Comanchen Mond Band 2

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Aus der Reihe: Comanchen Mond #2
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Comanchen Mond Band 2
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Comanchen Mond

Der letzte Sommer in den Plains

Historischer Roman

von

G.D. Brademann


Impressum

Comanchen Mond Teil 2, G.D. Brademann

TraumFänger Verlag Hohenthann, 2021

1. Auflage eBook Juli 2021

eBook ISBN 978-3-941485-99-0

Lektorat: Michael Krämer

Satz und Layout: Janis Sonnberger, merkMal Verlag

Datenkonvertierung: Bookwire

Titelbild: Frank McCarthy

Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG,

Hohenthann

Printed in Germany

Die Wahrheit, vor der wir uns fürchten, liegt so lange im Dunkeln, bis wir bereit sind, sie zu erkennen und ans Licht zu bringen.

Für meine Großmutter Hilda Brademann,

die mir kurz vor ihrem Tod 1961 einen silbernen Armreif schenkte,

in den innen die Namen Selma, Else, Marie, Gertrud, Frieda,

Eliese, Marta und Berta eingraviert waren.

Inhalt

Teil II Der letzte Sommer in den Plains

2.Kapitel

3.Kapitel

4.Kapitel

5.Kapitel

6.Kapitel

7.Kapitel

8.Kapitel

9.Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

Teil II
Der letzte Sommer in den Plains

Die klaren Wasser des texanischen Colorado River spülten kleine Wellen bis an das versandete, allmählich steiler werdende Ufer. Auf der anderen Seite schirmte dichtes Gehölz die dahinterliegende Böschung ab. Der Fluss, aus dem Llano Estacado kommend, hatte bereits eine felsige Berglandschaft hinter sich gelassen, um hier – an zahlreichen Canyons vorbei – durch offene Prärie nach Südosten zu fließen. Viele Meilen weiter kam der Concho River mit seinem meist schlammigen Wasser dazu, bevor er – noch vor dem San Saba, dem Llano River und schließlich dem Pedernales – an Austin vorbei in den Golf von Mexiko mündete.

Die Tipis der Antilopenbande standen wie immer in loser Formation entlang des Flusses. Lediglich Familien gruppierten sich enger zusammen. Mittlerweile hatte der Monat begonnen, den die Comanchen ‚Mond der herabfallenden Blüten‘ nennen. Dark-Nights Augen sahen noch eingefallener aus als sonst, durch dunkle Schatten untermalt, ihre Wangen hohl und blass. Großmutter plagte ihre Arthritis. Manchmal konnte sie kaum mehr die Finger zu Fäusten ballen.

Dream-In-The-Days Schwangerschaft war inzwischen gewaltig fortgeschritten. Sie trug ihren runden, gewölbten Bauch stolz vor sich her. Irgendwie sah sie hübscher aus – das musste auch Magic-Flower bemerkt haben. Sie hielt sich mit ihrer spitzen Zunge in letzter Zeit etwas zurück. Woran das lag, konnte man nur vermuten. Wahrscheinlich bekam das hübsche Mädchen auf einmal keinen Zuspruch mehr, wenn es wie immer lästernd über andere herfiel. Ihre schamlose Art, Dream-In-The-Day schlechtzumachen, kostete sie ihre einstigen Freundinnen.

Dream-In-The-Day dagegen besaß seit ihrer Heirat mit Gray-Wolf mehr Einfluss als jemals zuvor. Die Konsequenz, mit der sie immer schon ihre Meinung vertrat, hatte sie auch jetzt nicht abgelegt. Crow-Wing hingegen musste sich vorsehen, um nicht ganz und gar in Ungnade zu fallen. Die meisten Frauen nahmen es ihr übel, dass sie sich in die Angelegenheiten ihres Mannes einmischte, was Dark-Night betraf. Immer öfter schlossen sie sie daher von ihren gemeinsamen Vergnügungen aus. Dabei hätte sie doch froh sein sollen, sich mit einer so jungen Frau die Arbeiten teilen zu können. So jedenfalls dachte die Mehrheit. Crow-Wing wollte davon nichts hören. Sie war bisher ohne Dark-Night ausgekommen und wollte sich auch in Zukunft in nichts hineinreden lassen. Der eigentliche Grund jedoch war ihre immerwährende Eifersucht.

Icy-Wind aber kümmerte sich nicht um die Zwistigkeiten in seinem Tipi. Für ihn zählte nur seine eigene Bequemlichkeit. Mochten sich doch seine beiden Frauen in die Haare kriegen – was kümmerte es ihn? Und das Geschwätz der Weiber interessierte ihn sowieso nicht. Trotzdem war er von Tag zu Tag misstrauischer geworden.

