BlattSchuss

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa


www.zuklampen.de

Informationen zum Buch

BrunoBär

Ludger Lage liebt den Flohmarkt Hannover und noch mehr Bea Boßel. Sie verkauft Puppen und Teddys – doch eines Tages ist ihr BrunoBär verschwunden. Schon bald meldet sich ein hinterhältiger Erpresser. Bea Boßel ist verzweifelt und Ludger Lage in seinem Element. Kann er – unter Einsatz seines Lebens – den Fall lösen und zugleich Beas Herz gewinnen?

BlattSchuss

Von der Harkenblecker Wehrkapelle wurde die Wetterfahne abgeschossen. Ludger Lage wird mit der Aufklärung des delikaten Falls beauftragt und landet schon bald – na wo? – beim Schützenverein. Hat die frevelhafte Tat etwas mit dem Schützenfest Hannover zu tun? Vor Ludger Lages unkonventionellen Ermittlungsmethoden kapitulieren schließlich auch diejenigen, deren Gedächtnis – ob gewollt oder ungewollt – verdächtige Lücken aufweist!

EndSpiel

Die Frauenfußballmannschaft des VfvB Hiddestorf will eine große Fete feiern. Der Aufstieg in die Kreisliga ist geschafft! Doch eine anonyme, aber unmissverständliche Drohung platzt herein und könnte dem Verein das letzte Spiel und die Aufstiegsfeier vermiesen. Da ist Ludger Lage gefragt. Mit seinem Spürsinn kommt er dem anonymen Unhold auf die Schliche. Nun rollt die Kugel plötzlich in entgegengesetzte Richtung …

Informationen zum Autor

Günter von Lonski, Jahrgang 1943, ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in der Nähe von Hannover. Er schreibt Krimis, Romane, Kinder- und Jugendbücher, Theaterstücke, Kinderfunk- Sendereihen, Hörfunkbeiträge, Satiren und Glossen.

Günter von Lonski

BlattSchuss

Die ungewöhnlichen Fälle des Ludger Lage

Kurzkrimis


Impressum

©2010 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe

info@zuklampen.de · www.zuklampen.de

Herausgegeben von Susanne Mischke

Titelgestaltung: Angelika Konietzny (www.izwd.de), Hannover

Konvertierung: Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

ISBN 978-3-86674-083-9

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.

Für Anne und Anne und Anne

BrunoBär

Ludger Lages Wohnwagen steht auf dem Campingplatz am Arnumer See. Eine unvorteilhafte Scheidung hat ihn hierher verschlagen. Doch Ludger Lage ist nicht nachtragend. Er hält die Nase in die Frühlingsluft. Das ist ein Tag, um sich zu recken, strecken und nach Hannover auf den Flohmarkt zu fahren. Frau Sikorski hat ihn für die Reparatur ihrer Satellitenschüssel ordentlich bezahlt. Ludger kann sich etwas leisten. Vielleicht findet er auf dem Flohmarkt ein Fernglas oder eine Kaffeemaschine oder … ach, Quatsch, es wird Zeit, Bea einen Besuch abzustatten, bevor sie sich noch in eins von den Windeiern verliebt, die ihr ständig den Hof machen.

Ludger sprüht sich Eau de Toilette auf das karierte Oberhemd, zieht die schwarze Lederjacke an und steckt sich ein Fisherman’s in den Mund. Dann holt er das blaue Damenfahrrad unter der ausgeblichenen grünen Plastikplane hinter dem Wohnwagen hervor. Ludger muss Luft in die Reifen nachpumpen, er braucht auch dringend neue Fahrradschläuche.

Er schiebt sein Rad den Holperweg hinauf, der sich großspurig Seestraße nennt, und grüßt Frau Braun. »Moin, moin, Frau Braun!« Ludger stellt den Fuß auf die Pedale, schiebt an und schwingt sich auf den Sattel. »Haben Sie es sich überlegt?«

»Fangen Sie nicht schon wieder davon an!« Frau Braun droht mit dem Finger.

»Ist doch ein tolles Angebot! Wenn wir uns zusammen in der Sonne räkeln, wäre Braunlage nicht mehr im Harz, sondern am Arnumer See. Das wäre doch prima für unseren Fremdenverkehr – besonders im Winter!«

»Herr Lage, Herr Lage, Sie sind ein Spötter!«

Ludger fährt zur Bushaltestelle, schließt sein Fahrrad ab und muss ein wenig auf den Bus warten. Auf der anderen Straßenseite geht Conny vorbei, die Bedienung in der Alten Schmiede. Ludger will ihr einen schönen Tag wünschen, doch die Verständigung leidet unter der endlosen Schlange vorbeifahrender LKWs, und Conny hebt nur freundlich, aber verständnislos die Schultern.

