Sehnsucht nach Avalon

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Sehnsucht nach Avalon
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Gilbert von Luck

SEHNSUCHT NACH AVALON

Fragmente für die Große Göttin

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die

Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet

diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de

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Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Lektorat: Wilhelm Handke

Copyright der Abbildungen: siehe

Abbildungsverzeichnis

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Die Nebel von Avalon

Eine zugegebenermaßen subjektive Buchbesprechung

Da liest man seit Jahren in jeder freien Minute. ‘Zigmal läuft man in Romanboutiquen und Büchereien an dem Buch vorbei. Schließlich drückt einem eine Bekannte das Buch in die Hand, das sie aussondert, und wie es der Zufall will, hat man gerade nichts anderes zu lesen. Über 1100 Seiten!

Ich lese bis mir die Augen zufallen. Aufgewühlt kann ich nicht einschlafen. Nach zwei Stunden Schlaf ruft der Wecker zum Arbeitstag.

Ich bin Romanliebhaber, gerade des Genres SF und dessen, was man oft geringschätzig als Horror bezeichnet. Marion Zimmer-Bradleys Werk hat mit Fiktion zu tun, allerdings solcher mit historischem Hintergrund. Abgeklärt bin ich aufgrund literarischer Konsum-Erfahrung auch. Meist lächle ich gönnerhaft, wenn ich lese: so wenig Neues, so viele Romane schon, die mich in ihren Bann zogen, faszinierten oder schwärmen ließen. Doch kein Roman hat mich je so sehr ergriffen wie Die Nebel von Avalon:

Die Römer zogen sich aus Britannien zurück. Von Avalon und den Druiden toleriert, breitete sich das Christentum über die Instrumentalisierung von Schuld immer weiter aus. Mit der Machtzunahme der Christen einher ging der Prozess ihrer Missbilligung des Alten Glaubens. Der Kontrast zwischen der Religion der Liebe, der Toleranz und Lebensbejahung Avalons und der Großen Göttin einerseits und dem Dogmatismus, der Finsternis und neurotischen Engherzigkeit des damaligen Christentums andererseits wird deutlich.

Die Druiden wissen (und verkünden immer wieder die altbekannte Weisheit), dass der Glaube der Menschen ihre Welt und Wirklichkeit formt, und demgemäß versinkt Avalon immer weiter hinter den Nebeln im Sommersee und in den Unschärfen der Zeit. Was ihr folgte, ist bekannt: das Zeitalter der Dunkelheit, der Menschenverbrennungen, der Krankheiten, Religionskriege und des Imperialismus.

Artus, Sohn der Linie der Göttin und derjenigen der Könige und Herzöge, wird Großkönig und einigt Britannien dank der ihm von der Göttin verliehenen Macht. Doch seiner Macht und seiner christlichen Gattin wegen verrät er Avalon. Erst im Todeskampf weiht er sich ihr wieder und findet zurück zur Großen Göttin und zur Herrin vom See. Morgaine ist Hohepriesterin, Herrin vom See und Inkarnation der Großen Göttin auf Erden geworden. Zerrissen im Kampf für die Einheit Britanniens und den Erhalt Avalons in dieser Welt muss sie versagen. Doch sie wächst über sich hinaus, kämpft märtyrerhaft und trägt letztendlich dazu bei und versteht, dass die Große Göttin das, was das Christentum an Hellem und Schönem beinhaltet, von Avalon in die ‘reale Welt’ überträgt. Denn ohne die Große Göttin, die ja Naturgewalt und Lebenskraft ist, würden selbst heute die Felder verdorren!

Ungefähr 1500 Jahre lag Avalon nun hinter den Nebeln des Vergessens und der Missachtung. Nur in Sagen und Märchen lebte sie in unserer Zeit fort, und die Kinder, die bekanntlich ohne Gefühl für Zeit Vergangenes und Zukünftiges in die Gegenwart verdichten, glaubten an sie in dem Moment, in dem sie von ihr hörten. Wie wenig Zeit verging demzufolge dort in den 1500 Jahren, bis sich das Christentum zu überleben begann?

