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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band

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Hopfgarten trat an den Schenkstand hinan und frug, schon etwas an den indolenten Charakter dieser Art Leute gewöhnt, ob er die Nacht da ein Bett, oder noch besser ein kleines Zimmer für sich bekommen könne. Der barkeeper hörte ihm, das Glas bis beinah an die Lippen gebracht, ruhig zu, trank dann langsam, erst einen kleinen Schluck, wie um die Güte des »Stoffes« zu prüfen, dann einen größeren, und dann den Rest durch ein plötzliches Überstürzen des Gefäßes, spühlte dieses in einem unter dem Tisch stehenden Kübel aus, trocknete es ab und sagte, während er es mit der Flasche wieder an seinen Platz stellte:

»Ich denke so.«

»Es freut mich ungemein Ihren Gedanken begegnet zu sein,« lächelte Hopfgarten, den die Ruhe des Burschen amüsirte, »würden Sie dann wohl auch so freundlich sein diesen Reisesack und diese Decke auf jenen mir zu bestimmenden Platz zu spediren und indessen Sorge zu tragen, daß ich vor allen Dingen ein eben solches Glas Brandy, wie Sie gerade eingegossen, und etwas Warmes zu essen bekommen könnte?«

Die ironische Höflichkeit, mit der diese Worte gesprochen wurden, machte jedenfalls einen größeren Eindruck auf den jungen Burschen – der den Fremden ganz erstaunt ansah und nicht recht wußte woran er mit ihm war – als es irgend etwas anderes gemacht haben konnte; er setzte ihm wenigstens die Flasche wie ein reines Glas rasch auf den Schenktisch, sich selber zu bedienen, nahm dann, mit weit mehr Bereitwilligkeit als er bis dahin gezeigt, die Sachen in Empfang, und wieß den Fremden an »zum Feuer zu gehn« bis er Essen für ihn bestellt haben würde.

Dem Rathe folgend schritt Hopfgarten gegen das ziemlich breite Kamin, in dem ein lustiges Feuer loderte, und an dem drei oder vier andere Fremde, oder Insassen des Hauses, Platz genommen hatten. Nur der Eine von ihnen war jedenfalls auch ein Reisender, denn er trug, was Hopfgarten im Vorübergehn flüchtig bemerkte, die bunten Kamaschen, die nur aus einem Stück um den unteren Theil des Beines geschlagenen wollenen Zeugs bestehn, und die der Deutsche schon mehrfach im Inneren des Landes an Reitern bemerkt hatte.

Mit einem freundlichen »Guten Abend«, der von den am Kamin Sitzenden, und ihm bereitwillig Platz Machenden, höflich erwiedert wurde, trat der Deutsche zur Flamme, über der er sich erst – ein höchst wohlthuendes Gefühl wenn Einen fröstelt – das Innere der Hände wärmte, und wandte sich dann zu den übrigen Zimmergenossen, wenigstens erst einmal zu sehn mit wem er zusammen war, als er auch in demselben Augenblick einen lauten Ausruf des Staunens nicht unterdrücken konnte, denn vor ihm saß – derselbe Mann mit den wollenen Kamaschen, aber gar nicht auf ihn achtend und ruhig nachdenkend in's Feuer sehend – Henkel.

»Herr Henkel!« rief er ganz überrascht aus, indem er ihm die Hand entgegenstreckte, »wie, in aller Welt, kommen Sie hierher?«

Der also Angeredete, ohne selber im Mindesten das Erstaunen des Fremden zu theilen, sah erst seinen Nachbar, und dann den Sprecher an, dessen auf ihm haftender Blick aber nicht misverstanden werden konnte, und erwiederte dann ruhig, ohne jedoch die dargebotene Hand anzunehmen, in Englischer Sprache:

»Sie irren sich wahrscheinlich in der Person, mein Herr, und halten mich für Jemand der ich nicht bin; ich wenigstens habe nicht das Vergnügen Sie zu kennen.«

»Mich nicht kennen?« rief Hopfgarten jetzt im höchsten Erstaunen aus, indem er nach seitwärts einen Schritt von dem Feuer zurücktrat, dessen Schein voll auf den Mann fallen zu lassen, »ich bitte Sie um tausend Gottes Willen – «

»Wenn mein Bruder nicht gerade jetzt, und schon seit längerer Zeit in Europa wäre,« lächelte dieser da, »so würde ich jedenfalls glauben daß Sie mich für ihn hielten, was mir auch fast der ausgesprochene Name beweisen will – kommen Sie von Europa?«

»Herr Du mein Gott,« rief aber Hopfgarten, sich mit beiden Händen an die Stirn fühlend, aber jetzt auch in Englischer Sprache, die der Fremde immer noch beibehielt, »wach' ich denn oder träum' ich – wenn Sie nicht Henkel wären, hätten Sie einen Doppelgänger, der Ihnen in Ansehn, Größe, Gestalt, Sprache, Haltung auch auf das tz gliche – wie heißen Sie denn?«

»Soldegg!« sagte der Fremde ruhig.