Der Bus kommt, Ludger steigt ein. »Einmal Steintor«, sagt er zu dem Busfahrer.

»Wollen Sie heute auch wieder zurück?«, fragt der Fahrer.

»Wenn Sie mich so fragen … ich kann noch nicht genau sagen, wann Sie mich abholen können!«

»Falls Sie heute noch zurück wollen, ist eine Tageskarte günstiger als zwei Einzelfahrscheine!«

»Der Hinweis ist echter Kundenservice«, sagt Ludger. »Danke!«

»Nicht dafür.« Der Busfahrer stempelt die Tageskarte, nimmt Ludger fünf Euro ab und schließt die Tür.

Ludger schaut sich im Bus um, der Bus fährt an, Ludger stolpert den Gang hinunter. Er setzt sich auf den Notsitz neben der Ausgangstür und schaut zum gegenüberliegenden Fenster hinaus. An der Haltestelle »Steintor« steigt er aus.

Er geht an der Goethestraße entlang zurück und biegt an der Leine ans Hohe Ufer ab. Ludger war nicht der Einzige, der auf die Idee mit dem Flohmarkt gekommen ist. Immer dichter wird das Gedränge und Ludger sichert sein Portemonnaie in der linken Jackentasche zusätzlich mit einem festen Griff.

Kunstblumen werden angeboten, Fahrräder und Fahrräder, dann kommen die Stände mit dem Computerzubehör. Ludger kauft einen USB-Hub für sechs Euro, im Sommer kann er dann einen kleinen Ventilator direkt an seinen Computer andocken. Der Batteriewechsel für die Armbanduhr kostet drei Euro, inklusive Batterie, und für fünf Euro gibt’s sogar noch eine neue Uhr dazu!

Ludger versucht, über die Köpfe der Menge vorauszublicken. Noch kann er Bea nicht entdecken. Rechts und links stehen Tische mit Porzellan und Gläsern, abgelaugte Kleiderschränke riechen nach Bienenwachs, Orden und Ehrenzeichen werden angeboten, Briefmarken und Bücher über Bücher.

Endlich kommt ihm der Platz vor dem Marstalltor ins Blickfeld. Doch wo ist Bea? Sie wird doch nicht … da steht sie abseits von ihrem Stand und spricht mit einem jüngeren Mann mit Schlapphut. Die beiden lachen. Worüber lachen sie? Jetzt umarmt sie den Schlapphutmann auch noch, drückt ihm sogar einen Kuss …

»Wollen Sie nicht endlich weiter gehen? Sie halten den ganzen Verkehr auf!« Ein Tonnenweib mit riesigen Plastiktüten und prall gefülltem Trolley versucht sich an Ludger vorbeizuschieben. Ludger stellt sich seitlich in die kleine Lücke zwischen dem Stand eines Schuhverkäufers und dem Verkäufer mit den mechanischen Rennmäusen.

Der Schlapphutmann ist verschwunden. Und Bea auch! Sie hat ihren Stand für diesen Kerl verlassen? Gott sei Dank, sie hatte sich nur gebückt. Bea ordnet ein wenig ihre Auslagen und tritt dann wieder hinter den Tapeziertisch.

Jetzt kann Ludger nichts mehr halten. Er muss zu Bea, bevor ihm wieder ein anderer dazwischenkommt.

»Erst wie angewurzelt herumstehen und dann die Leute in die Stände schieben!« Die Tonnenfrau mit ihren Plastiktüten mault, als sich Ludger an ihr vorbeidrängelt. »Man sollte die Marktaufsicht holen!«

»Ich bin die Marktaufsicht!«, ruft Ludger über die Schulter und zeigt seinen Busfahrschein.

»Und ich bin Claudia Schiffer!«

»Jetzt, wo Sie es sagen!« Ludger lacht und kämpft sich weiter durch, erreicht den Platz an der Rossmühle und schlendert wie zufällig angekommen an den Ständen entlang. Schaukelpferde werden angeboten, alte Schränke mit neuen Holzwürmern, Tische, Stühle und ein Sofa ohne Beine. Dann steht Ludger endlich vor dem breiten Tisch mit dem bunten Angebot an Blechspielzeug, Puppen und Teddys. Wie zufällig hebt er den Blick und entdeckt völlig überraschend die Frau hinter dem Tisch. »Bea! Wie schön, dich zu sehen!«

»Ludger!« Bea lächelt verschmitzt, »Ich hab dich schon gesehen, als du noch am Tisch mit dem Computerzubehör gestanden hast!«

»Trotzdem hast du …?«

»Was habe ich trotzdem?« Die kleine Frau mit den angenehmen Rundungen und dem kecken lila Hütchen auf dem Kopf kommt um den Tisch herum.