Schon vor Veröffentlichung des Buches gab es in Großbritannien den „Orden der Großen Göttin“. Aufgeforstet wird auch wieder und der vorhandene Wald – wenigstens besser als früher – geschützt – vielleicht sogar ein heiliger Hain?

Vor mir liegt ein Fischer-Taschenbuch des 890. Tausends vom November 1993. Über 1 Million Bücher sind jetzt im deutschen Sprachraum verbreitet, etliche mehr in Englisch und vielen anderen Sprachen. Millionen Menschen könnten mittlerweile Kunde von Avalon vernommen haben. 1982 erschien das Buch in den USA. Im selben (!) Jahr veröffentlichte der Brite Brian Ferry mit seiner Rockmusikgruppe Roxy Music den Titel Avalon, eine eigenwillige Huldigung an die Große Göttin („I see you coming out of nowhere“). Nach dem Titel wurde das ganze Album benannt, beides wurde ein Riesenerfolg.

Wer ist eigentlich gegenwärtig Merlin von Britannien?

Das, was die Menschen glauben, was sie zu wissen meinen und was sie hoffen, formt diese Welt. Jeder Mensch, der Seele hat und ‘Die Nebel von Avalon’ liest, hofft inständig für Avalon, liebt sie und mancher betet danach für sie. Jeder Leser glaubt unwillkürlich an Avalon, er erbebt bei ihrem Untergang und lebt mit ihrem Aufleben auf. Bald muss es mehr Menschen so gehen, als damals in Britannien, Irland und der Bretagne gelebt haben.

Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf überraschende geographische Neuigkeiten aus England, auf solche eben, mit denen in unserer ach so erforschten Welt niemand mehr gerechnet hat.

Viermal, zur Sommersonnenwende 98, zu Beltane 99, Beltane 2000 und Beltane 2003, war ich nun in Glastonbury. Mir erschien es, als rücke Avalon unserer Welt wieder in kleinen Schritten näher.

Der Wille der Göttin geschehe!

Erinnerungen an Avalon – eine Pilgerreise nach Glastonbury (Somerset, England)

Vornehm und komfortabel reist der moderne Pilger nicht zu Fuß oder auf einem Esel, sondern fliegt: Freund Wilm gelang es drei Wochen vor Reiseantritt nicht mehr, einen Fährplatz zu erhalten, also blieb nur der Flug, diesmal von Schönefeld. Es war meine zweite Reise nach Glastonbury, nachdem ich bereits 1998 während der Sommersonnenwende dort war.

So fuhren wir denn mit einem Auto nach Rudow, im Süden von Berlin, parkten an der Hauptstraße, hielten das nächste Taxi an und ließen uns zum Flughafen bringen. Der Flughafen Schönefeld ist viel angenehmer als der in Tegel, es herrscht weniger Hektik und die Hallen sind licht- und luftdurchflutet, nicht von den Kopfschmerz auslösenden Vibrationen und dem unnatürlichen Luftdruck erfüllt, wie im klimaanlagenverseuchten Tegel. Auch fehlt den Gebäuden der deprimierend hässliche Anblick, der einen in Tegel bei der Rückkehr aus schöneren Gegenden übertrieben deutlich vermittelt, dass der Urlaub nun wirklich vorbei ist. Man muss auch nicht stundenlang zuvor da sein, sondern geht einfach in die Flughafenhalle, meldet sich an, wird durchleuchtet und durchsucht und betritt, wie ein normaler Reisender, über das Rollfeld, nicht durch einen aufgeblähten, überdimensionierten Kunstdarm, sein Flugzeug. Unseres ist klein, ich weiß nicht, welcher Typ. Jedenfalls erreichten wir in weniger als zwei Stunden London-Gatwick. Der Flugzeugführer war recht sportlich ambitioniert und flog ein paar ordentliche Kampfkurven. So waren wir froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Ein Fluggast meinte: „Vielleicht hat der Pilot früher mal Gabelstapler gefahren.“

Nach einem langen Weg durch die Flughafenhallen, der zum Teil über schnelle Transportbänder in der Art ebenerdiger Rolltreppen führt, finden wir anhand konkreter Auskünfte und Hinweistafeln zu Bahnfahrkarten und zum Bahnhof und fahren mit der Regionalbahn rings um London herum nach Reading, wo wir in die Fernbahn in Richtung Cornwall umsteigen.

