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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band

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Aber auch Clara selber mußte handeln um sich aus dieser Lage, in der sie nun doch einmal nicht bleiben konnte, zu befreien. In ihrem unschuldigen Herzen hatte sie dabei keine Ahnung von der ausgedehnten Niederträchtigkeit des Mannes, in dessen Hand sie am Altar die ihre gelegt; noch war ihr nicht einmal der Gedanke aufgestiegen, daß auch sein ganzer ihr erzählter Lebenslauf, daß seine Familie ein Märchen, und er so wenig mit dem reichen Kaufmann Henkel verwandt als dessen Sohn und Compagnon sei; ja trotz alle den Beweisen, die sie gegen ihn hatte, trotzdem, daß er sie selbst beraubt und ihr sogar das genommen, was sie wenigstens jetzt in den Stand gesetzt hätte nach Europa zurückzukehren, fürchtete sie seine Wiederkehr, fürchtete, daß sie von seiner Familie aufgesucht und zurückgefordert werden könne und wagte nicht, selbst als sie sich erholt, die Schwelle des Hauses zu überschreiten, daß ihre Spur hierher nicht aufgefunden würde.

Auch einen langen Kampf kostete es sie, nach Haus zu schreiben, dem Vater zu gestehen, was geschehn – wie elend sie geworden. Großer Gott, ihre armen Eltern; was mußten sie leiden, wenn sie des Kindes Schicksal, das sie in Glück und Wonne glaubten, erführen, und die Mishandelte zu Hause holen sollten, wo sie die junge reiche Frau in Wohlleben schwelgend dachten. Aber was blieb ihr anders übrig, als ein solcher Schritt, denn wie sie im Anfang entschlossen gewesen, gleich mit dem nächsten Schiff die Heimfahrt anzutreten, hatte ihre Krankheit sie daran verhindert, und als das wenige Geld für Arzt und Kost darauf gegangen, blieb nicht genug Passage zu bezahlen. Auch hätte sie nicht so unvorbereitet des Vaters Haus betreten mögen – oh ihr schauderte selbst jetzt vor dem Schritt. – Und wie die Nachbarinnen flüstern und lachen würden über die »heimgeschickte reiche Amerikanerin«; wie sie ihr erst das vermeintliche Glück misgönnt, so war ihr jetzt ihr Spott und Hohn gewiß.

Sie schrieb den Brief – mußte sie nicht auch des armen Loßenwerders Ehre retten, der an der Kirchhofsmauer verachtet und ungerecht verdächtigt schlief? lieber Gott, es war das Wenigste was sie thun konnte, den Schatten des moralisch und physisch Gemordeten zu versöhnen. Daß ihr Vater dann weiter auch für die Schwester sorgen würde, die mit dem Bruder ja die einzige Stütze verloren hatte in der weiten Welt, konnte sie ruhig dem guten treuen Herzen desselben überlassen.

Das Geld, das er ihr schicken würde, die Heimfahrt für sich und Hedwig zu bestreiten, hatte sie ihn gebeten, unter Hedwigs Namen, poste restante, nach New-Orleans zu adressiren; die Zeit war aber noch zu kurz, schon Antwort zu erwarten, die, ihrer Berechnung nach, erst etwa in zwei bis drei Wochen eintreffen konnte.

Es mochte elf Uhr Morgens sein, und Hedwig war in dem großen Speisezimmer des »deutschen Vaterlands« ruhig beschäftigt den Tisch für das Mittagsessen zu decken und herzurichten. Das Tischtuch lag schneeweiß darauf ausgebreitet, und eines der Hausmädchen hatte eben die nöthigen Teller hereingebracht und auf den Nebentisch gestellt. Diese ordnete Hedwig jetzt, mit den dazu gehörigen Messern und Gabeln, und rückte die Stühle für die erwarteten Gäste, von denen aber, der Amerikanischen Sitte nach, keiner das Zimmer betrat, ehe nicht die zweite Glocke, als Zeichen daß aufgetragen, geläutet worden.

Nur Jimmy, der Barkeeper, der im Schenkzimmer um diese Zeit gerade nichts zu thun zu haben schien, hatte sich sehr behaglich und in voller Ruhe auf einen der kleinen noch leeren Ecktische gesetzt, schlenkerte dort mit den Beinen, revidirte seine Fingergelenke, und starrte dabei mit hochheraufgezogenen Brauen und immer stierer werdenden Augen nach dem jungen Mädchen hinüber, das, seiner wenig achtend, was ihm oblag ruhig besorgte. Sie konnte den Menschen nicht leiden und es war ihr schon fatal nur in seiner Nähe zu sein; in ihrer Gutmüthigkeit mochte sie ihn aber auch nicht kränken, und war wenigstens, wo sie mit ihm unmittelbar zu thun hatte, wie gegen alle andere Menschen, freundlich und artig.