»Soldegg?« rief Hopfgarten auf's Neue erstaunt aus, »in Europa Henkel und in Amerika Soldegg? – derselbe Name stand unter dem Brief.«

Der Fremde erröthete leicht, sagte aber noch immer ruhig lächelnd:

»Ich sehe schon wie es ist – Sie kennen meinen Zwillingsbruder, der jetzt in Deutschland lebt, und halten mich für den.«

»Sie haben einen Zwillingsbruder?«

»Allerdings – ist das etwas so Außergewöhnliches? wir Beide sind, wie Sie sich wohl denken können, schon sehr oft verwechselt worden.«

»Aber er hat nie ein Wort davon erwähnt – «

»Also Sie kennen ihn?«

»Ich bin mit ihm über See nach New-Orleans gekommen.«

»Er ist zurück?« rief der für Henkel gehaltene Mann, von seinem Stuhle aufspringend; »davon weiß ich ja keine Sylbe.«

»Seit Anfang Oktober – aber – wenn Sie denn wirklich nicht der Henkel sind, und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, ich hätte mir noch vor ein paar Minuten ruhig den Kopf darauf abschneiden lassen, dann lösen Sie mir wenigstens ein Räthsel, und sagen mir was der Name Soldegg bedeutet?«

»Das ist einfach gelöst,« lachte der junge Mann, und Hopfgarten hätte jetzt wieder seine Seligkeit zum Pfande setzen wollen daß er seinen Reisegefährten, und nicht dessen Zwillingsbruder vor sich habe, wäre ihm nicht die vollständige Ruhe und Unbefangenheit des Mannes im Wege gewesen. »Der Kaufmann Henkel ist unser Stiefvater; meine Mutter hieß Soldegg von ihrem ersten Mann, unserem Vater; mein Bruder, der mit unserem Stiefvater in dessen Geschäft trat, nahm auch seinen Namen an, und nennt sich nur noch manchmal Henkel Soldegg oder Soldegg Henkel. Ich selber führe nur den Namen Soldegg.«

»Hm, hm, hm,« murmelte Hopfgarten, mit dem Kopf dazu schüttelnd, leise vor sich hin, »wenn man's in einem Buche läse, würde man's nicht glauben. Es ist wahr,« fuhr er dann, zu Soldegg wieder aufschauend und ihn mit den Augen messend, fort, »es liegt etwas in Ihrem ganzen Wesen das Henkel nicht hatte. – Sie stehen kräftiger, entschlossener, freier da, möchte ich fast sagen – Henkel hatte mehr etwas Scheues, Gedrücktes, Unsicheres – trug sich auch nicht so g'rade in den Schultern.«

»Läßt sich wohl denken,« lachte der junge Mann, »er ist an Stubensitzen gewöhnt, und hinter riesigen Büchern und dem Schreibtisch groß geworden, ich dagegen habe ein freies fröhliches Jägerleben im Wald dafür geführt. Er mag reicher bei seiner Beschäftigung geworden sein – aber ich tausche dennoch nicht mit ihm.«

»Sie wissen daß er verheirathet ist?«

»Er schrieb mir einmal daß er heirathen würde; hat er seine Frau mitgebracht?«

»Nehmen Sie mir's nicht übel,« sagte Hopfgarten, der den Fremden wieder ein paar Secunden stutzig und aufmerksam betrachtet hatte; »aber wenn wir Beide zusammen über den Henkel sprechen, kommt es mir bei Gott so vor, als ob wir mit einander Komödie spielten.«

Soldegg lachte.

»Ich habe schon komische Verwechselungen erlebt,« sagte er, »und das einzige Merkmal, an dem uns unsere Freunde unterscheiden konnten, war eine kleine rothe Narbe, die Joseph über dem linken Auge hat, und die mir fehlt.«

»Ich habe sie nie bemerkt,« sagte Hopfgarten.

