrt aufgestiegen war.

 



Welch wunderbare Begegnung in über dreitausend Meter Höhe! Weit ab von allem Menschengetriebe, hoch über des Alltags Sorge und Last trafen sich die beiden Maschinen, die so beredt von Deutschlands Kraft und Können zeugten.



Wir umkreisten den großen Bruder einige Male und winkten ihm mit den Händen ein stummes „Glück ab“ zu!



Dann fing der Ernst für uns wieder an. Und unermüdlich mussten wir arbeiten, um unser Ziel zu erreichen. Nach einer Stunde hatten wir viertausendachthundert Meter erreicht, dann kamen viertausendneunhundert, mein Barograph zeigte bald fünftausend, und immer noch brummte der Propeller seine gleichmäßige Melodie. Ruhig und sicher zog Linnekogel seine Kreise. Das Thermometer zeigte bereits minus siebenunddreißig Grad Celsius, aber wir achteten der Kälte nicht. Nur die Luft wurde etwas knapp. Ein leises Gefühl der Müdigkeit beschlich mich, und die Lungen arbeiteten nur noch in ganz kurzen schnellen Stößen. Jede Bewegung war beschwerlich. Und selbst das einfache Umdrehen nach dem hinter mir sitzenden Führer war mit großer Anstrengung verbunden.



Der Himmel war inzwischen herrlich geworden. Die Wolkenbänke hatten sich verzogen, und wunderbar klar lag unter uns Berlin und seine Umgebung. Nur so groß wie eine Handfläche sah die Weltstadt aus dieser enormen Höhe aus. Ein schwarzer Fleck, in dem man aber klar und deutlich die Straße Unter den Linden und die daran schließende Charlottenburger Chaussee verfolgen konnte.



Von diesem wunderbaren Anblick gänzlich hingerissen, hatte ich längere Zeit nicht auf Uhr und Barograph Acht gegeben, und voll Schrecken entsann ich mich meiner Pflichtvergessenheit. Zwanzig Minuten waren etwa vergangen, seitdem ich das letzte Mal nachgesehen hatte, dass mein Barograph auf fünftausend Meter stand, und jetzt musste eigentlich das Ziel erreicht sein. Aber wie wurde ich enttäuscht, als mein Zeiger immer noch auf fünftausend stand. Dabei fing Linnekogel an, mir Zeichen zu machen, den Flugplatz zu suchen, und deutete mit der Hand nach unten. Nein, das war mir doch zu arg. Ärgerlich drehte ich mich um, und als Linnekogel dieses nicht sah, versetzte ich ihm einen nicht gerade sanften Tritt gegen sein Schienbein. Dabei hielt ich ihm meine gespreizten fünf Finger vor die Nase und deutete mit der Hand nach oben. Das sollte heißen: Höher, höher, wir sind ja erst fünftausend Meter!



Linnekogel lachte nur, er ergriff meine Hand, schüttelte sie kräftig und zeigte mit der Rechten zweimal fünf. Ich dachte erst, der hat einen Klaps. Und dies wurde noch bestärkt, als Linnekogel den Motor abstellte und in einem steilen Gleitfluge (wir waren senkrecht über Potsdam) in gerader Linie dem Flugplatz Johannisthal zuraste. Nun hieß es für mich aufpassen, den Flugplatz finden. Und glücklich standen wir sechzehn Minuten später vor den Rumplerwerken, freudig begrüßt von den Zuschauern.



Es war erreicht! Der Welthöhenrekord war mit fünftaufendfünfhundert Metern gebrochen.



Eine Stunde fünfundvierzig Minuten hatte im Ganzen die Fahrt gedauert. Stolz standen wir unter unseren untengebliebenen Mitmenschen. Linnekogel hatte doch recht gehabt; mein Barograph war eingefroren, Linnekogels, der besser und wärmer eingepackt war, hatte richtig durchgehalten. Die Tage vergingen, und für mich kam die Zeit, wo ich die Heimat verlassen musste.