Jimmy – Niemand im Haus kannte einen weiteren Namen von ihm – hatte aber darüber andere Ansichten. Von seiner Unwiderstehlichkeit fest überzeugt, war ihm der Fleiß und das anstellige Wesen des jungen, überdieß wunderhübschen Mädchens keineswegs entgangen, und sich selber an den Punkt angelangt glaubend, wo er ebenfalls daran denken könne einen eigenen Heerd zu gründen, fing es ihm an einzuleuchten, daß er hier einen passenden Gegenstand für sein Haus – und nebenbei dann auch für sein Herz – gefunden haben möchte. Noch nie war ihm aber das Mädchen wirklich so hübsch und verlockend erschienen wie gerade heute, und indem sich über sein Gesicht ein breites, ihm eigenthümliches Schmunzeln zog, in dem das Weiße seiner Augen vollständig sichtbar wurde, sagte er plötzlich:

»Mamsell Hedwig!«

»Herr Jimmy?« antwortete das junge Mädchen, ohne von ihrer Arbeit aufzusehn, und mit dem Überwischen der einzelnen Teller noch beschäftigt.

»Verdammt gute Zeiten jetzt in New-Orleans,« sagte Jimmy.

»Gute Zeiten?« seufzte Hedwig – »lieber Gott, die armen Menschen füllen die Wirthshäuser und selbst Straßen, und können nicht Arbeit finden für sich oder die ihrigen – ich habe nie geglaubt, daß es so viel Elend in Amerika gäbe.«

»Bah, Unsinn!« sagte aber Jimmy auf seinem Sitz zurückrückend und sich einen Stuhl zwischen die Füße nehmend, mit dem er balancirte, »füllen die Wirthshäuser – das ist die Hauptsache – famose Zeiten für Boardinghäuser – waren nie besser.«

Hedwig schwieg und arbeitete ruhig weiter, Jimmy aber, dessen Gedanken jetzt eine bestimmte Bahn bekommen hatten, fuhr halb mit sich selber, halb zu dem Mädchen redend fort:

»Wenn jetzt Jemand irgendwo an einer passenden Stelle ein passendes Boarding und Lodginghaus anlegte, und Jemand die Sache aus dem Grunde verstünde – wenn Jemand gute Spirituosen, daß heißt billige, dabei hielte, und mit seinen Leuten umzuspringen wüßte – wenn Jemand dann eine passende Frau hätte, die ihm die Wirthschaft ordentlich führen, das Tisch- und Bettwesen besorgen, und den Leuten in der Küche auf die Hände sehen könnte, und Jemand wäre dann ein hübscher, passender Kerl und« – Jimmy schwieg einen Augenblick, und knackte seinen Zeigefinger zu gleicher Zeit so scharf und laut, daß es ordentlich klang als ob er ihn sich abgebrochen hätte, und selbst Hedwig, die kaum gehört was er sagte, rasch und erschreckt nach ihm umschaute. Aber sie mußte lachen, wie sie ihn ansah, denn auf dem Tisch, mit den hochgezogenen Brauen und dem klugen bedenklichen Gesicht, das er machte, indeß er, den Stuhl jetzt allein zwischen den Füßen hin und herschlenkernd, seine Finger in altgewohnter Weise mishandelte, sah der Bursche wirklich komisch aus. Das freundliche Lächeln in Hedwigs Zügen brachte aber auch in den seinigen eine merkwürdige Veränderung hervor, und seine Lippen wieder, wie er das ebenfalls zu Zeiten an sich hatte, nach vorn durch einen plötzlichen Ruck zu einer Spitze ausstoßend, schloß und öffnete er die Augen ein paar Mal, ließ den Stuhl dann zwischen seinen Füßen herausfallen, sprang vom Tisch hinunter und ging, die Hände plötzlich in beide Hosentaschen schiebend – er war, wie gewöhnlich, in Hemdsärmeln – auf Hedwig zu. Diese sah ihn allerdings etwas erstaunt sich nähern, hatte aber ihre Arbeit schon wieder aufgegriffen, die darin bestand, von dem nächsten kleinen Seitentisch dortstehende Wassergläser zu nehmen, auszuwischen und eines neben jedes Gedeck zu setzen. Sie war dabei gezwungen nach und nach um den ganzen Tisch zu gehn, und Jimmy folgte ihr dort herum, seine Unterhaltung wieder aufnehmend.