»Das glaub' ich, Sie werden ihn früher nie so genau betrachtet haben – wenn Sie ihn jetzt wieder sehn wird das anders sein, aber – sehn Sie ihn wirklich wieder in nächster Zeit?«

»Ich habe einen wichtigen Brief für ihn bei mir,« sagte Hopfgarten, der sein Mistrauen doch noch nicht ganz bewältigen konnte, und dem plötzlich ein Gedanke aufstieg, den fraglichen Bruder auf die Probe zu stellen.

»So?« sagte dieser aber vollkommen ruhig, »dann haben Sie wohl Einige von seinen Bekannten im inneren Land gefunden?«

»Einen Mr. Goodly,« sagte Hopfgarten lauernd.

»Kenn' ich nicht,« erwiederte Soldegg kopfschüttelnd, und ohne die geringste Theilnahme zu verrathen, »aber würden Sie die Freundlichkeit haben, auch für mich ein paar Zeilen meinem Bruder übergeben?«

»Recht gern,« sagte Hopfgarten, der doch endlich überzeugt wurde, daß der wirkliche Henkel nie im Stande gewesen wäre diese Rolle so zu spielen, das ganz abgerechnet, daß er nicht den mindesten Grund dazu hatte, »aber mit der Post würde er ihn viel schneller erreichen, denn ich gehe nicht direkt nach New-Orleans zurück.«

»Es wird ihn mehr freuen die Zeilen durch Jemand zu erhalten, der mich persönlich gesprochen hat« sagte Soldegg.

»Das allerdings; wissen Sie seine Adresse?«

»Ich werde den Brief an seine Firma adressiren,« sagte Soldegg – »ist er nicht dort, mag ihn die weiter befördern. Haben Sie aber keine Zeit die aufzusuchen,« setzte er nach einigen Augenblicken hinzu – »so öffnen Sie nur den Brief – ich schreibe ihm keine Geheimnisse – und schicken ihn dann durch die Briefpost an das unten angegebene Haus.«

»Ich sehe ihn jedenfalls« sagte Hopfgarten, »und werde ihn selber übergeben; wann schreiben Sie den Brief?«

»Noch heute Abend – es kann sein, daß ich morgen sehr früh aufbreche.«

Der Barkeeper rief in diesem Augenblick den Fremden zu dem indeß bereiteten Abendbrod, die übrigen Gäste gingen großentheils zu Bett, mit ihnen Soldegg, der, als er an dem Deutschen vorüberging, ihm eine freundliche gute Nacht zurief.

»Soll mich der Böse holen,« murmelte Hopfgarten, als jene das Zimmer verlassen, zwischen den Zähnen und einem eben in Arbeit befindlichen Hühnerbein durch, »wenn mich nicht des Burschen Gesicht und ganzes Wesen auf die Länge der Zeit zur Verzweiflung bringen könnte. Solch eine Ähnlichkeit ist noch gar nicht dagewesen – aber er ist's nicht – wahrhaftig nicht, denn mit dem Brief hab' ich ihm auf den Zahn gefühlt. Wenn da – 'was nicht richtig war – wenn er nur mit einer Miene gezuckt hätte, dann wußt' ich woran ich war – Sie, Barkeeper« – setzte er dann lauter zu dem besagten Individuum hinzu, das sich eben eifrig damit beschäftigte die wenigen im Zimmer befindlichen Lichter – das eine was auf Herrn von Hopfgartens Tisch stand ausgenommen – auszublasen – »kannten Sie den Herrn mit dem ich vorhin sprach?«

 

»Den Gentleman mit den Kamaschen?« sagte der Barkeeper, ohne sich weiter nach dem Frager umzusehn.

»Denselben.«

»Nein.«

»Sie wissen nicht wo er herkommt.«

»Nein, glaube von oben.«

»Von Norden?«

»Ja – «

»Und heißt?«

»Wenn ich ihn morgen früh sehe will ich ihn fragen,« sagte der Barkeeper, schob beide Hände in seine Hosentaschen und ging pfeifend zur Thür hinaus.

Als Herr von Hopfgarten am andern Morgen zum Frühstück hinunter kam, übergab ihm der Barkeeper einen Brief, den »Mr. Soldegg« für ihn zurückgelassen. Er hatte noch eine Weile auf den Herrn gewartet, da er aber so lange schlief, konnte er nicht länger zögern und war fortgeritten. Die Adresse des Briefes lautete:

Joseph Henkel Esqre. care of Henkel & son 17. Canalstreet New-Orleans.

