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Buch lesen: «Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band»

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Capitel 1
Von Hopfgartens Abenteuer

Fortsetzung

Ehe Hopfgarten das Haus erreichte, mußte er noch über ein Stück frischgepflügten und aufgeweichten Feldes, in dem er beinah stecken blieb. Dabei lag das kleine Gebäude vor ihm, so still und versteckt unter ein paar hohen düsteren Bäumen, und das Licht, oder Kaminfeuer vielleicht, funkelte so matt und todt zwischen den Spalten der Hütte durch, daß unser Freund, schon ganz in der Nähe des Hauses angelangt, an dem ihn nicht einmal das Knurren eines Hundes begrüßte, unwillkürlich stehen blieb, und nach seinen Pistolen griff, die er hinten in der Rocktasche trug, und von deren Vorhandensein er sich wenigstens überzeugen wollte. Aber lieber Gott, die Rocktasche war vollständig durchgeweicht – das Wasser lief ihm in die Hand als er daran griff, und an ein Losgehn der Waffen, hätte er sie wirklich gebraucht, war kaum zu denken. Aber Zögern half ihm auch Nichts; er war einmal entschlossen hier zu übernachten, und hatte sich bis zum Hause durchgearbeitet, also galt es auch jetzt das einmal Begonnene auszuführen. So seine wollene Decke, die er so gut das gehn wollte als Mantel gebraucht, von dem rechten Arm zurückwerfend, denselben frei zu bekommen, überkletterte er jetzt die Fenz noch einmal, nächst zum Hause, durchschritt den kleinen offenen Hofraum, der beide von einander trennte, und klopfte im nächsten Augenblick an die niedere Thür.

Es blieb todtenstill im Haus – nur war es ihm als ob er das dumpfe Knurren eines großen Hundes höre, das einem fernen Donner nicht unähnlich klang – er horchte eine halbe Minute etwa, und als dann noch Alles ruhig blieb, klopfte er wieder, und zwar stärker als das erste Mal.

Ein Hund schlug jetzt drinnen mit lauter Stimme an, und er hörte gleich darauf zu seiner großen Genugthuung Schritte, die sich der Thüre näherten und davor stehen blieben.

»Wer ist draußen?« fragte eine, wie es dem Fremden fast schien, vorsichtig gedämpfte Mannesstimme in schlechtem, vielleicht jüdischem Englisch – »Bist Du's Benjamin?«

»Ein Fremder ist's« rief aber der Deutsche, durch etwaiges Zögern den Mann da drinnen nicht vielleicht unnöthiger Weise mistrauisch zu machen – »ein Passagier der hier vorbeigehenden Postkutsche, die ein Rad zerbrochen hat und nicht mehr fortkann, und der nur für die Nacht Unterkommen zu finden wünscht – nur Schutz gegen das furchtbare Wetter draußen.«

»Seid Ihr allein?« frug die Stimme wieder – »ruhig Nero, ruhig mein Hund – was hast Du zu knurren, wenn ich Dir Nichts sage?«

»Ganz allein, aber naß wie eine Katze.«

»Wär' ein Kunststück heute trocken zu bleiben,« sagte die Stimme wieder, während oben und unten von der Thüre Riegel zurückgeschoben wurden, und diese sich dann langsam und vorsichtig öffnete. »Kommt herein,« sagte dabei der Mann – »der Hund thut Nichts, wenn ich bei Euch bin – braucht ihn nicht zu fürchten – Gott der Gerechte, ist das ein Wetter draußen – kommt zum Feuer und trocknet Euch.«

Er ging dem Fremden voran zum Kamin, störte die fast ausgebrannten Kohlen wieder auf, und warf ein paar frische Stücken Holz darauf, die Flamme heller auflodern zu machen. Von der Seite warf er dabei manchen verstohlenen Blick nach dem späten Gast, dessen Gesicht er in der Dunkelheit der Hütte bis jetzt noch nicht hatte erkennen können, und als das Feuer brannte, drehte er sich nach ihm um, bat ihn auf dem einzigen Stuhl, der am Kamin stand, Platz zu nehmen, und ging dann zu dem Reisesack, den er aufhob, einen Augenblick wie in der Hand wog, und dann ebenfalls zum Kamin trug, damit er, wie er meinte, trocken würde.