Meine für Tsingtau neu gebaute Taube näherte sich ihrer Vollendung, und mit einem ganz seltsamen Gefühl flog ich mein zukünftiges Flugzeug ein, nachdem es die Abnahmebedingungen bestanden hatte. Mir dünkte es damals das schönste Flugzeug der Welt!



Doch mein Ehrgeiz war damit nicht gestillt. Und unbedingt musste ich vor meiner Abreise nach dem fernen Osten einen größeren Überlandflug in Deutschland ausführen.



Ich hatte Glück. Meine Bitte fand bei Herrn Rumpler Gehör, und er überließ mir eines seiner Flugzeuge, um mehrere Tage in Deutschland herumzufliegen. Mein Feldpilotenexamen war schnell gemacht, und Ende März saß ich an einem Tage früh um sieben Uhr in meiner voll ausgerüsteten Taube, vor mir als Beobachter mein guter Freund, der lange Oberleutnant Strehle von der Kriegsakademie. Dieser saß heute zum ersten Mal in einem Flugzeug. Aber an diesen Flug wird er, glaube ich, sein ganzes Leben lang denken.



Glänzend war der Start. Und stolz zog ich meine Kreise, bis ich in fünfhundert Meter Höhe in nördlicher Richtung davonflog. Alles klappte famos. Die Havelseen wurden überquert, Nauen kam in Sicht, als es plötzlich anfing, diesig zu werden, und keine zehn Minuten später war das Pech auch schon da. Dichter Nebel umhüllte uns. Vom Boden war nichts mehr zu sehen. Das war für den ersten Überlandflug, den ich in meinem Leben machte, eine etwas harte Prüfung. Aber sorglos, wie man eben nur als junger Flieger ist, dachte ich bei mir: Nur Mut, die Sache wird schon schief gehen. Und ruhig flog ich in dem dichten Nebel, mich nach meinem Kompass richtend, nach Norden zu, denn Hamburg war unser Ziel. Nach zwei Stunden konnte ich endlich in dreihundert Meter Höhe den Boden unter mir wieder sehen, und wer beschreibt meine Freude, als ich einen großen schönen Acker bemerkte. Im stolzen Gleitfluge, just als ob ich über dem Flugfelde wäre, glitt ich nieder und stand bald wohlbehalten mitten auf dem Sturzacker. Leute kamen zu Dutzenden herbei, und groß war meine Freude, als ich erfuhr, dass ich mich auf gutem mecklenburgischen Boden befand und vor allen Dingen dort, wo wir uns nach meines Beobachters und meiner Berechnung befinden mussten. Es war Feiertag, und so hatten wir den guten Leuten ein schönes Sonntagsvergnügen bereitet. Als es aufklarte, wollten wir weiter. Aber der weiche Boden hielt die Rader so fest, dass an ein Hochkommen nicht zu denken war. Unter Freude und Gelächter, unter Hü und Hott und unter manchem derben Scherzworte, welches wir über uns ergehen lassen mussten, zogen die willigen Zuschauer den Riesenvogel über den Acker.



Und nachdem einige Bäume gefällt waren, ging es dann noch über einen Graben hinüber und auf ein hartes Feld. Trotzdem wir starten wollten, ließ man uns erst weg, nachdem wir uns an vorzüglichem Kaffee und Napfkuchen gestärkt hatten.



Nach reichlichem Händeschütteln und vielem Hurrageschrei und Tücherwinken beim Start waren wir wieder oben und zogen nördlichen Kurs ein.



Die Freude dauerte nur kurze Zeit. Und schon fünfzehn Minuten später waren wir wieder in graue Nebelschichten eingehüllt. Nach zwei Stunden wurde die Sache ungemütlich, denn mit einem Male fing der verdammte Motor an zu spucken und zu fauchen. Bald machte er dreihundert Touren zu wenig, bald zweihundert zu viel!