Dann war dieser Zwischenfall auf dem Geröllfeld passiert. Er hatte sich dazu hinreißen lassen, Crow-Wings Zuflüsterungen zu glauben, und sich dabei beinahe vor dem ganzen Lager blamiert. Natürlich vermutete er auch heute noch, dass ihn damals Light-Cloud zusammen mit Storm-Rider hereingelegt hatte. Doch die beiden waren dabei so geschickt vorgegangen, dass es keinerlei Beweise gab. Nun lauerte er auf eine Gelegenheit, es ihnen zu vergelten – vor allem Light-Cloud. Sich von seiner eigenen Frau vorführen zu lassen, das war gegen seine Ehre, und so sann er auf Rache. Der Tagesablauf eines Kriegers war angefüllt mit Arbeit. Er hatte ein Recht darauf, wenigstens in seinem Tipi Ruhe und Erholung zu finden. Immerhin bestand für ihn die Möglichkeit, sich mit diesem Problem an ihren Häuptling, Old-Antelope, zu wenden. Das hätte die Sache ein für alle Mal aus der Welt geschafft. Der alte Mann stand seit vielen Wintern an der Spitze der Antilopenbande. Sie liebten und achteten ihn für die Art, wie er Streitigkeiten schlichtete, bei Familienzwisten ein gerechtes Urteil fällte, ja, sogar die jungen Krieger in ihrem Übermut zu zügeln verstand. Für Recht und Ordnung im Lager zu sorgen, war für ihn eine stetige Herausforderung. Dass es keine größeren Streitigkeiten gab, dafür sorgte er zusammen mit Great-Mountain. Niemandem war es bisher eingefallen, diesen beiden ihre Positionen streitig zu machen.

Anstatt sich an sie zu wenden, verbrachte Icy-Wind in letzter Zeit die Tage damit, seiner zweiten Frau hinterherzuspionieren. Sollte sie ihn mit Light-Cloud betrügen, würde er das über kurz oder lang selber herausfinden. Kein Tag verging, an dem er nicht dort auftauchte, wo sie gerade war. Einige der Männer, besonders die jungen, machten sich bereits einen Spaß daraus, ihn in die Irre zu führen. Dieser Zustand konnte nicht mehr lange gutgehen. Das war wie bei dem Topf mit Fleischbrühe über dem Feuer; wenn man nicht aufpasste, kochte irgendwann alles über.

Eine friedliche Lösung wäre für alle Beteiligten am besten gewesen und hätte endlich wieder Ruhe einkehren lassen. Doch das galt nicht für einen so nachtragenden und in seiner Ehre gekränkten Mann wie Icy-Wind. Die Feindschaft zwischen ihm und Light-Clouds Familie rührte noch aus den Zeiten von Sun-In-The-Red-Hair. Eine Entscheidung musste endlich fallen. Diese ganze Sache begann bereits Zwietracht in der kleinen Gemeinschaft zu säen. Die Meinungen, was Light-Cloud betraf, wenn etwas an der Sache dran sein sollte, oder Icy-Winds Recht gingen inzwischen weit auseinander. Ja, es wurden bereits unter der Hand Wetten abgeschlossen, was die Möglichkeiten einer Lösung betraf. Da gab es verschiedene. Bestrafte Icy-Wind seine Frau, indem er sie verunstaltete? Schickte er sie zurück, oder würde er Light-Cloud herausfordern? Eine offene Auseinandersetzung konnten sich viele, die Icy-Winds hochfahrende Art kannten, durchaus vorstellen. Mord – so etwas kam unter Comanchen so gut wie nie vor.

 