»Ihr werdet auch noch hungrig sein,« sagte er dabei, »Gottes Wunder ist das ein Vergnügen in solcher Nacht, mit solchem Fuhrwerk auf der Landstraße zu liegen, für solchen feinen und wahrscheinlich auch reichen Herrn; aber ich bring Euch gleich etwas zu essen.«

Hieran verhinderte ihn aber Hopfgarten; nur wenn er vielleicht ein Stück trocken Brod und einen Schluck Brandy hätte, möchte er ihn darum bitten; das sei vollkommen genug bis morgen früh, und er bedürfe nach der gehabten ungewohnten Anstrengung mehr der Ruhe, als irgend einer Nahrung.

Der Mann (und der Indiana-Farmer hatte ganz recht, es war jedenfalls ein Jude seinem ganzen Aussehn und Wesen nach), ging jetzt daran den Tisch, der mitten in der Hütte stand, für seinen Gast herzurichten; von einem an der Wand befestigten Bret nahm er ein kleines altes Stück Wachstuch, das er mit dem Ellbogen von alten Fettflecken oder Staub reinigte, breitete es dann auf den Tisch, legte einen halben Laib Waizenbrod daneben, nahm ein Messer aus der Schieblade, das er in das Brod hineinstieß, und ging dann zu einem kleinen Eckschrank, aus dem er eine grüne bauchige Flasche und und ein großes Glas herausholte. Hierauf füllte er einen kleinen eisernen Kessel mit Wasser, stellte ihn auf die Kohlen, und verließ auf kurze Zeit das Haus.

Hopfgarten behielt indessen Zeit sich in der niederen räucherigen Hütte etwas mehr umzuschauen, in der es ihm, er wußte eigentlich selber nicht weshalb, noch gar nicht so recht behaglich werden wollte. Wie unwillkürlich lief ihm dabei ein Schauer über den Leib – das mußte die Nässe und Kälte sein, die das Feuer aus ihm heraustrieb – und er sah sich wie scheu in dem engen Raum um, ja bereute fast in solcher Nacht ein solches Gebäu leichtsinnig betreten zu haben.

Und was für ein mächtiger Hund das war, der unfern des Kamins lag, und ihn mit den kleinen tückischen Augen so still und aufmerksam anstarrte; wie er den breiten schweren Kopf so klug und lauernd auf seinen Tatzen liegen hatte, und keinen Blick dabei von dem Fremden wandte, mit dem er noch keineswegs wußte woran er war. Die Augen des Hundes hatten ordentlich etwas Unheimliches. Und wie schwarz geräuchert die Mauern aussahen, glänzend von Fett und Ruß, und mit kleinen Schränken und Kasten ringsum die dunkle Wand umstellt, bis dort – Hopfgarten konnte einen leisen Schrei der Überraschung kaum unterdrücken, als sein Blick in diesem Moment auf die Gestalt einer alten, Mumienartigen Frau fiel, die sich aus der dunklen Ecke, in der sie gesessen und möglicher Weise geschlafen, langsam und hoch aufrichtete, und auf ihn zu, zum Feuer kam.

Es war der Typus des Häßlichen, Abscheulichen, dieß alte Weib mit den ihr wirr über die Stirn und Schläfe hängenden eisgrauen Haaren, den eingefallenen Wangen, hohlliegenden stieren Augen, und dem nackten braunen, runzeligen Hals, den Körper in einen alten Mantel fröstelnd eingehüllt, und die dürren knochigen Hände gegen das Feuer vorgestreckt.

Einen so wohlthuenden, beruhigenden Eindruck das Bild einer freundlichen Matrone auf uns macht, die über die Stürme des Lebens hinaus, mit klarer Ruhe im Blick den Frieden ihres Herzens wiederspiegelt, mag sie in einer Tracht dann auftreten wie sie will, so zurückstoßend wirkt die Gestalt einer alten Frau in Schmutz und Lumpen auch auf uns, deren Scheitel die Jahre gebleicht, und Nichts von der Ruhe, nichts von dem Frieden darauf zurückgelassen haben, die dem Alter gehören.

Hopfgarten trat unwillkürlich einen Schritt zurück, der Alten Raum zu geben, aber wie er sich nur regte, und Miene machte das Kamin zu verlassen, knurrte der Hund, und als er sich etwas erschreckt nach diesem umwandte, leuchteten ihm dessen kleine Augen so drohend, so zornfunkelnd entgegen, daß er regungslos auf seinem Platze stehen blieb, die Bestie nicht unnöthiger Weise böse zu machen.

»Schöne Situation das« murmelte er dabei vor sich hin – »sitze hier drin wie die Rose zwischen den Dornen; hm hm hm Hopfgarten, ich glaube Du bist da in eins von Deinen ersehnten Abenteuern hineingerathen – wenn sie nur nicht gleich mit dem letzten anfangen.«

Die Frau, die sich jetzt dicht zu dem hellauflodernden Feuer gedrängt hatte, und die zitternden, ausgespreizten Finger darüber hielt, drehte den von der Flamme zurückgebogenen Kopf nach ihm um, sah ihm eine Weile stier in die Augen, und flüsterte dann, wie es ihm vorkam einige ängstlich rasche Worte, aber in einer Sprache von der er keine Sylbe verstand.