»Jemand könnte schmähliches Geld dabei verdienen, Mamsell Hedwig,« fuhr er fort, die linke Hand an ihrem Platz lassend, und mit der rechten dem jungen Mädchen eines der Gläser zum Abwischen reichend.

»Womit Herr Jimmy?«

»Nun mit einem Boarding und Lodginghaus.«

»Ja, aber warum fängt es da Jemand nicht an?« lächelte Hedwig, der doch nicht entgehen konnte, daß der junge Mann sich selber mit dem Jemand verstand, wenn sie auch noch keine Ahnung von den weiteren Consequenzen hatte. Jimmy aber, der sich mit der höchst unbegründeten Hoffnung schmeichelte, das junge Mädchen komme ihm auf halbem Wege entgegen, vergaß auf einmal das Gläserreichen, fing wieder an mit seinen Fingern zu knacken und sagte, halb bedenklich halb verschämt:

»Ja wenn Jemand wüßte, daß Jemand wollte – «

»Wollte? – was?« frug Hedwig.

»Jemandes Frau werden!« sagte Jimmy, indem er, seine halbe Werbung dabei zu illustriren, den rechten Arm um die Hüfte der eben wieder an ihm vorbeigehenden Hedwig legte.

Das junge Mädchen zuckte vor der Berührung zurück und sah den, wenn nicht frechen, doch jedenfalls höchst zuversichtlichen Burschen mit einem so ernst zurückweisenden Blicke an, daß jeder Andere an Jimmys Stelle auch jeden weiteren Versuch in Verzweiflung aufgeben haben würde. Jimmy jedoch war weit davon entfernt eine wirkliche Zurückweisung, seiner Persönlichkeit gegenüber, auch nur für möglich zu halten, und einmal so weit gegangen, glaubte er die Sache gleich, mit einem Kuß vielleicht, zu einem allerseits zufriedenstellenden Ende zu bringen. Die Gelegenheit war jedenfalls günstig, Niemand in der Nähe, und ehe Hedwig nur eine Ahnung von dem beabsichtigten Vorhaben hatte, schlang der unverschämte Gesell seinen rechten Arm um sie, drückte mit der linken Hand rasch dabei ihr Kinn empor, und wollte eben seinen dicken schwülstigen Mund auf die zarten Lippen des Mädchens pressen, als deren kleine aber kräftige und eben so schnell geballte Faust ihn dermaßen in's Gesicht traf, daß er in Schmerz und Schreck losließ und zurückfuhr, und in gleicher Zeit auch das warme Blut an seiner Nase niedertropfen fühlte.

In demselben Augenblick fast ging die Thür auf, und ein Deutscher, der dort einige Wochen im Haus gewohnt und sich jetzt von Herrn Hamann einen Hausplatz in einer irgendwo in Ohio liegenden Stadt gekauft hatte, trat rasch herein. Er schien reisefertig und wollte auch in der That, ehe er an Bord des Dampfers ging, nur noch eine kleine Rechnung zahlen, die in der »bar« für ihn aufgeschrieben stand.

 

»Haben Sie sich gestoßen, Herr Jimmy?« frug der Mann freundlich, als er eben sah wie der Barkeeper sein vorn in der Weste steckendes Taschentuch herausgenommen hatte und einzelne Blutflecke damit aus dem Gesichte wischte.

»Jes – ein Bischen« sagte Jimmy, mit einem eben nicht liebevollen Blick nach Hedwig hinüber, die schon wieder mit den Gläsern beschäftigt war – »an der – Tischdecke da drüben.«

»Zu schnell gebückt, nicht wahr? – ja das thut schändlich weh; da hab ich mich auch neulich bös getroffen; sehn Sie mal hier, da müssen Sie noch die Narbe erkennen können.«

»Ja wohl,« sagte Jimmy, über das Taschentuch weg, nach Hedwig hinüber sehend, die jedoch nicht weiter auf ihn achtete.

»Aber ich muß fort, Herr Jimmy,« sagte der Mann, »und wollte ihnen nur noch erst die Kleinigkeit zahlen, die ich hier unten schuldig bin, – mein Boarding und Lodging ist schon abgemacht.«

»Ja so,« sagte Jimmy, der sein Taschentuch wieder in die Weste zurückschob, sich aber immer noch dann und wann an die Nase fühlte, dann seine Finger besah, und dem Mädchen aber, um ihr zu beweisen, daß er sich Nichts aus ihr mache, jetzt den Rücken zudrehte – »apropos, wie ist es denn mit unserem Handel; wollen Sie die Büchse nicht mitnehmen? – ich habe sie besonders für Sie in Stand setzen lassen.«

»Ja ich habe freilich kein Gewehr, weiß aber auch nicht ob ich in Ohio viel damit anfangen kann,« meinte der Mann.

