Unheimliches Wien

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Unheimliches Wien
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Robert Bouchal

Gabriele Lukacs

Unheimliches Wien

Gruselige Orte

Schaurige Gestalten

Okkulte Experimente




Die Montecuccoligruft in der Kirche Am Hof.


Das Grauen über den Dächern von Wien.


Totenköpfe auf den Särgen der Montecuccoligruft.

Inhalt

Cover

Titel

Bilder zum Buch

EINLEITUNG

I. KAPITEL SPUKHÄUSER

1. Spuk im Palais Clary

2. Nazispuk und Initiation

3. Die weiße Frau

4. Literarische Geister in der Hofburg

5. Der Geist des Dichters Friedrich Hebbel

6. Schubert oder Mozart?

7. Die Poltergeister vom Palais Cavriani

8. Geisterspuk auf dem Leopoldsberg

9. Knochenfund im Ratzenstadl

10. Das Katzensteighaus

II. KAPITEL WIEDERGÄNGER – SCHEINTOTE – VAMPIRE

1. Exorzismus und Hexenverbrennung

2. Die Vampirgräfinnen von Wien

3. Van Swieten – der Vampirjäger

4. Der letzte Freier

5. Miasmen und blutende Leichen

6. Lebendig begraben

7. Der Graf von Saint Germain

III. KAPITEL UNHEIMLICHE BEGEGNUNGEN

1. Die Außerirdischen kommen: UFO über Wien

2. Men in Black und „Grauer Bote“

3. „E. T.“ aus Atzgersdorf

IV. KAPITEL UNHEIMLICHE EXPERIMENTE

1. Der Goldmacher von Rodaun

2. Die Homunculi des Abbé Geloni

3. Mesmer und der animalische Magnetismus

4. Grausige Heilmittel

5. Odstrahlung auf dem Cobenzl

6. Stimmen aus dem Jenseits

V. KAPITEL UNHEIMLICHE VORZEICHEN UND ERSCHEINUNGEN

1. Der Jausenengel vom Stephansdom

2. Das Marienwunder von Lainz

3. Geheimnisvolle Zeichen im Heiligen Gral

4. Ein rätselhaftes Kaiserbild

5. Der unheimliche Todesbote

6. Schwarze Sonne über Wien

7. Der schwarze Tod

8. Blutregen und Heuschreckenplagen

VI. KAPITEL LEGENDÄRE FLÜCHE

1. Fluch über Habsburg

2. Der Fluch beladene Edelstein

3. Hexenspuk in der Gluthmühle

VII. KAPITEL DIE UNTERWELT VON WIEN

1. Die Entdeckung einer unbekannten Gruft

2. Kellerlabyrinthe rund um den Michaelerplatz

3. Heidenschuss

4. Dr. Faust in Wien

5. Die Opiumhöhle von Wien

6. Fackeltour zu den Kanalratten

7. Die Kanalmenschen

8. Die geplante Leichen-Rohrpost

VIII. KAPITEL GRUSELIGES IM MUSEUM

1. Der Unglückswagen von Sarajevo

2. Kaiser Rudolfs Alraunen

3. Folter im Bunker

4. Mord und Totschlag

5. Abnormitäten in Wachs und Spiritus

6. A schöne Leich’

NACHWORT

DANKSAGUNG

QUELLEN UND LITERATUR

BILDNACHWEIS

STADTSPAZIERGÄNGE

IMPRESSUM

EINLEITUNG

Seit Jahrhunderten werden in Wien Geister gesehen und beschrieben, oft kann man sich mit ihnen sogar unterhalten. Man trifft sie als Wiedergänger oder „weiße Frau“, sei es in Schlössern, in Privathäusern oder in den Straßen. Wien ist offenbar ein fruchtbarer Boden für Geister, Gespenster und Vampire. Dieses Buch begibt sich auf ihre Spuren. Es führt einerseits zu Menschen, deren Kontakte mit dem Jenseits durchaus ernst zu nehmen sind, andererseits aber zu Erscheinungen, die ins Reich der Sage zu verweisen sind, auch wenn sie für vergangene Generationen wahrhaftig waren. Manche Orte sind furchterregend und unheimlich, doch wurden auch Berichte aufgenommen, die nicht ernst zu nehmen oder hinterfragbar sind. Wer erinnert sich nicht gerne an die Schauer, die einem in der Kindheit beim Hören von Gespenstergeschichten wohlig über den Rücken liefen. Vor dem Zubettgehen sah