Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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JOHANNES PAUL II. UND BENEDIKT XVI.

Aber um die historischen Tatsachen ging es längst nicht mehr. Sondern darum, ob die Gegenkräfte der Kirche den »Skandal Galilei« wachhalten wollten. Auch noch in einer Zeit, die wissenschaftlich längst – spätestens seit der Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879–1955) – über die Heliozentrik hinausgewachsen ist, weil überhaupt kein Zentrum des Universums mehr angenommen werden kann. Johannes Paul II. (1920, 1978–2005) entschloss sich (1979, zum 100. Geburtstag von Einstein!), noch einmal eine noch gründlichere Untersuchung anzuordnen und 1992, zum 350. Todestag Galileis, höchstamtlich eine förmliche Rehabilitierung Galileis auszusprechen.

Darin heißt es zusammenfassend: »Ausgehend vom Zeitalter der Aufklärung bis in unsere Tage, hat der Fall Galilei eine Art Mythos gebildet, in dem das dargelegte Bild der Ereignisse von der Wirklichkeit weit entfernt war. In dieser Perspektive war dann der Fall Galilei zum Symbol für die angebliche Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts durch die Kirche oder des dogmatischen ›Obskurantentums‹ gegen die freie Erforschung der Wahrheit geworden. Dieser Mythos hat in der Kultur eine erhebliche Rolle gespielt und dazu beigetragen, zahlreiche Männer der Wissenschaft in gutem Glauben denken zu lassen, der Geist der Wissenschaft und ihre Ethik der Forschung auf der einen Seite sei mit dem christlichen Glauben auf der anderen Seite unvereinbar. Ein tragisches gegenseitiges Unverständnis wurde als Folge eines grundsätzlichen Gegensatzes von Wissen und Glauben hingestellt. Die durch die jüngeren historischen Forschungen erbrachten Klärungen gestatten uns nun die Feststellung, dass dieses schmerzliche Missverständnis inzwischen der Vergangenheit angehört.«

NEUER HUMANISMUS – MAHNUNG

Da kann man nicht so sicher sein. Gewiss, die Römische Kirche hat ihren Ur-Irrtum eingesehen, bereut und eingestanden. Wie schon Galilei 1613 in einem Brief (an Benedetto Castelli) schreibt: »Wenn schon die Schrift nicht irren kann, so können doch einige ihrer Erklärer und Deuter in verschiedener Form irren.« Da sind die christlichen Kirchen nun vorsichtig. Was der kundige Jesuiten-Kardinal Roberto Bellarmino (1542–1621) schon 1615 (Brief an R. A. Foscarini) wünschte. Was fundamentalistischen Religionsführern wohl noch bevorsteht. Was Kardinal Ratzinger, den Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation, im März 2000 zum feierlichen Schuldeingeständnis für seine Inquisitionsbehörde bewog, »dass auch Menschen der Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen«.

Aber letztlich geht es im »Skandal Galilei« darum, wer die Erklärung der Welt und ihrer Daseinsgründe mit Autorität für sich beanspruchen darf. Das ging 1633 der Römischen Kirche daneben. Joseph Ratzinger versuchte verschiedentlich als Kardinalstheologe diesen Anspruch der Kirche sogar mit Berufung auf die Philosophen Ernst Bloch und Paul Feyerabend auch im »Fall Galilei« zu retten. Das wollten ihm als Papst jene nicht durchgehen lassen, die sich dem Anspruch der Kirche durch Skandalisierung widersetzen. So protestierten noch im Januar 2008 Professoren und Studenten der römischen Universität »Sapienza«, von Päpsten gegründet (1303), gegen eine geplante Vorlesung des Papstes.

Benedikt XVI. sagte seinen Besuch ab. Er schickte den Protestierern jedoch seine – nicht gehaltene – Rede. Darin erkennt er ein für allemal die Unabhängigkeit der Universität, von Wissenschaft und Forschung an, in jedem politischen Regime, von jedweder Obrigkeit: »In ihrer Freiheit von politischen und kirchlichen Autoritäten kommt der Universität ihre besondere Funktion gerade auch für die moderne Gesellschaft zu, die einer solchen Institution bedarf.« Er entschuldigt sich noch einmal, definitiv: »Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute.« Und er fordert einen »neuen Humanismus für das dritte Jahrtausend«, der jedoch »die Weisheit der großen religiösen Traditionen als Realität zur Geltung zu bringen« müsse; man dürfe sie nicht »im Namen einer säkularistisch verhärteten Rationalität« und werde sie »nicht ungestraft in den Papierkorb der Ideengeschichte werfen«.

So ist es wohl. Damit könnte auch der »Skandal Galilei« zu den Akten gelegt werden. Denn der »Fall« ist es längst. Doch Galileo Galilei bleibt auch 450 Jahre nach seiner Geburt die unverdrängbare Freiheitsstatue der Menschheit, als Mahnung an jede politische und religiöse Obrigkeit, dass die Wahrheit sich nie unterdrücken lässt.