»In Ohio?« wiederholte Jimmy auf's Äußerste erstaunt, »na das wäre mir aber lieb – in Ohio Nichts mit einer Büchse anfangen? – Sie wollen wohl die Bären mit dem Regenschirm schießen?«

»Ja aber Bären giebts doch dort nicht mehr?«

»So? – auch keine Indianer, wie? – wenn sie Jemandem nur erst einmal die Schweine wegholen, wird er's schon merken.«

»Hm – und Sie meinen wirklich, daß ich sie dort brauchen könnte?«

»Ich meine, daß Jemand ohne Gewehr da eben ungefähr so dran wäre, als wenn Jemand ins Feld ohne Pflug ginge.«

»Und wie war der genaueste Preis?«

»Sechzehn Dollar hat sie mich selber gekostet, und einen Dollar habe ich jetzt dem Büchsenmacher für Reinemachen und in Stand setzen bezahlt.«

»Das ist viel Geld, und die paar Dollar die ich noch habe werde ich überdieß nothwendig genug brauchen. Donnerwetter wenn ich nur daran vorher gedacht hätte; in Deutschland konnte ich so ein Ding für fünf Thaler kaufen.«

»Ja das glaub' ich, in Deutschland; hier sind wir aber in Amerika.«

Jimmy hatte indessen das Schenkzimmer geöffnet und war mit dem Mann, mit dem er drin den Handel um das Gewehr abschloß, hineingegangen, als ein anderer Mann vorn eintrat, und Herrn Hamann zu sprechen wünschte. Herr Hamann, der in der Stadt etwas zu besorgen gehabt, und jetzt ebenfalls gerade zu Hause kam, folgte ihm dicht auf dem Fuße, und frug ihn was er wünsche.

»Sie kennen mich nicht mehr Herr Hamann?« sagte der Mann, der bleich und elend aussah, indem er den Hut abnahm und sich mit dem Tuch den Schweiß von der hohen, und mit spärlichen Haaren besetzten Stirn wischte – »hab' ich mich gar so sehr verändert in den dreiviertel Jahren?«

»Ach Herr Dings da – na wie heißen Sie doch gleich?« —

»Mollwich – «

»Ach ja wohl, ganz recht, Herr Mollwich; aber bitte, kommen Sie mit in's Eßzimmer,« setzte er dann hinzu, als er den anderen Mann, mit dem er ebenfalls eine Landangelegenheit gehabt, noch mit dem Barkeeper beschäftigt sah, und vielleicht seine guten Gründe hatte, beide Geschäfte nicht zusammen zu besprechen – »Bitte treten Sie da hinein; – nun Bäcker, reisefertig?« redete er dann im Vorübergehn den Andern an, indem er ihm die Hand reichte.

»Ja wohl Herr Hamann – will mir eben hier noch eine Büchse aufschwatzen lassen.«

»Werden sie hoffentlich gut gebrauchen können. Was haben Sie denn wieder mit Ihrer Nase gemacht, Jimmy?«

»Gestoßen« sagte dieser, kurz angebunden.

»Sie rennen auch überall gegen; wenn der Schädel nicht so dick wäre, hätten Sie ihn schon lange eingestoßen.«

»Werde wohl mit meiner eigenen Nase machen können was ich will,« brummte Jimmy, eben nicht in bester Laune, halblaut vor sich hin.

»Nun adieu Bäcker,« sagte Herr Hamann, wieder zu diesem gewandt, »viel Glück im Lande oben, und auf der Jagd.«

»Na ja, nun kauft man sich ein Gewehr und bekommt auch noch gleich Glück dazu gewünscht; nachher freuts Einen aber,« sagte der Mann, halb lachend halb ärgerlich. —

»Ach ja so, einem Jäger darf man ja kein Glück wünschen,« sagte Herr Hamann.

»S'ist nur gut, daß es Ihnen noch zur rechten Zeit einfällt,« brummte Bäcker, während der Wirth mit dem andern Deutschen, ohne weitere Notiz von ihm zu nehmen, in das Speisezimmer trat.

»Nun wie gehn die Geschäfte Herr Mollwich – schon einen hübschen Viehstand? – Land urbar gemacht, Felder bestellt – ?«

»Haben Sie meine Briefe nicht bekommen?« frug der Deutsche, ohne auf die an ihn gerichteten Fragen weiter einzugehen.