Red-Eagle befürchtete das Schlimmste. Doch es stand auch ihm in seiner Position als amtierender Kriegshäuptling nicht zu, sich in Familienangelegenheiten einzumischen. Vermitteln, ja. Dazu wäre er bereit; eine andere Möglichkeit gab es für ihn nicht. Kein Häuptling hatte das Recht, jemandem etwas zu befehlen. Sollte er das tun, dann wäre er die längste Zeit Häuptling gewesen. Für Icy-Wind selbst kam nur eine einzige Möglichkeit in Frage: Er musste Light-Cloud an seiner empfindlichsten Stelle treffen – und die hieß Dark-Night. Um mit erhobenem Kopf aus der ganzen leidigen Angelegenheit herauszukommen, war er bereit, seinen Widersacher zu töten. Niemand beleidigte ihn, der einst wie ein eisiger Wind über seine Feinde gekommen war, ungestraft. In seiner verletzten Eitelkeit konzentrierte er sich voller Wut auf Dark-Night. So verging kein einziger Tag, an dem sie nicht mit neuen Zeichen einer Misshandlung auftauchte. Früher wäre ihm so etwas nie in den Sinn gekommen. Jetzt jedoch war es ihm eine heimliche Freude, zu sehen, wie Light-Cloud nur noch von seinen Freunden daran gehindert wurde, offen gegen ihn vorzugehen. Manchmal sah sich Dark-Night gar nicht mehr in der Lage, das Tipi zu verlassen. Dann war es am Schlimmsten für Light-Cloud. Einmal musste Great-Mountain sogar eingreifen, um ihn daran zu hindern, sofort zu Icy-Wind in dessen Tipi zu stürmen. Um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, war auch Crow-Wings Verhalten der kleinen Mexikanerin gegenüber kaum noch auszuhalten. Sie sah in dieser Entwicklung ihre Position als Hauptfrau mehr als je zuvor gestärkt.

Jemand musste endlich etwas unternehmen. Es war ja nicht so, dass die Männer im Lager großes Interesse am Wohlergehen Dark-Nights bekundeten. Doch das Ganze brachte allmählich zu viel Unruhe auch in ihre Tipis. An den Feuern gab es nur noch ein Thema. Das war gar nicht gut. Auch für Light-Clouds Freunde – und das waren wesentlich mehr als die von Icy-Wind – stand seine Ehre auf dem Spiel. Es musste unbedingt und so schnell wie möglich eine Lösung her, denn inzwischen hatte sich die ganze Angelegenheit zu weit zugespitzt.

An einem sonnigen Morgen trafen sich deshalb sechs junge Männer mit Light-Cloud an einer Stelle oben auf einem Geröllfeld, von dem aus man den Großteil der Tipis am Fluss überblicken konnte. Einige sacht vorgefühlte Gespräche mit Icy-Wind waren bereits gescheitert; Red-Eagle hatte ihn in sein Tipi eingeladen, ihn bestens bewirtet und zusammen mit Moon-Night Andeutungen gemacht. Das Ganze war natürlich völlig schiefgelaufen, denn Icy-Wind hatte sofort gewusst, worum es ging, und wutentbrannt das gastliche Tipi verlassen – ein Affront gegen Red-Eagle. Zum Glück bewahrte der ruhig Blut und tat das nur mit einer gleichgültigen Geste ab. Doch in seinem Innersten brodelte es. Warum nur sträubte sich Icy-Wind so sehr gegen eine friedliche Einigung? Schließlich ging es hier nur um eine Frau – noch dazu um eine Mexikanerin.

Jetzt saßen die jungen Männer beisammen und sprachen eifrig miteinander. Endlich, nachdem sie sämtliche Möglichkeiten durchgegangen waren, kamen sie zu dem Entschluss, dass das alles nur auf einen Zweikampf hinauslaufen konnte. Light-Cloud, der es nicht mehr aushielt, bei Dark-Nights Misshandlungen tatenlos zuzusehen, war zum Äußersten entschlossen. Er stand für einen Kampf bereit. Diese Entwicklung der Dinge hätte er sich beim besten Willen zu Beginn seiner Liebschaft mit der Mexikanerin nicht vorstellen können. Was als harmlose Tändelei begonnen hatte, war tödlicher Ernst geworden. Mit seinen zweiunddreißig Wintern hätte er es eigentlich besser wissen müssen. Seine wertvollsten Pferde – ja, sogar die aus der Züchtung seines verstorbenen Vaters – wäre er bereit gewesen, für sie herzugeben. Das war mehr als Icy-Wind verdiente.

Er, einer der begehrtesten Junggesellen, hätte jede haben können. Es gab Väter, die sogar bereit waren, ihm ihre Töchter für einen geringen Brautpreis zuzuführen. Sein Status als Krieger hätte nicht besser sein können. Wer einen Schwiegersohn wie ihn bekam, brauchte sich um seine eigene Zukunft keine Sorgen mehr zu machen. Doch was nützte das alles? Sein Herz hing nun einmal an dieser verheirateten Frau, die nicht einmal mehr schön war, seit Icy-Wind sie tagtäglich misshandelte. Es konnte also nicht an ihrem Äußeren liegen. Viele der jungen Mädchen fragten sich, was sie wohl hatte und sie selbst nicht.