Während Wilm ununterbrochen isst, als wäre er all’ die Kilometer gelaufen, halte ich mich seit London an mein Mineralwasser.

Die Bahnfahrt führt durch eine Landschaft, die umso schöner und abwechselungsreicher wird, je weiter wir nach Westen gelangen. Davon war ich schon 1998 überrascht, dachte ich doch bei England bisher nur an Regen, Beton, Smog und Bombentrichter. Tatsächlich wechseln sich kleine Felder und Weiden, stets von Feldrainen, Hecken oder Knicks umgeben, mit kleinen Waldstückchen, Weilern, Kleinstädten und zunehmend häufiger mit schmalen Kanälen und vielen Teichen ab. Der Wald ist meist lichter Niederwald, der manchmal aber urwaldartig verdickt ist, voller Totholz und üppig nachwachsendem Grün, voller Verstecke und Geheimnisse, dunkel manchmal, märchenhaft und unheimlich zugleich.

Mir fällt auf, dass die Wäldchen meist durch Feldraine und Uferböschungen verbunden zu sein scheinen, und ich überlege ernsthaft, ob entlang dieser Linien und in den Wäldern wohl versteckt und vor der modernen Zivilisation verborgen das Alte Volk überlebt und mit seinen uralten Riten Britannien vor den größten Unbillen bewahrt haben mag. Es erfreut mich, gelegentlich an locker aufgeforsteten Flächen entlang zu fahren. Man nimmt hierfür ganz kleine Bäume, die vielleicht nur einen Meter groß sind und überlässt alles Weitere der Natur. Das ist billiger und ökologisch sinnvoll, eine beispielhafte Alternative zu unseren Schonungen, die ja oft auch noch von vornherein als Dickung mit nur einer Baumart angelegt werden. In England kennt man Pflanzen als Waldbäume, die bei uns fast nur als Sträucher bekannt sind, zum Beispiel Waldhülse (Stechpalme, Ilex), Weißdorn und Haselnuss sowie Holunder.

 

Während die Sonne untergeht, beobachte ich die Landschaft und Wilm die Landschaft, die Mädchen im Zug (Engländerinnen lesen Bücher, ein fast schon ungewohntes Bild) und sein Bier. Ich erkenne eben noch das berühmte Weiße Pferd, das schon seit Jahrtausenden vom Hang leuchtet, als ich am Himmel, von West nach Ost deutend, eine Wolke in Form eines goldenen Speers oder einer Schwertklinge entdecke. Wir denken, es müsste sich um den Kondensstreifen eines Flugzeuges handeln, obwohl diese Kondensstreifen sich sonst weit länger über den Himmel erstrecken.

Circa 10 Minuten später mache ich Wilm auf eine noch unerklärlichere Himmelserscheinung aufmerksam: Nordwestlich von uns erstreckt sich unterhalb der durchbrochenen Hochbewölkung eine rote Schlangenlinie, viel zu tief und geschwungen für Kondensstreifen eines Flugzeuges, eine von der untergehenden Sonne beleuchtete Wolkenfront: Der rote Drache erhebt sich über Südwestengland! Wilm und ich sind Skeptiker, aber dieser Anblick ist schon mystisch und will sich uns nicht erklären! Wilm sucht seine Kamera hervor, doch die Erscheinung verschwindet hinter Wäldern und Hügeln. Als wir den Himmelsabschnitt wieder vor Augen bekommen, ist es zu spät und die Sonne wohl schon zu tief gesunken.