Heinz-Joachim Fischer

VORWORT

Der Dialog Galileis über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme darf als eines der merkwürdigsten Bücher bezeichnet werden, die je geschrieben worden: einerseits um der tragischen Schicksale willen, die es über seinen Verfasser heraufbeschwor, andererseits und vornehmlich aber wegen seines in anziehendster Form gebotenen Inhalts. Das hauptsächliche, aber keineswegs einzige Interesse des Buches liegt darin, dass es in greifbarer Anschaulichkeit die Berührung moderner Wissenschaft mit scholastischer Naturphilosophie und die daraus sich ergebenden Reaktionen dem Leser enthüllt. Wie dem Geologen die Kontaktstellen verschiedenartiger Gesteine und die dort eintretenden Umwandlungen der Gesteinsnatur das Verständnis der Erdgeschichte ermöglichen, so ist Galileis Buch für den Kulturhistoriker ein Schlüssel zur Erfassung des Umschwungs in der Weltanschauung. Aus ihm kann er ermessen, was es heißt, eine neue Idee wie die kopernikanische für weite Kreise fasslich und mundgerecht zu machen. Es kommt aber in dem Buche keineswegs bloß die Frage der beiden Weltsysteme zur Sprache, es handelt sich mehr noch um die ganze Methode wissenschaftlicher Forschung. Diese sollte von nun ab anscheinend bescheidener, in Wahrheit aber mühevoller und fruchtbarer sein; sie glaubt nicht mehr, alles a priori wissen zu können oder gar schon zu wissen, sie übernimmt vielmehr die schwere Aufgabe, in scheinbar geringfügigen Indizien, in alltäglichen und dennoch unbeachteten Erscheinungen die Spuren folgenschwerer Gesetze zu finden. Das Buch Galileis belehrte seine Zeitgenossen – und diese Belehrung dürfte auch heute für weite und einflussreiche Kreise noch nicht überflüssig geworden sein –, dass nicht in logisch geschultem Denken und in einer Anzahl von fertigen Formeln das Wesen der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Erziehung sich erschöpft, dass vielmehr die unendlich viel schwierigere Kunst, durch Beobachtung und Versuche den Tatsachen Rechnung zu tragen, das Hauptmittel der Erkenntnis ist.

Bei dem großen Interesse, welches das Buch beansprucht, ist der bisherige Mangel einer deutschen Ausgabe im Grunde verwunderlich. Allerdings erwähnt die im Jahre 1654 vonV i v i a n iniedergeschriebene Biographie Galileis eine deutsche Übertragung des Dialogs; wenn diese Angabe gegen alle Wahrscheinlichkeit ihre Richtigkeit haben sollte, so ist die Übersetzung heute gänzlich verschollen. Der Versuch eine deutsche Ausgabe zu veranstalten bedarf sonach wohl keiner weiteren Rechtfertigung. Die Schwierigkeiten des Unternehmens sind freilich nicht gering: Einmal ist es ohne Willkürlichkeiten der Übersetzung fast unmöglich, jener Formschönheit des Originals gerecht zu werden, die den Dialog zu einem klassischen Werke der italienischen Literatur stempelt; sodann aber sollte eine für weitere Kreise bestimmte Ausgabe – und eine solche zu veranstalten, war der Zweck, den ich mir setzte – von Rechtswegen diejenigen Hinweise enthalten, die das Verständnis und die Würdigung des Buches erleichtern, die es aus seiner Zeit heraus nach seinen Vorzügen und Schwächen begreiflich machen, und die dem Leser die Möglichkeit bieten, den Erkenntnisfortschritt zu verstehen, der sich in ihm vollzieht. Nach beiden Richtungen hin lässt die vorliegende Ausgabe, wie mir wohl bewusst ist, manches zu wünschen übrig. Es rührt dies teils und vorwiegend daher, dass meine Kräfte zu einer tadellosen Erfüllung der Aufgabe nicht ausreichten, teils auch daher, dass ein unerwünschtes Missverhältnis zwischen dem Umfange der erforderlichen Auseinandersetzungen und dem Texte des Dialogs vermieden werden sollte. Ob es mir gelungen ist, wenigstens einigermaßen dem mir vorschwebenden Ziele mich genähert zu haben, stelle ich dem Urteile des Lesers anheim.

Ich habe mich nicht entschließen können, so nahe dieser Gedanke lag, eine verkürzte Bearbeitung vorzunehmen; denn wenngleich gewisse Partien des Dialogs für unser Gefühl vielleicht allzu eingehend sich mit der Widerlegung veralteter Ansichten beschäftigen, so schien es mir doch nicht statthaft, derartiges zu unterdrücken. Der Dialog ist eben mehr als ein Buch, es spielt sich in ihm ein Stück Kulturgeschichte, ein Denkprozess der Menschheit ab. Wollte man die sachlich minder wichtigen, aber historisch sehr wertvollen Episoden von mehr scholastischem Gepräge oder die Kritik von Büchern, die uns heute einer solchen nicht für wert erscheinen, in der Übersetzung beseitigen, so würde allerdings das Werk vielleicht in noch glänzenderem Lichte erscheinen, ohne dass die materielle Belehrung, die man auch jetzt noch aus ihm schöpfen kann, wesentlich beeinträchtigt würde; aber das Verständnis für den bedeutsamen Umschwung in der Geschichte der Wissenschaft, den Galilei in so hervorragender Weise herbeiführen half, würde damit nur getrübt und erschwert. Die Geschichte, namentlich die einer Wissenschaft, macht eben keine Sprünge: Wie das Neue schon vor Galilei in Keimen angelegt war, so ist das Alte in ihm und um ihn noch nicht völlig erstorben, er kämpft in sich dagegen an und doch übt es noch Einfluss auf Stoff und Form seiner Untersuchungen. Die Spuren davon wegzutilgen darf man sich meines Bedünkens nicht erlauben, wenn man Interesse für die Wandlungen wissenschaftlicher Anschauungen erwecken, nicht aber einen Heroenkultus fördern will, der auf keinem Gebiete Segen stiftet.

 

Eine Geschichte des Buches, die bei dem Interesse, das sie von jeher erweckt hat, nicht wohl entbehrt werden kann, ist in der Einleitung gegeben, die wichtigsten sonstigen Tatsachen aus Galileis Leben sind mit hinein verflochten. Die Anmerkungen, die zum Teil recht große Mühe verursacht haben, enthalten teils historische, teils sachliche Notizen; außerdem berichtigen sie irrige Anschauungen Galileis. Da ich mir die Ausgabe auch in Händen von Schülern unserer höheren Schulen denke, wird man hoffentlich diese heutzutage nicht eben schwierige Kritik immerhin als erwünschte Zugabe betrachten.