»Jetzt werd' ichs bereuen können, daß ich das Hebräische in meiner Jugend vernachlässigt habe« dachte Hopfgarten und sah die Alte dabei überrascht und neugierig an, aus ihren Blicken vielleicht zu errathen was sie meine. Wieder flüsterte die ihm, scheu dabei den Kopf nach der Thür werfend, etwas zu, und deutete dabei zugleich nach dem Tisch hinüber.

»Ja, ich begreife aber nicht – «

»Bst,« sagte die Alte rasch und bestürzt, und hob warnend den Finger; in dem Augenblick aber ging die Thür wieder auf, und der zurückkehrende Mann sah kaum die Alte am Feuer, neben seinem Gast, als er auf sie zuging und ihr mit barscher Stimme einige Worte in derselben fremden Sprache zurief. Die Frau kroch scheu in sich zusammen, wickelte den alten Mantel fester um sich her, und glitt auf ihr Lager, das in der dunklen Ecke nächst dem Kamine gemacht schien, zurück. Der Mann aber sagte freundlich zu dem Fremden:

»Kehrt Euch nicht an die Alte; sie ist still und gutmüthig, nur hier,« setzte er leiser, mit dem Finger auf die eigene Stirn deutend hinzu, »nicht ganz richtig. Wenn wir allein sind laß ich sie ruhig gehn, nur wenn Fremde zu mir kommen, was freilich selten genug geschieht, muß sie in ihrer Ecke bleiben und darf mir sie nicht stören. Aber hier,« setzte er lauter hinzu, »ist wenigstens ein Imbiß für Euch. Da ist ein Stück Brod und Käse, den ich neulich von Vincennes mitgebracht, und ein guter Brandy, der Euch wahrscheinlich mehr noth thut als alles Andere; das Wasser wird auch jetzt heiß sein – ja es kocht sogar schon – und ich mach' Euch indessen einen Grog zurecht. Setzt Euch nur zum Tisch und langt zu.«

Hopfgarten war wirklich durch die ungewohnte Anstrengung nicht allein flau geworden, sondern hatte sogar eine Art Heißhunger bekommen, dem er etwas bieten mußte. Nur der Hund war ihm im Wege, der ihn noch immer lauernd und tückisch anschaute. Was that überhaupt der Köter hier im Haus?

»Der Hund thut Euch Nichts,« sagte der Alte ruhig, »er ist nur Fremde nicht gewohnt.«

»Wenn ich mich aber gerührt hätte, wie Ihr draußen wart, wär' er mir auf den Leib gesprungen,« sagte Hopfgarten mürrisch.

»S' ist ein alter Hund,« lächelte der Alte, »und hat keinen Zahn mehr im Maul, thut auch nur manchmal so als ob er böse wäre. Die Zeiten sind vorbei wo er Leute gebissen hat, und Ihr könnt zu ihm gehn und ihn streicheln, er wird es sich ruhig gefallen lassen.«

Hierzu bezeigte der Deutsche übrigens keine rechte Lust, folgte aber der wiederholten Einladung, am Tische Platz zu nehmen, und schnitt sich ein tüchtiges Stück Brod und Käse ab, während der alte Jude mit dem Glas zum Feuer niederkauerte, aus einem Papier etwas hineinschüttete, und dann Wasser darauf goß.

»So,« sagte er, als er es zum Tisch zurückbrachte und es dem Gast vorsetzte, »nun thut Euch selber so viel Brandy zu als Ihr mögt, macht den Grog aber ein wenig scharf, es wird Eueren Gliedern wohl thun, und böse Folgen von solchem Nachtmarsch abhalten.«

»Was habt Ihr da im Glase, Freund?« sagte Hopfgarten, dieses gegen den Schein des Feuers haltend.

»Zucker und Wasser – der Zucker ist gut, und nimmt dem Brandy die Schärfe.«

»Ich trinke nicht gern Zucker,« sagte der Deutsche, den ein eigens wunderliches Mistrauen beschlich, »wenn es Euch recht ist, misch ich mir den Trank selber.«

»Nicht gern Zucker? – ist es doch das Beste dran,« sagte der Alte, »kostet's nur erst, es wird Euch schon schmecken.«

Hopfgarten beharrte übrigens darauf, den Satz fortzugießen, und stand dann selber auf, schwenkte das Glas mit heißem Wasser aus, füllte von diesem wieder ein, und goß sich dann Brandy aus der Flasche zu.