man sicherheitshalber noch unter dem Bett nach, ob dort etwa eines der Gespenster verborgen war. Doch irgendwann im Laufe des Erwachsenwerdens verlor man zusammen mit der magischen Kinderseele auch diese Furcht und vergaß die bösen, aber auch die guten Geister, die Feen und Schutzengel, die einen als Kind oft beschützt und getröstet hatten. Die Wissenschaftsgläubigkeit, die nur akzeptiert, was man beweisen kann, ist allerdings gerade in unserem heutigen Computer-Zeitalter an ihre Grenzen gestoßen, da die Forschung noch immer nicht alle unsere Fragen beantworten und auch die Kirche uns nicht immer trösten kann. So macht sich eine gewisse Sehnsucht nach dem Übernatürlichen bemerkbar, von dem man heute wieder sprechen kann, ohne verlacht zu werden. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes „Spectra“ im Jahre 2002 sind 65 Prozent der befragten 1.000 Österreicher von zumindest einem übernatürlichen Phänomen wie Geisterbeschwörung, Gedankenübertragung oder Hellseherei überzeugt, vor allem Frauen und Jugendliche können sich der Faszination des Übersinnlichen nicht entziehen. Knapp ein Drittel der Befragten hält Wunderheilungen sowie übersinnliche Wahrnehmungen für möglich, rund ein Viertel glaubt an Hellseherei und Wahrsagerei oder an Telekinese, das Bewegen oder Verbiegen von Gegenständen ohne sichtbare Ursache. An Geisterbeschwörungen, Hexerei und Exorzismus glaubten hingegen nur zehn Prozent der Befragten. (Bericht in Der Standard, 23./24. Februar 2002, APA) Die Ansicht darüber, was unheimlich ist, ändert sich laufend, jede Zeit hat ihre eigenen Gespenster, ihre eigenen übernatürlichen Erscheinungen, die dem Verlauf der Geschichte und damit der Mode unterliegen.

 


Die Schauplätze von Geister- und Gespenstergeschichten: modrige Keller und düstere Verliese

Der Glaube an das Übersinnliche steht in direktem Zusammenhang mit den Wünschen der Menschen. An erster Stelle steht dabei der Wunsch, den Tod zu überwinden. Die Angst vor dem eigenen Sterben, die Verzweiflung über den Verlust geliebter Menschen, das Grauen vor dem Verwesungsprozess sind als starke Gefühle in der Lage, Geister erscheinen zu lassen. Ob dies nun wirklich geschieht oder vom Betroffenen nur so empfunden wird, ist dabei nebensächlich. Um lange zu leben, musste man seinerzeit auf Zauber und Zaubermittel vertrauen, die nicht immer zum Bereich der weißen Magie zählten – heute braucht man die schwarzen Hexen und ihre grausigen Tränke nicht mehr, da die Medizin wirksame Heilmethoden und Mittel bereithält. Die Hexen sind daher aus der Mode gekommen. Da die Ärzte aber gerade bei den chronischen Leiden oft nicht helfen können, wendet man sich den Wunderheilern zu. Früher nahm das zauberische Schatzsuchen einen breiten Raum ein, man findet alte Berichte und vor allem Sagen darüber auch in Wien in Hülle und Fülle, noch im 17. Jahrhundert galt: „Wenn jemand mit Zauberei einen Schatz zu erobern sich untersteht, ist dasjenige, was er findet, unserer landesfürstlichen Kammer verfallen und noch dazu die Bestrafung wegen solcher verübten Zauberei dem Landesgerichtsherrn zu überlassen.“ Heute hofft man nicht mehr auf einen herbeigerufenen Gnom, der einem den Weg zu Gold und Silber weist, sondern spielt bei „Glücksspielen“ mit und lässt sich gar online oder von Hellsehern im Fernsehen Ziffern ansagen.

