Die Zeit des einfachen Lebens

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Die Zeit des einfachen Lebens
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Gunter Rösler



DIE ZEIT DES

 EINFACHEN LEBENS



Ein postapokalyptisches Szenarium



Engelsdorfer Verlag



Leipzig



2017





Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de

 abrufbar.



Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig



Alle Rechte beim Autor



Titelbildcollage © T. Hemmann



Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)





www.engelsdorfer-verlag.de








Inhaltsverzeichnis







Cover







Titel







Impressum







Die Zeit des einfachen Lebens







Das Flugzeug setzte langsam zur Landung an. Gey und Gis tat es fast leid, dass der Flug bereits vorbei war. Es war sehr angenehm gewesen und die Fluggesellschaft hatte auch alles dazu getan. Die Flugbegleiter waren höflich und freundlich, sodass man beim Aussteigen schon fast auf den Gedanken kam, Trinkgeld zu verteilen. Es war die für uns Deutsche ungewohnt und fremd erscheinende asiatische Höflichkeit.



Reinhardt und Thea lachten schallend im Terminal, als sie Gey und Gis auf sich zukommen sahen. Die beiden sahen in ihren dicken Jacken wie zwei eingewickelte Würmer aus, was hier auf der Insel Bali vollkommen unpassend war. Jedoch herrschte in Deutschland momentan ein strenger Winter. Der Abflug erfolgte bei minus fünfundzwanzig Grad, während bei der Ankunft neunundzwanzig Grad plus herrschten und die Sonne schien, wie man es sich schöner nicht hätte wünschen können. Besonders Gey hatte wegen seines ordentlichen Übergewichts unter dem Temperaturwechsel zu leiden. Mit dem Gepäck in den Händen, hatten sie die Jacken angezogen, denn sie wussten nicht, wohin damit. Gey schien sich bereits aufzulösen, als ihm Thea von seiner Jacke trennte. Sie lachte über seine traurige Gestalt.



„Das ist aber auch warm bei euch!“, rief Gis. „Ihr hättet mal bei uns sein sollen, als wir in das Flugzeug stiegen. Erst hieß es, der Flug würde wegen Schneetreiben ausfallen, doch eine halbe Stunde später wurde der Start genehmigt. Kaum eine viertel Stunde danach, war er erneut annulliert. Wegen Terroralarm! Wieder zwei Stunden später Entwarnung. Als wir endlich einsteigen durften, war das Flugzeug so vereist, dass sie zwei Stunden brauchten, um es zu enteisen. Kurz nach dem Start, gab es erneut einen Terroralarm auf dem Flugplatz. Aber das konnte uns dann egal sein. Wir waren ja oben. Was ist eigentlich los? Überall gibt es jetzt Terrorwarnungen! Ist das hier auch so?“, sprudelte Gis hervor, sodass sie ganz und gar vergaß, allen die Hand zu geben.



Zwei weitere Personen hatten sich zu ihnen gesellt. Der eine war der Kofferträger, der Gey und Gis behutsam die Koffer abnahm und sie auf einen Gepäckwagen legte. Der zweite war ein Mann in Uniform, der sich als Ohm vorstellte und ihr Begleiter sein sollte, um ihnen das Hotel zu zeigen und sie während ihrer Urlaubsreise im Inland zu begleiten.



Gey blickte Reinhardt fragend an. „Nun sag schon. Immerhin seid ihr schon eine Woche hier.“



„Wir wissen so wenig wie ihr. Das, was man im Funk hört und von der Deutschen Welle. Heute früh haben alle europäischen Staaten Terrorwarnungen herausgegeben. Zurzeit startet kein Flugzeug von Europa und auch keins von Nordamerika. Ihr wart wahrscheinlich die Letzten, die starten durften. Die russische Regierung hat verlauten lassen, sie hätte Beweise, dass tschetschenische Terroristen gemeinsam mit Al Quaida mehrere Atomraketen übernommen hätten, und sie noch diese Woche abschießen wollen. Außerdem hätte sich der IS gemeldet und allen, die sich nicht zum Islam bekennen, den Krieg erklärt. Die hier auf Bali interessieren sich nicht dafür. Sie sagen, das sei Sache der Amerikaner und der Europäer“



„Was wollen die mit den Raketen?“



„Ich hoffe, dass die nur drohen wollen, denn wenn sie die losschicken, haben wir keine Wahl mehr und wären hier vollkommen falsch.“