»Mehr, Freund, mehr,« mahnte ihn der Alte, »das ist nicht halb genug, und nähme Euch nicht einmal das Frösteln vom Leib – noch mehr – lieber Gott, meine Alte da trinkt stärkeren Grog, wenn ich's ihr gebe.«

»Ich danke, ich danke,« rief aber Hopfgarten, die Flasche abwehrend, aus der ihm der Alte, als er sie hingestellt, noch selber anfing nachzugießen; »ich bin starke Getränke nicht gewohnt, und bekomme danach am andern Morgen Kopfschmerzen.«

»Für morgen steh' ich Euch,« lachte der Alte in sich hinein, »der Brandy ist vortrefflich und macht Niemandem Kopfschmerzen.«

Den Deutschen überlief es wirklich jetzt mit einem eigenen unbehaglichen Frösteln, das er freilich immer noch den nassen Kleidern zuschrieb, der Brandy schmeckte aber gut, und nach kurzer Prüfung und mit einem raschen Entschluß trank er den Inhalt auf einen Zug hinab – ha wie das brannte.

»Aber nun legt Euch auch schlafen,« mahnte der Alte, während er Brod und Brandy wieder vom Tisch abräumte, und an seine Stelle brachte, »es ist spät in der Nacht, und auf den Trunk werdet Ihr, trotz des harten Lagers das ich Euch bieten kann, gut ruhen. Hier am Feuer wird der beste Platz für Euch sein; ehe wir uns hinlegen werf ich dann noch ein paar Stücken auf, und bis die niedergebrannt sind liegt Ihr ohnedieß warm. Die Nächte werden jetzt schon recht frisch, ja kalt.«

Hopfgarten, froh endlich seine todtmüden Glieder einmal wieder ausstrecken zu können, legte seinen Reisesack, der am Feuer indeß schon etwas abgetrocknet war, so hin, daß er ihn zum Kopfkissen gebrauchen konnte, und der Alte hatte ihm eine wollene Decke und ein Schaaffell zum Lager gebracht, wobei er bedauerte ihm nicht mehr Bettzeug bieten zu können, da er selber seit gestern noch Besuch bekommen. »Aber ich bring' Euch noch 'was die Füße warm zu halten,« setzte er hinzu, »das ist die Hauptsache, und gegen Morgen werdet Ihr schon fühlen wie wohl das thut.« Er nahm dabei einen alten leinenen Sack, der hinter dem Stuhl am Feuer gelegen und, wie es Hopfgarten vorkam, eine Menge dunkler Flecken trug, ihn dann aber zu den Füßen des sich eben auf seinem etwas harten Lager behaglich ausstreckenden Gastes öffnend, forderte er diesen auf dahinein seine Füße zu stecken.

»Dahinein in den Sack?« – rief Hopfgarten erstaunt – »weshalb?«

»Ihr sollt einmal sehn wie warm Euch das die Füße hält.«

»Ich will ihn lieber darüber decken; das ist eben so gut.«

»Nicht halb so gut, nicht um hundert Procent,« rief der Alte, und versuchte den Mund des geöffneten Sacks selber um die Füße zu bringen, die Hopfgarten aber zurückzog, und sich jetzt auf das Entschiedenste weigerte der Aufforderung Folge zu leisten. Es war ihm ein gar so unheimliches Gefühl seine Füße in einem Sack zu wissen, dessen er sich in der Dunkelheit, wenn er hätte rasch aufspringen wollen, gar nicht so schnell entledigen konnte.

Auch das Drängen des finster aussehenden Mannes beunruhigte ihn – was zum Henker, lag dem Burschen so sehr daran, seine Füße in den engen Sack hinein zu bekommen? – Wie der Jude übrigens sah daß sein Gast sich dem Verlangen unter keiner Bedingung fügen wollte, ließ er nach mit Drängen, und legte ihm nur den Sack noch auf die Füße drauf, schürte das Feuer, sah nach der Thür und ging dann nicht etwa selber zu Bett, sondern setzte sich am Kamin in den niederen Rohrstuhl, legte das eine Bein über das andere und faltete die Hände um das rechte, aufgehobene Knie und starrte nachdenkend in die Flamme.