Castle Cary ist unsere Ankunftsstation, die naheste an Glastonbury. Man wäre auch mit einem Fernbus nicht näher heran gekommen. Die letzten circa 15 Meilen fahren wir für 18 Pfund (circa DM 55,-) mit einer Taxe. Diesmal klappt das. 1998 hatte ich ratlos auf dem Bahnhof, mitten in der Landschaft und ohne erkennbare, zugehörige Ortschaft, herumgestanden. Damals fiel mir bei der Rückreise die Namensverwandtschaft zu Schloss Chariot auf, verborgen im Feenland ...

Bei der Ankunft in unserer Unterkunft, Straße Bove Town 80 in Glastonbury, sind wir begeistert. Ein Jahrhunderte altes Haus wird uns geöffnet, Innenmauern aus Naturstein, eine Treppe führt in unser Zimmer. Gegenüber wohnt eine kanadische Studentin, die in Glastonbury ihre medizinisch- anthropologische Doktorarbeit schreibt.

Der Komfort unserer Unterkunft ist allerdings vorkriegsmäßig. In Deutschland würde man für solch eine Unterkunft im günstigsten Fall 12 DM zahlen, falls man überhaupt eine so einfache fände. In England zahlt man 15 Pfund, das sind 46 DM, aber es gibt nichts Preiswerteres, und wir haben eine Duschgelegenheit, auch wenn man sich verbrüht und überall stößt.

Hinter dem Haus liegt ein verträumter Courtyard, das ist ein dort üblicher, von Mauern oder Schuppen umsäumter, enger Garten, meist ein Wärmenest und durch die Umbauung windgeschützt, in dem es aus kleinen, ungepflasterten Flächen und Kübeln heraus üppig grünt und blüht. Der zunehmende Mond, zwei Tage vor dem Beltane-Vollmond, steht über dem Courtyard.

Es ist einfach romantisch! Aus Mauerritzen wachsen Farne und kleine, blühende Kräuter, Mauerpfefferarten und wunderhübsch blühendes Zymbelkraut, nichts ist glatt und egalisiert wie bei uns, wo die ‘Verschönerung’ oft alles Schöne zerstört.

Nach dem Frischmachen begebe ich mich im Dunkeln durch Glastonbury auf den Weg zu den heiligen Quellen. Dabei bewundere ich die gärtnerischen Anlagen.

Man versteht Gärten hier offenbar als etwas, worin Leben sein soll und üppiges Wachsen und Blühen, nicht wie bei uns als kitschige Ausstellung einiger möglichst steril wirkender Pflanzen von sonst woher zwischen Flächen peinlich nackt gehaltener Erde. Es dominieren auch die standortgerechten und einheimischen Pflanzen und man nutzt, was die Natur an Schönem von alleine wachsen lässt, statt es durch Coniferae zu ersetzen: mich begeisternde Stauden namens Red Valerian (Spornblume), hier nie gesehen und mir vorher nicht bekannt, die rote, kleine Kelchblüten dutzendweise hervorbringen, und sogar Zypressenwolfsmilch, die dort Beetränder säumt, bei uns unvorstellbar.

(Eigene Anmerkung: Im Frühjahr 2014 habe ich Zypressenwolfsmilch erstmals als Zuchtform mit etwas größeren Blüten im Angebot einer Berliner Baumschule gefunden.)

Kleinste Flächen, zum Beispiel an Hauswänden auf schmalen Gehwegen, werden für Begrünungen ausgenutzt, indem man Kübel, manchmal sogar übereinander, aufstellt. Beliebt sind besonders Rank- und Kletterpflanzen, sodass aus wenigen Quadratzentimetern Oberfläche meterhohe Pflanzen erwachsen. Auffällig ist eine Waldrebensorte, die fast nur aus Blüten zu bestehen scheint. Ich erinnere mich an meinen Eindruck von 1998: Das Licht scheint anders zu scheinen hier als sonst wo auf der Welt, Farben scheinen intensiver und wie lebendig, und Pflanzen wachsen anders und blühen viel intensiver als anderswo, erfüllt von unbändiger Lebenskraft. Dem Naturkundigen oder -beobachter drängt sich der Gedanke auf, dass diese Gegend gesegnet sein muss. Auch an blühenden Apfelbäumen komme ich vorbei, die auf Streuobstwiesen wachsen.