Der Übersetzung ist der Text der Editio princeps zu Grunde gelegt, wiewohl derselbe durch viele Druckfehler entstellt ist. Manche derselben schleppen sich durch alle italienischen Ausgaben hindurch; in solchen Fällen habe ich wohl in den Anmerkungen auf die Unrichtigkeit der Lesart aufmerksam gemacht; eine eigentliche Textkritik jedoch einer Übersetzung beizufügen, erschien mir überflüssig und unzweckmäßig.

Als einen besonderen Vorzug vor den verbreiteteren italienischen Ausgaben möchte ich erwähnen, dass die Randinhaltsangaben, die sogenanntenP o s t i l l e n ,der Editio princeps sich in vorliegender Ausgabe wirklich da befinden, wohin sie gehören. Hingegen ist die alphabetische Zusammenstellung derselben am Schlusse des Buches, deren Wert in der Übersetzung noch problematischer sein würde als im Original, durch ein Namen- und Sachregister ersetzt. – Die handschriftlichen Zusätze Galileis zu dem in der paduanischen Seminarbibliothek aufbewahrten Exemplar des Dialogs sind fast vollständig übersetzt und zwar aufgrund der PublikationF a v a r o s .1Dabei sind diejenigen sechs Einschaltungen (p. 127, 136 f., 203, 349, 352, 428 ff.), welche Galilei selbst an eine bestimmte Stelle des Dialogs verwies, in den Text aufgenommen und durch kursiven Druck ausgezeichnet, die übrigen an den Schluss des ganzen Werkes gestellt. Unübersetzt geblieben sind nur abgerissene, mir unverständlich gewesene Sätze.

Von Galilei herrührende oder auf ihn bezügliche Schriften sind zitiert, soweit sie darin enthalten sind, nach dem vonE u g e n i oA l b è r iveranstalteten Sammelwerke2: Le Opere Di Galileo Galilei. Prima Edizione Completa etc. Firenze, Società Editrice Fiorentina 1842–1856 (15 Bde. und ein Supplementbd.). Um anderwärts sich findende Zitate auch in der Übersetzung leicht auffindbar zu machen, sind am Kopfe jeder Seite die Albèrischen Seitenzahlen angegeben. Die im Erscheinen begriffene Edizione nazionale, bzw. die genaue Reproduktion derselben, welche vom italienischen Unterrichtsministerium unter der Leitung des um die Galileistudien hochverdienten Antonio Favaro, Professor in Padua, veranstaltet wird, habe ich leider nicht mehr benutzen können, da bis jetzt nur der erste Band erschienen ist.

Es erübrigt mir die überaus angenehme Pflicht, allen denen aufs Wärmste zu danken, die mich bei der Lösung meiner Aufgabe unterstützt haben, insbesondere dem eben genannten HerrnA n t .F a v a r o ,sowie Herrn Dr.E m i lW o h lw i l lin Hamburg, die beide in liebenswürdiger Weise jeder an sie gerichteten Bitte entsprachen, ohne die damit verknüpfte, bisweilen recht erhebliche Mühe zu scheuen. In den Anmerkungen sind die Notizen, die ich diesen Herren verdanke, als von ihnen herrührend kenntlich gemacht; der fördernde Einfluss aber, den ich durch ihre Schriften sowohl wie durch briefliche Mitteilungen erfahren habe, erstreckt sich viel weiter, als danach scheinen könnte. – Desgleichen sage ich wärmsten Dank der Verwaltung der Biblioteca Nazionale zu Florenz, die mir durch gütige Vermittlung der Königl. preußischen Unterrichtsverwaltung zugänglich gemacht wurde, sowie den Verwaltungen der Königl. Bibliothek zu Berlin, der Bibliotheken zu München, Darmstadt, der Stadtbibliothek und der Freiherrl. Karl v. Rothschildschen Bibliothek zu Frankfurt a/M., desgleichen dem Inhaber der Firma Joseph Baer & Co. daselbst, der mir aus seinem reichen Antiquariate mit größter Uneigennützigkeit das für meine Zwecke Erforderliche zur Verfügung stellte. – Für das bereitwillige Entgegenkommen des Herrn Verlegers gegenüber meinen Wünschen in Bezug auf Ausstattung bin ich ihm von Herzen verpflichtet.

F r a n k f u r ta/M., September 1891.

E. Strauss

1Le Aggiunte Autografe Di Galilei Al Dialogo Sopra I Due Massimi Sistemi Nell’ Esemplare Posseduto Dalla Biblioteca Del Seminario Di Padova. Modena, Società Tipografica 1880.

2Die Zitate aus dem Dialog selbst sind nach der Seitenzahl vorliegender Übersetzung angeführt.

EINLEITUNG

Im Folgenden soll eine kurze Darstellung der wichtigsten Tatsachen aus Galileis Leben gegeben werden unter Hervorhebung dessen, was mit seiner Stellung zur kopernikanischen Lehre und mit der Geschichte des Dialogs zusammenhängt.