Hopfgarten schloß die Augen und versuchte zu schlafen, aber – es ging nicht; das Feuer brannte nach und nach nieder und er konnte die noch immer am Kamin sitzende Gestalt nicht mehr ordentlich erkennen, aber er fühlte daß ihre Blicke auf ihm hafteten, und daß jede seiner Bewegungen, daß jeder Athemzug beobachtet, belauscht wurde – weshalb? – Er lag noch eine halbe Stunde, und es wurde ihm sonderbar unbehaglich zu Muthe – und der Geschmack den er dabei im Munde hatte – der mußte von dem Brandy herrühren – wie eigenthümlich metallisch das schmeckte – und im Kopf fing es ihm an zu drehen und zu arbeiten – wie schwer und bleiern seine Augenlider wurden. Er fühlte noch einmal neben sich, wo seine Pistolen lagen, aber er hatte selber kein Vertrauen zu ihnen – sie waren naß geworden und hätten jedenfalls versagt. Wenn er sie nur vorher in Stand gesetzt – er hatte kein Mistrauen zeigen wollen und würde jetzt doch Gott weiß was darum gegeben haben, nicht so überrücksichtsvoll gewesen zu sein.

Und was hinderte ihn daran selbst jetzt noch aufzuspringen und das Versäumte nachzuholen? dem Gerüsteten, mit der Waffe Versehenen würde der Mann, was auch sonst seine Absicht gewesen, nicht gewagt haben entgegen zu treten. Er wollte aufstehn, aber er vermochte es nicht mehr – die Glieder versagten ihm den Dienst, über seine Augen legte es sich wie ein Schleier und er fühlte wie sich der Schlaf – ein gewaltsamer, nicht zurückzudrängender Schlaf – seiner bemächtigte.

Wie lange er sich in einem solchen Halbtraum befand wußte er nicht, wohl aber daß er gegen diese unnatürliche Ruhe mit allen Kräften seiner Seele ankämpfte, und ihr doch am Ende erlegen wäre, wenn nicht, vielleicht gerade zur rechten Zeit, ein Geräusch von außen, ihm geholfen hätte sie zu bewältigen.

Der Jude, der im Stuhl am Feuer saß, regte sich leise und geräuschlos nur, es ist wahr, aber er bewegte sich doch, hob sich langsam empor, und stand jetzt, das Gesicht noch immer dem Fremden zugewandt, mit dem Rücken nach den kaum noch glimmenden Kohlen hin, vor dem Kamin. Wieder schloß Hopfgarten die Augen, und suchte das fatale Bild, das ihm die dunkle Gestalt heraufbeschwor, von sich zu schütteln, als er die leisen, schleichenden Schritte des Mannes auf dem Boden fühlte – fühlte wie er sich ihm mehr und mehr näherte – und als er die Augen nur halb und vorsichtig öffnete, dem dunklen Gesellen nicht zu verrathen daß er wache, sah er wie dieser, nur wenige Schritte von seinem Lager entfernt, mit halb vorgebeugtem Oberkörper lauschend stand, und jedenfalls auf seine Athemzüge horchte.

Was hatte er im Sinn – was wollte er von ihm? – sollte er aufspringen, und dem Mann, falls er zum Angriff auf ihn fertig stand, im Einzelkampf begegnen? – aber der Hund dann, der noch immer im Zimmer lag. Und hatte der Jude auch wirklich eine feindselige Absicht gegen ihn? – war es nicht vielleicht Zufall – Sorge selbst um seinen Schlaf, die ihn an des Fremden Lager führte. Hopfgarten beschloß das zu ergründen, selbst auf die Gefahr hin den Burschen muthwilliger Weise zu einem Angriff auf sich zu treiben; er war auch kräftig, und noch in den besten Jahren, und trug der finstere Gesell da Böses gegen ihn im Schilde, ei so mochte er auch auf einen Widerstand gefaßt sein, den er sich vielleicht nicht so warm gedacht oder für möglich gehalten. So also den Mann glauben zu machen daß er wirklich sanft und fest eingeschlafen sei, damit er endlich einmal mit seinen Absichten herauskäme, fing er an laut und regelmäßig zu athmen, und blinzte jetzt nur unter den halb geschlossenen Wimpern nach ihm hinüber.

Der Jude blieb indessen noch eine Weile, halb nach ihm hingebeugt, stehn, als ob er sich erst selber von der Wahrheit dieses scheinbaren Schlafes überzeugen wolle; dann aber, als ihm jeder Zweifel genommen sein mochte, schlich er wieder leise zum Kamin zurück, warf einen Spahn auf die jetzt nur matt glimmenden Kohlen, der bald zu einer kleinen aber hell knisternden Flamme aufloderte, ging dann in die entgegengesetzte Ecke der Hütte, wo Geschirr und andere Sachen standen, und nahm dort – Hopfgarten fühlte wie ihm das Blut einen Augenblick in den Adern stockte, und dann eiseskalt den Rücken hinabrieselte – ein langes blitzendes Messer von der Wand, dessen Schneide er flüchtig mit dem Daumen prüfte, während sein Auge die Entfernung zwischen sich und seinem Opfer abzumessen schien.