»Diesem, diesem … ach, ist schon gut!«

»Spuck es aus, Ludger, sonst verschluckst du dich!«

»Diesem, diesem Kerl an den Hals geschmissen?«

Einen Augenblick muss Bea überlegen. »Ach, du meinst Frank.«

»Ich meine den Kerl mit diesem dämlichen Schlapphut!«

»Frank ist völlig ungefährlich.«

»Ach, nee!«

»Er hat mir nur günstige Sommerreifen für mein Auto besorgt, außerdem ist er schwul!«

Ludger sieht sich um, entdeckt den Schlapphutmann an einem Tisch mit Bilderrahmen. Der Mann wirft Ludger eine Kusshand zu.

 

»Ach, so«, sagt Ludger.

»Außerdem sind deine Ansprüche verfallen!«

»Ich hatte doch nicht mal deine Adresse!« Ludger schmollt.

»Das war aber auch eine Nachlässigkeit von mir«, Bea lacht, »soll nicht wieder vorkommen!« Sie knufft Ludger in die Seite.

»Ist das ein echt antikes Spielzeug?« Eine junge Frau hat einen kleinen Blechaffen mit Trommel vom Tisch genommen.

»Da haben Sie sich aber ein besonders schönes Exemplar für Ihre Vitrine ausgesucht«, beginnt Bea das Verkaufsgespräch.

Die junge Frau betrachtet das bunte Blechteil von allen Seiten. »Was soll es denn kosten?«, fragt sie.

»Achtzehn Euro, aber nur, weil Sie es sind!«

»Achtzehn Euro?« Die junge Frau bläst die Backen auf. »Ich zahle höchstens zwölf!«

Ludger Lage drängt sich dazwischen. »Das schöne Stück fehlt mir gerade noch in meiner Sammlung!« Er nimmt der jungen Frau das Spielzeug aus der Hand und wendet sich an die Verkäuferin. »Sagten Sie achtzehn Euro?«

»Ich habe zuerst gefragt«, sagt die junge Frau dazwischen und reicht der Verkäuferin einen Zwanzig-Euro-Schein. Die Verkäuferin schaut die beiden Interessenten unschlüssig an.

»Ich überlasse das Schnäppchen der jungen Dame«, sagt Ludger. »Ihrem Charme kann man doch einfach nicht widerstehen.«

»Danke!« Die junge Frau nimmt Ludger das Spielzeug aus Hand, steckt die zurückgegebenen zwei Euro ein und wendet sich dem Gedränge zu. »So einen höflichen und netten Mann findet man äußerst selten!«

»Hast du gehört?«, fragt Ludger.

»Hat jemand etwas gesagt?« Bea ordnet den Schleier an ihrem Hütchen.

»Wir sind doch wirklich ein starkes Team«, stellt Ludger fest.

»Das wird sich noch herausstellen«, sagt Bea.

»Sei doch nicht immer so abweisend!«

»Komm, wir haben etwas zu besprechen!« Bea dreht sich zur Verkäuferin am Nachbartisch. »Wir gehen einen Kaffee trinken. In einer viertel Stunde bin ich zurück.« Sie fasst Ludger unter den Ellbogen und schiebt ihn quer durch die Menschenmenge zu einem Imbisswagen direkt am Ufer der Leine. Vom anderen Leineufer grüßt eine riesige Nana von Niki de Saint Phalle herüber. Bea stellt Ludger an einem Stehtisch ab und holt zwei Tassen Kaffee.

Ludger weiß nicht recht, wie er das Gespräch anfangen soll. »Wie gehen die Geschäfte?«

»Streng dich nicht an«, sagt Bea, »erst brauche ich einen Schluck Kaffee, dann geht’s los.« Sie pustet in die Tasse, schlürft, verzieht das Gesicht, pustet und schlürft einen größeren Schluck. »Das mit dem starken Team ist eventuell gar keine so schlechte Idee!«

Ludger überlegt, ob man in seinem Alter noch rote Ohren kriegen kann. Auf alle Fälle sind sie ziemlich heiß geworden.