Capitel 2
Die Farm in der Wildniß

Es war Frühling geworden in dem weiten Land; der Wald hatte sich mit frischem saftigen Grün bedeckt, und tausende von Blüthen keimten an den schwellenden Zweigen und füllten die Wildniß mit ihrem süßen Duft. Der Hirsch zog zur Salzlecke Nachts, der Truthahn balzte in den Fichten Hügeln und aus dem gelben Laub hervor, das auf dem Boden wie ein dicker Teppich lagerte, drängten sich Gräser, Kräuter und Blumen heraus, und öffneten schlaftrunken ihre Kelche dem wärmenden Sonnenstrahl.

Wie die Vögel so fröhlich zwitscherten in dem jungen Laub, und die Frösche quakten, und die Heuschrecken mit ihrem wunderlich regelmäßigen Zirpen den Wald belebten; wie das Alles so neu und frisch aussah in der schönen jungen Welt, und der Thau wieder so klar und blitzend an den Halmen perlte. – So neu und frisch – auch das kleine Grab, das dort unter der schlanken Eiche aufgeworfen war, und mit der braunen Erde scharf gegen das gelbe Laub des Bodens, gegen die grünen Büsche abstach, die sich dicht darüber schmiegten.

Unter dem Hügel schlummerte Olnitzki's jüngstes Kind, und die Mutter hatte wochenlang, von der Schwester gepflegt, das Lager hüten müssen, bis sich der Körper wieder von einem hitzigen Fieber, das ihn ergriffen, und den Folgen der schlaflosen kummervollen Nächte die sie durchwachte, nur in etwas erholen konnte.

War ihr da auch seit einigen Tagen gestattet worden das Lager wieder zu verlassen, hatte sie doch noch nicht hinausgedurft in's Freie, zum Grabe des Lieblings, das Amalie jetzt pflegte, und auf das sie deutsche Blumen säete, das darunter schlummernde Kind lieb und sanft zu betten. Traurige Pflicht für die Blüthen, die sie daheim gehofft hatte an freundlicherer Stelle zu pflanzen und der Schwester, wenn sie in Glück und häuslichem Frieden die Heimath vielleicht vergessen hätte, durch die duftenden Kelche aus der Eltern Garten die Erinnerung an die Jugendzeit zurückzurufen, Guter Gott – gerade die Erinnerung war ja Alles was das arme Herz in Schmerz und Leid noch aufrecht erhalten, noch getragen hatte – was wäre sie jetzt gewesen wenn sie die verloren.

Amalie saß neben dem Grab auf einer kleinen Bank, die ihr der Nachbar Jack Owen (der ihnen damals das Kind begraben half, und seine eigene Frau mehre Wochen lang herüber geschickt hatte, ihnen in Allem beizustehn was sie bedurften) aus Zweigen und jungen Stämmen neben dem kleinen Hügel errichtet. Sie war in ein einfach wollenes Kleid, wie es die Frauen der Hinterwäldler trugen, gekleidet, und ihr Haar glatt und schlicht zurückgekämmt und in einen Zopf gebunden. Auch ihre Ohrringe und Ringe hatte sie abgethan, nur an den Wimpern hingen ihr die blitzenden Thränenperlen – ein schöner, aber ach ein schwerer Schmuck. —

Amalie von Seebald war eine Andere geworden, die langen Monate, die sie im Wald hier zugebracht; – nicht älter etwa durch Gram und Mitgefühl, die Schwester so leiden zu sehn, das weit natürlichere, einfachere Wesen das ihr das wirkliche Leben, das Kämpfen mit demselben aufgezwungen, hatte sie eher jünger und kräftiger gemacht, ihrem Auge einen eigenen Glanz, ihrer ganzen Haltung weit mehr elastisches, weit mehr kräftiges gegeben, ihr aber dagegen jenes überspannte Schwärmerische, jenes krankhaft Romantische genommen, das ihre besseren Kräfte bis dahin zurückgedrängt. Sie war aus einem schönen vielleicht, aber nutzlosen Traum erwacht, und fühlte jetzt daß sie einen Zweck hatte zu leben, daß sie wirken und nützen konnte in der Welt.

Wirken und Nützen – ja, mit allen ihren Kräften zu der Schwester Heil – aber wie? – was konnte sie hier thun, wie konnte sie hier helfen, wo das Schicksal seine eiserne Hand erbarmungslos auf die geworfenen Würfel gelegt und sie, wie sie der Schwester Leben jetzt erkannt, ja fast nur beten durfte daß Gott sie bald aus der Kette die sie hielt befreien, und neben die Kinder betten möge in den stillen Wald. Sie hatte einen tiefen, traurigen Blick in beider Leben gethan, und keine Hülfe sah sie da – keine Rettung, als den Tod.