„Was meinst du mit ‚vollkommen falsch’?“



„Ja glaubst du denn, die Indonesier geben uns noch etwas für unser Plastikgeld, wenn in Europa und Amerika alle Banken weg sind oder die Wirtschaft in die Steinzeit zurückgebombt worden ist.“



„Na ja so doll wird es schon nicht kommen. Lass uns lieber mal unseren Koffern und Frauen folgen. Wie ist unser Hotel so?“



„Super, wie alles hier. Die Menschen sind freundlich und man wird bestens bedient. Du wirst schon sehen, die zwei Wochen werden wie im Flug vergehen und schon bist du wieder im kalten Deutschland.“



Die Männer waren nun an der Abfertigung angekommen. Dort wurden ihnen die Pässe abgenommen, gestempelt und mit einem freundlichen Lächeln zurückgegeben.



Draußen warteten schon die Frauen mit dem Reisebegleiter Herrn Ibn Hatschi Ohm. Sie schwatzten durcheinander, weil kein Taxi da war, das sie zum Hotel bringen würde. Stattdessen stand ein Kastenwagen mit Doppelkabine da, auf dem bereits die Koffer aufgeladen waren. Ihr Reisebegleiter redete auf die Frauen ein, dass es schneller ginge, wenn sie gleich mitfahren würden, statt auf ein Taxi zu warten. Besonders Gis war von dem Gefährt nicht sonderlich angetan und protestierte energisch. Dabei fielen Worte, wie ‚alte Kutsche’ und ‚Mistwagen’, was dem Besitzer des Wagens nicht gefiel, sodass er ganz missmutig vor sich hinschaute. Immerhin war sein Wagen neu und reichlich Chrom glänzte in der Sonne.



Die Männer diskutierten erst gar nicht, sondern stiegen gleich ein, worauf sich das Gesicht des Eigentümers wieder in ein freundliches Lächeln verwandelte. Die Frauen, die stumm zugeschaut hatten, stiegen anschließend, auf ihre Männer schimpfend selbst ein.



Herr Ohm, der schweigend und lächelnd zugeschaut hatte, stieg zuletzt ein. Kurz nach der Abfahrt stellte sich der Reisebegleiter noch einmal vor und begrüßte alle recht herzlich auf der schönen Insel Bali. Sofort begann er die Umgebung zu erläutern. Er pries mit vielen deutschen und englischen Wörtern, die er beherrschte, die Schönheit und die Vorzüge der Urlaubsinsel an.



Das setzte sich bis zur Ankunft im Hotel fort. Dort war er beim Einchecken behilflich, dann verabschiedete er sich und kündigte sich für den nächsten Tag an, an dem er mit seinen Gästen eine kleine Inselrundreise geplant hatte.



Die Ehepaare packten aus und gingen anschließend zum Strand. Nun begann ihr Urlaub wirklich. Der Tag wurde noch sehr lang. Sie feierten bis in den Morgen hinein, um dann erschöpft und betrunken in die Betten zu fallen.



Am folgenden Morgen standen alle sehr spät auf. Sie trafen sich auf dem Gang zum Frühstücksraum.



„Morgen“, brummelte Reinhardt.



Thea dagegen war gut drauf. „Habt ihr schon mitgekriegt, wie schön ruhig es hier ist? Nicht ein Auto hört man.“



„Aber wir haben keinen Strom!“, warf Gis ein. „Ich wollte nach dem Duschen mein Haar fönen, doch das ging nicht. Wir haben kein Licht und die die Klimaanlage geht auch nicht.“



Im Frühstücksraum stellten sie fest, dass sie die Letzten waren und das Büffet fast leer war. Es war nur wenig Personal zu sehen. Im Gegensatz zum vergangenen Abend, an dem es vor Bediensteten nur so gewimmelt hatte.



„Wir haben wohl heute einen schlechten Tag hier im Haus. Ansonsten ist das Büfett immer voll und genügend Personal ist auch da.“



Sie bedienten sich an den restlichen Speisen und spülten sie mit kaltem Kaffe hinunter.