»Ich hab nämlich ein Problem.« Bea trinkt ihren Kaffee. »Ich verlasse mich auf deine hundertprozentige Diskretion!« Bea fischt eine zerdrückte Zigarettenpackung aus ihrer Jackentasche, Ludger sucht nach einem Feuerzeug oder wenigstens Streichhölzern, Bea steckt sich ihre Zigarette selber an. Ihre Hände zittern leicht. »Wie soll ich bloß anfangen«, überlegt sie laut. »Am besten geradeheraus: Mein BrunoBär ist weg!«

Also hatte sich über den Winter doch ein Kerl bei ihr eingenistet! Sicher so ein gewiefter Antiquitätenhändler oder einer mit günstigen Autoreifen! »Muss mich das interessieren?«, fragt Ludger.

Bea schaut ihn überrascht an, lacht dann. »Nee, nee, kein Mann! Ich habe zu Hause eine ziemlich wertvolle Sammlung von Teddybären. Und BrunoBär ist der teuerste. Gut dreißigtausend würde er auf einer Auktion bringen.«

»Das ist verdächtig«, sagt Ludger, »sehr verdächtig! Vielleicht hast du ihn verlegt?«

»Quatsch! BrunoBär steht auf einem Sonderplatz in einer Vitrine, ganz für sich allein und mit indirekter Beleuchtung. Am Donnerstag war er noch da, und als ich am Freitag von der Fußpflege kam, war sein Platz in der Vitrine leer«, Bea drückt die Zigarettenkippe aus und schnieft. »Jemand muss ihn gestohlen haben!« Sie schnäuzt sich in ein Papiertaschentuch. »Wie kann die Welt nur so schlecht sein? BrunoBär war mein ein und alles, gegen ihn sind alle anderen Bären nur ausgestopfte Socken!«

»Beruhige dich«, sagt Ludger, »wir müssen die Sache systematisch angehen.«

»Du bist überall bekannt für deinen Spürsinn und deinen logischen Verstand.«

Ludger schaut mit verklärtem Lächeln über die Flohmarktbesucher hinweg.

»Nun komm schon wieder runter von deinem Podest.« Bea tupft sich die Nase mit einer Ecke des zusammengeknüllten Taschentuchs trocken. »Ich werde auch eine angemessene Belohnung für Brunos Wiederbeschaffung bezahlen.«

»Von dir würde ich doch kein Geld nehmen!«

»Dann kannst du dir eine andere Belohnung aussuchen.« Bea lacht Ludger verschmitzt an. »Aber eine anständige!«

»Wie wäre es mit einem gemeinsamen Abendessen, Ort und Zeit kannst du bestimmen?«

»Also abgemacht!«, sagt Bea und hält Ludger ihre Hand hin. Ludger schlägt ein.

Ludger kramt in seinen Jackentaschen und zieht dann einen längeren Kassenbon und einen Ikea-Bleistift heraus. »Zuerst einmal die Beschreibung des verschwundenen Gegenstands.«

»BrunoBär ist kein Gegenstand«, ereifert sich Bea. »BrunoBär ist ein, ein Familienmitglied!«

»Also dann: Beschreibung des verschwundenen, äh, Familienmitglieds.«

»Er war so groß …« Bea zeigt mit der Hand eine Höhe über dem Stehtisch an.

»Größe zirka vierunddreißig Zentimeter.«

»Seine Größe kann nur ermessen, wer ihn wirklich …«

»Ja, ja«, sagt Ludger ein wenig ungeduldig, »er hätte mir bestimmt auch imponiert!«

»Er war von Hand gestopft, hatte Pfoten aus Samt und Augen … Augenblick mal«, Bea scheint wieder nach ihrer Zigarettenpackung in den Jackentaschen zu suchen, zieht dann aber ein verknicktes Foto hervor und legt es vor Ludger auf den Tisch.

»Warum hast du das nicht gleich gezeigt?«, fragt Ludger.