In ernstem Sinnen, den Kopf in die Hand gestützt saß sie an dem kleinen Grab – es war jetzt der einzige Platz wo sie sich ungestört ausweinen, und doch der Schwester die Thränen bergen konnte, die ihr das eigene Herz ja nur schwerer gemacht, ohne im Stande zu sein ihre Last zu erleichtern – als sie Schritte im Laub hinter sich hörte, und sich rasch danach umdrehend, ihren alten Führer Jack Owen erkannte der, mit seinem Hund an der Seite, die Büchse auf der Schulter, langsam durch den Wald schlenderte.

Jack Owen war der richtige Typus des ächten, unverfälschten Backwoodsmans; schlank und kräftig gebaut mit eisernen, wetterharten und doch gutmüthigen Zügen, klaren lichtblauen Augen und jener festen entschiedenen Bildung des Mundes, die stets einen entschlossenen Charakter kündet, ging er ganz in die einfache Tracht des Westens gekleidet, mit ledernem ausgefranztem Jagdhemde, nur ohne Leggins, in langen dunkelfarbigen, unten aber durch längeren Gebrauch und die Dornen etwas abgenutzten Hosen, einen alten, sehr mitgenommenen Filzhut auf dem Kopf und die lederne Kugeltasche, an dem das, aus dem Ende eines Hirschgeweihs gebohrte Ladmaaß herunterhing, an der rechten Seite. Auf der Schulter aber ruhte die lange mächtige Amerikanische Büchse mit altem Feuerschloß, schwer von Eisen, und doch nur ein kleines Blei schießend, aber auf sechzig bis hundert Schritt ihr Ziel wohl kaum verfehlend. Die ganze Gestalt hätte malerisch genannt werden können, wäre ihr der alte zerknitterte Filzhut, der den Kopf deckte, und wohl manche Nacht schon als am nächsten Morgen wieder ausgebogenes Kopfkissen gedient hatte, nicht dabei etwas im Wege gewesen. Das Gesicht trug er, wie fast alle Amerikaner, glatt rasirt und wie erdfarben auch seine übrige Kleidung, bis auf die groben Schuh herunter, aussehen mochte, das baumwollene Hemd war schneeweiß, und zeigte vorn offen, die rothe, sonngebräunte Brust.

Der Hund den er mit sich führte, war eine Bastardart von gewöhnlichem Fleischerhund oder cur, und der feineren Brakenart, grau und schwarz gestreift, lichtgelbe kleine Flecken über den Augen und, wie schon erwähnt, mit ganz kurz abgeschlagenen Ohren und Schwanz – die beste Schweißhundrace, langsam auf der Fährte eines angeschossenen, ja selbst gesunden Wildes nachzugehn.

»Guten Tag Miß,« sagte der Mann, in seiner einfach herzlichen Art auf sie zugehend und ihr die Hand reichend und drückend – »wieder am Grab hier und immer so traurig?« setzte er dann mit leiserer, fast vorwurfsvoller und doch so gutmüthiger Stimme hinzu – »es muß Ihnen hier bei uns im Walde gar nicht gefallen, und die Bäume haben sich doch mit ihrem schönsten Schmuck gedeckt. Sehn Sie nur die prachtvollen Dogwoodblüthen an, die wie Schnee auf dem frischen grünen Laube liegen; und wie süß duftet es von den blühenden Weiden herüber, die dort am Bache stehn. Ach im Frühjahr ist's schön hier bei uns, und ich glaube mir würde das Herz brechen, wenn ich einmal fortmüßte aus meinem Wald.«

»Es ist wunderschön hier und der Friede Gottes ruht auf dieser Wildniß,« sagte Amalie mit zitternder Stimme – »sie könnte ein Paradies für die Menschen sein – «

Jack schwieg eine Weile wie verlegen still – er kannte das aber das dahinter lag, und wagte doch auch den Punkt nicht direckt zu berühren.

»Ihrer Schwester geht es besser, nicht wahr?« sagte er nach längerer, ihm endlich selber peinlich werdender Pause, seinen Gedanken weiter folgend – »sie ist doch wieder auf?«

»Seit gestern – ja; aber sie darf das Haus noch nicht verlassen.«

»Und Olnitzki ist noch nicht von Little Rock wieder zurück?«

»Nein – wir erwarten ihn schon seit mehren Tagen.«

»Hm – « sagte Jack nach einer Weile, und seinen Rifle mit dem Kolben auf die Erde stoßend, nahm er ihn in die, auf der Brust gekreuzten Arme, sich gewissermaßen daran lehnend – »ich war auch in Little Rock. – «

»Sie – jetzt?« rief Amalie schnell fast erschreckt über den Ton.