Avalon war eine Insel mit vielen Namen: die Heilige Insel, die Insel der Mönche, Inis Vitrin, die Gläserne Insel, Glastonbury und die Insel der Äpfel.

Vorbei am Chalice Well Garden, dem Gralsbrunnen-Garten, erreiche ich die Wellhouse Lane. Links der Straße wird das Wasser der Red Springs vom Chalice Well Garden ins Freie geführt, rechts der Straße entspringt die White Springs, überdacht von einem Reservoire-Gebäude mit Café, aber auch mit Austritt auf die Straße, sodass jedermann jederzeit trinken oder sich Wasser abfüllen kann.

Die Rote Quelle, Red Springs, ist ungewöhnlich eisenhaltig. Wo das Wasser entlang fließt, färbt es sein Bett rot. Die Weiße Quelle, White Springs, fließt durch Kalkstein und ist kalziumreich.

Die Quellen sollen das weibliche (rot) und das männliche (weiß) Prinzip verkörpern. Früher flossen ihre Wasser nach einigen Metern Gefälle nahe den Quellen ineinander, was als Symbol der Harmonie zwischen Weiblichem und Männlichem galt. Wie es sich in der Darstellung von Yin und Yang verhält, beinhalten beide Ströme aber auch das jeweils gegenteilige Prinzip, wenn man Red Springs als Symbol des vom Manne für das Land, den Stamm oder das Volk geopferte Blut (ansonsten das Menstruationsblut) und White Springs als Symbol der die Kinder des Volkes nährenden Muttermilch (ansonsten als Spermasymbol) betrachtet.

Dieselbe Symbolik findet sich im Verhältnis des roten Löwen zum weißen Adler oder weißen Einhorn, besonders aber im Verhältnis des roten und des weißen Drachen im mythischen Banner des Pendragons.

Ella und Andy PORTMANN schreiben hierzu in der Nr. 6 des in Glastonbury verlegten Magazins AVALON: (Zit.) Die roten und weißen Drachen des Pendragon-Emblems (...) stellten die Verschmelzung von männlichen und weiblichen Elementen auf vielen Ebenen dar. Als König Arthur es unter Bevorzugung des christlichen Kreuzes verwarf, wurden der rote und der weiße Drache getrennt und der Gral, früher Kessel und Schoß der Göttin, ging verloren – das Land fiel in Trümmer. Als Männliches und Weibliches ins Ungleichgewicht gerieten, geriet das Land ins Ungleichgewicht ... (Zitatende, Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche von mir).

Durch den Bau des Reservoirs und der Straße zwischen den beiden Quellen wurden deren Wasser Ende des 19. Jahrhunderts getrennt. Doch dieser Tage erfüllte mich ein tiefes Gefühl von Ehrfurcht: In der oben genannten Ausgabe von „Avalon“ vom Sommer 1997 las ich, dass ein schmaler Lauf von Red-Spring-Wasser seinen Weg ins White-Spring-Wasser nahe dessen Quelle gefunden hat und umgekehrt ein Fließlein White-Spring-Wasser zur Red Spring im König-Artus-Hof im Chalice-Well-Garten durchgebrochen ist.

1500 Jahre sind in vielerlei Hinsicht genug. Vielleicht überlässt die Große Göttin uns Menschen nicht länger unseren Freveln.

Schließlich ist es so weit. Ich stehe am Austritt der Red Spring. Ein Moment ist eingetreten, den zu erleben ich seit meinem ersten Aufenthalt hier erhofft, aber nicht wirklich so früh erwartet hätte. Es gab so viele finanzielle und zeitliche Unwägbarkeiten, doch nun verbringe ich Beltane in Avalon!

Persönlich identifiziere ich die Rote Quelle mit der mythischen Quelle Avalons, der Quelle der Priesterinnen und der Großen Göttin, mehr noch als White Springs und trotz der vorher beschriebenen Einheit der Quellen mit ihren so verschiedenen Wassern.