„Na ja, ist kein Wunder. Immerhin sind wir ziemlich spät dran“, sagte Gey. Und das war das erste, was er an diesem Morgen sagte, denn er hatte mächtige Kopfschmerzen vom gestrigen Gelage. „Aber ruhig ist es hier wirklich. Obwohl wir auf der Veranda sitzen, sehen und hören wir nicht ein Motorgeräusch und Menschen sind auch kaum unterwegs. Die haben doch heute nicht etwa einen Feiertag?“



„Nicht dass ich wüsste“, entgegnete Reinhardt



„Wirklich komisch. Sonst kommt hier jede Sekunde ein Moped lang geknattert.“



Sie blicken zur Straße. Doch außer ein paar Leuten, die an ihren Autos und Mopeds bauten, sah man niemanden.



Ein einzelner Radfahrer bog um die Ecke und winkte ihnen zu. Es war Herr Ohm. Sie winkten zurück.



Vollkommen außer Atem stieg er vom Fahrrad, das auch schon bessere Tage gesehen hatte, und kam auf sie zu. „Hallo! Ich konnte leider nicht eher kommen, weil kein Bus fährt und mein Auto ging auch nicht, wie im Übrigen alle anderen Autos. Kein einziges springt an. Strom haben wir auch nicht und auch keinen Radioempfang. Was das Merkwürdige an dem Ganzen ist, dass auch batteriebetriebene Geräte nicht funktionieren. Es ist, als ob es gar keinen Strom mehr geben würde. Wir haben keine Informationen, was los ist. Es fliegt auch kein Flugzeug. Nichts. Unser Ausflug muss heute leider ausfallen. Ich habe nur ein Fahrrad und das reicht nicht für alle.“ Damit zeigte er auf das Fahrrad und lächelte schuldbewusst.



Reinhardt war während der Ausführungen von Herrn Ohm ganz blass geworden.



Gey fiel es gleich auf, obwohl er sich rasch wegdrehte.



Dann schlugen die Frauen vor, einen Strandtag einzulegen.

 



Herr Ohm verbeugte sich leicht, als sie sich von ihm verabschiedeten.



Gey wollte auch schon gehen, wurde aber von Reinhardt zurückgehalten. „Warte noch!“ Er wandte sich wieder Herrn Ohm zu und stellte noch einige Fragen, über die Regierung und die Polizei. Als er dann hörte, dass die in höchste Alarmbereitschaft versetzt wurden waren und auch das Militär aus den Kasernen zu Fuß ausrückte sei, wurde er noch blasser. Anschließend bat er Herrn Ohm noch um dessen Adresse, die er bekam.



Nachdem sie wieder allein waren, ging Reinhardt in die Lobby und holte sich eine große Flasche Whisky. Er goss auch Gey ein Glas ein.



„Du musst es aber nötig haben! Gleich am frühen Mittag.“



„Das werden wir brauchen. Ich glaube, ich weiß, was hier los ist“, flüsterte Reinhardt.



„Ich auch. Ich denke, es wird ein Militärputsch sein oder etwas Ähnliches.“



„Wir können uns glücklich schätzen, wenn es nur das wäre, denn dann könnten wir mit dem nächsten Flieger nach Hause fliegen und uns von weitem anschauen.“



„Was kann denn noch schlimmer sein?“, fragte Gey.



„Der atomare Fallout!“



„Der was?“



„Nun, es gibt eine Theorie, die besagt, dass wenn man Atombomben in einer bestimmten Reihenfolge an ganz ausgesuchten Orten zünden würde, es zur Folge haben könnte, dass elektrische Funken auf der ganzen Erde nicht mehr zünden. Das würde bedeuten, dass alles, was mit irgendeinem elektrischen Funken betrieben wird, nicht mehr funktioniert. Ich glaube, dass die Atomraketen gezündet wurden. Und dass jetzt diese Ereignisse eingetreten sind. Wir wurden soeben in das Dampfmaschinenalter zurückgebombt. Das nennt man – glaube ich – EMP. Die haben damit den Elektromagnetismus ausgeschaltet.“ Reinhardt nahm die Flasche und trank einen großen Schluck.



Auch Gey stürzte sein Glas hinunter. „Also deswegen fahren die Autos nicht mehr? Die brauchen ja auch einen Zündfunken. Aber dann fliegen auch keine Flugzeuge mehr. Wir kommen nicht nach Hause und Geld können wir auch nicht mehr abheben, es geht ja kein Automat. Wir sind gestrandet!“



„Du sagst es.“



„Wie lange hält denn das an?“, fragte Gey.