Der Glaube an Wunder stirbt nicht. Auch die Heiligen wurden oft um Glück und Gesundheit angefleht – und oft genug haben sie geholfen, glaubt man den Berichten. Wenn aber möglich ist, dass sie die Wünsche hören und erhören, dann ist es auch möglich, mit anderen Verstorbenen Kontakt aufzunehmen, was sich viele Menschen sehnlichst wünschen. Geister sind demnach Wesen, die den Menschen helfen oder sie erschrecken. Doch wie kann man sie erkennen? Sind sie sichtbar oder unsichtbar? Zeigen sie sich nur zu ganz bestimmter Zeit? Und aus welchem Stoff bestehen sie? Der Begriff „Äther“ stammt aus dem vorigen Jahrhundert und bezeichnet eine unsichtbare Substanz, die man für alle Geisterscheinungen verantwortlich macht. Der Begriff „Od“ stammt von Baron Reichenbach und bezeichnet jene Lichterscheinung, die auch als „Aura“ oder „Biophotonen“ bezeichnet wird. „Ektoplasma“ ist eine watteähnliche Substanz, die bei Medien aus Körperöffnungen wie Mund und Nase fließt. Aus dem Ektoplasma materialisieren sich Geister und manchmal auch Gegenstände, die jedoch nicht von Dauer sind. Das Spektrum reicht von unsichtbar bis zur körperlichen Materialisation, manchmal wird von spiralförmigen Luftwirbeln bei Geistererscheinungen erzählt. Auch über unterschiedliche sensorische Wahrnehmungen wird berichtet, von kühlem Windhauch bis zu messbaren Temperaturschwankungen. Die Geister werden als weißlich oder blau-violett beschrieben.


Totenköpfe auf zerfressenen Särgen künden von der Endlichkeit des Seins.

In den Wiener Sagen begegnet uns noch eine andere Art von Geistern, die alten heidnischen Götter, die noch immer umgehen sollen und den Menschen manchmal helfen, manchmal schaden. Frau Holle (Hulda, Freia) begegnet uns ebenso wie Wotan und die wilde Jagd, die nächtens mit Donnergroll durch die Lande zieht. Die Wassergeister warnten zwar oft vor der Flut, zogen aber etliche Fischer zu sich hinab. In früheren Zeiten fühlten sich die Menschen von den Naturgewalten viel stärker bedroht als heute, und so sind auch diese Geister aus der Mode gekommen. Unheimliche Menschen gibt es heute keine mehr, der Henker, bei dessen Anblick einem graute, gehört der Vergangenheit an. Dafür gehen „Stecher“ mit AIDS-verseuchten Nadeln als eine neue Art von Gespenstern und Vampiren um, und schon bilden sich um sie neue Sagen – denn sie erzeugen Angst. Dasselbe gilt für die UFOs, deren einige über Wien gesichtet wurden. Der Vampirglaube hatte sonderbarerweise in Mittel- und Westeuropa in der Zeit der Aufklärung besondere Konjunktur, während der Hexenglaube allmählich an Bedeutung verlor. Die Kirche war nicht mehr das Maß aller Dinge, und was man in ihrem Namen über die Hexen fabuliert hatte, hatte keine Geltung mehr, daher verschwand das crimen magiae aus den Gesetzbüchern. Die Medizin hingegen war die kommende Wissenschaft, und die Toten waren real. Der Vampir ist eine Art unheiliges Gegenstück zu den Heiligen, galt der unverweste Körper doch oft als Zeichen der Heiligkeit. Mit den Vampiren hatte sich das 18. Jahrhundert jedoch ein Problem geschaffen, das die Aufklärer als „Aberglauben“ zu bekämpfen hatten. Auf Wiener Boden spielte der Vampirismus übrigens keine sehr große Rolle, der berühmteste Vampirjäger liegt aber hier begraben. Und so schließt sich der Kreis, der von echten übersinnlichen Erfahrungen bis zum Schwindel, von Vampirjägern bis zu Henkern, von heidnischen Göttern bis zu christlichen Heiligen, von unterirdischen Grüften bis zu unheimlichen Orten führt. Die Texte und Bilder in diesem Buch wollen Gedankenanstöße geben und Lust darauf machen, auf deren Spuren zu wandeln – sei es nachdenklich oder mit einem Schmunzeln oder gar mit einem gruseligen Schauer.