G a l i l e oG a l i l e iwurde im Jahre 1564 zu Pisa geboren, nach der gewöhnlichen, nicht ganz verbürgten1 Annahme am 18. Februar (a. St.). Sein VaterV i n c e n z i o ,Tuchhändler in Florenz, ein Mann von feiner Bildung, Kenner der Mathematik und noch mehr der Musiktheorie, hatte sich mit seiner GemahlinG i u l i akurz vorher nach Pisa begeben. Dort verlebte Galilei mindestens die ersten zehn Jahre seines Lebens. Da die Mittel der Familie kärglich waren, konnte der Knabe nicht eben einen hervorragenden Unterricht genießen. Doch erlangte er bei seinen natürlichen Gaben schon frühzeitig eine große Fertigkeit in den klassischen Sprachen und lernte die römischen und griechischen Autoren gründlich kennen. Späterhin studierte er, wahrscheinlich in der Klosterschule vonV a l l o m b r o s a ,Logik und Dialektik. Im Jahre 1580 oder 81 bezog Galilei die Universität seines Geburtsortes Pisa – die Familie war inzwischen wieder nach Florenz übergesiedelt –, um dort nach dem Wunsche des Vaters dem damals einträglichsten Studium der Medizin obzuliegen. Indessen interessierten ihn philosophische Studien mehr, wenngleich die herrschende Schule ihn nicht befriedigen konnte. Diese nannte sich die peripatetische; sie wollte damit ihre Verwandtschaft mit der von Aristoteles gegründeten peripatetischen Schule des Altertums zum Ausdruck bringen. Doch ist es keineswegs statthaft, alle von den Peripatetikern jener Zeit vertretenen Meinungen als wirklich aristotelisch zu betrachten, da vielfach eine missverständliche Auffassung des Aristoteles dabei zu Grunde lag. Galilei bekämpfte damals schon bei Gelegenheit akademischer Disputationen die aristotelischen und pseudo-aristotelischen Ansichten aufs Lebhafteste. In weit höherem Maße als Aristoteles zog ihn Plato an, von dem er – nicht immer richtig – manche Lehren, insbesondere auf das Wesen der Erkenntnis bezügliche, auch im Dialoge mit Vorliebe zur Sprache bringt. Vor allem aber suchte er aus eigener Kraft zur Erkenntnis durchzudringen, ohne auf die Worte eines Meisters zu schwören; es dürstete ihn nach Ideen und Tatsachen, die Schulphilosophie aber bot ihm nichts als Worte.

Zu jener Zeit soll er nach der ErzählungV i v i a n i s2,als er im Dome von Pisa das Schaukeln einer Lampe beobachtete, die Unabhängigkeit der Schwingungsdauer eines Pendels von der Größe des Ausschlags, den sogenannten Isochronismus der Pendelschwingungen, entdeckt und aufgrund dieser Entdeckung einen Apparat zur Messung der Häufigkeit des Pulsschlags ersonnen haben. Bis zu seinem neunzehnten Lebensjahre hatte Galilei noch keine Gelegenheit gehabt, sich mathematische Kenntnisse anzueignen. Als ihm aber die ersten Elemente der Geometrie durchO s t i l i o d e ’R i c c i ,einen Freund seines Vaters, bekannt geworden waren, wurde er von glühender Begeisterung für die Mathematik erfüllt, sodass er, anfänglich gegen den Wunsch seines Vaters, sich ihr ganz zu widmen beschloss. Er studierte zunächst Euklid, später aber beschäftigten ihn besonders die Schriften des Archimedes. Er konstruierte im Verfolg dieser Studien eine Art hydrostatischer Wage, die, auf dem archimedischen Satze von dem Gewichtsverluste eines in eine Flüssigkeit eintauchenden Körpers beruhend, das Mischungsverhältnis zweier Metalle zu bestimmen erlaubte.3 Da die archimedischen Grundsätze der Hydrostatik mit der Annahme absolut leichter Körper, d. h. solcher Körper, die den »natürlichen Trieb« haben, sich vom Weltmittelpunkt zu entfernen, unvereinbar sind, andererseits aber diese Lehre des Aristoteles von den schweren und leichten Körpern einen Grundstein in dem Gebäude seiner Naturphilosophie bildet, so trug sicherlich die Beschäftigung mit Archimedes nicht wenig dazu bei, seine Abneigung gegen die peripatetische Schule zu verstärken. – Außerdem behandelte Galilei damals verschiedene Sätze über den Schwerpunkt fester Körper, die er mehreren angesehenen Mathematikern zur Begutachtung vorlegte, u. a. dem Lektor der Mathematik in Padua,M o l e t t i ,dessen Nachfolger im Amte er später werden sollte.

Daneben fesselte ihn zu jener Zeit die Lektüre Dantes, wie denn Galilei sein ganzes Leben hindurch ein begeisterter Verehrer der Dichtkunst, der Musik und der bildenden Künste blieb, der sich auf allen diesen Gebieten auch mit Glück selbsttätig, wenngleich nur als Dilettant, versuchte. Über DantesI n f e r n ohielt er, wahrscheinlich 1587 oder 1588, in der florentinischen Akademie zwei Vorträge, die erst im Jahre 1855 gedruckt worden sind. Man hat aus einer Stelle dieser Vorlesungen4 schließen wollen, dass Galilei damals noch Anhänger des ptolemäischen Systems war, insofern dort der Mittelpunkt der Erde als identisch mit dem der Welt betrachtet wird. Obgleich er nun damals tatsächlich noch nicht Kopernikaner war, wie wir sehen werden, so reicht doch die angeführte Begründung nicht aus; denn Galilei konnte bei einer Erläuterung der Divina Commedia sich auf keinen anderen Standpunkt stellen als auf den Dantes. Ob er ihn teilte, darüber sich bei solcher Gelegenheit auszulassen, wäre überflüssig, ja geschmacklos gewesen.