»Ihre Briefe? – keinen einzigen,« sagte Herr Hamann erstaunt, »was haben Sie mir denn geschrieben?«

»Weiter Nichts,« meinte Mollwich mit bitterem, verbissenem Ton, »als daß der Landdeed, den ich von Ihnen bekommen, und nach dem ich den Military Grant3 nur gleich in Besitz nehmen konnte, wenn nicht falsch, doch schon lange von Jemand Anderem besiedelt und besetzt war. Mit Gewalt ließ sich dagegen Nichts ausrichten, und ein deutscher Advokat, dem ich unglücklicher Weise in die Hände fiel, und der merkte, daß ich ein paar Thaler Geld im Vermögen hatte, beschwatzte mich einen Proceß anzufangen, wonach ich es dann endlich, nachdem ich die Sporteln zehn und zehn Dollarweis bezahlt, schwarz auf weiß bekam, daß der jetzige Besitzer jenes military grants in seinem vollen Rechte sei, und ich meinen Proceß verloren habe. Die Gerichte bewiesen mir das durch eine Masse Sachen die ich nicht verstand, aber ihre Geldforderung, die machten sie mir begreiflich. Da ich das Geld nicht missen konnte wieder nach New-Orleans zu gehn, schrieb ich ein paar Mal an Sie, mir die Summe, die ich Ihnen für den falschen Grant gegeben, zurück zu zahlen, erhielt aber keine Antwort, und bekam indessen in der sumpfigen Gegend auch noch obendrein das Fieber, das mich zwei volle Monat schüttelte, und verhinderte wieder auf das Wasser zu gehn, wo es ja noch immer schlimmer wird. Davon wieder genesen, mußte ich einen Theil meiner Sachen verkaufen, nur die Passage hier herunter zu bezahlen, und stehe jetzt auf Amerikanischem Boden, an Erfahrung allerdings reicher, aber sonst gerade so arm wie Einer jener armen Teufel die an der Levée lagern; und als ich vor 11 Monaten in New-Orleans landete hatte ich ein Vermögen von dreizehnhundert Thalern in der Tasche.«

»Das ist allerdings sehr schlimm,« sagte Herr Hamann, der fortwährend bei der Erzählung des Deutschen den Kopf geschüttelt und mit den Achseln gezuckt hatte, »aber mit Ihren Erfahrungen, und Fleiß und Ausdauer, werden Sie sich doch schon wieder hinaufarbeiten. Nur den Muth nicht sinken lassen; Amerika ist ein durchaus freies und betriebsames Land, und wer da arbeiten will, der kommt auch durch; das ist mein Sprichwort.«

»Das hoff' ich zu Gott,« sagte der Mann, »und wenn ich nur erst einmal ein klein wenig wieder zu Kräften gekommen bin, werd' ich schon tüchtig zufassen, wenigstens einen Theil des Verlorenen wieder einzubringen. Vor allen Dingen muß ich Sie aber jetzt bitten den Landdeed, den ich – der Himmel weiß es – kein Opfer gescheut habe zu verwerthen, wieder zu nehmen, und mir die vierhundert Dollar zurückzuzahlen, die ich Ihnen dafür gegeben?«

»Ich? – Ihnen vierhundert Dollar für etwas zahlen was Sie, als vollkommen freier Herr Ihrer Handlungen von mir einmal gekauft haben? Das ist auch wohl nur Ihr Scherz, mein guter Herr Mollwich. Ich verkaufe außerdem so viele Deeds, die alle gut sind, daß ich nicht einmal wissen kann ob der gerade, den Sie nicht verwerthen konnten, wirklich derselbe ist, den ich Ihnen gegeben.«

»Seh' ich aus wie ein Spaßvogel,« sagte aber der arme Teufel erschreckt – »und nicht der Deed den Sie mir verkauft haben, sagen Sie? glauben Sie daß ich Sie betrügen würde Herr Hamann?«

»Gott soll mich bewahren das von einem Menschen zu denken,« sagte Herr Hamann rasch und abwehrend, »aber wie käme ich dazu das Geld zu verlieren?«

»Und soll ich Ihnen 400 Dollar für ein Papier zahlen, das ich höchstens zu Fidibus brauchen könnte?« rief der Mann empört.

»Lieber Herr, zu was Sie das Papier brauchen, wenn Sie es einmal gekauft und bezahlt haben,« sagte Herr Hamann froh eine Gelegenheit zu finden ärgerlich zu werden, »kann mir ungeheuer gleichgiltig sein; soviel erinnere ich mir aber noch sehr gut aus jener Zeit – obgleich es lange genug her wäre das auch vergessen zu haben – daß Sie damals bei drei oder vier Menschen genaue Erkundigungen über die Ächtheit des Dokuments eingezogen, und diese Ihnen sämmtlich die Ächtheit desselben versichert haben.«