Ich benetzte Stirn, Augen und Mund mit dem Quellwasser, ein Ritual, das ich in den nächsten Tagen täglich bei Rückkehr an die Quellen vollziehe, um mich symbolisch zu reinigen und der Großen Göttin für ihre Gaben zu danken. Nach einer kurzen Meditation vor der Quelle, in der ich mich gedanklich mit der Erde verbinde und ihre Kraft in mich strömen fühle und nachdem ich meine Kerze – rot natürlich – entzündet habe, danke ich in intensivem Denken der Göttin dafür, dass ich wieder hier sein darf und preise ihren Ruhm und ihre Herrlichkeit, wobei ich meine Arme in der der alten Geste des Gebets und der Anrufung gen Himmel recke. Die Reaktion kommt von oben:

Eher unerwartet trifft mich wie ein schmerzloser Stromschlag oder ein Blitz von oben eine Kraft, eine Energie, die lang anhaltend meinen Körper durchströmt, als trete sie im Kopfe ein und zu den Füßen wieder aus. Geradezu wonnevolle Schauer erfassen mich und ich habe das Gefühl, ganzheitlich in Körper, Seele und Geist berührt zu werden und erfahre die Gewissheit, angenommen zu sein. Das ganze Erleben lässt sich eigentlich nur mit einem Orgasmus vergleichen, mit dem Unterschied, dass dieser ohne Ejakulation verläuft. Vielleicht ist Frauen bei ihrem Höhepunkt ähnlich zu Mute. Als ich mich wieder „normal“ fühle und getrunken habe, gehe ich über die Straße zur White Springs. Ich wiederhole das Ritual von eben und denke zunächst an den Gott als Begleiter der Großen Göttin.

Ein wie eben erlebtes Gefühl will sich aber erst einstellen, als ich mich auch gegenüber dem Gott, zum Beispiel als Cernunnos, ins rechte (und somit wohl eher demütige) Verhältnis rücke.

Nach meinem Dienst an den Göttern fülle ich die mitgebrachten Flaschen und schlendere erfüllt und beeindruckt nach Hause. Dort muss Wilm den Geschmackstest machen! Er erkennt die Rote Quelle am Geschmack nach Eisen. White Springs hält er für angenehm, aber neutral. Als er den Schluck zum Vergleich mitgebrachten Berliner Leitungswassers trinkt, bezichtigt er mich, Spülmittel zugesetzt zu haben.

Und das trinken wir zu Hause jeden Tag!

Am nächsten Morgen, den 29.4., machen Wilm und ich uns auf den Weg nordöstlich an Glastonbury vorbei zum Tor und zu den Quellen. Nach Erfrischung und Reinigung an den Quellen versuche ich mich an dem Spiralweg, der offenbar früher als ritueller Aufstieg zum Gipfel des Tors benutzt wurde. Er ist als solcher kaum erkennbar.

Oft bin ich unschlüssig, wo ich weitergehen sollte, denn manchmal führt der schwach im Gras erkennbare Weg eher wieder zurück nach unten. Entnervt gebe ich auf und folge dem nordöstlich gelegenen, offiziellen Pfad, der sich streckenweise an den Spiralweg anlehnt, Abstände zwischen den Höhenlinien aber durch steile Anstiege überbrückt. Eigentlich ist das Herumgehen um den Berg auch verboten. Hinweisschilder mit der Aufschrift „Erosion Control“ ordnen an, auf den befestigten Wegen zu bleiben. Der Aufstieg entlang des alten Spiralweges hätte Stunden gedauert. Später erfahre ich, dass er gelegentlich, meist zu den Jahreskreisfesten, als Führung von der Isle of Avalon Foundation angeboten wird. Es wird tatsächlich darauf hingewiesen, dass man fit sein müsste, mehrere Stunden bräuchte und Verpflegung mitbringen sollte. Für einen späteren Aufenthalt habe ich mir die Teilnahme an einer solchen Führung vorgenommen.