In dem gleichen Jahre 1587 betrat Galilei zum ersten Male den Boden Roms, der späterhin der Schauplatz so denkwürdiger Erlebnisse für ihn werden sollte. Er suchte bei dieser Gelegenheit die Bekanntschaft mit dem JesuitenC l a v i u s5,damals dem angesehensten Astronomen und Mathematiker in Italien. Er stand mit ihm bis zu dessen 1612 erfolgtem Tode in freundlichen Beziehungen, sie erlitten freilich während Galileis paduanischer Professur eine Unterbrechung, da dieser in Diensten der venezianischen Republik sich gegenüber den Jesuiten, die im Jahre 1606 aus allen Territorien der Republik vertrieben wurden, große Zurückhaltung auferlegen musste. Der Kommentar des Clavius zur »Sphaera« des Sacrobosco galt damals – vom Standpunkte der Antikopernikaner mit Recht – als das beste Lehrbuch der Elemente der Astronomie und erlebte zahlreiche Auflagen.6 Selbstverständlich kannte und benutzte es Galilei, wovon auch im Dialoge deutliche Spuren bemerkbar sind. – Als Galilei sich mit Clavius in Rom in Verbindung setzte, war wohl sein Hauptzweck durch Empfehlung seitens des einflussreichen Mannes eine Professur an einer der italienischen Universitäten zu erhalten. Wenigstens sehen wir ihn vorher und nachher bemüht, eine solche Stellung zu erlangen, die ihm bei seinen kärglichen Mitteln schon aus materiellen Gründen höchst wünschenswert erscheinen musste. Durch Vermittlung des zu jener Zeit sehr angesehenen Mathematikers MarcheseG u i d o b a l d od e lM o n t e ,der ihn dem Großherzog von Toskana, Ferdinand I., warm empfahl, wurde denn in der Tat Galilei im Jahre 1589 für drei Jahre zum Lektor der Mathematik in Pisa ernannt. Angenehm war diese Stellung freilich nicht; abgesehen von dem kärglichen Gehalte, das er bezog, stand er mit seinen Kollegen, zu denen der fanatische Gegner aller Neuerungen,G i u l i oL i b r i ,gehörte, auf dem denkbar schlechtesten Fuße; nur zuJ a c o p oM a z z o n i ,unter dessen Leitung er philosophische Studien trieb, stand er in freundschaftlichen Beziehungen. Die Lossagung von der aristotelischen Naturphilosophie, die Anerkennung, welche G. den bedeutsamen IdeeB e n e d e t t i s7zollte, das waren Dinge, welche die herrschende Schule aus sachlichen und persönlichen Gründen nicht verzeihen konnte.

 

Aus der Zeit der Pisaner Professur stammen verschiedene Abhandlungen über mechanische Fragen, in denen der jugendliche Forscher noch mühsam mit dem Stoffe ringt. Die bekannteste ist eine in dialogischer Form abgefasste Schrift, die Sermones de motu gravium. Dieselbe ist zum ersten Male in der Albèrischen Ausgabe der Werke (XI, 9–55) im Jahre 1854 veröffentlicht worden; es sind ihr fünf weitere kleine Abhandlungen beigefügt, die von dem Herausgeber offenbar irrig8 in eben jene Zeit verlegt werden, während sie teilweise augenscheinlich auf einem weit vorgeschritteneren Standpunkt stehen. In der neuerdings erscheinenden Ausgabe der galileischen Werke, die von Favaro besorgt wird, sind noch andere interessante, der pisanischen Zeit angehörige Aufsätze über Bewegungsfragen enthalten. (I, 243–366.) Die Sermones dürfen jedoch als das Reifste aus jener Periode angesehen werden, wir beschränken uns daher auf deren Besprechung. Zunächst erkennen wir aus der unbedingten Verehrung, mit der G. im Gegensatz zu späteren Äußerungen in dieser Schrift von Ptolemäus spricht9, und aus der Bemerkung, der Erde sei die Ruhe »angenehmer« als die Bewegung10, dass er damals wirklich noch Anhänger des ptolemäischen Weltsystems war. Weiterhin aber finden wir, dass er in der Bewegungslehre die Anschauungen Benedettis, der freilich in keiner galileischen Schrift namentlich erwähnt wird11, im Wesentlichen sich aneignet und in eigentümlicher Weise weiterbildet. In erster Linie bekämpft er in ganz ähnlicher Weise wie im Dialog über die Weltsysteme12 die sonderbare aristotelische Anschauung, dass bei »gewaltsamen« Bewegungen (wie z. B. bei horizontalem und vertikalem Wurfe) die Ursache des Andauerns der Bewegung in der Bewegung des Mediums zu suchen sei; G. führt dasselbe vielmehr wie Benedetti auf eine virtus impressa, auf eine dem Körper von der ursprünglichen Bewegungsursache (etwa dem schleudernden Arme) eingeprägte Kraft zurück, mit anderen Worten auf das Beharrungsvermögen. Er hat über diese virtus impressa freilich noch sehr unrichtige Anschauungen, nimmt namentlich an, dass dieselbe mit der Zeit abnehme und schließlich erlösche; hingegen gibt er sich keiner Täuschung darüber hin, dass dieses Wort das Wesen der Sache nicht enthülle, wie gleichfalls im Dialog über die Weltsysteme ausgeführt wird.13 Zu einem völlig konsequenten Standpunkte bezüglich des Beharrens der Bewegung ist er, wie sich später zeigen wird, zeitlebens nicht gelangt, sodass es nur sehr bedingt richtig ist, Galilei die Entdeckung des Beharrungsgesetzes zuzuschreiben. – Auch die Unterscheidung zwischen gewaltsamer und natürlicher Bewegung, die eines der schwersten Hindernisse für den Fortschritt der Mechanik bildete, wird in den Sermones beibehalten, und auch diese Fessel hat Galilei nie ganz abgestreift. Mit Lebhaftigkeit bekämpft er hingegen unter Bezugnahme auf seine Studien zu Archimedes die Existenz absolut leichter Körper, während er wiederum die aristotelische Lehre von den übereinander geschichteten vier Elementarsphären und von deren Umschließung durch die Mondsphäre anerkennt. Weiterhin folgt die Untersuchung, ob bei Übergang einer Bewegung in die entgegengesetzte ein Ruhezustand eintreten müsse; er verneint diese Frage im Gegensatze zu Aristoteles. Auch im Dialoge über die Weltsysteme wird die Sache gestreift, ohne aber ausführlichere Behandlung zu finden.14 Sodann kommt G. auf die falsche, ja törichte aristotelische Behauptung zu sprechen, dass die Fallgeschwindigkeit proportional dem Gewichte und umgekehrt proportional der Dichtigkeit des Mediums sei. Neben vielen zutreffenden und scharfsinnigen Bemerkungen über diesen Gegenstand tritt doch noch eine völlig unzureichende Anschauung über den Verlauf der Fallbewegung und die dabei wirksamen Ursachen hervor. G. meint, die Verzögerung beim Emporsteigen eines in die Höhe geworfenen Körpers rühre von der Abnahme der virtus impressa her; im Augenblicke, wo diese sich bis zum Betrage der Schwere vermindert habe, finde der Umschlag der Bewegung in die entgegengesetzte statt; anfänglich sei dabei noch immer ein Rest derselben vorhanden, sodass aus diesem Grunde die Bewegung nach unten erst langsamer, dann schneller erfolge; von dem Momente, wo die virtus impressa ganz aufgezehrt sei, werde die Bewegung gleichförmig. Diese letzteren Ansichten stehen sogar hinter dem, was Benedetti geleistet hatte, beträchtlich zurück, einen so großen Fortschritt gegen die herrschenden Anschauungen andererseits schon die Art der Problemstellung, nämlich das Eingehen auf den faktischen Verlauf der Bewegung, bekundet. Übrigens begnügte sich G. nicht mit diesen theoretischen Erörterungen, er stellte auch wirkliche Fallversuche an und zwar von dem berühmten schiefen Glockenturme von Pisa, der sich zu solchen ganz besonders eignete. »Von der Höhe dieses Turmes erlitt die peripatetische Philosophie einen Schlag, von dem sie sich nie wieder erholte.«15