Hopfgarten war nichts weniger als feige, ein gewisser kecker Muth – selbst wenn wir ihn Übermuth nennen wollten – hatte ihn sogar das Erleben gefährlicher Abenteuer herbeiwünschen, wenn auch nicht aufsuchen lassen, denn daß er den Mississippi auf dessen Dampfbooten nur befuhr um mit einem platzenden Kessel in die Luft zu fliegen, war jedenfalls mehr eine unschuldige Prahlerei als wirklicher Ernst gewesen; hier aber fühlte er doch wie er der jedenfalls berechneten Bosheit eines solchen Räubers gegenüber in eine Falle gegangen sei, aus der ein Entkommen, wenn nicht unmöglich, doch unwahrscheinlich war. Nichts destoweniger beschloß er sein Leben so theuer als möglich zu verkaufen. Er wußte wie wenig er sich auf seine Pistolen verlassen konnte, deren Versagen ihn ganz in die Hand des Mörders gegeben hätte, griff deßhalb rasch, und so wenig als möglich die Decke über sich bewegend, den Angriff des Feindes nicht zu beschleunigen, in seine Tasche, nahm dort den Genickfänger (sein Bowiemesser hatte er im Koffer zurückgelassen) vor, klappte ihn leise und geräuschlos auf und in die Feder, und den linken Arm dann über die Brust ziehend, einen erst dorthin geführten Stoß rasch pariren zu können, hielt er das kleine aber haarscharfe Messer, das doch wenigstens eine fünf Zoll lange Klinge führte, fest in der Faust, und erwartete mit zusammengebissenen Zähnen aber fester Entschlossenheit den Angriff.

Sein Herz schlug dabei so laut und heftig daß er zu fürchten anfing die kleine lauernde Gestalt des Juden müsse das hören, wie er aber diesen jetzt langsam, mit vorsichtig zurückgezogenem Stahl gegen sich anschleichen sah, ja den Fuß des Mörders schon an dem seinen fühlte, als sich dieser über ihn hinbog, und mit dem linken, ausgestreckten Arm nach der Wand fühlte, sich jedenfalls dort zu stützen und seinem Stoß mehr Sicherheit zu geben, war auch fast jede Angst, die ihn bis dahin wohl noch bedrückt, verschwunden.

Es ist eine allbekannte und oft geprüfte Wahrheit, daß eine Gefahr wirklich nur so lange existirt als sie droht, und die Hälfte, ja mehr ihrer Schrecken verloren hat, wenn sie, selbst mit voller, ungeschwächter Kraft, über uns hereinbricht.

Nur der Schiffer auf leckem Fahrzeug ringt verzweifelnd die Hände und sinkt in die Knie, oder starrt in dumpfem Schweigen rath- und thatlos hinaus auf die ihn umtobende See – der Schiffbrüchige, dem das Meer schon sein Fahrzeug zertrümmert, während die Wogen mit den zerrissenen Planken spielen, sucht sich schwimmend, und mit zum Äußersten entschlossenen Arm die Wogen theilend, treibende Bruchstücke seines Schiffs zusammen, baut sich, mit der Fluth dabei kämpfend, ein kleines Floß, und schwimmt dann keck und trotzig auf dem weiten Meer umher, von der stürmischen See an die Küste geworfen, oder von einem zufällig in Sicht kommenden Schiff aufgelesen und gerettet zu werden.

So war es mit Hopfgarten; wie auch ängstliche Gefühle, er mochte dagegen ankämpfen wie er wollte, ihm die Brust beengten, als er die jetzt vor ihm aufsteigende Gefahr näher und näher rücken fühlte, so schwand jeder andere Gedanke in seiner Brust als er den Stahl darauf gezückt wußte, und nur der einzige, der der Selbstvertheidigung, lebte noch in ihm. Der erste Stoß wurde jedenfalls nach seinem Herz geführt, aber der rasch aufschlagende Arm mit der wollenen Decke, die ihm allein schon Schutz gewährte, konnte den leicht zur Seite werfen und unschädlich machen; die aufwärts gehaltene eigene Klinge hatte er dann im Nu auch selbst befreit, und dem bübischen Verräther ein- oder zweimal in die Rippen gestoßen, ehe dieser im Stande war sich von dem ersten Schreck zu erholen, oder gar den Hund hätte rufen können. Den weit schwächeren Mann konnte er dann schon leicht bewältigen, und die Bestie – ei zum Teufel, wenn er erst auf den Füßen stand wollte er sich die wohl auch vom Leibe halten.

