Buch lesen: «Lisa und Tim»
Gisela Prouza
Lisa und Tim
Im Schutz des magischen Amuletts
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Der letzte Ferientag
Die neue Schule
Das Referat
Das Geheimnis des Bernstein-Anhängers
Im Banne des Bernstein
Die Kristallperle
Das Amulett
Gestalten in der Nacht
Der Geist im „Schloss Ritzebüttel“
Der Geheimgang wird geöffnet
Die Enthüllung des Fluches
Vorwort
Die Zwillinge Lisa und Tim haben die Gabe des Geistsehens von ihrem Vater geerbt. Sie können mit Geistern, die in Not geraten sind sprechen und ihnen helfen. Dadurch erleben sie die seltsamsten Abenteuer.
In den letzten Wochen war allerhand los. Zuerst der Umzug von Hamburg nach Sahlenburg, und schon wenige Tage danach die große Rettungsaktion im Wrakmuseum. Ein Klabauterman spukte in dem Museum herum. Er wurde durch einen Bann dort festgehalten. Doch Lisa und Tim hatten seinen Hilferuf gehört und konnten ihn befreien.
Der letzte Ferientag
Am letzten Ferientag polterte Tim in Lisas Zimmer und weckte sie mit lautem „Traraaa“.
Verschlafen blinzelte Lisa ihren Bruder an und stöhnte: „Tim, spinnst du? Was soll das?“
„Los, wach auf, ich hab ne tolle Idee“, antwortete er. Dabei hüpfte er ungeduldig vor Lisas Bett herum.
Lisa gääähnte erst einmal herzhaft, streckte ihre Arme und Beine, dann setzte sie sich gaaanz laaangsam mit geschlossenen Augen auf die Bettkante. Sie runzelte die Stirn, blinzelte ein paar Mal, doch dann war sie hellwach und sah Tim vorwurfsvoll an. Sie mochte es gar nicht, schon am frühen Morgen so unsanft aus dem Schlaf gerissen zu werden. Ganz im Gegenteil zu Tim, der immer gleich voller Tatendrang war.
„Du und deine tolle Idee“, stöhnte sie. „Und, was ist das für ‘ne Idee?“ Neugierig war sie natürlich schon, was sich Tim da wieder ausgedacht hatte.
„Los, steh endlich auf. Wir machen eine Wattwanderung. Das wird doch spannend. Dann kann ich mal wieder Krebse ärgern und Wattwürmer aus …“, weiter kam er nicht.
Mit einem Satz sprang Lisa auf, klopfte auf seine Schulter und nickte bejahend. „Echt gute Idee, das hättest du mir auch etwas leiser sagen können. Weißt du denn schon wann heute Ebbe ist?“
Lisas spontane Reaktion verblüffte Tim so sehr, dass er ohne zu antworten die Treppe runter rannte, schnurstracks in der Küche verschwand und dabei um Haaresbreite an seiner Mutter vorbei flitzte. Dort wühlte er in der Krimskrams-Schublade herum, bis er den Tide-Kalender gefunden hatte. Daraus konnte er die genaue Zeit der Ebbe für den heutigen Tag ablesen. Neugierig beobachtete seine Mutter die Sucherei. Bevor sie aber eine Frage stellen konnte, erklärte Lisa, die inzwischen auch unten angekommen war, was sie vor hatten, und wie lehrreich so eine Wattwanderung über den Meeresboden doch sei.
Ihre Mutter war zuerst sehr besorgt über das Vorhaben, doch da beide bei ihrem Indianer-Ehrenwort versprachen, nicht weiter als bis zum großen Priel zu gehen, war sie einverstanden. Lisa und Tim wussten ja, dass der Priel ein tiefer Graben im Meeresboden ist, der auch bei Ebbe mit dem salzigen Nordsee-Wasser gefüllt bleibt.
Trotzdem rief ihre Mutter ihnen beim Rausgehen hinterher: „Bei auflaufendem Wasser entsteht im Priel eine starke Strömung!“
„Ja, Mama, das hast du uns schon tausendmal gesagt, Ehrenwort, nur bis zum Priel!“, antwortete Lisa noch schnell und beeilte sich ihr Fahrrad aus der Garage zu holen.
Tim war schon fahrbereit. Freudig bellend hüpfte Wolf um sie herum. Er wollte natürlich mit, doch Lisa und Tim waren sich einig, ohne Ihren Hund die Wattwanderung zu machen. Er war ja noch ein Welpe und für solch einen Ausflug zu klein. Lisa schnappte sich Wolf und brachte ihn zu ihrer Mutter in die Küche. Nun konnte es endlich losgehen und sie sausten die Nordheimstraße entlang bis hoch zum Strand.