Der Hass seiner Kollegen und eines Halbblutprinzen des Hauses Medici, welchen er durch eine freimütige Kritik einer von diesem erfundenen Maschine sich zum Gegner gemacht hatte, zwang ihn nach Ablauf des Trienniums im Jahre 1592 seine Stellung in Pisa aufzugeben. Galilei, dessen Vater inzwischen gestorben war, und auf dem die Sorge für seine Geschwister lastete, musste sich nach einer anderen Stellung umsehen. Wiederum leistete ihm der Marchesed e lM o n t evortreffliche Dienste; durch seine Empfehlung gelang es Galilei, die seit vier Jahren vakante Stelle eines Lektors der Mathematik in Padua zu erhalten. Die Bestallungsurkunde ist datiert vom 26. September 1592, am 7. Dezember hielt er in Padua seine Antrittsrede. – Eine glücklichere Wahl hätte G. nicht treffen können, denn nirgends sonst in Italien wurden der Forschung so wenig äußere Hindernisse in den Weg gelegt als auf dem Boden der Republik Venedig. Die Jahre, die er in Padua verlebte, waren denn auch seine glücklichsten und an wissenschaftlichen Ergebnissen reichsten. Zwar sind seine bedeutendsten Werke erst nach Ablauf dieser Periode geschrieben, das Material dazu aber hatte er größtenteils in Padua gewonnen. Uns interessiert dabei vorwiegend sein Verhältnis zur kopernikanischen Lehre und den sonst im Dialoge behandelten Materien.