Light-Cloud bekräftigte am Ende der Zusammenkunft den sechs jungen Männern seine Bereitschaft, um Dark-Night, wenn es sein musste, auch zu kämpfen. Noch musste es nicht zum Äußersten kommen. Er wusste genau, worauf er sich da einließ. Sollte er Icy-Wind besiegen, dann würde er ihm einen angemessenen Preis für Dark-Nights Entlassung aus dieser Ehe zu zahlen haben. Niemand musste deshalb sterben. Anders lagen die Dinge, wenn er in diesem Kampf unterlag, denn dann würde er für seine Geliebte nichts mehr tun können. Und auch Großmutter hätte dann keinen Versorger mehr. Wollte er dieses Risiko eingehen? Ja, seine Entscheidung stand fest, ohne dass er Dark-Night oder Großmutter um ihre Meinung fragen würde.

Über Dream-In-The-Day, Gray-Wolfs Ehefrau, wurde an diesem Morgen Dark-Night in die Pläne der jungen Männer eingeweiht. Die kleine Mexikanerin wusste also genau, um was es ging, ohne dass man ihr ein Mitspracherecht einräumte. Die Männer hatten entschieden. Es war die Angst um Light-Clouds Leben, die sie bereits seit vielen Monden Tag für Tag mehr verzweifeln ließ. Jeder hier im Lager ahnte etwas von ihrem Verhältnis, obwohl niemand es laut aussprach. Richtige Beweise gab es nämlich nicht, und so machten Mutmaßungen die Runde. Dark-Night wurde nicht mehr nur von Crow-Wing oder Icy-Wind beobachtet; jetzt folgten ihr immer misstrauische Blicke, wohin sie auch ging. Es war fast unmöglich geworden, dass sich die beiden Liebenden noch treffen konnten. Und jetzt? Ihr Leben gegen das seine – sie wollte das nicht! Dark-Night ahnte nur zu gut, dass es schon lange nicht mehr nur um sie ging. Es ging um die Ehre ihres Geliebten. Um sein Gesicht zu wahren, musste er etwas unternehmen. Light-Cloud konnte nicht einfach nur still dabei zusehen, wie Icy-Wind ihn Tag für Tag damit erniedrigte, dass er seine Geliebte in aller Öffentlichkeit misshandelte. Wie lange, so wetteten viele bereits, würde er das noch aushalten? Auch über Icy-Winds Tun wurden Wetten abgeschlossen. Sie war schließlich sein Eigentum. Wenn das stimmte, was alle vermuteten, würde er es weiter dulden, dass Light-Cloud sie ungebeten benutzte?

Dark-Night dagegen bangte jeden Tag um Light-Clouds Leben, nicht um ihres. Wie lange würde er nichts tun? Am liebsten wäre sie einfach weit fortgelaufen.

Nun, hier oben, bei seinen engsten Freunden, war die Entscheidung gefallen. Obwohl Light-Cloud wusste, was Dark-Night denken würde, konnte er darauf keine Rücksicht nehmen. Einen Rückzieher zu machen, kam überhaupt nicht in Frage. Für ihn, den Sohn von Sun-In-The-Red-Hair und Three-Bears, wäre das mehr, als er ertragen konnte. Dark-Night wusste das – so gut kannte sie ihren Geliebten inzwischen. Lieber hätte sie selber sterben wollen, als von ihm dieses Opfer zu verlangen.

Light-Clouds aussichtslose Lage war offensichtlich. Für ihn gab es keinen anderen Weg; er musste Icy-Wind herausfordern. Jetzt, nachdem das beschlossen war, kam es darauf an, dem Ehemann seiner Geliebten in aller Form diese Entscheidung mitzuteilen. Damit wollte man ihn überraschen, denn er sollte keine Möglichkeit mehr haben, eigene Bedingungen zu stellen. Vielleicht fand sich ja doch noch eine friedliche Lösung. Diese Möglichkeit wollten sie auf alle Fälle im Auge behalten. Die jungen Männer um Light-Cloud waren der Meinung, dass es dafür noch nicht zu spät war. Light-Cloud hatte auch dazu sein Einverständnis gegeben. An der Anzahl der Pferde als Entschädigung sollte es auf keinen Fall scheitern. So warteten sie auf das Erscheinen von Icy-Wind, um ihn mit ihrem Vorschlag zu überrumpeln.