Gespenster in einem Wiener Spukhaus.

Von einigen Wiener Gebäuden und Plätzen ist glaubhaft überliefert, dass es sich um Spukhäuser oder doch zumindest um unheimliche Orte handelt. Die Autoren besuchten etliche davon und trafen für den Leser eine repräsentative Auswahl.

1. SPUK IM PALAIS CLARY

1.,HERRENGASSE 9

Eine bezeugte und durchaus glaubwürdige Spukgeschichte ist uns durch den englischen Botschafter Sir Horace Rumbold (1869 – 1941) überliefert worden. Sie trug sich während seiner Wiener Dienstzeit im Palais Clary in der Herrengasse zu, das seiner Gesandtschaft damals kurzfristig zur Verfügung stand. Wie er in seinen von Gunther Martin herausgegebenen Erinnerungen schreibt, habe ihm die Fürstin Clary eine höchst seltsame Geschichte erzählt. Während einer längeren Abwesenheit der Fürstenfamilie war das Palais geschlossen geblieben. Vor ihrer Rückkehr sollte die Beschließerin Vorbereitungen für den Empfang der Familie treffen. Als sie in das noch unbewohnte Gebäude kam, hörte sie Stimmen und Lärm aus einem der Zimmer und erblickte hinter einer Milchglastüre Menschen in altmodischer Kleidung. Als sie in das Zimmer trat, fand sie jedoch niemanden vor, und nichts deutete darauf hin, dass sich jemand vor kurzem darin aufgehalten hätte. Der Spuk war so plötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war. „Man könne kaum bestreiten“, erzählte die Fürstin dem Engländer, „dass in dem alten Bau bisweilen rätselhafte Gestalten auftauchten, ohne dass man ihr Erscheinen überzeugend zu erklären vermöchte.“ Sir Horace war ebenfalls ganz überzeugt: „Es steht auch außer Frage, dass das Palais Clary während der Zeit als Sitz unserer Gesandtschaft sein unheimliches Wesen noch deutlicher offenbarte“. Er berichtet von einem unheimlichen Erlebnis, das die Frau und die Tochter eines seiner Vorgänger dort hatten. „An einem sonnigen Vormittag saßen sie in einem langen, schmalen, galerieartigen Wohnzimmer, das sie normalerweise benützten. Miss X las ihrer Mutter aus einem französischen Buch vor, als diese zu ihrem Erstaunen den Leibjäger ihres Gatten wartend an der Stirnwand des Raumes stehen sah und ihrer Tochter befahl:, Sag Fritz (dem Leibjäger), er soll zu deinem Vater hinuntergehen, der ihn sicherlich braucht.‘ Miss X schritt auf den Mann zu, aber als sie näher kam, war er nicht mehr da. Sie ging zu ihrer Mutter zurück, da erblickten die beiden ihn wieder, und Miss X wollte ihm neuerlich den Auftrag überbringen. Das geschah dreimal, immer mit dem gleichen Ergebnis. Mutter und Tochter wären sehr erschrocken darüber gewesen, einen Geist vor sich zu sehen. Später erzählte Fürst Clary, dass in jenem Zimmer ein Leibjäger ermordet worden sei, der seitdem im Haus spukte.“


Noch heute soll es im Palais Mollard-Clary in der Herrengasse 9 spuken.