»Ich bin so durcheinander.«

»Wenn du nachher nicht alleine nach Hause …«

»Nun bilde dir mal keine Schwachheiten ein!«

»Schon gut. Die Beschreibung des, äh, Opfers hätten wir also. Kommen wir zum Zeitpunkt der Tat.«

»Habe ich doch schon gesagt. Zwischen Donnerstag und Freitag.«

»Geht das vielleicht ein bisschen genauer?«

»Am Donnerstag gegen drei ist ein Sammler gekommen und hat nach einem weißen Bären gefragt. Ich konnte ihm den Bären für hundertzwanzig Euro anbieten, aber das fand er ziemlich teuer. Wir sind über die galoppierenden Bärenpreise ins Plaudern geraten und dabei haben wir auch über BrunoBär gesprochen. Da stand BrunoBär noch in seiner Vitrine und hat so gutmütig gelächelt.«

»War danach noch jemand bei dir?«

»Also hör mal, ich bin dir doch keine Rechenschaft schuldig!«

»Ob danach noch jemand Zugang zu deiner Bärensammlung hatte?«

»Nein. Nachdem der Interessent gegangen war, habe ich gleich abgeschlossen und erst am nächsten Mittag wieder aufgemacht. Weil ich doch zur Fußpflege war.«

»War irgendetwas an der Tür, an den Fenstern oder an sonstigen Zugangsmöglichkeiten beschädigt?«

»Nein, nichts! Absolut nichts! Ich habe natürlich alles gleich untersucht.«

»Dann hätte ich gerne eine genaue Beschreibung von diesem Interessenten.«

»Du meinst?«

»Ich meine gar nichts! Hier zählen nur Tatsachen!«

»Es war ein wahnsinnig gut aussehender Mann!«

»Ach, nee!«

»Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern. Er sah ganz normal aus, trug aber eine Sonnenbrille bei dem diesigen Wetter und einen Hut hatte er auf – mit einer breiten Krempe.«

»Damit lässt sich doch schon etwas anfangen.«

Bea reckt sich auf die Zehen, schaut zu ihrem Stand hinüber, die Nachbarin winkt mit beiden Armen. »Ich muss zurück.«

»Wir bleiben in Verbindung«, sagt Ludger. »Bevor ich richtig in die Ermittlungen einsteigen kann, muss ich mir den Tatort natürlich persönlich ansehen.«

»Das hättest du wohl gerne?« Bea trägt ihre Kaffeetasse zum Imbisswagen zurück. »Wenn du etwas erfahren hast, kannst du dich gerne melden.«

»Aber ich habe doch gar keine Adresse von dir!«

Bea kommt an den Tisch zurück. »Und dabei soll es vorerst auch bleiben!« Sie nimmt Ludger den Bleistift aus der Hand und schreibt eine Zeile auf seinen Kassenbon. »Du kannst mich jederzeit über meine E-Mail-Adresse erreichen. Du hast doch Internet?«

»Ich bin doch nicht von gestern!«

»Ich verlasse mich auf dich!« Bea haucht Ludger ein Küsschen auf die Wange und verschwindet im Menschengewühl.

Ludger stellt seine Tasse auf die Ablage des Imbisswagens, in der Friteuse brutzeln die Pommes frites, Ludger bestellt sich ein Bier und einen Korn.

Wenn sich Ludger die letzten Stunden so durch den Kopf gehen lässt … also wenn er sich die Stunden … hier kann er sich nicht richtig konzentrieren! Er trinkt Bier und Korn aus, wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab und windet sich durch das Menschengewühl in Richtung Historisches Museum. Einige Flohmarkthändler scheinen schon genug verdient zu haben und packen bereits ihre Waren ein. Ludger will zur Marktkirche. Hier wird er seine Ruhe finden und nachdenken können.

Ludger setzt sich auf einen der Stühle im Seitenschiff mit direktem Blick auf die monumentale Orgel. In seinem Kopf schwirrt noch immer alles durcheinander. Nur eins steht für ihn fest: Bea ist eine tolle Frau!

Ludger sucht nach dem Kassenbon und findet ihre Mail-Adresse. Aha: Bea-Punkt-Boßel und so weiter. Bea Boßel. Jetzt hat er schon ihren Namen. Und wenn sie im Telefonbuch … aber in welchem Telefonbuch … eine Frau wie Bea Boßel steht in keinem Telefonbuch! So wird er ihre Adresse wohl nicht herausfinden. Er könnte im Internet unter Teddys, Teddybaer oder Teddysammlung nachsehen. Aber das wäre wie ein Verrat an Bea! Wenn sie ihm ihre Adresse nicht freiwillig herausrückt, wird er sie sich nicht erschleichen. Keine Tricks mehr und keine Ausreden – die Zeiten sind vorbei. Ludger kauft für fünfzig Cent ein Teelicht und stellt es in den Kerzenhalter mit den vielen brennenden Lichtern. Auf gutes Gelingen!