»Ja; – ich habe meine Winterbeute, Häute und Fett, was sich so angesammelt hatte, hineingebracht,« sagte der Jäger gleichgültig.

»Und haben Sie Olnitzki dort gesehn?«

»Ich war ein- oder zweimal mit ihm zusammen.«

»Aber was um Gottes Willen macht er da so lang – er weiß daß« – sie schwieg erröthend still und wandte sich von dem Jäger ab, daß er die aufsteigende Thräne in ihrem Auge nicht sehen sollte.

Jack wiegte sich indessen augenscheinlich mit etwas beschäftigt das ihm auf dem Herzen lag, von einem Fuß auf den anderen; er wußte daß die Fremde weinte – er wußte weshalb, und wagte doch nicht, mit dem eigenen Zartgefühl das jenen einfachen Kindern des Waldes eigen ist, das Geheimniß aufzudecken, in fremde Familienangelegenheiten ein fremdes Wort zu reden.

»Er wird wohl heute oder morgen kommen,« sagte er endlich – »seine Geschäfte waren besorgt und – nur ein paar Freunde hatte er dort getroffen, die er lange nicht gesehn – das mag ihn aufgehalten haben.«

»Und seine Frau ist fast gestorben in der Zeit,« sagte Amalie mit leiser kaum hörbarer Stimme.

Der Jäger erwiederte Nichts darauf, nahm aber seine Büchse auf, öffnete die Zündpfanne und sah nach dem Pulver, schloß sie wieder, ließ das Gewehr auf den Boden zurücksinken, rückte sich den Hut und kämpfte augenscheinlich mit einem Entschluß zu reden, dessen er noch nicht Meister werden konnte. Die Fremde schwieg ebenfalls – schwieg, aber konnte ihren Thränen nicht länger wehren, und mußte das Tuch an die Augen bringen, um sie abzutrocknen.

»Miß Seebald,« sagte der Backwoodsman da, ein Herz fassend, aber immer noch mit schüchterner, zögernder Stimme – »es ist nicht Alles so in der Hütte drüben, wie es sein sollte – hab ich recht?«

»Das weiß Gott,« seufzte das Mädchen, ohne das Antlitz ihm zuzuwenden.

»Miß Seebald,« sagte der Jäger wieder nach einer kleinen Pause, mit augenscheinlicher Überwindung – »es wird für schlechte Sitte bei uns gehalten, die Hütte eines Nachbars zu betreten wenn der Pflock außen vorgeschoben, und der Besitzer nicht zu Hause ist; noch weniger darf man sich in Dinge mischen, die eigentlich nie über die Schwelle hinauskommen sollten – das was zwischen Mann und Frau geschieht – aber – es giebt da eine Grenze – wo – wo ich schon Beispiele weiß – daß Nachbarn eingeschritten sind und« – er holte tief Athem, die Luft ging ihm aus zu dem, was er dem Mädchen sagen wollte – »und die Frau,« setzte er endlich mit einem gewaltsamen Entschluß hinzu, indem er sich halb von ihr abdrehte – »vor den Mishandlungen des Mannes geschützt haben.«