„Bis die Strahlung weitestgehend abgeklungen ist.“



„Und wie lange wäre das?“



„Nun ja ... Höchst wahrscheinlich erleben wir es nicht mehr. Das kann mehrere Jahrhunderte dauern. Je nach der Stärke der Bomben.“



Jetzt nahm auch Gey einen tiefen Schluck aus der Flasche. „Was glaubst du, was hier aus uns wird? Wir kommen nicht mehr hier weg. Ich bin jedenfalls nicht bereit Reisbauer zu werden.“



„Ich denke, eher man wird uns internieren. Ob die uns dann alle auch ernähren können, glaub ich kaum. Die haben ja selbst nichts. Los, wir müssen was machen. Erst einmal versuchen wir, alles Geld in Gold, Edelsteine oder Münzen zu tauschen. Denn unsere Euro werden bald nichts mehr wert sein. Die Geldkarten können wir ganz und gar vergessen. Dann brauchen wir wetterfeste Kleidung, Kompass, Schuhe und andere Sachen, um zu überleben. Wir müssen alles eintauschen, was wir mithaben und sollten nur Marschgepäck behalten. Gehen wir zu unseren Frauen und versuchen wir ihnen zu erklären, was los ist. Dann müssen wir uns ein Boot mit Segeln suchen, damit wir hier wegkommen. Und bitte zu niemanden ein Wort darüber! Wenn das alle so schnell schnallen, wird hier bald das Chaos ausbrechen und glaube mir, wir als diejenigen, die hier nicht zu Hause sind, werden die Verlierer sein.“



Sie tranken noch rasch die Flasche aus und gingen dann zu ihren Frauen.



Die hatten es sich inzwischen am Pool gemütlich gemacht und ließen sich von der Sonne bräunen.



Nachdem die Männer ihnen alles erzählt hatten, reagierte Thea so: „Ihr spinnt doch wohl ein bisschen, uns so etwas zu erzählen. Man hätte uns schon längst informiert, wenn es an dem wäre. Eure Horrormeldungen könnt ihr für euch behalten.“



Gis sagte dann darauf: „So abwegig ist das gar nicht. Du hast nicht die letzten Meldungen in Deutschland gesehen, in denen alles etwas verschwommen dargestellt wurde. Die hatten richtig Angst. Ihr seid euch ganz sicher, dass das so schlimm ist? Nun ja, wenn ich hier so alles beobachte, wie wenige Angestellte da sind, dass einige Urlauber versuchen abzureisen und es sich niemand um sie kümmert, bin ich fast geneigt, euch zuzustimmen. Was wollen wir jetzt machen?“



„Du und Thea, ihr müsst versuchen, unser Gepäck auf das Nötigste zu reduzieren. Vor allem aber brauchen wir etwas zum Tauschen. Sucht die Dinge zusammen, die wir nicht mitnehmen können und verstaut es in den Koffer, die können wir auch nicht mehr gebrauchen. Wir kaufen wasserdichte Rucksäcke. Wir werden inzwischen unser Geld in Wertgegenstände umtauschen und alles Nötige kaufen, damit wir die nächste Zeit überleben können.“



Dann verschwanden die beiden und Thea und Gis gingen in ihre Zimmer. Gis nahm einfach alles, was sie hatte, und schaffte es zu Thea ins Zimmer. Dort sortierten sie aus. Es blieben nur etwas Unterwäsche, ihre Reiseapotheke, die Toilettenartikel und die Turnschuhe übrig.



„Na hoffentlich finden die was Strapazierfähiges zum Anziehen, denn das, was ich hier habe, ist zwar gut zum Ausgehen, aber nicht um damit weite Wege zurück zulegen.“



Nach vier Stunden kamen die Männer mit allem, was sie kriegen konnten, zurück. Als sie die Frauen sahen, die ihre Habseligkeiten zusammenpackten und dabei nicht glücklich aussahen, lächelten sie.



Gey sagte: „Keine Angst wenn das wirklich nicht stimmen sollte, dann bekommt ihr alles neu. Draußen steht ein Händler der uns alles für ein paar Goldmünzen abkaufen will.“ Dann nahm er die Sachen und schaffte sie fort.