Das Palais Clary, das sich von 1760 bis 1922 im Besitz dieser Familie befand, ist eines der wenigen dokumentierten Spukhäuser Wiens. Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Britische Botschaft dort untergebracht war? Ein passenderes Haus für die geistergläubigen Briten hätte man in Wien schwerlich finden können. Doch berichtete auch der letzte Nachkomme der Familie, Alfons Clary-Aldringen, in seinem Buch „Geschichten eines alten Österreichers“ über unheimliche Begegnungen, die er in diesem Hause hatte. Und selbst später, als das Palais schon längst von der Niederösterreichischen Landessregierung zu Bürozwecken verwendet wurde, soll es unheimliche Erscheinungen gegeben haben.

TIPP

1., Herrengasse 9. Palais Mollard-Clary. Globen- und Esperantomuseum und Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Öffnungszeiten täglich außer Montag 10 : 00 – 18 : 00, Donnerstag bis 21 : 00.

2. NAZISPUK UND INITIATION

1., RENNGASSE 14

Ein ebenfalls glaubhafter Zeuge erzählt von einem anderen Spukhaus aus jüngster Vergangenheit. Alfred Ballabene, „Jenseitsforscher“ und begabtes Medium, erhielt einst in einer Wohnung im 5. Stock des Hauses 1., Renngasse 14 eine schamanistische Initiation durch seinen Lehrer und Adoptivvater. Die Wohnung war angeblich während der Hitler-Ära ein Atelier des Fotografen Strobl gewesen, eines Mitarbeiters von Heinrich Hoffmann (1885 – 1957), der als Hitlers Leibfotograf bekannt wurde und in dessen Atelier Hitler das Lehrmädchen Eva Braun kennen gelernt hatte. Strobl konnte allerdings von der Autorin nicht identifiziert werden. Alfred Ballabene berichtete Folgendes:

„Als die Wohnung von meinen Adoptiveltern übernommen wurde, war dort eine Kiste mit Fotos aus dem dritten Reich. Diese Kiste wurde den Engländern auf deren Wunsch übergeben. Ich sah hiervon nur ein Bild mit Göring. Was sich mir jedoch einprägte, war die Kuriosität der Szene. Göring stand mit einem Speer vor einem erlegten Eber. Auf dem Foto stand handgeschrieben, dass der Telegraphendraht (der quer über den Himmel auf dem Bild verlief) wegretuschiert werden sollte.“


Schauplatz okkulter Einweihungen: Renngasse 14.

 


Geisterbeschwörung im magischen Kultraum.

Geisterscheinungen im magischen Kultraum

Seine Erinnerung an Geisterscheinungen in dieser Wohnung veröffentlichte Alfred Ballabene in seinem Buch „Guru und Schülersohn“, wo er schreibt: „Die Wohnung von meinem Guru und Meister hatte Geschichte. Sie lag in der Innenstadt von Wien und zwar am Rande des alten Stadtgrabens. Alles rund herum hatte die Patina wechselvoller Ereignisse der letzten tausend Jahre. Türkenkriege, Pest, ein Knotenpunkt für den Handel mit dem Orient – die Stadt hatte ein wechselvolles Leben. Das strahlte auf die Atelierwohnung aus, von deren Dachterrasse man auf die Giebel der umliegenden Häuser sehen konnte, aufgelockert durch die zahlreichen Kirchentürme dazwischen. Die dortige dichte Aura hatte auch eine Rückwirkung auf mich. Sie erhöhte meine Medialität. Zur mentalen und emotionalen Patina der Stadt kam nämlich noch die Aura der Wohnung hinzu.“ In der Wohnung soll sich ein hallenähnlicher Kultraum mit schlauchartigen Gängen befunden haben. Gotische Spitzbogen und Eisenrosetten verzierten die mit schwarzem Holz verkleideten Wände. Eine erhöhte Kammer mit einer Sitzbank war dem Anschein nach für geheime Kulte verwendet worden. Herr Ballabene schlief in diesem großen Raum. Über seine nächtlichen Erscheinungen berichtet er:

„Wenn ich im Bett lag und zur Zimmerdecke empor blickte, sah ich über mir schwarze Deckenbalken mit Tierköpfen. Das Kopfende von meinem Bett war ungefähr einen Meter von dem geheimnisvollen Gang entfernt. Ich lag anscheinend im Zentrum eines ehemaligen magischen Kultraumes. Noch immer schienen einige der früher beschworenen Kräfte im Raum zu hängen. Ich bin überzeugt, die magische Aufladung des Ortes erweckte mein mediales Empfindungsvermögen und führte zu Halbschlafzuständen mit geisterhaften Begegnungen.“

Oft quälten ihn Albträume, dann schreckte er aus dem Schlaf hoch und sah Geistergestalten im Raum. Unter ihnen war eine alte Frau, die sich um ihn zu sorgen schien, sie deckte ihn regelmäßig zu, und er schlief dann seelenruhig weiter. „Oft stand sie einfach nur in meiner Nähe. Sie sorgte sich fürsorglich um mich, das fühlte ich.“

Ballabenes Fähigkeit des „Astralreisens“ soll in der dichten magischen Atmosphäre der Räumlichkeiten voll zur Entfaltung gekommen sein. Wenngleich sich seiner Darstellung nach die ersten außerkörperlichen Phänomene nach Albträumen und Schlafparalyse als Geistersehen zeigten, entwickelte er doch über einen Zeitraum von mehreren Jahren schamanische Fähigkeiten. Am Ende seiner Lehrjahre wurde er von seinem Meister als Sohn adoptiert. Heute gibt es diese Wohnung nicht mehr. Die Etage im 5. Stock wurde zur Direktionswohnung umgebaut und mit einer 400 Quadratmeter großen Dachterrasse verbunden.

TIPP

1., Ecke Wipplingerstraße – Renngasse 14. Kathreinbank.

Literaturtipp: Alfred Ballabene: Guru und Schülersohn, Wien 2009

3. DIE WEISSE FRAU

1., HOFBURG; HERRENGASSE 6 – 8; SCHOTTENKLOSTER; 4., THERESIANUM

Ein Geist wird in den europäischen Schlössern und Burgen seit dem 15. Jahrhundert besonders oft gesichtet: die „weiße Frau“. Eine weibliche Erscheinung, die meist in wallende, weiße Gewänder gehüllt und mit weißen Handschuhen bekleidet ist. Unzählige Sagen und Legenden ranken sich um ihr nächtliches Auftreten und dessen Bedeutung. Es handelt sich oft um eine Angehörige der betroffenen Familie, Ahnfrau oder Letzte eines Geschlechts, und sie zeigt sich um ihre Familie oder die jetzigen Schlossbewohner besorgt. Ihr Erscheinen kündigt nicht immer und überall nur Unglück an, sondern kann auch freudigen Ereignissen wie Hochzeiten oder Geburten vorausgehen. Sie ist also ein guter Geist, auch wenn sie in früheren Jahrhunderten den Habsburgern in der Hofburg den Tod ankündigte.

Der österreichische Dichter Franz Grillparzer holte sich die Inspiration für seine „Ahnfrau“ auf Schloss Greillenstein im Waldviertel – nicht von ungefähr, denn auch dort geht eine weiße Frau noch heute um.