Endlich auf dem Gipfel des Tors angekommen, stelle ich mich zur Meditation mitten in die alte Drachenlinie der Kraft. Ihr Verlauf ist auf einer metallischen Orientierungsplatte gekennzeichnet. Sie führt durch den Avebury-Steinkreis und in meinem Rücken zum Wearyall Hill, auf dem der heilige Joseph von Arimathea, Anhänger und Bewunderer Jesu, der von der Kirche bestrittenen Legende nach seinen Stab in die Erde gerammt haben soll, aus dem der Heilige Dornbusch erspross.

Früher sollen entlang dieser Kraftlinien – eine andere kreuzt die beschriebene – von Hügel zu Hügel, auf Sichtweite oder zum nächsten Kraft- oder heiligen Ort die Jahreskreisfeuer entzündet worden sein, sodass, ausgehend von Avalon, binnen Sekunden Reihen von Feuern die britische Insel überzogen, den Linien der Erdkräfte folgend und diese sichtbar machend. Selbst einem heutigen Beobachter, der ein solches Ritual aus der Luft verfolgen könnte, müsste die Erhabenheit dieser Handlung offenbar werden!

 

In noch länger zurückliegender Zeit werden diese Reihen von Feuern ganz Europa, Kleinasien, die Levante und Nordafrika durchmessen haben, das ganze Siedlungsgebiet der weißen Menschen zur Zeit der Megalithkultur.

Indessen genieße ich meine Meditation und Invokation auf dem Gipfel des heiligen Tors. Ein enormer Wind weht mir direkt entlang der Drachenlinie, gewissermaßen also aus Avebury, entgegen. Während ich, ungeachtet anderer Menschen, die Große Göttin preisend die Arme in der alten Geste des Gebets erhebe, scheinen mich der Wind und irgendetwas anderes aufzublähen zu übermenschlicher Größe, innerlich wie körperlich. Das Höhepunktgefühl des vorigen Abends ist wieder da. Obwohl ich völlig ruhig blieb und bestenfalls flüsterte, wenn ich Worte meines Gebets in den mir entgegen wehenden Sturm sprach, anderer Menschen Ohren nicht hörbar, hatte ich danach, beim Überqueren des Hochplateaus, um in Richtung Süden hinab zu gehen, das Gefühl, von den anderen Besuchern des Berges irgendwie seltsam angesehen zu werden.

Zurückgekehrt in unsere Unterkunft genieße ich einen Kaffee, nachdem ich seit dem Nachmittag des Vortages nur Wasser getrunken und nichts gegessen hatte, um mich geziemend auf die spirituellen Erlebnisse und Handlungen vorzubereiten. Doch nun geht es mit Wilm in die Stadt; die Läden locken und mehr noch die Restaurants und Cafés! Nach 24-stündigem Fasten esse ich einen Kartoffelauflauf mit ungeschälten Kartoffeln. Die Schalen sind so fein, dass man nichts Unangenehmes schmeckt.

„Zu Übungszwecken“ machen wir einem Mädchen am angeblich einzigen freien Tisch im (leeren) Lokal den Hof, indem wir uns frech zu ihr setzen. Ich vermassele Wilm aber wohl die Tour durch meinen missionarischen Eifer, der sie völlig verwirrt. Sie ist zwar in Glastonbury, tut aber, als hätte sie noch nie etwas von Avalon und so weiter gehört. Irgendwann bemerkt irgendwer, dass wir alle drei Deutsche sind.

Nach dem Essen unternehmen wir einen Streifzug durch die Esoterik- und Buchläden Glastonburys. Man stößt auf eine unglaubliche Fülle faszinierenden Materials. Es ist bedauerlich, dass gerade die in kleineren Auflagen verlegten Bücher wohl nie ins Deutsche übersetzt werden; unser Englisch reicht gerade, die Inhalte und Aussagen solcher Bücher wie „Ladies of the Lake“ (Caitlin und John MATTHEWS), „The White Godess“ (Robert GRAVES), „Avalon“ (Anja SETON) oder der Novellen von Dion FORTUNE zu erahnen.

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