Ich untersuchte alle meine Apparate und Ventile und bemerkte zu meinem Schrecken, dass der Benzinvorrat rasend abnahm. So gut es ging, hielt ich mein Flugzeug fest und glitt auf drei hundert Meter herunter.



Aber, o Schreck! Der Nebel verzog sich etwas, und wo war ich? Mitten über der Alster! Und dabei ein aussetzender Motor und nur dreihundert Meter hoch und keine Ahnung, wo der Flugplatz Fuhlsbüttel lag. Nun gab's nur eins: Ruhe und Entschlossenheit. Ein Gedanke durchzuckte mich: Raus aus der Stadt, und keine unschuldigen Menschenleben gefährden! Auf einem Zettel schrieb ich meinem Beobachter: „Wir müssen in fünf Minuten gelandet sein, sonst haben wir keinen Betriebsstoff mehr und gehen baden!“ Suchend spähte mein Beobachter nach unten, und plötzlich zeigte er freudig erregt mit der Hand nach einem unter uns liegenden Kirchhof. Der gute Kamerad! Er ahnte ja nicht, in welcher Lage wir uns befanden und welch ein Hohn eigentlich aus seiner Armbewegung sprach.



Wir waren bereits zweihundert Meter herunter. Der Motor ruckte ungleichmäßig, die Benzinuhr zeigte zehn Liter. Ich aber war froh. Aus der Stadt waren wir glücklich heraus, und wenn auch an eine glatte Landung in dem Gartengewirr für uns nicht zu denken war, fremde Menschenleben konnten wir wenigstens nicht mehr gefährden. In solchen Situationen ist jede Sekunde eine Ewigkeit, und Gedanken und Überlegungen jagen sich in unheimlicher Geschwindigkeit. Wer da nicht ruhig bleibt, eisernen Willen zeigt, der ist verloren. Mein Beobachter fing plötzlich an mit der Hand zu schwenken und nach vorne zu zeigen. Und ich sehe jetzt noch im Geiste seine strahlenden Augen vor mir, die mir durch seine Fliegerbrille entgegenleuchteten.



Vor uns schimmerte, von den Strahlen der untergehenden Sonne durch den Nebel matt beleuchtet, die Luftschiffhalle von Fuhlsbüttel. Hurra! Unser Ziel war erreicht.



Wer beschreibt meine Freude! Mit dem letzten Liter Benzin machte ich noch eine Ehrenrunde um den Flugplatz, und nach steilem Gleitfluge setzte die Taube leicht und sicher auf dem Platze auf.



In der ersten Freude wäre ich meinem Beobachter am liebsten um den Hals gefallen. Der gute Kerl hatte ja gar nicht geahnt, in welcher Gefahr wir uns befunden hatten, und war höchst erstaunt, als ich ihm davon erzählte. Noch jetzt, wo ich wirklich weiß, was fliegen heißt, überläuft es mich kalt, wenn ich an diesen ersten Überlandflug denke! Der Versager war bald festgestellt. Der untere Teil des einen Vergasers war abgebrochen, und das Benzin floss durch die Bruchstelle ab, so oft durch die Erschütterungen des Motors der Riss erweitert wurde. Daher auch das schnelle Fallen des Benzins und der ungleiche Gang des Motors. Dass kein Vergaserbrand entstand, ist mir heute noch ein Rätsel.



Nachdem wir drei Tage bei liebsten Freunden in Bremen zugebracht hatten, kam endlich der neue Vergaser in Hamburg an. Nun wollten wir weiter.



Nächstes Ziel: Schwerin in Mecklenburg.



An einem regnerischen, stürmischen Nachmittage setzte ich mich in meine vollbeladene Maschine. Ein Zug am Hebel, und mit Vollgas schwirrten wir los.