Aber was zögerte der Alte so lang? – den linken Fuß hatte er vorgesetzt – den linken Arm gegen die Wand gestemmt, und ganz über ihn gebeugt hob er noch immer nicht den rechten Arm zum Stoß – wagte er es nicht? – Hopfgarten biß die Zähne fester und trotziger aufeinander, und sehnte sich jetzt fast nach dem Augenblick, der ihn zu eigenem Handeln rufen würde, als sich der dunkle Körper des Juden wieder zurückbog – die Hand mit dem Messer hob sich nicht, und der Mann, auch die linke jetzt wieder zurückziehend, hielt in der rechten – Hopfgarten wußte nicht ob er wache oder träume – dasselbe Brod, das er ihm vorher schon hingelegt – trat wieder zum Kamin, schnitt sich mit dem langen furchtbaren Messer ein großes Stück ab, legte das übrige indessen auf den Kaminsims, warf noch einige Kienspähne auf die Gluth, daß sie hoch aufloderten und ein helles Licht im Gemach verbreiteten, und fing dann – keinen Blick mehr nach dem Fremden hinüberwerfend – ruhig an zu essen.

Hopfgarten holte tief Athem – es war als ob ihm ein großer Stein von der Brust fortgewälzt worden, und wie im Traum doch lag er eine ganze Weile, noch nicht im Stande, dieß völlige Gefühl der Sicherheit von der Gefahr so ganz zu trennen, in der er sich vor wenigen Secunden ja geglaubt. Aber jetzt schämte er sich vor dem Manne, der ihn so gastfrei aufgenommen und dem er, wenn auch nur noch erst in Gedanken, doch so schwarzes Unrecht angethan – ja er hätte jetzt lieber aufspringen und ihm frei und offen die Wahrheit bekennen, wie ihn um Verzeihung bitten mögen – und wäre dann ausgelacht worden. – Nein das ging nicht an; aber einen Beweis wollte er sich selber geben daß er einsähe wie Unrecht er gehabt – sich selber gegenüber etwas thun, das seinem in so schändlichen Verdacht gehaltenen Wirth dem eigenen Gewissen gegenüber sein Unrecht eingestand. Zuerst klappte er das Messer also ganz leise wieder zu und schob es in die Tasche zurück, und dann, wie aus tiefem Schlaf erwachend – diese kleine Täuschung konnte er sich nicht versagen – richtete er sich empor, warf die Decke zurück, nahm den Sack, öffnete ihn und schob seine Füße, so weit er sie bringen konnte, hinein.

»Aha?« sagte sein Wirth, der, als er das Geräusch hörte, langsam den Kopf nach ihm wandte, »hatt' ich recht? – die Füße fangen Einem gewöhnlich Nachts an zu frieren, wenn sie den Tag über naß waren; der Sack wird sie schon warm halten.«

»Ich denke auch – es ist doch wohl so besser,« sagte Hopfgarten beschämt, warf sich dann wieder zurück auf sein eben nicht besonders weiches Kopfkissen, zog die Decke bis zum Kinn hinauf, und war in wenigen Minuten sanft und süß eingeschlafen.

Als er am anderen Morgen erwachte stand die Sonne schon hoch am Himmel, und auf dem Tische dampfte ein delikat duftendes Frühstück, während ein ihm ganz gut bekanntes Gesicht, das einem wunderhübschen jungen Mädchen gehörte, in dem gestern Abend ihm so wüst und öde vorgekommenen Hause schaffte und ordnete.

»Ja wie ist mir denn?« sagte er, sich auf seinem Lager in die Höhe richtend und sich die Augen reibend, »sind Sie denn nicht – «

»Wahrhaftig Herr von Hopfgarten!« rief das junge Mädchen in deutscher Sprache überrascht aus, als sie ihm in's Gesicht sah, und ihn erkannte, »aber wie kommen Sie hier her – «

»Ja aber ich weiß immer noch nicht?« —

»Sie kennen mich nicht mehr?« lächelte die Kleine, »ich bin Rebecca Rechheimer, aus dem Zwischendeck der Haidschnucke, und der alte Mann ist mein Onkel, dem wir unsere Ankunft meldeten, und der mich hat zu sich kommen lassen ihm die Wirthschaft zu führen. Erst gestern Abend hat mich sein Sohn von Vincennes, wohin ich von New-Orleans aus mit dem Dampfboot gefahren bin, hierher gebracht; aber ich hatte keine Ahnung daß der Fremde, der noch so spät in der Nacht gekommen, ein so guter Bekannter wäre.«