Ludger verlässt die Kirche und geht durch die Fußgängerzone zur Bushaltestelle. Einzelne Regentropfen fallen vom Himmel, die Ständer mit Auslagen werden rasch unter schützende Vordächer gezogen und Ludger hält nach Bären Ausschau. Wenn man sich erst auf ein Thema eingeschossen hat, sieht man überall Beziehungspunkte. Das ist Ludger schon früher aufgefallen. Heute sieht er überall Bären. In den Krimskramsläden, in den Modeboutiquen, sogar der Leierkastenmann hat einen Bären auf seine Orgel gesetzt. So kommt er also nicht weiter. Er wird abwarten müssen!

Als der Bus in Arnum Mitte angekommen ist, überquert Ludger die Göttinger Straße, schließt sein Fahrrad auf, schiebt es wieder zurück über die Straße und stellt es vor der Alten Schmiede ab. Ein kleines Bier wird ihm die Rückfahrt zum Campingplatz erleichtern. In der Gaststätte setzt er sich an den Tisch neben der Theke. Conny zapft ein Pils.

»Könntest du den Dynamo an meinem Fahrrad festschrauben?«, fragt Conny, als sie Ludger Bier und Korn bringt. »Ich hab Angst, dass er mir in die Speichen gerät!«

»Aber sicher!« Ludger steht auf, trinkt aber erst noch sein Bier an und den Korn aus und rülpst hinter der vorgehaltenen Hand.

»Werkzeug liegt auf der Fensterbank«, sagt Conny.

Ludger geht in Richtung Kegelbahn und steht gleich darauf im Innenhof der Gaststätte. Er zieht die Schraube am Dynamo fest, kratzt mit einem kleinen Schraubenzieher die Anschlüsse blank und verbindet das Kabel wieder mit dem Dynamo.

Als er in der Gaststätte an seinen Platz zurückkehrt, steht ein frisches Pils auf seinem Platz, Conny ist verschwunden, kommt aber gleich darauf aus der Küche und stellt Ludger einen Teller mit einer Riesen-Currywurst und einer großen Portion Pommes vor die Nase. »Du hast doch sicher noch nicht gegessen?«

Ludger piekt ein Kartoffelstäbchen auf die Gabel und sagt »Danke!«

Der Nachmittag wird lang in der Alten Schmiede und zieht sich locker bis in den Abend hinein. Beim Bezahlen stellt Ludger überrascht fest, dass nur drei Bier auf seinem Deckel abgestrichen sind. Ihm ist aber, als hätte er … aber Conny winkt ab. »Der Rest geht aufs Haus!«

Zuhause setzt er sich aufs Sofa, rappelt sich aber noch einmal auf, zieht die Schuhe aus und stellt sie an die Tür. Dann kann er sich endlich aufs Sofa legen und wird erst wieder wach, als das Wort zum Sonntag über die Mattscheibe flimmert. Er könnte auf einen Sportkanal umschalten, aber irgendwie ist ihm nicht nach Fernsehen. Ludger schaltet sein Laptop ein. Eine Nachricht. Eine neue Nachricht von … Bea! Seine Finger zittern ein wenig, als er die Nachricht öffnet.

 

BrunoBär ist nicht nur verschwunden! BrunoBär ist entführt worden! Siehe E-Mail-Anlage.

Ludger öffnet die Anlage. Ein gescanntes Blatt Papier. Ludger liest Wort für Wort:

Stupido! Bäri isse sich in unsara Gewalt. IHM geht gut. Noch! Kann sich ändern bald!

Ludger starrt auf die Schrift. Aus der Zeitung ausgeschnittene Wörter und Buchstaben. Ludger ist nicht ganz sicher, ob er wach ist, oder träumt. Aber da trifft auch schon die nächste Mail von Bea ein.

Was soll ich nur machen? Hoffentlich tun sie ihm nichts an! Bitte hilf mir, du bist der Einzige, zu dem ich Vertrauen habe!

Vertrauen! Vertrauen? Ludger tippt auf sein Laptop: Soll ich zu dir kommen? Zusammen stehen wir alles durch!

Die Antwort kommt postwendend:

Nicht nötig! Ich fang mich schon wieder. Denk du lieber nach, wie wir BrunoBär befreien können. Wenn dir etwas eingefallen ist, kannst du dich wieder melden!

Eine Weile sitzt Ludger noch vor dem Bildschirm. Nichts geschieht. Er schaltet den Computer aus, legt sich wieder aufs Sofa und schaltet den Fernseher mit der Fernbedienung an. Er soll eine Automarke mit O raten und 125.000 Euro dafür gewinnen. Oder für 96 Cent eine Dame mit einem Superbusen anrufen. Im Sportkanal läuft eine Billard-Übertragung. Sehr beruhigend.