Nach ein paar Minuten war er zurück und hatte einen kleinen Beutel Münzen in der Hand. „Wir haben auch jemanden gefunden der uns morgen ein Boot vermieten wird. Dass wir das nicht zurückbringen werden, haben wir ihm nicht gesagt. Ich denke er wird dann ganz andere Sorgen haben. Es ist ein Fischerboot mit einem Segel und einer kleinen Koje. Gesegelt bin ich ja früher schon, aber nicht auf dem Meer. Ich hoffe wir schaffen das. Als nächstes brauchen wir Wasser und Proviant. Das Meiste kaufen wir hier im Supermarkt. Die nehmen jetzt schon keine Euro mehr. Bloß gut, dass wir alle eingetauscht haben. Dort können wir uns auch mit Wasser und Kanistern eindecken. So nun zieht euch erst mal um.“



Sie zogen sich um und sahen aus, als ob sie auf Safari gehen wollten. Vollkommen in Khaki, mit wetterfesten Jacken und Mützen. Dazu hatten sie noch vier Rucksäcke – zwei große für die Männer und zwei kleine für die Frauen und für jeden einen Gürtel mit Messer, Kompass und Feldflasche.



Nachdem sie alles verstaut hatten, war ihr Zimmer leer und sie verspürten Hunger.



„Mal sehen, ob wir hier noch was bekommen. Das Zeug hier schließen wir im Zimmer ein.“



Als sie in den Speiseraum kamen, war dort schon eine Menschenansammlung, die alle etwas zu essen haben wollten. Aber es war nur wenig da. Viele wollten sich bei der Hotelleitung beschweren, aber die war unauffindbar. Es gab gerade mal drei Kellner, die versuchten das Wenige einigermaßen zu verteilen und die sich ständig entschuldigten und sagten, dass es morgen wieder besser werden würde. Die meisten Urlauber nahmen es hin und machten noch Witze darüber.



Gey und Gis nahmen sich, so viel sie bekommen konnten und setzten sich zu Reinhardt und Thea an den Tisch.



„Die wissen wirklich noch nichts. Es ist vielleicht auch besser so. Jedenfalls bis wir weg sind. Mahlzeit“, sagte Reinhardt. Er schaute sich um und sah, dass sich die meisten etwas zu trinken bestellten, was er dann auch tat.



„Ich möchte zwei Flaschen Whisky und zwei Flaschen Wodka. Wir wollen heute Abend eine Strandparty feiern. Und schreiben sie alles auf das Zimmer.“



„Bist du blöd? Willst du dich heute noch volllaufen lassen?“, schimpfte Thea.



„Nein. Aber das bekommen wir für umsonst. Und glaube mir, wir werden auch das zum Tauschen brauchen. Ich würde noch viel mehr bestellen, aber wir können ja kaum noch unsere Rucksäcke schleppen. Und ein Fahrzeug wird sich nicht hierher verirren, wenn es auch nur ein Eselskarren wäre. Ich denke, spätestens morgen oder übermorgen geht den Leuten hier eine mächtige Lampe auf. Bis dahin sollten wir wenigstens hundert Seemeilen zwischen diese Leute und uns gebracht haben. Heute Abend schaffen wir alles auf das Boot und legen im Dunkeln ab. Dann umrunden wir das Riff und gehen an den Außeninseln vor Anker. Dort ist nachts niemand und wir können unsere Luftmatratzen aufblasen und ausschlafen.“



„Können wir nicht hier übernachten? Das wäre erholsamer.“



„Ich denke nicht. Erstens wissen wir nicht, was hier noch in der Nacht passiert. Und zweitens möchte ich nicht, dass man unser Boot ausräumt oder gar noch wegnimmt, oder dass der Vermieter es sich anderes überlegt. Besser ist, man hat als man hätte.“



Als es dunkel wurde schlichen sie zum Strand, wo das Schiff auf am Kai fest gemacht war. Es sah im Mondschatten aus wie ein Holzbalken mit einem langen Mast. Als sie einstiegen kam der Schiffseigner auf sie zu. Gey ging mit ihm ein paar Schritte zur Seite und sprach leise mit ihm. Dann wechselte eine Flasche Schnaps den Besitzer und der Eigentümer ging seiner Wege.



„Was wollte er denn?“



„Wie ich schon sagte, morgen, wenn der nüchtern ist, hätten wir das Schiff bestimmt nicht mehr bekommen. Oder zu einem noch höheren Preis. Also, macht die Leinen los, wir müssen hier weg. Ich habe ihm gesagt, dass wir in der Nacht in den Korallenbänken tauchen wollen.“



„Sag mal, mit der Nussschale wollen wir auf den Indischen Ozean?“, fragte Thea.