Sie hatten die Rechnung ohne ihn gemacht, denn er duldete auf keinen Fall eine Einmischung in seine Angelegenheiten. Erbost empfing er zwar den Herold, der ihn zu dem Treffen oben am Geröllfeld einlud, aber er machte keinerlei Anstalten, hinzugehen. Nachdem der Herold wieder davongeritten war, verließ wenig später die kleine Mexikanerin ihr Tipi, um Brennholz zu sammeln. Sie wollte damit allem Ärger aus dem Weg gehen, denn es war offensichtlich, in welchem Zustand sich ihr Mann befand. Er holte sie bereits nach wenigen Schritten ein. Seine Absicht war unverkennbar. Grob, nur mühsam seine Beherrschung zurückhaltend, drängte er sie ins nahe Unterholz. Unsichtbar für alle anderen; als ob ihn das sonst gekümmert hätte, fiel er brutal über sie her. Sie wollte davonlaufen, ihm entwischen, doch sie kam nicht gegen ihn an. Er zerrte sie hinter sich her, schlug sie, trat nach ihr, bis sie das Bewusstsein verlor. Damit sie wieder zu sich kam, warf er sie ins Wasser und schleifte sie über das versandete, flache Ufer bis hinüber auf die andere Seite. Einige Frauen, die das sahen, wandten sich nur erschrocken ab. Sie gehörte ihm, war sein Eigentum. Alles, was er mit ihr machte, war sein gutes Recht.

Icy-Wind, ein Mann Anfang fünfzig mit breiten Schultern und von etwas gedrungener, kräftiger Gestalt, besah sich das Häufchen Elend zu seinen Füßen. Dark-Night, diese kleine, zierliche Frau, gezeichnet von einem entbehrungsreichen Leben, blutig, verzweifelt, hob flehend ihre Arme. Sie wusste, dass sie selbst verschuldet hatte, was er ihr antat. Doch hatte sie nicht auch ein bisschen Glück verdient? Geringschätzig die schmalen Lippen verziehend, betrachtete er sie einen Moment mit seinen eng zusammenstehenden Augen. Er war noch lange nicht mit ihr fertig. Dark-Night senkte den Blick. Unter ihr bildete sich eine Blutlache, färbte den hellen Sand. Der Schmerz in ihrem Unterleib war kaum zu ertragen, aber sie verzog keine Miene. Sollte er sie doch töten, ihr war in diesem Moment alles egal. Sie wünschte sich fast, er hätte es endlich getan. Ihre blutunterlaufenen Augen durchbohrten ihn ohne jede Regung. Stoßweise flach atmend, da sie vor Schmerzen nicht mehr tief Luft holen konnte, versuchte sie, rückwärts von ihm fortzukriechen. Das ließ er nicht zu. Sein Griff war fest, als er sie am Arm packte, sie hochzog. Doch Dark-Night konnte nicht stehen und knickte wieder ein. Sein Blick zum Wasser hin sagte alles. Am liebsten hätte er sie zurück in den Fluss geworfen und dort ertränkt. Er beherrschte sich. Nur sie zu bestrafen, wäre zu einfach gewesen, damit wollte er sich nicht zufrieden geben. Jemand anderem wollte er wehtun. Und wie er das konnte! Das würde sie Gehorsamkeit lehren. Sollte dieser Sohn einer texanischen Hündin doch seinen Kampf haben! Plötzlich begann er zu lachen.

Dark-Night erschrak. Was hatte er vor? Ihre Gedanken überschlugen sich. Ängstlich presste sie ihre Hände auf die schmerzende, von seinen Zähnen gezeichnete Brust. Wie als Antwort darauf griff er nach ihr, warf sie sich wie ein Bündel Felle über die Schulter und machte sich auf den Weg den Fluss hinauf. Mit weit ausgreifenden Schritten durchquerte er einen Teil der grasenden Pferdeherde und verschwand hinter hervorstehenden Felsen des Canyons, um Dark-Night dort grob auf die sandige Erde zu werfen. Ein abschätzender Blick auf sie überzeugte ihn, dass sie nicht mehr aus eigener Kraft von hier fort konnte. Ohne zu zögern zog er sein Messer. Kurz betrachtete er ihr zerschlagenes Gesicht. Dann schnitt er die Hälfte ihrer Nase ab. Blut spritze auf seine Hände, verteilte sich auf dem Felsen, sickerte in den Sand. Das Ganze war ein Werk von Augenblicken; das Messer war breit und scharf. Erst jetzt spürte er eine Welle der Befriedigung über sich hinwegschwappen. Genugtuung breitete sich in ihm aus. Dann war es vorbei. Völlig ruhig sah er dabei zu, wie sich das Blut aus der hässlichen Wunde über ihr Gesicht ergoss, ihre Hände entsetzt danach griffen, schwarze, weit aufgerissene Augen ihn anstarrten – und doch kam kein einziger Schrei aus ihrem Mund.