Amalie schaute nicht nach ihm um, was er vielleicht gefürchtet haben mochte, sondern brach in sich zusammen auf der Bank, im stummen furchtbaren Geständniß des Begangenen. Dadurch aber gewann Jack mehr Muth; die Hauptsache war überdieß heraus, das Eis gebrochen, und er setzte mit weit festerer und jetzt recht ernst ja fast drohend klingender Stimme hinzu: »Wir wissen es schon seit einiger Zeit; Frauen haben darin ein weit schärferes Auge als Männer, und meine Alte hat es mir schon vier Wochen vorher, ehe Sie unsere range hier betraten, fest versichert daß es so wäre, und der Pole sein armes, überdieß kränkliches Weib, die das Herzeleid mit den Kindern so schon zu Boden drücke, wieder – wie das schon einmal vor längerer Zeit geschehn – schlage. Wir kennen hier im Wald – « fuhr er nach einer kleinen Pause fort – »nichts Feigeres, Niederträchtigeres auf der Welt, als die Mishandlung einer Frau. Wenn das aber schon« – fuhr er wärmer werdend fort – »schändlich und feige und nichtswürdig ist, wo die Frau ihre Eltern in der Nähe, wenigstens im eignen Lande hat, und zu ihnen zurückkehren kann und sich schützen – so ist es noch viel schändlicher, wo die Frau dem Manne gefolgt ist über das Meer herüber – teuflisch aber,« setzte er mit finsterem Blick hinzu, »wo die Verhältnisse waren, wie Sie mir auf dem Herritt selbst erzählt Miß, daß das Mädchen damals den Fremden liebte, weil sie um sein geknechtetes, zu Boden getretenes Vaterland – und der Mensch hat nichts Heiligeres auf der Welt – trauerte, und die eigene Heimath, das eigene Vaterland verließ, dem verstoßenen Mann zu folgen und ihm Alles zu sein was er daheim verloren. Wir hier« – setzte er ruhiger hinzu – »hätten nie geglaubt, daß die Frau aus so vornehmer Familie sei, wie es jetzt doch wohl scheint, so hat sie gearbeitet, so sich dem Geringsten unterzogen was in ihre Wirthschaft fiel, und gesponnen und gewebt dabei wie unsere Frauen; aber der Mann ging dann nach Little Rock und spielte und trank – kam trunken nach Hause – und schlug sein Weib – Ein anderer Nachbar den wir hier früher hatten« – setzte er nach längerem Zögern wieder, und sich wie scheu dabei umsehend hinzu – »ein junger kräftiger Bursch, unverheirathet, dem das junge Weib Leid that, und das Herz immer gleich auf der Zunge lag, setzte den Polen einmal deshalb zur Rede – harte Worte folgten, und wie es bei uns nicht lange bei Worten bleibt – auch Faustschläge. Der Amerikaner war dem Polen in der Waffe überlegen, aber der forderte ihn auf die Büchse – unser gewöhnliches Handwerkszeug hier für solche Streitigkeiten auf vierzig Schritt Entfernung. Ich war selber dabei wie sie es ausmachten – es ging Alles ordentlich zu – wie ich drei zählte hoben Beide ihre Büchse, Jim Rileys Gewehr aber – es war ein etwas nasser Tag, – blitzte von der Pfanne, und in demselben Augenblick fuhr ihm auch des Polen Kugel durch die Brust.«

 

Wieder holte der Mann tief Athem, eine Erinnerung, die ihm wie ein dunkler Schatten vor der Seele aufstieg, niederzukämpfen und fuhr dann, seine Büchse fest und fast krampfhaft fassend, langsam fort.

»Wir begruben Jim zusammen, – der Pole und ich – kein Wort wurde dabei gesprochen, und legten den wackeren Burschen – ein besserer hat nie in Arkansas eine Fährte eingedrückt – in sein enges Grab. – Die Büchse wollte ihm der Pole mit hinein legen, aber ich zerbrach das treulose Eisen an den Baum unter dem er schläft, und warf es auf den Hügel der seine Glieder deckt. Als wir fertig waren reichte mir Olnitzki die Hand, aber ich nahm sie nicht, schulterte mein eignes Gewehr und ließ ihn allein bei dem Grab zurück. Ein recht nachbarliches Verhältniß ist seit der Zeit auch nie wieder zwischen uns aufgekommen, obgleich er mir's nicht offen nachgetragen. Auch gepackt mag ihn die That wohl haben, denn obgleich kein Wort davon in der Range weiter erwähnt wurde, und Jim Rileys Hütte ruhig im Wald verfiel, seine Großmutter und noch kleine Schwester, die jetzt Beide keinen Brodverdiener mehr hatten, zu einem Nachbar gezogen, sein kleines Feld unbemerkt jungen Baumwuchs trieb, ja selbst die Grand Jury, die solche Sachen wenn sie nicht ordentlich betrieben sind, aufzurühren hat, es nicht in der Countysession zur Sprache brachte, ging er doch dadurch etwas in sich und man hörte lange nichts Unrechtes von ihm, bis vor etwa einem Jahr der alte Teufel in ihm wieder ausbrach und – wie er's seitdem getrieben zeigt am Besten das Aussehen der armen Frau. – Mir aber zuckt es Gott ver – mir zuckt es wahrhaftig im rechten Zeigefinger wenn ich das sehn und schweigen muß, und wie ich mich bis jetzt gescheut ein Wort davon zu sagen, so halt' ich es nun für meine Pflicht davon zu reden.«