„Wir werden nicht ganz auf den Ozean hinaus können. Dazu reicht unsere Erfahrung nicht. Ich denke, wir bleiben immer in Sichtweite der Küste und verstecken uns nachts auf kleinen Inseln. Und wenn das Wetter schlechter wird, suchen wir eine abgelegene Bucht und warten dort besseres Wetter ab.“



„Das kann da ja ewig dauern, bis wir wieder in Deutschland sind. Wenn es das jetzt überhaupt noch gibt. Was denkst du, wie lange wir brauchen werden?“



„Nun ja, wir werden nicht den gesamten Weg auf dem Wasser zurücklegen können. Wenn wir Glück haben, schaffen wir es bis zur arabischen Halbinsel oder vielleicht bis zum Suezkanal. Den Rest müssen wir über Land versuchen. Viel Ärger werden wir auf dem Wasser nicht haben, denn es gibt nicht viele seetüchtige Segelschiffe. Auch deshalb müssen wir vom Land wegbleiben.“



„Also, wie lange?“



„Vielleicht sechs oder acht Monate. Dass sind über zehntausend Kilometer Luftlinie, das doppelte über Land. – Jetzt aber los, zieht das Segel hoch, ich gehe ans Ruder! Die Frauen verstauen unser Gepäck. Aber bitte gleichmäßig. Das Wasser holen wir morgen früh im großen Hafen. Dort können wir mit etwas Glück noch etwas Essbares bekommen. Wir brauchen auch Spiritustabletten zum Kochen. Einen Kocher haben wir unter Deck.“



Langsam bewegte sich das Boot auf das Meer hinaus und der Wind erfasste das Segel. Reinhardt zog das Segel straff, sodass sie hart am Wind waren und allmählich schnelle Fahrt aufnahmen. Nachdem sie eine halbe Stunde zügig unterwegs gewesen sind, sahen sie im Dunkeln die Insel auf sich zukommen. Sie umrundeten diese, bis sie zwischen dem Segelboot und der großen Insel Bali lag und warfen den Anker.



„Nun könnt ihr euch zur Ruhe begeben. Ich bleibe am Ruder und schlafe dort.“ Ruhe kehrte ein.



Gey konnte nicht einschlafen. Also stand er auf und ging zu Reinhardt. „Na schlafen die Frauen?“



„Ich denke schon. Ich kann nicht schlafen, weil mir der ganze Kopf schwirrt. Ich höre dauernd Stimmen.“



„Jetzt, wo du es sagst, höre ich auch welche.“



„Los, wir gehen auf die Insel. Das Wasser ist hier flach genug.“



Als sie auf der Insel waren und zum Hafen schauten, sahen sie mehrer Feuer und lautes Stimmengewirr.



„Ich glaube unser Hotel brennt und der ganze Hafen dazu. Mensch haben wir Schwein gehabt. Warum machen die das?“



„Ich denke, das sind Plünderer, die die Nacht nutzen, um Beute zu machen. Anschließend stecken sie alles in Brand, um die Spuren zu verwischen. Der Sprache nach zu urteilen, sind das aber keine Einheimischen. Das klingt mir nach arabischen Lauten.“



„Was machen denn die Araber hier?“



„Ich denke diese Moslembrüder wissen längst bescheid, was passiert ist, denn es wurde ihnen bestimmt angekündigt. Die übernehmen jetzt die Macht, die haben sich vorbereitet.“



„Du meinst das ist von langer Hand geplant?“



„Ich denke schon. Man musste nur die USA und Europa ausschalten und schon hatte man freie Bahn. Das Waffenpotential und die Kommunikation waren dabei die hauptsächlichen Faktoren. Die hochmodernen Systeme kommen nicht ohne Strom aus. Also haben sie den Strom abgeschaltet und hatten freie Bahn. Kein Flugzeug kann Truppen absetzen, keine Schiffen können geschickt werden, keine Rakete kann abgeschossen werden, nichts geht mehr ohne Energie. Nur noch Pistolen, Gewehre und Messer. Bis auch das nicht mehr geht, dann greifen wir wieder zur Keule.“

 



„Willst du da morgen früh wirklich hin, um Wasser zu holen?“



„Nein, wir machen uns gleich davon und werden woanders Wasser holen. Die würden uns nicht wieder weglassen. Für eine Woche reichen die Vorräte. Die müssen wir eben kalt essen.“



Darauf gingen beide zurück, holten sofort den Anker ein und segelten auf das Meer hinaus.



Als die Frauen aufwachten, waren sie schon eine Stunde auf dem Indischen Ozean.