Er empfand keine Reue. Icy-Wind, fürs Erste zufriedengestellt, machte einen Schritt rückwärts, um sich sein Werk zu betrachten. Unzufrieden, dass sie nicht geschrien, sich nicht einmal gewehrt hatte, keine Hand erhoben, um ihn zu hindern, knirschte er mit den Zähnen. Sie war nur kurz zusammengezuckt. Jetzt rannen Tränen aus ihren schwarzen Augen und zerteilten das Blut auf ihrem Gesicht in unzählige Rinnen. Icy-Wind nickte zu ihr hin und lächelte hinterlistig. Wenn sie dort verreckte, war das nicht seine Schuld. Er war ein großzügiger Mann und gab ihr die Möglichkeit, hier wieder herauszukommen. Schließlich hatte er sie nicht gefesselt oder irgendwo angebunden. Nun ja, der Anfang war gemacht. Diese Verstümmelung, sagte er sich befriedigt, wird sie ihr ganzes Leben lang behalten. So, wie sie jetzt aussieht, wird sie kein anderer mehr haben wollen. Schon gar nicht ein eitler Mann wie Light-Cloud. Ich hab´s ihr gezeigt, ihr beigebracht, was es heißt, einen wie mich zu hintergehen. So etwas in der Art ging ihm durch den Kopf.

 

Nun hatte er, der wie ein eisiger Wind über seine Feinde kommt, die Wahl. Die Entscheidung über ihr Schicksal lag allein in seiner Hand. Er konnte sie aus dem Lager jagen – eine Ausgestoßene, die Elend, Hunger und Tod erwartete. Oder sich gnädig zeigen, indem er sie bei sich behielt. Damit würde er Light-Cloud immer an seine Verfehlung erinnern. Fürs Erste war er völlig zufrieden mit sich selbst. Während er den Rückweg antrat, stellte er sich vor, wie Light-Cloud das hier aufnehmen würde. Der Mann würde toben. Soll er doch. Er, Icy-Wind, hatte noch ganz anderes mit ihm vor. Der zweite Teil seiner Rache würde ebenso befriedigend werden.

Niemand vermisste Dark-Night. Weil sie auch nach Beginn der Nacht noch nicht wieder zurück war, ahnte nur Crow-Wing, dass etwas nicht stimmen konnte. Doch das war nicht ihr Problem. Gleichgültig machte sie ihre Arbeit, ohne Icy-Wind diesbezüglich auch nur eine Frage zu stellen.

Am nächsten Morgen, noch bevor die Sonne den Horizont berührte, machten sich die jungen Männer mit Light-Cloud erneut auf den Weg zu ihrem gestrigen Treffpunkt. Ein zweiter Bote war bereits zu Icy-Wind unterwegs – mit der freundlichen Aufforderung, doch dort zu erscheinen. Die Männer warteten lange. Als wieder niemand kam, wurden sie unruhig.

Storm-Rider, der natürlich nicht fehlen durfte, schlug vor, ins Lager zurückzureiten. Es konnte nicht sein, dass ein Mann die abermalige Aufforderung durch einen Boten einfach ignorierte. Zumindest verdienten sie eine Begründung. Ratlos blickten die jungen Männer Light-Cloud an. Der machte einen bedrückten Eindruck. Er ahnte bereits, dass das nichts Gutes bedeutete, und äußerte laut seine Befürchtungen, was die Sicherheit von Dark-Night betraf. Storm-Rider war ziemlich aufgebracht. Sie konnten diese Angelegenheit nicht einfach auf sich beruhen lassen – nicht, nachdem Icy-Wind ihre Aufforderung, mit ihnen zu reden, zwei Mal so dreist ignoriert hatte. Dark-Night war ihm nicht wichtig, Light-Cloud umso mehr. Der würde nicht eher ruhen, bis er sie aus dem Tipi ihres Ehemannes herausgeholt hatte. Es würde weiterhin Ärger geben – sehr großen Ärger. Bevor sich auch nur einer der Freunde entfernen konnte, übernahm er das Kommando und ritt mit ihnen hinunter ins Lager. Es stellte sich heraus, dass weder Icy-Wind noch die junge Frau seit dem vergangen Tag gesehen worden war. Niemand wusste etwas.