Frau Brünner sah ihren Zwillingen hinterher, bis beide um die nächste Kurve verschwanden. Sie machte sich große Sorgen darüber, dass Lisa und Tim schon vor der Übergabe des Schutzstein mit der Geisterwelt in Kontakt gekommen waren. Obwohl beide ihr immer wieder versicherten, beim Kontakt mit den Geistern keine Angst mehr zu haben, hoffte sie, dass vor dem 10. Geburtstag ihrer Kinder nichts mehr geschehen würde.
Die Gabe, Geister sehen und hören zu können, vererbte sich in jeder 2. Generation auf den erstgeborenen Sohn und entwickelte sich erst nach der Übergabe des magischen Bernstein. Doch bei Lisa und Tim war es anders. Dadurch, dass sie als Zwillinge geboren wurden, war die Fähigkeit des Geistsehens stark genug und hat die Regel der 2. Generation unterbrochen. Sie wurde direkt vom Vater auf die Zwillinge übertragen. Den magischen Bernstein als Schutz durften die beiden aber trotzdem erst an ihrem 10. Geburtstag erhalten. So, wie es die Überlieferung verlangte.
Bei ihrer Ankunft am Strand war auf dem Watt schon allerhand los. Vielen Kurgästen machte es Spaß über den Meeresboden der Nordsee zu wandern. Lisa hatte sich ein Eimerchen zum Muscheln sammeln mitgenommen. Ihr gefielen die herzförmigen mit dem gezackten Rand und die Kleinen mit der schillernden, rosa Farbe besonders gut.
Tims Blick wanderte über den Meeresboden auf der Suche nach den Krebsen. Er machte sich einen Spaß daraus, einen Stock an die Scheren zu halten. Wenn der Krebs dann zukniff, hob Tim den Stock hoch. So sehr er jetzt auch schüttelte, der Krebs ließ nicht los. Erst wenn er ihn wieder auf den Boden setzte, öffnete er die Scheren und buddelte sich mit affenartiger Geschwindigkeit in den Schlick ein.
Es gab ständig etwas Neues zu sehen. Und ehe sie sich versahen, standen sie schon vor dem Priel. Dort blieben sie wie versprochen stehen, und beobachteten eine Weile die anderen Wattwanderer. Es waren nur noch vereinzelt Leute in ihrer Nähe. Die meisten befanden sich bereits auf dem Rückweg. Auch Lisa und Tim machten sich wie versprochen auf den Weg zurück zum Strand.
Nach einer Weile fiel Tim auf, dass Lisa seit Minuten schweigend neben ihm herlief. Das kam eigentlich nur vor, wenn sie über etwas angestrengt nachdachte. Neugierig, was seine Schwester so sehr beschäftigte, stupste er sie an.
„He, Lisa, was ist los?“, wollte er wissen. „Ach, nichts, alles okay, ich denke nur darüber nach das Mama so oft fragt ob es uns gut geht. Ich glaube sie macht sich große Sorgen wegen unserer Geistergeschichten. Hast du wirklich keine Angst, wenn so ein Geist uns ruft? Also, ich schon etwas, aber nicht mehr so doll wie am Anfang. Und du?“
„Na, geht so, ist aber okay. Zusammen sind wir doch schon echt stark, finde ich. Und die Moorliesel hat uns ja auch immer geholfen.“
„Stimmt! Weißt du was ich auch komisch finde? Mama hat ihre Kette mit dem Bernstein-Anhänger neben die Eingangstür gehängt. Warum trägt sie die eigentlich nie? Und warum mussten wir versprechen den Anhänger nicht anzufassen! Wenn ich an ihm vorbeigehe, spüre ich, wie er Kraft und Wärme ausstrahlt. Du auch?“
„Ja, genau, hab aber nicht so richtig darüber nachgedacht. Sag mal, … diese Kette war doch ein Geschenk von Papa zu unserer Geburt! Nächsten Monat haben wir unseren zehnten Geburtstag. Meinst du, sie hängt deswegen im Flur?“
„Hmm, vielleicht wartet aber eine neue Aufgabe auf uns und die Kette führt uns dahin. Mama kann das aber doch gar nicht wissen? Sie ist ja kein Geistseher.“
„Stimmt genau, dann sollten wir heute Abend mal nachsehen, ob neue Federn im magischen Versteck sind.“
Am Abend kletterten beide auf den Baum bis zur Gabelung. Sie öffneten das Geheimfach des magischen Buches. Etwas enttäuscht bemerkten sie, dass keine Federn in dem Spalt waren. Sie setzten sich auf den dicken Ast und warteten darauf, ob die Eule „Gesine“ ihnen doch noch zwei Federn bringen würde. So sehr sie auch lauschten, es geschah nichts. Nur einmal hörten sie den leisen Ruf der Eule über ihren Köpfen und das Rauschen der Flügel, doch Gesine flog weiter in Richtung Wernerwald. Hatte die Kette doch etwas mit ihrem Geburtstag zu tun? Nur, warum hing sie jetzt im Flur? Das musste auf jeden Fall etwas zu bedeuten haben. Tim meinte, sie sollten einfach mal fragen, doch Lisa war dagegen. Sie erklärte ihrem Bruder wortreich, dass ja vielleicht mit der Kette eine Überraschung zusammen hing. Durch ihre Fragerei würden sie dann alles verderben. Das sah Tim ein. Sie einigten sich, bis zu ihrem Geburtstag keine Fragen zu stellen. Beide verschlossen symbolisch ihren Mund, in dem sie den Daumen und Zeigefinger aneinander legten, und von links nach rechts über den Mund strichen. Danach kletterten sie runter. Es war schon spät, und höchste Zeit schlafen zu gehen. Morgen hatten sie schließlich ihren ersten Schultag in Sahlenburg.