»Ich war in Little Rock und bin dort Zeuge gewesen wie Olnitzki wieder auf alte Weise wüthet und tobt. – Das was er zum Verkauf mit in die Stadt genommen ist lange verspielt und vertrunken, und als ich den Ort verließ war er schon mehr schuldig, wie er in drei Jahren im Stande ist abzuverdienen. Ich weiß zugleich« – und wieder stockte er, als ob er sich scheue das Wort auszusprechen, aber einmal im Zuge hielt er nicht länger damit zurück – »ich weiß zugleich daß seine Frau daheim am Nothwendigsten Mangel leidet – daß sie, mit Ihrer Hülfe jetzt den Mais auf der eigenen abgenutzten Stahlmühle mahlen muß, nur um zu leben – weiß daß sie gezwungen wurde die wenigen Hühner selbst, die ihr noch geblieben, zu schlachten, weil der Mann zu bequem war hinaus nach Fleisch zu gehn – weiß daß er ihr wieder das Leben schwer macht wie noch nie, und daß Menschennatur so etwas auf die Länge der Zeit nicht aushalten kann. Sie aber, die Sie von über dem Wasser drüben herüber gekommen sind, müßten uns hier, die wir uns zu den Nachbarn rechnen, für schlimmer halten als Panther und Wolf sind, wenn wir Ihnen nicht wenigstens unsere Hülfe, unseren Schutz anböten, falls Sie beides haben wollten und gebrauchen sollten. Wir können und dürfen uns nicht um das bekümmern was in der eigenen Hütte eines der Unseren vorgeht, findet aber eine Frau daß sie bei ihrem Mann nicht mehr existiren kann, ja daß vielleicht ihr Leben bedroht ist am eigenen Heerd, und sie will zu Einem von uns kommen – die nächste Hütte die beste nur. Miß Seebald, und Jack Owen wohnt nur kleine Strecke von hier entfernt – will sie und ihre Schwester das theilen was er und seine Familie haben, dann beim ewigen Gott sollte eine ganze Armee von Polen nicht im Stande sein ihr auch nur ein Haar weiter zu krümmen, ein rauhes Wort zu sagen. Dem Einzelnen gegenüber genügt der einzelne Mann, und rief er das Gesetz zu Hülfe – nichtsnutzige Advokaten und Landhaye – dann haben die Burschen von Arkansas wohl schon früher zusammengestanden, das zu schützen was sie für ihr Recht, was sie für rechtlich hielten.«

Wildes jubelndes Geschrei und Pferdegestampf unterbrach ihn hier und als Beide überrascht dorthin schauten, woher die fremden lustigen Töne schallten, sahen sie durch eine kleine Lichtung die da der Wald macht, Olnitzki, von einem anderen Reiter gefolgt, auf schäumendem Pferde, die Arme wild dabei um den Kopf werfend, heransprengen, und gleich darauf hinter dem Dickicht, das die mit dem Haus in Verbindung stehende Fenz umwucherte, verschwinden.

»Allmächtiger Gott, wie wird das enden,« rief Amalie, die Hände in Todesangst faltend – »in welchem Zustand kehrt der Mann zurück.«

»Der alte Teufel ist wieder ausgebrochen in ihm,« sagte Jack Owen finster, »und ich müßte mich sehr irren, oder Blut allein kann das auf's Neue enden.«

»Meiner Schwester Blut!« rief Amalie verzweifelnd aus.

»Gehen Sie zum Haus zurück,« sagte da Jack Owen, der eine Weile in tiefem Nachdenken gestanden, zu dem Mädchen, »den Mann den er da bei sich hat kenn' ich; es giebt vielleicht keinen größeren Hallunken in den Vereinigten Staaten als ihn, und doch ist es ein halber Landsmann von Ihnen, wenigstens von deutschen Eltern irgendwo in Kentucky oder Tennessee geboren. Etwas Gutes hat den Gesellen auch nicht hergeführt, denn der Boden hier brannte ihm einmal, vor drei Jahren etwa, unter den Füßen, wo nicht viel fehlte daß ihn die Bürger, dem Gesetz zum Trotz das ihn freisprach, wegen Pferdediebstahl und falschem Spiel gehangen hätten. Seit der Zeit hat er diesen Theil von Arkansas wenigstens gemieden, und erst seit zwei Monaten etwa tauchte er plötzlich wieder auf, ritt erst hindurch, bei alten Bekannten vorsprechend, wahrscheinlich zu sehen welchen Eindruck sein Erscheinen hier wieder machen würde, und trieb sich dann, als er fand daß man die alten Geschichten vergessen, oder sich wenigstens scheute sie wieder aufzurühren, zwischen hier und dem Indianischen Gebiet umher. Er heißt – obgleich er sich schon unter verschiedenen Namen im Lande gezeigt haben soll, Soldegg, und ich möchte Sie von vorn herein vor ihm warnen.«

»Aber was kann ich thun?« sagte Amalie in Todesangst – »in solcher Stimmung mit Olnitzki zu sprechen ist nicht möglich, selbst wenn er den Begleiter nicht bei sich hätte.«