Die Frauen, die etwas wussten, schwiegen betroffen. Niemand mischte sich gern in die Angelegenheiten der anderen ein. Allmählich jedoch kippte die Stimmung. Je mehr Zeit verstrich, ohne dass man Dark-Night oder ihren Ehemann zu Gesicht bekam, desto unruhiger wurde das gesamte Lager. Es gingen sogar schon Gerüchte um. Am meisten litt Light-Cloud, denn er machte sich inzwischen große Sorgen.

Mitten in diese Unruhe hinein platzte Icy-Wind. Hoch erhobenen Hauptes schritt er den Hauptweg entlang, der dem Flussufer mit den Tipis vorgelagert war. Ohne sich umzusehen oder mit jemandem zu reden, erreichte er sein Tipi und verschwand im Innern. Die, die das beobachtet hatten, waren ratlos. Doch es traute sich auch niemand, ihn nach dem Verbleib seiner Ehefrau zu fragen.

Der halbe Tag war bereits vorüber und Dark-Night noch immer nicht wieder aufgetaucht. Da machten sich einige der älteren Frauen unter der Führung von Light-Clouds Tante, die alle hier nur „Großmutter“ nannten, endlich auf, um nach ihr zu suchen. Dream-In-The-Day schloss sich ihnen mit einigen jüngeren Frauen an. Danach war das gesamte Lager in Aufruhr. Old-Antelope schickte einen eilig zusammengestellten Suchtrupp hinunter zum Fluss. Great-Mountain, ihr Friedenshäuptling und gleichzeitiger Medizinmann, begann die Trommel zu schlagen. Er zog sich in sein Tipi zurück, um seine Geister um Beistand zu bitten. Noch immer fragte niemand Icy-Wind. Niemand wagte es, unaufgefordert sein Tipi zu betreten. Nicht einmal Great-Mountain wäre das eingefallen. Es gab schließlich nicht den geringsten Hinweis darauf, dass er für Dark-Nights Verschwinden verantwortlich war. Jetzt ging es erst einmal darum, sie zu finden. Die Suche blieb jedoch weiter ohne Ergebnis. Dann begann es.

Die Sonne stand bereits tief im Süden, da ging Icy-Wind zum Tipi von Light-Cloud, der kurz zuvor erschöpft von der Suche nach Dark-Night dort eingetroffen war. Icy-Wind war prächtig gekleidet, als gelte es, einen großen Empfang zu geben. Breitbeinig baute er sich vor dem Eingang auf, sein Gewehr lässig in der Hand, und rief herausfordernd nach Light-Cloud. Das nächste Tipi, außer dem von Großmutter, war etwa 80 große Schritte entfernt; man konnte seine Stimme bis dorthin hören.

„He, du Sohn einer räudigen Hündin! Deine Mutter taugte schon nichts, und du bist ihr Ebenbild! Die Reste meiner Frau liegen im Canyon, wenn sie nicht schon dort herausgekrochen ist wie eine Kröte aus dem Schlamm!“ Mit diesen Worten warf er das grüne Band von Dark-Night, das sie immer in ihren Haaren trug, gegen die Klappe des Tipis. Light-Cloud war bereits nach seinen ersten Worten heraus gekommen. Während er jetzt das Band ergriff, schnauzte Icy-Wind: „Damit kannst du deine Tränen trocknen!“

Wie erstarrt betrachtete der jüngere Mann zuerst das Band und dann den Peiniger seiner Liebsten.

„Das ist meine Antwort auf ihre Ehrlosigkeit! Doch es ist noch nicht zu Ende. Du hast meine Ehre beschmutzt, und dafür sollst du ebenfalls büßen“, rief Icy-Wind so laut und deutlich, dass jeder, der sich in der Nähe aufhielt, es hören musste. Dann schritt er erhobenen Hauptes wieder fort.

Light-Cloud starrte ihm immer noch nach, obwohl er schon nicht mehr zu sehen war. Unwillkürlich ballten sich seine Hände zu Fäusten. Dann ging ihm auf, was soeben passiert war. Die Entscheidung – sie war gefallen und es gab kein Zurück mehr.