„Was ist denn los, wieso sind wir denn schon auf Fahrt? Ich denke, wir wollten noch in den Hafen?“, fragte Gis.



„Es war besser so“, antwortete Gey.



Reinhardt kämpfte inzwischen mit dem Ruder, da ein heftiger Wind das Boot etwas in Schräglage brachte und es ordentliche Fahrt aufnahm.



„Irgendwas muss an Land passiert sein, keine Ahnung, was. Wir haben das Hotel gesehen, dass unser Hotel brannte. Und das ist bestimmt kein gutes Zeichen. Wir segeln jetzt erst nach Norden und versuchen, wieder in die Nähe der Küste zu kommen. Ihr könnt nach vorn gehen, um das Boot besser auszutrimmen.“



Reinhardt hatte inzwischen das Ruder fest gemacht, sodass sich das Boot allein auf Kurs hielt, und kam auch nach vorn.



Dann flüsterte Gey zu: „Wir kommen nicht nach Norden, der Wind und die Strömung treiben uns nach Westen, wir fahren direkt auf den Ozean hinaus und ich kann nichts dagegen tun. Auch wenn ich zu kreuzen versuche, treibt die Strömung unsere Nussschale immer weiter auf die Afrikanische Küste zu. Um die zu erreichen, brauchen wir Wochen. Da reichen unser Wasser und Proviant niemals. Außerdem würde unser Boot auseinanderbrechen, wenn es in ein Unwetter geraten sollte. Es läuft ja jetzt bei Schräglage schon voll. Wenn die Wellen höher werden, ersaufen wir. Unter Deck ist eine kleine Handpumpe. Versuche mal, das Wasser stetig abzupumpen. Ich werde das Segel etwas lockern, damit wir ruhigere Fahrt machen.“



Gey verschwand unter Deck und sah dort schon alles schwimmen. Er begann zu pumpen und schaffte es nach einer Stunde, das Wasser auszupumpen. Dann wischte er den Boden trocken und bemerkte ein ganz kleines Rinnsal an Wasser, das von unten einsickerte.



Thea, die an diesem Tag noch kein Wort gesprochen hatte, half ihm dabei. Sie sah das Leck auch und schaute Gey betroffen an. „Ich kenne das, Reinhardt und ich sind mal auf dem Genfer See mit einem Boot gefahren, das fast genau so groß war, wie das hier. Da fing es auch mit einer kleinen Pfütze an und nach drei Stunden kamen wir nur noch mit Hilfe einer Pumpe an Land. Uns bleibt jetzt nur noch zu hoffen, dass wir so schnell wie möglich an Land kommen.“



Sie gingen beide an Deck und berichteten Reinhardt und Gis von ihrer Beobachtung.



„Mensch, das kann doch nicht wahr sein, können wir nicht gegensteuern?“, fragte Gis.



„Ich versuche es ja, aber zurück können wir nicht, da der Wind uns Richtung Osten treibt. Ich kann nur versuchen zu kreuzen und da müssen wir immer wieder den Kurs wechseln, damit wir nach Norden auf die Insel Sumatra zuhalten. Und ihr müsst abwechselnd pumpen.“ Damit riss Reinhardt das Ruder herum, sodass die Gischt über das Boot schlug und alle durchnässte.



Gey ging wieder hinunter um pumpte ab und zu, wenn das Wasser nachgelaufen war.



Die Frauen beratschlagten inzwischen was sie tun könnten.



„Ich denke, wir schmeißen erst alles ins Wasser, was wir nicht mehr brauchen.“



Sofort begannen sie auszuräumen, was auf dem Boot von dem ehemaligen Bootseigner noch da war. Während sie so werkelten, weinte Thea plötzlich. Gis ging zu ihr und nahm sie in den Arm.



„Wenn ich daran denke, dass wir uns vor drei Tagen noch so auf den Urlaub gefreut haben und nicht mal in das Auto am Flughafen steigen wollten. Was würde ich jetzt darum geben, nicht geflogen zu sein.“



„Dann würdest du vielleicht jetzt nicht mehr leben“, sagte Reinhardt. „Wir wissen ja nicht mal, was in Europa passiert ist.“



Gey ging wieder hinauf und schaute sich um. Plötzlich rief er ganz laut: „Was ist denn das dort vorn!“



Alle schauten in die Richtung und sahen etwas auf dem Wasser treiben.