»Aber wer waren die Männer?« rief Mollwich rasch – »der eine ein gewisser Messerschmidt, über den ich in Missouri oben böse Sachen gehört, und der schon in mehreren Fällen sogar falsches Zeugniß soll abgelegt haben.« —

»Na nu wird mir aber die Sache doch zu bunt,« rief Herr Hamann entrüstet; »jetzt beschuldigen Sie mich wohl am Ende, mir gerade in die Zähne hinein, daß ich falsche Zeugen bestochen hätte, Ihnen das Land aufzuschwatzen? – wissen Sie wohl daß ich Sie dafür hier vor Gericht belangen könnte?«

»Ich beschuldige Sie ja dessen nicht, bester Herr Hamann,« rief der Mann in Verzweiflung, der wohl einsah, daß er auf solche Art Nichts wieder von seinem Gelde herausbekommen würde, »aber ich bitte Sie um Gottes Willen, setzen Sie sich an meine Stelle, und sagen Sie selber was ich thun, was anfangen soll?«

»Arbeiten, lieber Freund, arbeiten,« erwiderte Herr Hamann immer noch heftig.

»Aber der Mensch will doch vor allen Dingen leben.«

»Leben, lieber Mann; es ist noch kein Mensch in Amerika verhungert; die Sache kommt Ihnen wahrscheinlich viel schlimmer vor als sie wirklich ist.«

»Sie werden mir zugeben Herr Hamann, daß ich Geld haben muß um meine nächste Kost zu zahlen, bis ich wenigstens Arbeit bekomme – das ganz abgerechnet, daß ich Geld genug mit herübergebracht habe selbstständig hier aufzutreten, und nun wieder zu fremden Leuten in Arbeit gehen soll?«

»Aber ist das meine Schuld?« frug Herr Hamann scharf.

»Lieber Herr – wir wollen uns nicht um das Vergangene streiten« – sagte der arme Teufel einlenkend; »es war allerdings mehr meine Schuld, wie die eines andern Menschen; ich bin genug gewarnt worden und hätte sollen klüger sein; aber, mein guter Herr Hamann, Sie werden das doch auch einsehen, daß es ungerecht – daß es wenigstens gar zu hart wäre, wenn ich den ganzen Verlust allein tragen sollte. Lieber Gott ich wäre ja ein geschlagner, vollkommen ruinirter Mann – und das werden Sie doch gewiß nicht wollen.«

»Ich werde mir gewiß die größte Mühe geben für Ihnen eine passende Beschäftigung zu finden,« sagte Herr Hamann.

»Einen Theil des Geldes geben Sie mir doch jedenfalls zurück?«

»Einen Theil des Geldes? aber lieber Freund, Sie reden da gerade, als ob ich die vierhundert Dollar von Ihnen genommen und in die Tasche gesteckt hätte,« sagte Herr Hamann.

»Aber ich habe es doch an Sie bezahlt?«

»An mich bezahlt, – recht schön, aber ich habe die Deeds doch nicht haufenweise in meinem Schiebfach liegen, und besorge sie doch nur, wenn ich Jemandem damit einen Dienst erweisen kann, von Anderen, denen ich sie aber so theuer, ja dann und wann noch theurer bezahlen muß;« rief Herr Hamann wieder in Eifer gerathend, »das soll mir aber eine Warnung sein, mich nicht wieder in solche Geschichten einzulassen! mein gutes Herz hat mir da schon manchen bösen Streich gespielt, und man hat doch am Ende nur Ärger und Undank davon.«

»Und können Sie mir's verdenken, daß ich mich über den Verlust beklage?«

»Beklagen? Gott bewahre, aber von mir sollen Sie nur kein Geld wieder heraus haben wollen.«

»Aber von wem, um des Himmels Willen denn?« rief der Mann händeringend.

»Ich will Ihnen etwas sagen,« meinte Herr Hamann, in einem anscheinenden Anfall von Gutmüthigkeit, der dem Unglücklichen schon wieder einige Hoffnung gab – »ich will mit dem Mann von dem ich den Grant habe – wenn ich ihn noch finden kann, heißt das, denn hier in Amerika bleiben die Leute nicht Jahrelang auf ein und demselben Fleck sitzen – reden, und wenn der sich dazu versteht etwas von der Summe wieder herauszugeben, so – «

 

»Aber lieber Herr Hamann, Sie wissen recht gut daß das nie der Fall sein wird,« sagte Mollwich kleinlaut.