Storm-Rider, gerade auf dem Weg zu ihm, hatte alles gehört. Schon war er bei ihm, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn heftig. Beide blickten sich kurz in die Augen; dann nickte Light-Cloud, dem alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Großmutter tauchte aus ihrem in der Nähe stehenden Tipi auf. Die alte Frau verschwendete keine Zeit mit unnützen Worten – hatte sie doch die Beleidigungen ebenfalls gehört und bereits nach ihrem Pony gerufen. Augenblicke später stürmten die drei auf ihren Pferden in Richtung Canyon.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kehrten sie zurück, denn sie hatten Dark-Night nicht gleich finden können. Sie lag noch immer dort, wo Icy-Wind sie verlassen hatte. Bewusstlos, mehr tot als lebendig. Jetzt hielt Light-Cloud eine schwerverletzte Dark-Night vor sich auf dem Pferd. Großmutter, mit wie zu Stein erstarrtem Gesicht, ritt hinter ihm. Storm-Rider machte den Schluss. Er hatte die Augen zusammengekniffen, seine Miene bedeutete nichts Gutes. Für ihn hatte Icy-Wind mit dieser Tat eindeutig eine Grenze überschritten. Es wäre besser gewesen, die Einladung der Krieger anzunehmen, um diese Angelegenheit mit Anstand und Ehre zu Ende zu bringen.

Die Nachricht von Dark-Nights Rückkehr und ihrem Zustand ging wie ein Lauffeuer durch das Lager, und die, die noch immer nach ihr suchten, kehrten zurück. Nur zögernd zerstreuten sich die Menschen, aber neugierig waren sie doch. Jetzt war man gespannt, was weiter passieren würde. Dass eine Entscheidung anstand, war allen klar. Die Mutmaßungen, was Dark-Night und Light-Cloud anging, wurden zur Gewissheit.

Vor Großmutters Tipi hielten die drei ihre Pferde an. Light-Cloud übergab Dark-Night in die Arme der alten Frau, dann verschwand er mit Storm-Rider zur Beratung in seinem eigenen Tipi. Viele, die ihnen auf ihrem Weg begegnet waren, sahen kurz darauf Icy-Wind in stolzer Haltung und in seinem Festgewand vor dem eigenen Tipi stehen. Noch immer fühlte er sich im Recht. Crow-Wing, die sich nicht einmal die Mühe machte, ihre Schadenfreude zu verbergen, kam gerade von einer Runde durch das Lager zurück. Auch sie wusste inzwischen von der Neuigkeit, dass man Dark-Night gefunden und in Großmutters Tipi gebracht hatte. Eifrig öffnete sie die Klappe ihres Tipis, ließ Icy-Wind vorangehen und schlüpfte nach ihm hinein.

Die Worte von Icy-Wind, die er zu Light-Cloud gesagt hatte, wanderten von Mund zu Mund. Ihm Dark-Night jetzt auszuliefern, sie zu ihm zu bringen, das konnte sich keiner hier vorstellen. So blieb nur ein Weg, den Light-Cloud betreten musste. Und das hatte Icy-Wind wohl auch bezweckt.

Gray-Wolf, obwohl er oft die dümmsten Ideen hatte, war diesmal weitsichtig genug, um den Häuptling zu informieren. Schnurstracks ritt er zum Tipi von Old-Antelope, der den Suchtrupp nicht begleiten konnte, da ihn wieder einmal sein Rheumatismus plagte.

Auf einmal tauchte Icy-Wind auf einem seiner Ponys auf, überquerte die seichte Furt bis auf die andere Seite des Flusses und ritt zur Pferdeherde. Das Pony dort gegen seinen besten Hengst, einen wunderschönen Schecken, tauschend, ritt er wieder über den Fluss zurück. Nachdem er lange in seinem Tipi verschwunden war, kam er waffenstarrend heraus. Diesmal hatte er keine Festkleidung an, sondern war wie ein Krieger, der sich einem Feind stellt, gekleidet. Er trug sein scharf geschliffenes Kriegsbeil in seinem Gürtel, ebenso steckte ein Messer mit kupfernem Griff, der dunkel wie Blut schimmerte, als ihn ein rötlicher Strahl der Abendsonne traf, daneben. Im gestreckten Galopp verschwand er im nahen Wäldchen und kam kurz darauf mit seiner Kriegslanze in der Armbeuge wieder heraus. Er ließ seinen Mustang herausfordernd nur wenige Schritte von seinem Tipi tänzeln, auf ein lautloses Kommando hin wenden und steigen. Dann wartete Icy-Wind regungslos wie ein Fels auf Light-Cloud. Nur die Mähne seines Pferdes und seine eigenen langen Haare wehten im Abendwind. Er hatte keine Aufforderung aussprechen müssen; seine Absicht lag klar auf der Hand.