Wie und wann Galilei zuerst von der kopernikanischen oder der »pythagoreischen«16 Lehre, wie man sie damals nannte, Kunde bekam, steht nicht fest; auch ist dieser Frage eine besondere Wichtigkeit nicht beizumessen. Denn mag auch die neue Lehre in jener Zeit wenig Anhänger auf italienischem Boden gezählt haben, bekannt war sie allenthalben. Jeder Verfasser eines Lehrbuchs der Astronomie fühlte sich verpflichtet von ihr zu reden, freilich nur um sie zu verurteilen, wo nicht gar sie lächerlich zu machen. Ja selbst vor den Zeiten des Kopernikus pflegte man die Unmöglichkeit einer Erdbewegung nach dem Vorgange des Aristoteles, des Ptolemäus und speziell des Sacrobosco, des Verfassers der oftmals kommentierten »Sphaera«, zu beweisen. Es lag also jetzt umso näher, auf die moderne Erneuerung und Vertiefung des antiken Gedankens der Erdbewegung hinzuweisen, wie sie von Seiten des Kopernikus stattgefunden hatte. Was in den früheren astronomischen Kompendien dem Leserkreise und selbst dem Verfasser mehr als müßiger Ballast, als übertrieben gewissenhafte Gründlichkeit erscheinen mochte, insofern es sich um die Widerlegung einer Ansicht handelte, die niemand mehr ernstlich teilte, das gewann immerhin, seitdem wieder Vertreter dieser Ansicht unter den Lebenden geweilt hatten, aktuelles Interesse. Freilich wurde die Bedeutung des Mannes und seiner Sache in Italien, wenn wir vonG i o r d a n oB r u n oabsehen, verkannt17 und die Argumente, die man gegen die neuerstandene Lehre anzuführen hatte, waren noch immer die fadenscheinig gewordenen, bis zum Überdruss wiederholten der Vergangenheit. Aber der Name des Kopernikus und die Schlagworte seiner Lehre, wenn auch nicht immer die gründliche Detailausführung seines Systems, waren jedem Fachmanne bekannt, nicht sowohl durch das Studium seines Werkes18 als in der Regel durch Darstellungen aus dritter und vierter Hand. Danach ist die Frage, wer Galilei mit dem kopernikanischen Systeme bekannt gemacht habe, ebenso unberechtigt, wie wenn man heutzutage feststellen wollte, durch welchen Anlass ein Gelehrter von der Deszendenztheorie Kenntnis erhalten habe; er selbst würde wahrscheinlich die Frage nicht beantworten können. Damit soll keineswegs behauptet werden, dass der BaselerC h r i s t i a nW u r s t e i s e n ,möglicherweise auchM ä s t l i n ,der Lehrer Keplers, von denen der eine gewiss, der andere nach unverbürgten Nachrichten vielleicht in Italien für das System Propaganda machte, sich keine Verdienste um die Sache erworben hätten; aber anzunehmen, dass Galilei durch Zufälligkeiten, wie die Wandervorlesungen Wursteisens,19 zu dem sein Leben und Wirken beherrschenden Standpunkte gebracht worden sei, ist verfehlt. Galilei war wahrlich nicht der Mann, der die Argumente gegen eine Lehre immer wieder zu seinen Ohren dringen ließ, ohne eine selbstständige vorurteilsfreie Prüfung derselben anzustellen. Er wird sehr bald das Werk des Kopernikus zur Hand genommen haben, ob er nun zu Füßen Wursteisens gesessen, oder von dessen Vorträgen durch Dritte Kunde bekommen hat, oder ob nichts derart geschehen ist. Da Wursteisen schon 1588 starb, Galilei aber noch nach dieser Zeit, wie wir sahen, dem kopernikanischen Systeme fremd gegenüberstand, so ist eine unmittelbare Einwirkung des einen auf den anderen unglaublich. Man kann höchstens zugeben, dass eine gewisse mittelbare Anregung durch solchen äußeren Anlass gegeben wurde. Genug, wir wissen mit Bestimmtheit von keiner Lebensperiode Galileis, in der er beide Systeme kannte und dabei dem ptolemäischen vor dem kopernikanischen innerlich den Vorzug gegeben hätte. – Dass ihn freilich äußere Rücksichten bewogen, seine wahren Überzeugungen zu verschweigen, ja zu verleugnen, ist ebenso gewiss. In seiner Stellung als Lektor der Mathematik in Padua, welche ihm die Kollegien »Sphaera« und »Theoricae planetarum« zur Pflicht machte, war es unvermeidlich in der Frage der Weltsysteme Partei zu ergreifen; in welchem Sinne er es tat, lehrt uns ein gedrängter, für die Hand seiner Schüler bestimmter Auszug seines Kollegs über sphärische Astronomie, der erst nach seinem Tode im Jahre 1656 gedruckte Trattato della Sfera o Cosmografia (Op. III, 1–52). Galilei behandelt darin in der damals üblichen Weise, nur mit ganz besonderer Klarheit, den üblichen Stoff. Er beweist die Kugelgestalt und diek r e i s f ö r m i g eB e w e g u n gd e sH i m m e l s ,die Kugelgestalt der Erde,i h r ez e n t r a l eS t e l l u n g ,ihre Kleinheit im Vergleich zu der Himmelskugel,i h r eU n b e w e g l i c h k e i t ,died o p p e l t eBewegung der Himmelskörper; er spricht dann von den verschiedenen auf der Himmelskugel angenommenen Kreisen, erläutert die ungleiche Tagesdauer, die Verschiedenheit der Jahreszeiten in den verschiedenen Erdzonen, die Mond- und Sonnenfinsternisse, die Mondphasen, die Präzession. Überall spricht er so, wie ein innerlich überzeugter Anhänger des ptolemäischen Systems sich nicht anders ausdrücken würde, ja man kann aus dieser Abhandlung die landläufigen Ansichten, die Galilei später so energisch bekämpfte, vielleicht am besten kennen lernen. Nur in der Frage der Achsendrehung der Erde legt er sich eine gewisse Zurückhaltung auf, indem er nicht wie sonst in dieser Schrift das althergebrachte Raisonnement ohne Weiteres sich aneignet, sondern die angeblichen Gründe des Ptolemäus gegen diese Art der Bewegung nur als solche mitteilt und so diesem die Verantwortung für ihre Richtigkeit überlässt.20 Man mag daraus vielleicht schließen wollen, dass Galilei noch nicht vollüberzeugter Anhänger des Kopernikus war, dass er einstweilen nur die Achsendrehung der Erde billigte, als er die Schrift abfasste, was vermutlich in den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Padua geschah; sicher ist, dass dieselbe noch 1606 und später in den Händen seiner Schüler sich befand, als er schon längst ins kopernikanische Lager übergegangen war. Seine wahre Ansicht geht hervor aus den 1597 geschriebenen Briefen, von denen der eine an den oben genannten Jacopo Mazzoni21, der andere an Kepler gerichtet ist, welchem er für den ihm übersandten Prodromus dissertationum cosmographicarum dankt.22 Einen besonderen Vorwurf kann man gegen