„Sieht aus wie Holz.“



Als sie näher kamen, drehte sich Thea zur Seite und übergab sich. Es waren tote Menschen, die auf dem Wasser in aufgeblasenen Schwimmwesten trieben.



Gey zog einen nach den anderen mit einem Bootshaken heran, untersuchte sie und nachdem er ihnen die Westen abgenommen hatte, schob er sie ins Wasser zurück, wo sie bald untergingen. So hatte er für jeden eine Rettungsweste und die anderen Westen band er ans Boot.



„So das war der letzte. Die sind bestimmt mit einem Flugzeug abgestürzt. Die hatten keine Notration dabei, wie es bei Rettungswesten in Schiffen üblich ist.“



„Dass du die so anfassen kannst“, sagte Thea.



„Ich wollte eigentlich nur sehen ob die wirklich alle tot sind. Was mich aber auch fragen lässt, was ist, wenn wir auf noch lebende Menschen treffen, die im Wasser treiben? Unser Boot kann gerade mal noch zwei Personen aufnehmen, vom Wasser und Proviant ganz zu schweigen. Lassen wir alle anderen dann ertrinken? Auch deshalb habe ich den Toten die Westen ausgezogen, vielleicht kann uns das noch helfen.“



Dann rief Thea wieder und zeigte in eine andere Richtung. Sie sahen in der Ferne einen großen schwarzen Schatten auf dem Wasser treiben.



„Das könnte ein Schiff sein. Los, wir halten drauf zu, vielleicht lassen die uns an Bord und wir sind gerettet. Und wenn nicht, haben wir es wenigstens versucht. Außerdem können wir gar nicht anders, die Strömung und der Wind treiben uns genau darauf zu.“



Nun nahm Gey das Ruder und steuerte genau auf das Schiff zu. Es schien ein Tanker zu sein, denn er hatte so gut wie keine Deckaufbauten.



Als sie nahe genug waren riefen sie aus Leibeskräften alle zusammen um Hilfe. Da auch niemand mehr Wasser schöpfte, lag ihr Boot schon sehr tief im Wasser. Es rührte sich nichts auf dem Schiff.



Als sie es umrundeten hatten, sahen sie, dass die Ladekrane für die Rettungsboote herabgelassen worden waren.



„Sind wohl abgehauen. Da wird keiner mehr sein“, rief Thea in den immer stärker werdenden Wind.



„Wir müssen da hoch, es kommt ein Sturm auf“, sagte Reinhard. „Ich versuche an dem Seil hochzuklettern. Und wenn ich oben bin lasse ich euch was herunter, damit ihr nachkommen könnt. Du Gey, bleibst als letzter unten und bindest unseren Proviant und die Rucksäcke an, damit wir sie hochziehen können und dich holen wir zum Schluss. Ich weiß doch, dass du nicht klettern kannst und retten können wir dich auch nicht, falls du ins Wasser fällst.“



Reinhardt nahm darauf ein Seilende, das im Wasser hing und kletterte hinauf. Währenddessen banden die anderen ihre Habseligkeiten zusammen und warteten. Die Wellen wurden immer höher und schlugen ins Boot, sodass sie jetzt auch noch Wasser pumpen mussten, um nicht sofort unterzugehen. Dann fiel von oben eine Strickleiter herunter. Reinhardt winkte ihnen. Zu verstehen war er nicht mehr. Das kleine Boot stieß immer wieder gegen den stählernen Schiffsrumpf des Tankers. Die Frauen versuchten auf die Leiter zu steigen, aber durch das Stampfen des Meeres, war sie plötzlich im Wasser und dann wieder mehrere Meter darüber. Darauf hing sich Gey jetzt an die Leiter und band sie am Boot fest. Jedes Mal, wenn die Wellen kamen, ließ er nach oder zog sie fest.



Die Frauen stiegen nach oben und Gey folgte ihnen mit einem langen Seil auf dem Rücken. Nachdem sie auch ihr Gepäck nachgeholt hatten, sanken sie vollkommen erschöpft zu Boden.



Besonders Gey fiepte wie eine alte Dampflok auf dem letzten Kessel. „Mensch, hatte ich vielleicht einen Schiss. Ich dachte schon, wir saufen ab. Was macht denn unser Boot?“ Er erhob sich und sah hinunter. Dort trieb ihr Boot in den hohen Wellen und legte sich langsam auf die Seite. Untergehen konnte es durch die befestigten Schwimmwesten nicht.



Nun stürmte und regnete es heftig. Sie nahmen ihr Zeug