Heutzutage würde ich bei solchem Wetter nur fliegen, wenn es unbedingt nötig wäre. Damals besaß ich aber die Naivität und vor allen Dingen die Begeisterung eines jungen Fliegers. Das Glück im Unglück ließ auch nicht lange auf sich warten. Das schwergeladene Flugzeug wollte nicht hoch, die Böen warfen es hin und her wie einen Spielball, und ich wäre gerne umgedreht. Aber daran war bei der geringen Höhe nicht zu denken. Nun kamen auch schon die ersten Häuser von Hamburg. Darüber hinwegzukommen unmöglich! Ich war sechzig Meter hoch, unter mir sah ich ein kleines Feld. Also kurz entschlossen: Gas weg! Landen! Im selben Augenblick fasste mich eine Fallbö, ich fühlte, wie das Flugzeug unter mir weggezogen wurde, und da ich dachte: Jetzt zerschellst du auf dem Boden, gab ich Vollgas und riss das Höhensteuer hoch, um den Anprall abzuschwächen. Aber im selben Moment fühle ich einen Ruck unter mir, und die Maschine stellte sich steil auf den Kopf, als wenn eine unsichtbare Hand das Fahrgestell festgehalten hätte.



Das Folgende war nur noch ein Werk von Bruchteilen von Sekunden. Ich riss an meinem Höhensteuer, nahm Gas weg, und schon erhielt ich einen schweren, harten Stoß. Krampfhaft hielt ich mein Steuerrad fest und flog mit meinem Kopf hart gegen die Karosserie.



Totenstille um mich herum. Tiefe Finsternis und furchtbares Schweigen. Durch einen Strom beißender Flüssigkeit, der über mein Gesicht herabfloss, kam ich wieder zu mir. Mit den Beinen nach oben, den Körper zusammengepresst und das Gesicht gegen meine Brust gedrückt, lag ich still da. Da durchzuckte es mich:



Du bist ja abgestürzt, das Flugzeug kam: jeden Moment anfangen zu brennen, und du bist mit deinem Beobachter verloren! Tastend suchte ich in meiner zusammengequetschten Stellung nach dem Zündhebel und war froh, ihn endlich gefunden und die Zündung ausgeschaltet zu haben. Dann kam langsam das Bewusstsein der Wirklichkeit zu mir zurück, und ich dachte an meinen armen Beobachter. Der saß ja vorne, hatte den ersten Anprall abzuhalten und musste bereits zerquetscht sein, wenn die Karosserie den Stoß nicht ausgehalten hatte. Als sich vorn nichts rührte, fragte ich endlich mit gepresster Stimme, denn ich war so zusammengequetscht, dass ich kaum noch Luft bekam: „Strehlchen, leben Sie noch?“



Pause, entsetzliche Stille.



Auf meine zweite Frage vernahm ich dann:



„Ja! Was ist eigentlich los? Hier ist es so dunkel, ich glaube, es muss etwas passiert sein.“



Oh, wie frohlockte ich da. Ich schrie förmlich vor Vergnügen: „Strehlchen, Mensch, Sie sind ja am Leben, das ist die Hauptsache! Sind Ihre Knochen eigentlich noch heil?“ Der gute lange Kerl war in dem kleinen Raum schrecklich zusammengequetscht, und ich hörte nur noch sein: „Ja, ich weiß nicht, das wird sich hoffentlich später feststellen lassen.“

 



Dann war es wieder still. Das Benzin floss noch aus dem mit hundertsiebzig Liter gefüllten Tank in Strömen aus, und nach einer Zeit, die mir die Ewigkeit dünkte, klopfte jemand draußen an, und von weither erklang eine Stimme:



„Na, lebt da noch jemand drin?“



„Und ob“, rief ich, „nun man dalli, sonst ersticken wir hier noch drin!“



An dem Flugzeugrumpf wurde gehoben. Ich hörte mit Spaten graben, und endlich drang frische Luft zu uns herein.



„Halt“, rief Strehle, „anderen Weg anlüften, Ihr brecht meinen Arm ab!“ Die Helfer versuchten es von der anderen Seite, und endlich wurde