Galilei wegen der Verheimlichung seiner Überzeugung nicht erheben. Die Argumente, auf welche er in späterer Zeit sich in erster Linie berief, standen ihm damals noch nicht zu Gebote; seine Amtspflicht erheischte nichts weiter von ihm als die Überlieferung des hergebrachten Stoffes, auch seine Schüler erwarteten von ihm schwerlich etwas Anderes. Jede erhebliche Neuerung, die er in seinem öffentlichen Unterrichte etwa vorzunehmen gewagt hätte, würde seinen schon damals zahlreichen Gegnern willkommenen Anlass geboten haben, ihn lächerlich und damit auf dem Katheder unmöglich zu machen. Galilei musste sich sagen – und bei den unsittlichen Verhältnissen, den Kabalen und Ränken, die an italienischen Universitäten der damaligen Zeit auch schon im Schwange waren, kann man ihm nicht Unrecht geben –, er musste sich sagen, dass er durch vorzeitiges Aussprechen seiner Überzeugung das Ohr seiner Schüler verlieren werde, dass er damit auch in Zukunft sich der Möglichkeit beraubte, im Dienste der Wahrheit tätig zu sein, und dass es nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus sachlichen Gründen klüger sei zu warten, bis er ein die Gegner erdrückendes Beweismaterial aufgehäuft habe. Erhebt man doch noch heute zuweilen gegen den Entdecker der Jupiterstrabanten und der Phasenänderung der Venus den Vorwurf, er sei auch in der Folge noch mit ungenügenden Waffen in den Kampf für die Lehre von der Erdbewegung ausgezogen.23 Ob auch die Furcht vor einem Konflikt mit der Kirche ihn damals zurückhielt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, so wahrscheinlich es auch ist. Diese hatte noch keine entschiedene Stellung zu der Lehre von der Erdbewegung genommen, wiewohl gerade zu der Zeit, wo Galilei nach Padua übersiedelte, die Inquisition Hand anG i o r d a n oB r u n o ,den begeisterten Anhänger des Kopernikus, legte. Da jedoch hierbei wesentlich andere Motive mitwirkten, da Galilei selbst in seinem Briefe an Kepler (vom 4. Aug. 1597)24, worin er seinem gepressten Herzen Luft macht, nur von Furcht vor dem Fluche der Lächerlichkeit, nicht geradezu von Furcht vor der Kirche spricht, so braucht man diese immerhin nicht für das damalige Verhalten Galileis verantwortlich zu machen. – Der Brief an Kepler beweist nun aber, dass Galilei, mochte er sich äußerlich auch die größte Zurückhaltung auferlegen, unablässig tätig war, die Lehre des Kopernikus, der er »schon seit vielen Jahren« anhing, innerlich zu verarbeiten. Er erzählt, dass er mittels derselben viele nach der anderen Hypothese unverständliche Naturerscheinungen habe erklären können, und dass er Gründe für die neue Lehre und Widerlegungen gegnerischer Gründe bereits niedergeschrieben habe. Diese letztere Bemerkung ist für die Entstehungsgeschichte des Dialogs über die Weltsysteme von besonderer Wichtigkeit; denn die erwähnten Aufzeichnungen haben wir als den ersten Keim des Dialogs zu betrachten. Auch lässt sich wohl vermuten, dass u. a. zu diesen ältesten, später freilich umgearbeiteten Stücken diejenigen Partien des Dialogs gehören, welche zwar gegen die aristotelische Schule aufs Schärfste Opposition machen, in welchen aber ein scholastisches Gepräge, eine Verwandtschaft mit der Denkmethode der bekämpften Schule unverkennbar ist. Dahin gehören die Stellen, wo Galilei gewissermaßen ein Konkurrenzunternehmen dem Aristotelismus entgegensetzen will, wo er aus metaphysischen Formeln, aus der Dreidimensionalität und der angeblich daraus folgenden Vollkommenheit der Welt, oder aus Sätzen wie »die Natur unternimmt nichts Vergebliches«, aus der vermeintlichen Nutzlosigkeit der geradlinigen Bewegung und verwandten Betrachtungen die Erdbewegung wahrscheinlich zu machen versucht.25 Es starren uns diese Teile seltsam entgegen aus einem in vieler Beziehung so lebensfrisch und modern angehauchten Werke. Sie zeigen, ebenso wie manche andere, dass Galilei nicht nur, als er sie in ihrer ersten Fassung niederschrieb, sondern auch weit später noch, als er sie umarbeitete und veröffentlichte, keineswegs der Fesseln ganz ledig war, deren er spottete. – Eine weitere Frage, zu der der Brief an Kepler Anlass gibt, ist die: Welche auf andere Weise unerklärlichen Naturerscheinungen konnte G. mittels der kopernikanischen Lehre damals schon erklären? Da er seine astronomischen Entdeckungen noch nicht gemacht hatte, da die Auffindung des Beharrungsgesetzes, soweit man von einer solchen sprechen darf, und die Untersuchungen über den Fall nicht unmittelbar mit der Frage der Weltsysteme zusammenhängen, so kann nur eine Anspielung auf das Phänomen von Ebbe und Flut und die damit zusammenhängenden Probleme vorliegen. Dies ist umso mehr anzunehmen, als Galilei auch in späterer Zeit von allen Naturerscheinungen gerade diese, und diese allein, für absolut unvereinbar mit dem ptolemäischen Systeme erklärte, wenn man nicht zur Erklärung durch ein Wunder seine Zuflucht nehmen wolle. Es steht sonach fest, wie ich glaube, dass der im Wesentlichen irrige Gedanke der Zurückführung von Ebbe und Flut auf die Erdbewegung schon dieser frühen Lebensperiode Galileis angehört. Eine fertige Formulierung seiner diesbezüglichen Ansichten liegt im Jahre 1610 vor, denn er erwähnt eine Abhandlung de maris aestu in dem bekannten Briefe vom 7. Mai jenes Jahres an Belisario Vinta.26 Daher ist es auch begreiflich, dass Galilei selbst dann noch, als der Dialog längst auf viel breiterer Grundlage geplant und teilweise ausgeführt war, in seiner vermeintlichen Erklärung der Gezeiten den Ausgangsund Zielpunkt der ganzen Darstellung erblickt und dies auch im Titel zum Ausdruck bringen will. Freilich muss es auffallen, dass wir bis zum Jahre 1615, abgesehen von dem Schreiben an Vinta, ihn diesen Gegenstand weder brieflich noch sonstwie behandeln sehen. Da indessen seine wissenschaftliche Tätigkeit in jenen Jahren voll und ganz dem Fallprobleme, rein astronomischen Untersuchungen und etwa noch hydrostatischen Fragen gewidmet war, so mag dadurch jener Gedanke einstweilen in den Hintergrund gedrängt worden sein, abgesehen davon dass die Scheu vor einer öffentlichen Anerkennung der Lehre von der Erdbewegung, die seiner Erklärung der Gezeiten zu Grunde lag, ihn noch lange zurückhielt.