Der alte Mann, mit dem seine Nichte nur Deutsch sprach, und der es auch verstand und ihr gebrochen darauf antwortete – er lebte seit zwanzig Jahren zwischen Amerikanern – kam jetzt auch herbei und begrüßte seinen Gast freundlich. – Hopfgarten hatte kaum das Herz ihm in's Auge zu sehn – er mußte sich dann mit zum Frühstück niedersetzen, an dem der Sohn des Alten, ein junger hübscher Bursche von vielleicht vierundzwanzig Jahren, ebenfalls Theil nahm, und erfuhr nun daß dieser auf seinem kleinen Krämerwagen noch heute Morgen nach Vincennes zurückfahre, wohin ihm, wenn er das wünsche, mit Vergnügen ein Platz zu Diensten stehe. Hopfgarten nahm das mit Freuden an und konnte dann in Vincennes die nächste Cincinnati Post erwarten, seine Reise durch die Prairieen von Illinois nach St. Louis hin mit mehr Bequemlichkeit fortzusetzen.

Als der kleine Wagen endlich vorfuhr verlangte Hopfgarten zu wissen was er schuldig sei, der Alte war aber unter keiner Bedingung zu bewegen auch nur einen rothen Cent für Mahl oder Nachtlager anzunehmen – Beides sei spärlich genug gewesen, meinte er, und Hopfgarten lag jetzt das Bekenntniß seines schändlichen Mistrauens wieder auf der Zunge – aber er schluckte es nochmals hinunter, und dankte nur mit herzlichem Händedruck dem alten, bei Tag gar nicht so übel aussehenden Burschen.

Gerade als sie abfahren wollten kroch die alte Frau aus ihrem Winkel vor, und nickte ihnen freundlich aber mit etwas stumpfsinnigem Lächeln nach, und Rebecca stand in der Thür und winkte ihnen ein Lebewohl und eine glückliche Fahrt durch den Wald zu.

Der Weg war grundschlecht, bei hellem Tag konnten sie jedoch die schlimmsten Plätze leicht umgehn. Noch waren sie übrigens keine fünf Miles gefahren, und eben erst in Sicht des nächsten Gasthauses, das die Postpassagiere am letzten Abend erreichen wollten, als sie den zusammengebrochenen Postwagen mitten in der Straße liegen fanden, und Hopfgarten dankte seinem Gott die Gastfreundschaft des alten Juden in Anspruch genommen zu haben; er hatte es nicht bereut.

Ob sie gleich auf dem jetzt weit besser werdenden Wege sehr scharf gefahren, erreichten sie doch erst ziemlich spät in der Nacht das, schon am Rand der Prairie, wenn auch noch östlich vom Wabasch gelegene Vincennes, wo der junge Mann seinen Begleiter einlud bei ihm abzusteigen, und so lange bei ihm zu bleiben als es ihm gefiele. Der Reisende lehnte das aber freundlich dankend ab; er wollte die Gastfreundschaft der Leute nicht misbrauchen, wo er ein gutes, oder doch wenigstens ein mittelmäßiges Wirthshaus haben konnte, noch dazu da er die Sitten und Gebräuche der Amerikaner hier ganz im Inneren des Landes jedenfalls in einem Hotel besser zu beobachten im Stande war, als in dem Privathaus eines Landsmanns.

Im Wabasch Hotel, wohin ihn der junge Mann daher, als dem besten der Stadt, jetzt fuhr, war noch Licht; wie aber der Wagen vor der Thür hielt, kamen nicht etwa geschäftige Kellner gesprungen dem Fremden sein Gepäck abzunehmen, und ihm die Bequemlichkeiten anzuweisen deren er bedurfte oder die er verlangte, und für die er Willens war zu bezahlen. Niemand bekümmerte sich um ihn, und er durfte seinen Reisesack und seine Decke selber in die Hand nehmen und damit in das bar- oder Schenkzimmer kommen, wo ein schläfriger Bursche, mit einem halbgefüllten Glas Brandy hinter der Bar stand, und eben zu überlegen schien ob er das für sich eingeschenkte Glas auch austrinken, oder vielleicht wieder in die Flasche zurückschütten solle. Als der Fremde übrigens auf ihn zukam, entschloß er sich doch zu dem ersteren, und hob das Glas.

Altersbeschränkung:
12+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
28 September 2017
Umfang:
250 S. 1 Illustration
Rechteinhaber:
Public Domain
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