So beruhigend, dass Ludgers Kopf allmählich nach hinten sinkt, seine Augen langsam zufallen und eine große Wiese mit Tausenden von Blumen vor seinen Augen … Alarm, Alarm! Es schrillt die Glocke, die Feuerwehr rückt aus! Wo? Was? Wieso Feuer? Wer?

Ludger sitzt aufrecht. Sein Telefon klingelt. Um 1 Uhr 27? Das kann nur Bea sein! Die Situation hat sich zugespitzt. Sie braucht sofortige Unterstützung!

Ludger langt über den Tisch nach dem Telefon. »Ludger Lage!«

»Hier Bea!«

»Schön, dich zu hören!«

»Sülz nicht rum! Hast du schon eine Idee, wie wir BrunoBär befreien können?«

»Wo steckt er denn überhaupt?«

»Wenn ich das wüsste«, sagt Bea, »könnte ich mich selbst um BrunoBär kümmern.«

»Wenn es auch noch so schwerfällt«, sagt Ludger, »wir müssen wohl warten, bis sich der oder die Entführer wieder melden.« Ludger unterdrückt ein Gähnen.

»Habe ich dich geweckt?«

»Ich habe nicht geschlafen, war nur ein wenig eingenickt.«

»Du kannst einnicken, während BrunoBär vielleicht … vielleicht hungern und frieren muss? Aber so seid ihr Männer. Immer mit dem Mund ganz vorne, aber von Herz keine Spur!«

»Ach, Bea!«

»Lass das Säuseln! Ich erwarte Aktionen!«

Ludger wird ein wenig ärgerlich. »Soll ich dir mal etwas sagen …«

»Ich gebe dir jetzt meine Telefonnummer. Du kannst mich zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen!« Bea nennt eine Nummer, Ludger reckt sich nach dem Kassenbon und notiert die Zahlen.

»Du wolltest noch etwas sagen?«, hakt Bea nach.

Er hat ihre Telefonnummer! Ludger jubelt innerlich. Er hat ihre Telefonnummer! »Ich melde mich, sobald ich ein, äh, Täterprofil erstellt habe!«

»Ein was?«

»Ein Täterprofil. Das ist kriminalistische Alltagsarbeit.«

»Du schaust zu viele Krimis! Kümmre dich lieber ums wahre Leben! Gute Nacht!«

»Gute Nacht«, sagt Ludger und haucht ein »Bea« hinterher. Aber da ist die Verbindung bereits getrennt.

Am nächsten Morgen, oder ist es schon Mittag, wird Ludger durch energisches Klopfen an der Tür des Wohnwagens geweckt. Schlaftrunken streift sich Ludger seine Jogginghose über, schlurft zur Tür. Frau Sikorski steht vor der untersten Gitterstufe.

»Ist was mit der Satellitenschüssel?« Ludger kratzt sich die Bartstoppeln.

»Alles in Ordnung! Sie sind wirklich ein sehr geschickter Mann, Herr Lage. Und so stark!«

»Hat das nicht noch bis Montag Zeit?«

»Was?«

»Was Sie von mir wollen!«

Frau Sikorski steigt die letzte Stufe hinauf. »Könnten Sie mir vielleicht eine neue Propangasflasche anschließen? Ich kriege doch heute Nachmittag Besuch von meinen Kindern. Da wollte ich einen Apfelkuchen backen. Und wenn etwas übrig bleibt …«

»Ich komme gleich!« Hinter Ludger klingelt das Telefon. »Ludger Lage?« Er schließt die Tür vor Frau Sikorskis aufmerksamen Ohren.

»Ach, Bea, du bist es! Ich bin mit dem Täterprofil noch nicht viel weiter … Sprich doch bitte etwas deutlicher, ich kann dich kaum verstehen.«

Auf der anderen Seite der Leitung sind nur Wortfetzen und Schluchzen zu vernehmen.

»Was ist denn passiert?