»Nein das weiß ich gerade nicht,« sagte Herr Hamann, »aber Sie verlangen doch wahrhaftig nicht, daß ich dem erst für Sie den Grant bezahlen, und Ihnen dann nachher, wenn Ihnen die Sache nach Jahr und Tag nicht mehr convenirt, das für Sie ausgelegte und von Ihnen eben nur wieder erhaltene Geld, noch obendrein dazu bezahlen soll? Das wären schöne Geschäfte.«

»Und bis wann könnte ich da Antwort haben?«

»Ja das bin ich nicht im Stande Ihnen zu sagen; Sie wissen selber wie beschränkt meine Zeit ist; übrigens können Sie – nicht wahr, Sie haben Ihre Sachen bei sich?« —

»Es liegt noch Alles unten an der Dampfbootlandung,« sagte der Mann.

»Nun gut, dann können Sie die so lange zu mir herstellen und hier für drei Dollar die Woche – billiger bekommen Sie es überdieß nirgends – wohnen, und wenn ich etwas Bestimmtes erfahre – «

»Auch das noch, nicht wahr?« – rief aber der Mann jetzt, der zu viel von Amerika gesehen hatte darauf einzugehn; »dadurch würde ich nur hingehalten und käme auf's Neue in Schulden, die ich nachher mit dem letzten Rest meines Eigenthums bezahlen müßte. Nein, lieber Herr Hamann, geben Sie mir wenigstens hundert Dollar von dem an Sie gezahlten Geld; nur einhundert Dollar für die vier, und ich will fortgehn und zufrieden sein, und keinem Menschen eine Sylbe klagen, ja die gesammelte Erfahrung, wenn auch als theuer, doch nicht als zu theuer erkauft betrachten.«

»Danke Ihnen,« sagte Herr Hamann spöttisch, »Ein Hundert Dollar baar Geld können allerdings schon ein Übriges thun, ich habe sie aber nicht in kleinen Paketen daliegen, sie einzeln aus dem Fenster zu werfen; und wenn Sie überhaupt glauben, daß ich Sie nur in Kost und Logis haben will, um Sie hinzuhalten und Ihnen Ihre Sachen abzunehmen, so können Sie meinetwegen hingehen, wohin Sie Lust haben; mich aber seien Sie so gut und lassen Sie in Zukunft zufrieden, und wenn Sie glauben irgend eine Forderung an mich zu haben, so gehn Sie hin und verklagen Sie mich – ich heiße Hamann, wohne in – Straße Nr. 36 und gehe keinem Menschen aus dem Wege.«

Mollwich wollte wieder einlenken, und vielleicht noch einmal versuchen den Mann in Güte zu bewegen, einen Theil seines Unrechtes, ohne daß er es gerade einzugestehn brauchte, an ihm gut zu machen; Herr Hamann aber verfolgte den gewonnenen Vortheil, spielte den Gekränkten und schändlich Beleidigten, und jagte den armen Teufel, der sein Alles durch ihn verloren, zuletzt auch noch zum Zimmer und Haus hinaus.

Gerade als er dieses verließ, und noch unter der Thür, begegnete ihm der junge Hamann, der durch den Schenkstand durch, ohne den hinter ihm drein Gesichter schneidenden Barkeeper auch nur eines Blicks zu würdigen, den Speisesaal betrat, und hier Hedwig, still mit ihrer Arbeit beschäftigt, und den Vater, im Auf- und Niedergehn die Hände vergnügt zusammenreibend, fand. Mollwich hatte aber so verstört und bleich ausgesehen, daß der junge Mann nicht anders glauben konnte, als es sei etwas mit ihm vorgefallen und den Vater frug, was er gehabt und weshalb der Deutsche – ein alter Bekannter, wenn er nicht irre – in solcher Aufregung das Haus verlassen.

»Aufregung? – der?« lächelte aber Herr Hamann still vor sich hin, »der hätt's auch noch nöthig sich groß aufzuregen.«

»Und was wollte er, Vater?«

»Was er wollte? – was alles derartiges Gesindel von mir will, wenn sie einmal zu mir kommen; Geld. Weil er sich von Jemandem hat einen verfallenen military grant aufbinden lassen kommt er zu mir, und verlangt ich soll ihn ihm abnehmen, dabei wäre 'was zu verdienen.«

»Ich glaubte Du hättest wieder etwas mit dem Mann gehabt,« sagte der Sohn seufzend, drehte sich ab und wollte langsam das Zimmer verlassen, als Hedwig, die mit klopfendem Herzen der ganzen vorigen Verhandlung gelauscht, und nach Allem, was sie von dem alten Hamann wußte, keinen Augenblick mehr zweifelte, wie er selber den Unglücklichen betrogen, und von sich gestoßen, vortrat und mit vor innerer Aufregung hochgefärbten Wangen und zitternder Stimme, aber mit in edler Entrüstung blitzenden Augen ausrief:

»Er hat etwas mit ihm gehabt Herr Hamann, und der Mann jetzt elend und ruinirt dieß Haus verlassen.«

»Ist die Dirne verrückt?« rief der Alte, sich rasch und erstaunt nach ihr umdrehend, denn Hedwig hatte bis jetzt fast noch nie ein Wort gesprochen, wo sie nicht gefragt worden, oder ihres Geschäftes wegen reden mußte, »was ist vorgefallen Mamsell, und was haben Sie sich in Dinge zu mischen, die Sie Nichts angehn, und von denen Sie Nichts verstehn?«

»Ich habe vielleicht Unrecht,« sagte Hedwig, der das aufquellende Blut die Stirn-Adern zu zersprengen drohte, »den Mann, der mir Brod gegeben, eines Fehlers anzuklagen; aber ich will lieber das Brod nicht mehr essen, wenn ich glauben soll, daß es aus den Thränen Unglücklicher gewachsen ist.«

»Sie können heute abziehn, wenn's Ihnen recht ist,« rief der Alte ärgerlich auf sie zugehend; »glauben Sie etwa Mamsell, daß ich mir von meinen Dienstboten etwas derartiges gefallen lasse? – marsch fort jetzt in ihre Küche, und wenn die Woche um ist, denn bis so lange müssen Sie bleiben, damit ich mich nach Jemand Anderem umsehen kann, verlassen Sie mein Haus! – Thränen der Unglücklichen – ich will Sie bethränen der Unglücklichen« – und an den Sohn gar nicht mehr denkend, der erstaunt, erschreckt, die halboffene Thüre des Schenkzimmers in der Hand, stehn geblieben war, riß er den andern Ausgang, der in das innere Haus führte, auf, und stürmte, die Thüre wieder hinter sich in's Schloß werfend, daß die Scheiben klirrten, die Treppe hinauf.

Auf dem Schenktisch aber im Barroom saß Jimmy, pfiff aus Leibeskräften den Yankeedoodle, und knackte mit seinen Fingern den Takt dazu.

Franz schloß die Thüre wieder, und dann zu dem noch immer zitternden und erregten Mädchen langsam hintretend, sagte er freundlich:

»Was ist vorgefallen Hedwig – was hat Sie so erregt – was hat mein Vater gethan, daß Sie den Zorn des alten Mannes selbst so weit gereizt haben Ihre Stellung zu gefährden? sprechen Sie offen zu mir; kann ich es ändern, soll es geschehn.«

»Wär' es nicht deshalb gerade Herr Hamann,« sagte aber Hedwig jetzt mit kaum hörbarer zitternder Stimme, während das Blut ihre Wangen verließ und sie todtenbleich färbte, »ich hätte meine Lippen nicht geöffnet; aber zu lange habe ich schweigen müssen, zu viel des Elends hier im Hause mit ansehn, mit erleben, und immer das Bewußtsein dabei mit mir herumtragen müssen, nicht helfen zu können, nicht im Stande zu sein beizuspringen und den Unglücklichen die rettende Hand zu reichen. Das ertrage ich nicht mehr länger und will ja gern dieß Haus verlassen; ich habe Schmerz und Weh genug schon gelitten auf der Welt,« setzte sie seufzend hinzu, »mein Herz sehnt sich danach auch einmal glückliche Menschen um sich zu sehn, wenn es auch selber nie glücklich werden sollte.«

Mit kurzen Worten erzählte sie jetzt, auf Franzens Bitte, diesem den Vorfall mit dem Deutschen, der jetzt von Allem entblößt New-Orleans wieder betreten habe, und Franz stand dabei, die Arme fest auf der Brust gekreuzt, die Brauen finster zusammengezogen, und hörte schweigend der Erzählung zu. Und langsam wandte er sich dabei ab – Scham und Schmerz drängten ihm eine Thräne in's Auge, die er dem Mädchen nicht verrathen wollte; aber Hedwig sah sie doch – der verrätherische Tropfen blitzte, als er fiel im Sonnenlicht und froher Jubel zog ihr dabei, sie wußte selber kaum weshalb, in's Herz.

»Der Mann soll sein Geld wieder haben,« sagte er endlich, mit kaum wieder gesammelter, aber entschlossener Stimme, »der Fluch eines Unglücklichen soll nicht auf unserem Namen haften, wo ich es hindern kann, und gebe Gott, daß meines Vaters Herz sich endlich meinen Bitten und Vorstellungen erweichen möge. Aber wo find' ich den Mann – wo in der weiten Stadt darf ich hoffen ihn zu treffen?«

3Soldatenländereien, mit denen in Amerika ein nicht unbedeutender, sehr häufig aber auch höchst betrügerischer Handel getrieben wird.