Am Morgen, pünktlich um 7.00 Uhr, ertönte ein hoher, schriller Pfiff im Hause Brünner. Danach folgte mit lautem Singsang der Weckruf ihrer Mutter:
„Hintern hoch, die Schule beginnt,
raus aus den Federn muss jedes Kind!“
Seit der Besichtigung des Segelschulschiff „Gloria“ vor einigen Tagen, wollte Tim uuunbedingt eine „Bootsmann-Pfeife“ haben. Mit dieser speziellen Pfeife, und einem derben Spruch, werden die Marinesoldaten morgens geweckt. Das fand Tim so super, dass er seine Mutter bat, auch nur noch mit dem Pfeifton und einem flotten Spruch geweckt zu werden. Nach einigem Zögern hatte sie sich doch breitschlagen lassen, und bereit erklärt, diesen Brauch zu übernehmen. Aber nur für vier Wochen, betonte sie mehrmals. Lisa ertrug diesen morgendlichen Ablauf geduldig. Im Geheimen fand sie es sogar ein wenig lustig, was sie natürlich Tim gegenüber niiie zugeben würde.
Mit Erstaunen konnte Frau Brünner feststellen, dass es plötzlich ganz einfach war, Tim morgens zum Aufstehen zu bewegen. Solange es so bleiben würde, wollte sie diesen Brauch auf jeden Fall, auch noch nach Ablauf der vier Wochen, fortsetzen.
Die neue Schule
Durch den Umzug nach Sahlenburg war für Lisa und Tim alles in der Schule fremd. So richtig toll fanden sie deswegen die ersten Schultage auch nicht. Doch ihr neuer Lehrer, Herr Genscher, gefiel ihnen sofort und mit den meisten Schülern aus ihrer Klasse verstanden sie sich inzwischen richtig gut. Außerdem hatte Herr Genscher ihnen erlaubt im Klassenzimmer nebeneinander zu sitzen was sie echt cool von ihm fanden. Mit erhobenem Zeigefinger mahnte er aber, dass sie während des Unterrichts nicht quatschen dürfen, sonst müsste er ihnen getrennte Plätze zuweisen.
Beide versprachen, natürlich mit ernster Mine und ihrem Indianer-Ehrenwort, nicht laut zu quatschen. Es wusste ja niemand in der Klasse, dass sie sich auch lautlos unterhalten könnten, wenn sie es wollten.
Die ersten Wochen verliefen ohne besondere Ereignisse, doch seit einigen Tagen gab es auf dem Schulhof nur noch ein Thema. Die Klassenfahrt mit dem Wattwagen nach Neuwerk. Alle waren aufgeregt und freuten sich riesig darauf in einer Scheune auf Stroh und Heu zu übernachten. Für Lisa und Tim war es das erste Mal mit einem Wattwagen auf dem Meeresboden der Nordsee bis zur Insel Neuwerk zu fahren.
Zwei Tage vor der Klassenfahrt wurde im Erdkunde-Unterricht über die Insel Neuwerk gesprochen.
Am Unterrichtsende stellte Herr Genscher die Frage: „Wer meldet sich freiwillig, und hält morgen ein Referat über unser heutiges Thema?“
Daraufhin wurde es totenstill im Klassenzimmer.
Herr Genscher sah fragend von einem zum anderen, doch kein Finger schnellte in die Höhe. „Na, traut sich etwa keiner?“
Diese Frage ging Lisa und Tim gehörig gegen den Strich. Sich nicht trauen, paah, und schon waren ihre Zeigefinger in der Luft.
Erfreut sah Herr Genscher die Beiden an. „Sehr gut, ihr könnt es ja gemeinsam ausarbeiten. Wer morgen das Referat hält, dürft ihr selbst entscheiden!“
In dem Moment ertönte ein lautes Klingeln. Die Unterrichtsstunde war beendet. Hastig stopften die Schüler ihre Hefte und Bücher in den Ranzen. Dann stürmten sie mit Gejohle aus dem Klassenzimmer.
„Etwas leiser bitte“, rief ihnen Herr Genscher hinterher.
Das hörten jedoch nur noch die Nachzügler und bemühten sich, solange sie in Sichtweite waren, etwas gesitteter und leiser das Schulgebäude zu verlassen.
Der kostenlose Auszug ist beendet.