»Sie haben …« Schluchzen. »Sie haben …« Schluchzen. »Heute Morgen lag ein Briefumschlag in meinem Briefkasten.«

»Und was steht in dem Brief?«

»Nichts!«

»Nichts?«

»Es war …« Schluchzen. »… kein Brief in dem Umschlag, nur …« Schluchzen, Schluchzen, Schluchzen. »… nur ein abgetrennter Arm von BrunoBär!«

»Das war die Mafia! Oder Cosa Nostra! Aber das bleibt sich gleich. Die machen so etwas, um Lösegeld zu erpressen!«

»Ist mir egal, wer so was macht! Ich will meinen Bruno-Bär wieder haben!«

»Beruhige dich!«

»Ich kann mich nicht beruhigen«, sagt Bea. »Wenn ich nur daran denke, welche Schmerzen BrunoBär ausgestanden haben muss! Stell dir mal vor, oh, Gott, oh Gott, sie reißen ihm auch noch ein Auge aus oder sogar beide!«

»Es wäre besser, wenn du jetzt nicht alleine wärst!«

Für einen Augenblick ist Stille in der Leitung, nur ab und zu ein Aufschluchzen, ein Schniefen der Nase, noch ein Aufschluchzen. »Kriegerstraße 24«, sagt Bea und es ist fast ein Flüstern.

»Ich komme!« Ludger kann einen Jubelschrei kaum unterdrücken. »Sofort!« Er legt auf, rasiert sich, wäscht sich, benutzt ausgiebig Deo und Eau de Toilette, bevor er sich auf den Weg macht. Den 300er erwischt er so gerade noch, an der Wallensteinstraße steigt er in die U-Bahnlinie 7 und am Hauptbahnhof in die 1 in Richtung Flughafen Langenhagen um. Am Vahrenwalder Platz steigt er aus.

Eine Reinigung befindet sich an der Ecke zur Kriegerstraße, dann kommen ein Bräunungsstudio und eine Sofortdruckerei. Ein Sofa versperrt den Gehweg, am Straßenrand stehen aufgerissene Plastiktüten mit Verpackungsmüll und drumherum liegen Hundehaufen unterschiedlichster Dimensionen. Aber die Gründerzeithäuser sind schön bunt herausgeputzt, wenn auch einige Klingelschilder herausgerissen sind und manche Briefkästen ohne Schlüssel geöffnet wurden.

Es sind nur wenige Schritte bis zur Hausnummer 24. Ein Hund bellt böse. Bea hat verweinte Augen, als sie Ludger die Tür öffnet. »Komm schon rein! Der Hund wohnt einen Stock über mir.«

Ludger schließt die Türe hinter sich. Im Flur Regale über Regale, vollgestopft mit Puppen und Bären.

»Möchtest du einen Kaffee?« Bea steht in der Tür zum Wohnzimmer. Ludger nickt und setzt sich auf die Couch. Er sieht sich um. Sessel, Schrank, Kommode, Blumenbank, Tisch und Stühle wie aus dem Ikea-Prospekt, dazwischen aber feine alte Stücke. Ein Kamelhocker aus Afrika, eine Tütenlampe mit drei bunten Schirmen aus den fünfziger Jahren und auf der Kommode ein altes Radio mit magischem Auge.

An der Wand neben dem hohen Fenster steht eine Glasvitrine. Eine leere Glasvitrine, und Ludger braucht gar nicht zu fragen, wen sie einmal beherbergt hat. Bea legt ihm einen braunen Umschlag auf den Couchtisch, und Ludger zieht BrunoBärs abgetrennten flauschigen Arm aus der Verpackung.

»Oh, Gott«, sagt Bea, »ich hol den Kaffee!« Und verschwindet wieder im Flur.

Ludger betrachtet den Arm, den Umschlag, befühlt das Kuvert, schaut hinein und findet einen Zettel. »Wie viel wollen sie denn haben?«

»Wer?«, hört er Beas Stimme. Geschirr klappert.

»Sie schreiben: Stupido! Wirre fordern Lösegelt für Bäri. Melden uns wieder

Bea kommt ins Wohnzimmer, Ludger streckt ihr den Zettel entgegen. »Den Wisch habe ich vor lauter Aufregung gar nicht bemerkt!« Sie liest den Zettel mehrmals. »Oh, Gott, aber schreibt man Geld wirklich mit T?«

»Natürlich nicht«, sagt Ludger, »aber darauf kommt es jetzt nicht an.«

»Worauf kommt es denn an?«, fragt Bea.

»Aufs Warten.«

»Ich warte jetzt schon so lange!«, sagt Bea.

»Ich auch!« Ludger betrachtet den Zettel von vorne und hinten und aus allen Richtungen.

»Ach, du!«, sagt Bea. Wenigstens hat er sie zum Lächeln gebracht.

»Mein Sparbuch steht dir zur Verfügung!«

»Das ist aber lieb von dir.«

Wie ein Blitz schießt Ludger der Gedanke durch den Kopf, dass er dem Entführer vielleicht sogar ein bisschen dankbar sein müsste.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?